Romeo und Julia heute die zeit 1959

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Romeo und Julia heute
Von Christian Urhammer
12. Juni 1959 07:00 Uhr
Eine Situation, die „heikel“, aber nicht unlösbar ist
Von Christian Urhammer
Unsere Jugendlichen haben sich verändert. Sind sie plötzlich gefühlvoller geworden? Die
Richter wissen ein Lied davon zu singen. Allein in Hamburg, so berichtet uns der zuständige
Jugendamtsleiter, versuchen jährlich über 800 jungen, vom Gericht für volljährig und damit
für „ehemündig“ erklärt zu werden.
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Die Jugend, die vor ein paar Jahren in diesem Alter war, nämlich 17 bis 20, reagierte völlig
anders. Sie lehnte zwar auch die frühe Liebe nicht ab, wohl aber die frühe Bindung. Romeos
und selbst Julias mußte man mit der Laterne suchen. Heute scheint die Romantik ganz
plötzlich wieder Einzug in die Herzen gehalten zu haben. Mädchen und Jüngling hängen
wieder aneinander wie das unsterbliche Liebespaar aus Verona. Und sie. wollen voneinander
nicht lassen.
So stellen denn die jungen Männer ihre Anträge beim Vormundschaftsgericht, um die so früh
Auserwählten heiraten zu – können. Doch jetzt sind es nicht immer die rivalisierenden Eltern
wie im Falle der italienischen Familien Montague und Capulet, diesmal sind es zumeist die
Richter, die das bittere Nein aussprechen.
Sehr oft erwarten die jungen Mädchen, manchmal kaum sechzehn Jahre alt, bereits ein Kind,
Der achtzehnjährige angehende Vater liebt seine Auserkorene und will sie ehelichen. Sollte
man diesem Wunsch nicht Rechnung tragen? In manchen Fällen geschieht das auch. Nicht
aber in allen. Jugendpfleger und Jugendamtsleiter haben so ihre Bedenken. Auf ihre
Recherchen aber kommt es an. Kein Richter entscheidet ohne ein Gutachten der zuständigen
Behörden. Außerdem werden die Eltern der beiden Sprößlinge gehört.
Die Mütter der jungen Mädchen wehklagen: „Was soll aus dem Kind werden, wenn es schon
als so junge Mutter sitzenbleibt?“ oder: „Das Kind meiner Tochter soll doch ehelich geboren
werden!“ Das ist nicht immer nur ein bürgerliches oder kleinbürgerliches Vorurteil, wie der
Jugendamtsleiter sich ausdrückte. Wir sind der Meinung, man sollte mehr als den unreifen
Vater das verführte Mädchen schützen und damit auch das zu erwartende Kind, dem die
familiäre Nestwärme nun für immer vorenthalten werden könnte. Hat der Staat hierzu ein
Recht?
Günther W. ist achtzehn Jahre alt – und seine Braut kaum sechzehn. Sie wird in drei Monaten
ein Kind zur Welt bringen. Günther ist noch Lehrling, wird aber in einem halben Jahr
ausgelernt haben und verdienen. Er hat noch manche Ausbildungspläne. Jugendamtsleiter und
Richter meinen nun, die allzu frühe Ehe würde Günthers Berufspläne lahmlegen. Er solle
zuerst einmal „etwas Richtiges lernen“. Die „Volljährigkeit“ wird versagt und damit die Ehe.
Eine junge Mutter wird mit dem ewigen Makel eines frühen unehelichen Kindes durchs
Leben gehen. Ihr Leben ist vielleicht sogar verpfuscht.
Man stellt sich bei den Hamburger Jugendbehörden zum Beispiel auf den Standpunkt, daß
solche Ehen doch nicht halten würden. Aber das Kind? Unsere Meinung ist, daß für Mutter
und Kind eine spätere Scheidung nicht so tragisch sein würde wie eine Liebschaft mit Folgen,
die nicht zur Ehe führt. Und: „Jung gefreit, hat noch lange nicht immer gereut.“
Im Gegenteil, die Jugendbehörde sollte unwilligen jugendlichen Vätern die Lage der jungen
Mutter energisch vor Augen führen und sie vielmehr zur Ehe bewegen. Es ist nicht allein
maßgeblich, ob eine „kindliche Ehe“ unseren Vorstellungen entspricht oder nicht. Die
Situation erfordert geradezu den „Ehespruch“.
Allerdings wurde uns erklärt, daß in Hamburg nur etwa 15 v. H. der Anträge auf
Volljährigkeit und Ehemündigkeit abgelehnt werden. Aber auch dieser Prozentsatz ist wohl
zu hoch, zumal da de meisten Antragsteller beiderlei Geschlechts achtzehn bis zwanzig Jahre
alt sind. Gewiß, die Situation, vor der die Vormundschaftsgerichte stehen, mag insofern neu
sein, als die Ehesuchenden immer jünger werden. Aber mit dieser Erscheinung fällt ja auch
eine größere Gefühlswärme der nunmehr nachwachsenden jungen Menschen zusammen.
Sie wollen ja zueinander halten. Sie – reden wieder ähnlich wie Goethe, der einmal über seine
junge Liebe zu Lili sagte: „Meine Neigung zu ihr hatte etwas so Delikates und etwas so
Eigentümliches, daß es jetzt in Darstellung jener schmerzlich-glücklichen Epoche noch auf
meinen Stil Einfluß gehabt. hat.“ Nach Goethe soll die Liebe früh dem ganzen Leben die
Richtung geben. Denn die Liebe ist niemals böse und von schädlichem Einfluß.
Man hat doch in den Behörden zu sehr die Vorstellung, daß das soziale Sichdurchsetzen
obenan zu stehen habe. Davor warnen die Soziologen und Psychologen. Die Kehrseite der
Überbetonung des Sichdurchsetzens im Berufsleben ist ja familiäres Fiasko. Der Soziologe
Professor Dehn spricht in diesem Zusammenhang von der „Entinnerlichung der Familie“. Die
Existenz ist alles: Tugend, Ehre, Ansehen, Glück. Über seine berufliche Existenz hinaus
bedarf danach der Mensch keiner Rechtfertigung. Auch Professor Bürger-Prinz warnt vor
dem weiteren Abbau der Liebesbeziehingen in unserer Zeit.
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Mag das Verbot einer sehr frühen Ehe des jungen Mannes Existenzaussichten auch
bessern. Zu bestreiten ist aber nicht, daß das verzweifelte junge Mädchen einer
abnormen Labilität ausgeliefert wird. Die so frühe Geburt eines nunmehr unehelichen
Kindes wird zu einer nicht mehr oder doch kaum austilgbaren Schockwirkung.
Daher: laßt die Romeos und Julias heiraten! Vor einigen Jahren waren sie unter den
Jugendlichen noch dem Gelächter preisgegeben. Freuen wir uns doch, daß die heute
Heranwachsenden wieder sensibler, wieder empfänglicher für Gefühle geworden sind. Wir
Erwachsenen sollten die Jugend nicht in der Meinung bestärken, daß sie, falls sie sich
Gefühlen hingibt, verloren sei. Die ungeheure Folge wäre, daß schließlich das Seelische als
beiläufig betrachtet würde. Eine Versachlichung der Geschlechtsbegegnung, wie sie von den
Behörden hier und dort praktiziert wird, indem eine junge Liebesheirat unterbunden wird,
muß die Liebe zu einer rein funktionellen Angelegenheit herabwürdigen.
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