Inhaltsverzeichnis

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Seite
1. Einleitung
5
2. Die Definition von Migrant
8
2.1 Einfluss der Zuwanderungspolitik auf die Integration von
Migranten in Deutschland und Europa
10
2.1.1 Entwicklung von Migration in Europa
13
2.1.2 Auswirkung der Globalisierung auf die Rolle der
Migranten
2.1.3 Die normative Dimension von Migration
16
18
2.2 Warum neue Methoden zur Integration von Migranten benötigt
werden
23
3. Entstehung des EU-geförderten Projektes IMES (Integration
of Migrants in the European Society) als partizipatives
Integrationsprojekt von Migranten
3.1 Struktur des Projektes IMES
26
27
3.1.1 Möglichkeiten der Entwicklung neuer
partizipativer Integrationsmethoden für Migranten bei IMES
29
3.1.2 Inszenierung kultureller Vielfalt
33
3.2 Die Methoden der nationalen Advisory Boards von IMES
36
3.3 Soziale und politische Partizipation von Migranten
42
4. Bedingungen der Integration von Migranten mit Bezug auf
theoretische Integrationsmodelle
48
4.1 Die Integrationsproblematik der Migranten im
Kausalmodell von Hartmut Esser
50
4.1.1 Grundannahmen des Kausalmodells
53
4.1.2 Bedingungen der Eingliederung
56
2
4.2 Das Sechs-Phasen-Modell der kulturellen Integration von
Ulrich Tolksdorf
57
4.2.1 Phase des Kulturschocks
57
4.2.2 Phase des Kulturkontaktes
58
4.2.3 Phase des Kulturkonfliktes
60
4.2.4 Phase der Anpassung an die sozialen
Verhältnisse bei gleichzeitiger Bewahrung der eigenen
kulturellen Identität
61
4.2.5 Phase der Akkulturation
61
4.2.6 Phase der punktuellen Bewahrung – Volkskultur
in der postmodernen Gesellschaft
4.3 Das Republikanische Integrationsmodell
62
63
5. Nutzung der „Neuen Medien“ für einen partizipativen
Integrationsprozess von Migranten
5.1 Das Bild der Migranten in den „Neuen Medien“
66
67
5.2 Möglichkeiten deutscher und muttersprachlicher Medien
für die partizipative Integration von Migranten
73
5.2.1 Können Bürgermedien eine neue Methode für die
partizipative Integration von Migranten sein?
77
5.2.2 Integrationleistungen der in Deutschland produzierten
Websites für Migranten
81
6. Verbesserung der Integration von Migranten durch
„soziokulturelle Kompetenzen“
84
6.1 Unterschiedliche kulturelle Kapitalien der Akteure in
einer multikulturellen Gesellschaft
85
6.2 Das Konzept der Schlüsselbegriffe
88
6.2.1 Der „Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz“
92
3
6.2.2 Der Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden
98
7. Möglichkeiten partizipativer Integration durch
„Politikmanagement“
104
7.1 Grenzen der politischen Möglichkeiten von Migranten
105
7.2 „Politikmanagement“ durch Vereinigungen
110
8. Beurteilung der ersten Projektphase
113
8.1 Beurteilung durch den deutschen Koordinator Georg May
114
8.2 Beurteilung durch die zweite deutsche Partnerin Gabi Janecki
116
8.3 Befragung des IMES-Mitglieds Frank Auracher
117
8.4 Befragung der Praktikantin Julia Gebke
121
8.5 Auswertung
122
9. Die Arbeit des spanischen Advisory Boards von IMES
124
10. Die Arbeit des italienischen Advisory Boards von IMES
126
11. Aktivitäten der zweiten und dritten Phase des Projektes IMES
131
12. Fazit
134
13. Abkürzungsverzeichnis
137
14. Literaturverzeichnis
138
4
1. Einleitung
Bis vor kurzem herrschte in Politik und Wirtschaft noch die Auffassung, die
Migranten seien entweder innerhalb von zwei, spätestens drei Generationen in das
deutsche Gesellschafts- und Bildungssystem assimiliert oder in ihre Heimat
zurückgekehrt. Doch entgegen dieser Erwartungen blieben die meisten Einwanderer in Deutschland und trugen sowohl kulturell als auch demografisch zur
Veränderung dieser Gesellschaft bei. Dies wollte man allerdings lange nicht
wahrhaben. Seit einigen Jahren haben nun auch die deutschen Politiker die
Bundesrepublik als ein Einwanderungsland anerkannt und da die Realität zeigt,
dass viele Migranten dauerhaft im Aufnahmeland bleiben, wird die Notwendigkeit
von besseren Integrationsmaßnahmen immer deutlicher. Die Bemühungen der
Vergangenheit waren hier oft unzureichend, weil sie kaum auf deren Bedürfnisse
ausgerichtet waren und so die Zielgruppe zum Teil nicht erreichten. Um das zu
ändern, müssen Integrationsmaßnahmen geschaffen werden, an deren Entstehung Migranten selbst beteiligt sind. Dies ist die zentrale Aufgabe des EUProjektes IMES (Integration of Migrants in the European Society), das seit Ende
2002 bis 2005 in Hannover, Barcelona und Palermo durchgeführt wird.
Gegenstand der Magisterarbeit ist die Untersuchung der Arbeit dieses Projektes
zur Erschaffung neuer Methoden der partizipativen Integration von Migranten. Da
der Hauptsitz des Projektes in Hannover ist und die meisten Aktivitäten in
Deutschland stattfinden, wird auch der Schwerpunkt dieser Arbeit auf die
Integration von Migranten in Deutschland gelegt. Das Projekt will partizipative
Integrationsmethoden von Migranten durch die drei Bereiche „Neue Medien“,
„soziokulturelle Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ entwickeln. Da der
Themenschwerpunkt von IMES in Deutschland im Bereich „Neue Medien“ liegt,
wird das Thema auch in dieser Arbeit besonders berücksichtigt.
5
Erkenntnisleitendes Interesse ist hierbei die Leistung des Projektes als Netzwerk
von Menschen, die im Migrationsbereich tätig oder selbst Migranten sind.
Außerdem werden die Möglichkeiten und Schwierigkeiten angeführt, welche dieses
EU-Projekt zur Erschaffung neuer Methoden aufzeigt.
Die zentrale Fragestellung der Arbeit lautet: Wie werden bei IMES neue Methoden
zur partizipativen Integration von Migranten entwickelt und lässt sich nach dem
ersten Jahr schon ein Erfolg des Projektes erkennen?
Hierbei soll zunächst der Begriff Migrant definiert werden, da er in der Fachliteratur
in sehr unterschiedlicher Weise verwendet wird. Danach wird die Zuwanderungspolitik von Deutschland und der Europäischen Union aufgegriffen, welche die
derzeitige Situation von Migranten in europäischen Ländern verdeutlicht. Auch die
Entwicklung der Migration in den drei Ländern Deutschland, Italien und Spanien, in
welchen das Projekt IMES durchgeführt wird, trägt zum Verständnis der Lage der
Migranten bei, was die Voraussetzung für eine gelungene Integration ist. Des
Weiteren wird der Einfluss der Globalisierung auf die Migration erörtert, was zu der
Frage nach der Rolle der Gerechtigkeit gegenüber den Migranten bei der
Gestaltung der Zuwanderungspolitik führt. Aus diesen Grundinformationen lässt
sich dann der Schluss ziehen, warum neue Methoden für die Integration von
Migranten nötig sind.
Der folgende Abschnitt der Magisterarbeit beschreibt, wie es zu der Entstehung
des Projektes IMES kam. Um den Verlauf und die Ziele des Projektes zu
verstehen, muss die Projektstruktur beschrieben werden, um dann die Projektmöglichkeiten zur Verbesserung der Integration von Migranten darzustellen. Ein
wichtiger Aspekt der partizipativen Integration von Migranten ist deren Recht auf
die Ausübung ihrer eigenen Kultur. IMES will vor allem durch den Bereich „Neue
Medien“ der Aufnahmegesellschaft die Kultur der Zuwanderer näher bringen.
Hierbei ist die Inszenierung kultureller Vielfalt ein wichtiges Thema. Diese kann nur
zur Integration beitragen, wenn sie partizipativ von den Migranten gestaltet wird.
Die Tätigkeiten des ersten Projektjahres zeigen, wie dies anhand der Methoden
der nationalen Advisory Boards bei IMES umgesetzt wird. Des Weiteren wird die
6
bisherige Praxis der sozialen und politischen Partizipation von Migranten
beschrieben.
Anhand von Integrationstheorien wird untersucht, ob die Integrationsziele von
IMES durch deren praktische Umsetzung und Methoden erreicht werden können.
Das Kausalmodell von Hartmut Esser und das Sechs-Phasen-Modell von Ulrich
Tolksdorf werden erläutert und auf das Projekt bezogen. Dadurch verdeutlicht sich,
welche Projektmethoden, -themen und -pläne Erfolg versprechend sind und in
welchen Bereichen Verbesserungen und Ergänzungen nötig sind. Anschließend
folgt
die
Beschreibung
der
Grundsätze
des
in
Frankreich
praktizierten
„Republikanischen Integrationsmodells“, das eine Anregung für die Integrationspraxis in europäischen Ländern sein kann.
Als nächstes werden die drei Schwerpunktthemen von IMES: „Neue Medien“,
„soziokulturelle Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ thematisiert. Die Nutzung
der „Neuen Medien“ soll den Migranten helfen ihren Integrationsprozess
partizipativ zu gestalten. IMES konzentriert sich hierbei auf die Bereiche Fernsehen, Radio und Internet. So sollen Migranten Sendungen für den Offenen Kanal
Hannover und für ein Bürgerradio in Hildesheim herstellen. Zusätzlich wird das
Internet zur Verbreitung und Erlangung von Informationen genutzt, wie auch die
Website des Projektes zeigt. Um die Medien für die Migranten zu nutzen, muss
zunächst untersucht werden, welches Bild von Migranten bisher dort verbreitet
wird. Des Weiteren wird dargestellt, welche unterschiedlichen Möglichkeiten
deutschsprachige und muttersprachliche Medien den Migranten bieten. Woraufhin
erörtert wird, ob Bürgermedien wie der Offene Kanal oder Bürgerradio wirklich ein
Ansatz für die partizipative Integration sein können. Schließlich werden noch die
Möglichkeiten des Internets dargestellt, die mit oftmals zweisprachigen Homepages eine wichtige Informationsquelle für Migranten sind.
Die „soziokulturellen Kompetenzen“ werden in Kapitel sechs behandelt. Diese
ermöglichen eine bessere Verständigung zwischen Migranten und Aufnahmegesellschaft und beugen Missverständnissen vor. Zunächst werden die unterschiedlichen kulturellen Kapitalien der Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft definiert, da sie Verständigungsschwierigkeiten verursachen können. Um
7
diesen entgegen zu wirken, ist es wichtig, dass nicht nur die Migranten, sondern
auch die Aufnahmegesellschaft die soziokulturellen Kompetenzen beherrschen.
Als Grundlage für die Entwicklung von Seminarbausteinen bei IMES zur Vermittlung von „soziokulturellen Kompetenzen“ dient das vom spanischen Advisory
Board entworfene Konzept der Schlüsselbegriffe. Das Verstehen und Beherrschen
dieser Schlüsselbegriffe fördert die Verständigung in Einwanderungsgesellschaften. Weiterhin werden der „Trainingsleitfaden für Interkulturelle Managementkompetenz“ und der Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden vorgestellt,
welche die Grundlage für die Gestaltung von interkulturellen Seminaren sind.
Im Bereich Politikmanagement will IMES theoretisch und praktisch arbeiten, um
sinnvolle Maßnahmen für die tägliche Arbeit der Teilnehmer in diesem Bereich zu
entwickeln. Organisationen und NGOs (Non Government Organisations) nehmen
sich oft nicht die Zeit, um über ihre institutionellen und organisatorischen
Schwächen und deren Außenwirkung nachzudenken. Die Möglichkeiten des
Politikmanagements bieten Chancen, Veränderungen zu erarbeiten und die
Außenwirkung zu optimieren. Auch die Grenzen der politischen Möglichkeiten von
Migranten, ebenso wie die Partizipationsmöglichkeiten, die sich dagegen für sie in
Vereinigungen bieten, werden dargelegt.
Schließlich werden durch die Befragung von drei Mitgliedern und einer Praktikantin
des deutschen Advisory Boards von IMES deren bisherige Einschätzungen des
Projektverlaufs
sowie
Verbesserungsmöglichkeiten
erörtert.
Nach
deren
Auswertung wird der Projektverlauf in Spanien und Italien kurz dargestellt.
Schließlich werden die Projektpläne für das zweite und dritte Projektjahr und die
damit zusammenhängenden Ziele beschrieben. Im Fazit sollen dann der Erfolg des
Projektes beurteilt und mögliche Verbesserungsvorschläge gegeben werden.
2. Die Definition von Migrant
8
Da der Begriff Migrant in der Fachliteratur in sehr unterschiedlicher Weise benutzt
wird, muss dieser genau definiert werden. Hierfür muss zunächst einmal der
Begriff Migration geklärt werden.
„Migration“ oder „Wanderung“ ist sicher die komplexeste und am schwierigsten zu
erfassende demografische Variable. Unter „Migration“ oder „Wanderung“ wird im
Allgemeinen die auf Dauer angelegte beziehungsweise dauerhaft werdende
räumliche Veränderung des Lebensmittelpunktes einer oder mehrerer Personen
verstanden. Wanderungen erfolgen in der Regel immer dann, wenn eine
Gesellschaft die Erwartungen ihrer Mitglieder nicht erfüllen kann.1 Dabei lassen
sich drei Bereiche abgrenzen, bei denen die Frustration der ansässigen
Bevölkerung Wanderungsentscheidungen auslösen kann:
- Die bloße physische Existenz der Menschen ist nicht mehr gesichert (so etwa
bei Migranten aus Kriegs- und Krisengebieten, aber auch aus Regionen mit
einem hohen Maß an Umweltzerstörung).
- Die institutionelle Struktur der Gesellschaft kann die materiellen, besonders
die wirtschaftlichen Wünsche und Erwartungen nicht erfüllen (so bei den
Wirtschaftsmigranten aus schwach entwickelten Gebieten, historisch etwa bei
den europäischen Auswanderern nach Übersee, heute zum Beispiel bei
Migranten aus Osteuropa).
- Lebensvorstellungen können unter dem herrschenden politisch-ideologischen
System nicht verwirklicht werden (dies ist etwa bei der Migration wegen
religiöser Diskriminierung oder politischer Verfolgung, aber auch bereits bei
mangelnder Identifikation mit den Werten einer Gesellschaft vorstellbar).2
Gründe für Wanderungsentscheidungen können dabei durchaus gleichzeitig in
mehreren der genannten Bereiche liegen. Da Wanderungsentscheidungen immer
auf zwei Gesellschaften Bezug nehmen, die der Abwanderungs- und die der
Zuwanderungsregion, führte dies zur Entwicklung eines „Push-Pull“-Erklärungsmodells der Wanderungsentscheidungen. Dabei wird davon ausgegangen, dass
das Zusammenwirken von negativen, abstoßenden Faktoren einer Region bzw.
Vgl.: Kröhnert, Steffen: Migration – Eine Einführung, Berlin 2003. In: http://www.berlininstitut.org/pdfs/Kroehnert_Migration-Einfuehrung.pdf, S. 1. (Stand: 11.4. 2004).
2 Vgl.: ebd.
1
9
Gesellschaft (Push-Faktoren) im Zusammenwirken mit positiven, anziehenden
Faktoren (Pull-Faktoren) einer anderen, Migrationen auslösen und ihr eine
Richtung geben.3
Migrationstypisierungen werden oft kontrovers diskutiert. Dies liegt zum Teil in der
komplexen Natur des Gegenstandes „Migration“, die kaum distinkte Typenbildungen zulässt. Teilweise sind mit der Begriffsbildung jedoch auch politische
Intentionen verbunden.
Es gibt also freiwillige (Arbeitsmigranten, Familiennachzug, Remigration von
Staatsangehörigen) und unfreiwillige Migranten (Wirtschafts-, Gewalt-, Armuts- und
Umweltflüchtlinge), die begrenzt oder dauerhaft in die Bundesrepublik Deutschland
und andere europäische Länder einwandern. In der Migrationsarbeit stellt man
häufig fest, dass auch Kinder von Migranten, insbesondere Träger der Herkunftsstaatsangehörigkeit der Eltern, sich selbst noch als Migranten sehen, auch wenn
sie in Deutschland geboren sind. Da auch diese zur Zielgruppe von IMES gehören,
werden auch sie in dieser Arbeit als Migranten bezeichnet.
In der Bundesrepublik Deutschland sind die Migranten hauptsächlich ausländische
Arbeitnehmer und deren Familien aus dem Mittelmeerraum, Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber und Aussiedler aus Osteuropa. Der Ausländeranteil an
der Bevölkerung der Bundesrepublik liegt bei etwa sieben Prozent, wobei die
Anteile in den Ballungsgebieten deutlich höher und folglich in ländlichen Gegenden
niedriger sind. So wie in allen anderen Einwanderungsländern dieser Welt gibt es
auch in der Bundesrepublik in einigen Stadtteilen ethnische Gemeinden von
bestimmten Einwanderungsgruppen.4
2.1 Einfluss der Zuwanderungspolitik auf die Integration von
Migranten in Deutschland und Europa
3
Vgl.: ebd., S. 2.
Vgl.: Esser, Hartmut: Soziologie: Allgemeine Grundlagen, Frankfurt am Main/ New York 1996, S.
261.
4
10
Um neue Methoden für eine partizipative Integration von Migranten zu entwickeln,
muss man sich deren momentane Situation in den Einwanderungsländern
verdeutlichen. Die Integrationsmöglichkeiten von Migranten werden maßgeblich
von der Zuwanderungspolitik beeinflusst. In Ländern, in denen viele illegale
Einwanderer leben, sind deren Integrationsmöglichkeiten eingeschränkter als die
der Migranten mit Aufenthaltsgenehmigung oder sogar Staatsangehörigkeit im
Aufnahmeland. Seit dem Regierungsantritt der Koalition aus SPD und Grünen
1998 hat sich die Migrationspolitik und deren öffentliche Diskussion in Deutschland
positiv gewandelt. Nun geht es statt um die Eindämmung um die Steuerung von
Zuwanderung. Die Realität der Einwanderung wurde anerkannt und das
Staatsangehörigkeitsrecht zum 1. Januar 2000 endlich reformiert. Die Diskussion,
welche im Februar 2000 um das Thema Green Card entbrannte, zeigt welcher
Reformstau sich aber noch immer hinter diesem Thema verbirgt. Die Probleme des
Zuwanderungsbedarfs und der Integration der Migranten erfordern nun eine
ausführliche Diskussion. Doch zu einer Einwanderungspolitik gehört auch eine
Integrationspolitik, welche die Eingliederung durch Hilfestellungen erleichtert und
so zum Abbau von Fremdenangst beiträgt. Denn Ausländerfeindlichkeit ist ein
Zeichen für unzureichende Integrationspolitik.
Da der Schritt vom Zuwanderungsland zum Einwanderungsland voraussetzt, dass
Migranten gleichberechtigte Bürger werden können, war die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts längst überfällig. Doch Integrationspolitik darf vor allem
Mentalitätsprobleme nicht ausblenden, denn Migration löst sowohl bei Majorität als
auch bei Minorität Identitäts- und Identifikationsprobleme aus. Dazu ist eine
Solidarität zwischen der Gruppe der Einwandernden und der Gruppe der
Aufnahmegesellschaft, die zum Teil ohnehin schon aus Einwanderern besteht,
nötig. Die Konzepte für eine nationale Migrations- und Integrationspolitik müssen
zudem europaverträglich sein, da es auf dem Weg in eine europäische Gemeinschaft keine nationalen Alleingänge mehr geben kann.
Migration reicht in Europa von gezielter Anwerbung attraktiver Arbeitskräfte aus
dem Ausland bis zur Anerkennung oder Abweisung von Asylbewerbern mit der
Motivation vom wirtschaftlichen Eigeninteresse bis zum humanitären Akt. Daraus
11
ergibt sich die Frage, wie die unterschiedlichen Menschen mit ihrer eigenen Kultur,
ihren eigenen Erwartungen und ihrem eigenen Lebensstil in die EU-Länder
integriert werden können. Die Tatsache, dass fast zwanzig Prozent der Menschen
in Europa aus Ländern außerhalb der EU kommen, wirft die Frage auf, ob deren
Integration zuallererst Anpassung heißt und wer sich wem anpassen muss.
Müssen Migranten die Sprache des Landes lernen, in das sie einwandern? Dürfen
sie ihre Familien mitnehmen oder nachholen? Wie viele Ausländer kann die
Gesellschaft überhaupt eingliedern?
Tatsache ist, dass Europa mit seinen fallenden Geburtenraten und der demografisch alternden Bevölkerung auf eine geregelte und aktiv gestaltete Einwanderung angewiesen ist. Inzwischen hat sich die Einsicht, dass Europa Migration benötigt durchgesetzt. Heute muss man schon eher vor zu großen Erwartungen an deren heilsame Wirkung warnen, da auch Einwanderer älter werden
und sich deren Geburtenraten schnell der Aufnahmegesellschaft anpassen. Dies
kann als gelungene Integration betrachtet werden, doch sie bildet noch immer ein
großes Problem in einem latent rassistischen Europa, in welchem andere Hautfarben noch immer am liebsten nur bei einer Reise in das jeweilige Herkunftsland
gesehen werden.5
Seit den achtziger Jahren wurde das Thema Einwanderung in Europa Teil parteipolitischer Auseinandersetzungen und von außerparlamentarischen Protestbewegungen dramatisiert. Dies war Zeichen für eine politische Ratlosigkeit
gegenüber den unerwarteten sozialen Folgen von Migrationsprozessen und der
Nutzung dessen durch nationalkonservative Parteien und rassistische Strömungen. So entstand die Auffassung, dass die Beschränkung von Zu-wanderung
die Voraussetzung für die Integration von Migranten sei. Durch die innereuropäische Freizügigkeit am Arbeitsmarkt in der EU verlagerte sich diese
Beschränkung auf die Außengrenzen Europas.
Seit den siebziger Jahren ist Migration schon ein Thema in der damals noch
Europäischen Kooperation. Grundlage hierfür sind die Römischen Verträge von
5
Vgl.: Bade, Klaus J.: Seid nicht zu euphorisch. Auch wachsende Zuwanderung wird die deutsche
Gesellschaft nicht von ihrem Reformzwang befreien – 15 Thesen. In:
http://www.zeit.de/2001/19/Politik/200119_forderungen.html (Stand: 11.4. 2004).
12
1957, welche die Wurzel der europäischen Integration bilden. Der darin enthaltene
Vertrag der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beinhaltete die Absicht zur
Gestaltung einer liberalisierten Binnengemeinschaft bezogen auf Erwerbstätige.
Mitte der siebziger Jahre wurde der Vertrag dann auf alle EU-Bürger ausgedehnt.
Nachdem durch das Schengener Abkommen ein gemeinsamer Binnenmarkt mit
Abbau der Binnengrenzen beschlossen wurde, hatte die Zuwanderungspolitik aller
Mitgliedstaaten unmittelbar Folgen für die EU, da die Grenzkontrollen an den
Binnengrenzen seitdem entfallen sind.6
Das Schengener Abkommen ist ein zwischenstaatliches Abkommen vom 15. Juni
1985. Erneuert wurde es im Jahr 1990, als sich andere EU-Staaten den fünf
Gründerstaaten anschlossen. Haben Angehörige von Drittstaaten ein Aufenthaltsrecht in einem der Schengen-Staaten, gelten die Bestimmungen auch für sie, was
bedeutet, dass sie nur ein Visum von einem dieser Staaten brauchen. Dadurch
wurde auch erstmals die Asylpolitik auf europäischer Ebene behandelt. Aufgrund
der unterschiedlichen nationalen Asylverfahren forderte der Europäische Gipfel
1990 in Rom eine Harmonisierung der Asylpolitik. Doch der Vertrag von Maastricht
beließ die Asylpolitik in den Mitgliedstaaten, womit sie Gegenstand zwischenstaatlicher Kooperation blieb. In Amsterdam wurde 1997 jedoch beschlossen, dass
bis 2004 eine gemeinsame Regelung des Asylrechts für die EU erarbeitet werden
soll. Diese soll den vollständigen Abbau interner Grenzkontrollen, gemeinsame
Standards für die Kontrolle der Außengrenzen und Regeln für den Aufenthalt von
Drittstaatsangehörigen umfassen.7 Es wird sich in diesem Jahr zeigen, ob diese
Pläne, welche für die Umsetzung europaweiter, partizipativer Integrationsmethoden von Vorteil wären, verwirklicht werden.
2.1.1 Die Entwicklung von Migration in Europa
6 Vgl.:
Verdi: Entwicklung der Migrationspolitik. In:
http.www.verdi.de/0x0ac80f2b_0x000363fe;internal&action=verdi_inter-druckversion.html
11.4. 2004).
7 Vgl.: Verdi (wie Anm. 5).
(Stand:
13
Voraussetzung für die Integration von Migranten ist, dass die Mehrheitsgesellschaft sich in deren Situation hineinversetzen kann, um sie zu verstehen.
Dazu muss man wissen, wie sich die Migration zu der derzeitigen Situation der
Zuwanderer entwickelt hat. Migration ist kein neues Phänomen, sondern gibt es
schon solange wie die Menschheit. Sie ist ein Sozialisationsprozess, der aus
komplexen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen hervorgeht. Schon im achtzehnten Jahrhundert bewegten sich in
Europa die Migranten über große Distanzen. Es handelte sich hierbei um Erwerbsmigration, bestehend aus Handwerkern, saisonalen Arbeitswanderern oder
Wanderhändlern. Das neunzehnte Jahrhundert war bestimmt durch proletarische
Massenwanderungen,
geprägt
vom
krisenhaften
Wandel
der
Agrar-
zur
Industriegesellschaft in Europa und durch die Anziehungskraft der „Neuen Welt“.
Der Übergang vom neunzehnten in das zwanzigste Jahrhundert war der Übergang
vom agrarischen über das industrielle zum Dienstleistungszeitalter.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu starken Zwangs- und Fluchtwanderungen
mit viel überseeischer Auswanderung aus Europa. Erst ab den siebziger Jahren
gab es Zuwanderungsgewinne nach Europa. Größer noch waren aber die transnationalen großen Arbeitskräftewanderungen innerhalb Europas. Die größten
Wanderungsbewegungen der Weltgeschichte, die im zwanzigsten Jahrhundert
besonders aus der Dritten Welt kamen, betrafen Europa dagegen nur zu fünf
Prozent. Die Migration in die EU-Staaten stieg bis Ende des zwanzigsten
Jahrhunderts auf das Dreifache und kam hauptsächlich aus anderen Ländern
Mittel-, West- und Nordeuropas. Seit 1970 hat Deutschland die höchsten Ausländerzahlen der EU-Staaten, was auch damit zusammenhängt, dass in Frankreich
und Großbritannien die meisten Migranten durch Einbürgerung aus den Ausländerstatistiken dauerhaft verschwanden. In Deutschland geben die Migranten ihren
Ausländerstatus meist noch an die zweite Generation weiter.8
8
Vgl.: Bade, Klaus J.: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000, S. 12.
14
Nach Angaben des Berichtes der unabhängigen Kommission „Zuwanderung“9
lebten Ende des Jahres 2000 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland, darunter 5,8
Millionen ausländische Ein- und Zuwanderer sowie 1,5 Millionen in Deutschland
geborene Ausländer. Darüber hinaus befinden sich in Deutschland schätzungsweise
3,2
Millionen
Menschen,
die
als
Aussiedler
oder
Spätaussiedler
zugewandert sind, und rund eine Million Menschen, die im Inland eingebürgert
wurden.10
Bis in die achtziger Jahre war die Arbeitswanderung in Europa in nördliche
Zuwanderungs- und südliche Abwanderungsregionen gespalten. Seit Ende der
siebziger Jahre verstärkte sich in Nordeuropa die Zuwanderung der Asylsuchenden, welche bis Ende der achtziger Jahre jedoch immer noch geringer war
als der Familiennachzug, der sich an die Arbeitswanderungen anschloss. Im
Süden Europas kam es seit Mitte der achtziger Jahre dann zu interkontinentalen
Süd-Nord-Bewegungen. In Länder wie Italien und Spanien, aus denen vorher die
Menschen nach Nordeuropa emigrierten, wanderten nun Menschen aus anderen
Kontinenten wie Südamerika und Afrika ein. In allen EU-Ländern wurden im Laufe
der verstärkten Zuwanderung die Beschränkungsgesetze für die Aufnahme von
Migranten verschärft, womit die Zahl der illegalen Migranten deutlich stieg.
In Italien kamen die ersten Zuwanderer als Arbeitsmigranten Ende der sechziger
Jahre. Jugoslawen arbeiteten in der Industrie im Norden Italiens, Marokkaner und
Tunesier im Süden in der Landwirtschaft. In den siebziger Jahren arbeiteten
Frauen von den Kapverdischen Inseln, den Philippinen und aus Äthiopien in
italienischen Haushalten. In den achtziger und neunziger Jahren gab es überdies
Zuwanderung aus Afrika südlich der Sahara (Senegal, Ghana, Nigeria), dem
indischen Subkontinent und China. Eine große Zahl von Flüchtlingen kam in den
neunziger Jahren aus dem krisengeschüttelten Balkan. Ende 2000 hatten in Italien
1,4 Mio. Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis. Die größten Gruppen waren
9
Vgl.: Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Bericht der unabhängigen Kommission Zuwanderung:
Zuwanderung gestalten – Integration fördern, Berlin 2001, S. 14.
10 Vgl.: ebd.
15
Marokkaner (160 000), Albaner (142 000), Rumänen (69 000), US-Amerikaner (47
000), Tunesier (45 000) und Jugoslawen (40 000).11
Spanien zieht seit den achtziger Jahren nicht nur Migranten an, die dort arbeiten
wollen, sondern auch viele sonnenhungrige Menschen aus nördlichen Ländern wie
Deutschland oder Großbritannien, die ihr weiteres Leben im Süden verbringen
wollen. Von den rund 900 000 Ausländern in Spanien Ende 2000 sind 74 000
Briten, 60 000 Deutsche und 42 000 Franzosen. Die Arbeitsmigranten finden ihr
Auskommen vor allem im Hotel-, Einzelhandel- oder Baugewerbe, aber auch in der
Landwirtschaft oder als Haushaltshilfen. Sie kommen zunächst aus Portugal (Ende
2000: 42 000 Menschen) und Marokko (200 000), in den 80ern zusätzlich aus
China (29 000) und den Philippinen (13 000). Außerdem besteht eine Verbindung
zu Südamerikanischen Ländern wie Ecuador (31 000), Peru (28 000), der
Dominikanischen Republik (26 000) oder Kolumbien (25 000). Aufgrund der
lockeren Einwanderungskontrollen bis in die neunziger Jahre gibt es wie in den
übrigen Mittelmeerländern viele illegale Migranten. In zwei Legalisierungsaktionen
1985 und 1991 bekamen insgesamt über 100 000 Menschen einen legalen
Aufenthaltsstatus.12
Jedes Land in Europa hat seine spezielle Migrationsgeschichte, die sich in das
europäische Muster einfügt. Wie in allen Regionen dieser Welt gehört die
Wanderung von Menschen über Grenzen zur Normalität. In einem europäischen
Austausch über die unterschiedlichen Erfahrungen in der Integrationsarbeit mit
Migranten können neue Lösungen und Methoden für eine in ganz Europa
anwendbare partizipative Integration von Zuwanderern entwickelt werden.
2.1.2 Auswirkung der Globalisierung auf die Rolle der Migranten
Staaten berufen sich ebenso wie Minderheiten und nationale Minderheiten auf
ihren traditionellen geschichtlichen Hintergrund. Ein Widerspruch besteht darin,
Vgl.: König, Jürgen: Migration in Europa – Ein Überblick, Berlin 2003. In:
http://www.asylforschung.de/info_europa.htm (Stand: 11.4. 2004).
12 Vgl.: König (wie Anm. 11).
11
16
dass zwar moderne Entwicklungen integriert werden, es aber andererseits eine
große Sorge um den Erhalt der Kultur gibt, welche mit der Pflege von Brauchtum,
kulturellen Eigenheiten und Tradition einhergeht. Weil die Auswirkungen der
Globalisierung im politischen und gesellschaftlichen Leben abgelehnt werden, wird
Fortschrittliches durch den Versuch der Trennung von Moderne und Tradition in
den Hintergrund gedrängt. Doch die Globalisierung hat sich nicht nur auf den
gesamten Wirtschaftsbereich ausgewirkt, sondern formt auch die Politik und das
soziale Leben neu.13
Laut Dieter Claessens14 hat sich das Rollensystem der traditionellen Gesellschaft
gegenüber der industriellen Gesellschaft erheblich gewandelt, da die hohe
Enttäuschungsfestigkeit und die geringe Variabilität der Rolle der traditionellen
Gesellschaft
nicht
mehr
bestehen.
Das
Rollensystem
der
traditionellen
Gesellschaft ist geprägt durch die hierarchisch geordneten Schichten im fest
verankerten Herrschaftssystem. In der industriellen Gesellschaft können die
Aufgaben nur noch mit Hilfe von Bürokratie und Entscheidungsdelegation bewältigt
werden. Die Umverteilung der gesellschaftlichen Macht hat hierbei eine
Emanzipation aus der Rollenunterwerfung zur Folge. Da das Rituelle der
traditionellen Gesellschaft uneffektiv und zu zeitaufwendig ist, verändert sich die
Rolle vom Prestigeanteil zum funktionalen Teil in der industriellen Gesellschaft.
Diese Funktionalisierung der Rolle ermöglicht eine Rollendistanz, die in der
traditionellen
Gesellschaft
unmöglich
wäre.
Mit
der
Thematisierung
des
Rollenbegriffs wird Rollendistanz möglich und konstitutiv. Da die Rolle nun
öffentlich diskutiert werden kann, ist eine Reflexion über den gesellschaftlichen
Charakter des eigenen Lebensweges möglich.15
Migranten, die von einem traditionellen Gesellschaftssystem in ein industrielles
wechseln, unterliegen auch diesem Wechsel des Rollenverständnisses und somit
dem Wechsel von der festgelegten Rolle zur Rollendistanz. Dieser Wechsel
erschwert es den Migranten, ihre neue Rolle in der Gesellschaft zu finden, zudem
13
Vgl.: Schnebel, Karin B.: Selbstbestimmung in multikulturellen Gesellschaften. Dargestellt an den
Beispielen Frankreich, Deutschland und Spanien, Wiesbaden 2003, S. 58.
14 In: Gronemeyer; Reimer: Integration durch Partizipation. Veränderungen des Alltags der
Produktion und der Reproduktion durch Beteiligung, Bochum 1972, S. 22.
15 Vgl.: Gronemeyer (wie Anm. 14), S. 22f.
17
verlangsamt es natürlich auch das Einnehmen einer aktiven Rolle im Integrationsprozess selber.
Außerdem führen Globalisierungstendenzen zu immer weiteren Vernetzungen
internationaler Organisationen. So setzt sich zum Beispiel die OSZE (Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) zwar für Minderheiten ein, dies
jedoch aus nationalstaatlichem Interesse. Da internationale Organisationen von
staatlichen Regierungen gebildet werden, können sie von denselben in ihren
eigenen Interessen gestärkt werden. Doch im Bereich der Kultur, der Sprache und
der Traditionen werden Kooperationen und Interdependenzen immer stärker.
Minderheiten fördern dies, da ihr wesentliches Ziel ist, sich gegen Tendenzen zu
wehren, bei denen sie in ihrer Entfaltung eingeschränkt werden. Wenn
Minderheiten sich als fremdbestimmt betrachten, verstärkt sich der vertikale
Konflikt zwischen Minderheit und Nationalstaat. Gleichzeitig wird die horizontale
Konfliktlinie innerhalb der Minderheit, wie die Stadt-Land-Differenz, schwächer.16
Die Globalisierung hat in modernen Gesellschaften zu einem enormen
Bildungsschub geführt, in den ärmeren Ländern aber genau das Gegenteil bewirkt.
Daher wurden die, welche aus diesen Ländern auswanderten, von Anfang an in
unterste Arbeiten eingebunden. Sie wurden ausschließlich in das Arbeitsleben
integriert und lebten sonst weiterhin in den Lebensformen ihrer Heimatländer, da
sie dorthin wieder zurückkehren wollten und sollten. Heute kämpfen diese
Migranten mit Diskriminierung, obwohl sie einmal dringend benötigt wurden. Dies
ist auch bedingt durch immer größer werdende Einwandererströme, zu denen die
Globalisierung beigetragen hat.17 Um im Globalisierungszeitalter deren Folgen
gerechter zu gestalten, muss auch Migration und die Integration von Migranten
gerechter gestaltet werden.
2.1.3 Die normative Dimension von Migration
16
17
Vgl.: Schnebel (wie Anm. 13), S. 60.
Vgl.: Schnebel (wie Anm. 13), S. 61.
18
Da es von vielen Seiten Forderungen nach einer sozial gerechten Gestaltung von
Zuwanderung gibt, hat sich Gerechtigkeit zu einem relevanten Kriterium der
europäischen Zuwanderungspolitik entwickelt. Verfechter von offenen Zuwanderungsregelungen weisen auf die internationalen Missstände hin und betonen die
Wanderungsfreiheit des Einzelnen, während deren Gegner auf dem Recht von
Staaten und Staatsbürgern, den Zugang zu ihrem Territorium und ihrer Gesellschaft autonom gestalten zu dürfen, beharren. Erstere gehen von den Gerechtigkeitspflichten gegenüber allen Menschen aus, Letztere kennen diese Pflichten nur
gegenüber ihren Staatsbürgern. Das wirft die Frage auf, ob das grenzüberschreitende Thema Migration überhaupt als Gerechtigkeitsthema gelten
kann.18
Das Konzept sozialer Gerechtigkeit beruht auf
dem Prinzip potentieller
Verteilungskonflikte mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung zum Wohle aller
Beteiligten. Die beiden grundlegenden Voraussetzungen von Gerechtigkeit sind
laut David Hume19 Mangel an Altruismus und gemäßigte Knappheit. John Rawls20
beschreibt die Anwendungsverhältnisse von Gerechtigkeit als ein Zusammenspiel
objektiver und subjektiver Gegebenheiten in einer Verteilungssituation. Objektive
Umstände machen menschliche Zusammenarbeit möglich und notwendig, weitere
Einflüsse sind die Knappheit der Ressourcen, unterschiedliche Weltanschauungen
und die Endlichkeit menschlicher Kenntnisse. Vor allem aber die unterschiedlichen
Lebenspläne und Vorstellungen der Menschen von ihrem Wohl führen zu
unterschiedlichen und teilweise konkurrierenden Wünschen über die Verwendung
der knappen Ressourcen. Auch Migration resultiert aus Knappheit, aus Situationen
großer sozialer und ökonomischer Ungleichheit und beinhaltet dadurch ein
Verteilungsproblem. Den Menschen in EU-Ländern geht es überwiegend gut, da
sie in sozial und rechtlich gesichertem Wohlstand leben, weshalb Menschen aus
ärmeren Ländern daran partizipieren wollen. Da die Bürger der Aufnahmegesellschaft aber um ihre angestammten Güter fürchten, ruft dies Widerstände
18
Vgl.: Märker, Alfredo: Europäisierung der Zuwanderungspolitik: Eine Chance für einen
gerechteren Umgang mit Flüchtlingen und Migranten? In: Märker, Alfredo/ Schlothfeldt, Stephan
(Hrsg.): Was schulden wir Flüchtlingen und Migranten?, Wiesbaden 2002, S. 244.
19 In: Märker (wie Anm. 18).
20 In: Märker ebd.
19
hervor. Ausgangsbedingungen von Gerechtigkeit scheinen also global gegeben,
weshalb Staatsgrenzen nicht gleichzeitig Gerechtigkeitsgrenzen sind.21
Laut Rawls werden Gerechtigkeitskriterien und ein gemeinsamer Verhaltenskodex
nur deshalb von Allen als verbindlich betrachtet, weil deren Ziel die Förderung des
allseitigen Vorteils ist. Somit wäre Zuwanderung nicht gesellschaftsübergreifend,
da es nicht um die Verteilung des Ertrags gesellschaftlicher Zusammenarbeit geht
und demnach nicht um Fragen sozialer Gerechtigkeit, sondern höchstens um
moralische Verpflichtungen. Es geht aber in der globalen Perspektive noch gar
nicht um Kooperationsgewinne, sondern um die erheblich schlechteren Lebenschancen der Bewohner ökonomisch-sozial benachteiligter Länder. Es geht also
zunächst um die Chance, an einer Kooperation überhaupt teilzunehmen. Bei
dieser Diskussion können Gerechtigkeitsdebatten durchaus eine Rolle spielen, da
gerade der Geburtsort keine moralisch irrelevante Kontingenz ist. Auch wenn
Kooperation zwingende Voraussetzung von Gerechtigkeit ist, führt sie nicht
unmittelbar zur Ausklammerung globaler Fragen. Die internationale Kooperationsgemeinschaft ist weniger im Bewusstsein der Menschen verankert als die nationalstaatliche, sie muss aber im Zeitalter der Globalisierung zunehmend ernster
genommen werden.22
Von realpolitischer Seite gibt es Einwände gegen die globale Verteilungsgerechtigkeit. Sie kritisiert vor allem die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit
normativer Forderungen. Gerade internationale Beziehungen sind machtpolitisch
organisiert, Forderungen nach globaler Verteilungsgerechtigkeit sind schwer umzusetzen und erzeugen viele ungelöste Probleme. Doch realpolitische Argumente
übersehen, dass Gerechtigkeitserwägungen auch im Interesse der Aufnahmestaaten liegen. Potentielle Zuwanderer verfügen sowieso kaum über die Machtmittel, ihre Interessen durchzusetzen, sie sind ökonomisch schwächer, militärisch
unterlegen und versuchen auch nicht gruppenweise ihre Einreise zu erzwingen. Da
alle Machtmittel ohnehin bei den Europäern liegen, ist die Gefahr eines alle
Beteiligten schädigenden Verteilungskampfes für die EU-Bürger gar nicht
21
22
Vgl.: Märker (wie Anm. 18), S. 245.
Vgl.: Märker (wie Anm. 18), S. 246.
20
gegeben. Die Gerechtigkeitserwägungen und deren realpolitische Attraktivität bestehen vor allem in der vorzeitigen Schlichtung des Verteilungskonfliktes, der in der
EU angesichts der großen Anzahl potentieller Zuwanderer faktisch besteht.
Außerdem stellen die Kostenfaktoren der Abschottung gegen unerwünschte Zuwanderer eine Schädigung der Aufnahmebevölkerung dar, die vermieden werden
sollte.
Zuwanderungsprobleme sind also nicht nur Macht- oder Barmherzigkeitsfragen,
sondern durchaus Gerechtigkeitsfragen, doch die Bedingungen globaler Gerechtigkeit unterscheiden sich von denen innerhalb politischer Gemeinschaften. Sie sind
weniger an die klassische Gerechtigkeitstheorie, sondern, laut Onora O`Neill23, an
die Pluralität der Handelnden, das Bewohnen derselben Welt und die gegenseitige
Verletzbarkeit gebunden. Das Wissen um die Existenz potentieller Zuwanderer und
deren Lebenslage sowie um die Zusammenhänge zwischen menschlichen
Handlungen reichen hier aus, denn die Europäer wissen sehr genau, dass die
Nichtaufnahme potentieller Zuwanderer deren Lebenschancen massiv beeinflusst.
Wer erkennt, dass seine Handlungen oder Nichthandlungen andere beeinflussen,
sollte im Sinne der gegenseitigen Verletzbarkeit davon ausgehen, dass auch er
von Handlungen anderer getroffen werden kann. Die wechselseitige Bedrohung
bei Zuwanderungsprozessen kann zwar in Frage gestellt werden, doch da eine
Verletzbarkeit der Aufnahmegesellschaft nicht ausgeschlossen werden kann und
sich teilweise schon äußert, beinhaltet der Umgang mit Flüchtlingen und Migranten
Gerechtigkeitsfragen, an deren Be-antwortung die Aufnahmegesellschaft ein Interesse haben muss.24
Politische Schwierigkeiten entstehen vor allem dadurch, dass einige Formen der
Migration
gesellschaftlich
weniger
erwünscht
sind
als
andere.
Es
wird
unterschieden zwischen Migranten, deren Aufnahme nützlich ist und Migranten,
deren Anwesenheit nicht erwünscht ist oder den EU-Staaten sogar schaden
könnte. In öffentlichen Debatten wird die Kategorisierung der Zuwanderung entlang
des Eigeninteresses vorgenommen und widerspricht teilweise den offiziellen
23
24
In: Märker ebd., S. 247.
Vgl.: Märker (wie Anm. 18), S. 247f.
21
Aufnahmekategorien. So sind einerseits zuwandernde Computerspezialisten erwünscht, aber andererseits „Tarifdumping“ betreibende Bauarbeiter nicht. Auch
wird zwischen ernsthaft politisch Verfolgten und Scheinasylanten unterschieden.
So kann man in der Europäischen Union eine zunehmende Abschottung vor so
genannten Wohlstandsmigranten bei gleichzeitiger Aufnahme für die Gemeinschaft
erwünschter Migranten feststellen, worin sich ein Grundproblem der Gerechtigkeit
zeigt.25
Unkontrovers ist dagegen die Notwendigkeit der Aufnahme von politischen
Flüchtlingen, da selbst Befürworter des Rechts politischer Gemeinschaften auf
autonome Gestaltung der Zuwanderungspolitik diese normative Verpflichtung
grundsätzlich anerkennen. Politisch oder religiös Verfolgten gegenüber besteht
eine Pflicht zur Aufnahme, weil sie sonst in ihrem Land getötet, verfolgt oder brutal
unterdrückt werden. Trotzdem kann deren moralischer Anspruch keinen Vorrang
gegenüber anderen potentiellen Migranten haben. So sind in verzweifelter Armut
lebende Menschen nicht besser gestellt als politisch Verfolgte, was für die
Notwendigkeit eines eigenständigen Asyl- und Flüchtlingsrechtes spricht. In der
gegenwärtigen europapolitischen Praxis muss die Erfüllung von normativen
Schutzpflichten allerdings zwangsläufig scheitern, solange politische Verfolgung
als alleiniger legitimer Aufnahmegrund gilt, obwohl es andere existentielle
Migrationsursachen gibt. Davon Betroffene werden genötigt, andere Möglichkeiten
der regulären Einwanderung unter Vortäuschung falscher Tatsachen zu nutzen.
Inzwischen ist der Umgang mit wirtschaftlicher Zuwanderung in der EU jedoch
nicht mehr ausschließlich durch Abschottung geprägt, denn es findet eine
schrittweise Ausrichtung der Zuwanderungspolitik an den nationalen Interessen
der EU-Mitglieder statt. Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ist dabei
durchaus erwünscht, um kurzfristige Bedarfslücken im europäischen Arbeitsmarkt
und langfristige demografische Strukturlücken der Aufnahmebevölkerung zu
decken. Das Kernproblem sozialer Gerechtigkeit ist hier, dass sich die
Europäische Union gegen die unerwünschte Migration verschließt, aber durch die
gleichzeitige Öffnung für Migration im Eigeninteresse die Intellektuellen aus den
25
Vgl. ebd., S. 248.
22
Entwicklungsländern abwandern („brain drain“), was absolut nicht zur Fluchtursachenbekämpfung beiträgt. Doch gegenwärtig scheint nur eine Politik der geregelten Zuwanderung unter ausdrücklicher Berücksichtigung dieser Interessen in
der Europäischen Union durchsetzbar.26 Aber die Berücksichtigung innereuropäischer Aufnahmeinteressen entbindet allerdings keineswegs von normativen
Verpflichtungen gegenüber potentiellen Zuwanderern. Eine akute Bedarfsdeckung
von Flüchtlingen ist nur dann legitim, wenn sie von einer ernst zu nehmenden
Entwicklungspolitik
begleitet
ist
und
Wohlstandsmigranten
nicht
komplett
ausschließt.
Die weitere Harmonisierung der europäischen Zuwanderungspolitik muss alle
Facetten von Zuwanderungsprozessen gemeinsam berücksichtigen: Flüchtlingsaufnahme, Bedarfszuwanderung, Wohlstandsmigration und Fluchtursachenbekämpfung. Doch die Rückkehr zum reinen Gastarbeitermodell, welche die GreenCard-Diskussion anregt, und die Tatsache dass die EU es noch immer nicht
schafft, die von den Vereinten Nationen festgelegten 0,7% ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben, obwohl sie sich gegen Wohlstandsmigranten und Flüchtlinge abschottet, lässt nicht gerade auf eine gerechtere
Migrationspolitik hoffen. In Europa wurde bisher am meisten für die Bekämpfung
von Fluchtwanderung und am wenigsten für die Bekämpfung der Fluchtursachen
getan. Hierüber gibt es eine öffentliche Debatte und vielfältige praktische
Vorschläge aus Politik und Wissenschaft. Doch der Vorschlag von EUJustizkommissar Antonio Vitorino, der die Richtlinien der europäischen Zuwanderung ganz neu formuliert und für mehr Zuwanderung, erleichterten Familiennachzug, die Abschaffung der Drittstaatenregelung für Asylbewerber und für die
Aufnahme von Armuts- und Elendsflüchtlingen plädiert, wird voraussichtlich kaum
die Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten finden, schon gar nicht die der Bundesregierung. Da der Bedarf an Zuwanderung jedoch aus demografischen und
ökonomischen Gründen in Zukunft weiter ansteigen wird, erhöhen sich die
Chancen auf eine gerechtere Zuwanderungspolitik. Die Deckung des Zu-
26
Vgl.: Märker (wie Anm. 18), S. 250.
23
wanderungsbedarfs kann nur legitim sein, wenn Gerechtigkeitspflichten nachgekommen wird.27
Zu diesen Gerechtigkeitspflichten gehört es auch, dafür zu sorgen, dass die
Migranten ohne Unterscheidung von erwünschten und unerwünschten Zuwanderern in die Majoritätsgesellschaft integriert werden. Ihre Integration beugt
Ablehnung vor und schafft so die Befürwortung von gerechterer Zuwanderungspolitik in der Bevölkerung, die bei der in Deutschland und Europa herrschenden
Migration nötig ist.
2.2 Warum neue Methoden zur Integration von Migranten benötigt werden
Da Menschen schon immer wanderten, sind auch die meisten Gesellschaften
multikultureller Art. Durch den Austausch von Gewohnheiten und Kenntnissen
zwischen
den
unterschiedlichen
Kulturen
bildeten
und
veränderten
sich
Zivilisationen. Gerade seit den letzten fünfzig Jahren leben in den europäischen
Staaten durch verstärkte Wanderungsbewegungen immer mehr Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen zusammen. Doch die Völker pflegen verstärkt ihre
kulturellen Eigenheiten, da die Minderheit im Vergleich zur Mehrheit meist
eingeschränktere gesellschaftliche Möglichkeiten hat. Viele Minderheiten wurden
und werden diskriminiert, was auch bis hin zu gewalttätigen Übergriffen in der
Gegenwart führt. Einwanderungsminderheiten leiden unter Fremdenfeindlichkeit,
die dadurch entsteht, dass der Andersartige als bedrohlich empfunden wird.28
Die Aufnahme und Integration von Migranten stößt oft auf Ablehnung, da
Zuwanderung vermittelt, dass die gesellschaftlichen Umstände nicht bleiben
werden, wie sie waren. Auch wenn verschiedene Kulturen sich mischen, kann
Fremdheit nicht aufgehoben werden. Fremde werden geradezu gebraucht, um
eigenen Gewohnheiten oder Bräuchen Kontur zu geben. Diese Abgrenzungsprozesse können jedoch bis zur Ablehnung fremder Kulturen oder Fremden-
27
21
Vgl.: Märker (wie Anm. 18), S. 254f.
Vgl.: Schnebel (wie Anm. 16), S. 63.
24
feindlichkeit führen. Es stellt sich aber die Frage, wie Abgrenzungen zu
Ausgrenzungsprozessen werden, wodurch die Heterogenität in demokratischen
Gesellschaften zum Problem wird bzw. werden kann. Der Wunsch nach
Sonderbehandlung entsteht bei Minderheiten erst durch Aus- und Abgrenzungsprozesse. Die türkische Minderheit in Deutschland oder die algerische in
Frankreich sind Beispiele für ausgegrenzt gebliebene Kulturen, die deshalb
verstärkt auf ihre kulturellen Eigenheiten zurückgreifen. Dadurch kann Ethnizität
entstehen und damit der Anspruch auf Sonderrechte.29
Der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ könnte den Eindruck erwecken, dass dies
etwas Neues wäre oder es die realistische Alternative einer monokulturellen
Gesellschaft gäbe. Es gab schon in früheren Zeiten Minderheiten, die sich jedoch
kaum gegen Diskriminierung wehren konnten. Heute versuchen sie, sich für die
Anerkennung ihrer Kultur einzusetzen und wollen aufgrund ihrer spezifischen
Eigenschaften geachtet werden, da auch Nichtanerkennung eine Form der
Unterdrückung ist. Deshalb schließen Migranten sich häufig zu Gruppen
zusammen, um bestimmte Rechte zu erhalten.30
Der Migrant unterliegt in den EU-Ländern zwar unterschiedlichen rechtlichen,
politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, jedoch bestehen in den
Entwicklungen zum Einwanderungsland und im Umgang mit den Fremden
Parallelen zwischen den Ländern. Die Voraussetzungen, die Bürgerrechte in
einem der Länder zu erlangen, haben sich immer wieder verändert und damit
vielen Migranten die Möglichkeit gegeben, sich zu integrieren, während andere, die
schon lange Zeit in dem Land leben, keinen der Mehrheit gleichberechtigten Status
erlangen können. Es gibt heute in Europa zwei institutionalisierte Prinzipien im
rechtlichen Umgang mit Migranten: einerseits die Rechte innerhalb eines Staates
und andererseits die Menschenrechte. Die EU-Staaten versuchen Migration
innerhalb ihrer Grenzen nach nationalen, ethischen und sprachlichen Kriterien zu
regeln, doch gleichzeitig sollen die universalistischen Rechte grenzüberschreitend
gelten. An diesem Widerspruch wird die Notwendigkeit eines neuen Modells,
29
30
Vgl. ebd., S. 64.
Ebd., S. 65.
25
welches die universalistischen Merkmale mit einbezieht, deutlich. Mit der Angleichung der rechtlichen Situation zwischen den verschiedenen Staaten und der
Erleichterung von Einbürgerung müssen Integrationskonzepte eingeführt werden,
die Perspektiven für das Problem der Fremdenfeindlichkeit bieten.31
Migration ist ein komplexer Bereich, in dem reine Migrationspolitik eher erfolglos
ist. Wer nur die finanzielle Seite betrachtet und die Integration vergisst, tut der
Gesellschaft damit langfristig keinen Gefallen. Migrations- und Integrationspolitik
gehören untrennbar zusammen. Integration muss nicht nur in der Zukunft
intelligenter gestaltet, sondern die Mängel und Fehler der Vergangenheit müssen
ebenso aufgearbeitet werden. Bei der bisherigen Integrationspolitik wurden vor
allem die Migranten selber zu wenig mit einbezogen. Schließlich wissen sie am
besten, wo die Defizite liegen und können mit ihrem Wissen zur Entwicklung
effektiverer Integrationsmethoden und Integrationsmöglichkeiten beitragen.
Vor allem die Vorstellung, dass ausschließlich der Migrant sich der Mehrheit
anpassen muss, sollte abgelegt werden. Die Anpassung darf Mentalitätsprobleme
nicht ausblenden und sollte auf Gegenseitigkeit beruhen, die beide Seiten
verändert. Im Idealfall kommt es im Einwanderungsland zu ethnokulturellen
Identitäten mit individuellen Herkunftsadressen. Diese Migration wird aber nicht
ungeleitet erreicht und ist mit viel interkultureller Arbeit verbunden. Voraussetzung
hierfür ist auf dem Weg zur Europäischen Union vor allem eine europäische
Migrationspolitik, die in allen Mitgliedsländern einheitlich ist.
3. Entstehung des
EU-geförderten Projektes IMES (Integration of
Migrants in the European Society) als partizipatives Integrationsprojekt von Migranten
IMES ist ein EU-gefördertes Projekt, das neue Methoden zur partizipativen
Integration von Migranten entwickelt und seinen Hauptsitz in der Projektwerkstatt
für Umwelt und Entwicklung e.V. in Hannover hat. Die Projektwerkstatt wurde 1993
31
Vgl.: Schnebel (wie Anm. 16), S. 67.
26
als gemeinnütziger Verein gegründet. Ihre Aktivitäten liegen hauptsächlich im
Bildungsbereich zu den Themen interkulturelle und antirassistische Arbeit,
Migration, Entwicklungsarbeit, Umweltinformationen und -projekte, Projekte im
Bereich der Agenda21 und „Neue Medien“. Die Projektwerkstatt ging aus dem
schon 1982 gegründeten Verein Liberación (Befreiung) hervor. Dieser hatte einen
Dritte-Welt-Handel, machte Bildungsarbeit und organisierte Jugendbegegnungen
in europäischen Ländern. Die Bildungsarbeit und die Jugendbegegnungen führte
die Projektwerkstatt nach dem Konkurs von Liberación weiter.
Das EU-Projekt „Jugend für Europa” förderte dieses Kennenlernen der
Jugendlichen, das zum Zusammenwachsen Europas beitragen sollte. Es kam zu
jährlichen binationalen Treffen mit Partnergruppen in Italien und Spanien, die unter
dem Thema der Migrantenrückkehr in das eigene Land standen. Die EU beschloss
Ende der neunziger Jahre allerdings, mehr multinationale als binationale Treffen zu
fördern. So kam es 1999 zur ersten trinationalen Begegnung der Projektwerkstatt
mit Partnergruppen der beiden anderen Länder. Da die Organisation vor diesem
Treffen sehr aufwendig war, entstand aufgrund der großen Organisationskenntnisse der Wunsch, daraus mehr als nur vierzehn Tage Jugendbegegnung im Jahr
zu schaffen. Da man das Thema Migration intensiver bearbeiten wollte, kam es zu
der Idee für das Projekt IMES.
In fünf Treffen mit den italienischen und spanischen Partnergruppen wurde das
Projekt ausgearbeitet und bei Sokrates eingereicht. Sokrates ist ein Bildungsprogramm der EU, welches auf Artikel 149 und 150 des EG-Vertrags basiert. Laut
Artikel 149 trägt die Gemeinschaft „zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden
Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten
fördert”32, durch Maßnahmen wie Förderung der Mobilität, Informationsaustausch
und Erlernen der EU-Sprachen. Außerdem enthält der Vertrag die Verpflichtung,
das lebenslange Lernen für Unionsbürger zu fördern. Dieser Weiterbildungsform
soll eine europäische Dimension verliehen werden.
32
Sokrates: Rechtsgrundlagen. In: http://europa.eu.int/comm/education/socrates/legal_de.html
(Stand: 11.4. 2004).
27
Bis zum 1. November 2001 musste der Vorantrag bestehend aus Konzept und
Begründung bei der zuständigen Kommission eingereicht werden. Im Februar
2002 kam dann die Erlaubnis bis April 2002 den Hauptantrag zu stellen. Diese wird
ungefähr zwanzig Prozent der Antragsteller erteilt. Da sich nach Genehmigung des
Projektes zwei italienische Partnergruppen überfordert fühlten und IMES verließen,
mussten zwei neue italienische Partner gefunden werden, deren Projektteilnahme
wiederum von der EU genehmigt werden musste. Daher kam es insgesamt zu
einer Projektverzögerung.
3.1 Struktur des Projektes IMES
Die erste Vorsitzende der Projektwerkstatt für Umwelt und Entwicklung e.V.,
Susanne Rieger, ist die Gesamtkoordinatorin des Projektes IMES. Dazu kommen
drei nationale Koordinatoren. Diese sind aus Deutschland Georg May von Tapas,
aus Spanien Anna Sebastian von SOS Racisme Catalunya und aus Italien Barbara
Giardello von Cooperazione Internazionale Sud Sud (CISS). In allen drei Ländern
gibt es noch einen zweiten Partner, der das Projekt nach jedem Jahr mit einer
Evaluation beurteilt. In Deutschland hat das Gabi Janecki vom Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen (VNB) übernommen. In jedem Land hat das
nationale Advisory Board zehn bis zwanzig Mitglieder, welche in sozialen
Organisationen tätig sind. Die Mitglieder treffen sich ungefähr einmal im Monat in
ihrem jeweiligen Land zu Sitzungen, in denen Wissen vermittelt wird, Erfahrungen
ausgetauscht und schließlich Seminarbausteine entwickelt werden. 33
Im deutschen Advisory Board sind zwanzig Mitglieder von zwanzig verschiedenen
Organisationen, von denen sind 19 in Hannover und Lehrte und eine in Hildesheim
ansässig. Der deutsche Leiter Georg May und seine Organisation Tapas – Verein
für Kultur, Völkerverständigung und Umweltschutz e.V. sind verantwortlich für den
33
Vgl.: Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Gesamtbeschreibung des
Projektes. In: Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Zwischenbericht der
Projekte zur länderübergreifenden Zusammenarbeit. Sokrates Programm. Finanzielle Vereinbarungen Nr.: 100912 – CP – 1 – 2002 – 1 – GRUNDTVIG – G1, Hannover 2003, S. 1.
28
inhaltlichen Schwerpunkt „Neue Medien“. Tapas wurde 1996 als gemeinnütziger
Verein
gegründet,
der
umwelt-
und
entwicklungspolitische,
soziale
und
interkulturelle Aktivitäten unterstützt und durchführt. Der Verein ist besonders
spezialisiert auf die Nutzung von „Neuen Medien“ und Informations- und
Kommunikationstechnologien (ICT), da er Videoseminare für Jugendliche anbietet
und Fernsehmagazine mit interkulturellen Gruppen über Jugend-, Europa- und
Umweltthemen produziert. Des Weiteren produziert Tapas Webseiten mit Inhalten
über Flüchtlinge in Europa oder die Agenda21-Mediabörse und organisiert
Trainingsprogramme für Mitarbeiter und Praktikanten anderer NGOs, die das
Internet für ihre Arbeit verwenden wollen.34
Ebenfalls seit 1996 gibt es den Offenen Kanal Hannover, für den Tapas einmal im
Monat ein TV-Magazin mit Hilfe von Vertretern verschiedener Kulturvereine über
das soziokulturelle und kommunalpolitische Leben produziert. Mit Informationsveranstaltungen, Lesungen, Theater oder Konzerten möchte der Verein möglichst
vielen Menschen die Vielfältigkeit der Kulturen nahe bringen. Unter den anderen
20 Mitgliedern des Advisory Boards sind Organisationen wie die Caritas, die
Katholische Jugendsozialarbeit, ein Kulturbüro, die Türkenselbsthilfeinitiative, der
Freundeskreis für Spätaussiedler oder der afrikanische Verein Freundeskreis
Tambacounda.35
Das spanische Advisory Board hat elf Mitglieder aus elf verschiedenen
Organisationen und dessen Leiterin Anna Sebastian und ihre Organisation SOS
Racisme Catalunya sind für den inhaltlichen Schwerpunkt „Soziokulturelle
Kompetenzen“ verantwortlich. Das italienische Advisory Board besteht aus
achtzehn Mitgliedern von siebzehn verschiedenen Organisationen und dessen
Leiterin Barbara Giardello von CISS ist zuständig für den inhaltlichen Schwerpunkt
„Politikmanagement“. Die drei Länderkoordinatoren und die Gesamtkoordinatorin
treffen sich ungefähr einmal im Monat in einem der drei Länder zu
Partnerschaftssitzungen, um Absprachen und Änderungen zu treffen. Gleich zu
Vgl.: May, Georg: Tapas – Verein für Kultur, Völkerverständigung und Umweltschutz e.V. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=30&mode=thread&o
rder=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
35 Vgl. ebd.
34
29
Beginn des Projektes mussten diese Treffen dazu genutzt werden, zwei neue
italienische Partner zu finden, da die ursprünglichen italienischen Partner im
November 2002 endgültig ihre Mitarbeit am Projekt abgesagt hatten. Nachdem
diese Krise bewältigt worden war, wurden die Partnerschaftssitzungen dazu
genutzt, die bisherigen Diskussionen auf den nationalen Ebenen zusammenzutragen und die nächsten Abschnitte vorzubereiten, die Arbeitsaufteilung
abzusprechen und das weitere gemeinsame Vorgehen zu planen.36
3.1.1 Möglichkeiten der Entwicklung neuer partizipativer Integrationsmethoden für Migranten bei IMES
Da in Zukunft mehr als zwanzig Prozent der Bevölkerung in Europa aus Ländern
außerhalb der EU kommen werden, muss es in Europa einen verstärkten
Integrationsprozess geben, der die soziale Koexistenz und demokratische
Partizipation sichert. In einen sinnvollen Integrationsprozess werden die alten und
neuen Akteursgruppen gleichermaßen einbezogen, so dass auch Migranten aktive
Beteiligungsmöglichkeiten haben. Das Ziel von IMES ist es, Migranten mit Hilfe
von neuen Methoden zu integrieren und ihnen durch „soziokulturelle Kompetenzen“ und Kenntnisse in den „Neuen Medien“ und im „Politikmanagement“ Bürgerbeteiligung zu ermöglichen.
Basierend auf der Erwachsenenbildung werden die Projektteilnehmer als aktive
Partner betrachtet, die das Projekt inhaltlich beeinflussen und nach ihren
Bedürfnissen ausrichten. Die Teilnehmer sind zur Hälfte selbst Migranten und zur
anderen Hälfte Experten und Spezialisten, welche mit der Zielgruppe Migranten
vertraut sind und im Migrationsbereich arbeiten. Sie sind Teil eines nationalen und
internationalen Netzwerkes, in dem sie neue Kontakte herstellen, bestehende
Kontakte ausbauen und durch den Ideenaustausch ihre tägliche Arbeit verbessern
können. Es sollen gemeinsame europäische Methoden und Standards entwickelt
werden, die zwischen den Teilnehmern in den drei Ländern per Internet
36
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 33), S. 1f.
30
ausgetauscht werden, um letztendlich den Migranten im Integrationsprozess zu
nützen. In Italien, Spanien und Deutschland finden nationale Advisory Boards, also
Beratungsrunden mit Experten und Multiplikatoren aus dem Arbeitsbereich der
Migration, statt. Gemeinsam mit den Länderkoordinatoren werden hier Seminarbausteine für die drei Bereiche „soziokulturelle Kompetenz“, „Neue Medien“ und
„Politikmanagement“ erarbeitet. Die Beratungsrunden jedes Landes bestehen
ungefähr aus zehn bis zwanzig Personen unterschiedlicher Organisationen.37
Das Projekt hat eine Dauer von drei Jahren und ist in drei Schritte unterteilt. Im
ersten Jahr stellen die nationalen Advisory Boards die Informationslücken und
Bedürfnisse in den drei Themenbereichen zusammen, um Seminarbausteine zu
deren Verbesserung zu erarbeiten. Die Ideen werden auf der nationalen und
internationalen Ebene ausgetauscht, wobei Referenten zusätzliches Wissen in die
Beratungsrunden einbringen. Im zweiten Jahr testen die Multiplikatoren die
Seminarbausteine, um sie anschließend zu überarbeiten und zu verbessern. Die
endgültigen Seminarbausteine werden dann im dritten Jahr auf breiterer Basis
durchgeführt. Das bedeutet, dass mit Migranten an der Verbesserung ihres
Wissens gearbeitet wird und Datenbanken mit notwendigen Informationen und
Internetseiten erstellt werden, um die Informationen zu verbreiten.38
Eine der Hauptaufgaben von IMES ist es, zu ermitteln, welche Kenntnisse und
Methoden notwendig sind, um von Migranten akzeptiert zu werden, so dass sie
stärker in die Aufnahmegesellschaft integriert werden können. Zwar gibt es bereits
viele Integrationsangebote für sie, doch oft erreichen diese die Migranten gar nicht,
was an verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel mangelnden Sprachkenntnissen
oder Unkenntnis im Umgang mit den „Neuen Medien“ liegen kann. Bei IMES sollen
Projekte gemeinsam mit verschiedenen Kulturen entwickelt werden, um Migranten
erfolgreich zu integrieren.
Diese Kenntnisse können in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die erste Gruppe
sind individuelle Fähigkeiten und Fähigkeiten im Umgang mit Gruppen, die zu einer
37
Vgl.: Rieger, Susanne: Neue Bildungsangebote und -methoden für die Integration von
MigrantInnen in die Europäische Gesellschaft. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=6&mode=thread&or
der=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
38 Vgl. ebd.
31
gut funktionierenden Organisation im interkulturellen Kontext führen. Menschen,
die damit täglich arbeiten, haben darin bereits ihre eigenen Strategien und
Herangehensweisen entwickelt. Daher soll in den Beratungsrunden über diese
Punkte ein gegenseitiger Austausch stattfinden, um sie gemeinsam zu analysieren.
Dabei ist es besonders wichtig herauszufinden, was für Schwierigkeiten beim
Einsatz dieser Methoden mit Migranten entstehen und wie die Techniken
angepasst werden müssen, um effektiver mit Migranten arbeiten zu können.39
Die zweite Gruppe sind „soziokulturelle Kompetenzen“, welche dazu führen, dass
in die Projekte die Bedürfnisse der Migranten eingebaut werden können. Hierfür
müssen bestimmte Interventionsstrategien und ein neuer Umgang miteinander
entwickelt werden. Sie sollen zum Kontakt mit Personen und Migranten führen, die
bislang in keiner Organisation Mitglied sind. Dabei muss beachtet werden, was
nicht passieren darf und welche kulturellen und sozialen Aspekte, bezogen auf das
Individuum und die Gruppe, berücksichtigt werden müssen, wenn man mit den
Menschen arbeitet. Des Weiteren stellt sich die Frage, was das Projekt anbieten
kann, das diese Menschen interessieren könnte. Wichtig ist vor allem, wie aus
diesem Projekt für alle Teilnehmer „unser” Projekt wird, da hier alle Menschen
gleichberechtigt beteiligt werden sollen. Es sind Mechanismen nötig, mit denen
man Veränderungen im Umfeld wahrnehmen kann, um sie zu analysieren und
wissentlich in die Aktivitäten einzubauen. In diesen beiden Bereichen sollen
Methoden entwickelt werden, die zu einer aktiven Beteiligung der Migranten an der
Integration in die europäische Gesellschaft führen.40
Im Rahmen der Entwicklung neuer Bildungsmethoden zur Verbesserung der
Fähigkeiten von Migranten und NGOs sollen auch Methoden für den aktiveren
Umgang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien erarbeitet
werden. Das Projekt IMES selbst nutzt die „Neuen Medien“ als Kommunikationsmittel, um über das Internet mit den Partnern in den anderen Ländern und
Organisationen Informationen auszutauschen, zum Beispiel durch Newsletter und
Videokonferenzen. Da diese Medien immer mehr im Alltag der Bevölkerung
39
40
Vgl.: Rieger (wie Anm. 37).
Vgl. ebd.
32
vorkommen, sind sie auch für die Integration von Migranten in die europäische
Gesellschaft wichtig. Dies wird auch dadurch deutlich, dass im Projekt
Arbeitsergebnisse im Internet veröffentlicht werden. Die erarbeiteten europäischen
Methoden zur selbständigen Integration von Migranten sollen in einem internationalen Netzwerk verbreitet werden, damit viele andere Menschen und Organisationen erreicht werden können.41
Wenn man sich gegenüber neuen Technologien wie Handys, E-Mail und Internet
verschließt, ist man zum Teil schon gesellschaftlich ausgeschlossen. Die Nutzung
dieser Technologien kann die Integration erleichtern. Die Teilnehmer sollen in
Seminaren herausfinden, welche „Neuen Medien“ sie brauchen und werden
dementsprechend geschult. Die Themen und Methoden entstehen im Austausch
mit den Partnerorganisationen, um neue gemeinsame Verständigungswege im
zusammenwachsenden interkulturellen Europa zu finden. Somit werden die
„Neuen Medien“ eine wichtige Basis des gesamten Projektes sein. Migranten
sollen sich diese aneignen und nach ihren eigenen Bedürfnissen nutzen.
Besonders für Migranten ist das Internet ein wichtiges Mittel zur Kontaktaufnahme
und Pflege mit Landsleuten über weite Entfernungen. Um Migranten diese
Möglichkeit zu öffnen, muss herausgefunden werden, welche Barrieren in der
Hard- und Software abgebaut werden müssen und was für sie im Bereich der
Neuen Medien wirklich sinnvoll ist. Es sollen ICT-Werkzeuge (Informations- and
Communicationstechnologies) sowohl für die Zielgruppe der Migranten und deren
NGOs als auch für das Projekt IMES gefunden werden. Das meist verbreitete
Medium ist das Fernsehen, von dem Migranten aber über Satellit zu einem großen
Teil einheimische Sender sehen. Das führt zu geringem Wissen über das
Aufnahmeland, mangelnden Sprachkenntnissen und einem Verharren in der
Herkunftskultur. Ursache hierfür ist auch, dass alle europäischen Fernsehsender
kaum auf die Einwanderer eingehen und keine multikulturellen Programmangebote
haben, welche die Informationsbedürfnisse der Migranten decken. IMES wird
überprüfen, was die Ursachen hierfür sind und wie dies verbessert werden könnte.
Vgl.: May, Georg: Bedeutung und Nutzen von „Neuen Medien“ im Projekt IMES. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=3&mode=thread&or
der=0&thold=0 (Stand: 11.3. 2004).
41
33
Ein weiterer Weg mit dem Massenmedium Fernsehen anders umzugehen ist die
Videopädagogik. Über Video könnten Migranten ihre Meinungen, Wünsche und
Kultur ausdrücken und durch Bürgermedien oder über das Internet an die
Öffentlichkeit bringen. So würden sie ihre Kultur der Aufnahmegesellschaft näher
bringen.
3.1.2 Inszenierung kultureller Vielfalt
Von der Globalisierung wurde erwartet, dass diese auch eine global einheitliche
Kultur zur Folge haben würde. Doch statt einer solchen Vereinheitlichung bleibt
kulturelle Vielfalt weiterhin ein empirisch zu beobachtendes Phänomen. Weltweit
existieren unterschiedliche multikulturelle Gesellschaften, die nur mit Akzeptanz
und Toleranz gegenüber fremden Kulturen funktionieren können.
Multikulturalistische Konzepte und die politischen Maßnahmen, welche aufgrund
zunehmender Migration entwickelt wurden, gehen von drei Annahmen aus: dass
Einwanderer vor allem als Menschen verschiedener nationaler, ethnischer,
regionaler oder religiöser Herkunft zu betrachten sind, dass ihnen ein Recht auf
möglichst große kulturelle Eigenständigkeit zugestanden werden sollte und dass
die von ihnen mitgebrachte kulturelle Vielfalt eine positive Bereicherung für die
Aufnahmegesellschaft sein kann.42
Das wirft die Frage auf, was unter dem Begriff „kulturelle Vielfalt“ zu verstehen ist.
Laut „Meyers Grosses Taschenlexikon“ ist
„Kultur [lat. „Bebauung“, „Pflege“ (des Körpers und Geistes), „Ausbildung“] die 1) Gesamtheit
der typ. Lebensformen größerer Gruppen einschließlich ihrer geistigen Aktivitäten, bes. der
Werteinstellungen. K. gilt im weitesten Sinn als Inbegriff für all das, was der Mensch geschaffen
hat, im Unterschied zum Naturgegebenen. (…) I.e.S. bezeichnet K. alle Bereiche der menschl.
Bildung im Umkreis von Erkenntnis, Wissensvermittlung, eth. und ästhet. Bedürfnissen.“43
Beim
Aufeinandertreffen
von
verschiedenen
Kulturen
in
multikulturellen
Weltstädten stellt sich jedoch die Frage nach verbindenden gemeinsamen
42
Vgl.: Welz, Gisela: Inszenierung kultureller Vielfalt. Frankfurt am Main und New York City, Berlin
1996, S. 107.
43 Meyers Lexikonredaktion (Hrsg.): Meyers Grosses Taschenlexikon in 25 Bänden – Band 12,
Bibliographisches Institut – Taschenbuchverlag, Mannheim 1999, S. 276.
34
Wertvorstellungen. Hier wird im Zuge der Globalisierung die Verknüpfung des
Kulturbegriffs mit Begriffen wie Herkunft, Gruppe und ethnische Identität immer
bedeutsamer. Die Anerkennung von Verschiedenheit, unterschiedsloser Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung ist ein schwieriger Balanceakt in einer
multikulturellen Gesellschaft, in der viele verschiedene ethnische Gruppen mit ihrer
jeweils einzigartigen Kultur mosaikartig zum Gesamtbild beitragen. Demgegenüber
gibt es Überlegungen zum Kulturbegriff, die davon ausgehen, dass ethnische
Identität durch das Festhalten an kulturellen Traditionen gewährleistet ist, dass
ethnische Minderheiten sich durch Zusammenhalt, stabile Gruppenidentität und
kulturelle Einheitlichkeit auszeichnen und dass die zu schützende traditionale
Kultur eindeutig bestimmbar ist.44
Doch die Vorstellung, Ethnizität sei nur authentisch, wenn sie aus einer
geschlossenen Sozialität und einer homogenen Kultur resultiert, ist mittlerweile
überholt. Dagegen setzt sich der Gedanke, dass Ethnizität sich nicht generell aus
Nationalität, Herkunft oder äußerlichen Merkmalen ergibt, sondern prozessual
unabgeschlossene Identitäten sowohl innerhalb von Gruppen als auch in den
wechselseitigen Abgrenzungen und Definitionsversuchen zwischen Gruppen
entstehen, immer mehr durch.45
Problematisch ist vor allem die Koppelung der eigenen Identität an die Kultur der
Herkunft, wobei diese wiederum an die Ethnie gekoppelt ist. Ethnologische
Begriffsbestimmungen verknüpften bis heute Kollektiv und Kultur im Begriff der
ethnischen Gruppen und postulierten dabei das Zusammenfallen einer geschlossenen Population und einer von allen Gruppenmitgliedern getragenen Kultur. Die
eigene Identität wird also aufgrund zahlreicher Migrationsbewegungen in Frage
gestellt: Soll eine vergangene Kultur, die gar nicht mehr die eigene ist, gelebt bzw.
inszeniert werden? Migranten, die ihre historisch gewachsene Identität nicht
aufgeben wollen, müssen sich sowohl mit der Übernahme neuer Aspekte in die
eigene Kultur und damit identitätsverändernder Integration, als auch mit der
identitätsbewahrenden Frage nach der Abgrenzung von der Aufnahmegesellschaft
44
45
Vgl.: Welz (wie Anm. 42), S. 112.
Vgl. ebd., S. 200.
35
und anderen Minoritäten auseinandersetzen. Ethnische Gruppen gründen sich
demnach nicht ausschließlich auf überlieferten Traditionen, sondern auch auf
ständig neu auszuhandelnden Positionen der Selbst- und Fremddefinition.46
Die eigene Kultur sollte fremde Einflüsse allerdings nicht unreflektiert assimilieren,
da bei der Übernahme einzelner Aspekte einer fremden Kultur die Frage nach der
eigenen und nach der fremden Identität gestellt werden muss. Wirkliches interkulturelles Lernen findet nicht allein durch die bloße Übernahme subjektiv
angenehmer Teilaspekte der fremden Kultur statt, sondern setzt das gegenseitige
Wissen und die gegenseitige Infragestellung der eigenen Werte und der eigenen
Position voraus. Das heißt auch, dass Machtgefälle und deren Legitimität
thematisiert werden müssen, was vor allem auf Seiten der Machthabenden nicht
immer auf Zustimmung trifft, da sie ihre Privilegien und ihren Einfluss bewahren
möchten. Diese Schwierigkeiten treten auch in der politischen Organisation von
Inszenierungen kultureller Vielfalt auf.
Kulturpolitische Institutionen wie Festivals, Straßenfeste oder Konzerte sollen die
kulturelle Vielfalt unterschiedlicher Migrantengruppen erhalten und gleichzeitig die
Angehörigen der Majorität dazu auffordern, deren kulturelle Differenz positiv
wahrzunehmen. Unter einer Kommunikationssituation bei der Inszenierung
kultureller Vielfalt, zum Beispiel zwischen dem Publikum und Musikern einer
fremden Kultur, wird kulturelle Praxis als „Cultural Brokerage“ verstanden. Nicht die
Angehörigen einer kulturellen Gruppe organisieren und arrangieren eine solche
Veranstaltung, sondern die hinter den Kulissen tätigen „Cultural Brokers“. Ihnen
kommt bei der Inszenierung kultureller Vielfalt eine Schlüsselrolle zu und sie sind
entscheidend dafür mitverantwortlich, inwieweit die dargebotene Form die praktizierte Kultur der vorgestellten Migrantengruppe reflektiert.47
„Cultural Broker“ arbeiten stets im Hintergrund und für das Publikum unsichtbar.
Doch da sie die Präsentation der fremden Kultur in hohem Maße mitprägen, kann
durch ihre Arbeit ein verfälschter Eindruck der betroffenen Migrantengruppe
entstehen. Um dies zu verhindern, ist der partizipative Initiierungsgedanke von
46
47
Vgl.: Welz (wie Anm. 42), S. 113f.
Vgl. ebd., S. 26.
36
großer Bedeutung. Je mehr die Migranten an ihrer Darstellung nach außen hin
selbst
beteiligt
werden, desto
unverfälschter kann
ihre
Kultur von
der
Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden. Im Folgenden wird dargestellt,
welche Mittel das nationale Advisory Board von IMES im ersten Projektjahr
verwendet hat, um neue Methoden für die partizipative Darstellung und Integration
von Migranten zu entwickeln.
3.2 Die Methoden der nationalen Advisory Boards von IMES
Phase eins des Projektes IMES von Oktober 2002 bis Dezember 2003 war die
Definition der Kriterien, die Bildung der nationalen Advisory Boards und die
Bedarfsermittlung. Die Basis dieser Arbeit ist ein partizipativer Ansatz. Jeder ist ein
Experte auf seinem Gebiet. Dies führt zu einer gegenseitigen ausgeprägten
Akzeptanz der einzelnen Personen, was bei der Arbeit mit unterschiedlichen
Kulturen sehr wichtig ist. Die Teilnehmer der Advisory Boards sind maßgeblich an
der Gestaltung der Inhalte beteiligt, was zu einem individuellen Umgang mit den
Themen in den jeweiligen Ländern führt. In allen drei Ländern wurde zunächst mit
inhaltlichen Vorträgen mit moderierter Diskussion und Unterarbeitsgruppen
gearbeitet. Des Weiteren wurde das Internet dazu benutzt, sich auch über die
Grenzen hinaus auszutauschen.
Von Oktober 2002 bis September 2003 wurde die Website www.imes.info in
Layout und Technik von Tapas sowie allen nationalen Koordinatoren und der
Gesamtkoordinatorin erstellt. Am 12. November 2002 startete das spanische
Advisory Board mit einer Einführung in das Projekt IMES mit Erläuterungen, Ideen,
Wünschen und den Inhalts- und Zeitplanungen. Im Gegensatz zur Planungsphase
wurde aus inhaltlichen und organisatorischen Gründen nicht in allen Ländern mit
dem gleichen Thema begonnen, sondern jeweils mit dem eigenen Themenschwerpunkt. Dies führte zu einem ausführlichen Austausch der Themen am Ende
des ersten Jahres. Deutschland ist verantwortlich für den Schwerpunkt „Neue
Medien“, Spanien für „soziokulturelle Kompetenzen“ und Italien für „Politik-
37
management“. Die Advisory Boards bestehen aus Experten, welche im
multikulturellen Bereich tätig sind und zu ungefähr 50% selber Migranten sind.
Außerdem
wurden
jeweils
die
zweiten
Partner
in
den
Ländern
als
Evaluationspartner mit einbezogen. Die Gesamtkoordination ist zuständig für den
projektinternen Austausch, die externe Kommunikation und die Gesamtevaluation.
Es kam zu einem regelmäßigen Austausch der nationalen Koordinatoren
untereinander, sowohl auf eigenen Koordinatorensitzungen als auch durch gegenseitige Fachreferate bei den Advisory Boards in den Partnerländern. Die regelmäßigen Treffen der Koordinatoren haben die Rolle des Lenkungskreises
übernommen, der alltägliche Austausch wird in Form von regelmäßigen Internetchats organisiert.48
Im Dezember 2002 fand das zweite Treffen des spanischen Advisory Boards statt.
Es
referierte
Kompetenzen“.
der
Experte
Danach
Alvaro
wurde
Ramirez
dieses Thema
zum
Thema
inhaltlich
„soziokulturelle
vertieft
und ein
arbeitsfähiges Advisory Board stabilisiert. Das deutsche Advisory Board startete
mit der Einführung in das Projekt. Bei der Besetzung aller nationalen Advisory
Boards legte man großen Wert auf die ausgewogene Beteiligung beider
Geschlechter. Alle drei Advisory Boards sind mit fast der gleichen Anzahl von
Männern und Frauen besetzt, was zu einer Diskussion der Themen aus
unterschiedlicher Genderperspektive führt. Personen mit körperlichen oder
geistigen Einschränkungen sind nicht ausdrücklich als Schwerpunkt und
Zielgruppe benannt. Es wurden jedoch alle Treffen in allen drei Ländern in
barrierefreien Räumen abgehalten, was die Teilnahme für alle Interessierten
ermöglichte. Das Projekt ist aktiv im Bereich Antirassismus angesiedelt. Ziel ist es,
Migranten mit ihren Ideen und Vorstellungen ernst zu nehmen und ihre wirklichen
Bedürfnisse zu evaluieren. In allen Advisory Boards sind Migranten beteiligt. Im
zweiten Jahr stellen sie die Hauptzielgruppe bei der Durchführung der Seminare
dar.49
48
Vgl.: Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Zwischenbericht der
Projekte zur länderübergreifenden Zusammenarbeit. Sokrates Programm. Finanzielle Vereinbarungen Nr.: 100912 – CP – 1 – 2002 – 1 – GRUNDTVIG – G1, Hannover 2003, S. 6.
49 Vgl. ebd.
38
Bei dem dritten Treffen des spanischen Advisory Boards im Januar 2003 wurde
das Thema „soziokulturelle Kompetenz“ weiter vertieft, wobei der Experte Alvaro
Ramirez erneut referierte. Außerdem traf sich die spanische Koordinatorin Anna
Sebastian mit dem Sekretär für Immigrationsfragen der Generalitat Catalunya zur
Präsentation des Projektes, um es öffentlich bekannt zu machen. Auch das zweite
Treffen des deutschen Advisory Boards fand statt. Inhaltlich wurden die
Internetmöglichkeiten für die Projektarbeit mit Migranten aufgezeigt und es wurde
die Website von IMES präsentiert, die anschließend diskutiert wurde.50
Das Thema soziokulturelle Kompetenzen wurde bei dem vierten und fünften
Treffen des spanischen Advisory Boards im Februar 2003 weiter vertieft und die
Website von IMES vorgestellt. Beim dritten Treffen des deutschen Advisory Boards
wurden die Videopädagogik und ihre Möglichkeit für die Projektarbeit mit Migranten
thematisiert und die pädagogischen Aspekte des Aktivtrainings der Videotechnik
erläutert.51
Bei dem vierten Treffen des deutschen Advisory Boards im März 2003 lautete das
Thema „Integrations- und Antidiskriminierungspolitik in Einwanderungsgesellschaften – Zwischen Ideal und Wirklichkeit der Demokratie“. Der Referent Professor Doktor Axel Schulte stellte seine Untersuchung zu diesem Thema vor und
ordnete das Projekt IMES in den Theorierahmen ein. Außerdem fand das sechste
Treffen des spanischen Advisory Boards zum Thema „soziokulturelle Kompetenzen“ statt.52
Im April 2003 startete das italienische Advisory Board mit der Einführung in das
Projekt. Entgegen der Planungsphase wurde IMES in Italien verspätet begonnen.
Gleich zu Beginn des Projektes kam es, wie schon erwähnt, durch den
Partnerwechsel in Italien zu einer zeitlichen Verzögerung und damit auch zu einer
Verzögerung der geplanten Arbeitsphasen. Es wurden glücklicherweise schnell
zwei neue italienische Partner gefunden, welche die offenen Rollen adäquat
besetzen konnten. Die ursprüngliche Zielsetzung wurde beibehalten. Konkrete
Outputs wie Seminarmaterialien waren und sind erst für das zweite und dritte Jahr
50
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48), S. 7.
Vgl. ebd.
52 Ebd., S. 7f.
51
39
geplant. Nun wurden die Keywords zu diesem Thema erarbeitet. Das zweite
Treffen des italienischen Advisory Boards beschäftigte sich mit einer Weiterführung
der Diskussion um Inhalt und Ausrichtung von IMES. Außerdem fanden das siebte
und achte Treffen des spanischen Advisory Boards zum Thema „soziokulturelle
Kompetenzen“ statt. Der zuständige Redakteur des Offenen Kanal Hamburg,
Andreas Troché, hielt beim fünften Treffen des deutschen Advisory Boards einen
Vortrag zum Thema „Bürgermedien und Migration“. Vorbereitende Texte zu den
Advisory Board-Treffen waren jeweils recherchiert worden und die Genehmigung
zur Veröffentlichung auf der Website von IMES wurde erbeten oder erworben. Alle
bislang genutzten relevanten Texte sind hier eingestellt und Links zu im Internet
vorhandenen zusätzlichen Texten gelegt worden.53
Die Ausdifferenzierung der konkreten Zielgruppe des italienischen Advisory Boards
wurde bei dessen drittem Treffen im Mai 2003 erarbeitet. An dem Treffen nahmen
sudanesische Flüchtlinge teil, deren unterschiedliche Ansprüche und Ideen
innerhalb der Migrantengruppen geklärt wurden. Bei dem vierten Treffen des
italienischen Advisory Boards wurden Methoden zur Themenfindung eingeführt. Es
wurde eine Themensammlung über Politikmanagement vorgestellt und es bildeten
sich Netzwerke zwischen den beteiligten Organisationen. IMES veranstaltete auch
eine öffentliche Lesung in Hannover mit Professor Karl-Heinz Meier-Braun, dem
Ausländerbeauftragten und Leiter der Redaktion Interkultur des SWR und Autor
des Buches „Einwanderungsland Deutschland“. Bei dieser Lesung wurde das
Projekt IMES in Deutschland öffentlich bekannt gemacht. Professor Meier-Braun
hielt zusätzlich beim sechsten Treffen des deutschen Advisory Boards einen
Vortrag zum Thema „Migranten im Medienghetto?“. Es wurde eine Unterarbeitsgruppe zum Thema „Migranten und Medien“ eingerichtet. Diese beschäftigt sich
mit einer Medienbeobachtung in Bezug auf Migranten und der Erstellung eines
regelmäßigen Videomagazins, bei dem aus den anderen Projektländern Beiträge
integriert werden. Auch das neunte Treffen des spanischen Advisory Boards fand
zum Thema „soziokulturelle Kompetenzen“ statt.54
53
54
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48), S. 8.
Vgl. ebd., S. 8f.
40
Im Juni 2003 war das fünfte Treffen des italienischen Advisory Boards, bei dem mit
der Methode „Netzwerk Analyse“ gearbeitet wurde. Das Thema Gesundheit wurde
als
Schwerpunkt
des
Themenbereichs
„Politikmanagement“
gewählt.
Die
spanische Koordinatorin Anna Sebastian hielt beim siebten Treffen des deutschen
Advisory Boards einen Vortrag zum Thema Empowerment, in dem sie auch aus
ihren Erfahrungen der IMES-Arbeit in Spanien berichtete. Hier wurden der
europäische Aspekt und die europäische Diskussion eingebracht. Eine der größten
Schwierigkeiten des Projektes bestand bisher in den sehr unterschiedlichen
Arbeitsweisen innerhalb Europas, im unterschiedlichen Umgang mit Zeit und vor
allem im Umgang mit den unterschiedlichen Migrationsrealitäten. In Deutschland
leben zum Beispiel seit langer Zeit Migranten, welche auch ein aktives Interesse
an Integration haben, da sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden. In Spanien
und Italien gibt es viele Migranten, die sich nur auf der Durchreise befinden und
oftmals
zunächst
noch
ausschließlich
mit
der
Deckung
ihrer
eigenen
Grundbedürfnisse beschäftigt sind.55
Das erste Evaluierungsgespräch mit den zweiten Partnern fand im Juli 2003 in
Italien statt. Es wurden verschiedene Evaluationsebenen und -methoden im
Projekt etabliert. In jedem Land gibt es Evaluationen quantitativer und qualitativer
Art mit den Mitgliedern der nationalen Advisory Boards. Auf der Ebene der
Koordinatoren wurden Dreimonatsberichte eingeführt, sowie wöchentliche Chats
mit vorgegebenen Fragen zum Austausch untereinander und zur Überprüfung der
gemeinsam abgestimmten Vorhaben. Die jeweils zweiten Partner in den Ländern
wurden gebeten anhand eines Jahresberichtes ebenfalls das Projekt von außen zu
bewerten. Weiterhin fand die Präsentation des Projektes IMES und ein Erfahrungsaustausch am „Runden Tisch für Migration“ der Provinz Palermo statt. Hierbei
wurden strategische Leitlinien für die Präsentation der Migrationsarbeit in der
Region Sizilien erarbeitet. So wurde das Projekt in den städtischen und regionalen
Zusammenhang und dessen öffentliches Auftreten eingebunden. In Spanien fand
das zehnte Treffen des dortigen Advisory Boards zum Thema „soziokulturelle
Kompetenzen“ mit einer abschließenden Diskussion der Keywords statt. Im August
55
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48), S. 9f.
41
2003 hielt Katja Eichler vom Landesamt für Entwicklungszusammenarbeit des
Landes Bremen beim achten Treffen des deutschen Advisory Boards einen
Vortrag über interkulturelles Management. Die interkulturellen Managementbausteine wurden in die Arbeit von IMES integriert. Sie enthalten wichtige
Materialien zur Entwicklung von Seminaren.56
Der deutsche Koordinator Georg May hielt beim elften Treffen des spanischen
Advisory Boards im September 2003 einen Vortrag zum Thema „Neue Medien“
und stellte die bisherigen Ergebnisse von IMES in Deutschland vor. Die beiden
Mitglieder des deutschen Advisory Boards José Torrejon von der Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Jugend und Dimitra Atiselli von der LAG JAW
(Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit) hielten bei dessen neuntem
Treffen einen Vortrag über die Konzepte der Migrationsarbeit mit jungen
Migranten. Es kam zu einem Austausch über Migrations- und Integrationskonzepte
und neue Bildungsansätze. Außerdem arbeitete das italienische Advisory Board
weiter am Thema Gesundheit. Es kam zu ersten Überlegungen für eine Studie
über die augenblickliche Situation der Gesundheitseinrichtungen für Migranten und
für eine erste öffentliche Veranstaltung.57
Im Oktober 2003 fand das erste Evaluierungsgespräch über die bisherigen
Ergebnisse mit dem zweiten Partner in Spanien statt. Das Projekt IMES wurde
außerdem beim Generaltreffen des Bereichs „Soziales zur Erarbeitung von
sozialen Interventionen“, im Rahmen eines von der Regierung neu verhandelten
Gesetzes, in Palermo präsentiert. So wurde IMES in den regionalen und
nationalen Diskussionszusammenhang integriert. Am siebten Treffen des italienischen Advisory Boards nahmen die Koordinatoren aller drei Länder teil, um sich
über die europäische Gesamtperspektive auszutauschen. Außerdem referierte ein
Mitarbeiter des Ärzteteams eines Krankenhauses in Palermo und die Kriterien für
eine Gesundheitsstudie wurden festgelegt. Im November 2003 referierte Doktor
Francis Jarman von der Universität Hildesheim zum Thema „Interkulturelle Herausforderungen der Globalisierung“. Im Dezember 2003 wurde beim zwölften Treffen
56
57
Vgl. ebd., S. 10.
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48), S. 10.
42
des spanischen Advisory Boards das Thema „Politikmanagement“ eingebracht und
es wurden drei neue Teilnehmerorganisationen aufgenommen.58
Damit endete die erste Phase des Projektes. Produkte und Ergebnisse dieser
Phase sind die Website mit monatlich 3000 Nutzern, eine Videokamerakurzbeschreibung für Migranten in drei Sprachen, die in Spanien erarbeiteten
Keywords zu „soziokultureller Kompetenz“ und die Basistexte zu den drei Hauptthemen von IMES. In der zweiten Phase des Projektes werden nun direkte
Seminare mit den Zielgruppen durchgeführt, um die Inhalte und Ansätze zu
überprüfen. Der Ablauf der Advisory Board-Sitzungen und auch der geplanten
Seminare ist, den unterschiedlichen Kulturen entsprechend, sehr verschieden. Alle
verfolgen aber einen Aufbau: inhaltlicher Input, Vermittlung von Wissen, Zeit zum
Erfahrungsaustausch und ein besonderes Augenmerk auf den eigenen Erfahrungsanteil, da das erworbene Wissen im Alltag umgesetzt werden soll.
In Deutschland werden zunächst Videoseminare bei Mitgliedsorganisationen wie
dem Freundeskreis Tambacounda oder dem VNB angeboten, um Seminarbausteine zum Thema „Neue Medien“ zu erstellen. Doch entgegen der
ursprünglichen Planung finden in den drei Ländern parallel zu allen drei
Themenbereichen Seminare statt und nicht in jedem Land zu jeweils nur einem der
drei Themen. In der dritten und letzten Phase soll aufsuchende Seminararbeit an
den Plätzen, an denen sich Migranten treffen, geleistet werden. Den Migranten
sollen in den jeweiligen Ländern Kompetenzen vermittelt werden, um die
demokratischen Werkzeuge sinnvoll zu nutzen und sich so aktiv an der
Gesellschaft zu beteiligen, was ein positives Selbstwertgefühl fördern kann.
3.3 Soziale und politische Partizipation von Migranten
Auf Seiten der Bürger herrscht seit einigen Jahren ein Schwinden des politischen
Interesses, die so genannte Politikverdrossenheit, während auf Seiten des
politischen Systems die Demokratie nicht ausreichend umgesetzt wird. So ist
58
Vgl. ebd., S. 11.
43
Politik immer mehr zu einer Sache der Berufspolitiker geworden und politische
Angelegenheiten werden auf der Ebene des Rechts entschieden. Außerdem
haben etwa sieben Prozent der Bevölkerung, nämlich die ausländischen Mitbürger,
keine politischen Mitwirkungsrechte. Um demokratischen Ansprüchen zu genügen,
müsste eine Vielfalt von Innovationen auf eine Erneuerung der politischen Kultur
hinauslaufen. Möglichst vielen Bürgern müsste eine unmittelbare Mitwirkung in
politischen Institutionen ermöglicht werden, was zum Beispiel durch die Einführung
plebiszitärer Entscheidungen, die Beschränkung der Wiederwählbarkeit in
bestimmten Positionen und die Absicherung des Wiedereinstiegs ins berufliche Leben, auch für Politiker, die nicht dem öffentlichen Dienst angehören, realisierbar
wäre. Auch ein gestaffeltes Wahlrecht, das vor allem Migranten eine Mitsprache in
den Angelegenheiten einräumt, die sie betreffen, sollte eingeführt werden. Noch
weiter geht die Überlegung, das Wahlrecht von der Staatsangehörigkeit abzukoppeln.59
Doch solche Partizipationsgedanken beschränken sich keineswegs auf das
politische System. Die Demokratie beruht im Wesentlichen auf der Idee der
Gleichheit. Politische Gleichheit bleibt aber eine Illusion, wenn Bürger auf
gesellschaftlicher Ebene nicht die gleichen Möglichkeiten haben. Chancengleichheit ist sogar im Grundgesetz verankert, wo gefordert wird, dass niemandem
aus seinem Geschlecht, seiner Religionszugehörigkeit oder seiner ethnischen
Zugehörigkeit Nachteile erwachsen sollen. Darüber hinaus sollte Chancengleichheit gegenüber faktischer Ungleichheit und Diskriminierung bewusst
hergestellt werden. Doch bei ohnehin schon seltenen öffentlichen Diskussionen
über Migranten geht es meist nur um die Frage von Rechten, obwohl ein breit
angelegtes Programm gegen Rassismus, Diskriminierung und Desinteresse am
Fremden durchaus nötig wäre. Statt weiterhin davon auszugehen, dass es bei der
Integration von Migranten um deren Assimilierung an die deutsche Gesellschaft
ginge, wäre eine Veränderung der Einstellung gegenüber den Migranten
wünschenswert. Schon vom Kindergarten an müsste ein Verhalten, das der
59
Vgl.: Akashe-Böhme, Farideh: In geteilten Welten. Fremdheitserfahrungen zwischen Migration
und Partizipation, Frankfurt am Main 2000, S. 167.
44
multikulturellen Gesellschaft gerecht wird, eingeübt werden. Andere Feste und
Zeremonien müssten respektiert werden, es sollte selbstverständlich sein, dass
man mit jemandem umgehen kann, der nicht die eigene Sprache spricht. Hier
wären nonverbale Kompetenzen ebenso erfordert wie Erziehungspraktiken, die
bewusst dem Rassismus entgegensteuern.60
Die vorhandene soziale und politische Partizipation von Migranten in Deutschland
ist sehr vielseitig. Neben der Gründung rein ethnischer Vereinigungen existiert
auch die Beteiligung in deutschen Vereinen. Dabei gibt es ebenso politisch
ausgerichtete
Partizipationsformen
wie
kulturelle,
religiöse
und
sportliche
Vereinigungen und Gruppierungen, die sich stark am Herkunftsland orientieren und
die Lage der Zuwanderer zu ihrem Anliegen gemacht haben. Mitglieder von
herkunftsorientierten Vereinigungen wollen sich in einem sozialen Umfeld bewegen, das ihre Merkmale, Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse, die sie als
Angehörige einer ethnischen Gruppe auszeichnen, positiv bewertet und so zu
sozialer Anerkennung führt. Eine Vereinigung, die sich auf diese Art mit Identitätsund Identifikationsangeboten an die Migranten richtet, wird wenig Schwierigkeiten
haben, Mitglieder zu gewinnen. Dagegen scheint das Ausländerwahlrecht von
weniger essentiellem Interesse für ihre Mitglieder zu sein, zumal auch diejenigen
davon profitieren können, die sich nicht an seiner Durchsetzung beteiligen. 61
Ein weiterer Aspekt, der bei der Frage der Partizipation beachtet werden muss,
geht über die individuelle Ebene hinaus und beschäftigt sich mit den
Organisationen der Migranten in der Bundesrepublik Deutschland. Eine 1999 vom
Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes
Nordrhein-Westfalen durchgeführte Befragung von knapp 1000 Migrantenselbstorganisationen
ergab
eine
große
Bandbreite
und
Multifunktionalität
der
gesellschaftlichen Aktivitäten, die von konkretem politischen Engagement bis hin
zur ausschließlichen Pflege von Kultur und Geselligkeit reicht. Bei den unter60
Vgl. ebd., S. 167f.
Vgl.: Kasdanastassi, Evangelia: Politische und soziale Partizipation sowie Partizipationsressourcen im Integrationsprozess, Auswirkungen des Kommunalwahlrechts auf das politische
Interesse und die Partizipationsbereitschaft. In: Assimenios, Stamatis/ Shajanian, Yvette (Hrsg.):
Politische Beteiligung in der Migration: Die Herausforderung. Einbürgerung, Politische Rechte,
Interessenvertretung. Eine Dokumentation des Projektes Förderung der sozialen und politischen
Partizipation von MigrantInnen in Deutschland, Bonn 2001, S. 45f.
61
45
suchten Organisationen wurde entgegen den Erwartungen kaum eine Unterteilung
in Herkunftslandorientierung und Aufnahmelandorientierung festgestellt, da die
meisten versuchen, eine Verbindung zwischen beiden herzustellen. Während 67%
beide Ziele verfolgen, gaben nur 5% der Zusammenschlüsse eine Orientierung auf
das Herkunftsland und 28% eine Orientierung auf die deutsche Gesellschaft an.62
Migrantenorganisationen sind meistens ethnisch-homogen strukturiert. Bei der
Befragung in Nordrhein-Westfalen hatten nur 11% eine herkunftsheterogene
Mitgliedschaft, was jedoch nicht bedeutet, dass die anderen Vereine sich bewusst
von der deutschen Gesellschaft abgrenzen wollen. Die Mehrheit der Migrantenorganisationen möchte generationsübergreifend die eigene kulturelle Identität
wahren, wofür eine herkunftshomogene Struktur besser geeignet ist. Derartige
Organisationen weisen jedoch gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen einen
zunehmend integrativen Charakter auf. Ethnische Eigenorganisationen bieten
Migranten einen Einstieg in die Aufnahmegesellschaft. Dafür, dass sie ein Weg in
eine herkunftsorientierte Ghettogesellschaft sein können, gibt es hingegen kaum
Anhaltspunkte.63
Migranten verfügen zwar über Verbände und Lobby-Organisationen, doch diese
werden
nicht angehört,
wenn
über politische
Fragen entschieden
wird.
Verhandlungen zur Zuwanderungspolitik finden weitgehend unter Ausschluss von
Zuwanderungsorganisationen statt. So fand am 13. April 1999 im Innenausschuss
des Deutschen Bundestags eine Anhörung von Sachverständigen zur Reform des
Staatsangehörigkeitsgesetzes statt, bei der sich als einziger Repräsentant aus
dem Kreis der Migrantenorganisationen Memet Tanriverdi von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland e.V. den Fragen der
Abgeordneten des Deutschen Bundestags stellen konnte. Geladen waren des
Weiteren Repräsentanten der katholischen und evangelischen Kirche, Bundesvereinigungen der kommunalen Spitzenverbände und Professoren rechtswissenschaftlicher Fakultäten. Vor allem im Vergleich zu den Gewohnheiten in anderen
Vgl.: Santel, Bernhard: Außen vor? – Zur politischen Partizipation von Zuwanderern in
Deutschland. In: Krüger-Potratz, Marianne/ Reich, Hans H./ Santel, Bernhard (Hrsg.): Integration
und Partizipation in der Einwanderungsgesellschaft, Osnabrück 2002, S. 20.
63 Vgl.: Santel (wie Anm. 62), S. 20f.
62
46
Politikfeldern erscheint diese Situation als eine besondere. Sachverständigenanhörungen zur Agrar- und Gesundheitspolitik wären unvorstellbar ohne die
Sprecher des Bauernverbandes oder der ärztlichen Standesorganisationen. Zu
Recht würde diesen sonst vorgeworfen, ohne die Betroffenen zu debattieren, nicht
repräsentativ zusammengesetzt zu sein und fahrlässig mit dem vorhandenen
Sachverstand der organisierten Interessen umzugehen.64
Die Ursachen für die Nichtberücksichtigungen von Migrantenorganisationen bei der
Vorbereitung
einwanderungspolitischer
Entscheidungen
liegen
teilweise
im
institutionellen Gefüge der Bundesrepublik. Große etablierte Interessenorganisationen wie zum Beispiel Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Standesorganisationen sind eingebunden in politische Entscheidungsprozesse. Der Staat
verhandelt nicht nur regelmäßig mit ihnen, sondern delegiert auch politische
Entscheidungsprozesse an sie. Angesichts dieser fest gefügten Strukturen haben
es neuere Interessen und die sie vertretenden Organisationen schwer,
gleichberechtigt eingebunden zu werden. Das gilt für Migrantenverbände genauso
wie für Umweltschutz-, Patienten- oder Verbraucherschutzorganisationen. Ein
weiterer Grund für die Nichtberücksichtigung von Migrantenorganisationen ist, die
komplizierte Frage nach den legitimen Vertretern der Zuwanderer. Unter ihnen hat
sich noch keine anerkannte kollektive Interessenrepräsentanz gebildet, da sich
eine Vielzahl von Vereinen, Verbänden und Dachverbänden um diesen Anspruch
streitet. Das politische System verhandelt jedoch erst gleichberechtigt mit
Organisationen, wenn es sicher ist, nicht mit Vertretern von Splittergruppen oder
radikalen Organisationen zu tun zu haben.65
Ein auf Bundesebene tätiger, demokratischer Zusammenschluss von Migrantendachverbänden ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände
(BAGIV). Die Migrantendachverbände der BAGIV setzen sich aus den örtlichen
Selbstorganisationen verschiedener ethnischer Migrantengemeinden zusammen
und vertreten ihre sozialen, politischen und kulturellen Interessen in der Bundesrepublik Deutschland. Die kontinuierliche Arbeit der BAGIV seit siebzehn Jahren
64
65
Vgl. ebd., S. 22.
Vgl.: Santel (wie Anm. 62), S. 23.
47
verdeutlicht das Interesse der Migrantenselbstorganisationen an einer multinationalen Vertretung und die politische Aktivität von Migranten. Sie wollen nicht mehr
nur unmündige Zielgruppe von Betreuungsmaßnahmen sein, sondern sich aktiv für
die Demokratisierung der Gesellschaft und gegen Diskriminierung einsetzen. Die
BAGIV fordert das gleichberechtigte Zusammenleben der verschiedenen Minderheiten mit der deutschen Gesellschaft und die politische, soziale und kulturelle
Partizipation der in Deutschland lebenden Migranten.66
Selbstorganisationen und ethnische Vereine spielen eine bedeutende Rolle bei der
Artikulation migrantenspezifischer Interessen und Forderungen, da sie durch ihre
unmittelbare Nähe zu den Migranten über kulturelle Hintergrundinformationen
verfügen und ihre Bedürfnisse kennen. Des Weiteren üben sie nicht nur Kritik an
den gesellschaftlichen Funktionen und ihren Defiziten, sondern entwerfen auch
konstruktive Gegenkonzepte für Ziele und Formen der politischen Beteiligung von
Zuwanderern. Ihre Möglichkeiten des Zugangs zu den Migranten und Jugendlichen
ausländischer Herkunft nutzte die BAGIV für die Durchführung des Projektes
„Förderung der sozialen und politischen Partizipation von MigrantInnen in
Deutschland“. Das Projekt zielte darauf ab, die jugendlichen Migranten mit Hilfe
von Multiplikatoren zu motivieren, sich an allen Partizipationsfeldern von der
Teilnahme an Wahlen bis hin zu den Entscheidungsprozessen von Politik und
Gesellschaft zu beteiligen. Außerdem sollten die Parteien und andere gesellschaftliche Institutionen für die Partizipation von Migranten sensibilisiert werden. 67
Die Motivation zur politischen Partizipation, die Förderung des politischen
Meinungsbildungsprozesses und die politische Bildung der Migranten sind
notwendige Voraussetzungen, um am politischen Leben einer demokratischen
Gesellschaft teilzunehmen. Die Einbeziehung der Selbstorganisationen der
Migranten bei der Entwicklung von integrationsspezifischen Maßnahmen ist für die
Integrationspolitik von großer Bedeutung. Die Stärkung der Kooperation mit
66
Vgl.: Simsek, Circis Musa: Die Rolle der Selbstorganisationen bei der aktiven Integrationspolitik.
In: Assimenios, Stamatis/ Shajanian, Yvette (Hrsg.): Politische Beteiligung in der Migration: Die
Herausforderung. Einbürgerung, Politische Rechte, Interessenvertretung. Eine Dokumentation des
Projektes Förderung der sozialen und politischen Partizipation von MigrantInnen in Deutschland,
Bonn 2001, S. 10.
67 Vgl.: Simsek (wie Anm. 66), S. 11f.
48
Migrantenorganisationen ermöglicht den Zugang zu allen Migrantengruppen und
trägt damit zum Abbau der Segregation bei. Vor allem die erworbenen Kenntnisse
und langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Integrationsarbeit dieser
Organisationen sind eine wichtige Hilfe auf dem Weg zu einer zielgruppen- und
zukunftsorientierten Integrationspolitik.68
Um in dem Projekt auch von den Kenntnissen und Erfahrungen der Migrantenselbstorganisationen zu profitieren, sollte IMES noch mehr Kontakt zu diesen
suchen. Es gibt im deutschen Advisory Board bereits drei Mitglieder von einer
türkischen, einer italienischen und einer afrikanischen Selbstorganisation, eine
größere Anzahl könnte jedoch zur besseren Verwirklichung des partizipativen
Ansatzes bei IMES beitragen. Das Projekt der BAGIV ist ein gutes Beispiel, wie
Migranten motiviert und durch Aufklärung über ihre Möglichkeiten und Rechte zu
mehr Partizipation bewegt werden können. Dies sollte IMES auch bei der
Entwicklung der Seminarbausteine anvisieren. Hier besteht aber vor allem die
Gefahr, dass die Migranten unmündige Lernende bleiben. IMES sollte die
Migranten dahin führen, mit ihnen Kompetenzen für eigene partizipative Aktivitäten
und vielleicht sogar für die Gründung einer legitimen Migrantenorganisation, die
auf bundesdeutscher politischer Ebene akzeptiert wird, zu erarbeiten.
4. Bedingungen
der
Integration
von
Migranten
mit
Bezug
auf
theoretische Integrationsmodelle
Die Integration von Migranten wird besonders im Zuge der Globalisierung auch für
das
Verständnis
gesamtgesellschaftlicher
Probleme
immer
bedeutsamer.
Unterschichtung, ethnische Pluralisierung und Segmentierung sind gesamtgesellschaftliche Folgen von Migration, die auch die politisch-praktische Planung
und die konzipierte soziologische Theorie nicht mehr ignorieren können. Doch die
68
Vgl. ebd., S.12f.
49
soziologische Behandlung der Integration von Migranten wird, wie so oft im
Bereiche der angewandten Sozialwissenschaften, politisch-normativ diskutiert.69
„Das Problem wird als Strategie zur Verfolgung partikularer (zumeist ökonomischer) Interessen
beurteilt. Es wird zum Anlass genommen, allgemeine soziologische Doktrinen zu belegen. Und
auch: die Eingliederung wird zum Explanandum einer theoretisch-empirischen Untersuchung
gewählt.“ 70
Die Integration von Migranten wurde erst dann zu einem sozialwissenschaftlichen
Thema, als sie ein soziales Problem darstellte und schnelle Lösungen benötigt
wurden. Erst nach enormen Zuzugszahlen, der Einsicht, dass die meisten
Migranten dauerhaft in Deutschland bleiben und damit verbundenen sozialen
Problemen, erwachte die öffentliche, politische und sozialwissenschaftliche
Diskussion.71
Allgemein kann Integration als Verbindung von Einzelpersonen oder Gruppen zu
einer gesellschaftlichen Einheit in Anerkennung und Akzeptanz von kulturellen
Verschiedenheiten bezeichnet werden. Es handelt sich um einen Prozess, der sich
oft über mehrere Generationen vollzieht und eine Abnahme der Unterschiede in
den Lebensumständen von Einheimischen und Zugewanderten zur Folge hat. Es
werden vier Dimensionen der Integration unterschieden:
-
Die strukturelle Integration ist ein Prozess, in dem Zuwanderer einen
Mitgliederstatus in der Aufnahmegesellschaft erwerben und Zugang zu
gesellschaftlichen
Positionen
und
einen
Status
auf
der
Basis
gleichberechtigter Chancen erreichen.
-
Die kulturelle Integration oder Akkulturation schließt kognitiv-kulturelle Lernund Internalisierungsprozesse, die notwendig für die Teilhabe und
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sind, bei der zugewanderten wie bei
der einheimischen Bevölkerung ein.
-
Die soziale Integration ist die Teilnahme und Akzeptanz bei sozialen
Aktivitäten und bei Vereinsmitgliedschaften der Aufnahmegesellschaft.
69Vgl.:
Esser, Hartmut: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von
Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse,
Darmstadt und Neuwied 1980, S. 11.
70 Esser (wie Anm. 69).
71 Vgl. ebd.
50
-
Die identifikative Integration ist die subjektive Seite der Integration in
Prozessen neuer persönlicher Zugehörigkeitsdefinitionen.72
In der Migrationsforschung gibt es idealtypische Phasenmodelle der Integration
von Zugewanderten, bei denen zunächst der Erwerb von sprachlichen Fähigkeiten
und von Kenntnissen der sozialen Regeln des Zuwanderungslandes im Mittelpunkt
stehen. Danach verändern sich zusätzlich die Werte, Normen und Einstellungen
der Zugewanderten, was bis zur weitgehenden Übernahme der Kultur der Mehrheitsgesellschaft, bei wechselseitiger aber oft ungleicher Beeinflussung, gehen
kann. Integration ist die Teilhabe von Einzelpersonen oder ethnischen Gruppen auf
allen gesellschaftlichen Ebenen wie Kultur, Schule, Ausbildung, Zugang zu allen
Berufen, Ämtern und Mandaten. Diese Ebene der Integration wird meistens erst
nach der Verwurzelung mehrerer Generationen im Aufnahmeland erreicht.73
Die Integration von Migranten wird im Folgenden an dem Kausalmodell von
Hartmut Esser und dem Sechs-Phasen-Modell von Ulrich Tolksdorf erörtert und in
Bezug auf das Projekt IMES untersucht. Im Anschluss wird das in Frankreich
praktizierte “Republikanische Integrationsmodell“ vorgestellt.
4.1 Die Integrationsproblematik der Migranten im Kausalmodell von
Hartmut Esser
In seinem Kausalmodell bezieht Hartmut Esser den Prozess bis zur Integration von
Migranten auf drei Grundaspekte: den Prozess der Angleichung an einen Standard
(Akkulturation), den Zustand der Ähnlichkeit zu einem Standard nach erfolgter
Angleichung (Assimilation) und den Zustand des Gleichgewichts der Person und
der diese betreffenden Relation (Integration). Der Begriff Akkulturation meint den
Lernvorgang bei Personen, durch den sie Verhaltensweisen und Orientierungen
übernehmen, die mit bestimmten kulturellen Standards von Teilen des Aufnahmesystems übereinstimmen. Es handelt sich nicht um eine bestimmte, unumkehrbare
und ununterbrochene Richtung der Lernvorgänge, sondern um einen Spezialfall
allgemeiner Prozesse des Lernens und der Übernahme von Neuerungen.
72
Vgl.: Beger, Kai-Uwe: Migration und Integration. Eine Einführung in das Wanderungsgeschehen
und die Integration der Zugewanderten in Deutschland, Opladen 2000, S. 10f.
73 Vgl. ebd., S. 11.
51
Akkulturation ist weder ein automatisch einsetzender noch ein in der Richtung und
in den Folgen festliegender Vorgang.74
Migranten haben eine Bindung an ihre Herkunftskultur und dementsprechend eine
anders erlebte Sozialisation. Hinzu kommen Vorstellungen vom Aufnahmeland, die
ihnen im Herkunftsland vermittelt wurden. Diese stellen sich nach kurzem Aufenthalt meist als ungültig heraus, was zur Folge haben kann, dass aus einer entstandenen Ablehnung der Aufnahmekultur eine Segregation resultiert. Um den Prozess
der Akkulturation überhaupt beginnen zu können, müssen bei den Migranten die
mitgebrachten Vorstellungen, Werte und Normen revidiert werden. Hier sollten die
Integrationsseminare von IMES ansetzen. Die Bedeutung der Werte und Normen
sowie Sprachkenntnisse müssen vermittelt werden, aber es darf nicht nur deren
Übernahme im Vordergrund stehen. Zwar müssen Verständnis und Akzeptanz für
die Aufnahmegesellschaft entstehen, dennoch darf die Bewahrung eigener
kultureller Elemente dabei nicht vernachlässigt werden. Der partizipative Ansatz
von IMES dient einerseits dazu, das Vertrauen der Migranten zu gewinnen,
andererseits dazu, ihnen zu helfen, ihre eigenen kulturellen Elemente in die Aufnahmegesellschaft einzubringen.
Der Zustand der Ähnlichkeit kann erst nach erfolgter Angleichung einsetzen. Die
Akkulturation ist also Voraussetzung für die Assimilation. Es werden vier Assimilationstypen unterschieden: die kognitive, strukturelle, soziale und identifikative
Assimilation. Sie beziehen sich auf absolute und relationale Eigenschaften
(Fertigkeiten) wie Interaktionen. Wenn kognitive Assimilation, also bestimmte
Fertigkeiten und Verhaltensmuster, und identifikative Assimilation, also die Übernahme kultureller Wertemuster, verfügbar sind, handelt es sich um eine personelle
Assimilation. Die strukturelle Assimilation meint die Chancen der Migranten zur
Erlangung einer bestimmten Stellung zum Beispiel im beruflichen Bereich oder in
ihrer Wohnsituation. Die soziale Assimilation beschreibt Kontakte zu Einheimischen und die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben, wie die Mitgliedschaft
in Vereinen oder der Besuch von Veranstaltungen. Die kognitive Assimilation ist
die Voraussetzung für die soziale und die strukturelle Assimilation. Die identi74
Vgl.: Esser (wie Anm. 69), S. 20f.
52
fikative Assimilation kann hingegen erst nach dem Erreichen der anderen Assimilationen einsetzen.75
Integration ist ein Zustand des Gleichgewichts von personalen bzw. relationalen
Systemen.
Diese
Balance
umfasst
die
unterschiedlichen
Dimensionen:
individuelles Gleichgewicht, also die gleichgewichtige Verflechtung einer Person in
relationale Bezüge und das Gleichgewicht eines Makrosystems als spannungsarmes, funktionales Verhältnis der Subeinheiten zueinander. In soziologischen
Theorien wird die Assimilation von Migranten oft nicht von der Integration in das
Aufnahmeland unterschieden.76 Von den vier Assimilationstypen bei Esser ist nur
die identifikative Assimilation die völlige Angleichung des Wanderers an die Kultur
des Aufnahmelandes bei gleichzeitigem Aufgeben der Merkmale der Herkunftskultur. Die strukturelle, kognitive und soziale Assimilation können auch im Kontext
der Integration diskutiert werden. Die Ähnlichkeit mit dem Standard bei der
Assimilation muss nicht die vollkommene Aufgabe der bisherigen Lebensgewohnheiten, Werte und Normen bedeuten. Der Zustand der Ähnlichkeit mit dem
Standard schließt auch nicht aus, dass sich die Person gleichzeitig, wie bei der
Integration, in einem Zustand des Gleichgewichts mit den betreffenden Relationen
befinden kann. Die Assimilation und die Integration sind somit bei Esser, bis auf
die identifikative Assimilation, die sich vom Integrationsbegriff deutlich absetzt,
nicht scharf zu trennen.
Bei dem Projekt IMES sollte die identifikative Assimilation nicht verfolgt werden, da
das Ziel einer partizipativen Integration nicht die vollkommene Aufgabe der
eigenen Kultur ist. Diesbezüglich ist Essers Modell auch in Frage gestellt worden,
da die Identifikation mit dem Aufnahmeland nicht zwingend zur Erreichung
individueller Ziele beiträgt. Vielmehr soll der Migrant als Bereicherung der
Aufnahmegesellschaft gesehen werden, da er dazu beiträgt, kulturelle Vielfalt in
einer multikulturellen Gesellschaft für alle zugänglich zu machen. Dagegen sollten
aber verstärkt die anderen Assimilationsaspekte verfolgt werden. Sprachkenntnisse, Alltagskompetenz und die Möglichkeit, gleichberechtigt an Wirtschaft und
75
76
Vgl.: Esser (wie Anm. 69), S. 22f.
Vgl. ebd., S. 23.
53
Gesellschaft partizipieren zu können, sind wichtige Voraussetzungen für die
Integration von Migranten. In den beiden IMES Schwerpunkten „soziokulturelle
Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ können die letzten Punkte in den
Seminaren kompetent erarbeitet werden. Doch das Thema Sprachkenntnisse, das
besonders in dem dritten Schwerpunktbereich des Projektes „Neue Medien“
wichtig ist, wurde im bisherigen Verlauf des Projektes komplett ausgeklammert.
Um durch eigene Sendungen in den Medien nicht nur Mitgliedern der eigenen
Kultur etwas vermitteln zu können, ist es wichtig auch die Sprache des
Aufnahmelandes zu beherrschen. Abgesehen davon ist dies für die selbstständige
Alltagsbewältigung im Aufnahmeland für Migranten ohnehin unerlässlich. Neben
der Kenntnis der Werte und Normen ist der Erwerb der Sprache des
Aufnahmelandes die Basis für eine gelungene soziale und berufliche Integration.
Ein solch wichtiges Thema sollte auch in einem partizipativen Integrationsprojekt
nicht ignoriert werden.
4.1.1 Grundannahmen des Kausalmodells
Hartmut Esser geht in seinem Modell der Eingliederung von Wanderern davon aus,
dass ein Individuum aus einer Vielzahl von Handlungsalternativen regelmäßig
assimilative Handlungsweisen auswählt, um bestimmte, hoch bewertete Ziele zu
erreichen. Mit assimilativen Handlungsweisen ist die Übernahme von Verhaltensweisen und Orientierungen des Migranten gemeint, die bestimmten Standards der
Aufnahmegesellschaft ähneln und die helfen, bestimmte Ziele zu erreichen.
Assimilation stellt sich ein, wenn der Migrant annimmt, dass assimilative
Handlungen Erfolg versprechend zur Erreichung von Zielen sind und gleichzeitig
keine negativen Konsequenzen erwartet werden. Assimilation ist der Zustand der
54
Ähnlichkeit des Migranten in Handlungsweisen, Orientierungen und interaktiven
Verflechtungen mit dem Aufnahmeland. Der Begriff wird auf zwei Dimensionen
bezogen: absolute Eigenschaften (Fertigkeiten, Werte, Bräuche und Gewohnheiten) und relationale Eigenschaften (Interaktion, Status, Rollenausübung). Die
relationalen Eigenschaften werden unterteilt in die soziale Dimension der
Angleichung (interethnische Kontakte) und die strukturelle Dimension der
Angleichung (Eindringen in die Statusstruktur der Aufnahmegesellschaft).77
Die Struktur der Aufnahmegesellschaft ist bei Hartmut Esser eine externe Variable.
Die prinzipielle Offenheit dieses Systems ist die strukturelle Voraussetzung für die
Integration von Migranten, die Analyseebene ist jedoch das handelnde und
lernende Individuum, das mit Individuen oder Gruppen des Aufnahmesystems
interagiert. Die externe Struktur der Aufnahmegesellschaft kann sich integrationsfördernd oder integrationshemmend auswirken. Essers Integrationsmodell bezieht
also nicht nur die individuellen Ressourcen des Migranten, sondern auch sein
Interaktionsfeld mit ein. In seinem Grundmodell der Assimilation von Wanderern
unterscheidet Esser zwischen Eigenschaften der Person des Wanderers und
Eigenschaften der Umwelt des Wanderers.78
Personenbezogene Eigenschaften sind:
-
Motivation: Anreizwert einer assimilativen Handlung in Bezug auf eine
Zielsituation;
-
Kognition: Subjektive Erwartungen über die Verbindung zwischen verschiedenen Situationen und Handlungen assimilativer Art;
-
Attributierung: Reichweite der subjektiv kontrollierbaren Handlungsbereiche
(nimmt gleichlaufend zur Assimilation zu);
-
Widerstand: Folgen und Kosten der Wahl von assimilativen Handlungen.
Umgebungsbezogene Variablen sind:
Vgl.: Seifert, Wolfgang: Geschlossene Grenzen – offene Gesellschaften? Migrations- und
Integrationsprozesse in westlichen Industrienationen, Frankfurt am Main 2000, S. 52f.
78 Vgl. ebd., S. 53.
77
55
-
Opportunität: Handlungsbedingungen, die Assimilation begünstigen;
-
Barrieren:
Bedingungen,
die
der
Assimilation
entgegenstehen,
wie
rechtliche Beschränkungen, Vorurteile, soziale Distanz, Askriptionen und
Diskriminierungen;
-
Alternativen: Verfügbare Handlungsalternativen nicht-assimilativer Art.79
Bezüglich der personenbezogenen Umgebung gilt: Je stärker die Motive für die
Zielsituation des Migranten und seine Erwartungen, dass jenes Ziel über
assimilative Handlungen erreicht werden kann, sind, und je geringer der
Widerstand für assimilative Handlungen ist, desto eher führt der Migrant derartige
Handlungen aus. Bezogen auf die Umgebung gilt: Je mehr assimilative Handlungsoptionen dem Migranten im Aufnahmeland offen stehen und je weniger Handlungsalternativen nicht-assimilativer Art verfügbar sind, desto eher führt der Migrant
nicht-assimilative Handlungen aus.80
Esser betrachtet die Aneignung von Qualifikation, die Aufnahme von Interaktionen,
Einstellungen und Orientierungen als Handlungen oder Folgen von Handlungen.
Diese Handlungen sind verbunden mit der Wahl zwischen verschiedenen
Alternativen, wobei sich der Handelnde für die Alternative entscheidet, welche ihm
angesichts seiner Interessen, Möglichkeiten, Beschränkungen und der zu
erwartenden Konsequenzen als günstigste erscheint. Diese Wahl folgt nicht
unbedingt rationalen Kriterien, findet jedoch vor dem Hintergrund knapper
Ressourcen (Zeit, materielle Mittel, psychischer Aufwand, Handlungsmöglichkeiten
allgemeiner Art) statt. Die Handlungsalternativen erfordern einen unterschiedlichen
Ressourcenaufwand. Mit steigender Größe der einer Person zur Verfügung
stehenden Ressourcen steigt auch die Zahl der wählbaren Handlungsalternativen.81
Essers Aussage, dass Wanderer bei starker Motivation, die zur Erreichung einer
Zielsituation führt und bei geringem Widerstand wahrscheinlicher assimilative
Handlungen ausführt als nicht-assimilative, wurde empirisch in Frage gestellt. Die
79
Vgl.: Esser (wie Anm. 69), S. 210ff.
Vgl. ebd., S. 211.
81 Vgl.: Seifert (wie Anm. 77), S. 54.
80
56
Erreichung individueller Ziele muss nicht zwingend über Assimilationsvorgänge
geschehen und die Identifikation mit dem Aufnahmeland nicht zwingend der
Erreichung individueller Ziele dienen.82 Des Weiteren ist Essers Behandlung des
Aufnahmesystems als externe Variable zu kritisieren, da er Integration als
Interaktion zwischen Individuen und Institutionen ignoriert. Er betrachtet Integration
als eine allein vom Migranten zu erbringende Leistung und nicht als Aufgabe des
Aufnahmelandes.83 Diese Betrachtungsweise ist in der europäischen Einwanderungsgesellschaft nicht haltbar. Eine funktionierende Gesellschaft muss den
Migranten Ressourcen bieten, durch die sie sich in die Aufnahmegesellschaft
integrieren können. Speziell in dem IMES-Schwerpunktbereich „Politikmanagement“ soll mit Migranten in Seminaren Wissen erarbeitet werden, wie das
politische System des Aufnahmelandes genutzt werden kann, um die Ressourcen
für ihre Integration zu vergrößern. Allerdings müssen Wege gefunden werden,
Migranten positiv zu motivieren, an dem Projekt teilzunehmen, um schließlich
assimilative Handlungen ausführen zu können.
4.1.2 Bedingungen der Eingliederung
Das Eintreten der Integration wird von unterschiedlichen Bedingungen beeinflusst.
Laut Esser kann die Eingliederung von Migranten nur unter zwei logisch
voneinander unabhängigen Variablengruppen eintreten: die Person des Wanderers und die Umwelt des Wanderers. Aus den personenbezogenen Variablen,
der Motivation, der Kognition, der Attributierung und dem Widerstand erfolgt eine
notwendige Bedingung zur Eingliederung. Der Migrant strebt also von der
82
83
Vgl. ebd.
Ebd., S. 55.
57
Motivlage und den Kenntnissen her die Eingliederung an und verfügt dabei über
entsprechende Fertigkeiten. Bezogen auf die Eigenschaften der Umwelt des
Migranten ist die Eingliederung bedingt durch Opportunität und Barrieren im
Aufnahmesystem, die sich aus Erwartungen, Nachfragen, Zuschreibungen und
Ausschlüssen der Mitglieder des Aufnahmelandes ergeben. Die Eingliederung ist
weiterhin bedingt durch die nähere Umgebung des Migranten, wie Personen der
Aufnahmegesellschaft, Personen des Herkunftsgebietes, Mitmigranten oder die
ethnische Gemeinde im Aufnahmesystem, die als Widerstand oder nichtassimilative Handlungsalternativen fungieren. Die Eingliederung erfolgt bei entsprechender Bereitschaft zur Aufnahme assimilativer Handlungen und sofern die
Umgebung des Migranten eine Eingliederung materiell und sozial ermöglicht und
keine ausschließlichen Handlungsbarrieren bestehen, zudem sollte der Migrant
keine zu starken Bindungen an eine nicht-assimilative Bezugsumgebung haben
oder es sollten keine nicht-assimilativen Handlungsalternativen existieren.84
Eingliederung von Migranten kann laut Esser also nur eintreten, wenn die
Zugewanderten diese Eingliederung anstreben und in dem Aufnahmesystem
genügend Opportunitäten offen stehen. Das Projekt IMES ist eine solche
Opportunität für Migranten, doch es existieren
gleichzeitig Barrieren im
Aufnahmesystem und alternative Handlungsopportunitäten nicht-assimilativer Art.
Neben Diskriminierung und Stigmatisierung von Migranten durch die Majorität gibt
es in jeder Großstadt Europas eine starke Konzentration von Migranten in
bestimmten Stadtteilen, durch die ethnische Netzwerke entstanden sind, in denen
Migranten viel Spielraum für Separation haben. Es werden also besondere
Methoden benötigt, um die segregierten Migranten für das Projekt zu akquirieren.
Dass die Hälfte der Mitarbeiter der Advisory Boards bei IMES Migranten sind, kann
helfen, die Seminare so zu entwickeln, dass sie auf Migranten zugeschnitten sind
und somit eine große assimilative Handlungsalternative bieten können. Des
Weiteren kann die hohe Zahl der Migranten bei IMES das Vertrauen anderer
Migranten wecken. Doch vor allem müssen Methoden zur Akquirierung abgeschotteter Migranten entwickelt werden, da die besten Seminare nutzlos sind,
84
Vgl.: Esser (wie Anm. 69), S. 179.
58
wenn damit niemand erreicht wird. Auch hierbei können die Migranten im Advisory
Board eine große Hilfe sein.
4.2 Das Sechs-Phasen-Modell der kulturellen Integration von Ulrich
Tolksdorf
Die Integration von Migranten ist ein langfristiger phasenspezifischer Prozess, in
dem der Einwanderer verschiedene Stationen der Eingliederung durchläuft. Das
Sechs-Phasen-Modell von Ulrich Tolksdorf beschäftigt sich zwar primär mit der
Eingliederung von Vertriebenen, bezieht aber auch die Gruppen der Gegenwart
wie Spätaussiedler, Asylanten, Gastarbeiter und andere Migranten mit ein. Die
Phasen der Integration sind zeitlich nicht genau voneinander abzugrenzen. Laut
Tolksdorf handelt es sich um ein idealtypisches Modell der Integrationsprozesse.
Jede Phase ist hier als ein notwendiges Stadium in dem Prozess zu betrachten.
4.2.1 Phase des Kulturschocks
Die erste Phase wird bei Tolksdorf als Kulturschock bezeichnet, welcher sich nach
der Ankunft im Aufnahmeland als Fremdheit, Isoliertheit und Desorientierung
äußert. Nicht nur bei den Migranten, sondern auch auf der Seite der Einheimischen
setzt diese Phase ein. Es kommt kaum zu sozialen Kontakten und die Bedürfnisse
werden auf ein existenzielles Mindestmaß reduziert. Die kulturellen Unterschiede
verursachen bei den Migranten eine große Unsicherheit und Orientierungslosigkeit.
Auch wenn Migranten in eine Aufnahmegesellschaft des gleichen Nationalverbandes kommen und dadurch Sprachbarrieren entfallen, sind die Fremdheitserfahrungen nicht geringer. Die kulturellen regionalen Unterschiede zwischen dem
Aufnahmesystem und den Migranten in materieller Kultur, Mentalität, religiösen
59
Denk- und Verhaltensmustern, Wohnkultur, Arbeitsrhythmus, Kleidung, Ernährung
und Alltagsleben werden anfangs immer in hohem Maß als fremd empfunden.85
In dieser ersten Phase fehlen bei Tolksdorf die bei der Ankunft im Aufnahmeland
oft empfundene Freude und der Optimismus, die bei vielen Migranten vorhanden
sind, bevor Fremdheitserfahrungen, Isoliertheit und Desorientierung auftreten.
Zudem beschreibt Tolksdorf lediglich den Zustand der Migranten, ohne die
Lieferung von Erklärungsansätzen dieser Vorgänge und ohne die Nennung der
Voraussetzungen zur Integration.
Schon in dieser Phase des Kulturschocks sollten Integrationsprojekte ansetzen,
um den Migranten die Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft von Anfang an
zu erleichtern. Dadurch, dass IMES auch Seminare in Wohnheimen veranstaltet,
erreicht das Projekt Migranten in der Phase des Kulturschocks und kann so die
gelungene Integration dieser Migranten in einem frühen Stadium unterstützen und
fördern.
4.2.2 Phase des Kulturkontaktes
Die zweite Integrationsphase bezeichnet Tolksdorf als Phase des Kulturkontaktes,
in der es zu den ersten Kontakten mit den Einheimischen kommt. Die Art der
kulturellen Kontakte ist abhängig vom Wohnort, also davon, ob sie in der Großstadt
oder in ländlichen Gebieten stattfinden. Tolksdorf meint, dass es Stadtbewohnern
leichter fällt, Migranten zu akzeptieren, da sie mehr Erfahrungen mit Fremden
haben und dadurch toleranter mit ihnen umgehen können. 86 Doch man kann auch
zum gegenteiligen Schluss kommen, da in der Großstadt Anonymität und
Konkurrenzkampf herrschen und Bewohner von ländlichen Gegenden der
bodenständigen Mentalität vieler Migranten näher sein könnten. In dieser Phase
kommt es aber noch nicht zu einer breiten kulturellen Integration.
85
Vgl.: Tolksdorf, Ulrich: Phasen der kulturellen Integration bei Flüchtlingen und Aussiedlern. In:
Bade, Klaus J.: Neue Heimat im Westen. Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler, Westfälischer
Heimatbund, Münster 1990, S. 110.
86
Vgl. ebd., S. 114.
60
Tolksdorf spricht nicht von der Art und Anzahl der Kontakte, die einen großen
Einfluss auf die darauf folgenden Kontakte haben. Negative Erfahrungen mit der
Majorität behindern aber grundsätzlich die weitere Kontaktaufnahme, während
positive Erlebnisse zu mehr Offenheit und weiteren Kontakten führen. Des
Weiteren ignoriert Tolksdorf, dass die hohe Konzentration von Migranten in
bestimmten Stadtteilen zu einer Ghettobildung führen kann. Diese ethnischen
Netzwerke reduzieren die Kontakte mit der Aufnahmegesellschaft auf das
Notwendigste. Ein guter Ansatz für mehr Kontakte zwischen Einheimischen und
Migranten ist die Nutzung der „Neuen Medien“ bei IMES. Durch die Gestaltung von
eigenen Fernsehbeiträgen können Migranten ihre eigene Kultur der Aufnahmegesellschaft näher bringen. Wichtig ist hierbei aber, dass Migranten nicht allein
unter sich Beiträge ausschließlich für andere Migranten machen. Migranten und
Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft sollten gemeinsam Beiträge erstellen und sich
so näher kommen. Für die Beiträge muss eine Sprachlösung gefunden werden, die
es möglich macht, dass Migranten und Majorität keine Verständnisprobleme
haben. So könnte zum Beispiel im Zweikanalton oder mit Untertiteln gearbeitet
werden.
In dieser Phase wird von Tolksdorf zusätzlich der Familienzusammenhalt betont,
da im familiären Miteinander eine ausgeprägte Orientierung an der gewohnten
Lebensweise fortgeführt wird, in welcher die eigenen kulturellen Werte betont
werden. Orientierungs- und Perspektivlosigkeit in der Aufnahmegesellschaft tragen
zu einer ausgeprägten Familienbindung der Migranten bei. Vor allem bei
Problemen und Misserfolgen bietet die Familie in der ersten Zeit nach der Einreise
einen Rückzugsort. Die Gefahr für die Integration ist hier, dass es zu einer
Marginalisierung der Migranten kommen könnte.
4.2.3 Phase des Kulturkonfliktes
61
Die dritte Phase ist die des Kulturkonfliktes. Durch die Wahrnehmung der
kulturellen Unterschiede und die fehlenden „soziokulturellen Kenntnisse“ werden
die Konflikte offen ausgetragen. Es kommt häufig dazu, dass Ansässige mit
Stigmatisierungen und Spott reagieren, während die Migranten versuchen, ihre
eigene Kultur der etablierten Kultur entgegenzustellen. Dabei kommt es sogar zur
Wiederbelebung alter Bräuche und Traditionen, welche in den Herkunftsländern
nicht mehr gepflegt wurden. Auf diesem Wege soll die Besonderheit der eigenen
Kultur nach außen unterstrichen werden. Der Kulturkonflikt besteht also aus der
Auseinandersetzung mit der Kultur des Aufnahmesystems und der Rückbesinnung
auf die eigene Kultur.87
Tolksdorf geht davon aus, dass diese Prozesse der Beibehaltung kultureller
Eigenarten und der familiären Erziehung zu eigenen Kulturformen parallel zur
Angleichung an die Kultur der Aufnahmegesellschaft ablaufen. Zu kritisieren ist
hier aber, dass der Kulturkonflikt zeitlich nicht erst nach der Kontaktaufnahme mit
der Aufnahmegesellschaft entsteht, sondern bei den Migranten bereits von Beginn
an vorhanden ist und die Begegnungen mit Einheimischen den Konflikt noch
vergrößern können. Schon die Feststellung, dass die Aufnahmegesellschaft nicht
den im Herkunftsland vermittelten Vorstellungen entspricht, löst den Kulturschock
aus. Im Zusammenhang mit der steigenden Migration in Europa sind auch die
Vorurteile und Stigmatisierungen gegenüber Zuwanderern in den Gesellschaften
gestiegen. Diesem Kulturkonflikt bei den Migranten und den Einheimischen wirken
„soziokulturelle Kenntnisse“ entgegen. Die Vermittlung dieser Kenntnisse ist eines
der drei Hauptthemen bei IMES. Diese sollten jedoch nicht nur Migranten vermittelt
werden, auch die Mitglieder der Majorität benötigen „soziokulturelle Kenntnisse“,
um Vorurteile abzubauen und mit Migranten ungezwungenen Kontakt pflegen zu
können. Deshalb sollten die Seminare über „soziokulturelle Kenntnisse“ nicht nur
auf Migranten ausgerichtet sein. Es muss ein Weg gefunden werden, um das
Interesse der Aufnahmegesellschaft hierfür zu wecken, da viele Menschen die
87
Vgl.: Kunschner, Friedhelm: Zwischen zwei politischen Kulturen: Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland, Leipzig 2000, S. 82.
62
multikulturelle Gesellschaft noch ignorieren und von derartigen Weiterbildungen
nicht erreicht werden.
4.2.4 Phase der Anpassung an die sozialen Verhältnisse bei gleichzeitiger Bewahrung der eigenen kulturellen Identität
Trotz des Kulturkonfliktes sind die Migranten gezwungen, sich den wirtschaftlichen
und sozialen Verhältnissen der Aufnahmegesellschaft anzupassen.
Diese
Anpassungsforderungen der neuen Gesellschaft führen in der vierten Phase von
Tolksdorfs Modell zur Bildung sekundärer Minderheiten. Während der sekundären
Minderheitenbildung wird weiterhin die eigene kulturelle Identität bewahrt und es
kommt zu einem überregionalen Zusammenschluss der Migranten einer
bestimmten ethnischen Gruppe. Es handelt sich dabei um eine Wahrung der
Erinnerungen und Traditionen aus der Heimat und um politische Interessenvertretungen. Hier kann es vor allem zu Konflikten zwischen älteren Migranten und
Migranten der zweiten und dritten Generation kommen, da die älteren Migranten
den in Deutschland geborenen Nachkommen den Verlust von eigenkulturellen
Werten vorwerfen.88
Die Vereinigungen von Migranten spielen in den Aufnahmegesellschaften sowie
der Politik der Bundesrepublik keine bedeutende Rolle. Die Vermittlung von
Kenntnissen im Bereich „Politikmanagement“ bei IMES soll den Migranten helfen,
sich selbst mit den zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln eine größere
politische Lobby zu verschaffen, um eine gleichberechtigte Stellung im Aufnahmeland zu erreichen.
4.2.5 Phase der Akkulturation
88
Vgl.: Tolksdorf (wie Anm. 85), S. 120.
63
Die fünfte Phase in Tolksdorfs Integrationsmodell ist die Phase der Akkulturation.
Darunter versteht er die Verschmelzung der Elemente der Eigenkultur mit der
Fremdkultur, so dass der Umwelt angepasste Verhaltensweisen entstehen. In
dieser Phase bezieht sich Tolksdorf nur auf den Akkulturationsprozess der
Vertriebenen bis in die siebziger Jahre. Es gibt also trotz Anspruchs eines
idealtypischen Modells der Integrationsprozesse keine Anhaltspunkte für die
Akkulturation der heutigen Migranten.
Die Akkulturation ist ein über einen längeren Zeitraum stattfindender Prozess. Er
beginnt für Migranten mit dem Erlernen der deutschen Sprache und vollzieht sich
dann stufenweise mit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dieser Prozess
wird von den Kontakten zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft und Anpassung
der eigenen Verhaltensweise an das Aufnahmesystem beeinflusst. Akkulturation
ist also keine eigenständige Phase, sondern ein Prozess, der auch während der
ersten vier Phasen des Integrationsmodells stattfindet. Auch hier helfen
„soziokulturelle Kenntnisse“ den Migranten genauso wie den Mitgliedern der
Mehrheitsgesellschaft.
4.2.6 Phase der punktuellen Bewahrung – Volkskultur in der postmodernen Gesellschaft
Die sechste Phase bezeichnet Tolksdorf als „Punktuelle Bewahrung – Volkskultur
in der postmodernen Gesellschaft“. In der postmodernen Gesellschaft dominiert
eine kulturelle Vielfalt, die durch den anhaltenden Zuzug von Migrantengruppen die
Kulturlandschaft noch vielfältiger und multikultureller macht, was zur Unübersichtlichkeit in der Kulturvielfalt führt. Gleichzeitig ist die Suche nach den eigenen
kulturellen und historischen Wurzeln zur Mode geworden, was die Wahrung der
eigenen Identität ohne die emotionale Verbundenheit mit der restlichen
Gesellschaft ermöglicht. Tolksdorf geht davon aus, dass Migranten auf eine Basis
treffen, die den Konflikt auf Seiten der Einheimischen nicht mehr möglich macht.89
89
Vgl.: Tolksdorf (wie Anm. 85), S. 122.
64
Die fremdenfeindlichen Ereignisse der neunziger Jahre zeigen jedoch, dass die
kulturelle Unübersichtlichkeit im Gegensatz zu Tolksdorfs Behauptungen eher zu
Unsicherheit und Orientierungslosigkeit der Aufnahmegesellschaft als zu selbstverständlicher Akzeptanz fremder Kulturen führt. In seinem Phasenmodell erklärt
Tolksdorf die Bedingungen für die Eingliederung von Zuwanderergruppen nur
begrenzt und seine Behauptungen entsprechen zum Teil nicht den heutigen
Integrationsprozessen. Ursache dafür könnte eine Veränderung der Integrationsbedingungen in der Aufnahmegesellschaft und bei den Migranten seit der letzten
Veröffentlichung seiner Theorie sein.
Vor allem die beiden Themenbereiche „Neue Medien“ und „soziokulturelle
Kompetenzen“ des Projektes IMES können dazu beitragen, die Toleranz in der
Aufnahmegesellschaft gegenüber Migranten aus anderen Kulturen zu verbessern.
Wenn Migranten in Fernsehbeiträgen die Einheimischen über ihre Kultur informieren, führt das zu mehr Verständnis und so zu Toleranz. Die „soziokulturellen
Kompetenzen“ werden auf beiden Seiten benötigt, um die Verständigung zwischen
Aufnahmegesellschaft und Migranten zu verbessern. Sie würden dazu beitragen,
Missverständnisse zu vermeiden und offener gegenüber dem jeweils Anderen zu
werden.
4.3 Das Republikanische Integrationsmodell
Das in Frankreich praktizierte Integrationsmodell wird als „Republikanische
Integration“ bezeichnet, dessen wichtigstes Merkmal die grundlegende Unterteilung des Integrationsprozesses in eine öffentliche und eine private Sphäre ist.
Bezogen auf die öffentliche Sphäre wird von den Migranten eine eindeutige
Anpassungsleistung an die grundlegenden, politisch-rechtlichen Normen des
Aufnahmelandes erwartet, womit vor allem der Respekt vor der öffentlichen
Grundordnung, die Beherrschung der Sprache sowie eine kulturelle Angleichung,
die für das gleichberechtigte Zusammenleben von Einheimischen und Migranten
notwendig ist, gemeint ist. Genauso eindeutig wird den Migranten in ihrer
65
Privatsphäre die Bewahrung ihrer ethnisch-kulturellen Partikularitäten zugestanden, wenn diese nicht im Konflikt mit staatsbürgerlichen Normen stehen. Die
Angehörigen der Aufnahmegesellschaft schulden den Migranten in diesem Modell
Toleranz und Respekt für ihre privat eventuell unterschiedliche Lebensweise.90
Moderne Nationalstaaten sind jedoch auch ohne erhebliche Zuwanderung keine
kulturell homogenen Gebilde mehr, sondern durch regionale, religiöse und
schichtspezifische Unterschiede in sich selbst kulturell heterogen. Innerhalb von
Nationalstaaten gibt es also verschiedene soziokulturelle Milieus und unterschiedliche Zivilisationsstile. Auch in der Europäischen Union gibt es keine Nation,
die nur aus einem Volk, einer Kultur oder Ethnizität besteht und nicht kulturell
hybrid ist. Um zu betonen, dass kulturelle Einheitlichkeit dem empirischen Gehalt
moderner Gesellschaften nicht entspricht, sondern dass heutige Gesellschaften
durch die Vielfalt möglicher Identitäten gekennzeichnet sind, wird in den Sozialwissenschaften statt von Kultur häufig von Transkultur gesprochen. Dieser
Sachverhalt sollte nicht nur in der Debatte um die Integration von Migranten
beachtet werden, denn die Forderung nach Achtung von Unterschieden im
privaten Leben ist die grundlegende Basis für das Zusammenleben von Menschen
unterschiedlicher sozialer, religiöser und regionaler Herkunft.91
Traditionell wird die Integration in die französische Gesellschaft als individueller
Prozess betrachtet. Die Nation besteht demnach nicht aus verschiedenen Gruppen
sondern aus Individuen, was bedeutet, dass Gleichheit als die Gleichheit von
Individuen verstanden wird. Diese haben der idealtypischen Vorstellung nach
jeweils für sich die Möglichkeit, sich als Staatsbürger in die Gesellschaft
einzubringen. Eine Gleichberechtigung von Gruppen ist nicht vorgesehen, denn
zwischen Staat und Individuum sollen sich keine intermediären Instanzen
ansiedeln, welche die Interessen von Gruppen vertreten. Migrantengruppen,
welche partikulare Interessen formulieren und vertreten, werden als diesen
Prinzipien der „französischen Universalität“ entgegenstehend begriffen. Ethnische
90
91
Vgl.: Beger (wie Anm. 72), S. 91f.
Vgl. ebd., S. 92f.
66
oder religiöse Merkmale verbleiben im privaten Raum und dürfen keinesfalls
Grundlage für politisches Verhalten sein.92
Kulturelle oder andere kollektive Gruppenmerkmale sind für den Staat nicht
existent, da sie weder Anlass zur Diskriminierung noch Grund für eine besondere
Förderung sein sollen. Integration ist nach diesem Verständnis ein Prozess, der im
Übergang von fundamentaler Andersartigkeit zu absoluter Identität besteht. Eine
wichtige Assimilationsinstanz in Frankreich ist das öffentliche Schulsystem, das die
Kinder der regionalen
Minderheiten und
Einwanderer erfolgreich
in
die
französische Gesellschaft integriert. Die Schule wird als Ort wahrgenommen, der
die Vermittlung der französischen Sprache und Werte leistet und damit den
Grundstein für die erfolgreiche Integration legt. Hier ist das wichtigste Prinzip die
säkulare Erziehung, welche Religionsgemeinschaften verbietet, irgendeinen
Einfluss auf den Unterricht der öffentlichen Schulen zu nehmen.93
Im Rahmen einer „Republikanischen Integration“ bei der Migranten in ihrem
Privatleben ausdrücklich eine kulturelle Eigenständigkeit zugestanden wird und
keine völlige bis ins Private reichende Assimilierung verlangt wird, können aber
auch Konflikte entstehen. Diese treten vor allem bei der genauen Definition von
„privat“ und „öffentlich“ auf. Diskussionen über das Kopftuch, die es auch in
Deutschland gibt, können sich schnell zum Gegenstand erbitterter politischer
Auseinandersetzungen entwickeln, welche Migranten und Majorität gleichermaßen
in Mitleidenschaft ziehen. In solchen Fällen kommt es auf die beiderseitige
Kompromissbereitschaft an, die das Ausarbeiten eines Konsenses, der Zugeständnisse an beide Seiten macht, ermöglicht. Dieses Modell funktioniert also nur, wenn
die Migranten nicht von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt werden und sie
andererseits bereit sind, bestimmte Anpassungsleistungen an einen politisch
formulierten Grundkonsens zu erbringen. Hier ist es die Aufgabe der Politik, Tendenzen gegen den gemeinsamen Grundkonsens zwischen Migranten und
Aufnahmegesellschaft zu verhindern. Hauptsächlich muss gegen rassistisches
Verhalten von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft und segregative, fundamenta92
Vgl.: Wehrhöfer, Birgit: Der französische Migrationsdiskurs als Beitrag zur ethnischen Grenzziehung Europas, Braunschweig 1997, S. 10.
93 Vgl.: Wehrhöfer (wie Anm. 92), S. 11.
67
listische und undemokratische Handlungsweisen der Migranten vorgegangen
werden.94
Das Zugeständnis an Migranten, ihre eigene Kultur im Privatleben zu praktizieren,
als Gegenleistung für die bedingungslose Anerkennung des Aufnahmestaates ist
ein vorbildliches Konzept. Die gesellschaftlich festgelegte Toleranz gegenüber den
Migrantenkulturen schafft Vertrauen bei den Einwanderern und das Bekenntnis
zum Aufnahmeland seitens der Migranten sorgt für deren Akzeptanz bei den
Einheimischen. Ließe sich dies problemlos realisieren, wären politische Migrantenvereinigungen, die als Lobby für die Durchsetzung von mehr Rechten für Zuwanderer dienen, tatsächlich überflüssig. Doch die Trennung von privatem und
öffentlichem Leben ist gerade in kulturellen Fragen nicht einfach zu ziehen. Von
einer solchen staatlichen Integrationslösung sind die meisten europäischen Länder
und nicht zuletzt Deutschland noch weit entfernt. Gerade deshalb ist die Entwicklung neuer Integrationsmethoden, wie sie bei IMES in den Bereichen „Neue
Medien“, „soziokulturelle Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ angestrebt werden, auch wichtig in Bezug auf Veränderungen der staatlichen Inte-grationsfragen.
5. Nutzung der „Neuen Medien“ für einen partizipativen Integrationsprozess von Migranten
Im
deutschsprachigen
Medienbereich
wird
das
Thema
Migranten
recht
konjunkturell behandelt, wobei es meistens negativ besetzt oder auf Betroffenheit
ausgelegt ist. Zudem wird über relevante Fragen der Migration und Integration
noch verkürzt und somit oft entstellend berichtet. Die derzeitige Debatte um die
Zukunft der Zuwanderung hat aber auch in den Medien zur Versachlichung
beigetragen. Zum anderen gibt es, vor allem beim Hörfunk, Sender, welche die
Informationen über und für Migranten in Fremdsprachen ausstrahlen. Doch
während es im Fernsehen kaum ein Angebot für Migranten gibt, sind die Angebote
im Radio gut gemeinte und gut gemachte, doch die Zielgruppe nicht erreichende
94
Vgl.: Beger (wie Anm. 72), S. 95f.
68
Programme. Deshalb sind interkulturelle Inhalte schlecht für die Quote, was dazu
führt, dass Fremdheit und kulturelle Vielfalt als Bedrohung und nicht als Bereicherung gesehen werden.
IMES möchte die Integration von Migranten durch die Nutzung der „Neuen Medien“
verbessern. Dies soll partizipativ geschehen, denn Migranten wissen selbst am
besten, welche Themen für sie interessant und wichtig sind. Dadurch wird zum
einen die Zielgruppe erreicht und zum anderen können Migranten sich in den
Medien selbst darstellen und das so, wie sie wirklich sind. Natürlich soll auch der
übrigen deutschen Bevölkerung ein differenzierteres Bild der Migranten, als in den
Medien üblich, gezeigt werden. Dies soll durch die Herstellung von Beiträgen für
den Offenen Kanal, durch die Nutzung des Bürgerradios und des Internets
geschehen. Um das Bild der Migranten in den Medien zu verändern, muss aber
zunächst einmal deutlich werden, wie dies in der Medienlandschaft derzeit behaftet
ist.
5.1 Das Bild der Migranten in den „Neuen Medien“
Da die Tatsache kultureller Vielfalt in unserer Gesellschaft unbestreitbar ist, bleibt
die entscheidende Frage, wie in den Medien damit umgegangen wird. Wie werden
Selbst- und Fremdbilder in Rundfunk und Fernsehen suggeriert? Welches Bild
zeichnen die Medien von der gesamten Gesellschaft?
Im deutschen Rundfunk wird die Gesellschaft als ethnisch-kulturell differenziert
und desintegriert dargestellt. Medien sind auf Sprache, die ein hohes Maß an
ethnischer Abgrenzung hervorrufen kann, angewiesen, da sie mit ihr agieren. Doch
auf die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit wird in den Medien kaum eingegangen.
Sendungen sind mit steigender Tendenz einsprachig. Sogar Interviews in einer
anderen Sprache werden synchronisiert und Produktionen in Fremdsprachen sind
die Ausnahme, womit der Rundfunk der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht
gerecht wird. Zwar gibt es den Mehrkanalton, der aber häufig nur für
englischsprachige Filme im Original genutzt wird. Ausnahme ist Premiere, wo seit
69
Sommer 2000 im Mehrkanalton neunzig Prozent der Fußballspiele auch in den
jeweiligen Landessprachen übertragen werden. Da es sich um Pay-TV handelt,
lässt sich vermuten, dass sich dies wirtschaftlich rentiert.95
Die Internationalisierung des Medienangebots entspricht nicht der kulturellen
Gesellschaftssituation, da die Entwicklungen neuer Alltagskulturen auf der Grenze
zwischen Eigenem und Fremdem ausgeblendet werden. Ausdruck dieses
Kulturmixes ist zum Beispiel der Sprachmix unter zweisprachigen Jugendlichen.
Unter ihnen entwickeln sich eigene Stile, Wortschätze und grammatische Regeln,
die im Rap öffentlich werden. Jugendliche Migranten haben ein Selbstverständnis
als Grenzgänger entwickelt und wollen nicht auf eine Kultur, auf ihr Herkunftsland
oder in diesem auf Deutschland festgelegt werden. Diese Wirklichkeit kommt in
den Rundfunkmedien aber nicht vor. Obwohl hier viele ausländische Sender
empfangen werden, gibt es noch keine große gegenseitige Wahrnehmung. Die
Printmedien scheinen da schon fortgeschrittener zu sein. Der Tagesspiegel (Berlin)
bringt jeden Montag eine Presseschau der türkischen Tageszeitungen in deutscher
Sprache, die taz erscheint einmal in der Woche in türkischer Sprache und das
Lifestyle Magazin ETAP macht deutlich, dass junge Leute mit türkischem
Hintergrund in deutscher Sprache über ihr Leben in Deutschland lesen wollen.96
Die Sendeanstalten werden ihrem Anspruch auf Repräsentanz der kulturellen
Vielfalt in den Medien nicht gerecht, denn die Migranten kommen hier weit weniger
vor, als ihrer Anzahl in der Bevölkerung entspricht. Nach der Reform der ARD
(Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland) Ausländerprogramme 1999 gibt es einstündige Abendsendungen in ausländischen Sprachen und ergänzende Regionalprogramme.
Innerhalb des deutschen Sektors kommen Migranten sowohl bei den öffentlichrechtlichen als auch den Privatsendern so gut wie gar nicht vor. Hauptsächlich gibt
es diese Unterrepräsentanz im „Normalen“. Wenn auf der Straße Leute zu banalen
Themen, politischen Ereignissen und ähnlichem befragt werden, ist unter den
93
Vgl.: Neumann, Ursula: Kulturelle Selbst- und Fremdbilder in den elektronischen Medien. In:
Ausländerbeauftragte der Freien Hansestadt Hamburg und der Hamburgischen Anstalt für neue
Medien (HAM) (Hrsg.): Medien, Migration, Integration. Elektronische Massenmedien und die
Grenzen kultureller Identität, Berlin 2001, S. 28.
94 Vgl. ebd., S. 29.
70
Befragten fast nie eine Türkin mit Kopftuch oder ein Muslim mit Turban. Die
Probleme der Migranten werden außerdem nicht als Probleme der potentiellen
Zuschauer gewertet. So entsteht der Teufelskreis, dass Migranten nicht Fern
sehen, weil sie thematisch nicht vorkommen und daraus resultierend nicht zum
Zielpublikum zählen. Noch dazu berichten und diskutieren fast ausschließlich
Deutsche über Migranten. Wer weiß denn schon, wie zum Beispiel Türken über
das neue Staatsangehörigkeitsrecht denken?97
Es bestehen weiterhin gefährliche Bilder von Ausländern, die jeder Journalist
eigentlich als Stereotype ablehnen müsste. Vor allem das des kriminellen
Ausländers wird durch die Wiedergabe entsprechender Polizeimeldungen forciert.
Dabei legt der Pressekodex des Deutschen Presserats in seiner Richtlinie 12.1
fest, dass religiöse, ethnische oder sonstige Minderheitenzugehörigkeiten des
Täters nur erwähnt werden sollen, wenn ein begründeter Sachbezug für das
Verständnis des Ereignisses besteht.98 Auch das Stereotyp der türkischen Frau
wird den Vorurteilen entsprechend bedient. Hierbei ziehen vor allem die
Gegensätze einer Kopftuch tragenden Mutter neben ihrer westlich gekleideten
Tochter
oder
einer
Teenagerin
mit
Kopftuch
und
Plateausohlen
die
Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Auch das Feindbild des dämonischen
Islam wird in den Medien weiterhin stilisiert, obwohl in Europa zur Zeit fünfzehn
Millionen Muslime leben. Hier wäre dringend eine differenzierte Berichterstattung
nicht nur über sondern mit den Muslimen nötig. Bei der Berichterstattung über
Migranten überwiegen die Fremdbilder gegenüber den Selbstbildern erheblich,
während die Perspektive des Migranten auf den Deutschen so gut wie nicht
vorhanden ist. Selbst in Artikeln, in denen es um Ausländer geht, reden Deutsche
über sie. Vor allem über persönliche Schicksale, Hintergründe von Einreise und
Einwanderung der Migranten gibt es kaum Medieninteresse.99
Die Asyldebatte Anfang der neunziger Jahre in den Medien und die Art und Weise
der Darstellung von Migrationsprozessen und -problemen hat maßgeblich dazu
beigetragen, dass in den Köpfen der Gesellschaft das Bild eines von Ausländern
97
Vgl.: Neumann (wie Anm. 95), S. 30.
In: Neumann (wie Anm.95), S. 30.
99 Vgl. ebd., S. 31f.
98
71
bedrohten Deutschlands entstehen konnte. Von den Printmedien wurde eine
Bedrohungssituation geradezu konstruiert. Beim Bearbeiten von als problematisch
erkannten Entwicklungen sollte ein Journalist vorhandene Unsicherheiten und
Ängste zwar ernst nehmen, aber nicht verstärken oder sogar instrumentalisieren.
Genau dies ist aber passiert, da sie die Angst vor Fremden und Unbekanntem –
personifiziert in Migranten – in geradezu verantwortungsloser Weise bestärkt und
in eine feindliche Haltung gelenkt haben.100
Tatsache ist, dass 1991 nach Deutschland 260 000 Flüchtlinge kamen, während
nach Pakistan 3,6 Millionen kamen. Darüber hinaus verließen 545 000 Ausländer
Deutschland. In einem Monat kommen 32 000 Asylbewerber nach Deutschland,
während ein Entwicklungsland wie Malawi 89 000 im gleichen Zeitraum verkraften
muss. Politiker instrumentalisieren dieses Thema trotz gegenteiliger Zahlen, um im
Wahlkampf zu punkten, doch Zeitungen und Rundfunk sollten sich nicht die
jeweilige Sicht der Parteien und ihrer Vertreter zu eigen machen, sondern die
unterschiedlichen
Sichtweisen
kritisch
reflektieren
und
mit
differenzierter
Wahrnehmung durchbrechen. Nicht legitim ist, wenn sie stattdessen eine Realität
darstellen, in welcher sie die von den einzelnen Politikern gezeichneten Bilder
noch verstärken. Wie differenziert Journalisten das Thema Migration behandeln,
lässt sich daran erkennen, welche Rolle die Flüchtlinge in ihren Berichten spielen –
Opfer, Täter, hilfsbedürftig, bedroht oder bedrohend? Sind es Alltagsdarstellungen
oder dramatische, sensationelle Ausnahmesituationen? Werden sie als Träger
einer fremden, bereichernden Kultur oder als Konsumenten des Wohlstandes
dargestellt?101
Das Bild der Asylantenströme wurde in den Printmedien Anfang der neunziger
Jahre stark ausgebaut. Während man von der Bild-Zeitung Worte wie „Flüchtlingsfront“ erwartet und sich die Süddeutsche mit der „Angst auf dem Boot“ noch vorsichtig ausdrückte, war es für den Spiegel selbstverständlich, dass es zu viele
Ausländer in Deutschland gibt und zu viele Asylbewerber hier Zuflucht suchen. Die
100
Vgl.: Rosenthal, Claudius: Zur medialen Konstruktion von Bedrohung. Die Rolle der Medien im
Migrationsdiskurs. In: Holtz-Bacha, Christina/ Nieland, Jörg-Uwe/ Schatz, Heribert (Hrsg.):
Migranten und Medien. Neue Herausforderungen an die Integrationsfunktion von Presse und
Rundfunk, Wiesbaden 2000, S. 196.
101 Vgl. ebd., S. 198f.
72
Bild-Schlagzeile „Das Boot ist voll!“ wurde eine neue, ungemein populäre Metapher
im Einwanderungsdiskurs.102
„Die dieses Bild vom vollen Boot wohl am nachhaltigsten prägende Visualisierung fand sich
erneut auf einer Titelseite des Spiegel, und zwar ebenfalls in der Ausgabe vom 9. September
1991 – keine zehn Tage vor den berüchtigten Ausschreitungen in Hoyerswerda am 17.
September 1991.“103
In den Medien wurde schnell erkannt, dass nicht nur das Boot sondern auch die
Wohnungen und der Arbeitsmarkt voll sind, wohingegen die öffentlichen und
privaten Kassen leer sind. Nichts lag einigen Zeitungen da näher als die
Überfüllung auf der einen und die Leere auf der anderen Seite in Zusammenhang
zu bringen und den Ausländern mit ihren Bemühungen um Arbeit und den
Flüchtlingsströmen die Schuld zu geben. So wurden Vorurteile aufgebaut, welche
die Wahrnehmungsweise und damit politische Meinung so beeinflussten, dass
Ängste und Unsicherheiten bestärkt und Auseinandersetzungen emotionalisiert
statt rationalisiert wurden. Zwar gab es auch nüchterne und sachliche
Darstellungen in der Presse und die mediale Konstruktion der Bedrohung ist nur
ein Teil des Presse-Diskurses, aber ein wichtiger Teil, der einem bei der
Migrantendiskussion immer wieder begegnet.104
Nach rassistischen Anschlägen in Deutschland hat diese Art der Berichterstattung
den Medien Kritik und Schuldzuweisungen eingebracht. In den Printmedien wird
seitdem eher versucht, rassistische Effekte zu vermeiden. Doch das ist noch weit
entfernt von einer ausgewogenen Berichterstattung über Migranten als selbstverständlichen Teil des Alltagslebens. Bei Meldungen über Kriminalität etwa wird
häufig die Herkunft der Täter in Verbindung mit dem negativen Ereignis
herausgestellt, was ethnozentristische Sichtweisen und Argumentationen forciert.
Für Journalisten ist die Berichterstattung über Straftaten von Migranten daher ein
Dilemma, da Kriminalität immer mit Abweichungen von Normen und daher mit
negativen Wertungen verbunden ist.105
102
Vgl. ebd. 203f.
Rosenthal (wie Anm. 100), S. 204.
104 Vgl. ebd., S. 204f.
105 Vgl.: Jäger, Siegfried: Von deutschen Einzeltätern und ausländischen Banden. Medien und
Straftaten. In: Holtz-Bacha, Christina/ Nieland, Jörg-Uwe/ Schatz, Heribert (Hrsg.): Migranten und
Medien. Neue Herausforderungen an die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk,
Wiesbaden 2000, S. 207f.
103
73
Die Medien prägen die Vorstellungen über Ethnizität, womit Prozesse der Selbstzuschreibung, meist aber Fremdzuschreibung verbunden mit entsprechenden
Erwartungen an das Verhalten der betroffenen Gruppe, gemeint sind. Diese Bilder
werden von den Medien mitgezeichnet oder gar erst erfunden. Oft überzeichnen
sie, um etwas zu verdeutlichen oder zu karikieren, dadurch wird selbst dann, wenn
die Medien das Gegenteil erreichen wollen, ein implizierter Rassismus wirksam.
Die Medien sollten gegen das Stereotyp, dass Rassismus etwas mit dem
Vorhandensein von Einwanderung zu tun habe, vorgehen, weshalb sie nicht mit
Argumenten auf Ausländerfeindlichkeit reagieren sollten, die auf rassistischen
Ideologien beruhen (Einwanderungszahlen, Nützlichkeitserwägungen, Ursachenanalysen). Die Frage ist, ob Migranten im großen Spektrum der Medienangebote
die Möglichkeit haben, an der Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern der
verschiedenen Gruppen einer multikulturellen Gesellschaft mitzuwirken. Voraussetzung hierfür sind politische Teilhabe und Strukturen, welche auch Minderheiten
den Zugang zu Medien eröffnen. Dies ist nur möglich, wenn die Organisationsstrukturen
überprüft,
Leitlinien
vereinbart
und
Durchführungs-maßnahmen
entwickelt werden, was bisher in den Rundfunkanstalten noch nicht passierte. Die
Medien sollten die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Gesellschaft als Normalitätskonzept sehen, was scheinbar einer eigenen Aufmerksamkeit und einer
erklärten Zielvereinbarung bedarf.
Es gibt aber auch Kritiker, wie den Medienjournalisten Volker Lilienthal106, welcher
der Meinung ist, das deutsche Fernsehprogramm sei eine permanente Sympathiewerbung für fremde Kulturen und in Deutschland lebende Migranten. Fast täglich
würden Sendungen laufen, in denen den Deutschen vorgehalten werde, wie wenig
herzlich sie mit ihren ausländischen Mitbürgern umgehen würden. Die Macher
dieser Sendungen würden in der Rolle des gerechten Volkspädagogen nicht
bemerken, dass Beiträge fehlen würden, welche die Widersprüche und Konflikte
des interkulturellen Zusammenlebens aufzeigen.107 Auch diese Kritikpunkte
müssten auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht werden, doch solange sich die
106
107
In: Jäger (wie Anm. 105), S. 208.
Vgl. ebd.
74
Bundesrepublik nicht auf die Tatsachen eines Einwanderungslandes einstellt, wird
das Thema in den Medien in keinem Fall den entsprechenden Stellenwert erhalten.
Natürlich wären die Medien allein damit überfordert, ein friedvolles, interkulturelles
Zusammenleben in der Zukunft zu gestalten, aber sie könnten viel mehr dazu
beitragen als bisher. Eine vernünftige Einwanderungspolitik können sie jedoch
nicht ersetzen.
5.2 Möglichkeiten deutscher und muttersprachlicher Medien für die
partizipative Integration von Migranten
In den Medien werden Ausländer in Deutschland oft als anonyme Masse gesehen
und es wird ein undifferenziertes Bild von ihnen gezeichnet. Vor allem die
Weiterentwicklung, die in der zweiten und weiteren Generation stattgefunden hat,
wird nicht berücksichtigt. Türken und besonders die „Frau mit dem Kopftuch“
werden realitätsverzerrend als Symbol für die Mehrzahl der Migranten dargestellt.
Positive oder nur normale Bilder aus der Alltagswirklichkeit im Zusammenleben
zwischen Einheimischen und Zugewanderten fehlen ebenso wie grundsätzliche
Informationen und Hintergrundberichte. So wird bei Umfragen die Zahl der
Ausländer in Deutschland weit überschätzt, meist wird sogar eine doppelt so hohe
Zahl angegeben wie tatsächlich zutreffend wäre, und das auch von Personen, die
keine Vorbehalte gegen Ausländer haben. Diese Überschätzung könnte zumindest
teilweise von der dramatisierten Darstellung des Ausländerthemas in den Medien
resultieren. Gegen dieses Zerrbild könnten Migranten vorgehen, welche die
Möglichkeit bekommen, selbst in den Medien aktiv zu werden und über sich zu
berichten, indem sie Hintergründe ihrer Kultur und ihres Lebens in Deutschland
aufzeigen.
Ausländische Medien und Medienangebote für Migranten in Deutschland sind ein
spannungsreiches Feld. Unter dem veralteten Begriff „Gastarbeiterpresse“ werden
zurzeit über 50 regelmäßig erscheinende ausländische Zeitungen und Zeitschriften
geführt. Schon 1951 verlegte die italienische Wochenzeitung „Corriere d´Italia“
75
ihren Sitz nach Frankfurt und auch Türken, Griechen, Spanier und frühere
Jugoslawen versuchten im Lauf der Zeit, eigene Tageszeitungen für ihre
Landsleute in Deutschland anzubieten. Zahl und Auflage dieser Publikationen
schwanken ständig. Im Moment sind die türkischen Zeitungen, die sich mit sieben
Titeln etabliert haben, mit 200 000 Exemplaren am Auflagen stärksten. Gerade
diesen wird aber in den letzten Jahren vorgeworfen, sie würden ein negatives Bild
von Deutschland vermitteln und so mit ihrer arroganten und selbstgerechten
Berichterstattung der Integration der in Deutschland lebenden Türken schaden, wie
der Medienwissenschaftler Prof. Siegfried Quandt108 kritisiert. Vertreter türkischer
Medien weisen dies entschieden zurück und betonen im Gegenzug die Fehler in
der Berichterstattung deutscher Medien. Solche gegenseitigen Schuldzuweisungen
verhindern oft den notwendigen Dialog zwischen der deutschen und der
Migranten-Seite. Tatsache ist, dass seit Bestehen des deutschen Presserates zum
ersten Mal eine fremdsprachige Publikation beanstandet wurde, weil die türkische
Zeitung „Hürriyet“ den Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg, als
„PKKler Oberbürgermeister“ bezeichnet hat, was als falsche Behauptung und
Ehrverletzung im Sinne des Pressecodex erkannt wurde.109
Untersuchungen zeigen, dass sich bei Türken ein Trend zu deutschen
Publikationen abzeichnet. Bei ihnen ist mit achtzehn Prozent die deutsche Tageszeitung am Wohnort die meistgelesene Zeitung, gefolgt von „Hürriyet“ mit vierzehn
Prozent. Der Anteil der Migranten, die auch deutsche Zeitungen und Zeitschriften
lesen, steigt insgesamt. Schon 1985 wurde in einer Befragung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung festgestellt, dass deutsche Zeitungen
von ihnen etwa genauso häufig gelesen werden wie Zeitungen in der Muttersprache. Auch die deutschen Radio- und Fernsehprogramme haben für Migranten
nahezu die gleiche Bedeutung wie für Deutsche. Ebenso werden die seit 1964
bestehenden Ausländerprogramme der ARD für Italiener, Türken, Griechen,
Spanier und ehemalige Jugoslawen weiterhin stark gehört. Sie stellen eine
In: Meier-Braun, Karl-Heinz: Migration in den Medien – 10 Thesen und Fragen, Hildesheim
2003b. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=34&mode=threat&or
der=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
109 Vgl.: ebd.
108
76
Orientierungshilfe für das Leben in Deutschland sowie eine Brückenfunktion zum
Herkunftsland dar. In den letzten Jahren entstand aber auch eine starke Nutzung
von fremdsprachigen Funk- und Fernsehprogrammen über Satellit und Kabel. So
haben fast 86% der türkischen Haushalte die Möglichkeit, Sendungen in ihrer
Muttersprache auf diesem Weg zu empfangen.110
Über dieses Angebot an Sendungen weiß die deutsche Seite so gut wie gar nichts.
Bei den ausländischen Tageszeitungen könnte zum Beispiel ein regelmäßig
erscheinender Übersetzungsdienst zu einem besseren Verständnis beitragen.
Außerdem sollten die ausländischen Medien selbst ihr Konzept, welches meistens
auf Berichte aus dem Herkunftsland ausgerichtet ist, überdenken. Dieses sollte
besser zu einer Orientierungshilfe zum Leben in Deutschland ausgebaut werden.
Ebenso wie sich die türkische Presse in Deutschland mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, sie würde ein verzerrtes Deutschlandbild vermitteln, müssen
deutsche Zeitungen und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Migranten
stärker als Zielgruppe in ihre Konzepte einbeziehen. Um ihrem Auftrag zu folgen,
können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten es sich nicht leisten,
ausländische Minderheiten von ihrem Medienangebot abzukoppeln. Für die
deutschen Regionalzeitschriften liegt eine Leserschaft brach, die als Anzeigenund Abonnentenkunden in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird. Ein
regelmäßiger Informations- und Journalistenaustausch zwischen deutschen und
ausländischen Redakteuren könnte die Berichterstattung auf beiden Seiten
verbessern. Deutsche und muttersprachliche Redaktionen haben sich jedoch
insgesamt noch nicht ausreichend darauf eingestellt, dass die meisten Migranten
für immer hier bleiben werden. Deren Integration, besonders die der zweiten und
dritten Generation, kann nur gelingen, wenn sie sich als Teil der Gesellschaft auch
in den Medien wieder finden.
Als positives Beispiel ist der SWR (Südwestdeutscher Rundfunk) hervorzuheben,
welcher als erster und bisher einziger Sender die Stelle eines Ausländerbeauftragten eingerichtet hat. Dies ist der Versuch, durch gezielte Einflussnahme
an wichtigen Stellen des Senders ständig auf das vielfältige Thema Ausländer
110
Ebd.
77
aufmerksam zu machen. Die Ausländerredaktion sendet jeden Freitag, Samstag
und Sonntag eine Stunde die Reihe „SDR (Süddeutscher Rundfunk) international“
– ein regionales Zusatzangebot. Freitags gibt es außerdem eine multikulturelle
Magazinsendung in deutscher Sprache, samstags werden aktuelle Charts aus
Kroatien, der Türkei, Italien und Griechenland präsentiert und sonntags wird eine
Sendung mit aktuellem Schwerpunktthema im digitalen Radio sogar in mehreren
Sprachversionen ausgestrahlt. Des Weiteren werden im Sender interne Fort- und
Weiterbildungsveranstaltungen angeboten, der Ausländerbeauftragte arbeitet eng
mit der Verwaltung zusammen, so wie er sich auch um Praktikanten und
Auszubildende aus Zuwandererfamilien, deren Zahl sich entscheidend erhöht hat,
kümmert. Die SWR-Ausländerredaktion wird auch weiterhin Internetseiten in acht
Sprachen, Aktionen wie den Schreibwettbewerb „40 Jahre Gastarbeit“ und das
„Radioforum Ausländer bei uns“ anbieten. Außerdem hat der Sender mit
Unterstützung der EU in Brüssel das digitale Radio für Zuwanderer entwickelt. Seit
dem 1. Mai 2003 werden regelmäßig drei neue Sendungen für Migranten und
Einheimische auch über Mittelwelle ausgestrahlt. Der Sender Freies Berlin strahlt
seit knapp vier Jahren das Programm „SFB 4 Multikulti“ aus, das im Großraum
Berlin in sechzehn Sprachen angeboten wird und in dieser Form europaweit
einmalig ist.111
Wünschenswert wäre darüber hinaus die Verbesserung der frequenz-technischen
Versorgung mit ARD-Ausländerprogrammen. Eine flächendeckende Versorgung
über Mittelwelle und die Nutzung weiterer UKW-Frequenzen zu den Sendezeiten
von SWR International könnten diese Situation verbessern. Im Alltag entscheidet
sich, ob das Miteinander zwischen Mehrheit und Minderheiten gelingen oder
misslingen wird. Und zu diesem Alltag gehört auch die Möglichkeit der medialen
Partizipation. Dazu gehört, dass sich die ausländische Bevölkerung in den Medien
wieder findet, sich dort aber auch artikulieren kann.
111
Vgl.: Meier-Braun, Karl-Heinz: Migranten in Deutschland: Gefangen im Medienghetto?,
Hildesheim 2003a. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=11&mode=thread&o
rder=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
78
Doch ausländische Journalisten selbst und somit natürlich auch Migranten sind in
den deutschen Medien immer noch Mangelware. Auch 40 Jahre nach Ankunft der
ersten Gastarbeiter gibt es kaum Migranten unter den Journalisten, vor allem nicht
in den Printmedien. Jedoch wäre es nötig, dass sie das redaktionelle Arbeiten
bereichern, Sachverstand einbringen, die Berichterstattung erleichtern und ein
neues Publikum an die Medien binden. Besonders die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten versuchen, das Thema „Ausländer“ insgesamt stärker in der Ausund Fortbildung zu verankern. Das „Radioforum Ausländer bei uns“, das der SDR
seit zehn Jahren anbietet, ist ein gutes Vorbild. Es ist heute die größte Fortbildungsveranstaltung dieser Art in Deutschland, bei der gezielt das Thema
„Ausländer und Medien“ behandelt wird. Dieses „Radioforum“ wurde nie als
geschlossene Veranstaltung der ARD ausgerichtet. Dadurch, dass es immer offen
war für Vertreter aus der Migrantenarbeit, entstanden Netzwerke, Anregungen und
kritische Diskussionen, die zu zahlreichen positiven Entwicklungen beitrugen. Aber
Nichtdeutsche sind in den Medien immer noch in einer Weise unterrepräsentiert,
dass viel über sie geschrieben und gesendet wird, sie selbst aber wenig zu Wort
kommen.112
Diese Netzwerkbildung des Radioforums ist Vorbild für die gesamte Integrationsarbeit von IMES und soll auch bei der Nutzung der neuen Medien umgesetzt
werden. Zum einen wird durch das Internet ein Netzwerk, in dem Informationen
ausgetauscht und Kontakte aufgebaut werden, erschaffen. Zum anderen soll durch
die Nutzung der Bürgermedien ein differenzierteres Bild der Migranten, in
Zusammenarbeit von Deutschen und Migranten, dargestellt werden. Diese
Sendungen sollen die Situation der Migranten in der Gesellschaft sowohl
Deutschen als auch Migranten näher bringen. Informationen über Migranten
erleichtern es der Majorität, die Minorität in die Gesellschaft zu integrieren.
Migranten schaffen sich ein Kommunikationsforum, in dem sie Probleme thematisieren, Alltagshilfen geben können und sich auch zwischen den verschiedenen
Kulturen, nicht nur in ihrer eigenen, austauschen können.
112
Vgl.: Meier-Braun (wie Anm. 111).
79
5.2.1 Können Bürgermedien eine neue Methode für die partizipative
Integration von Migranten sein?
Am 23.4.2003 berichtete der zuständige Redakteur Andreas Troché beim Treffen
des deutschen IMES Advisory Boards über seine Erfahrungen beim Offenen Kanal
Hamburg. Bevor man über die Möglichkeiten für Migranten in einem Bürgermedium diskutiert, muss man die Bedingungen kennen, unter denen man sich dort
artikulieren kann. So unterliegt der Offene Kanal Hamburg dem Hamburger
Mediengesetz, in welchem 1988 die Einrichtung eines Offenen Kanals beschlossen wurde. Er ist keinesfalls eine öffentliche Institution wie etwa eine
Stadtbibliothek. Folgende Ziele des Offenen Kanals Hamburg definieren ihn als
Bürgermedium:
- er wird als Ergänzung bzw. Bestandteil einer pluralistischen Medienlandschaft
in Hamburg gesehen
- der Offene Kanal hat keinen Programmauftrag wie andere öffentliche Sender,
sondern stellt vor allem ein Angebot zur Nutzung dar
- quotenunabhängige Finanzierung aus einem Anteil an den Hamburger Rundfunkgebühren, keine Werbung oder Sponsoring
- Produktions- und Sendekapazitäten für Radio und Fernsehen werden für
Hamburger Bürger zur Verfügung gestellt
- der Offene Kanal richtet sich an Minderheiten, denn sein Angebot soll vor
allem denjenigen gelten, die in den Medien nur unterdurchschnittlich zu Wort
kommen
- bei der Vergabe von Produktions- und Sendekapazitäten gilt das Prinzip des
Anstehens: Wer zuerst kommt, bekommt zuerst.
- lokale Verbreitung in Hamburg
- im Offenen Kanal machen Bürger, also Laien das Programm, das sich nicht
an professionellen Maßstäben orientieren muss
80
- Nutzer gestalten und verantworten ihre Beiträge selbst, Redakteure des Offenen Kanals informieren, beraten, unterstützen, geben also Hilfe zur
Selbsthilfe
- Beiträge müssen einen hohen Eigenanteil aufweisen, denn ein Offener Kanal
ist keine „Abspielstation“
- keine Zensur, aber Garantenpflicht des Offenen Kanals als Sender und Verbreiter für die Einhaltung der Programm- und Rechtsgrundsätze113
Die Entwicklungen in Hamburg zeigen, dass die Existenz eines Offenen Kanals
abhängig von politischen Entwicklungen ist. Da der Offene Kanal keine öffentliche
Einrichtung darstellt und seine Erfolge schwer gemessen werden können, ist er
leicht angreifbar. Daher sind das Verständnis und die Akzeptanz gegenüber
dessen Aufgaben und Aktivitäten in der Bevölkerung aber vor allem bei politischen
Funktionsträgern enorm wichtig. Als Bürgersender ohne inhaltliche Kontrolle zieht
der Offene Kanal jedoch ein gewisses Misstrauen auf sich. Typisch ist Besorgnis
darüber, dass der Offene Kanal von Radikalen missbraucht werden könnte, die
inhaltliche und technische Qualität der Beiträge schlecht oder die Unverständlichkeit von fremdsprachigen Sendungen problematisch sein könnten. Doch die
Praxis zeigt, dass es für diese Vermutungen keine Belege gibt. Trotzdem strebt der
Hamburger Senat zur Steigerung der Programmqualität die drastische Veränderung an, dass in Zukunft die Verantwortung der Beiträge nicht mehr beim
Nutzer sondern beim künftigen Träger liegt. Dadurch würde es dann eine
inhaltliche und qualitative Vorbewertung der Beiträge geben, womit ein
Kernelement des Bürgermediums Offener Kanal zerstört wäre.
Bis jetzt bietet der Offene Kanal Migranten die Möglichkeit, eigene Sendungen zu
produzieren und zu senden, muttersprachliche Sendungen dürfen seit Oktober
2001 nur noch mit Übersetzung, Untertitel oder im Zweikanalton gesendet werden.
Tatsächlich sind ausländische Nutzer im Offenen Kanal sehr aktiv, doch das
Nutzungsprofil entspricht nicht den demografischen Strukturen in Hamburg. So gibt
113
Vgl.: Troché, Andreas: Können Bürgermedien ein Ansatz für die Aktivierung von Migrantinnen
sein?, Hannover 2003. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=40&mode=threat&or
der=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
81
es entgegen der Bevölkerungsverteilung kaum türkische Sendungen, jedoch zum
Großteil afghanische/persische Sendungen. Das Fernsehen wird vorrangig von
Älteren für Ältere genutzt, was bedeutet, dass die Zielgruppe die eigene Gruppe ist
und somit keine interkulturellen Ziele verfolgt werden. Es handelt sich überwiegend
um Unterhaltungssendungen, deren Motivation darin liegt, die eigene Kultur zu
bewahren, weshalb sie in der Muttersprache sein sollen. Diese Sendungen haben
einen großen Bekanntheitsgrad und Feedback in der eigenen Community, weshalb
die Nutzerschaft kein Potential für die Weiterentwicklung zu interkulturellen
Sendungen darstellt. Schon Auflagen zur Verständlichkeit werden als diskriminierend empfunden.114
Um den eigenen Sender weiterzuentwickeln, möchte der Offene Kanal Hamburg
den interkulturellen Dialog durch Initiativen fördern. Mittlerweile besteht in der
Bundesrepublik eine gesellschaftliche Notwendigkeit für interkulturelle Konzepte,
die gegenseitiges Verständnis und interkulturelle Kompetenz fördern. Dazu
müssen Inhalte vermittelt werden, die für beide Seiten, also Migranten und
Majorität, interessant sind. Dies setzt Deutsch als gemeinsame Sprache voraus.
Offene Kanäle können also auf lokaler und regionaler Ebene eine wichtige
Plattform zur Information und Kommunikation für Migranten sein. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Aktivierung von Migranten ist deren Motivation.
Interkulturelle Sendungen sind am ehesten mit jüngeren Migranten machbar, weil
sie Deutsch kompetent beherrschen, denn die Kompetenz der deutschen Sprache
bestimmt die Programmform. Wer nicht gut Deutsch spricht und versteht, kann
Sendungen nur in der Muttersprache machen. Des Weiteren ist eine redaktionelle
Struktur mit Anleitung, Koordination und Programmgestaltung unerlässlich für
erfolgreiche Sendungen. Sobald Hilfen für die Produktionen angeboten werden,
sinkt auch die Hemmschwelle für Migranten und ihre Vereine, in den Bürgermedien
mitzuwirken und sie mitzugestalten.115
Das Konzept, mit deutschsprachigen Programmen aus der Ecke der Ausländerprogramme herauszutreten, ersetzt allerdings kein fehlendes, neues inter-
114
115
Vgl.: Troché (wie Anm. 113).
Vgl.: Troché (wie Anm. 113).
82
kulturelles Konzept. So könnte es schnell zum Sinken der Zuschauerzahlen und
zum Abschieben der Sendungen auf unattraktive Sendeplätze kommen. Damit
würde auch in den Bürgermedien kein befriedigender Beitrag zu interkulturellem
Dialog, Partizipation und Integration geleistet. Obwohl interkulturelle Sendungen
von Seiten der Offenen Kanäle unterstützt werden, gibt es nur wenige. Doch es
gibt erste Ansätze, bilingual zu senden und so auch zu einem Austausch der
unterschiedlichen Migrantengruppen untereinander zu kommen. Bei dieser sprachlichen Verständigung muss die Sprache der Mehrheitsgesellschaft die gemeinsame Plattform sein, damit ein interkultureller Bezug stattfinden kann. So könnte
ein Austausch zwischen allen Kulturen, innerhalb der Kulturen, gleichberechtigt
stattfinden und nicht nur zwischen Majorität und Minorität.
5.2.2 Integrationsleistungen der in Deutschland produzierten Websites für Migranten
Die Liste der türkischen bzw. deutsch-türkischen Internetseiten wächst. Diese
Möglichkeit der elektronischen Datenverarbeitung und -verbreitung ist beliebt. Das
Spektrum der Websites und der Homepageanbieter ist sehr unterschiedlich. Da
gibt es sowohl lokale, regionale und überregionale Internetseiten, als auch kommerzielle und nichtkommerzielle. Sie alle wollen die Benutzer informieren. Doch
wie stark und wofür ethnische Minderheiten in Deutschland das Internet nutzen ist
bisher kaum bekannt. Bei großen Studien wird nicht nach der Herkunft oder etwa
dem deutschen Pass gefragt. Doch eine Untersuchung der Berliner Marketingfirma
„LabOne“ (www.labone.de) ergab, dass unter den türkischen Internetusern
besonders viele über sieben Stunden in der Woche im Netz sind und somit zu den
so genannten „heavy usern“ gehören.
Die Verbreitung des Internets in der Türkei ist derzeit allerdings erst auf einem mit
dem von Deutschland von vor drei bis vier Jahren vergleichbaren Stand. So surfen
83
die türkischen Nutzer in Deutschland zu 60% auf Seiten mit deutschem Inhalt. Das
ist nicht unbedingt überraschend, da Migranten der dritten Generation besser
Deutsch als Türkisch beherrschen und für sie vor allem der türkische Alltag in
Deutschland interessant ist. Genau dieses Interesse bedienen deutsch-türkische
Internetseiten wie „Türk Dünya“ („Türkische Welt“, www.turkdunya.de) aus
Hamburg und „Vaybee“ („Wow“, www.vaybee.de) aus Köln mit nicht immer ganz
deckungsgleichen Inhalten in Deutsch und Türkisch. Sie richten sich speziell an die
türkische Bevölkerung in Deutschland. „Vaybee“ wurde im Februar 2000
gegründet. Das Unternehmen will der jungen Generation der in Deutschland und
Europa lebenden Türken und türkischen Unternehmern eine Plattform bieten. Bei
den Inhalten handelt es sich um Orientierung, „Infotainment“, Interaktion sowie
Linkverzeichnisse und Lifestyle. Ähnliche Internetseiten trifft der Surfer bundesweit.
Diese bescheidenen Internetseiten lösen einen Schneeballeffekt aus, indem sie
auf weitere ähnliche große wie kleine Links, zum Beispiel durch Suchmaschinen,
aufmerksam machen. So kann der Benutzer mit einem Mausklick noch weitere
türkische oder deutsch-türkische Seiten aufrufen.116
In Deutschland gibt es über 50.000 Unternehmer türkischer Herkunft. Kemal Şahin,
Gründer der „Şahin-Gruppe“ im Textilbereich oder Vural Öger von „Öger Tours“
haben ihre Firmen in Deutschland gegründet und sind zu einem Begriff der
deutschen Wirtschaft geworden. Darüber hinaus gibt es sehr viele Lebensmittelgeschäfte, Döner-Imbissbuden und Reiseagenturen. Viele Einzelhändler und
Großhändler organisieren sich zudem in Vereinen. Migranten türkischer Herkunft
sind risikofreudig. Wirtschaft ist für sie ein wichtiges Thema, deswegen gibt es
auch Internetseiten, die diesen Bereich entdeckt haben. Der Anbieter „eYol.de“
(auf Deutsch: elektronischer Weg) bietet „Business-to-Business“ an, d.h.
Unternehmer können sich je nach Interesse über diese Website kontaktieren. Sie
ist eine türkische Branchenseite im Internet, d.h. ein elektronisches Branchenbuch.
Über deutsch-türkische Wirtschaft in Deutschland berichtet auch girisim.net. Die
Vgl.: Stiegers, Fiete: Webseiten – Migranten als neue Zielgruppe, Berlin 2003. In: taz Nr. 6991
vom 27.2.2003, S. 14.
116
84
Internetseite gibt auch Tipps zur Existenzgründung und bietet damit wichtige Informationen für angehende Unternehmerinnen und Unternehmer.117
Mittlerweile
gibt
es
auch
auf
deutschen
Internetseiten
türkischsprachige
Informationen, z.B. vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Auf
seiner Homepage (www.bma.bund.de) signalisiert schon eine türkische Fahne,
dass auch eine türkische Seite vorhanden ist. Darin werden den Besuchern aus
erster
Hand
sozialpolitische
Informationen
angeboten.
Das
Institut
für
Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung GmbH („isoplan“), das
auch die Zeitschrift „aid-Ausländer in Deutschland" herausgibt, bietet ebenfalls
Informationen in türkischer Sprache an. SWR international hat während des
digitalen DAB-Radioprojektes Zusatzinformationen zu eigenen Sendungen auch in
türkischer Sprache angeboten. Geplant ist, die Homepage des SWR international
(www.swr.de/international) auch in türkischer Sprache zu gestalten und wichtige
Informationen aktuell in türkischer Sprache anzubieten.118
Die Internetseiten der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion wie
„Germany.ru“ und „Hamburg.ru“ sind dagegen fast immer auf Russisch. Da diese
Migranten noch keine so lange deutsche Geschichte haben wie die Türken,
werden Alltagshilfen, wie zum Beispiel die Erklärung des deutschen Versicherungssystems, sinnvollerweise auf Russisch gegeben. Eine häufigere
Nutzung gibt es bei „Germany.ru“ ebenso wie bei „Vaybee“ allerdings in den
Chaträumen, Diskussionsforen und Anzeigenseiten. Da junge Deutschtürken
häufig in großen gesellschaftlichen Zwängen leben, versuchen sie diesen im
Internet zu entfliehen. Auf der Website www.indernet.de suchen viele indische
Mädchen nach einem indischen Freund, da sie hoffen, dass dieser von der Familie
besser akzeptiert wird. Doch gerade hier muss die Onlineredaktion oft mäßigend
eingreifen, weil die Liebeserklärungen zu „wüst“ werden. Die Forumsbesucher
treffen sich auch gerne auf realen, überregionalen indischen Partys, deren Fotos
anschließend bei „Indernet“ veröffentlicht werden. Auch griechische und asiatische
Vgl.: Özdali, Cüneyt: Surfen in heimischen Internet-Gewässern – Türkischsprachige und
deutsch-türkische Internetseiten – Eine Bestandsaufnahme, Berlin 2003. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=83&mode=thread&o
rder=0&thold=0
118 Vgl.: Özdali (wie Anm. 117),.
117
85
Internetseiten aus Deutschland werben für solche Partys. Bei so viel praktischer
Integration im Internet hat nun sogar der deutsche Marktführer T-Online die
Migranten als Zielgruppe entdeckt und bietet redaktionelle türkische Seiten an.
Einer der größten Anbieter von Gratis-E-Mails hat dagegen seine mehrsprachigen
Versionen aufgrund mangelnden Interesses bereits Anfang 2002 wieder
eingestellt.119
Diese Bestandsaufnahme ist sicherlich nicht vollständig. Die erwähnten Angebote
sind nur ein geringer Teil dessen, was zurzeit existiert. Die rasante Entwicklung auf
diesem Gebiet ruft fast tagtäglich eine neue Website ins Leben. Die Zahl wird
sicherlich in den kommenden Jahren noch steigen. Das Internet ist längst ein
wichtiger Bestandteil der Wirtschaft geworden. Die Zugriffszeit auf Informationen
wird immer kürzer. So können Migranten über das Internet auch die Homepages
ihrer ursprünglichen Heimat beziehungsweise der Heimat ihrer Eltern aufrufen und
das politische, wirtschaftliche und kulturelle Geschehen aktuell verfolgen. Das
Internet ist auf dem Weg, ein ernsthafter Konkurrent für die ausländischen
Printmedien und das Satellitenfernsehen zu werden. Es ist für Migranten ebenso
wichtig zum Erhalt ihrer kulturellen Wurzeln wie auch zur Integration in die
Aufnahmegesellschaft.
6. Verbesserung der Integration von Migranten durch „soziokulturelle
Kompetenzen“
Nicht nur Medienkompetenz sondern auch „soziokulturelle Kompetenz“ wird eine
der Schlüsselqualifikationen der Zukunft sein. Ein von Menschen unterschiedlicher
Herkunft und Sprache geprägtes Zusammenleben verändert nicht nur Weltbilder
und Wertesysteme, sondern entwickelt auch neue Orientierungs- und Deutungsmuster, die in der alltäglichen Verständigung miteinander von jedem beherrscht
werden müssen. Es gibt keine homogene Kultur oder gar eine „Nationalkultur“,
119
Vgl.: Stiegers (wie Anm. 116), S. 14.
86
denn innerhalb der Staaten bestehen kulturelle Unterschiede zwischen den
Menschen.
Der soziokulturelle Dialog fordert das Gespräch, das Aufeinanderzugehen und die
wechselseitige Erforschung der Kulturen, wodurch auch eigene Traditionen in
einem neuen Licht erscheinen. Dies schafft Grundlagen für die friedliche
Koexistenz
in
Einwanderungsgesellschaften.
„Soziokulturelle
Kompetenzen“
befähigen dazu, den Perspektivenwechsel einzuüben, die Relativität der eigenen
Position zu erkennen und konfliktfähiger zu werden. IMES will unter gleichberechtigter Mitwirkung von Migranten und Mitgliedern der Mehrheits-gesellschaft
Seminarbausteine zur Vermittlung „soziokultureller Kompetenzen“ entwickeln.
Deren Beherrschen ermöglicht eine bessere Verständigung zwischen Majorität und
Minoritäten, wobei besonders wichtig ist, dass nicht nur die Migranten die
„soziokulturellen Kompetenzen“ beherrschen, sondern alle Mitglieder einer
Gesellschaft.
6.1 Unterschiedliche kulturelle Kapitalien der Akteure in einer multikulturellen Gesellschaft
Bei Konflikten zwischen sozialen Einheiten geht es oft um die Verteilung von
knappen Ressourcen wie Macht, Einkommen, Besitz, Reichtum, Prestige,
territoriale Fragen oder die Besetzung von Ämtern. Dabei handelt es sich um
Interessenkonflikte, während Auseinandersetzungen in den Bereichen Religion,
Sprache, Ideologie, Werte und Identitäten soziokulturelle Konflikte sind. Diese
Konflikte gelten im Allgemeinen als schwieriger zu lösen, da es um qualitative und
nicht quantitative Probleme geht. Sie können sich innerhalb existierender Regeln
abspielen, es kann aber auch um die Regeln selbst gehen. Ursache für derartige
Konflikte sind Ungleichgewichte, Spannungsverhältnisse und ungelöste soziale
Probleme innerhalb der Gesellschaft.120
120
Vgl.: Treichler, Andreas (Hrsg.): Wohlfahrtsstaat, Einwanderung und ethnische Minderheiten.
Probleme, Entwicklungen, Perspektiven, Wiesbaden 2002, S. 48.
87
In der westlichen Einwanderungsgesellschaft existieren Konflikte einerseits
zwischen der Majorität und der eingewanderten Minorität und andererseits
zwischen unterschiedlichen Gruppen auf jeder der beiden Seiten. Die Konflikte
können
strukturelle
und
kulturelle
Dimensionen
betreffen
und
sich
auf
gesellschaftliche, politische und kulturelle Fragen beziehen. Im politischen Bereich
geht es um den Status der Zuwanderer bezogen auf Einreise, Aufenthalt,
Beschäftigung und soziale Sicherheit. Die soziale Frage betrifft die wichtigen
Lebensbereiche, aber auch die Konkurrenz zwischen Einheimischen und
Zugewanderten. Die kulturellen Gesichtspunkte beinhalten die Möglichkeiten und
Formen
der
kulturellen
Entfaltung
der
Angehörigen
der Einwanderungs-
minderheiten. Zusätzlich haben Migranten noch mit Problemen der sozialen
Diskriminierung, wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu
kämpfen.121
Die
instrumentellen
Werte,
bestimmte
Eigenschaften,
Kompetenzen
und
Netzwerke eines Akteurs werden häufig als Kapitalien definiert. In Anlehnung an
das neoklassische Konzept der Produktionsfunktionen ist das Kapital der Akteure
ein Produktionsfaktor, mit dem bestimmte Güter produziert werden. In den
Sozialwissenschaften werden alle Ressourcen, welche dem Individuum bei der
Erreichung seiner Ziele zur Verfügung stehen, zusammengefasst. Dabei kann man
das ökonomische Kapital (finanzielle und physische Ressourcen für wirtschaftliche
Zwecke), das Humankapital (alle produktiven Eigenschaften), das kulturelle Kapital
(kulturelle Fertigkeiten wie Habitus, Geschmack, Titel, Bildungsabschlüsse), das
institutionelle und politische Kapital (Rechte, organisierte Interessenvertretung) und
das soziale Kapital (Netzwerke und Beziehungen) unterscheiden. Diese Kapitalien
sind Elemente der Sozialstruktur, die den Individuen das Handeln innerhalb dieser
Struktur erleichtern.122
All diese Kapitalien sind kontextabhängig, da die generalisierbaren Kapitalien wie
zum Beispiel Ausbildung oder Einkommen in vielen Bereichen einsetzbar sind,
während die spezifischen Kapitalien nur in einem sehr engen Kontext beim
121
Vgl. ebd., S. 50.
Vgl.: Diehl, Claudia: Die Partizipation von Migranten in Deutschland. Rückzug oder Mobilisierung?, Opladen 2002, S. 48.
122
88
Erreichen von Zielen nützen. Letztere sind bestimmte Bekanntschaften oder
bestimmte Fertigkeiten, die nicht durch Bildungszertifikate belegt sind. Der Wert
dieser spezifischen Kapitalien ist bei Änderungen oder Wechsel des gesellschaftlichen Bewertungsrahmens gefährdet. Migration in einen anderen Bewertungskontext wird deshalb zur Bedrohung, weil Kapitalerwerb nicht beliebig häufig
wiederholt werden kann, da er fast immer Zeit, Energie und Geld kostet.123
Kulturelle Kapitalien und Humankapital sind von unmittelbarer Bedeutung für den
Zugang zu Status und Bestätigung. Ohne Humankapital in Form von Bildungs- und
Berufsabschlüssen ist die Erlangung von Status in den westlichen Gesellschaften
nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. Bei Schulabschlüssen und Berufsausbildungen, welche Migranten in den Herkunftsländern erworben haben und im
Aufnahmeland nicht anerkannt werden, handelt es sich um spezifische
Humankapitalien, während anerkannte Abschlüsse generalisierbare Kapitalien
sind, die Zugang zu den Statussystemen des Aufnahmelandes ermöglichen.
Kulturelles Kapital umfasst neben Bildungsabschlüssen, die den Humankapitalien
untergeordnet werden, spezifische kulturelle Kenntnisse und Verhaltensweisen,
welche sich in unterschiedlichen Lebensstilen manifestieren. Die elementare
Bedeutung dieser sozialen Ungleichheit ist die Interpretation von Verhaltenserwartungen, welche Voraussetzung für den Erhalt von Bestätigung ist. Um die
Verhaltenserwartungen verstehen und bedienen zu können, muss man die im
sozialen Kontext geltenden Codes beherrschen.124
Entscheidend beim kulturellen Kapital ist, dass es von seinem Träger in einem
dauerhaften Prozess angeeignet werden muss und somit sehr eng mit diesem
verbunden ist. Dies geschieht hauptsächlich in der Familie, was bedeutet, dass
sich Migrantenjugendliche und Jugendliche der zweiten Generation in der Art ihres
erworbenen kulturellen Kapitals unterscheiden, auch wenn sie in der gleichen
Gesellschaft aufgewachsen sind und die gleichen staatlichen Sozialisationsinstanzen durchlaufen haben. Kulturelles Kapital ist immer spezifisch, da es nur
innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Kontexte gilt. Kenntnisse regionaler Bräu-
123
124
Vgl. ebd., S. 49.
Vgl.: Diehl (wie Anm. 122), S. 50.
89
che dienen dem Erhalt von Bestätigung nur innerhalb eines engen Kontextes, da
sie außerhalb dessen gar nicht entschlüsselt werden können. Allerdings gibt es in
den westlichen Industriegesellschaften länderübergreifende Umgangsformen, die
in vielen Ländern produktiv für den Erwerb von Bestätigung sind. Allgemeine und
grundlegende Voraussetzung für die Entschlüsselung von Verhaltenserwartungen
sind Sprachkenntnisse. Einstellungen und Rollenbilder der Zuwanderer können
danach unterschieden werden, ob sie mit den in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschenden Einstellungen kompatibel sind. Auch kulturelle Gewohnheiten können Indikator für kulturelles Kapital sein, da zum Beispiel durch Mediennutzung
wichtige Informationen über Umgangsformen, Verhaltensregeln und Rollenerwartungen im geltenden sozialen Kontext vermittelt werden können.125
In einer Gesellschaft, in der mehrere Kulturen miteinander leben, müssen also
„soziokulturelle Kompetenzen“ bei allen Mitgliedern der Gesellschaft vorhanden
sein. Um auf das Verhalten von Individuen angemessen reagieren zu können,
muss man deren Verhaltenscodes beherrschen. In der Europäischen Union, deren
Mitgliedsländer alle Einwanderungsländer sind, werden diese „soziokulturellen
Kompetenzen“ zunehmend wichtiger, um Migranten als Teil der Gesellschaft
gleichberechtigt integrieren zu können.
6.2 Das Konzept der Schlüsselbegriffe
Das spanische Advisory Board des Projektes IMES hat sich im ersten Halbjahr der
Projektphase vor allem mit den Schlüsselkompetenzen Empowerment, soziales
Kapital und lernfähige Organisation auseinandergesetzt. Dies sind Schlüsselbegriffe für das spanische IMES-Projekt geworden, die für die Projekt-Themen
„soziokulturelle Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ gleichermaßen von
Bedeutung sind.
Von Januar bis Juni 2003 wurde mit der Theorieunterstützung des Wissenschaftlers Alvaro Ramirez am Konzept der Schlüsselkompetenzen gearbeitet und
die Oberbegriffe für die Ziele des IMES-Projektes wurden gewichtet und verfeinert.
125
Vgl. ebd., S. 51.
90
Der Bereich der „soziokulturellen Kompetenzen“ dient dazu, die Integration von
Migranten in die europäische Gesellschaft zu erleichtern. Ausgehend vom
Tatbestand eines interkulturellen Kontextes wurde entschieden, Kompetenzen zu
suchen, die durch Gleichberechtigung die Teilnahme und Einbindung erlauben.
Nachdem Alvaro Ramirez, der Experte, der das spanische Advisory Board in
diesem Prozess begleitet hat, über den konkreten Kontext des Projektes ins Bild
gesetzt wurde, zeigte er bei einer Rundreise durch die Bandbreite der
verschiedenen Theorien und Erfahrungen Strategien auf, um die am wenigsten
begünstigten Gruppen in der Selbstentwicklung ihrer eigenen Integration zu
unterstützen. Dadurch lernten die spanischen Mitglieder eine Reihe von Elementen
kennen, die zu beachten sind, um sich diesen Gruppen zu nähern und ein
organisatorisches, politisch wirksames und effektives Projekt zu entwerfen.126
Die sieben Schlüsselkompetenzkonzepte, die im Folgenden dargestellt werden,
sind die Zusammenfassung aus dem, was während der Treffen erarbeitet und
diskutiert wurde. Es sind keine Auszüge aus einer wissenschaftlichen Abhandlung
über die Migration oder die gemeinschaftliche Arbeit; genauso wenig handelt es
sich um in sich geschlossene Ideen, wie bei dem Bau von Brücken zwischen den
Gruppen oder einem neuen Modell einer europäischen Bürgergesellschaft, die auf
Gleichberechtigung und Chancengleichheit basiert.
a. El Empoderamiento/ Empowerment – Position von Minderheiten stärken
Dies ist die individuelle und kollektive Fähigkeit, Talente und Kompetenzen zu
errichten. Eine Gemeinschaft hat dann einen gewissen Grad an Empowerment
erreicht, wenn sie in der Lage ist sich selbst zu organisieren und einige
Kompetenzen auf sie übertragen wurden, wenn also eine Machtverschiebung zu
ihren Gunsten stattgefunden hat. Unter Macht wird hier die Fähigkeit verstanden,
seine Rechte auszuüben und Zutritt zum dominierenden Code zu haben, welcher
der ist, den der Staat und alle seine Institutionen benutzen.127
126
Vgl.: IMES Advisory Board Barcelona: Das Konzept der Schlüsselbegriffe, Barcelona 2003. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=59&mode=thread&o
rder=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
127 Vgl.: IMES Advisory Board Barcelona (wie Anm. 126).
91
b. Das soziale Kapital
Hierbei handelt es sich um das Netz an Beziehungen, das jedes Individuum
errichtet, die Bindungen und Vereinigungen, die mit Personen im eigenen Umfeld
aufgebaut werden. Es basiert auf gegenseitigen Erwartungen und voraussehbarem
Verhalten. Die Möglichkeiten, die Position eines Individuums oder einer
Gemeinschaft zu stärken, stehen in direkter Beziehung zu ihrem sozialen Kapital:
je mehr soziales Kapital, desto mehr Möglichkeiten des Empowerment.128
c. Der Code
Dies ist der Träger der Kommunikation, der diejenigen Personen kennzeichnet, die
ein gemeinsames soziales Kapital teilen, wie Sprache, Bräuche, Traditionen,
Gesetze und Normen. Der Unterschied der Codes zwischen denjenigen, welche
bereits die Macht haben und denen, die nach einer gestärkten Position streben, ist
eine der größten Schwierigkeiten, die überwunden werden muss, da die Inhaber
des dominanten Codes bewusst oder unbewusst Druck auf die Inhaber des
Minderheitencodes ausüben. Um Kommunikation zu ermöglichen, muss eine
Verbindung zwischen den Codes geschaffen werden. Nur dann kann auch die
Position der bedürftigeren Individuen wirksam gestärkt werden.129
d. Der Führer einer Gemeinschaft
Es muss einen Führer einer Minderheitengruppe geben, der die kommunikative
Verbindung zwischen den Codes herstellt. Dieser muss die unterschiedlichen
Codes beherrschen oder bereit sein zu lernen, sie gleichermaßen zu verstehen.
Seine Gemeinschaft muss ihn als Autorität anerkennen und ihn als Bindeglied für
unerlässliche Kommunikation identifizieren. Der Führer der Gemeinschaft muss
immer selbst betroffen sein, weil die Notwendigkeit und das Streben einer
128
129
Vgl. ebd.
Ebd.
92
Gemeinschaft und die Art Probleme zu lösen, nicht von außen bestimmt werden
können, da dies nur durch Kenntnis des Codes möglich ist.130
e. Vermittelnde Strukturen
Die vermittelnden Strukturen sind die Organisationen und Institutionen, welche sich
im unmittelbaren Umfeld der Bürger befinden und eine Verbindung zwischen ihnen
und dem immensen Überbau wie Markt oder Staat herstellen. Diese vermittelnde
Struktur kann eine Brücke zwischen dem Code der zu stärkenden Gemeinschaft
und dem dominanten Code schlagen. Ziel ist hierbei, dass die Individuen
kompetent in beiden Codes sind oder ihnen zumindest ein Weg des Zugangs
angeboten wird.131
f. Die politischen und institutionellen Faktoren
Um die Position einer Gemeinschaft zu stärken, muss zwischen politischen und
institutionellen Faktoren unterschieden werden.
Politische Faktoren gründen auf kommunikativer Kompetenz und versuchen eine
reale Bindung zwischen der Gemeinschaft und den Elementen der Macht zu
schaffen. Die Position einer Gemeinschaft muss auf einer politischen Ebene
gestärkt werden, damit ihre Beziehungen mit irgendeiner Institution gleichgestellt
sind, sonst muss sie die erforderlichen Formalitäten für jede Institution erfüllen.
Die institutionellen Faktoren beschäftigen sich mit Empowerment ausschließlich
hinsichtlich
ihrer
ökonomischen
Wirksamkeit.
Der
Staat
gestattet
eine
Machtübertragung nur, wenn sich das für ihn als günstiger herausstellt, als sie für
sich zu behalten. Da es günstiger für den Staat ist, wenn eine Gemeinschaft sich
selbst organisiert, muss man diesen Vorteil nutzen, indem man das Management
des sozialen Kapitals der Gemeinschaft nutzt.132
g. Die kommunikative Kompetenz
130
Vgl.: IMES Advisory Board Barcelona (wie Anm. 126).
Vgl. ebd.
132 Vgl.: IMES Advisory Board Barcelona (wie Anm. 126).
131
93
Um einen wirksamen Grad des politischen Empowerment zu erreichen, ist eine
kommunikative Kompetenz zwischen der Gemeinschaft, den vermittelnden
Strukturen und dem Staat unabdingbar. Zur Erschaffung dieser kommunikativen
Kompetenz ist folgendes notwendig:
-
Das soziale Kapital muss gewinnbringend mobilisiert und genutzt werden,
indem die von den eigenen Institutionen und die von ihren Individuen
weitgehend geteilten Normen identifiziert werden. Die gewohnten Kanäle des
Zusammenlebens einer Gemeinschaft müssen erkannt werden, um sie dann
politisch zu artikulieren.
-
Es sollte eine politische und organisatorische Strategie geben. Man darf nichts
einem vorhergehenden ideologischen Diskurs unterwerfen, um damit einen
größeren Konsens zu gewinnen und die größtmögliche Anzahl an Individuen
einzubeziehen.
-
Die Organisation muss lernfähig gestaltet werden, indem Ziele in Interaktion mit
der Gemeinschaft definiert werden und Programme auf eine flexible Weise
entwickelt werden.133
h. Die lernfähige Organisation
In einer lernfähigen Organisation muss jedes entwickelte Programm interne
Anpassungsveränderungen hervorrufen. Dieser Typ Organisation wird von den
drei grundlegenden Merkmalen, dass sie mit den Leuten lernt, mit den Leuten plant
und die Gemeinschaft mit dem Techniker des Programms (theoretisch und
praktisch) verbindet, gekennzeichnet. Der Lebenszyklus dieser Organisation
entwickelt sich in diesen drei Stufen: Wirksamkeit, um das Notwendige in Angriff zu
nehmen; Effizienz, um seine Lösung zu halten, indem weniger Geldmittel investiert
werden als anfangs und aus Kapazität zur Expansion.134
Die Konzepte folgen einer logischen Ordnung und sind für manche vielleicht
überraschend, weil sie an Konzepte aus dem Wirtschaftsbereich erinnern. Dieser
133
134
Vgl. ebd.
Vgl.: IMES Advisory Board Barcelona (wie Anm. 126).
94
Zusammenhang zeigt, dass die Dinge, die im sozialen Bereich erarbeitet werden,
als verbündete Strategien zu verstehen und zu bewerten sind, die auf Effektivität
und
Effizienz
basieren
und
auf
wirtschaftlichen
Erträgen,
welche
über
Produktionswege in soziale Erträge und Menschenrechte umgewandelt werden
sollten. Das Verstehen, Erlernen und Praktizieren dieser Schlüsselbegriffe
ermöglicht die Verständigung in einer multikulturellen Gesellschaft und das
Vermeiden von kulturell bedingten Missverständnissen. Diese Schlüsselbegriffe
bilden
die
Basis für
die
Seminarbausteine,
die
im
Schwerpunktbereich
„soziokulturelle Kompetenzen“ entwickelt werden. Sie sollten gleichermaßen an
Migranten wie die Mitglieder der Aufnahmegesellschaft vermittelt werden. Eine
weitere
Grundlage
für
die
Entwicklung
der
Seminarbausteine
ist
der
„Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz“.
6.2.1 Der „Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz“
Globalisierung und internationale Kooperation beeinflussen weltweit das Leben.
Was in unserer Zeit geschieht, ist etwas Radikales: Die gesamte Lebenskultur
vieler
Menschen
verändert
sich
und
etwas
ganz
Neues
entsteht.
Die
Globalisierung bindet unterschiedliche Lebensweisen und Lernkulturen diverser
Länder und kreiert neue Bedürfnisse, neue Lern- und Arbeitskompetenzen und
neue Lehrkonzepte, sie greift massiv in unser kulturelles Verhalten ein.
Traditionelles Managementwissen allein
reicht nicht mehr aus, um den
Anforderungen grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeiten gerecht zu werden.
Ohne interkulturelle Handlungskompetenzen kommt es zu kostenaufwendigen
Konflikten und Missverständnissen.
Managementmethoden haben auch außerhalb des Wirtschaftsbereiches an
Bedeutung gewonnen. Grund hierfür ist ein zunehmendes Effizienz- und
Qualitätsbewusstsein. Interkulturelles Management bezieht sich auf deren
Arbeitsverhalten, auf Organisationsstrukturen und auf die gerechte Partizipation an
der Macht. Es beschreibt keine neue Managementmethode, sondern stützt sich auf
95
die üblichen Managementfunktionen. Doch die Art und Weise, wie diese
Funktionen ausgeübt werden, ist kulturell bedingt. Sie unterscheidet sich in
arbeitsrelevanter Form von Kultur zu Kultur, von Land zu Land, von Person zu
Person.
Interkulturelle Handlungskompetenz ist Voraussetzung für Erfolg in transnationalen
und kulturell gemischten Arbeitsfeldern der Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft
und Nichtregierungsorganisationen. Sie kann kostenaufwendige Konflikte und
Missverständnisse vermeiden und Synergie-Effekte einer interkulturellen Zusammenarbeit fördern. Mit dem „Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz“ des Landesamtes für Entwicklungszusammenarbeit werden Trainer in
die Lage versetzt, diese besonderen Handlungskompetenzen in praxisorientierter
und interaktiver Form zu vermitteln. Dieser Trainingsleitfaden kann auch hilfreiches
Vorbild für IMES bei der Erschaffung von Seminarbausteinen im Bereich
„soziokulturelle Kompetenzen“ sein. Der Trainingsleitfaden ist in Modulform aufgebaut und verbindet interkulturelle mit betriebswirtschaftlichen Elementen.
Die Module sind jeweils gegliedert in:
-
Hintergrundmaterial für die Trainer
-
Leitfäden für die Durchführung
-
Handouts und Folienvorlagen
Die interkulturelle Kompetenz ist ein lebenslanger Lernprozess. Folgende
Fähigkeiten fördern diesen:
-
Ambiguitätstoleranz (hat, wer Widersprüchliches aushalten kann)
-
Empathie (hat, wer sich in andere einfühlen kann)
-
Frustrationstoleranz (hat, wer Frustration selbstkritisch verarbeiten kann)
-
Humor (hat, wer sich aus der Distanz betrachten und lachen kann)
-
Identität (hat, wer die eigenen kulturellen Prägungen kennt)
-
Konfliktfähigkeit (hat, wer Probleme aushandeln und lösen kann)
96
-
Neugierde (hat, wer offen ist und gerne Neues lernt)135
Abb. 1: Modulübersicht nach Landesamt für Entwicklungszusammenarbeit
Wer mit Personen fremder Kulturen arbeiten möchte, muss also auf kulturelle
Differenzen vorbereitet sein, da die Kultur das Rückgrat der eigenen Identität ist
und mit ihren Werten und Normen das gesamte Leben prägt. Menschen, die sich
in anderen Regionen der Welt aufhalten oder sich auch im eigenen Land anders
als gewöhnlich verhalten, fühlen sich fremd und werden von anderen als auffällig
wahrgenommen. Ihr Verhalten wird am Verhalten der Allgemeinheit oder der
Einheimischen gemessen. Fremde erfahren oft Ablehnung und Diskriminierung.
Nicht allen Menschen fällt es leicht, der schleichenden und oft bedrohlich
135
Vgl.: Hecht-El Minshawi, Beatrice: Interkulturelle Managementkompetenz. Einführung in das
Trainingsmaterial. In: Bevollmächtigter der Freien Hansestadt Bremen beim Bund, für Europa und
Entwicklungszusammenarbeit – Landesamt für Entwicklungszusammenarbeit (Hrsg.): Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz, Bremen 2003, S. 2.
97
wirkenden Veränderung der Lebenskultur mit eigener Kraft etwas entgegen zu
halten, schon gar nicht jenen, die von hierarchischen oder fatalistischen
Einstellungen geprägt sind. Manchen geht der Prozess zu schnell, andere
verweigern sich, an ihm teilzunehmen. Nur etwa 60% einer Gruppe entsprechen
einer typischen kulturellen Zuschreibung. Deutsche werden von anderen zum
Beispiel oft als systematisch denkende Strategen bezeichnet. Doch viele Deutsche
entsprechen diesem Bild nur geringfügig oder gar nicht. Kulturelle Besonderheiten
von Personen sollten in der Zusammenarbeit jedoch einsichtig gemacht werden.
Multikulturelle Arbeitsfelder müssen neu geformt werden und deren Implementierung in Bildung und Ausbildung, Beruf und Wirtschaft könnte uns allen den
Weg aufeinander zuzugehen erleichtern.136
Das Material des „Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz“ richtet
sich an Trainer und soll deren Vorbereitung auf interkulturelle Seminare
erleichtern. Es werden das Verhältnis zwischen Business und Kultur im
internationalen Kontext aufgezeigt, Fragen gestellt und Zusammenhänge erörtert,
in denen die sich ergänzenden Module zu erarbeiten sind. Dieser Leitfaden enthält
vielfältige Angebote, aus dem Trainer ihre eigenen Konzepte und Programme
entwickeln und individuell methodisch umsetzen können. Das Trainingsmaterial
kann weltweit nach kurzer Einführung an beliebigen Orten selbsttätig erarbeitet
und dann an andere vermittelt werden. Der modulare Aufbau erlaubt dabei
Flexibilität. Je nach Ausbildung und fachlichem Wissen der Trainer einerseits und
ihrer Zielgruppe andererseits, kann das Material optimal angepasst werden. In den
interkulturellen Trainings geht es
-
um die systematische Erarbeitung und Relativierung der eigenen Normen,
Werte, Einstellungen, Vorurteile und Rassismen
-
um taktische Wissensvermittlung fremder Normen und Werte, Kulturstandards
und länderspezifischer Informationen
-
um strategische Maßnahmen zur Befähigung interkulturellen Handelns
Das Material ist auf eine kulturell, beruflich-fachlich und in der Trainingserfahrung
heterogene Zielgruppe ausgerichtet. Erfahrene Trainer müssen daher die Angaben
136
Vgl.: Hecht-El Minshawi (wie Anm. 135), S. 2.
98
zur Bearbeitung des Moduls eventuell weniger berücksichtigen oder sie benutzen
nur einzelne Module beziehungsweise Teile davon und fügen selbst weitere
ergänzend hinzu.137
Die Lern- und Arbeitsmethoden, die wir bevorzugen, sind ein Teil unserer Identität.
Personen, die mehrheitlich unter 40 Jahre alt sind und aus modernen
Industriegesellschaften kommen, bevorzugen experimentelles Lernen. Bei ihnen ist
„Learning by doing“ sehr beliebt. Ältere Seminarteilnehmer und jene, die aus
traditionellen Kulturen kommen, bevorzugen durch Lesen, Zuhören und Rezipieren
zu lernen. Interkulturelle Trainer müssen sich demnach darauf einstellen, dass
nicht allen Teilnehmern im Seminar moderne Interaktions- und Moderationsmethoden gefallen. So assoziieren manche zum Beispiel mit der Kärtchenmethode
eine eher für Kinder geeignete Spielerei. Trainer müssen sich also vor einem
Seminar grundsätzlich überlegen, mit welchen Lernpräferenzen sie es zu tun
haben werden und die Seminarmethode danach auswählen.138
Im Trainingsleitfaden werden interkulturelle Fragen und betriebswirtschaftliche
Fragen des Managements behandelt. In den betriebswirtschaftlichen Modulen
finden sich die allgemeingültigen Grundlagen von Management, die interkulturellen
Module beschäftigen sich mit der Fragestellung, wie aus diesen Grundlagen
interkulturell anwendbare Managementstile gebildet werden. Dabei müssen die
Trainer beachten, wie sie selbst und die Teilnehmer eines Trainings kulturell
geprägt
sind
und
wie
eine
Brücke
zwischen
den
Menschen
dieser
unterschiedlichen kulturellen Kompetenzen geschaffen werden kann, ohne das
Verhalten der jeweils anderen Kulturen zu bewerten. Der Trainingsleitfaden
besteht aus insgesamt sechzehn Modulen139, wobei die vier Basismodule aufgrund
ihrer zentralen Themenbedeutung Pflichtanteile eines jeden Trainings für
internationale Managementkompetenz sind. Die darauf aufbauenden neun
Wahlmodule geben dem Trainer die Möglichkeit, flexibel auf die spezifischen
137
Vgl.: Hecht-El Minshawi (wie Anm. 135), S. 3.
Vgl. ebd., S. 4.
139 Jedes Modul besteht aus: Gegenstand des Moduls, Zielbeschreibung, Beschreibung des Inhalts,
zeitlicher Umfang, Material für Trainer, Bearbeitung des Moduls, Thema, Resümee, Empfehlung für
Trainer, Bibliographie, Handouts Grundlageninformationen, Fallbeispielen, Folientexten und
Checklisten. Die Informationen geben einen zusammenfassenden Überblick über das Modulthema.
138
99
Anforderungen der jeweiligen Zielgruppe einzugehen. Das Abschlussmodul
„Interkulturelle Kompetenz“ bildet zusammen mit dem Einführungsmodul den
Rahmen des Leitfadens140.
Die „Bearbeitung des Moduls“ beschreibt dem Trainer, wie das jeweilige Modul
didaktisch vermittelt werden kann. Sie enthält die Oberziele eines Moduls,
Hinweise zu dem benötigten Zeitaufwand und zum benötigten Material, beschreibt
den Trainingsablauf und die Methoden und enthält Hinweise auf die zu nutzenden
Folien, Powerpoint-Präsentationen und Handouts. Letztere sind als Kopiervorlagen
im Trainingsleitfaden enthalten, werden während des Trainings an die Gruppe
verteilt und enthalten Arbeitsanweisungen und Fallbeispiele oder geben eine
Zusammenfassung des zu vermittelnden Stoffes.141
Der Gesamtumfang der Module beträgt 60 Stunden. Je nach Anzahl der gewählten
Module sind drei bis sechs Trainingstage nötig. Allerdings können auch einzelne
Module herausgenommen und in Workshops einer anderen thematischen
Ausrichtung integriert werden. So könnten für alle drei Themenbereiche von IMES
auch interkulturelle Module aus diesem Leitfaden für die Seminare des Projektes
verwendet werden. Die Bearbeitung der Basismodule ist zwar Voraussetzung für
die Wahlmodule, doch es ist auch möglich, ein rein interkulturelles Training auszuwählen, in dem dann nur die beiden interkulturellen Basis- und Wahlmodule
bearbeitet werden. Dieser interkulturelle Teil des Leitfadens ist vor allem Vorbild
und Anregung für die Erschaffung der Seminarbausteine im Bereich „soziokulturelle Kompetenzen“ von IMES, da die Ziele dieser Module die Verbesserung
der interkulturellen Zusammenarbeit durch das Verstehen von interkulturellen
Dimensionen, das Nachdenken über globale Abhängigkeiten und moralische
Implikationen, das Informieren über Kultur, Interkultur, Kommunikationsstile und
Ethik, die Sensibilisierung für anderes und fremdes Verhalten und die Relativierung
des eigenen Verhaltens sind.142
Interaktive Vorträge sowie moderierte Diskussionen, Übungen, Fallbeispiele,
Simulationen und Rollenspiele machen einen hohen Anteil des partizipativen und
140
Vgl.: Hecht-El Minshawi (wie Anm. 135), S. 5.
Vgl. ebd.
142 Ebd., S. 6.
141
100
prozessorientierten Trainingslernprogramms aus. Ein wichtiges Grundprinzip des
methodischen Vorgehens ist es, gerade bei einer mehrsprachigen Zielgruppe,
Inputs, Diskussionen und Prozesse grundsätzlich zu visualisieren. Das im
jeweiligen Modulpunkt „Material für Trainer“ angegebene Equipment ist möglicherweise nicht überall vorhanden und kann selbstverständlich ausgetauscht werden.
Hierfür gibt es zusätzlich den „Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden“. Die
Zielgruppen, an die sich der „Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz“ des Landesamtes wendet, wurden bewusst sehr offen definiert und
liegen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, NGOs, Verwaltung und allen
weiteren transnationalen und kulturell gemischten Arbeitsfeldern.143
Besonders die interkulturellen Module sind in der Arbeit von IMES Vorbild für die
Erschaffung neuer Seminarbausteine in den drei Hauptthemenbereichen zur
partizipativen Integration von Migranten. Der Aufbau und die Struktur können zum
Teil in die Seminarbausteine übernommen werden. Für den Bereich „soziokulturelle Kompetenzen“ gibt es in den interkulturellen Modulen auch viele
inhaltliche Anregungen. Das Material für die Trainer enthält viele wichtige Tipps,
die helfen, Fehler im Umgang mit verschiedenen Kulturen zu vermeiden.
Besonders der Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden entspricht dem bei
IMES vertretenen Prinzips des lebenslangen Lernens in der Erwachsenenbildung
und gibt konkrete Anleitungen, welche die Teilnehmer ein Seminar partizipativ
mitgestalten lassen.
6.2.2 Der Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden
In den Konzepten der partizipativen Erwachsenenbildung wird Lernen als ein
interaktiver Prozess verstanden. Lehrender und Lernender begegnen sich als
erwachsene Menschen mit Lebenserfahrungen und selbst gewählten Interessen.
Respekt vor dem Wissen und den Gefühlen aller am Lernprozess beteiligten
Personen ist Grundelement der gelungenen Erwachsenenbildung. In diesem
143
Vgl.: Hecht-El Minshawi (wie Anm. 135), S. 5.
101
Bereich wollen Menschen meist aus eigener Motivation lernen, die dann am
höchsten ist, wenn sie selbst entschieden haben, was sie lernen wollen, wer ihnen
dieses Wissen am besten vermitteln kann und sie sogar für dieses Wissen
bezahlen müssen. Wenn Erwachsene freiwillig zu einem Seminar kommen, haben
sie meist eine klare Vorstellung darüber, was sie erfahren wollen. Sie sind dann
zufrieden, wenn ihre Erwartungen erfragt werden und die neuen Inhalte auf ihre
Vorstellungen und ihre bereits vorhandenen Kompetenzen bezogen sind. Je mehr
Bezüge zu ihrem persönlichen Umfeld hergestellt werden, desto mehr fühlen sie
sich verstanden und sind motiviert, ihre Kenntnisse einzubringen und Neues
auszuprobieren.
Trotzdem muss der Trainer eine klare Vorstellung vom Lernziel haben und einen
sicheren Weg zum Erreichen dieses Ziels ebnen. Erwachsene lernen gern von
Gleichgesonnenen. In Gruppen mit diesen können sie animiert werden, ihre
Erfahrungen auszutauschen und diese gemeinsam zu analysieren. Bei der
Zusammenarbeit im Team können Wissen, Meinung und unterschiedliche
Fähigkeiten ausgetauscht werden. Während die Lernenden sich gegenseitig
unterstützen und Aufgaben gemeinsam bewältigen, werden ihre Fähigkeiten zur
Arbeit im Team gesteigert. Partizipative Lernprozesse gelingen dann am besten,
wenn die Teilnehmer gute Beziehungen untereinander aufbauen und sich
ungestört auf den Inhalt konzentrieren können. Auch Konflikte können, wenn sie
aufgegriffen und produktiv bewältigt werden, zum Lernen beitragen. Deshalb ist die
Bewältigung der Beziehungsebene in der lernenden Gruppe ebenso relevant wie
die der Inhaltsebene des Programms.
Mit partizipativen Arbeitsmethoden muss also eine Atmosphäre angestrebt werden,
die von der aktiven Teilnahme aller am Lernprozess Beteiligten geprägt ist.
Menschen erinnern sich am besten an Zusammenhänge, die sie selbst entdeckt
und formuliert haben. Daher ist das Ziel partizipativer Trainingsmethoden, die Lust
am gemeinsamen Lernen zu wecken, vorhandenes Wissen zu aktivieren und die
Teilnehmenden an der Entdeckung der neuen Inhalte auf der Basis der bereits
vorhandenen Kenntnisse zu beteiligen. Die Lernprozesse müssen durch vorgegebene Fragen strukturiert sein, die aber so offen formuliert sind, dass sie je nach
102
Situation und Wissen der Beteiligten unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen
können. Die Teilnehmenden sind dann direkt an der Qualität der Ergebnisse
beteiligt. Es handelt sich um ihre eigenen Ergebnisse, mit denen sie sich
identifizieren können, was die Effektivität des Seminars erhöht, denn Menschen
erinnern sich an nur 20% von dem, was sie gehört haben, an 40% von dem, was
sie gehört und gesehen haben, aber an 80% von dem was sie selbst
herausgefunden oder getan haben.144
Bei diesem partizipativen Konzept muss der Lehrende die höhergestellte Position
verlassen und sich auf die gleiche Stufe mit den Lernenden stellen. Er ist nicht im
Besitz des einzigartigen und richtigen Wissens, sondern stößt Lernprozesse an, in
denen Wissen und Erfahrung der Teilnehmer ausgetauscht und ausgewertet
werden. Er übernimmt also eher die Rolle eines Moderators, der den Prozess
initiiert und lenkt, ohne selbst im Zentrum zu stehen. Er ermutigt die Lernenden
ständig, ihre persönlichen Beobachtungen und Gedanken einzubringen, strukturiert
die Diskussion durch Fragen, fasst die wichtigsten Punkte zusammen und fügt bei
Bedarf fehlende Aspekte hinzu. Eine hohe Arbeitsmotivation kann der Lehrende
erzeugen, indem er die Vorkenntnisse und Erwartungen der Lernenden erkennt
und darauf das Programm abstimmt. Deshalb muss der Trainer vor und während
des Seminars Mechanismen etablieren, in denen er die Erwartungen und die
Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem Programmablauf abfragt. Bei Bedarf kann
das Programm jederzeit während des Seminars an die Bedürfnisse der Teilnehmer
angepasst werden. So wird der Verlauf des Lernprozesses von ihnen
mitgesteuert.145
Um eine Beziehung unter den Lernenden herzustellen, kann der Trainer erklären,
warum er welchen Schritt vorschlägt, welchen Lernprozess er geplant hat und an
welcher Stelle sich das Seminar gerade befindet. Indem er das Lernkonzept so
transparent macht und zur Diskussion stellt, übernehmen die Teilnehmer selbst
Verantwortung für den Prozess und das Erreichen des Lernziels. Um zu wissen,
144
Vgl.: Engelhardt-Wendt, Eva: Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden. In: Bevollmächtigter
der Freien Hansestadt Bremen beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit – Landesamt für Entwicklungszusammenarbeit (Hrsg.): Trainingsleitfaden Interkulturelle Managementkompetenz, Bremen 2003, S. 7.
145 Vgl. ebd., S. 8.
103
welche Lernmethode für die Gruppe geeignet ist, muss der Moderator sich mit dem
Kennenlernen der Gruppe Zeit lassen. So erwarten Teilnehmer mit Universitätshintergrund strukturierte Aufträge und schriftliche Informationen, während bei
Teilnehmern aus dem Praxisbereich Methoden wie Videos, Plakate und verbale
Debatten angemessener sein können. Der Leitfaden für partizipative Trainingsmethoden bietet eine Auswahl unterschiedlicher Methoden, die je nach Zeitumfang
und Gruppe zusammengestellt werden können. Der Moderator muss dabei von der
Methode, die er verwendet immer so überzeugt sein, dass er sie den Lernenden
klar und enthusiastisch erläutern kann. Auch wenn spielerische Methoden
eingesetzt werden, muss er das Gefühl vermitteln, dass er das Ziel kennt und alle
angewendeten Methoden der Erreichung dieses Zieles dienen.146
Um den partizipativen Trainingsbedarf einer Gruppe zu analysieren, muss deren
Arbeitsplatzbeschreibung, welche übergeordnete und spezielle Tätigkeiten mit
einschließt, geklärt werden. Die Beschäftigten müssen befragt werden, welche
Verbesserungen sie selbst bezüglich der Arbeitsplatzbeschreibung vorschlagen
und wie sie ihr Wissen und ihre Kompetenzen in Bezug auf die Aufgabengebiete
einschätzen und welche Lücken sie selbst sehen. Die Trainingsbedarfsanalyse
kann auch mit einem Fragebogen durchgeführt werden, der dann ausgewertet und
für die Abstimmung des Programmverlaufs benutzt wird. Die Antworten werden
visualisiert und bei Seminarbeginn gemeinsam mit den Zielen und der Programmplanung vorgestellt. Die Teilnehmer können dann noch Kommentare und
zusätzliche Änderungswünsche formulieren, bis sie mit dem endgültigen
Programm einverstanden sind. So können auch Erwartungen, die zu hoch sind, als
solche identifiziert werden. Wenn gleich am Anfang geklärt wird, auf welche
Wünsche eingegangen werden kann, wird Enttäuschungen vorgebeugt und es
entsteht ein Arbeitsbündnis zwischen Lehrendem und Lernenden.147
Die Teilnehmer können sich durch Beruf, Alter, Position, Religionszugehörigkeit,
Geschlecht, Arbeits- und Lebenserfahrungen unterscheiden. Diese Unterschiede
gehen ein in den Erfahrungsschatz, welcher der Gruppe insgesamt zur Verfügung
146
147
Vgl.: Engelhardt-Wendt (wie Anm. 144), S. 8.
Vgl. ebd.
104
steht und der von partizipativen Trainingsmethoden aktiviert werden kann. Gerade
bei interkulturellen Themen ist es sinnvoll, unterschiedliche kulturelle Perspektiven
einzubeziehen, da diese bei der Erarbeitung des Themas hilfreich und notwendig
sind. Der Moderator muss hier besonders darauf achten, dass die Minoritäten zu
Wort kommen und von den anderen respektiert werden. Außerdem sollte auf eine
ausgeglichene Anzahl männlicher und weiblicher Teilnehmer geachtet werden.
Aufgrund der verschiedenen Geschlechterrollen können Männer und Frauen
unterschiedliche Perspektiven und Meinungen haben und unterschiedliche soziale
Fähigkeiten in den Arbeitsprozess einbringen. Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis hilft auch, eine angenehme und entspannte Arbeitsatmosphäre
aufzubauen. Es hat sich gezeigt, dass bei einem Seminar ein Geschlecht mit
mindestens 30% der Teilnehmer vertreten sein muss. Erst dann fühlen Mann oder
Frau sich als Teil einer Untergruppe und können aus dieser Sicherheit schöpfen.148
Die Durchführung partizipativer Lernprozesse erfordert bei den Trainern ein hohes
Maß an Konzentration, weil sie gleichzeitig nicht nur die Richtung und Qualität der
Inhalte, sondern auch die Stimmung in der Gruppe und die Beteiligung einzelner
Teilnehmer im Auge behalten müssen. Die Kunst der partizipativen Moderation
besteht darin, einen vorhandenen Plan je nach Diskussionsverlauf und Bedürfnissen der Gruppe umzuwerfen, ohne den roten Faden zu verlieren. Eine gute
Zusammenarbeit von Trainern ist die Basis für gelungene Trainings, vor allem, weil
diese der Gruppe als exemplarisches Vorbild dient. Daher sollten die Trainer vor
Beginn des Seminars einige Prinzipien der Zusammenarbeit festlegen. Alle Trainer
sprechen dabei aus oder schreiben auf, was sie brauchen, um gut zu arbeiten und
wie sie sich die Zusammenarbeit mit den anderen vorstellen. Danach können sie
bestimmte Punkte für die Zusammenarbeit beim Seminar festlegen, also eine Art
Teamvertrag abschließen. Selbstverständlich muss in der Vorbereitungsphase
auch ein inhaltliches und methodisches Gesamtkonzept erarbeitet werden.149
Während der Trainer beobachtet, wie beim Seminar gerade die Qualität des
Inhaltes und das Befinden der Gruppe ist, kann es hilfreich sein, zu wissen, welche
148
149
Vgl.: Engelhardt-Wendt (wie Anm. 144), S. 9.
Vgl. ebd.
105
Stadien eine Gruppe normalerweise durchläuft, woran man die Stadien erkennt
und wie man mit ihnen umgeht. Alle vorgeschlagenen Strategien müssen an den
kulturellen Hintergrund der Teilnehmer und ihre Gepflogenheiten angepasst
werden. Dabei gibt es keine vorgefertigten Muster erfolgreicher Verhaltensweisen,
weil jeder Kontext anders ist und andere Lösungen erfordert. Bevor der Trainer
sich Gedanken über das Befinden der Gruppe macht, sollte er über sich selbst
nachdenken. Die Wahrnehmung seines eigenen Befindens ist der beste Weg, um
die Gefühle in der Gruppe zu verstehen, wodurch dann schwierige Situationen in
der Gruppe gemeistert werden können.
Der Moderator sollte in einem partizipativen Training Zeit und Raum geben, um die
Situation in der Gruppe zu besprechen und nicht selbst den vorhandenen Konflikt
für die Gruppe lösen. Er sollte damit anfangen, seine Gefühle und Wahrnehmungen zu äußern, um dadurch eine Diskussion in Gang zu setzen und dann
die jeweiligen Redner mit Fragen zu unterstützen. Außerdem sollte sichergestellt
werden, dass auch die ruhigeren Gruppenmitglieder zu Wort kommen und
ausgehandelte Kompromisse wirklich von allen getragen werden. Grundsätzlich
muss der Trainer in solchen Situationen den selbst regulierenden Kräften der
Gruppe vertrauen.150
Doch gerade wenn in einem Seminar verschiedene Kulturen zusammenkommen,
kann es zu Problemen zwischen einzelnen Teilnehmern kommen. In diesem Fall
sollte der Trainer in der Gruppe jemanden ansprechen, der eine persönliche
Beziehung zu den Beteiligten hat. Dieser sollte als Vermittler mit den betreffenden
Teilnehmern ausführlich über das störende Verhalten reden, da die Einbeziehung
vermittelnder Personen in den meisten Kulturen eine akzeptierte Form ist, Konflikte
auszutragen. Da es in vielen Kulturen zudem unmöglich ist, Konflikte in einer
Gruppe offen anzusprechen, sollten schwierige Teilnehmer nur in Ausnahmefällen
direkt vor der Gruppe angesprochen werden, da sie sich sonst bloßgestellt fühlen,
was in der ganzen Gruppe zur Verstummung führen kann.
Die Methoden dieses partizipativen Trainingsleitfadens sollten sowohl bei der
Entwicklung der Seminarbausteine als auch bei der Durchführung der Testphase
150
Vgl.: Engelhardt-Wendt (wie Anm. 144), S. 10.
106
der Seminarbausteine mit der Zielgruppe angewendet werden. Werden diese
Anleitungen beachtet, entstehen durch die von IMES entwickelten Seminare
tatsächlich partizipative Methoden, welche von der Zielgruppe mitbestimmt
wurden. Dann wird die Zielgruppe durch die Seminarangebote erreicht, da diese
auf sie abgestimmt und für sie von Interesse sind.
7. Möglichkeiten partizipativer Integration durch „Politikmanagement“
Im Bereich „Politikmanagement“ will IMES nicht nur theoretisch arbeiten, sondern
auch praktisch, mit dem Ziel sinnvolle Maßnahmen für die tägliche Arbeit der
Teilnehmer in diesem Bereich zu entwickeln. Organisationen und NGOs nehmen
sich oft nicht die Zeit, um über ihre institutionellen und organisatorischen
Schwächen und deren Außenwirkungen nachzudenken. Darin liegt oft die Ursache
für das Scheitern. IMES will deshalb den Blick auf diese Schlüsselqualifikationen
lenken, vorhandenes Wissen austauschen, gemeinsam diskutieren und vergleichen, wie diese Bereiche bisher in den verschiedenen Migrationsdiensten
gehandhabt werden, gemeinsam Veränderungen erarbeiten und ein Evaluationssystem integrieren, um die Arbeit und Außenwirkung zu optimieren.
Während des ersten Jahres der nationalen Advisory Boards haben die Mitglieder
eine
Liste
mit
den
Themen
erstellt,
die
zu
einer
Verbesserung
ihrer
Zielorientierung, ihrer Aktivitäten und ihrer zukünftigen Arbeit führen, mit dem Ziel
ihre Effektivität in der Gesellschaft zu verbessern. Zu diesen Themen gehören
strukturelle Aspekte wie das Verhältnis von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen
und wie politische und leitende Ausrichtung, Aufgabenteilung, Entscheidungsfindungen, Erneuerungen, Fragen der Mitgliedschaft, der Zielgruppendefinition und
der Finanzierung gestaltet werden sollen. Weitere Themen sind externe
Beziehungen zu anderen NGOs, Institutionen, politischen Parteien, Presse und
institutionelle Beziehungen, also die Einbeziehung in einen gesellschaftlichen
Gesamtzusammenhang, lokale Organisationen im nationalen Kontext und die
europäische Ausrichtung.
107
Jedes IMES-Mitglied kann hier eigene Erfahrungen einbringen und hat gleichzeitig
die Chance, sich im Advisory Board von den anderen Kollegen Anregungen zu
holen. Es sollen positive und negative Aspekte einer Organisation herausgearbeitet und gemeinsame Punkte festgelegt werden, die für die Arbeit mit
Migranten wichtig sind und die Migranten wissen müssen, wenn sie Teil einer
Organisation werden oder diese selbst gründen wollen. Aus der generellen Liste
werden dann diejenigen herausgefiltert, bei denen es sinnvoll ist, gemeinsam an
ihnen weiterzuarbeiten und diese als Seminarbausteine für Migranten aufzuarbeiten.
Diese Vorschläge und Evaluierungsmethoden werden auf der europäischen Ebene
abgestimmt und erstellt. Im Weiteren werden in den Seminaren die Ergebnisse
ausgetauscht und Migranten haben die Möglichkeit aus dem offenen Umgang und
der deutlichen Darstellung der positiven und negativen Aspekte für ihre
Organisation zu lernen, oder sich an bereits vorhandenen Organisationen zu
beteiligen. Am Ende wird ein Handbuch zum Thema „Politikmanagement“, über
den Wissensaustausch zu den Themen und die unterschiedliche Art und Weise
damit
problemlösend
umzugehen,
erstellt.
Außerdem
wird
es
genauere
Informationen und eine Methode, wie Veränderungen angegangen werden
können, geben.
7.1 Grenzen der politischen Möglichkeiten von Migranten
Neben der Unkenntnis der Migranten über ihre eigenen politischen Möglichkeiten
ist eine weitere Schwierigkeit, dass diese in den europäischen Ländern oft sehr
beschränkt sind. Aus den Prozessen der Einwanderung, die in Deutschland und
anderen europäischen Ländern in der Vergangenheit in hohem Maß erfolgt sind
und voraussichtlich auch in Zukunft stattfinden werden, ergibt sich die
Notwendigkeit, sich mit Fragen der Integration und der Integrationspolitik
auseinanderzusetzen. Die Bundesrepublik ist aufgrund der hohen Migrationszahlen ein Einwanderungsland und Europa ein Einwanderungskontinent. Zum
108
einen ist mit Integration die Eingliederung des Migranten in die Aufnahmegesellschaft gemeint. Die Integration zielt darauf, dass der Migrant eine Position
einnimmt, welche den Positionen ähnlich ist, die vergleichbare einheimische
Gruppen in bestimmten Lebensbereichen einnehmen, und in der sie außerdem die
Möglichkeit haben, relevante Bestandteile „ihrer“ Kultur aufrechtzuerhalten.
Darüber hinaus ist Integration aber auch der Prozess der Aufrechterhaltung und
der Weiterentwicklung des Zusammenhalts der Gesellschaft auf verschiedenen
Ebenen.
Politik ist ein Instrument, um gesellschaftliche Verhältnisse zu gestalten, Probleme
zu bewältigen und Konflikte zu regulieren. Deshalb spielt Politik für den Abbau von
Integrationsproblemen eine wichtige Rolle, die Förderung von Integrationsprozessen in Einwanderungsgesellschaften ist eine zentrale und dauerhafte
politische Aufgabe. Politik muss die Gestaltung des Zusammenlebens von
Mehrheitsgesellschaft und zugewanderten Minderheiten regulieren, wobei sie sich
mit unterschiedlichen Instrumenten und Methoden an unterschiedliche Adressaten
richtet. Hierbei werden verschiedene Ebenen, Bereiche und Akteure relevant und
sind deshalb zu berücksichtigen. Für die unterschiedlichen Integrationspolitiken ist
das Prinzip der Demokratie, welches gebunden ist an den Grundsatz der
Menschenwürde, die Menschenrechte, das Rechts- und Sozialstaatsprinzip und
den Föderalismusgrundsatz, ein verbindlicher Rahmen sowie ein Leitbild. Dies
resultiert aus den demokratischen Verfahrensregeln, die auf bestimmten
inhaltlichen Werten und Idealen basieren und auf deren Verwirklichung
ausgerichtet sind. Zwar sind die Elemente der Demokratie einerseits unmittelbare
Realität, darüber hinaus jedoch ein noch zu verwirklichendes Ziel. Als Maßstab
ermöglicht das Demokratieprinzip also einen Vergleich zwischen dem Ideal und
der Wirklichkeit gesellschaftspolitischer Verhältnisse, womit gewährleistet ist, die
Integrationspolitiken unter analytischen, normativen und konstruktiven Gesichtspunkten zu beurteilen.151
151
Vgl.: Schulte, Axel: Integrations- und Antidiskriminierungspolitik in Einwanderungsgesellschaften, Hannover 2003. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=33&mode=thread&o
rder=0&thold=0 (Stand: 11.4. 2004).
109
Demokratische Verfahren sollen strukturelle Defekte und Defizite der Demokratie
verringern und damit einhergehende Unfreiheiten und Ungleichheiten abbauen, die
Möglichkeit einer freien und gleichen Partizipation für Individuen und Gruppen
erweitern und Konflikte gewaltfrei bewältigen. Deshalb gehört die Entgegenwirkung
struktureller Desintegration von Migranten und die Sicherung ihrer formell und real
gleichen Teilhabechancen in der Gesellschaft zu den zentralen Aufgaben von
Integrationspolitik. Dabei müssen Integrationshemmnisse und -sperren auf Seiten
der Migranten ebenso wie in Strukturen und Mechanismen der Aufnahmegesellschaft berücksichtigt werden. In dem Maß, wie Integrationspolitik in dieser
Hinsicht erfolgreich und nachhaltig wirkt, kann sie auch zur Demokratisierung auf
der gesamtgesellschaftlichen und transnationalen Ebene beitragen. So sind
Freiheit und Gleichheit normative Grundlagen der Demokratie und stehen in einem
engen Zusammenhang mit dem ethischen Individualismus, nach dem jedes
Individuum als Person mit den gleichen Rechten und der gleichen Würde gilt.
Freiheit und Gleichheit sind jedoch keine Tatsachen, sondern zu verfolgende
Ideale und verpflichtende Werte. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage,
was die bisherige Integrationspolitik zu deren Realisierung und Weiterentwicklung
geleistet hat und welchen Beitrag sie in Zukunft leisten kann und sollte.152
Bei einem großen Teil der in westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften,
insbesondere der in der Bundesrepublik lebenden Migranten, handelt es sich um
Personen mit dem rechtlich-politischen Ausländerstatus. Dadurch leben sie in
einem Nebeneinander von gleicher und ungleicher Freiheit, da sie einerseits auf
verfassungsrechtlicher Ebene, nach dem Prinzip der Menschenrechte und mit
Ansprüchen auf wirksamen Rechtsschutz die gleichen Rechte haben, andererseits
als Ausländer nicht über die Bürgerrechte verfügen und ausländerrechtlichen
Sondernormen unterliegen. Dies ist zwar unter völker- und verfassungsrechtlichen
Aspekten zulässig, wird aber mit zunehmender Integration der Migranten in die
gesellschaftliche Wirklichkeit des Aufnahmelandes immer problematischer. Daher
muss den länger im Land lebenden Migranten in staatlichen Integrationspolitiken
mehr gleiche Freiheit gegeben werden, weil die vielfältigen Formen der ungleichen
152
Vgl.: Schulte (wie Anm. 151).
110
Freiheit zu Verunsicherungen, Benachteiligungen und Diskriminierungen direkter
und indirekter Art führen. Selbst auf der Ebene der Europäischen Union haben
Angehörige von EU-Mitgliedstaaten bestimmte Gleichstellungsdefizite und somit
Integrationssperren.
Folgende
Maßnahmen
sollten
die
ungleiche
Freiheit
abschwächen:
- die Beseitigung oder Modifizierung einzelner, besonders problematischer ausländerrechtlicher Bestimmungen
- eine Überprüfung und gegebenenfalls Änderung von rechtlichen Bestimmungen, die sachlich nicht mehr legitimierbare Ungleichbehandlung von Ausländern beinhalten
- Maßnahmen zur Umsetzung von Konzepten eines Niederlassungsrechts oder
einer postnationalen Mitgliedschaft
- Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht, die darauf gerichtet sind, den Erwerb der Staatsangehörigkeit für Einwanderer in konsequenter und vorbehaltloser Weise zu erleichtern
- Maßnahmen auf der EU-Ebene zur Gewährleistung einer gerechten Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten aufhalten, durch eine Integrationspolitik, die darauf gerichtet
ist, ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie EU-Bürgern zuzuerkennen
- eine Verringerung der Differenzen zwischen Menschen- und Bürgerrechten,
entweder dadurch, dass bestimmte Grundrechte, die bisher als Bürgerrechte
konzipiert sind, als Menschenrechte umdefiniert werden und/oder dadurch,
dass ein neuer Bürgerbegriff entwickelt wird, der nicht nur die jeweiligen
Staatsangehörigen, sondern auch die dauerhaft in einem Territorium
lebenden Personen umfasst.153
Für die politische Demokratie ist das Konzept der Freiheit als Autonomie
kennzeichnend, die in der Möglichkeit besteht, sich die Gesetze und äußeren
Normen, denen man gehorcht, selbst zu geben. Das für demokratische Systeme
charakteristische Prinzip der Partizipation soll also gewährleisten, dass die
Staatsbürger direkt oder indirekt aktiv an der politischen Willensbildung teilnehmen
153
Vgl.: Schulte (wie Anm. 151).
111
und politische Entscheidungen beeinflussen und kontrollieren können. Dem
entsprechend beinhaltet das Prinzip der politischen Gleichheit, dass jeder
Staatsbürger über das gleiche Recht verfügt, den politischen Willensbildungsprozess beeinflussen und gestalten zu können. Dieses demokratische Versprechen auf gleiche politische Autonomie wirft die Notwendigkeit auf, auch die
dauerhaft im Inland lebenden Migranten in die demokratischen Teilhaberechte
gleichberechtigt mit einzubeziehen und damit sowohl deren Freiheit und Integration
durch Partizipation als auch die der gesamten Gesellschaft zu fördern. Solange
Migranten in der Bundesrepublik den Ausländerstatus haben, ist deren politische
Partizipation besonderen Bedingungen unterworfen. Ihnen ist vor allem das aktive
und passive Wahlrecht vorenthalten, was die Bevölkerung Deutschlands in
politisch voll- und minderberechtigte Teile spaltet und die Integration von Migranten
erschwert.154
Um Migranten mehr politische Freiheit und Gleichheit und damit ein höheres Maß
an Integration zu ermöglichen, muss man ihnen zunächst die Bürgerrechte auf
lokaler Ebene verleihen. In den Mitgliedstaaten der EU wurde durch den
Maastrichter Vertrag 1992 und den damit zusammenhängenden Verfassungsänderungen zwar das Wahlrecht für Unionsbürger auf der kommunalen Ebene
eingeführt, dieses ist aber eben auf die kommunale Ebene beschränkt und für
Migranten
aus
nicht-EU-Ländern
gar
nicht
vorhanden.
Daher
wäre
die
Erleichterung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes für die
demokratische Partizipation und Integration von Zugewanderten ein bedeutender
Beitrag. In Deutschland ist das Staatsangehörigkeitsrecht durch erhebliche
Restriktionen gekennzeichnet. Zwar kam es am 1. Januar 2000 zu einer erheblichen Verkürzung der Mindestaufenthaltszeiten, doch die Gesetze konzentrieren
sich weiterhin auf die Einbürgerung und das Abstammungsprinzip, während
doppelte
Staatsbürgerschaft
vermieden
wird.
Wenn
Fortschritte
bei
den
Integrationsprozessen erzielt werden sollen, sind weitere Erleichterungen des
Erwerbs der Staatsangehörigkeit erforderlich.
154
Vgl.: Schulte (wie Anm. 151).
112
Eine nachhaltige gesellschaftliche Integration kann zudem nicht ohne einen
sozialen Ausgleich gelingen. Die jeweilige soziale Wirklichkeit muss berücksichtigt
werden, damit eine Gleichstellung in den materiellen Auswirkungen des Rechts
erzielt wird. Die gesellschaftliche Entwicklung wird also nicht nur allein den
Marktkräften überlassen, sondern verpflichtet staatliche Organe, soziale Ungleichheit abzubauen und so die Freiheit und Würde der schwächeren Gesellschaftsmitglieder und deren Partizipationsmöglichkeiten zu schützen. Diese sozialen
Rechte gelten in der Bundesrepublik unabhängig von der Nationalität und somit
auch für in Deutschland lebende Migranten. Deren soziale Lage ist jedoch noch
immer durch erhebliche Ungleichheiten, Benachteiligungen und beeinträchtigte
Lebenschancen gekennzeichnet. Zum Abbau dieser Integrationsdefizite können
sozialstaatliche Integrationsmaßnahmen an den Defiziten der Information und der
sprachlichen und beruflichen Qualifikation der Migranten durch besondere
Beratungs- und Fördermaßnahmen ansetzen. Doch die benachteiligte soziale
Lage der Zuwanderer ist nicht nur durch sie selbst bedingt, sondern auch durch
Phänomene und Mechanismen, welche in der Mehrheitsgesellschaft existieren.
Deshalb müssen zusätzliche Maßnahmen für den Abbau von Diskriminierung und
Rassismus entwickelt und verwirklicht werden.155
Neben sozialstaatlichen Maßnahmen „von oben“ können auch Zusammenschlüsse
auf gesellschaftlicher Ebene „von unten“ die soziale Lage von Migranten
verbessern. Gemeint sind damit Formen der kollektiven Selbsthilfe sowie deren
rechtlich-politische Anerkennung und Förderung. Im Bereich der Arbeitswelt sind
das die Koalitionsfreiheit, die Tarifautonomie, die Arbeitskampffreiheit und die
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte im Rahmen der Betriebsverfassung und
der Unternehmensmitbestimmung. Auf die soziale Lage der Migranten und deren
Integration, wirken sich außerdem Formen der sozialen Vernetzung beispielsweise
in Form von Einwanderungskolonien positiv aus. Sie geben den Betroffenen
Möglichkeiten der Orientierung, der Vernetzung, der Selbsthilfe, der Identitätsbildung, der Integration und der Interessenvertretung.
155
Vgl.: Schulte (wie Anm. 151).
113
7.2 „Politikmanagement“ durch Vereinigungen
Von Kultur ist meistens in Form von Monokultur die Rede. Begriffe wie
Überfremdung, Überschwemmung und Kolonienbildung sind nicht weit entfernt von
der Idee der „deutschen Leitkultur“. Diese Idee kulturalisiert Politik und politisiert
Kultur, um mit der Angst vor dem Verlust kultureller Werte und Normen
interkulturelle Verständigungsprozesse zu blockieren und kulturblinden Stimmenfang zu betreiben. Dieser Diskurs ist ein über die Instrumentalisierung der Kultur
ausgetragener Versuch der Festschreibung des alten Zustandes, in dem die
Partizipationsmöglichkeiten der Migranten stark eingeschränkt sind. In der
einwanderungspolitischen Debatte der vergangenen Jahre hat die Frage der
politischen Partizipation kaum eine Rolle gespielt. Für die überwiegende Mehrheit
der Migranten in Deutschland gibt es kaum Möglichkeiten der klassischen
politischen Betätigung.
Die einzigen, teilweise gewählten Gremien sind die Ausländerbeiräte, welche in
manchen Städten wie Hannover aufgelöst und in Migrations- und Integrationsausschüsse umgewandelt werden. Diese leiden allerdings unter einer chronischen
Legitimitätsschwäche, da sie meistens nicht einmal 10% der möglichen Stimmen
erreichen. Weitere Schwierigkeiten sind ihre Selbstorganisation und hauptsächlich
an der Politik ihrer Herkunftsländer orientierte politische Bewegungen, mit denen
sie sich an der Grenze zum Gesetzesverstoß bewegen, da das Ausländerrecht
ihre
politischen
Betätigungsrechte
einschränkt.
Im
Kern
hat
das
neue
Zuwanderungsgesetz in §47 das umfassende „Verbot und Beschränkung der
politischen Betätigung“ aus dem Ausländergesetz bruchlos übernommen.156
Auch durch die Ausdifferenzierung des Anti-Terroristengesetzes wurden die
Verbotsgründe für so genannte Ausländervereine stärker modifiziert und erweitert.
Trotzdem muss „Politikmanagement“ eine wichtige Stellung bei der Entwicklung
partizipativer Methoden zur Verbesserung der Integration von Migranten
156
Vgl.: Caglar, Gazi: Kultur und Migration, Hannover 2003. In:
http://www.imes.info/modules.php?op=modload&name=News§file=article§sid=37
2004).
(Stand:
11.4.
114
einnehmen, da die Nutzung derjenigen demokratischen Methoden, die dem
Migrant im Aufnahmeland zur Verfügung stehen, ihm die Möglichkeit bietet, selbst
Einfluss auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Integration zu nehmen.
Und hier bieten bis jetzt nun mal Vereinigungen die besten Plattformen für die
Artikulation langfristiger Interessen, welche nach außen gerichtet sind. Das Projekt
IMES will ein Netzwerk zwischen den unterschiedlichen Vereinigungen des
Migrationsbereiches in der Region aber auch länderübergreifend schaffen.
Vereinigungen stellen Kontexte dar, in denen die Mitglieder bezahlte und
unbezahlte Positionen (Vorsitzender, Sprecher) erhalten können, was ein
innerorganisatorischer Aspekt von Vereinigungen ist.
Außerdem sind sie enge
Interaktionsnetzwerke, die wie Familien oder Freundschaftsnetzwerke Bestätigung
bieten. Wie alle gesellschaftlichen Gruppen können auch Migranten sich in
Vereinigungen zusammenschließen, um ihre gesellschaftlichen Interessen zu
vertreten und langfristig auf eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Position
hinzuwirken. Hierbei gibt es zwei Strategien. Zum einen können Zuwanderer, die
generalisierbare Ressourcen kontrollieren, denen aber der individuelle Zugang zu
den Netzwerken der Aufnahmegesellschaft nicht zugänglich ist, diese Barrieren
durch kollektives Handeln abbauen. Ein weiterer Weg ist, wenn die bestehenden
Opportunitäten den Migranten zu beschränkt erscheinen, auf deren Ausweitung
hinzuarbeiten. Je größer, etablierter und institutionell vollständiger eine Vereinigung ist, desto weniger sind die Migranten darauf angewiesen, diese für
bestimmte Vorgänge zu verlassen.157
Grundsätzlich soll die politische Interessenvertretung von Zuwanderern auf den
Abbau von Barrieren, welche ihnen die effektive Nutzung ihrer Ressourcen
erschweren, hinarbeiten. Diskriminierungsabbau soll es ermöglichen, gleiche
Rechte für alle Gesellschaftsmitglieder durchzusetzen. Es sollen also keine
besonderen Rechte, sondern Abwehrrechte gegen Benachteiligung eingefordert
werden. Typische Gleichberechtigungsforderungen von Migranten sind die nach
Ausländerwahlrecht, Einbürgerungserleichterung und Anti-Diskriminierungsgesetzen. Es handelt sich also um eine Angleichung von Rechten der Minorität an die
157
Vgl.: Diehl (wie Anm. 122), S. 67f.
115
der Majorität. Die Durchsetzung dieser Rechte ist oft nur in kollektivem Handeln
möglich, weil sie meist mit hohen Kosten verbunden ist und die kollektive
Forderung außerdem die Legitimität erhöht.158
Die Forderung nach einer Bewahrung der kulturellen Gruppe zielt darauf ab,
innerhalb des Aufnahmelandes einen Bereich zu schaffen, in dem die Regeln,
Bräuche und Bewertungsmuster der Herkunftsgesellschaft gelten. Der Zugang der
Migrantengruppe zu sozialer Anerkennung wird insofern verbessert, als dass der
Geltungsbereich der herkunftslandspezifischen Ressourcen ausgeweitet wird.
Hierfür sollte die Verfassung der Aufnahmegesellschaft um Elemente der
Verfassung der Vereinigung bzw. des Herkunftslandes erweitert werden. Dies setzt
nicht zwangsläufig Diskriminierung voraus, sondern soll die Stellung der jeweiligen
Minorität verbessern und sie als Gruppe erhalten. Sonderrechte für Minoritäten
schaffen in der Gesellschaft einen Kontext, in dem die Gruppenmerkmale, zum
Beispiel Sprachkenntnisse, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe oder Kleidung, zu
effizienten Mitteln für den Zugang zu sozialer Anerkennung werden. Ihr Wert ist
also vom Erhalt der Gruppe abhängig.159
Die Partizipation in solchen Vereinigungen trägt zur Entstehung einer Migrationskultur bei. Diese nimmt die Erfahrung des Fremdseins ernst, lebt von der
Sehnsucht nach dem globalen einheimisch werden und versucht die Zerrissenheiten des Lebens als Migrant als Zerrissenheiten von Gesellschafts- und Welterfahrung zu verallgemeinern und so für alle verständlich, vermittelbar und
kommunizierbar zu machen. So schafft sie Solidarität, ermöglicht Empathie und
verbindet.
8. Beurteilung der ersten Projektphase
Ende des Jahres 2003 wurde die erste der drei Phasen des Projektes IMES
abgeschlossen. Nun kann reflektiert werden, inwieweit die Zwischenziele bei der
158
159
Vgl. ebd., S. 69.
Vgl.: Diehl (wie Anm. 122), S. 70f.
116
Entstehung neuer Methoden zur partizipativen Integration von Migranten erreicht
wurden, wo noch Verbesserungsbedarf besteht und was für den Erfolg des
Projektes verändert werden muss.
Zum einen gibt es die Beurteilung des Projektes durch den deutschen Koordinator
selbst, der sich in Berichten an die EU dazu äußert. Nach Abschluss des ersten
Jahres hat auch die zweite deutsche Partnerin, Gabi Janecki vom VNB, ihre
Beurteilung über den bisherigen Projektverlauf abgegeben. Außerdem gibt es eine
Befragung des IMES Mitglieds Frank Auracher, der in Hildesheim lebt und daher
einen objektiveren Blickwinkel auf das Projektgeschehen hat, da er weniger in die
Migrationsarbeit in Hannover eingebunden ist. Eine weitere objektive Befragung
entstand mit Julia Gebke, die während eines zweimonatigen Praktikums einen
Einblick in die Arbeit von IMES bekommen hat.
8.1 Beurteilung durch den deutschen Koordinator Georg May
Die Erwartungen des deutschen Koordinators Georg May an das Projekt IMES
haben sich von Beginn an erfüllt. Schon nach den ersten drei Monaten von
Oktober bis Dezember 2002 war das deutsche Advisory Board komplett. Obwohl
zu diesem Zeitpunkt noch einzelne Zusagen wünschenswert erschienen, war das
Board groß genug und die derzeitigen Mitglieder erfüllten die Zusammensetzungskriterien nach Gender und dem ausgewogenen Verhältnis von Deutschen
und Migranten sowie Professionellen und Ehrenamtlichen. Seine eigene Rolle sah
der Koordinator in dieser Zeit in der Entwicklung der Boardstruktur und der
Kommunikationsstrukturen, doch da die Mitglieder interessiert waren, schien schon
jetzt eine konstruktive Zusammenarbeit wahrscheinlich.160
160
Vgl.: Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Zwischenbericht der
Projekte zur länderübergreifenden Zusammenarbeit. Sokrates Programm. Finanzielle Vereinbarungen Nr.: 100912 – CP – 1 – 2002 – 1 – GRUNDTVIG – G1, Hannover 2003, S. 1.
117
Allerdings war das Projekt während dieses Anfangsstadiums noch sehr
theoretisch, was Georg May mit dem Einstieg in das erste Thema „Neue Medien“
aber im nächsten Projektabschnitt ändern wollte. Die Bereitschaft zur Mitarbeit ist
seiner Meinung nach bei den Teilnehmern geweckt worden.161 „Das Interesse an
den nächsten Schritten und Treffen ist da. Die Verbindung der direkten Kommunikation durch die Treffen in Kombination mit der Website scheint auf
Akzeptanz zu stoßen.“162 Für die weitere Projektarbeit wurden vor allem Hilfe und
Hinweise für Texte (auch für die Website) und Referenten benötigt, da die BoardMitglieder als viel beschäftigte Experten eher selten den Themeneinstieg
vorbereiten würden.163
Den Verlauf des Projektes reflektierte der deutsche Koordinator vor allem durch
Einzelgespräche und Befragungen der Advisory Board-Mitglieder nach und
zwischen den Treffen, da die Mitglieder vor ihrem Erfahrungshintergrund aus der
Arbeit mit Migranten beurteilen können, welche pädagogischen Ansätze Erfolg
versprechend sind, welche Lücken bestimmte Methoden füllen können und wie in
den Focus genommene Gruppen erreicht werden können. Diese Hinweise sind vor
allem für die Entwicklung und Durchführung der Seminarangebote notwendig und
können in Verbindung mit gezielten Informationen durch Experten neue Ideen und
Bildungsansätze entstehen lassen.
Von Januar bis März 2003 wurde das Advisory Board nach der Beurteilung durch
Georg May endgültig komplett, wobei es immer für einzelne neue Mitglieder offen
blieb, eine intensive Suche danach jedoch nicht mehr nötig war. Seine eigene
Rolle sah er nun als organisatorisch und fachlich anerkannt im deutschen Advisory
Board.164 „Das Board arbeitet konstruktiv und interessiert zusammen. Die Koordinationsarbeit ist interessant, aber zeitaufwändiger als geplant. Das Projekt muss
sich als Netzwerk noch entwickeln.“165 Die professionellen Mitglieder haben laut
des deutschen Koordinators bereits eigene Kommunikationsstrukturen und sehen
IMES als einen zusätzlichen Arbeitsbereich, den sie aber noch nicht aktiv in ihre
161
Vgl. ebd.
Europäische Kommission (wie Anm. 160).
163 Vgl. ebd.
164 Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 160), S. 4.
165 Europäische Kommission (wie Anm. 160).
162
118
Arbeit integrieren. Dies sei nach so kurzer Zeit auch noch nicht zu erwarten, bleibe
aber weiterhin Anspruch des Projektes. Für die Netzwerkentwicklung seien die
regelmäßigen Treffen sehr wichtig, müssten aber so gut vorbereitet und mit
Informationen von guten Referenten versehen sein, dass der Nutzwert einer
Teilnahme größer als der Nachteil der zusätzlichen Zeitbelastung für die beruflich
sehr eingespannten professionellen Migrationsarbeiter werde.166
In der Zeit von April bis September 2003 sah der deutsche Koordinator bei seiner
Arbeit eine Entwicklung des Projektes zum Netzwerk. Die Vorteile für die
professionellen Mitglieder seien bei der Planung gemeinsamer Seminare deutlich
erkennbar, was zur Stabilisierung der Teilnahme beitrage. Allerdings sei in allen
Organisationen spürbar, dass die finanziellen Mittel sinken und damit die
Arbeitsbelastung steige, was auch für die Zusammenarbeit von IMES noch nicht
absehbare Konsequenzen haben könne. Einige Advisory Board-Mitglieder konnten
daher auch nicht kontinuierlich an den Treffen teilnehmen, da sie beruflich
verhindert waren. Doch Größe und Zusammensetzung seien trotzdem weiterhin
ausreichend gewesen und die Informationen durch Referenten führten weiterhin zu
vertieften Diskussionen und zur Weiterentwicklung des Projektansatzes. Des
Weiteren stellt sich nach Meinung von Georg May die Zusammenarbeit mit einem
Experten zum auf der vorherigen Sitzung ausgewählten Thema als sehr gut
heraus. Sie verschaffe dem Advisory Board neue Einsichten und Ideen und der
Koordinator könne sich stärker auf die Entwicklung der Zusammenarbeit
konzentrieren. Die Erarbeitung konkreter Seminarvorschläge für das Thema „Neue
Medien“ sei nun ein wichtig werdender Arbeitspunkt, dessen konkrete Kooperation
in Vorbereitung sei.167
Für wünschenswert hält Georg May es, wenn das Projekt eine gemeinsame
Konferenz der Advisory Board-Mitglieder aus allen drei Ländern ermöglichen
könnte, da auch bei den Koordinatoren schon deutlich wird, dass der
Erfahrungsaustausch bei ihren Treffen im direkten Dialog am hilfreichsten und
intensivsten ist. Konkrete Pläne gibt es hierzu jedoch noch nicht.
166
167
Vgl. ebd.
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 160), S. 6.
119
8.2 Beurteilung durch die zweite deutsche Partnerin Gabi Janecki
Gabi Janecki hält das deutsche Advisory Board ebenfalls für eine gut
zusammengesetzte Gruppe aus einem breit gefächerten Bereich von Mitarbeitern
aus Organisationen des Migrationsbereiches. Es seien sehr interessante Vorträge
zu den Themen „Neue Medien“ und „soziokulturelle Kompetenzen“ gehalten sowie
sehr gute Experten eingeladen worden, um das Wissen der Mitglieder zu den
Themen des Projektes zu vertiefen. Auch das Advisory Board hält sie für eine
arbeitsfähige Gruppe aus sehr professionellen Mitgliedern mit einer guten
Arbeitsgröße, da sie bei jedem Treffen höher als zehn Mitglieder ist. Die Mitglieder
seien das ganze erste Jahr mehr oder weniger dieselben geblieben, wobei nicht
jeder an allen Treffen teilnehmen konnte, eine kontinuierliche Arbeit dennoch
möglich gewesen wäre.168
Ihre eigene Rolle sieht Gabi Janecki als die einer externen Beobachterin, wobei sie
im zweiten Jahr aber auch in die Planung eines Seminars zum Thema „Neue
Medien“ mit dem deutschen Koordinator für die deutsche Gruppe miteinbezogen
ist. Das wichtigste Ergebnis des ersten Jahres sei die Zusammenstellung und
Kapazität des Advisory Boards und die Beschäftigung mit den Themen „Neue
Medien“ und „soziokulturelle Kompetenzen“. Ebenfalls wichtig sei die gute Basis
für den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitglieder und das dadurch
entstandene Netzwerk für die zukünftige Bearbeitung der Themen. Für die Zukunft
sei es notwendig, die Arbeit des Advisory Boards praktischer zu gestalten. Die
theoretischen Ergebnisse des ersten Jahres sollten praktischen umgesetzt werden
zum Beispiel durch Radio, Video, Internet oder Trainingseinheiten zu „soziokulturellen Kompetenzen“. Es sei weiterhin wichtig, mehr Kooperationsidentität
168
Vgl.: VNB: New educational methods for an integration of migrants in the European Society.
Formal Evaluation Report Form, Hannover 2003, S. 1.
120
zwischen den Mitgliedern herzustellen, was bedeutet, dass das Advisory Board
bewusst als Teil des Projektes wahrgenommen werden müsste.169
Die beiden Themen „Neue Medien“ und „soziokulturelle Kompetenzen“ seien in
einer sehr guten theoretischen Art vermittelt worden, indem Experten zu den
Treffen des Advisory Boards eingeladen wurden, die einen sehr guten Überblick
über die derzeitige Diskussion der Themen gegeben hätten. Das Thema
„Politikmanagement“ sei dagegen gar nicht behandelt worden. Als Ergebnis des
gesamten Projektes würde die zweite deutsche Partnerin sich ein aktives,
kompetentes Netzwerk aus vielen im Bereich Migration arbeitenden Mitgliedern
und konkreten Lern- und Lehrmaterialien für die drei Projektthemen wünschen. Zur
Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit seien die Nutzung der im Projekt behandelten „Neuen Medien“, eine Broschüre über das Projekt und ein oder zwei
öffentliche Veranstaltungen in jedem Land nötig. Ein interkultureller Trainingsworkshop, Training für die Benutzung „Neuer Medien“ und die Einführung in das
Thema „Politikmanagement“ sind Ideen für die zweite Phase des Projektes.170
8.3 Befragung des IMES-Mitglieds Frank Auracher171
Der
34-jährige
Diplom-Sozialpädagoge
Stadtteilmanagement
Drispenstedt
in
Frank
Hildesheim
Auracher
und
hat
arbeitet
die
beim
deutsche
Staatsangehörigkeit. Die Arbeit mit Migranten umfasst nur einen Teil seiner
täglichen Arbeit als Stadtteilmanager. Wichtig ist ihm hierbei, die Kommunikation
zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu erhöhen, die Sprachförderung zu
bündeln und zu intensivieren und die Stadtteilbevölkerung zu mehr Offenheit und
Toleranz gegenüber jeweils anderem zu ermutigen. Bezogen auf konkrete Projekte
im Stadtteil legt er Wert darauf, in allen Projekten bereits bei der Planung frühzeitig
Migranten mit einzubeziehen, wobei er aber feststellt, dass der verstärkt nötige
Anteil an aktivierender Arbeit nur zum Teil machbar ist.
169
Vgl.: VNB (wie Anm. 168), S. 2.
Vgl. ebd., S. 2f.
171 Von der Verfasserin geführtes Interview mit Frank Auracher im November 2003 in Hannover.
170
121
Als einziges nicht aus Hannover oder Umgebung stammendes Mitglied des
deutschen Advisory Boards ist Frank Auracher über seine Mitgliedschaft im
Vorstand der Projektwerkstatt für Umwelt und Entwicklung e.V. zu seiner Mitarbeit
bei IMES gekommen. Entscheidend war dabei natürlich der Inhalt seiner Arbeit mit
den unterschiedlichen Menschen in Drispenstedt, da in diesem Stadtteil von
Hildesheim die Quote der Migranten im Vergleich zu anderen Stadtteilen sehr hoch
ist. Die interkulturelle Arbeit ist somit ein Schwerpunkt seiner Arbeit und er
versucht die Integration durch die Stärkung der interkulturellen Kommunikation und
Begegnung zu fördern. Die Mitarbeit bei IMES wird daher von der Seite seines
Auftraggebers, der Stadt Hildesheim, unterstützt.
Von der Mitarbeit bei IMES erwartet sich Frank Auracher einen Dialog mit Experten
aus anderen Berufsfeldern im Arbeitsbereich Migration, eine begleitende
Evaluation eines Modellprojekts zum Thema Integration sowie Informationen aus
den verschiedenen Bereichen der aktuellen Migrationsdebatte, innovative Ansätze
und Referate verschiedener Experten aus der Arbeit mit Migranten. Speziell für
Drispenstedt
ist
die
Nutzung
des
Bürgerradios
mit
dem
Aufbau
einer
interkulturellen Redaktion geplant. Diese Erwartungen wurden für ihn bis jetzt weit
übertroffen.
Die Integration von Migranten werde bei IMES durch die Entwicklung von
innovativen Konzepten zur Integrationsarbeit mit Migranten, aber gleichzeitig auch
mit der Stadtbevölkerung insgesamt durch den Dialog von Experten gefördert.
Außerdem werde sie durch die gegenseitige Information, durch das Erproben
innovativer Konzepte in Form von Modellprojekten, die aktive Mitgliedschaft von
Experten mit eigenem Migrationshintergrund und Internetpräsenz als Instrument
der Zusammenfassung aktueller Entwicklungen in der Arbeit mit Migranten
unterstützt. Die Rolle der Migranten, welche im Advisory Board von IMES Mitglied
sind, sei eine besondere, da diese aus eigener Erfahrung innovative Ansätze
kritisch hinterfragen könnten und so sicherstellen würden, dass nicht an den
Betroffenen vorbeigeplant werde. Außerdem würden sie kritisch hinterfragen,
warum
die
Zielgruppe
häufig
Migranten
seien
und
nicht
etwa
die
Stadtteilgesellschaft allgemein. Durch die Mitarbeit der Migranten werde zudem
122
gewährleistet, dass alle Mitglieder dieser Gesellschaft handelnde Akteure sind
oder werden, wodurch die Opferrolle vermieden werde. Sie seien kritische
Diskussionspartner, welche allgemein desintegrativen Tendenzen entgegenwirken
würden. Frank Aurachers Erwartungen an die Mitarbeit der Migranten bei IMES
sind erfüllt.
Die neu entstehenden Methoden von IMES seien der innovative Ansatz der
Radioredaktion in einem ganz normalen Stadtteil und eine konstruktive
Medienkontrolle, welche den kritischen Dialog mit Fernsehmedien stärke. Die Rolle
der „Neuen Medien“ sei eine herausragende, da das ganze Projekt um die
Nutzung „Neuer Medien“ in der Migrationsarbeit herum aufgebaut sei. Allerdings
zeige sich an der geringen Nutzung der Homepage, dass Praxis und Theorie auch
hier auseinanderdriften.
Der
Bergriff
der
„soziokulturellen
Kompetenz“
müsse
klar
definiert
und
entsprechend in die unterschiedlichsten Bereiche der Gesellschaft transportiert
und vermittelt werden. Die entsprechenden Teilkompetenzen sollten daher
Eingang in alle Curricula und Ausbildungsgänge finden, um die bereits bestehende
interkulturelle Gesellschaft auch tatsächlich zu einer lebendigen Gesellschaft,
basierend auf der kompetenten Kommunikation über die Grenzen verschiedener
Milieus hinaus, werden zu lassen. Kritisch anmerken möchte Frank Auracher
jedoch, dass es IMES auch obliegt aufzuzeigen, dass Integration nicht unbedingt
aufgrund mangelnder interkulturelle Kompetenz misslingt, sondern ebenso sehr
Verteilungskonflikte von Ressourcen und Gerechtigkeitsdefizite eine Rolle spielen.
Integration funktioniere also nur, wenn Chancengleichheit für Migranten gepaart
mit der Weiterentwicklung interkultureller Kompetenzen hergestellt werde. Bislang
sei man in diesem Bereich bei IMES aber bei der Diskussion stehen geblieben und
habe noch keine Praxisrelevanz entwickelt.
„Politikmanagement“ habe bisher bei IMES noch keine Rolle gespielt, da dieses
Thema noch nicht behandelt wurde. Im nächsten Quartal erwartet sich Frank
Auracher jedoch sehr viel von der Klärung der Frage, wie Einfluss auf Politik und
Verwaltung, hinsichtlich einer Öffnung der Gesellschaft zu einer Zuwanderungsgesellschaft, genommen werden kann. Dazu gehöre eine sprachliche Öffnung
123
ebenso wie verstärkte Bemühungen jeglicher Fachabteilungen und Politikbereiche
Integration als Querschnittsaufgabe zu begreifen. Ebenso gehöre die Öffnung der
Verwaltungen zu mehr Transparenz und Beteiligung der gesamten Bevölkerung
aber auch die Öffnung der Politik zu mehr Beteiligung und Verstärkung der
Moderation von Entscheidungsfindungen anstelle von Entscheidungsfindungen als
Machtfaktor dazu.
Die Partizipation von Migranten werde allgemein durch die Öffnung von
Entscheidungsprozessen, die Transparenz von Verfahren inklusive Mehrsprachigkeit, die Stärkung der Vernetzungsarbeit in den Wohnquartieren und Stadtteilen,
den Blickwechsel auf Ressourcenorientierung und Akzeptanz gepaart mit
wirklichem Interesse gefördert. Den Anteil der Migranten bei IMES selbst hält
Frank Auracher für relativ hoch, wobei abzuwarten bleibe, ob sich diese in den
einzelnen Projekten wieder finden wird. Über das Multiplikatorprinzip wirke IMES in
verschiedene Teilbereiche der Gesellschaft hinein und entwickele gemeinsam mit
Migranten innovative Ansätze in der Integrationsarbeit und eine Veränderung von
Strukturen und Bewusstseinsprägungen in der Zuwanderungsgesellschaft.
Als Verbesserungsvorschlag für das Projekt plädiert Frank Auracher für eine
transparentere und intensivere Selbstdefinition von IMES. Es müsse klar sein, was
IMES will, was für die Mitglieder dazugehört, wo für jeden Einzelnen der Nutzen
und wo die Herausforderung und Selbstverpflichtung liegt. Dazu seien die
Einzelgespräche sehr wichtig, welche der deutsche Koordinator derzeit führt, aber
auch jeweils ein kurzer Austausch hinsichtlich der Frage, wer wo steht, was gerade
in der Arbeit von jedem Priorität hat und wie der Stand des zu entwickelnden
Modellprojekts ist. Momentan beobachtet Frank Auracher, dass einzelne Mitglieder
nicht präsent sind, ebenso ist er unsicher in der Frage, ob der Kreis offen ist für
neue Mitglieder. Das würde er stark begrüßen, da er wahrnimmt, dass sich
einzelne aufgrund von zeitlichen Überschneidungen nicht ausreichend einbringen
können. Wenn dies schon nicht möglich sei, stelle sich die Frage, wie es möglich
sein solle, Modellprojekte zu initiieren.
124
8.4 Befragung der Praktikantin Julia Gebke172
Die 22-jährige deutsche Studentin Julia Gebke absolvierte ein zweimonatiges
Praktikum bei Tapas – Verein für Kultur, Völkerverständigung und Umweltschutz
e.V. mit dem Schwerpunkt IMES. Dieser Praktikumsschwerpunkt wurde gewählt,
da
ihr
das
Internetprojekt
von
tapas-multimedia
zur
Erlebnisausstellung
„Clandestino illegal“, welche illegale Migranten thematisiert, sehr gut gefiel. Von
der Mitarbeit bei IMES erwartete sie sich einen Einblick in die interkulturelle Arbeit.
Allerdings hatte sie auch gehofft, konkrete Medienprojekte mit bzw. von Migranten
mitzuerleben, was jedoch nicht der Fall war. Daher haben sich ihre persönlichen
Erwartungen an IMES nicht erfüllt, Julia Gebke hofft aber, dass diese im Verlauf
des Projektes noch realisiert werden.
Die Integration von Migranten werde bei IMES momentan vor allem durch den
Austausch von Informationen gefördert. Jeder trage durch seine eigenen
Erfahrungen und Arbeitshintergründe dazu bei, Ideen für neue Projekte zu
entwickeln. Dazu kommen noch die Referate von verschiedensten Personen aus
der interkulturellen Arbeit. Die Stellung der Migranten bei IMES sei vollkommen
gleichberechtigt, da diese schon direkt bei den Treffen mitarbeiten und nicht über,
sondern mit ihnen diskutiert werde. Durch deren Mitarbeit erwartet Julia Gebke,
dass dadurch der typische Fehler, Integration als einseitigen Prozess zu sehen,
von vornherein vermieden wird. Außerdem werde somit die Wahrnehmung von
Integration besser gewährleistet. Des Weiteren sei zu hoffen, dass durch die
Mitarbeit von Migranten im Advisory Board, IMES auch von den Migranten, die an
den geplanten Projekten teilnehmen, ernst genommen wird. Bis jetzt erfüllen sich
diese Erwartungen.
Der Einsatz von Medien und der Umgang mit „Neuen Medien“ solle Integration
fördern, zum Beispiel auch dadurch, dass Migranten in einem Workshop lernen,
mit der Kamera umzugehen und eigene Beiträge zu produzieren. Außerdem könne
dies dazu beitragen, das Thema Integration in einem neuen Licht in den Medien zu
zeigen, aus dem Blickwinkel der Migranten, der oft vernachlässigt werde.
172
Von der Verfasserin geführtes Interview mit Julia Gebke im Oktober 2003 in Hannover.
125
„Soziokulturelle Kompetenzen“ zu besitzen und weiterzuentwickeln sei heute in
allen Lebensbereichen wichtig, da wir schließlich bereits in einer multikulturellen
Gesellschaft leben. Für das Thema „Politikmanagement“ wünscht Julia Gebke
sich, dass die Lobby der Migranten gestärkt wird und die Parteien für das Thema
sensibilisiert werden. So sollten zum Beispiel diejenigen, welche noch keinen
Migrationssprecher oder ähnliches besitzen, dadurch mit dem Thema konfrontiert
werden.
Partizipation werde gefördert, indem man Migranten nicht nur in die Rolle des
Lernenden hineinpresse. Daher sei es wichtig, bei den Projekten darauf zu achten,
dass Migranten ihre Teilnahme selber mitgestalten. Julia Gebke hofft, dass dieses
bei IMES umgesetzt wird.
8.5 Auswertung
Alle Beurteilungen des Projektes IMES sind überwiegend positiv und die
Erwartungen der Befragten haben sich weitgehend erfüllt, wobei der Subjektivste
der Befragten, der deutsche Koordinator Georg May, am wenigsten Kritik anbringt.
Seine Erwartungen an das Projekt wurden von Beginn an erfüllt, wobei auch er die
Arbeit anfangs als zu theoretisch empfand, was er jedoch mit dem Einstieg in das
erste Thema als verändert betrachtete. Die drei anderen Befragten halten das
Projekt aber bis heute für zu theoretisch. Die zweite Koordinatorin Gabi Janecki
findet es wichtig, dass die Arbeit des Advisory Boards praktischer wird, was sie
sich von der Durchführung der Seminare im zweiten Jahr erhofft. Ebenso kritisiert
Frank Auracher, dass das Thema „soziokulturelle Kompetenzen“ bei der
Diskussion stehen geblieben ist und noch keine Praxisrelevanz entwickelt wurde.
Auch Julia Gebkes Erwartung, konkrete Medienprojekte von und mit Migranten
erleben zu können, hat sich nicht erfüllt. Dies zeigt, dass das Projekt noch nicht
über das Planungsstadium hinausgewachsen ist, wobei der deutsche Koordinator
seine Arbeit auch als aufwändiger als erwartet beurteilt. Insgesamt gehen aber alle
126
Kritiker davon aus, dass IMES im zweiten Projektjahr praktischer wird, halten das
aber auch für notwendig.
Georg May empfindet viel Bereitschaft und Interesse bei den Mitgliedern des
Advisory Boards und sieht die unregelmäßige Teilnahme einiger Mitglieder im
Zeitmangel und in den Geldkürzungen der Migrationsarbeit begründet. Auch Gabi
Janecki beurteilt die Arbeit des Advisory Boards als kontinuierlich, obwohl
manchmal einige Personen bei den Treffen fehlen. Frank Auracher sagt dagegen,
dass einzelne Mitglieder zu wenig präsent sind und fragt sich, wie Modellprojekte
durchgeführt werden sollten, wenn schon für die Treffen des Advisory Boards zu
wenig Zeit ist. Auch sein Zweifel, ob das Advisory Board für neue Mitglieder offen
ist, steht im Widerspruch zu Georg Mays Einschätzung, dass einzelne neue
Mitglieder jederzeit willkommen sind. Ebenso kontrovers ist, dass der deutsche
Koordinator die Kommunikation des Projektes durch die Treffen und die Website
als akzeptiert ansieht, Frank Auracher aber die Homepage nach eigenen Angaben
zu wenig nutzt und das auch bei anderen Mitgliedern vermutet. Zukünftig muss
also ein Weg gefunden werden, die Mitglieder zu motivieren, regelmäßiger an den
Treffen des Advisory Boards teilzunehmen und die Website mehr zu nutzen.
Geschieht dies nicht, muss ein zusätzliches Kommunikationsmedium neben der
Internetseite eingesetzt werden.
Obwohl Gabi Janecki meint, dass durch das Advisory Board ein Netzwerk
entstanden sei, fordert sie mehr Kooperationsidentität zwischen den Mitgliedern
und hält deren Bewusstsein, dass das Advisory Board Teil des Projektes ist, für zu
niedrig. Diese Kritik sollte sehr ernst genommen werden, da das Advisory Board
den Großteil von IMES ausmacht. Auch ihr Wunsch, dass ein kompetentes
Netzwerk der Mitglieder Ergebnis des gesamten Projektes sein soll, zeigt, dass
dieses Netzwerk entweder noch nicht ausgereift ist oder die Gefahr besteht, es
könnte sich nach Beendigung des Projektes wieder auflösen. Des Weiteren
wünscht sie sich eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit durch die Nutzung der
„Neuen Medien“, eine Broschüre über das Projekt und öffentliche Veranstaltungen.
Auch Frank Auracher findet, dass nicht klar genug ist, was IMES will und welche
Mitglieder dazugehören. Er wünscht sich eine transparentere und intensivere
127
Selbstdefinition. Beide Meinungen zeigen, dass die Selbstdarstellung des
Projektes nach außen verbessert werden muss.
Die Beteiligung der Migranten bei IMES ist nach Meinung Frank Aurachers relativ
hoch, was deren Partizipation gewährleistet. Er ist aber skeptisch, ob dieser Anteil
auch in den Projekten ebenso hoch sein wird. Darauf sollte bei deren
Durchführung geachtet werden. Julia Gebke hält es dabei für besonders wichtig,
dass in der kommenden Phase der Seminarprojekte die Migranten nicht in die
Rolle des Lernenden gepresst werden. Obwohl der Anteil der Migranten im
Advisory Board bei fünfzig Prozent liegt, besteht die Gefahr, dass Migranten, mit
denen in der Testphase Seminarprojekte durchgeführt werden, wieder in diese
passive Rolle geraten, wenn die Seminare nur auf Wissensvermittlung ausgerichtet
sind. Das sollte während der Projekte unbedingt vermieden werden, da IMES sonst
seinen partizipativen Ansatz, welcher die zentrale Innovation des Projektes ist,
verfehlt.
9. Die Arbeit des spanischen Advisory Boards von IMES
Das spanische Advisory Board von IMES hat von Januar bis März 2003 sein
Schwerpunktthema „soziokulturelle Kompetenzen“ konkretisiert und damit die
Arbeit an den Inhalten vereinfacht. Es wurde am Konzept der Schlüsselbegriffe
gearbeitet. Die Koordinatorin Anna Sebastian war sich zu diesem Zeitpunkt über
die inhaltliche Bearbeitung der Themen „soziokulturelle Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ im Klaren, hatte aber leider nie genügend Zeit für die
Koordinationsaufgaben. Weiterhin fehlten dem Advisory Board noch Migranten, um
ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nichtmigranten und Migranten zu
schaffen.173
173
Vgl.: Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Relazione Barcelona. In:
Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Zwischenbericht der Projekte zur
länderübergreifenden Zusammenarbeit. Sokrates Programm. Finanzielle Vereinbarungen Nr.:
100912 – CP – 1 – 2002 – 1 – GRUNDTVIG – G1, Barcelona 2003, S. 1.
128
Obwohl die Koordinatorin in ihrer Vereinigung SOS Racisme von April bis Juni
2003 große Schwierigkeiten hatte, hoffte sie bis September die ersten klaren
Arbeitsvorschläge bei IMES präsentieren zu können. Die Themen „soziokulturelle
Kompetenz“ und „Politikmanagement“ wurden nun abgeschlossen, um mit dem
Thema „Neue Medien“ zu beginnen. Es wurde zwar schon mit dem Internet
gearbeitet, aber zu diesem Thema waren noch weitere Informationen nötig. Des
Weiteren wurden immer noch dringend neue Mitglieder benötigt. Das fertige
Konzept der Schlüsselbegriffe hielt die Koordinatorin nun für eine gute Grundlage
zur Erstellung der Seminarbausteine im zweiten Jahr.174
Das Konzept der Schlüsselbegriffe wurde von Juli bis September 2003 in die
täglich Arbeit der Mitglieder des Advisory Boards eingebracht. Hierfür wurden
Auswertungsbögen entwickelt. Anna Sebastian hatte aber für dieses Projekt durch
die Arbeit in Ihrer Vereinigung immer noch Zeitprobleme. Auch die Mitgliederzahl
wurde geringer statt größer, so dass ein Treffen des Advisory Boards sogar
abgesagt werden musste. Das gesamte Board musste daher neu formiert werden.
So kam es auch zu einer Verzögerung der Themenbearbeitung „Neue Medien“.
Um mehr Geld für IMES zu bekommen, wurde das Projekt außerdem einer
privaten Vereinigung vorgestellt.175
Das neue Advisory Board mit zwölf Mitgliedervereinigungen begann seine Arbeit
im Quartal von Oktober bis Dezember 2003. Der spanischen Koordinatorin
erschien es bei einem so komplexen Projekt wie IMES schwierig, den
Vereinigungen verständlich zu machen, dass es sich um einen sehr offenen
Prozess mit langfristigen Ergebnissen handelt. Es war außerdem schwierig,
Menschen zu finden, die sich im Thema auskennen, Migranten sind und freiwillig
teilnehmen wollten. Obwohl es in Barcelona viele soziale Einrichtungen gibt,
empfand Anna Sebastian die meisten dort arbeitenden Menschen als zu wenig
kompetent für die notwendige Reflexion, um bei einem Projekt mitzuwirken, das
sich, statt mit direkter sozialer Hilfestellung mit der Entwicklung von intellektuellen
Arbeitsschritten beschäftigt, da die Sozialarbeit in Spanien viel unprofessioneller
174
175
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 173), S. 2.
Vgl. ebd., S. 3.
129
als in Deutschland sei. Daher hat die Koordinatorin die meiste Zeit damit verbracht,
das Projekt IMES potentiellen Mitgliedern zu erklären, wobei Anna Sebastians
Unerfahrenheit mit solchen Projekten den Prozess noch verlangsamte.176
Die Koordinatorin des spanischen Advisory Boards fühlt sich mit ihrer Aufgabe
sichtlich überfordert. Auch der deutsche Koordinator Georg May hatte bereits
eingeräumt, dass seine Aufgabe sehr aufwändig sei, sich aber nach kurzer Zeit
eingewöhnt. Obwohl das spanische Advisory Board mit dem Konzept der
Schlüsselbegriffe einen sehr guten Beitrag für die Erstellung der Seminarbausteine
des gesamten Projektes geleistet hat, gibt es große Schwierigkeiten Mitglieder für
das Advisory Board zu finden. Hier scheint es einen noch größeren Zeitmangel
und weniger Interesse für das Projekt zu geben, was an existenzielleren
Problemen von Migranten in Spanien im Gegensatz zu denen in Deutschland
liegen könnte. Anna Sebastian sollte von der Gesamtleitung des Projektes IMES
finanzielle sowie personelle Unterstützung bekommen, um diese Probleme zu
meistern und das Projekt sinnvoll fortführen zu können.
10. Die Arbeit des italienischen Advisory Boards von IMES
Die IMES Gruppe in Italien hat sich zum Ziel gesetzt, neue Methoden zur
Verbesserung der sozialen, pädagogischen und kulturellen Kompetenzen von
Migranten und Nichtmigranten zu erarbeiten. Im ersten Vierteljahr ging es auch
hier vor allem darum, die lokalen Gruppen zu aktivieren. Das Advisory Board
wurde aus Experten der CISS, einem Zusammenschluss von Vereinigungen, die
sich um Migranten kümmern und fünf ausländischen, in diesem Gebiet ansässigen
Gemeinden (unter anderem aus dem Sudan, Nigeria und dem Kosovo)
zusammengesetzt. Die Kriterien für die Zusammenstellung des Advisory Boards
waren die Verfügbarkeit und das Interesse für das Projekt, die Anwesenheit in dem
176
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 173), S. 4.
130
Gebiet
und
bei
den
unterschiedlichen
geplanten
Aktivitäten
sowie
die
ausgewogene Anzahl von Migranten und Nichtmigranten.177
Das Advisory Board hat nach seiner Zusammenstellung mit seinem Schwerpunktthema „Politikmanagement“ begonnen. Für die neu entstandene Gruppe war der
Einstieg in dieses Thema nicht leicht, da es in Sizilien hierzu keine Anregungen,
Projekte und Serviceleistungen gibt, an denen man sich orientieren könnte. Nach
einer langen Vorbereitungsphase hat die Gruppe die Vorgehensweise und die
Hauptthemen festgelegt. Das erste Treffen des Advisory Boards bezog sich auf
das maßgebende System, in dem die Migranten und Flüchtlinge leben. Beim
zweiten Treffen analysierten die Teilnehmer den angebotenen Service, der den
Zugang und das Verständnis zum Gesetz erleichtert. Beim dritten Treffen wurden
die Möglichkeiten, welche die Bürgerschaft zur Erhöhung der eigenen Macht bietet,
erörtert, weil in diesem Bereich die Bedürfnisse der Bürger mit angebotenen
Lösungen der Gemeinde verbunden werden.178
Es war nicht einfach diese Treffen durchzuführen, da die Gruppe während dieser
Zeit von einem dramatischen Ereignis betroffen war. Einige der sudanesischen
Gruppe, die hauptsächlich aus Männern, welche politisches Asyl erbeten hatten,
besteht, mussten aus ihrem Wohnheim ausziehen. Dieses wurde zwar von einer
Privatperson geleitet, aber mit Mitteln der Stadt Palermo unterhalten. Der Grund für
den Zwangsauszug waren die sehr widersprüchlichen und restriktiven Hausregeln.
Dieses Ereignis hat mit starker Wucht die Probleme der Beziehung zwischen
ausländischen Vereinigungen und der institutionellen Wirklichkeit aufgezeigt. Es
wurde deutlich, wie wichtig die intensive Auseinandersetzungen des Advisory
Boards mit dem sozialen und politischen Bereich, aber auch konkrete Aktionen
sind.179
Von April bis Oktober 2003 führte das Advisory Board die Arbeit am Thema
„Politikmanagement“ fort, obwohl geplant war, das Thema „Neue Medien“ zu
177
Vgl.: Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Schema Report Italia. In:
Europäische Kommission. Generaldirektion Bildung und Kultur: Zwischenbericht der Projekte zur
länderübergreifenden Zusammenarbeit. Sokrates Programm. Finanzielle Vereinbarungen Nr.:
100912 – CP – 1 – 2002 – 1 – GRUNDTVIG – G1, Palermo 2003, S. 1.
178 Vgl. ebd., S. 1f.
179 Vgl. ebd., S. 2.
131
behandeln. Die Komplexität des Themas „Politikmanagement“ erforderte für seine
angemessene Behandlung mehr Zeit als ursprünglich gedacht. Außerdem haben
interne Probleme der Gruppe eine regelmäßige Fortsetzung der Arbeit erschwert.
Sowohl Migranten als auch CISS-Mitglieder haben es nicht geschafft, dauerhaft
und regelmäßig präsent zu sein. Das führte zu bedeutenden Veränderungen in der
Gruppe und Schwierigkeiten, eine kontinuierliche Arbeit durchzuführen. Nachdem
sich das Advisory Board im ersten Vierteljahr hauptsächlich mit den Problemen der
53 Flüchtlinge aus dem Sudan beschäftigt hatte, entstand dem gegenüber in der
Gruppe eine große Ungeduld. Es wurde beschlossen, das Thema nicht mehr in der
Gruppe zu behandeln und die Arbeit anhand ähnlicher Themen zum „Politikmanagement“ zu beginnen.180
Um sich durch“ Politikmanagement“ besser integrieren zu können, sollen Migranten Kompetenzen bezüglich ihrer Rechte erhalten. Neben dem Erläutern der
Rechte wird auch nach Möglichkeiten gesucht, auf das soziale und kulturelle
Leben der jeweiligen Stadt Einfluss zu nehmen. Dazu hatte die Gruppe die Themen Arbeit, Rechte, Informationen, Schule, Dokumente, Unterkunft, Anerkennung
von Titeln und Kompetenzen, Versammlungsräume und Gesundheit vorgeschlagen, wobei die letzten vier Themen Wunsch der Migranten im Advisory Board waren. Schließlich wurde entschieden das Thema Gesundheit näher zu behandeln.181
Mit der Network Analyse wurden die Beziehungen zwischen den Gemeinden und
gesundheitlichen Einrichtungen (beispielsweise Krankenhäuser) gemessen. Die
Network-Analyse sorgt dafür, die Beziehungen zwischen einem Gebiet und einem
Service oder aber einem Subjekt des Gebietes und dem Service zu messen und
die Qualität dieser Beziehung zu bewerten. Ein weiterer Schritt der Analyse war, zu
untersuchen, welche Schritte nötig sind, um diese Beziehung zu verbessern.
Während die Gemeinden das Gefühl haben, Informationen klar zu vermitteln,
werden gesundheitliche Institutionen von Migranten selten als freundlich und
einladend empfunden. So halten Sprachschwierigkeiten und andere Auffassungen
von Gesundheit und Prävention die Migranten vom Aufsuchen eines Kranken-
180
181
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 177), S. 4.
Vgl. ebd.
132
hauses ab. Dies macht deutlich, dass ein kultureller und sprachlicher Vermittler in
den Krankenhäusern gebraucht wird, dessen Anwesenheit den Migranten den
Zugang zu Krankenhäusern erleichtert. Der Einsatz eines solchen Vermittlers sollte
getestet werden, um die Ergebnisse dann im Seminar, zu dem man Vertreter der
lokalen gesundheitlichen Institutionen einlädt, vorzustellen. Als Ergebnis wäre die
Entstehung eines multikulturellen Krankenhauses wünschenswert.182
In der Zeit von Oktober bis Dezember 2003 wurde das Thema „soziokulturelle
Kompetenzen“ eingeführt. Daraufhin hat das Advisory Board die eigenen Zusammenhänge und Verbindungen analysiert, was interessante Punkte in Bezug auf die
gruppeninternen dynamischen Prozesse und die kommunikativen Regeln in der
Gemeinschaft von Migranten aufgeworfen hat. Das Advisory Board analysierte
diese Zusammenhänge im Hinblick auf die Vermittlung zwischen den Migranten
und den gesundheitlichen Institutionen. Weiterhin wurde die Nutzung einer
Videokamera erklärt und gezeigt, wie man damit die Arbeit im Themenbereich
Gesundheit weiterführen kann. Der Gebrauch der Kamera als Integrationsmöglichkeit für Migranten wird in einem lokalen Seminar mit einem Internetexperten fortgesetzt.183
Im Gesundheitsbereich wurde festgestellt, dass vor allem die Frauen die gesundheitlichen Institutionen nutzen. Männer nutzen sie nur im Ernstfall, weshalb sie
meist in die Notfallstation eingeliefert werden und somit ihre Behandlung nicht im
Einzelnen mitverfolgen können. Oft gehen sie auch nicht zu den nötigen Nachfolgebehandlungen und erhöhen so ihr eigenes Gesundheitsrisiko. Dass der
Gesundheitsservice nicht genutzt wird, liegt einerseits an der Angst illegaler
Migranten, angezeigt zu werden und andererseits daran, dass sie die Mechanismen dieser Institutionen nicht kennen. Durch die Geburt und Pflege von Kindern
gehen Frauen sehr viel mehr in Krankenhäuser und lernen so deren Mechanismen
kennen. Aber auch sie sind skeptisch und gehen ungern freiwillig zum Arzt.184
Mittlerweile wurden drei Gesundheitsinstitutionen gewählt, in denen ein Vermittler
eingesetzt werden soll. Es handelt sich dabei um eine Familienberatungsstelle, die
182
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 177)., S. 5.
Vgl. ebd.
184 Ebd., S. 6.
183
133
hauptsächlich von Frauen frequentiert wird, eine öffentliche Unfallaufnahme und
eine private Unfallaufnahme, die von der Caritas geleitet wird. Die Untersuchung
fand von Mitte Januar bis Mitte Februar statt. Nach der Auswertung wird es ein
öffentliches Seminar geben, in dem die Ergebnisse mit Migranten diskutiert werden
und Verantwortliche aus den öffentlichen und privaten gesundheitlichen Einrichtungen mögliche Lösungen vorschlagen und diskutieren können. Des Weiteren
wird die Möglichkeit eines multikulturellen Krankenhauses besprochen.185
Die Koordinatorin des italienischen Advisory Boards, Barbara Giardello, sieht das
Advisory Board als Möglichkeit, die eigenen Kompetenzen zur Schaffung einer
Gruppe aus Migranten und Vertretern einzelner Vereinigungen zu testen. Für sie
war das aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse und Arbeitsarten nicht
einfach. Eine Arbeitsgruppe, die sich versteht und in der Lage ist, Ziele und
Aktivitäten zu formulieren, sei schon ein Schritt in Richtung Integration. Man müsse
sich als Koordinator vor allem in der Anfangsphase der Gruppenbildung sehr
engagieren und dann versuchen, der Gruppe eine gewisse Kontinuität zu geben
und einen Dialog in der Gemeinschaft herzustellen. Zur Erleichterung der internen
Diskussionen und Planung der Arbeit des Advisory Boards wird es einen
zusätzlichen Koordinator geben.
Barbara Giardello empfand den Aufbau des Advisory Boards als sehr schwer,
weshalb mit Verzögerungen angefangen wurde. Die Gruppe aus Migranten und
Repräsentanten von Vereinigungen habe nicht über die Kompetenz verfügt, um
eine eigene Gruppe zu bilden und zu analysieren. Die Gruppe wurde deshalb
verändert und nach Kriterien aufgebaut, die dem Ziel des Projektes mehr
entsprachen. Doch aufgrund der vielen anderen Verpflichtungen der Advisory
Board-Mitglieder bleibt die Arbeit weiterhin schwierig, weshalb Konzepte erarbeitet
werden sollen, welche der Gruppe Kontinuität geben.
Im Gegensatz zum deutschen Advisory Board, in dem die Migranten in der
Migrationsarbeit tätig und bereits selbst in die Aufnahmegesellschaft integriert sind,
sind die Migranten im italienischen Advisory Board hauptsächlich Flüchtlinge und
Asylantragssteller, während die Mitglieder, die in der Migrationsarbeit tätig sind,
185
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 177), S. 6.
134
der Aufnahmegesellschaft entstammen. Dadurch hat sich in der italienischen
Gruppe eine Front zwischen Migranten und Migrationsarbeitern gebildet, welche
die Kommunikation im Board erschwert und zum Teil auch die Koordinatorin
überfordert. Im Gegensatz zum deutschen Advisory Board hat das Italienische
aber weniger Probleme mit der Praxis. Unlösbare Probleme werden nicht
zwangsläufig ausdiskutiert, da es wichtiger ist Konzepte zu erstellen, um
praktische Lösungen zu finden. Dass der Bereich Gesundheit so problematisch ist,
zeigt, dass die Integrationsprobleme in Italien ganz andere Dimensionen haben als
in Deutschland. Bei den Integrationsproblemen in Deutschland geht es weniger um
die Abdeckung der Grundbedürfnisse als vielmehr um die soziale Eingliederung in
die Gesellschaft. Doch gerade die unterschiedlichen Integrationsprobleme und
Lösungsansätze können in den jeweils anderen Ländern neue Denkanstöße
geben.
11. Aktivitäten der zweiten und dritten Phase des Projektes IMES
Mit dem Beginn der zweiten Phase von IMES sollen „Train the Trainer“-Seminare
in den jeweiligen Ländern unter Teilnahme von Mitgliedern der nationalen Advisory
Boards und unterschiedlichen Migrationsgruppen stattfinden. Ursprünglich war
geplant, die Seminare in drei Blöcken zu „Neue Medien“, „Politikmanagement“ und
„soziokulturelle Kompetenzen“ durchzuführen. Dies hat sich nach der Arbeit in der
ersten Projektphase als nicht sinnvoll erwiesen. Daher wurde diese Planung
geändert und es finden in allen drei Themen zeitgleich Seminare statt. Der
Austausch darüber erfolgt über die nationalen Koordinatoren bei deren Treffen.
Ziel der zweiten Projektphase ist die Entstehung getesteter Seminarbausteine in
allen drei Ländern, die mit kollektiven Erfahrungen angereichert sind und im
Koordinatorenkreis rückgekoppelt werden. Gemeinsam wird dann die europäische
Transmission erarbeitet.
Neu ist in der zweiten Projektphase bereits, dass jeden ersten Donnerstag im
Monat das Magazin „Blickpunkt Global“ beim Offenen Kanal in Hannover H1 zu
135
sehen ist. Dieses regelmäßige TV-Magazin wird in der Projektwerkstatt für Umwelt
und Entwicklung e.V. unter Beteiligung der anderen beiden Länder erstellt. Es zeigt
Beiträge über Migranten in den jeweiligen Städten. Ziel ist es, durch die
Videoseminare Migranten zu gewinnen, die sich an der Erstellung der Sendung
beteiligen oder eigene Beiträge eigenständig erarbeiten. Schon im November 2003
begann der deutsche Koordinator Georg May mit dem Advisory Board Mitglied der
Caritas, Christiane Kemper, die ein Wohnheim für Aussiedler und Flüchtlinge leitet,
mit der Seminarplanung für Videoseminare mit russischen Aussiedlern.
Im Januar 2003 fand das erste deutsche Advisory Board Treffen zum Thema
„Politikmanagement“ beim Migrationsdienst der Arbeiterwohlfahrt statt, während
das spanische Advisory Board mit der inhaltlichen Debatte über „Neue Medien“
begann. Am 22. Januar 2004 fand schließlich das erste Videoseminar im CaritasAussiedlerwohnheim statt. Teilnehmer waren neun russische Aussiedlerinnen und
ein russischer Aussiedler, denen der Umgang mit der Videokamera beigebracht
wurde, damit sie nach einigen Seminaren selbst Beiträge für H1 erstellen können.
Dies gibt ihnen die Möglichkeit, selbst Probleme zu thematisieren und ihren
eigenen Blickwinkel der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Durch die Erfahrung
mit diesen Seminarteilnehmern können erste Seminarbausteine für Videoseminare
mit Migranten erstellt werden.186
Im Februar 2004 fand das Treffen des deutschen Advisory Boards bei der
Gewerkschaft IG Chemie, Papier und Keramik zum Thema „Politikmanagement“
und das Treffen des spanischen Advisory Boards zum Thema „Neue Medien“ und
zur Festlegung einer Unterarbeitsgruppe Medien statt. Vom 5. bis 7. März wurde
ein Seminar mit Migranten des Freundeskreis Tambacounda und anderen in
Hannover lebenden Afrikanern durchgeführt, dessen Erfahrungen zur Erstellung
der Seminarbausteine „Neue Medien“ dienen. Das spanische Advisory Board
führte bei seinem Treffen eine Debatte zum Thema „Neue Medien“ und legte die
Seminartermine fest.187
186
187
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48.), S. 12.
Vgl. ebd., S. 13.
136
Für den 26. und 27. April 2004 ist mit dem Advisory Board Mitglied des
Arbeitskreises Ausländer im Bund deutscher katholischer Jugend, Beata Brod, und
Mitarbeitern des Vereins Niedersächsischer Bildungsinitiativen ein Videoseminar
mit Migranten und Nichtmigranten geplant. Die Zusammensetzung des Seminars
aus Deutschen und Ausländern wird einen neuen Aspekt in die Erstellung von
Seminarbausteinen „Neue Medien“ bringen. Im Mai 2004 ist dann auch in Italien
ein Videoseminar zur Erstellung von Seminarbausteinen im Bereich „Neue Medien“
geplant. Außerdem wird sich das italienische Advisory Board verstärkt mit dem
Thema
Gesundheit
beschäftigen.
Auch
in
diesem
Bereich
sollen
dort
Seminarbausteine erarbeitet werden, da er ein zentrales Problemfeld von
Migranten in Italien darstellt. In Deutschland sollen zusammen mit dem
Freiwilligenzentrum in Hannover Seminare im Bereich Politikmanagement für
verschiedene Migrationszielgruppen durchgeführt werden, um entsprechende
Seminarbausteine zu erarbeiten. Weitere konkrete Planungen für die zweite Phase
von IMES gibt es noch nicht.188
Ziel der dritten Projektphase ist es, eine Database zu erstellen, Seminare mit
direkter Zielgruppe durchzuführen und konkrete Seminarbausteine fertig zu stellen.
Bisher soll diese Phase also wie geplant durchgeführt werden. Das heißt, dass von
Oktober 2004 bis September 2005 in den einzelnen beteiligten Ländern mit den
nationalen Koordinatoren und den Mitgliedern der nationalen Advisory Boards als
Experten gearbeitet wird. Dabei wird bei den Treffen der Koordinatoren mit der
Gesamtkoordinatorin ein intensiver Austausch stattfinden. Bei einigen Treffen der
nationalen Advisory Boards werden Mitglieder aus den anderen beiden Ländern
zum Erfahrungsaustausch anwesend sein. Es werden Informationen zum Auffüllen
der Database gesammelt und es wird eine aufsuchende Seminararbeit an den
Plätzen, an denen sich Migranten treffen, stattfinden, um möglichst viele
verschiedene Schichten der Zielgruppe zu erreichen.189
Von Januar bis April 2005 finden Workshops mit Migranten zu allen drei
Themenbereichen „soziokulturelle Kompetenz“, „Politikmanagement“ und „Neue
188
189
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48.), S. 13
Vgl. ebd., S. 14.
137
Medien“ statt. Es wird trainiert, die „Neuen Medien“ als Partizipationsmittel zu
nutzen. Den Migranten soll in den jeweiligen Ländern Grundwissen gegeben
werden, mit dem sie die demokratischen Werkzeuge der Gesellschaft sinnvoll
nutzen, um sich so aktiv an ihr beteiligen und als aktiver Teil der Gemeinschaft
fühlen zu können. Für Juni 2005 ist eine öffentliche Internetkonferenz geplant. Es
soll eine von den nationalen Koordinatoren organisierte Videodiskussion und einen
Chatroom mit Experten geben. Hier wird über die Ergebnisse diskutiert und ein
gemeinsamer Ausblick in die Zukunft gegeben. Danach kommt es zu einer
nationalen Abschlusskonferenz in allen Ländern, bei der die Ergebnisse diskutiert
und weitere Zusammenarbeiten nach Beendigung von IMES geplant werden.190
12. Fazit
Die Pläne für die kommenden beiden Projektjahre sind Erfolg versprechend, doch
bezogen auf das erste Jahr des Projektes IMES kann man sagen, dass trotz guter
Ansätze
in
den
drei
Themenbereichen
„Neue
Medien“,
„soziokulturelle
Kompetenzen“ und „Politikmanagement“ die Arbeit in den Advisory Boards zu
theoretisch war und folglich in den verbleibenden beiden Jahren mehr Praxis in die
Projektarbeit gebracht werden muss. Die unregelmäßige Teilnahme der Mitglieder
an den Treffen der Advisory Boards könnte aber die praktische Umsetzung der im
ersten Jahr geplanten Aktivitäten zusätzlich erschweren. Auch scheint das
Kommunikationsmedium Internet, in dem die IMES-Website als Verständigungsmittel zwischen den Mitgliedern dient, hierfür nicht auszureichen. All das zeigt,
dass das Netzwerk von IMES noch viel zu instabil ist, was die Nachhaltigkeit des
Projektes stark gefährdet. Für das zweite und dritte Projektjahr müssen Lösungen
gefunden werden, die der realistischen Umsetzung der geplanten Seminare
dienen.
Auch die Außendarstellung von IMES ist nicht ausreichend. Sogar Mitglieder des
Advisory Boards sind sich über die Selbstdefinition des Projektes nicht vollkommen
190
Vgl.: Europäische Kommission (wie Anm. 48.), S. 14.
138
im Klaren. So werden weder Migranten noch andere Personen von dem Projekt
erreicht, um an den Seminaren teilzunehmen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die
Gefahr, dass bei der Durchführung der Seminare die Migranten wieder in die Rolle
des ausschließlich Lernenden gepresst werden. Dagegen muss IMES eine
Strategie entwickeln, damit der partizipatorische Ansatz des Projektes nicht
verloren geht. Allgemein sollte jedoch überlegt werden, ob die Seminare im
Bereich „soziokulturelle Kompetenzen“ Migranten wie auch Mitglieder der
Aufnahmegesellschaft gleichermaßen als Zielgruppe einbeziehen müssen, da die
Beherrschung dieser Kompetenzen für beide Seiten zur möglichst missverständnisfreien Kommunikation sehr wichtig ist.
Die Intention des Projektes war, denjenigen Migranten bei ihrer Integration zu
helfen, die von den durchaus zahlreich existierenden Integrationsprogrammen
nicht erreicht werden. Daraus resultierte auch der partizipative Grundsatz des
Projektes. Allerdings wurde noch keine Methode entwickelt, wie ghettoisierte
Migranten erreicht werden könnten. Es ist zu bezweifeln, dass es ausreicht,
typische Migrantentreffpunkte aufzusuchen.
Außerdem wird einer der wichtigsten Integrationsaspekte, nämlich die Problematik
der
Sprache,
bei
IMES
vollkommen
ignoriert.
Ein
so
entscheidendes
Integrationsproblem muss auch in einem partizipativen Projekt berücksichtigt und
in die Seminarpläne mit einbezogen werden. Wenn an diesen Kritikpunkten
gearbeitet wird, kann IMES jedoch erfolgreich werden, da im ersten Projektjahr
gute theoretische Grundlagen erarbeitet wurden.
Die Struktur des Projektes und die Arbeitsmethoden der nationalen Advisory
Boards können eine gute Grundvoraussetzung für die Erschaffung neuer
partizipativer Integrationsmethoden sein. Allerdings richtet sich das Projekt nicht
nach
integrationstheoretischen
Modellen
und
wird
den
Annahmen
der
Integrationstheorien auch nur bedingt gerecht. In den drei Schwerpunktbereichen
von IMES „Neue Medien“, „soziokulturelle Kompetenzen“ und „Politikmanagement“
wurde jedoch sehr viel theoretisches Wissen erworben und auf der Website
veröffentlicht. Besonders im Bereich „Neue Medien“ sind in Deutschland die
Voraussetzungen für die praktische Durchführung von Seminaren für Migranten
139
zur Erstellung von eigenen Fernsehbeiträgen ausreichend gegeben. Der
theoretische Bereich der „soziokulturellen Kompetenzen“ muss allerdings noch für
die Praxis umsetzbar gestaltet werden. Der Bereich „Politikmanagement“ wird in
diesem Jahr noch vertieft.
Die Arbeit im spanischen und italienischen Advisory Board gestaltet sich allerdings
problematischer. Hier herrscht ein noch größerer Zeitmangel. In Spanien hatte die
Koordinatorin Schwierigkeiten, genug Migranten und kompetente Mitglieder aus
der Migrationsarbeit für das Projekt zu akquirieren. Fragt sich, ob dies an zu
geringem Interesse, den existenzielleren Problemen in Spanien oder einer
mangelnden Qualifikation der spanischen Koordinatorin liegt. Dass die Probleme
der Migranten auch in Italien anders gelagert sind als in Deutschland, zeigt das
Problem der sudanesischen Asylanten, die zu Beginn des Projektes ihr Wohnheim
verlassen mussten und keine Unterkunft mehr hatten. Und auch hier war es für die
Koordinatorin schwer, das Advisory Board aufzubauen, dessen Arbeit Kontinuität
zu geben und genügend Zeit dafür aufzubringen. Aufgrund dieser Überforderung
wurde in Italien schon ein zweiter Koordinator eingesetzt. Trotzdem sollte
analysiert werden, wo die Ursachen für diese Probleme liegen, um die Arbeit der
Advisory Boards in Italien und Spanien effektiver gestalten zu können.
Insgesamt erscheint es schwierig, neue Methoden für eine partizipative Integration
von Migranten zu erschaffen. Große Probleme ergeben sich aus dem Zeitmangel
und der Überlastung der Menschen, die im Migrationsbereich tätig sind. Auch der
partizipative Aspekt ist nicht leicht umzusetzen, da die Migranten der Advisory
Boards die Dinge oft aus ihrer professionellen Migrationsarbeit heraus beurteilen
und die Migranten, die an den Seminaren teilnehmen, zum Teil durch mangelnde
Sprachkenntnisse wenig beitragen können. Trotzdem hat IMES gute Grundvoraussetzungen, etwas für die Verbesserung der Integration von Migranten in
europäischen Ländern zu leisten. Abschließend muss jedoch gesagt werden, dass
die besten Integrationsprojekte sinnlos sind, wenn die Integrationspolitik versagt,
denn zu einer erfolgreichen Eingliederung gehören auch immer angemessene
gesellschaftliche
Voraussetzungen
für
die
Integration
von
Zuwanderern.
Besonders die finanziellen Kürzungen des letzen Jahres im Bereich der
140
Migrationsarbeit erschweren die regelmäßige Teilnahme kompetenter Mitarbeiter
an dem Projekt.
13. Abkürzungsverzeichnis
ARD: Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland
BAGIV: Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände
CISS: Cooperazione Internazionale Sud Sud
EU: Europäische Union
ICT: Informations- and Communicationstechnologies (Informations- und
Kommunikationstechnologien)
IMES: Integration of Migrants in European Societies
LAG JAW: Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit
NGO: Non Government Organisation (Nicht Regierungs Organisationen)
OSZE: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
141
SDR: Süddeutscher Rundfunk
SFB: Sender Freies Berlin
SWR: Südwestdeutscher Rundfunk
VNB: Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen
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Eidesstattliche Erklärung:
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit (Thema: Neue
Methoden zur Initiierung eines partizipativen Integrationsprozesses von Migranten
in europäischen Ländern) selbständig verfasst sowie die benutzten Quellen und
Hilfsmittel vollständig angegeben habe und dass die Arbeit nicht bereits als
Prüfungsarbeit vorgelegen hat.
150
Braunschweig, den 13. April 2004
Carmen Carl
Wendenstraße 48
38100 Braunschweig
151
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