TheMeNhefT neurologie • PsychiAtrie

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Ausgabe 994a • 67. Jg. • KW 18/2013
TYP 1 UND TYP 2 DIABETES MELLITUS
Lantus – mit 1. Juli 2008•bewilligungsfrei
(RE2)
Themenheft neurologie
Psychiatrie
Apidra – Positive Opinion der Emea für die
®
THEMENHEFT
DIABETES
*
®
Zulassung für Kinder ab 6 Jahren
Inkretine – ein neuer
Ansatz inderder
Therapie
Stellenwert
Nootropika
in
des
Typ
2
Diabetes
der Demenztherapie
Insulinanaloga
Wearing
OFF bei Mb. Parkinson
Diabetes im Alter
Persönlichkeitsstörungen
Antihypertensiva
Therapie
des Burn-Outbei
Diabetes mellitus
PROATGLA080601
© Fotolia
HbA1c < –7%
unter
Depression
differenziertere
Lebensstiltherapie
–
und
verträglichere Therapie
was neuere
nun? Substanzen
durch
Fachkurzinformation siehe Seite 30
Symptomatische
Diabetes im SpannungsDemenz-Therapie
–
feld
von
Lebensstil
und
Cholinesterasehemmer und
Medizin
Memantin
24-Stunden Diabetes Hotline: 01/801 85-2448
www.diabetesportal.at
* Alle Darreichungsformen sind dokumentationspflichtig
P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • 04Z035389 M • ISSN 0048-5128
Juni 2008 Nr. 940a 62. Jahrgang
•
•
P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • GZ13Z039504M • ISSN 0048-5128
2
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
Therapeutische Heraus­
forderungen im Fokus
wissenschaft
D
emenz, Mb. Parkinson, Persönlichkeitsstörungen bzw. BurnOut stellen allesamt therapeutische Herausforderungen dar – in
diesem Themenheft sollen einzelne
praxisrelevante Aspekte angesprochen
werden.
Im Rahmen der Demenztherapie finden oftmals auch Nootropika Einsatz –
Priv.-Doz. Dr. Michael Rainer und Mag.
Christine Krüger-Rainer aus Wien geben einen Überblick hinsichtlich der dazu bestehenden Datenlage und den daraus resultierenden Empfehlungen bzw.
einen Ausblick auf potentielle therapeutische Optionen.
Im Krankheitsverlauf des Mb. Parkinson sinkt die Speicherfähigkeit der dopaminergen Neuronen und die medikamentöse Wirkung lässt vor der
nächsten Einnahme nach. Die Behandlung ist nicht einfach, weshalb auf die
Prophylaxe dieser Zustände großer
Wert gelegt wird. Prim. Dr. Dieter Volc
aus Wien erläutert in seinem Beitrag
therapeutische Ansätze bei Wearing
OFF im Rahmen eines Mb. Parkinson.
Persönlichkeitsstörungen sind vielfältig und die Abgrenzung zur „Normalität“ oftmals eine überaus schwierige.
Diesem komplexen Thema widmet sich
Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos aus
Wien in ihrem Artikel – sie gibt einen
praxisnahen Überblick über das weite
Spektrum der klinischen Präsentationsmöglichkeiten und skizziert differentialtherapeutische Überlegungen.
M. Rainer, C. Krüger-Rainer
Stellenwert der Nootropika
in der Demenztherapie
3
D. Volc
Wearing OFF bei Mb. Parkinson
6
K. Gutiérrez-Lobos
Persönlichkeitsstörungen
10
P. Hofmann
Therapie des Burn-out
15
Fortbildung
Symptomatische Demenz-Therapie –
Cholinesterasehemmer und Memantin
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Depression – differenziertere und verträglichere
Therapie durch neuere Substanzen
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IMPRESSUM ISSN 0048-5128 DVR 0163538
Ein nicht zuletzt auch im Rahmen gesellschaftlicher Veränderungen und einer steigenden öffentlichen Thematisierung zunehmend aktuelles Problem
ist das Burn-Out-Syndrom. International zwar noch nicht als Krankheit anerkannt, ist es dennoch mit schwerwiegenden Folgen – nicht nur in
gesundheitlicher Hinsicht – verbunden.
Univ.-Prof. Dr. Peter Hofmann aus Graz
berichtet über die vielfältigen eigenen
Erfahrungen bei der Betreuung Betroffener.
Ihr Dr. Michael Burgmann
Schriftleitung
ARZT & PRAXIS
Medieninhaber und Verleger: ARZT & PRAXIS VerlagsgmbH, Währinger Straße 112, 1180 Wien, Tel. 01/479 05 78, Fax: 01/479 05 78 DW 30,
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Liebe Leserin, lieber Leser,
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Die Angaben beziehen sich aber auf Angehörige beider Geschlechter.
Jahrgang 67 / 994a / 2013
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Stellenwert der Nootropika
in der Demenztherapie
Memory Clinic und Karl Landsteiner Institut für Gedächtnis- und Alzheimerforschung im SMZ-Ost
Email: [email protected]
Seit Mitte der 50iger-Jahre gibt es für die Behandlung von Demenzerkrankungen zahlreiche unterschiedliche Nootropika. Diese sind im ZNS
wirksam und erhöhen nur unter pathologischen Bedingungen die höheren mentalen Funktionen, wie z.B. Gedächtnis-, Orientierungs-, Lern-,
Auffassungs-, Denk- und Konzentrationsfähigkeit.
Betrachtet man die unterschiedlichen Wirkstoffgruppen der Nootropika, so spiegelt sich
darin die beträchtliche Hypothesen-Heterogenität zur Pathogenese der Demenzen wider. Neben den bekannten NeurotransmitterDefiziten, bei denen das cholinerge Defizit eine
überragende Stellung einnimmt, gilt die Überstimulation des NMDA-Rezeptors durch Glu­
tamat als gesichert.
Da dementielle Syndrome eine große Heterogenität aufweisen, deren Verlauf unterschiedlich ist und die Medikamente unterschiedlich
in die Pathophysiologie eingreifen, ist eine reine Einteilung bezüglich der chemischen Struktur und der pharmakologischen Gruppen nicht
zielführend. Neben den für die Alzheimer-Demenz zugelassenen drei Cholinesterasehemmern und Memantin werden Patienten noch
immer mit einer großen Anzahl von sogenannten Nootropika behandelt. Viele dieser
Substanzen sind jedoch nach den neuesten
Wirksamkeitskriterien, welche die Zulassungsbehörden – wie die European Agency(EA) 1997
– definiert haben, unzureichend überprüft. Die
klinische Wirksamkeit müsste sowohl auf der
Hirnleistungsebene als auch in der Alltagskompetenz oder im globalen klinischen Gesamteindruck nachgewiesen sein. Nur für die
mittlere bis schwere Alzheimer-Demenz zählt
die Verbesserung der Alltagsfähigkeiten bzw.
das klinische Globalurteil mehr als die Hirnleistungssteigerung, sodass auf diese in der Überprüfung verzichtet werden kann. Mindestens
genauso wichtig, aber in der Praxis schwerer messbar, wären Auswirkungen auf affektive und Verhaltenssymptome, auf die Belastungen der Angehörigen und auf ökonomische
Faktoren. Die meisten Nootropika konnten den
Nachweis einer positiven Leistungssteigerung
meist nur in unzureichenden kognitiven Tests
erbringen. In anderen Prüfebenen gelang dies
ebenso nur unzureichend.
Die Europäische Zulassungsbehörde wurde 1995 gegründet und entwickelte eine
„Note for Guidance“, die für klinische Stu­dien
1998 etabliert wurde. Sowohl von der FDA als
auch der EMEA (European Medicines Evalua­
tion Agency) wird für Antidementiva der Wirksamkeitsnachweis in zwei kontrollierten, randomisierten, prospektiven Phase-III-Studien
über einen Zeitraum von 24 Wochen verlangt.
Ist der Placebovergleich in den USA noch unumgänglich, wird dies in der EU auch durch
eine aktive Kontrollgruppe möglich. Für die
leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz
hat sich zur Beurteilung der Wirksamkeit die
kognitive Subskala der Alzheimer Disease Assessment-Scale (ADAS-Cog) durchgesetzt.
Darüber hinaus muss eine weitere primäre Zielvariable statistische Signifikanz zeigen, damit eine klinische Relevanz gegeben
ist (z.B. klinisches Interview – Clinican Interview Based Impression of Change + Caregiver Input [CIBIC+] oder die Clinical Global Impression of Change [CGI-C]). Für alle älteren
Nootropika liegen derartige Untersuchungen
nicht vor. Weitere für die praktische Anwendung wichtige Sekundärparameter sind z.B.
Verbesserungen im neuropsychiatrischen Inventar (NPI). Da klinische Studien sehr komplex sind, lange dauern und eine große Anzahl
von Befunden erhoben bzw. analysiert werden müssen, sind Firmen, deren Medikamente
für die Behandlung allgemeiner Hirnleistungsstörungen zugelassen sind, weniger interessiert, derartig aufwendige Studien durchzuführen. Es ist schwierig, eine Verbesserung auf
mehreren Prüfebenen gegenüber einer Kon-
Priv.-Doz. Dr. Michael Rainer
und Mag. Christine Krüger-Rainer
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trollgruppe zu objektivieren. Es könnte in der
Prüfung aber auch eine Progressionsverlangsamung oder -stabilisierung bereits als therapeutischer Erfolg angesehen werden, da die
Alzheimer-Demenz als relativ linear fortschreitende Erkrankung definiert ist. Für die Prüfung
der Progressionsverzögerung ist ein anderes
Studien-Design notwendig. Ein Surrogat-Marker, wie z.B. eine MRI-volume­trische Messung
der Temporallappenregion scheint notwendig zu sein. Es ist leicht einzusehen, dass ältere
Nootropika-Firmen sich diesen ständig wachsenden Anforderungen an die Wirksamkeitsüberprüfung aus Kostengründen nicht stellen.
Obwohl auch derzeit international kein Konsens über die erforderliche Methodik, die zu
verwendenden psychologischen Skalen, genaue Krankheitsdefinitionen bzw. den Einschluss von jenen in der Praxis hauptsächlich
anzutreffenden Mischformen aus degenerativen und vaskulären Demenzen besteht sowie
eine Evidenz über die Wirksamkeit und Progressionshemmung auch für moderne Antidementiva nicht vorliegt, ist es für ältere Nootropika praktisch unmöglich, einen derartigen
Wirksamkeitsnachweis zu erbringen. Die FDA
forderte darüber hinaus 2002 die Einbeziehung von Surrogat-Endpunkten, wie z.B. MRIKontrollen zur Temporallappenatrophie, welche von den europäischen Behörden noch
nicht gefordert werden.
Bereits um 1980 wurden viele aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen bestehende
Nootropika zur Behandlung von Hirnleistungsstörungen im Alter zugelassen. Bestimmte Wirksamkeitskriterien mussten dabei nur
in unzureichendem Maße erfüllt werden. Viele dieser Medikamente sind für die große Indikationsgruppe „Hirnleistungsstörung im Alter“
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registriert, während die neuen Antidementiva
für wesentlich engere Indikationsstellungen
wie z.B. leichte bzw. mittelgradige AlzheimerDemenz sowie Memantin für mittelgradige bzw. schwere Alzheimer-Demenz zugelassen sind. Erfolgte der Wirksamkeitsnachweis
für viele dieser Nootropika nur in unzureichendem Maße, so sind darüber hinaus auch einige
„sogenannte Nootropika“ überhaupt nur durch
„positive Produktmonographien“ zugelassen
worden.
Nootropika bei leichter kognitiver
Beeinträchtigung
Hauptindikationsgebiet für Nootropika sind
leichte kognitive Beeinträchtigungen, international auch Mild Cognitive Impairment (MCI)
genannt, für die es sinnvoll erscheint, hirnleistungssteigernde Substanzen einzusetzen.
Patienten mit einer leichten kognitiven Leistungsminderung zeigen neben typischen Gedächtnisdefiziten auch eine reduzierte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit,
Denkflexibilität und schwankende Konzen­
trationsleistungen, sodass sie merken, dass die
tagtäglichen Leistungsanforderungen durch
ihre eigene Leistungsfähigkeit nicht mehr zufriedenstellend bewältigt werden können.
Für die große Patientengruppe der „leicht kognitiv Beeinträchtigten“ (ICD 10: F06.7) liegen bisher keine ausreichenden Wirksamkeitsnachweise vor. Die Gruppe der leicht kognitiv
Gestörten, die in Österreich ca. 400.000 Perso-
nen beträgt, ist das Hauptindikationsgebiet für
Nootropika. Insgesamt ist über die neurobiologischen Grundlagen der leichten kognitiven
Beeinträchtigung relativ wenig bekannt, und
man weiß bis heute nicht, ob hier die gleichen
pathophysiologischen Prozesse vorliegen, wie
bei der Alzheimer-Demenz und der vaskulären
Demenz. Für diese große Gruppe der leicht kognitiv Beeinträchtigten sind neue Studien mit
Nootropika zu fordern, da es nicht schlüssig ist,
Studienergebnisse von Demenzprozessen auf
die wesentlich größere Gruppe der leicht kognitiv Beeinträchtigten zu extrapolieren. Auch
andere Indikationsgebiete für Nootropika, wie
z.B. Lernstörungen bei Kindern, Entzugssyndrome bei Alkohol- und Tranquilizerabusus,
apoplektische Zerebralinfarkte und Residualsyndrome nach Schädel-Hirn-Traumen sind
ebenfalls in zu geringem Ausmaß untersucht,
um eine schlüssige Beurteilung der Nootropika
abzugeben. Zumeist bleibt von allen Kritikern
der berechtigte Vorwurf über, dass die in der
Vergangenheit untersuchten Patientengruppen nicht ausreichend genau definiert waren,
keine sauberen Differentialdiagnosen durchgeführt wurden sowie die verwendeten primären und sekundären Zielparameter nicht so genau definiert waren, wie dies für Studien mit
Cholinesterasehemmern und Memantin bei
Demenz gilt.
Nootropika können die für die Neuronenverluste und Funktionseinschränkungen wesentlichen Mechanismen wie z.B. oxidativen Stress,
reduzierten Neuronen- und Energiemetabolismus, Apoptose, Membrandysfunktionalität
und inflammatorische Mitbeteiligung günstig beeinflussen, sodass die Progression verzögert werden könnte. Ein eindeutiger Nachweis,
dass die Progression zur Demenzerkrankung
durch Nootropika verzögert werden könnte, ist
bis heute jedoch nicht erfolgt. Hier gibt es allerdings auch für die Antidementiva im engeren
Sinne (Cholinesterasehemmer und Memantin) keinen eindeutigen klinischen Nachweis einer Reduktion der Konversionsrate hin zur Demenz. Patienten mit einer leichten kognitiven
Beeinträchtigung haben ein Konversionsrisiko von ungefähr 15 % pro Jahr, eine manifeste Demenz zu entwickeln und nach ca. 5 Jahren sind etwa die Hälfte der Patienten dement
geworden. Da sich die Patienten ihrer Defizite sehr wohl bewusst sind, weisen sie auch einen sehr hohen Leidensdruck auf und wenden sich oftmals vertrauensvoll an ihren Arzt,
um hilfreiche Medikamente verschrieben zu
bekommen. Dieser Bereich ist ein Hauptindikationsgebiet für die große Gruppe der Nootropika, deren Einsatz in der Praxis besonders
notwendig erscheint, obwohl deren Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen wurde.
Auch die klassischen Cholinesterasehemmer,
Vitamin E, Antirheumatika und antiinflammatorische Medikamente sind den klinischen
Wirksamkeitsnachweis bei MCI schuldig geblieben. Begleitende affektive Symptome wie
z.B. depressive Verstimmung und Angst- und
Schlafstörungen sind unbedingt zu diagnostizieren und entsprechend medikamentös zu
behandeln.
Nootropika bei Demenz
Abb.1: Alternative Antidementiva – Empfehlungen der österreichischen und deutschen AlzheimerGesellschaft
ARZT & PRAXIS
Wir können auch nicht behaupten, dass Nootropika nicht symptomatisch vorteilhaft und
krankheitsmodifizierend wirken, da sie möglicherweise doch in die komplexen zell- und
molekularbiologischen Mechanismen der Demenzerkrankung eingreifen. Auch ältere Nootropika könnten krankheitsmodifizierend
und neuroprotektiv wirken. Möglicherweise könnten sie die Aggregation oder den Abbau des Beta-Amyloids günstig beeinflussen,
die Tau-Phosphorylierung hemmen, antiinflammatorische und antioxidative Eigenschaften aufweisen, den Lipidstoffwechsel günstig beeinflussen oder eine neurotrophe bzw.
-protektive Wirkung entfalten. Niemand kann
sagen, ob eine Kombination von älteren Nootropika mit neueren Antidementiva auf Grund
der komplexen Pathophysiologie der Alzhei-
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mer-Demenz nicht doch sinnvoll wäre. Nootropika und Antidementiva könnten eventuell
einen synergistischen, potenzierenden Effekt
bewirken. Derartige Kombinationstherapien sind in klinischen Studien noch nie untersucht worden, und wir können dazu keine Aussage treffen. Die Kombination von Memantin
und Donepezil war der Monotherapie überlegen, die Kombination mit Vitamin E ergab keinen zusätzlichen Benefit.
Wahl des richtigen Nootropikums
Auch die Frage, welchem der Nootropika der
Vorzug gegeben werden sollte, ist schwierig zu
beantworten, da die Verum-Placebo-Differenzen in vielen Studien nur zwischen 15 und
25 % betrugen bzw. nur wenige Vergleichsuntersuchungen durchgeführt wurden.
Interessant ist aber eine Studie von Kanovsky
aus dem Jahre 1988, in der Nimodipin (Nimotop®) versus Dihydroergotoxin (Ergomed®,
Hydergin®) versus Placebo untersucht wurden und eine signifikante Überlegenheit beider
Verumpräparate nachgewiesen werden konnte. Die Dauer der Behandlung sollte nicht unter drei Monaten liegen, da kognitive Defizite
und die Alltagskompetenz keine derartig rapiden Verbesserungen erwarten lassen.
Zu Dihydroergotoxin liegen zahlreiche klinische Studien aus der Vergangenheit vor, die
niemals einen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis erbrachten, jedoch eine sehr geringe Nebenwirkungsrate nachwiesen. Ein rezentes
Cochrane-Review konstatiert, dass Dihydroergotoxin einen gewissen Effekt in der globalen
Funktion aufweist, es empfiehlt jedoch weitere Wirksamkeitsstudien.
Für das peptiderge Nootropikum Cerebrolysin® gibt es in mehreren klinischen multizentrischen Doppelblindstudien jeweils übereinstimmende Wirksamkeitsnachweise bei
Demenz. Cerebrolysin® wird durch standardisierte biotechnologischen Methoden und einen standardisierten proteolytischen Prozess
aus Schweinehirnproteinen gewonnen. Hierbei
wirken biologisch aktive Peptide wie ein natürlicher Wachstumsfaktor, nämlich neurotroph
und -protektiv. Mit seinem geringen Molekulargewicht von unter 10 Kilodalton ist eine
ausreichende Bluthirnschrankenpassage gewährleistet. Rezente Studien zeigen, dass Cerebrolysin® sich vor allem in den bei der Alzheimer-Demenz besonders beeinträchtigten
Hirnarealen wie dem Hippocampus bzw. dem
septalen Nukleus anreichert und eine ähnliche
neurotrophe Aktivität entfaltet wie der Ner-
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venwachstumsfaktor. Cerebrolysin® konnte
die Degeneration von medialen septalen cholinergen Neuronen verhindern. Im Tierversuch
konnte Cerebrolysin® die synaptische Dichte erhöhen und die neuronale Zytoarchitekturstruktur normalisieren. Auch das räumliche
Lernvermögen und Gedächtnisdefizite konnten verbessert werden. Weltweit wurden in klinischen Studien bereits mehr als 1.600 Patienten integriert. Vor allem die Studien von Rüther
und die Studien von Alvarez zeigen einen signifikant positiven Effekt von Cerebrolysin®
bei Alzheimer-Demenz bzw. nach postakuter
traumatischer Hirnschädigung. Hierbei verbesserten sich die Patienten in der Rüther-Studie nicht nur im weltweit führenden primären
Zielparameter der Alzheimer Disease Assessment-Scale (ADAS-Cog), sondern auch in den
Aktivitäten des täglichen Lebens und in der
neuropsychiatrischen Symptomatik.
Von allen Nootropika weist Ginkgo biloba
(EGB761, Cerebokan®, Ceremin®, Tebofortan®)
die dauerhafteste und beste Studienkultur auf,
welche über mehr als 30 Jahre verfolgt werden kann. Obwohl die klinische Wirksamkeit
nicht restlos nachgewiesen ist, reicht die Datenlage aus, dass in den Guidelines der World
Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) zur biologischen Behandlung von
Alzheimer-Demenzen und anderen Demenz­
erkrankungen Ginkgo biloba neben den Standard-Antidementiva wie Cholinesterasehemmer und Memantin als 4. Antidementivum
angeführt wird.
Ginkgo biloba zeigte in vielen klinischen Studien signifikante positive Effekte in validierten
kognitiven Tests und es gibt Hinweise, dass die
Alltagskompetenz und die soziale Kompetenz
verbessert wurden bzw. auch die für die Belastungen der Angehörigen besonders wichtige neuropsychiatrische Symptomatik reduziert werden konnte. Sogar das Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) dokumentierte einen klinischen Nutzen von EGB761 in der Dosierung
von 240 mg pro Tag. Auch zur Beurteilung der
Symptomprogression gibt es eine interessante Untersuchung, die belegt, dass Ginkgo biloba ähnlich wie Cholinesterasehemmer die Demenzprogression verzögern könnte – unter
der Voraussetzung, dass die unterschiedlich
verwendeten Skalen miteinander vergleichbar wären. Auch eigene Untersuchungen zu
den pharmakoökonomischen Auswirkungen
der Behandlung nicht-institutionalisierter Demenzpatienten in Österreich sprechen für einen progressionsverzögernden Effekt unter einer Behandlung mit 240 mg Ginkgo biloba pro
Tag. Hierbei wurde eine Metanalyse von Daten zur Alltagsaktivität von 1.201 Demenzpatienten durchgeführt, die über nahezu ein halbes Jahr doppelblind mit EGB761 240 mg pro
Tag oder Placebo behandelt wurden. Die Progressionsverzögerung und die Reduktion der
Alltagskompetenz wurden geschätzt. Die berechneten Gesamtkosten aus Arzneimitteln,
Arzthonoraren und Leistungen der Pflegeversicherung für 7 Pflegegeldstufen wurden
Guidelines der World Federation of Societies of Biological Psychiatry
(WFSBP) zur biologischen Behandlung von Morbus Alzheimer und
anderen Demenzerkrankungen
mod. nach: World J Biol Psychiatry. 2011 Feb;12(1):2-32.
Ergebnisse:
Keine Heilung oder Progressionsstopp durch Antidementiva
Mäßige Wirkungen bei der Verbesserung der Symptome im Vergleich zu Placebo
Medikamentenauswahl (AChE-Hemmer, Memantin oder Ginkgobiloba) abhängig
von Art der Demenz, Symptomkonstellation und Verträglichkeit der Therapie
Keine Studien, welche die Überlegenheit von AChE-Hemmern über Memantin oder
Ginkgo biloba (oder vice versa) belegen
Hinweise, dass die Kombinationstherapie von Medikamenten mitunterschiedlichen
Wirkmechanismen die Wirksamkeit verbessern könnte
Abb. 2: Guidelines der WFSBP (World Federation of Societies of Biological Psychiatry)
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mittels vierer Szenarien berechnet. Verglichen
wurde hierbei mit Cholinesterasehemmern,
deren Daten aus Cochrane-Metaanalysen vorlagen. Insgesamt konnte eine Nettoeinsparung bei der Behandlung mit EGB761 von Euro
3.692,– bis 29.577,– je nach Szenarium berechnet werden. Der deutliche Effekt kam hauptsächlich durch einen späteren Eintritt in höhere Pflegegeldstufen zustande, während der
zusätzliche Therapieerfolg mit EGB761 nur Euro 530,88 kostete. Die Metaanalyse von IQWIG
dokumentierte die klinische Evidenz in den Bereichen Hirnleistungsfähigkeit, generelle psychopathologische Symptomatik und Lebensqualität der Angehörigen.
Ausblick für Nootropika
Parallel zur Entwicklung immer neuer pharmakologischer Möglichkeiten für die Behandlung der Alzheimer-Demenz wurden
besonders wichtige Möglichkeiten der Frühdiagnostik und Krankheitsprädiktion entwi-
ckelt. Schwerpunkt liegt hierbei auf Neuroimaging-Methoden wie z.B. der Vermessung einer
hippokampalen Atrophie im Temporallappen
mithilfe des Scheltens-Scores, Bestimmung
genetischer Risikoprofile und anderer biologischer Marker, wie z.B. einer Liquordiagnostik, und die Mitbestimmung von Beta-Amyloid und Tau-Protein. Zukünftige Risikopersonen
könnten damit auch von einer nootropen Therapie profitieren. Die derzeit in den klinischen
Studien verwendeten klinischen und psychometrischen Marker reichen nicht aus, um den
strengen Nachweis eines ursächlichen Behandlungseffektes zu verifizieren. Biologische Marker, die als Indikatoren der Wirksamkeit pharmakologischer Behandlungen dienen,
sollten künftig parallel dazu eingesetzt werden. Ein Indikationsgebiet der Nootropika wäre die sekundäre Prävention bei Patienten mit
nur geringen Symptomen, welche einer leichten kognitiven Beeinträchtigung entsprechen,
oder Patienten, die noch keine Symptome auf-
weisen, aber bereits pathophysiologische Gehirnveränderungen zeigen.
Interessant wird künftig auch der Einsatz
von Nahrungsergänzungsmitteln wie z.B. Acutil®, das aus Omega-3-Fettsäuren, Ginkgo biloba, Phosphatidylserin, Vitamin E, Folsäure
bzw. Vit. B12 besteht, und Souvenaid® sein. Zu
Souvenaid®, das aus Phosphatid-Präkursoren
und Ko-Faktoren besteht, liegt eine randomisierte doppelblinde Studie bei 225 Alzheimerpatienten vor. Die Gedächtnisleistung konnte
dadurch signifikant verbessert werden. Ob die
externe Validität auch der internen entspricht,
wird die Zukunft zeigen.
♦
Literatur:
- Gleiter CH., Volz HP., Antidementiva, Medizinisch
pharmakologisches Kompendium. Band 19, 2008.
- Rainer M., Mucke H., Schlaefke S., Ginkgo biloba ex­
tract EGb761 in the treatment of dementia: a pharmacoeconomic analysis of the Austria setting. Wiener Klinische Wochenschrift. Publ.online 5.1.2013
Wearing OFF bei
Mb. Parkinson
Prim. Dr. Dieter Volc
Vorstand der Neurologischen Abt. und Parkinsonzentrum
CONFRATERNITÄT-Privatklinik Josefstadt
Skodagasse 32, 1080 Wien
E-Mail: [email protected]
Die DOPA-Behandlung des Mb. Parkinson ist
seit ihrer Einführung 1961 durch Birkmayer & Hornykiewicz in Wien der Goldstandard
der Therapie geblieben. Auch konnte eine erfolgreiche Verlängerung der Wirksamkeit von
Levodopa in der oralen Form bis heute nicht
wirklich erreicht werden, und die kurze Halbwertszeit dieser Transmittervorstufe bleibt ihr
größtes Problem. Die Behandlung ist anfangs
einfach und das Ansprechen auf Medikamente
sehr gut. Auch die Frequenz der Einnahme von
Medikamenten ist nicht strikt einzuhalten wie
in späteren Stadien, daher werden im Anfangsstadium auch die größten Fehler gemacht, weil
sich keine unmittelbaren Folgen zeigen. Die
ARZT & PRAXIS
Die Therapie des Mb. Parkinson ist anfangs einfach und das Ansprechen
auf Medikamente sehr gut. Im Krankheitsverlauf sinkt aber die Speicher­
fähigkeit der dopaminergen Neuronen und die Wirkung lässt vor der
nächsten Einnahme nach. Die Behandlung ist nicht einfach, weshalb auf
die Prophylaxe dieser Zustände großer Wert gelegt wird. Und dabei kann
die Ersttherapie nach Diagnosestellung ein wichtiger Grundstein sein.
größte Schwierigkeit ist die zu niedrige Einnahmefrequenz – mindestens vier Gaben wären richtig, bei einer Wirkzeit von maximal
4–5 Stunden sind die meist durchgeführten
dreimaligen Gaben einfach zu selten. Weiters
scheint eine Vorbehandlung mit Dopaminagonisten die Gefahr des späteren Auftretens von
Wearing OFF und dem damit einhergehenden
Phänomen der Dyskinesien (unwillkürlichen
Überbewegungen) zu verringern.
Es ist also schon am Beginn der Behandlung
das Gespräch mit den Betroffenen bzw. deren
begleitenden und betreuenden Angehörigen
zu suchen, und sie sind in den Behandlungsplan mit einzubeziehen. Bei einer schlechten
Compliance ist die Medikamenteneinnahme
nicht gesichert, die Compliance bessert sich
aber mit dem Wissensstand um das Warum
und Weshalb.
Was ist Wearing OFF?
Wearing OFF (= sich abnutzen) beschreibt eine Phase zwischen dem Ende der Wirksamkeit
einer Dosis und dem Beginn der Wirkung der
nächsten Dosis. Das kann sich hinziehen, denn
die neuerliche Dosis braucht meist 45–60 Minuten bis zur vollen Wirkung. Es kommt also
nicht rasch zu einer Auflösung nach neuerlicher Einnahme. Schematische Darstellungen
zur normalen DOPA-Wirkung, Wearing OFF, No
Jahrgang 67 / 994a / 2013
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
ON bzw. Delayed ON, Dyskinesien sowie ONOFF-Fluktuationen finden sich in den Abbildungen 1a–1e.
In frühen Krankheitsstadien sind genügend präsynaptische Speicher vorhanden, die
Dopa­min enthalten und im Bedarfsfall freigesetzt werden können. Diese Speicherfähigkeit lässt im Laufe der Erkrankung nach, und
es steht Dopamin dann nur noch in dem Maße zur Verfügung, wie es von außen zugeführt
wird. Symptome, die durch Levodopa gut coupiert waren, treten vor der nächsten Einnahme
zutage. Einerseits sind es die motorischen Beschwerden wie Verlangsamung, Steifigkeit und
Zittern, andererseits macht sich Wearing-OFF
aber häufig durch nicht-motorische Symptome bemerkbar – insbesondere Ängstlichkeit
und depressive Verstimmung (die in deutlichem zeitlichen Zusammenhang mit der DOPA-Gabe schwankt) sowie verlangsamtes
Denken, hinzu kommen Schmerzen, Muskelkrämpfe und Müdigkeit.
Diagnostisch kann ein Fragebogen hilfreich
sein (Wearing-OFF-Fragebogen siehe Tab. 1),
jedenfalls sollte bei jedem Kontrollbesuch nach
diesen Beschwerden gefragt werden, da sie die
Betroffenen meist nicht mit dem Mb. Parkinson in Zusammenhang bringen und oft ohne
Befragung nicht darüber sprechen.
Die nicht-motorischen Beschwerden tangieren die Betroffenen häufig mehr als die
von ärztlicher Seite als wesentlich auffallender gesehenen motorischen Symptome, da sie
die Befindlichkeit stärker beeinträchtigen. Das
zeitgerechte Erkennen ist für den weiteren Verlauf von entscheidender Bedeutung.
Es gibt auch kein vorhersagbares Intervall.
Mit dem Nachlassen der Wirkung ist nach etwa fünf Jahren Behandlung zu rechnen, aber
im Einzelfall kann auch schon nach einem Jahr
der Therapie ein Nachlassen der Wirkung festgestellt werden. Es gibt aber auch Verläufe, bei
denen erst nach mehr als zehn Jahren eine solche Beeinträchtigung auftritt.
Therapeutische Ansätze
Grundvoraussetzung ist eine Optimierung
der laufenden Medikation. Schematische An-
sätze gibt es kaum, denn die Therapie des Mb.
Parkinson ist grundsätzlich eine auf die betroffene Person zugeschnittene und angepasste
Behandlungskombination.
Bei der Optimierung des Dopaminersatzes
bei Mb. Parkinson stellt sich als Schlüsselfrage,
wie eine physiologische, kontinuierliche, dopaminerge Stimulation herbeigeführt werden
kann. Es bieten sich mehrere Möglichkeiten zur
Linderung der motorischen Fluktuationen an:
• Früher Einsatz oder die Beigabe von Dopaminagonisten in Retard-Formulierung
• Dosisfraktionierung von L-Dopa (= häufigere Gaben von niedrigeren Dosen)
• Einsatz von L-Dopa in Retard-Formulierung
• Beigabe eines COMT-Hemmers
• Beigabe eines MAO-B-Hemmers
• Einsatz invasiver Methoden
Wichtige einfache Maßnahmen sind:
• Beschleunigung der Magenpassage durch
Einnahme von Levodopa auf nüchternen
Magen mit einem großen Glas Wasser, um
die Transitzeit zu verkürzen;
Schematische Darstellung von Wearing Off und Fluktuationen „Wearing off“
Die Wirkung setzt nach 60 Minuten ein und hält gut bis zu 5 Stunden an
Abb. 1a
Die Wirkung setzt gar nicht ein
Abb. 1d
Jahrgang 67 / 994a / 2013
Die Wirkung setzt nach 60 Minuten ein, hält aber nur knapp 3 Stunden an
Abb. 1b
Die Wirkung setzt nach 60 Minuten mit Überbewegung ein, hält
auch nur wenige Stunden an
Abb. 1e
Die Wirkung setzt nach 120 Minuten ein und hält weniger als 2 Stunden an
Abb. 1c
Die Wirkung setzt nach 60 Minuten ein, hält nur kurz an, kann einoder mehrmals auftreten und klingt dann ab
Abb. 1f
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• keine gleichzeitige Einnahme von Eiweiß,
weil es die Resorption von Levodopa im
Dünndarm stört;
• Beschleunigung der Darmmotilität und
Bekämpfung einer Obstipation.
Mit dem Einsatz der neueren Dopaminagonisten in Retard-Formulierungen kommen wir
heute dem Prinzip der kontinuierlichen dopaminergen Stimulation bereits deutlich näher.
tion mit Levodopa/Carbidopa oder als Einzelsubstanz für die freie Kombination mit allen
DOPA-Präparaten verfügbar – ist im Blutkreislauf aktiv. Es hemmt den Abbau von DOPA zu
Dopamin im Blut, so kommt es zu einer höheren Verfügbarkeit von DOPA über einen längeren Zeitraum. Rasagilin ist ein starker, irreversibler selektiver MAO-B-Hemmer (MAO =
Monoaminooxidase). Es ist zur Behandlung
der idiopathischen Parkinson-Krankheit als
•Tremor (z.B. zitternde Hände, Arme, Beine)
•Verlangsamung der Bewegungen (z.B. beim Gehen oder beim Essen)
•Stimmungsschwankungen
•Allgemeines Steifigkeitsgefühl (z.B. steife Arme, Beine)
•Schmerzen/Gliederschmerzen
•Verminderte Geschicklichkeit (z.B. Schwierigkeiten beim Schreiben oder beim Auf- bzw.
Zumachen von Knöpfen)
•Depressive Episoden/verlangsamtes Denken
•Angstgefühle/Panikattacken
•Muskelkrämpfe (z.B. Arme, Beine, Füße)
Tab. 1: Wearing-OFF-Fragebogen:
Und hier gilt wiederum, dass der frühzeitige
Einsatz von Retard-Präparaten wahrscheinlich das Auftreten von Wearing OFF und Fluktuationen verzögern kann, ihre Stellung als
Ersttherapie ist damit gerechtfertigt. Im Gegensatz zu den pulsatil eingesetzten „Immediate release“-Präparaten ist 24 Stunden nach
der Einnahme der Wirkspiegel nicht auf null,
sondern – wenngleich niedriger – so doch
noch vorhanden. Manchmal bei höheren Dosierungen ist auch eine Aufteilung zwischen
morgens und abends eine gute Option.
Levodopa soll am Beginn in niedrigen Einzeldosen, aber ausreichender Frequenz – also mindestens vier Gaben in 24 Stunden – eingesetzt werden. Durch die kurze Halbwertszeit
wird bei seltenerer Gabe die pulsatile Stimulation der Rezeptoren gefördert. Eine höhere
Einzeldosis bewirkt keine längere Wirkdauer,
nur einen kurzfristig höheren Plasmaspiegel
nach der Einnahme. Individuelle und schrittweise Steigerung der Dosen ist empfehlenswert. Die Wirkung ist am besten, wenn die
Medikation immer auf nüchternen Magen eingenommen wird (mit einem großen Glas Wasser) – so erreicht die Dosis rasch den Resorptionsort im Jejunum und wird nicht durch den
postprandialen Pylorusverschluss an der Passage gehindert.
Entacapon (COMT-I = Catecholamin-O-Methyltransferase-Inhibitor) – in fixer Kombina-
ARZT & PRAXIS
Monotherapie (ohne Levodopa) oder als Zusatztherapie (mit Levodopa) bei Patienten mit
End-of-dose-Fluktuationen und Dyskinesien
zugelassen, aber auch im frühesten Stadium
der Erkrankung indiziert. Fluktuationen werden durch Rasagilin verkürzt. Es kann von Beginn an in einer festen einmal täglichen Dosis
von 1 mg gegeben werden. Ein Cheese-Effekt
wurde bisher nicht beobachtet. Unerwünschte Amphetamin-Metaboliten treten nicht auf,
sodass keine negativen Auswirkungen auf den
Nachtschlaf zu erwarten sind.
Mit dem Auftreten einer verlängerten Wirkeintrittszeit (Delayed ON) oder fehlenden Wirkung (No ON) und mit dem Wirkungsverlust
nach kurzer Zeit stellt sich irgendwann im Verlauf auch die Frage, ob eine weitere Verkürzung der Intervalle noch sinnvoll ist. Dies ist
bei einem Nachlassen nach weniger als drei
Stunden zu überlegen.
Allerdings stehen dann mit den invasiven
Methoden gute Strategien zur Verfügung:
DOPA-Pumpe: Dopa kann kontinuierlich als
gastrointestinales Gel mithilfe einer außen getragenen Pumpe über eine Sonde dem Darm
zugeführt werden – die übliche PEG-Sonde ist mit einem zusätzlichen Schlauch versehen (PEJ-Sonde), der in den Dünndarm gelegt
wird. Auf diese Weise wird unabhängig von
Magenentleerungen ein gleichmäßiger DopaZufluss erreicht.
Das Gel gelangt über die Sonde direkt in den
Dünndarm, wo Levodopa sehr schnell von einem Hochleistungs-Transportsystem für Aminosäuren aufgenommen wird. Der Vorteil ist
eine sehr stabile Blut- und damit Gehirnkonzentration. Dadurch verschwinden die bei anderen Parkinson-Medikamenten häufig beobachteten Wirkungsfluktuationen, und die
Patienten haben einen erheblich größeren
Teil des Tages eine gute Beweglichkeit ohne
Überbewegungen.
APOMORPHIN-Pumpe: Der Dopamin­
agonist Apomorphin hat eine sehr kurze Halbwertszeit und läuft daher als Akuttherapie
dem Therapieprinzip der kontinuierlichen dopaminergen Stimulation zuwider, aber der
Einsatz der Apomorphin-Pumpe gilt als gute Möglichkeit, hier therapeutisch einzugreifen.
Über den (wachen) Tag wird Apomorphin subkutan infundiert, wodurch auch eine gleichmäßige Stimulation der Rezeptoren erzielbar ist.
DBS (deep brain stimulation) / Tiefe Hirnstimulation: Die Tiefe Hirnstimulation gibt es
bereits über 20 Jahre – sie ist mittlerweile eine gut etablierte Methode. An den fortschrittlichsten Zentren erfolgt sie bereits in Vollnarkose, was auch den Komfort der Behandlung
steigert.
Die Implantationstechnik wurde in den letzten Jahren stetig verfeinert. Die Bildfusion
zwischen Kernspin- und Computertomographie liefert Bilder von einer hervorragenden
Güte, Schärfe und Genauigkeit. Die Mikroelektrodenableitung (Hirnstrommessung in den
Zielregionen des Gehirnes während der Operation) zusammen mit den aus den gespeicherten Daten vieler Patienten gewonnenen Zielpunkt-„Landkarten“ führten zur Möglichkeit,
auf die aktive Mithilfe des Patienten während
der Operation und damit auf seine Wachheit
zu verzichten – einer Narkose für die gesamte
Dauer der Operation steht damit nichts mehr
im Wege. Bislang wurde die Methode angewandt, wenn die medikamentöse Behandlung nicht mehr ausreichend möglich war oder
Nebenwirkungen auftraten. Nun liegt das Ergebnis der EARLYSTIM-Studie vor, die sehr
deutlich zeigen konnte, dass die möglichst
frühzeitige Anwendung der DBS bei Jüngeren
eine entscheidende Verbesserung der Lebensqualität bringt. Gerade Wearing OFF ist auch
eine Symptomatik, die mit DBS gut behandelbar ist – diese sollte daher nach den nun vorliegenden Ergebnissen deutlich früher zum
Einsatz kommen.
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Fachkurzinformationen siehe Seite 19
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Persönlichkeitsstörungen
ao. Univ.-Prof.in Karin Gutiérrez-Lobos
FÄin für Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Universität Wien
[email protected]
Die Frage nach dem Konzept von Persönlichkeit und deren Abweichungen hat die Menschheit seit jeher beschäftigt. Was heute Persönlichkeitsstörung genannt wird, hieß früher
Psychopathie, Charakterneurose oder Soziopathie und war durch stigmatisierende Elemente charakterisiert. Auch das moderne
Konzept der Persönlichkeitsstörungen wird
kritisch diskutiert, handelt es sich doch um eine dia­gnostisch heterogene Gruppe mit nur
geringem allgemeinen Konsens über die Abgrenzung zur gesunden Persönlichkeit sowie
ihren Ursachen und Entstehungsmechanismen. Wann von einer Störung der Persönlichkeit gesprochen wird, ist zumeist vom sozialen
und kulturellen Kontext abhängig. Erst durch
die Einschätzung anderer wird ein bestimmtes
Verhalten als sonderbar, auffällig oder von der
Norm abweichend definiert. Gerade diese Ausrichtung an der „Norm“ macht das Konzept der
Persönlichkeitsstörungen nach wie vor anfällig für Unschärfen, pejorative Anwendung und
Stigmatisierung. Für das neue DSM-V ist eine
Reduktion der Persönlichkeitsstörungstypen
von 11 auf 5 sowie eine genauere Differenzierung vorgesehen.
Begriffsdefinition „Persönlichkeit“
Mit Persönlichkeit wird die Gesamtheit der
psychischen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem einzelnen Menschen eine eigene unverwechselbare Individualität verleihen, beschrieben. Jeder Mensch verfügt über
eine ihm eigene individuelle Art zu denken, zu
fühlen, mit anderen in Beziehung zu treten
und auf soziale Anforderungen zu reagieren.
Mit zunehmender Entwicklung stabilisieren
sich bestimmte Eigenschaften und Merkmale einer Person. Gleichzeitig kann die Persön-
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Persönlichkeitsstörungen sind überdauernde Verhaltens- und Beziehungsstörungen, die sich in abweichenden und unflexiblen Mustern
der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens sowie in Beziehungen zu anderen äußern. Aufgrund des fließenden Übergangs zur
gesunden Persönlichkeit ist eine detaillierte Diagnose notwendig.
lichkeit ständig weiterentwickelt und an besondere Umstände angepasst werden. Unter
„Temperament“ werden der vitale Antrieb und
die Intensität, der Rhythmus und die Schwelle der affektiven Reaktionen verstanden, die
biologisch determiniert sind. Unter „Charakter“
versteht man langfristige Einstellungen, Werte
und Normen, die im Laufe der Entwicklung erworben werden (Stone 1999).
Persönlichkeitsstörungen –
Definition und Diagnostik
Der Übergang von Persönlichkeit zu Persönlichkeitsstörungen ist fließend. Eine Störung
wird in Betracht gezogen, wenn verschiedene Verhaltensweisen oder ihre Ausprägung
von einer – gedachten – Norm abweichen und
zu subjektivem Leid sowie Beeinträchtigungen der sozialen Funktionen führen. In einigen Fällen kann es auch zu antisozialem Verhalten kommen. Im ICD-10 werden unter F 60
Persönlichkeitsstörungen wie folgt definiert:
„Diese Störungen umfassen tief verwurzelte,
anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Dabei
findet man bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen gegenüber der Mehrheit der betreffenden Bevölkerung deutliche Abweichungen
im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen. Leidensdruck und Nachteile in der Lebensführung resultieren aus diesen Verhaltensweisen, die in Widerspruch zu
den soziokulturellen Erwartungen stehen.“
Im klinischen Alltag können großer, immer
wiederkehrender psychosozialer Stress (häufiger Berufs- und Partnerwechsel, konfliktreiche
Beziehungen), konflikthafter Umgang mit Entwicklungsaufgaben, Unsicherheiten bezüglich
des Selbstkonzeptes, häufige Krisen, wiederholte Selbstbeschädigungen, multiples Suchtverhalten oder etwa nicht adäquates Ansprechen auf Therapie bei Angst und Depression
erste Hinweise auf das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung darstellen.
Zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen stehen neben der klinischen Exploration
(die nicht reliabel und sehr ungenau ist) Fragebögen (die ihren besonderen Wert für Screening, nicht jedoch für Diagnostik haben) und
strukturierte klinische Interviews (z.B. IPDE,
SKID-II) zur Verfügung. Letztgenannte weisen
die größte Reliabilität auf, sind aber sehr zeitaufwendig. Eine organische Krankheit bzw. eine Erkrankung des Gehirns und andere psychische Störungen müssen ausgeschlossen
werden. Vor dem 18. Lebensjahr sollte eine
Persönlichkeitsstörung nur sehr zurückhaltend
diagnostiziert werden.
Studien zur Prävalenz der Persönlichkeitsstörungen in der Allgemeinbevölkerung ergeben
einen Anteil von 4,4 (Coid et al. 2006) – 14,6 %
(Zimmermann & Coryell 1989). Bezüglich der
Geschlechtsverteilung kann man innerhalb der
Gesamtgruppe der Persönlichkeitsstörungen
von einem ausgeglichenen Verhältnis sprechen. Bei einzelnen Subtypen finden sich hingegen bedeutsame Geschlechtsunterschiede.
So sind bis zu 80 % der Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung Männer, während
bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung bis
zu 80 % weiblich sind (Samuels et al. 2002, Paris 2003).
Das DSM-IV — das Klassifikationssystem
der American Psychiatric Association — ordnet die spezifischen Persönlichkeitsstörungen
nach gemeinsamen Charakteristika drei übergeordneten Clustern zu, nach denen im Fol-
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genden die Persönlichkeitsstörungen dargestellt werden.
Cluster A – „sonderbar, exzentrisch“: Vorherrschende Charakteristika: exzentrisches
Verhalten, Misstrauen, Affektarmut, Gefühlskälte sowie eingeschränkte zwischenmenschliche Kontakte .
Die paranoide Persönlichkeitsstörung
(ICD-10 F 60.0) ist gekennzeichnet durch Misstrauen, anderen Menschen kann nicht vertraut
werden. Die Betroffenen verhalten sich anklagend und kritisierend. Weiters besteht eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Rückschlägen, nachhaltiger Groll und Streitbarkeit. Im
Gegensatz zur wahnhaften Störung sind die
Inhalte einfühlbarer und korrigierbar.
Bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung
(ICD-10 F 60.1) stehen emotionale Kälte, In­
trovertiertheit, Interesselosigkeit an Tätigkeiten und Beziehungen sowie soziale Isolation
im Vordergrund. Die Betroffenen sind ungesellig und fühlen sich alleine am wohlsten. Von
anderen werden sie oft als unabhängig und
gleichgültig wahrgenommen. Im Gegensatz
zur selbstunsicheren PS, bei der der soziale Rückzug aus Angst vor Zurückweisung und
Kritik erfolgt, spielt hier die Interesselosigkeit
die Hauptrolle.
Bei der schizotypen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 21 - gehört zu den schizophrenen Spektrumerkrankungen und nicht zu den
Persönlichkeitsstörungen) fallen das gekünstelte und umständliche Denken, Argwohn,
seltsame Überzeugungen und ungewöhnliche
Wahrnehmungen auf. Differentialdia­gnostisch
ist sie vor allem von der Schizophrenie abzugrenzen. Der Unterschied besteht hauptsächlich in fehlenden Halluzinationen und
Wahnideen. Psychotische Ereignisse treten
höchstens passager auf, die Störung beginnt in
Kindheit oder Jugend und nicht wie die Schizophrenie im jungen Erwachsenenalter, meistens durch Auftreten eines charakteristischen
„Leistungsknickes“.
Cluster B – „dramatisch, emotional, launisch“: Vorherrschende Charakteristika: Impulsivität, starke Wut, Idealisierung und Entwertung, geringes Selbstwertgefühl und
selbst- bzw. fremdschädigendes Verhalten.
Das Beschwerdebild der histrionischen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.4) ist gekennzeichnet durch dramatische Selbstdarstellung (Koketterie, Stimmungskanone,
Geschichten erfinden, Schmeichelei, unkontrolliertes Weinen aus banalem Anlass), um
die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, über-
ARZT & PRAXIS
triebenen Ausdruck von Gefühlen, Suggestibilität, oberflächliche und labile Affekte, Suche nach aufregenden Erlebnissen und nach
Aufmerksamkeit, verführerische Erscheinung
und Verhalten sowie übermäßige Beschäftigung mit Attraktivität und Aussehen. Das zugrunde liegende Gefühl ist „nicht wichtig,
nichts wert zu sein“. Die betroffenen Personen sind überzeugt, ständig handeln zu müssen, um andere dazu zu bringen, ihre Wichtigkeit zu bestätigen und uneingeschränkte
Aufmerksamkeit zu erhalten. Die ständige Beschäftigung damit lässt das Verhalten überzogen und theatralisch erscheinen, diese Personen sind expansiv und lassen anderen nur
wenig Handlungsspielraum.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung
(ICD-10 F60.8) ist charakterisiert durch Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung
(z.B. übertreiben die Betroffenen ihre Leistungen und Talente bzw. erwarten, ohne entsprechende Leistungen als bedeutend angesehen zu werden), Beschäftigung mit Fantasien
über unbegrenzten Erfolg, Macht, Scharfsinn,
Schönheit oder ideale Liebe, Überzeugung,
„besonders“ und einmalig zu sein und nur von
anderen besonderen Menschen oder solchen
mit hohem Status (oder von entsprechenden
Institutionen) verstanden zu werden oder mit
diesen zusammen sein zu können. Es besteht
ständiges Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung und nach besonders günstiger Behandlung. Andere werden ausgenutzt, um eigene Ziele zu erreichen. Generell besteht ein
Mangel an Empathie, häufiger Neid auf andere
oder Überzeugung, andere seien neidisch auf
die Betroffenen. Die Betroffenen fallen häufig
durch arrogante, hochmütige Verhaltensweisen auf. Bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung spezialisieren sich die Betroffenen gleichsam auf sich selbst. Gleichzeitig
sind die Empfindung von Traurigkeit und Sehnsucht nahezu unmöglich, Gefühle sind flach
und oberflächlich. Wut und Neid spielen eine
große Rolle. Andere Menschen werden entweder nur als „gut“ oder „böse“ erlebt. Eine momentane Bewunderung anderer kann schnell
in Entwertung umschlagen. Zentrales Anliegen dieser Personen ist die Suche nach Liebe bei gleichzeitiger Angst vor Nähe und Abhängigkeit, da beides zur Vernichtung der
eigenen Person führen würde. Um dieser befürchteten Vernichtung zu entgehen, sind
manipulative, rücksichtlose und ausbeuterische Verhaltensweisen legitim. Gesunde Menschen mit narzisstischen Zügen weisen eine
leichte Selbstüberschätzung auf, die sie befähigt, schwierige Aufgaben in Angriff zu nehmen und Entscheidungen zu treffen. Sie haben
ein stabiles Selbstwertgefühl, sind empathiefähig und können Herausforderungen optimal bewältigen (Morf & Rhodewald 2001).
Auch Kernberg (1996, 2000) betont, dass ausreichend starke narzisstische Eigenschaften
wichtig für erfolgreiches Leadership sind. Vamik Volkan (2006) — einer jener Autoren, der
sich neben Kernberg (2000), Wirth (2002) u.a.
mit der Bedeutung narzisstischer Personen in
der Politik beschäftigt hat — meint, dass neben
realpolitischen Anforderungen auch die Persönlichkeiten von Politikern einen großen Einfluss auf die Gestaltung eines Staates haben.
In Krisenzeiten sei die Chance eines narzisstischen Politikers auf Erfolg besonders groß, da
die ihm eigene Grandiosität und Selbstüberschätzung das Volk vor Angst und Unsicherheit schütze. Differentialdiagnostisch ist die
Unterscheidung zu einer manischen Phase, die
ebenso mit Größenideen einhergehen kann,
vorzunehmen.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung
(ICD-10 F60.31) wird im ICD-10 unter der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung subsumiert. Bei ihr stehen impulsives Handeln,
Streitsucht bei Kritik, Neigung zu Wut oder Gewalttätigkeit, unbeständige und unberechenbare Stimmung, Unsicherheit über das Selbstbild, intensive, aber instabile Beziehungen
sowie wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung und anhaltende
Gefühle von Leere im Vordergrund. Personen
mit einer Borderline-PS weisen eine erhöhte
Affektinstabilität auf – das bedeutet niedrige
Reizschwelle, hohe Affektintensität bzw. verlängerte Dauer bis zum Abklingen der Gefühle. Es werden oft quälend lange Spannungszustände erlebt, die durch selbstverletzendes
Verhalten wie Zufügen von Schnitt-, Beißoder Kratzwunden zu einer raschen Entlastung
führen können. Auch dissoziative Symptome
wie z.B. Gefühle der Fremdheit und der mangelnden Kontrolle über die Wirklichkeit stehen
mit den als unerträglich empfundenen Spannungszuständen in Zusammenhang. Die Betroffenen sehnen sich nach vertrauensvollen Beziehungen, die dann aber nicht ertragen
werden können. So gehen sie häufig intensive
aber meist nur kurz dauernde Beziehungen ein,
die geprägt sind von einem raschen Wechsel
zwischen Nähe und Distanz bzw. Idealisierung
und Entwertung.
Die Borderline-PS ist mit einem Auftre-
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ten von 0,7 (Coid et al. 2006) – 5,9 % (Swartz
et al. 1990) in der Allgemeinbevölkerung eine
der am häufigsten diagnostizierten PS (Lieb et
al. 2004), wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind. Wie keine andere Persönlichkeitsstörung ist sie an traumatische Erfahrungen in
der Kindheit oder Jugend gekoppelt. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen erlebte
sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung
in der Kindheit (Zanarini et al. 1997). Außerdem scheint ein Zusammenhang der Schwere des erlebten kindlichen Missbrauches mit
der Ausprägung der Borderline-Symptomatik
zu bestehen (Zanarini et al. 2002). Neben diesen Traumatisierungserfahrungen werden biologische Faktoren wie eine Störung im frontolimbischen System diskutiert (z.B. Herpertz et
al. 2001).
Kurze psychotische Episoden bei BorderlinePS sind im Gegensatz zu wahnhaften Störungen meist an Auslöser gekoppelt. Wie bei der
posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
spielen auch bei der Borderline-PS traumatische Ereignisse eine wesentliche Rolle. Bei der
PTBS stehen die Symptome jedoch in zeitlichem Zusammenhang mit dem Auslöser, während es sich bei der Borderline-PS um überdauernde stabile Verhaltensweisen handelt.
Die Stimmungsschwankungen sind im Gegensatz zu jenen bei histrionischen Patienten jedoch intensiver und länger andauernd.
Die dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD
10 F 60.2) imponiert durch einen Mangel an
Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung sozialer Normen, das Unvermögen zur Aufrechterhaltung längerfristiger Beziehungen, sehr
geringe Frustrationstoleranz sowie eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten. Schuldbewusstsein wird nicht
erlebt, vielmehr besteht die Neigung, andere zu
beschuldigen. Differentialdiagnostisch ist an
Alkohol- und Substanzabhängigkeit zu denken. Finden die genannten Verhaltensweisen
damit in Zusammenhang statt, sollte die Diagnose dissoziale PS nicht gestellt werden. Auch
Menschen mit Borderline-PS handeln impulsiv, bei ihnen sind jedoch Empathiefähigkeit
und Schuldgefühle erhalten.
Im Wesentlichen handelt es sich bei dem
Begriff der Dissozialität um ein moralisches
Konzept: Was antisozial ist, wird von der Gesellschaft bestimmt. Menschen, die man für
„normal“ hält, können ebenso gut wie Menschen, die man für „pathologisch“ hält, asozial handeln. Alle Menschen verfügen über ein
beträchtliches Reservoir an unbewussten antisozialen Fantasien. Wie diese antisozialen Bestrebungen jedoch abgewehrt (d.h. verdrängt
oder umgesetzt bzw. ausagiert) werden, variiert beträchtlich. Sogenannte „Kavaliersdelikte“, wie z.B. Übertretung der Höchstgeschwindigkeit oder Schwarzfahren, werden
nahezu von allen Menschen gelegentlich begangen, ohne dass deswegen eine „dissoziale
Persönlichkeitsstörung“ bestünde. Auch wiederholte schwere strafbare Handlungen alleine reichen für die Diagnose einer „dissozialen
Persönlichkeitsstörung“ nicht aus (GutiérrezLobos & Schmidl-Mohl 2000). Die Sichtweise,
dass diese Störung alle Delinquenten betrifft,
wurde aufgegeben und auf jene Personen eingeschränkt, die nicht nur wiederholt, sondern
auch ziellos antisoziale Taten begehen, generell
andere missachten und schwere Beziehungsstörungen aufweisen. Antisoziales Verhalten kann durch äußere Wirkfaktoren moduliert werden. So hat z.B. Dicks (1972) in seiner
Untersuchung an SS-Mördern ein Vorherrschen der antisozialen Persönlichkeitsstörung
gefunden. Die offenen sadistischen und kriminellen Handlungen wurden jedoch erst unter einem politischen System manifest, das für
dieses antisoziale Verhalten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen hatte.
Cluster C – „ängstlich, furchtsam“: Vorherrschende Charakteristika: Hilflosigkeit und
Abhängigkeit, leichte Verletzbarkeit und ständige Anspannung.
Zur Diagnose der ängstlich-vermeidenden
Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.6) müssen andauernde Gefühle von Anspannung, sozialer Unbeholfenheit und Minderwertigkeit
bestehen. Übertriebene Sorge wegen Kritik
oder Ablehnung wird geäußert, die Anlass für
sozialen Rückzug sein kann. Betroffene fühlen
sich gehemmt, schüchtern, stehen nicht gerne
im Mittelpunkt, prüfen ihre Beziehungen lange
und meiden häufig aus Sorge vor Ablehnung
Sozialkontakte. Im Gegensatz zur schizoiden
PS meiden sie Kontakte nicht wegen Gleichgültigkeit, sondern aus Angst vor Zurückweisung. In der Symptomatik ähnelt die ängstlich-vermeidende PS der Sozialphobie, bei der
die entsprechenden Ängste meist aber auf
bestimmte Situationen beschränkt sind (z.B.
Prüfungen).
Typisch für die abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.7) ist die Unterordnung eigener Bedürfnisse unter die anderer
Personen, von denen Abhängigkeit besteht.
Wichtige Entscheidungen werden an ande-
re delegiert, von diesen werden auch ständig Ratschläge und Bestätigung benötigt. Das
Selbstbild der abhängigen PS ist geprägt vom
Gefühl der Schwäche, Inkompetenz und Hilflosigkeit. Andere Menschen werden zum Überleben benötigt, da es bei Einsamkeit zu unerträglichen Gefühlen der Hilflosigkeit kommt.
Aus Furcht vor dem Verlassenwerden sind die
Betroffenen bereit, sich bis zur Unterwürfigkeit
unterzuordnen.
Die anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.5) ist geprägt
durch starken Zweifel und übermäßige Vorsicht, Beschäftigung mit Details, Perfektionismus, übermäßige Gewissenhaftigkeit bzw. unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit unter
Vernachlässigung von Vergnügen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Betroffenen sind pedantisch, rigide und eigensinnig.
Zwanghafte Persönlichkeiten sind bemüht, sich
stets moralisch einwandfrei zu verhalten, Regeln und Vorgaben werden pedantisch eingehalten. Ordnung und Regeln sichern den angstfreien Umgang mit der Welt. Sie sind äußerst
selbstkritisch, verlangen ähnlich übertrieben
genaues Verhalten auch von anderen. Mangelnde Flexibilität sowie Genuss- und Erlebnisfähigkeit resultieren aus dem rigiden Verhalten.
Behandlungsprinzipien der
Persönlichkeitsstörungen
Psychotherapie ist aktuell die Methode der
Wahl zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen (Übersicht: Oldham et al. 2005, Kernberg 2006). Für einige Persönlichkeitsstörungen, wie z.B. antisoziale PS, Borderline-PS oder
ängstlich-vermeidende PS, gibt es auf das jeweilige Störungsbild abgestimmte störungsspezifische Therapieverfahren. Diese scheinen anderen Therapieformen überlegen zu
sein. Eine Behandlung mit Psychopharmaka
orientiert sich an den Zielsymptomen und ist
nicht zuletzt aufgrund der oft eingeschränkten Compliance und mangelnden Motivation
schwierig (Laux 2008). SSRIs scheinen besonders gut zur Behandlung impulsiven Verhaltens der Cluster-B-Störungen geeignet zu sein.
Atypische Antipsychotika wie Risperidon oder
Quetiapin zeigen gute Effekte bei Aggressivität und Impulsivität – besonders bei Borderline- und antisozialer PS. Für die schizotype PS
könnten sich aus neuesten Untersuchungen
zur Wirkung von Omega-3-Fettsäuren neue
therapeutische Möglichkeiten eröffnen (Amminger et al. 2010, Überblick z.B. Wedekind &
Bandelow 2006).
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Persönlichkeit. Entwicklungspsychologie, Neurobiologie und Therapie von Persönlichkeitsstörungen Stuttgart:
Schattauer: 305-317
Zanarini MC, Williams AA, Lewis RE, Reich RB, Vera SC, Marino MF, Levin A, Yong L, Frankenburg FR (1997), Reported
pathological childhood experiences associated with the
development of borderline personality disorder. Am J Psychiatry. 1997 Aug;154(8):1101-6
Zanarini MC, Yong L, Frankenburg FR, Hennen J, Reich
DB, Marino MF, Vujanovic AA (2002), Severity of reported childhood sexual abuse and its relationship to severity of borderline psychopathology and psychosocial impairment among borderline inpatients. J Nerv Ment Dis.
190(6):381-7
Zimmerman M, Coryell W (1989), DSM-III personality disorder diagnoses in a nonpatient sample: Demographic
correlates and comorbidity. Arch Gen Psychiatry 46: 682689
Jahrgang 67 / 994a / 2013
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Therapie des Burn-out
Univ.-Prof. Dr. Med. Peter Hofmann
FA f. Psychiatrie, Univ.-Klinik f. Psychiatrie Graz,
Auenbruggerplatz 31, 8036 Graz
E-Mail: [email protected]
Wie soll man sich nun in der Praxis dem Thema nähern? Patienten kommen in unsere Ordination, sagen, sie haben ein Burn-out und fordern eine entsprechende Therapie ein. Da ist
guter Rat teuer, vor allem weil es von verschiedensten Seiten Therapieangebote gibt – verschiedenste Professionen signalisieren auch
in der Tagespresse Zuständigkeit, Behandlungskompetenz etc. Was tun in der ärztlichen
Praxis?
Zuerst einmal ärztlich-medizinisch
abklären
Die Burn-out-Symptomatik ist in aller Regel
eine bunte Mischung aus zahlreichen psychischen und körperlichen Symptomen. Deshalb
ist es in jedem Falle notwendig, eine medizinische Basisabklärung durchzuführen. Bekanntermaßen können anämische Zustände bis hin
zu Schilddrüsenfunktionsstörungen, aber auch
Entwicklungen im Rahmen schwerer körperlicher Erkrankungen zu ähnlichen Symptombildungen führen. Es ist die genuin ärztliche
Kompetenz, hier profund Befunde zu erheben
und entsprechend abzuklären.
Dabei ist es empfehlenswert, sich an die üblichen Standards – ähnlich wie bei der Gesundenuntersuchung – zu halten, um grob einen
Eindruck zu bekommen, ob es irgendwelche
Störungen im Bereich des Blutbildes, der Nieren- bzw. Leberfunktion oder in einem anderen Bereich gibt. Ganz wesentlich ist natürlich
auch eine Abklärung der Herzfunktion.
Wenn sich hier eindeutige Befunde ergeben,
so heißt dies aber noch lange nicht, dass man
nun darauf abstellen darf und ganz klar sagen
kann: „Das ist jetzt eine Beeinträchtigung der
Herzfunktion und deshalb gibt es diese Symp­
tomatik, die so aussieht wie eine Burn-out-
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Da wie bereits vielfach ausgeführt Burn-out als psychische
Erkrankung noch nicht eindeutig definiert und auch keine der
bisherigen Definitionen tatsächlich gut in der Fachwelt etabliert
ist, gibt es keine großen kontrollierten klinischen Studien zur Fragestellung der Wirksamkeit von therapeutischen Maßnahmen.
Symptomatik.“ Es kann naturgemäß so sein,
dass hier vieles Hand in Hand geht, nämlich
körperliche Problemstellung und psychische
Symptombildung, die durchaus auch als Burnout-Prozess zu sehen ist. Hier gibt es sehr oft
Wechselwirkungen. Bekannter ist dieses Feld
der körperlich-psychischen Wechselwirkung
aus der Erforschung von Angststörungen.
Bestes Beispiel hierfür ist die Panikstörung
– so sind im Rahmen von Panikattacken etwa erhebliche Tachykardien, aber auch Rhythmusstörungen und massive Blutdruckanstiege messbar.
Der pragmatisch-klinische Ansatz
In unseren großen Untersuchungen zum
Thema Burn-out bei verschiedenen Berufsgruppen wie Ärzten, Richtern etc. haben wir
an vielen Tausenden Teilnehmern auch die Frage nach dem gleichzeitigen Bestehen einer Depression bei Burn-out beleuchtet. Im Ergebnis ist eindeutig feststellbar, dass Burn-out
ab einem bestimmten Schweregrad durchaus mit einer Depression vergleichbar ist. Bekanntermaßen haben wir aufgrund der großen Datenmenge, die uns zu Verfügung steht,
ein Drei-Stufen-Konzept von Burn-out rechnerisch erarbeitet. Hier muss man feststellen,
dass ab der Phase 2 bei fast allen Probanden
gleichzeitig eine erhebliche krankheitswertige
Depression besteht. Daher ist es am vernünftigsten, davon auszugehen, dass Burn-out als
depressiver Entwicklungsprozess zu sehen ist.
Deshalb kommen auch alle unsere Standardbehandlungsstrategien aus dem Gebiet der
Depressionsbehandlung zum Tragen.
Wenn man sich die zentralen Elemente in der
Burn-out-Entwicklung ab einen bestimmten
Schweregrad ansieht, so haben wir es in aller
Regel mit Schlafstörungen, erhöhter Erschöpfund Ermüdbarkeit, Interesse- und Freudverlust, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen zu tun. Diese Symptome bestehen
in aller Regel über Wochen, bis der Patient in
die ärztliche Praxis kommt. Hier ist es augenscheinlich, dass es zentrale depressive Kernsymptome sind, die es zu behandeln gilt.
Die Rolle der Antidepressiva
Selbstverständlich wird in der Behandlung
des Burn-out den Psychopharmaka – im Speziellen den Antidepressiva – eine spezielle Rolle
zugebilligt, da gerade diese den großen Vorteil
haben, dass sie nicht abhängig machen bzw.
nicht die Persönlichkeit verändern, sehr wohl
aber gerade diese Kernsymptome depressiver
Natur gut erreichen können. Wenn es um die
Behandlung von Konzentrations- bzw. Aufmerksamkeits- oder Befindlichkeitsstörungen, aber auch Schlafstörungen geht, ist es
naturgemäß sinnvoll Antidepressiva einzusetzen, die hier besonders gut wirksam sind. Genannt seien hier Trazodon, Mirtazapin, Bupropion etc.
Leitgedanke sollte immer sein: Ist die Behandlung mit diesem oder jenem speziellen
Medikament mit einer Berufstätigkeit vereinbar. Es gehört also im Vorfeld geklärt, ob der
Betroffene weiter berufstätig bleibt oder in
den Krankenstand geht. Wenn er weiter berufstätig ist, was aufgrund der Angst um den
Arbeitsplatz heute allerorten zu beobachten
ist, muss man sich auch die Frage stellen, ob
der Betroffene ein Auto lenken bzw. vielleicht
irgendeine gefährliche Maschine bedienen
muss oder Ähnliches. Entsprechend ist auch
die medikamentöse Therapie zu gestalten. Hier
kommen die selektiven Serotonin-Wiederauf-
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nahmehemmer ins Spiel. Diese haben ja teilweise den großen Vorteil, dass man sie nur einmal täglich – nämlich morgens – einnimmt.
Dabei entfalten sie in aller Regel keine Vigilanzbeeinträchtigenden Nebenwirkungen.
Die medikamentöse Schiene – die sogar eine Kombinationstherapie aus den genannten Substanzen sein kann – ist also eine sehr
wesentliche Möglichkeit, schwerwiegende Burn-out-Entwicklungen entsprechend zu
behandeln.
Hier gilt es natürlich, entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten. Viele Betroffene sind der Meinung, dass die Burn-out-Entwicklung mit Überforderung und Problemen
am Arbeitsplatz zu tun hat – dies ist durchaus
richtig, nur muss man die sich dadurch entwickelnde Eigendynamik depressiver Störungen berücksichtigen. Es ist nun mal so, dass
schwere Belastungen zu Depressionen führen können, die aber dann völlig eigenständig
weitergehen. Hier ist es nicht mehr alleine damit getan, Fragen des klugen Selbstmanagements zu berücksichtigen, sondern hier muss
man sich schlichtweg am Schweregrad klinischer Symptome orientieren.
Aus reichhaltiger Erfahrung auf diesem Gebiet ist aus meiner Sicht festzustellen, dass
man niemals davon ausgehen darf, eine lange
Auszeit mit der Möglichkeit zur Selbstfindung
reiche aus, damit auf einmal alles an Symptombildungen verschwindet, ohne dass man
Medikamente zum Einsatz bringt – im Gegenteil dazu besteht sogar die Gefahr der eigendynamischen Weiterentwicklung der Depression
mit Chronifizierung.
Natürlich ist auch die Frage zu beantworten, wie man das Therapieziel wählt. Ist es
das Therapieziel, dass der Betroffene wieder
auf sein ursprüngliches Leistungsniveau zurückkommt und seinen Herausforderungen
im Arbeitsalltag wieder gerecht werden kann,
oder ist es das Ziel, es etwas „billiger“ zu geben, allenfalls den Arbeitsplatz oder den Beruf zu wechseln, um weniger Belastung zu
haben. Aus meiner Erfahrung ist es zielführender, den ersteren Ansatz zu wählen und in einer konsequenten Kombination aus psychopharmakologischer Therapie bei erheblichem
Krankheitswert und anderen therapeutischen
Interventionen anzubieten.
Zur Beurteilung des Therapieerfolgs sind dieselben Kriterien anzuwenden wie in der Behandlung der Depression selbst. Dies bedeutet, das Ziel ist Symptomremission – d. h.
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alle Symp­tome sollen verschwinden, nicht mehr
und nicht weniger. Hier gilt generell genauso wie
in der Depressionsbehandlung, dass Restsymptome prognostisch ungünstig sind bzw. häufiger zu Chronifizierung und Rückfällen führen.
Die große Gefahr der psychopharmakologischen Therapie besteht vor allem darin, dass
Betroffene den Medikamenten zu viel Bedeutung zuordnen, nicht bereit sind, in einem
Selbstreflexionsprozess eigene krankmachende Anteile zu erspüren und allenfalls Muster
im eigenen Verhalten zu ändern, sondern sich
schlichtweg auf die medikamentöse Therapie
verlassen und im günstigen Falle, dass Medikamente auch wirklich greifen, einfach so weitermachen, wie sie es zuvor gewohnt waren. Dies
ist eine fatale Fehleinschätzung, vor der man
den Patienten unbedingt bewahren muss.
Im Idealfall kommt es eben durch eine medikamentöse Therapie zu einer deutlichen Symp­
tomlinderung, z.B. schon alleine dadurch,
dass der Schlaf wiederhergestellt wird. Damit
ist aber natürlich das Problem der Selbstausbeutung nicht erledigt. Die große Chance bei
Wirksamwerden von Antidepressiva ist, dass
Energie zur Verfügung steht, Veränderungen
anzugehen. Keinesfalls darf man sich vor Freude gegenseitig auf die Schulter klopfen und
vermeinen, dass damit das Problem erledigt ist.
Im Gegenteil gilt es hier, immer ganz bewusst
nachzuforschen bzw. nachzufragen, ob sich
am Handlungsstil etwas geändert hat oder ob
der Betroffene weiterhin in denselben Mustern
verbleibt.
Tranquilizer sind keine Option, da sie die
Angst und die Hemmschwelle herabsetzen
und Lernprozesse in aller Regel konterkarieren.
Nicht-pharmakologische
Behandlungsstrategien
Hier erheben zahlreiche äußerst divergente
Therapieangebote Anspruch auf Wirksamkeit.
Dazu muss man ausführen, dass die wenigsten
davon über eine fundierte Studienlage verfügen, welche diesen Anspruch rechtfertigt.
Wenn man zunächst wieder einmal symp­
tom­orientiert denkt, so muss man sich den
wesentlichen Symptomen in der Entwicklung
des Burn-out-Prozesses zuwenden. Dazu gehören Unfähigkeit zur Entspannung, Erschöpfbarkeit etc. Dies ist natürlich ein ideales Feld für
den Einsatz von Entspannungsverfahren. Erwähnt seien hier autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Meditation, Yoga, Tai
Chi etc. Das Angebot ist so vielfältig, dass für
jeden etwas dabei ist. Man muss die Betroffenen schlichtweg ermuntern, dass sie sich verschiedene Ansätze anschauen und sehen, was
ihnen persönlich vom Typ her am besten entgegenkommt. Reine Wellnessverfahren wie ein
verlängertes Wochenende in einem Thermenhotel greifen – wenn überhaupt – nur bei sehr
wenig belasteten Persönlichkeiten, also bei
Menschen, die nur vorübergehend vermehrt
unter Druck gestanden haben und durch solch
ein Wochenende eine gute Regeneration erreichen können. Für fortgeschrittene Stadien des Burn-out reicht es sicherlich nicht aus.
Auch Abenteuerurlaube wie das Besuchen von
Kletterparks oder Rafting oder Canoeing sind
sicherlich nicht geeignet, Burn-out-Betroffene entsprechend positiv therapeutisch zu
beeinflussen.
Coachingverfahren eigenen sich im Wesentlichen nur bei geringem Ausprägungsgrad von
Symptomen, wo also noch keine Krankheitswertigkeit vorliegt. Coachingverfahren arbeiten zielorientiert an Problemstellungen – dabei muss natürlich eine entsprechende Fitness
des Betroffenen gegeben sein, damit er die
Pro­blematik erkennen, kritisch durchleuchten
sowie Strategien mit dem Coach gemeinsam
entwickeln und diese auch umsetzen kann.
Das ist oftmals ab einen bestimmten Schweregrad schlichtweg nicht mehr möglich. Hier
greifen dann sicherlich psychotherapeutische
Verfahren, bei denen aus meiner Sicht vor allem sehr konkrete handlungsorientierte Verfahren zur Anwendung kommen sollten, weil
es oftmals einfach darum geht, bestimmte
Dinge auch zu üben, wie z.B. sich abzugrenzen
bzw. Nein zu sagen – vor allem Nein gegenüber
den eigenen Ansprüchen.
Was man nie übersehen darf, ist, dass der
Burn-out-Prozess in den seltensten Fällen ein
isolierter auf den Arbeitsplatz bezogener Prozess ist. In aller Regel gibt es eine ganze Fülle von Zusatzproblemen – vor allem auch im
privaten Bereich, oftmals gibt es dann Partnerschaftsprobleme oder generell erhebliche
Spannungen und Schwierigkeiten in der Familie. Hier ist natürlich eine Gesprächstherapie sinnvoll, um einen entsprechenden Veränderungsprozess auch im privaten Umfeld
anzugehen.
Sehr verunsichert werden Betroffene hier
vor allem durch tatsächlich widersprüchliche
Informationen. So gibt es Therapieangebote,
welche in die Richtung gehen, dass es sich hier
um einen sehr langen therapeutischen Prozess
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Fachkurzinformationen siehe Seite 19
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handeln muss, der auch eine entsprechende
Auszeit verlangt und eine intensive psychotherapeutische Betreuung braucht. Mir sind aus
der Praxis Fälle bekannt, bei denen Betroffenen
tatsächlich Auszeiten von einem Jahr empfohlen wurden. Dies ist aus meiner Sicht angesichts der heutigen Arbeitswelt in aller Regel völlig unrealistisch. Es gibt nur ganz wenige
Enklaven in der Arbeitswelt, wo es noch möglich ist, ein solches Vorgehen zu wählen.
Hier kommt aber auch noch das Problem dazu, wie man aus ärztlicher Sicht die Betroffenen unterstützen kann: Ab wann soll man
krankschreiben und noch dazu für wie lange? Diese Frage ist schlichtweg nicht generell
beantwortbar. Es bedarf einer kritischen Einschätzung des aktuellen Leidenszustandes unter Einbeziehung des Schweregrades der depressiven Symptomatik – je nachdem kann es
durchaus Sinn machen, auch Krankenstände von bis zu einem Monat zu empfehlen, dies
aber nur in schweren Fällen. Der Vorschlag mit
3–4 Wochen Krankenstand hat auch eine Rationale im Hintergrund. Es gibt einige Studien,
die zeigen, dass die durch den Burn-out-Prozess entstandene Einschränkung der Kritikfähigkeit bezüglich des eigenen Handelns ungefähr diesen Zeitraum zur Regeneration
braucht, d. h. man kann davon ausgehen, dass
nach 3–4 Wochen doch eine so gute Distanz
zum Arbeitsplatz geschaffen werden kann,
dass man mehr und mehr in die Lage versetzt
wird, sich kritisch mit krankhaften Entwicklungen am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen.
Fatal ist in dieser Situation – was ich auch oftmals beobachtet habe, – dass Betroffene über
Firmenhandy bzw. E-Mails mit dem Arbeitsplatz verbunden sind, dass es zum einen gutgemeinte, mitfühlende Nachfragen nach der
Befindlichkeit gibt, aber auch ganz konkrete
Anfragen, die Druck aufbauen, durch Vorgesetzte, wann mit einem Wiedereinsatz gerechnet werden kann. Wenn Krankenstand, dann
richtig – also Abbruch der Beziehungen zum
Arbeitsplatz, damit von dieser Seite her Stille
herrscht, diese Front begradigt ist und der Betroffene sich tatsächlich seinem Gesundungsund Veränderungsprozess widmen kann.
Die Burn-out-Entwicklung ist in jedem Fall
eine krisenhafte Entwicklung, die aber naturgemäß wie alle Krisen die Chance auf positive Veränderung birgt, d. h. durch die Burnout-Entwicklung kommt es oft zur kritischen
Reflexion über eigene Überforderung, wo Betroffene tatsächlich nach einiger Zeit erstaunt
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sind, was sie sich selbst alles abverlangen, wo
der Einsatz in keiner Relation mehr zum Ergebnis steht. Gerade in jenem Moment, in dem die
ausgeprägt schwere Burn-out-/Depressionssymptomatik zurückgeht, sind Veränderungsprozesse durch Coaching bzw. therapeutische
Gespräche zu beginnen. Hier liegt die größte
Chance auf Veränderung.
Ein besonderes Problem in diesem Zusammenhang ist natürlich der gekränkte Selbstwert, da der Betroffene feststellen muss, dass
er nicht einmal annähernd in der Lage ist, früher für ihn selbstverständliche Tätigkeiten und
ein entsprechendes Arbeitspensum zu bewältigen. Mit diesem Knick muss man umgehen
lernen, aber auch hier liegt natürlich die Chance auf Erneuerung.
Prophylaktische Aspekte
Gerade bei der Burn-out-Entwicklung sind
Strategien zur Prophylaxe gefragt.
Unter dem Schlagwort der Effizienzsteigerung wird völlig unkritisch der Druck auf die
Arbeitnehmer mehr und mehr erhöht, dasselbe
gilt übrigens aber auch für Unternehmer. Nur
wenige Firmen bieten Ausgleichs- und Stützungsprogramme an, vielfach herrscht noch
der Gedanke, dass die persönliche Fitness und
Leistungsfähigkeit ein Thema des Privaten ist,
für das der Arbeitgeber nicht zuständig ist. Bei
einigen Unternehmungen hat sich hier in den
letzten Jahren vieles zum Guten verändert.
Man muss aber auch dort feststellen, dass neben entsprechenden Stützungsprogrammen,
welche sogar so weit gehen, dass Arbeitgeber
anteilig Coaching- oder Therapiestunden bzw.
Anteile an Rehabilitationsverfahren zahlen,
weiterhin aber der Arbeitsdruck erhöht wird
und hier kein Ende in Sicht ist. Daher ist es wesentlich, dass jeder beizeiten darauf achtet, wo
seine Schwachpunkte liegen und wo er durch
kluges Selbstmanagement etwas zum Guten
verändern kann – und zwar im Sinne, dass er
widerstandsfähiger wird.
Hierher gehören tatsächlich Strategien wie
„Schauen auf die eigene Energiebilanz“, d. h.
steht der Energieeinsatz am Arbeitsplatz noch
in einer Relation zu meinen Energieaufwendungen im privaten - und Freizeitbereich oder
hat der Arbeitsplatz schon überhandgenommen? Dabei darf man nicht übersehen, dass
Arbeit zutiefst sinnstiftend ist und viele Menschen sich über Arbeit auch sehr gut definieren, dort ihre Stärken und Fähigkeiten ausleben können. Dies soll auch so sein und wird aus
meiner Sicht viel zu sehr unterschätzt - vielmehr gehört dies gestützt und herausgearbeitet. Dennoch ist gerade die Burn-out-Entwicklung ein Signal dafür, dass in aller Regel diese
Balance zwischen Arbeit und privater Freizeit
nicht mehr existiert.
Wesentliche Elemente, die der Einzelne sehr
schwer beeinflussen kann, die aber für die Entwicklung von Burn-out unseren Forschungen zufolge hoch relevant sind, sind die Fragen nach dem Arbeitsklima im Allgemeinen
und nach der Führungskultur, der Kultur der
Anerkennung bzw. des Lobens, aber auch nach
dem Umgang im Team im Speziellen. Hier finden sich teilweise dramatische Defizite, die dazu führen, dass zahlreiche Mitarbeiter in die innere Emigration gehen und aufgeben, weil sie
sich sagen, den Chef oder die Kollegen können sie sowieso nicht verändern. Das ist auch
zum großen Teil richtig, und es ist die Aufgabe der Führungskräfte, hier entsprechend positiv zu wirken. Es ist aber zumindest einen
Versuch wert, Fehlentwicklungen aufzuzeigen und konstruktive Veränderungsvorschläge einzubringen.
Das Um und Auf ist, auf das eigene Energiekonto positiv einzuzahlen, indem man ausreichend Pausen macht bzw. Erholung hat sowie positive Dinge wie Beziehungen, Sport
bzw. Hobbys würdigt und entsprechend auslebt. Das sind die Kernfaktoren, die uns gesund
erhalten – hier liegt die besondere Herausforderung, vor allem auch im städtischen Bereich,
wo Verstädterung mit der Entwicklung hin zu
Mega-Citys und einem immer größeren Anteil an Single-Haushalten es schwer macht,
entsprechende Beziehungen aufzubauen und
gehaltvoll zu leben. Das ist sicherlich eine der
größten Herausforderungen in einer sich immer rascher wandelnden Zeit mit immer größerer Unsicherheit.
Es gilt, Positivität im Alltag zu erleben bzw.
erlebbar zu machen, indem man auch einfache
Konzepte aus der positiven Psychologie anwendet. Hier sei nur ein kleines Beispiel angeführt. Viele Menschen funktionieren nach dem
Muster, dass sie sich am Abend ins Bett legen
und darüber nachdenken, was sie tagsüber alles belastet hat und wo Probleme waren bzw.
sie sich in weiterer Folge darüber Gedanken
machen, was alles an Belastungen und Problemen auf sie zukommt. In dieser Stimmung und
Energielage schlafen sie dann ein. Eine einfache Übung wäre, sich die Fragen zu stellen, was
ist am heutigen Tag positiv gelaufen, welche
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meiner persönlichen Stärken konnte ich zum
Einsatz bringen, dass mir das eine oder andere
gelungen ist? Über ein solches Vorgehen gibt
es Studien – es wurde in der Realität überprüft,
dass, wenn man so etwas regelmäßig macht,
eine positivere Grundstimmung entsteht. Hier
gibt es noch viele andere Aspekte und Verfahren, die eingesetzt werden können.
Stationäre psychiatrische
Rehabilitation
In den letzten Jahren erlebten wir einen regelrechten Boom an Neugründungen von sogenannten psychiatrischen Reha-Kliniken.
Der große Vorteil dieser Institute besteht darin, dass eine definierte Aufenthaltsdauer von
5–6 Wochen vorgesehen ist und rehabilitative
Aspekte im Vordergrund stehen. Daher eignen
sich diese Einrichtungen naturgemäß auch für
die Rehabilitation von Burn-out-Betroffenen
und bildet diese Gruppe einen recht großen
Anteil jener Klienten, welche regelmäßig diese Häuser frequentieren. Man muss dazu aber
auch ausführen, dass abgesehen von oftmals
idyllischer Lage die Therapieprogramme sehr
standardisiert sind. Der Vorteil liegt darin, dass
der Betroffene letztlich „6 Wochen“ Auszeit
verordnet bekommt, und das ist für viele Betroffene eine wunderbare Gelegenheit, einmal
loszulassen und sich fernab der Arbeitsrealität
auf einen Reflexionsprozess einzulassen. Daher wird den Betroffenen dieser Weg von mir
– aufgrund von guter Erfahrung – sehr häufig
vorgeschlagen und in der Antragstellung u.a.
auch entsprechend unterstützt. Zu viel darf
man sich naturgemäß nicht erwarten, es stellt
aber eine gute Chance dar, auf den richtigen
Weg zu kommen.
Fazit
Fasst man die aktuelle Studienlage zusammen, so muss man sagen, dass Interventionen
bei Burn-out-Betroffenen sinnvoll sind und etwas Positives bewirken können – die Datenlage
ist aber nicht annähernd so breit wie in der Behandlung anderer depressiver Störungen. Hier
fehlt sicherlich die Definition des Burn-out als eigenständige Erkrankungsidentität, die man dann
auch entsprechend beforschen kann bzw. wo
dann auch entsprechende Fragestellungen auf
der Therapieebene beleuchtet werden können.
Hier ist sicherlich noch sehr viel zu tun, und es
fehlen einfache pragmatische, wirksame Strate♦
gien für die große Anzahl an Betroffenen.
Fachkurzinformationen
Cipralex® 5 mg/10 mg/20mg – Filmtabletten;
ATC-Code: N 06 AB. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 5 mg bzw. 10 mg bzw. 20mg Escitalopram (als Oxalat); Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Mikrokristalline Cellulose,
Hochdisperses wasserfreies Siliciumdioxid, Talk, Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat; Tablettenhülle: Hypromellose, Macrogol 400, Titandioxid (E-171). Anwendungsgebiete: Behandlung von Episoden einer Major Depression. Behandlung von Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie. Behandlung von sozialer Angststörung (Sozialphobie). Behandlung von generalisierter Angststörung. Behandlung von Zwangsstörung. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Escitalopram oder einen der sonstigen Bestandteile. Die gleichzeitige Behandlung mit nicht selektiven, irreversiblen Monoaminoxidase-Hemmern ist kontraindiziert aufgrund des Risikos eines SerotoninSyndroms mit Agitation, Tremor, Hyperthermie etc. (siehe Abschnitt 4.5). Eine Kombination von Escitalopram mit reversiblen MAO-A Hemmern (z.B. Moclobemid) oder dem reversiblen nicht selektiven MAO-Hemmer Linezolid
ist kontraindiziert aufgrund des Risikos eines Serotonin-Syndroms (siehe Abschnitt 4.5). Escitalopram ist bei Patienten mit bekannter QT Intervall Verlängerung oder vererbtem langem QT Syndrom kontraindiziert. Die Kombination von Escitalopram mit Arzneimitteln die bekannterweise das QT Intervall verlängern, ist kontraindiziert (siehe Abschnitt 4.5). Zulassungsinhaber und Hersteller: H. Lundbeck A/S, Ottiliavej 9, DK-2500 ValbyKopenhagen Dänemark. Vertrieb: Lundbeck Austria GmbH, Dresdner Straße 82, 1200 Wien. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Weitere Angaben zu Dosierung, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit und zu den besonderen Warnhinweisen zur sicheren Anwendung sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
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Zusammensetzung (arzneilich wirksame Bestandteile nach Art und Menge): 1 Tablette enthält 150mg Trazodonhydrochlorid. Hilfsstoffe: Saccharose 84 mg, Polyvinylpyrrolidon, Carnaubawachs, Magnesiumstearat. Anwendungsgebiete: Zur Behandlung von Depressionen unterschiedlicher Ätiologie mit oder ohne Angstkomponente; anhaltenden Schlafstörungen bei Depressionen; im Rahmen von Depressionen auftretende erektile Dysfunktionen ohne schwerwiegende organische Ursachen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen einen Bestandteil des Präparates; Alkohol-und Schlafmittelvergiftung, frischer Herzinfarkt. Bei Patienten mit Herzerkrankungen, Epilepsie sowie eingeschränkter Nieren-oder Leberfunktion empfehlen sich die üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Über die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen liegen keine ausreichenden klinischen Erfahrungen
vor. Name oder Firma und Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers: CSC Pharmaceuticals Handels GmbH, 2102 Bisamberg. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rp, apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Gewöhnungseffekten und zu den besonderen Warnhinweisen zur sicheren Anwendung sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
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Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Tablette enthält 1 mg Rasagilin (als Mesilat). Liste der sonstigen Bestandteile: Mannitol (Ph. Eur.), Maisstärke, Vorverkleisterte Stärke (aus Mais), Hochdisperses Siliciumdioxid, Stearinsäure (Ph. Eur.), Talkum. Anwendungsgebiete: Azilect ist zur Behandlung der idiopathischen Parkinson-Krankheit (PK) als Monotherapie (ohne Levodopa) oder als Zusatztherapie (mit Levodopa) bei Patienten mit
End-of-dose-Fluktuationen indiziert. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den arzneilich wirksamen Bestandteil oder einen der sonstigen Bestandteile (siehe Abschnitt 6.1). Gleichzeitige Behandlung mit anderen Monoaminoxidase-(MAO)-Hemmern (einschließlich nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und Naturheilmittel z.B. Johanniskraut) oder Pethidin (siehe Abschnitt 4.5). Mindestens 14 Tage müssen zwischen dem Absetzen von
Rasagilin und der Einleitung einer Behandlung mit MAO-Hemmern oder Pethidin liegen. Rasagilin ist bei Patienten mit stark eingeschränkter Leberfunktion kontraindiziert. Pharmakotherapeutische Gruppe: MonoaminoxidaseB-Hemmer, ATC-Code: N04BD02 . Inhaber der Zulassung: Teva Pharma, Kirchzarten, Deutschland. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht. Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Weitere Angaben zu
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407), Titandioxid (E 171), Macrogol 400, Eisenoxid Gelb (E 172).. 400mg: Carrageen (E 407), Titandioxid (E 171), Macrogol 400. Anwendungsgebiete: Quetialan® XR wird verwendet zur • Behandlung der Schizophrenie,
einschließlich der Rückfallprävention bei mit Quetialan® XR stabil eingestellten Patienten • Behandlung der bipolaren Erkrankung (zur Behandlung von mittelgradigen bis schweren manischen Episoden innerhalb der bipolaren Erkrankung, zur Behandlung von Episoden der Major Depression innerhalb der bipolaren Erkrankung, zur Rückfallprävention bei bipolaren Patienten, die in der manischen oder depressiven Episode auf die Quetiapin-Behandlung angesprochen haben). • Behandlung depressiver Episoden (Episoden einer Major Depression) als Zusatztherapie bei Patienten, die unzureichend auf die Monotherapie mit einem Antidepressivum angesprochen haben. Vor Beginn der Behandlung sollte der behandelnde Arzt das Sicherheitsprofil von Quetialan® XR beachten. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
des Arzneimittels. Die gleichzeitige Anwendung von Cytochrom P450 3A4-Hemmern wie HIV-Proteasehemmern, Antimykotika vom Azoltyp, Erythromycin, Clarithromycin und Nefazodon ist kontraindiziert. Wirkstoffgruppe: Pharmakotherapeutische Gruppe: Antipsychotika, Diazepine, Oxazepine und Thiazepine, Quetiapin. ATC-Code: N05A H04. Inhaber der Zulassung: G.L. Pharma GmbH, 8502 Lannach Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Packungsgrößen: 50mg und 200mg: 10, 30 Stück, 300 und 400mg: 10, 60 Stück. Weitere Angaben zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder sonstige Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit, Nebenwirkungen sowie Angaben über Gewöhnungseffekte entnehmen Sie bitte den veröffentlichten Fachinformationen!
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Hypromellose, Titandioxid E 171, Macrogol 6000. Anwendungsgebiete: Depressive Störungen und Zustände verschiedenen Schweregrades, verschiedener Ätiologie und Symptomatologie auch im höheren Lebensalter (Altersdepression) sowie die Vermeidung von Rückfällen/Rezidiven; depressive Verstimmungen bei dementiellen Störungen; Angst- und Panikstörungen, Phobien, Panikattacken mit oder ohne Agoraphobie; Zwangsstörungen (OCD
= Obsessive Compulsive Disorder). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Citalopram oder einen der sonstigen Bestandteile; Kombination mit MAO-Hemmern (Monoaminoxidasehemmer) - in einigen Fällen ähnelten die
Symptome einem Serotonin-Syndrom. Citalopram darf Patienten, die gleichzeitig Monoaminooxidasehemmer (MAOI) erhalten, einschließlich des selektiven MAO-B-Hemmers Selegilin in täglichen Dosen, die 10 mg überschreiten, nicht gegeben werden. Eine Behandlung mit Pram darf erst 14 Tage nach Absetzen eines irreversiblen MAO-Hemmers begonnen werden. Nach Absetzen eines reversiblen MAO-Hemmers (RIMA) z.B. Moclobemid, muss die
in der entsprechenden Fachinformation des RIMA vorgeschriebene Zeit eingehalten werden. Eine Behandlung mit MAO-Hemmern darf erst 7 Tage nach dem Absetzen von Pram begonnen werden; Kombination mit Linezolid,
es sei denn es besteht die Möglichkeit für eine genaue Beobachtung und Überwachung des Blutdrucks; Citalopram ist bei Patienten mit bekannter QT-Intervall-Verlängerung oder angeborenem „Long-QT-Syndrom“ kontraindiziert; Kombination mit Arzneimitteln, die bekanntermaßen das QT-Intervall verlängern; Kombination mit Pimozid. Wirkstoffgruppe: Pharmakotherapeutische Gruppe: Antidepressiva, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; ATC-Code: N06AB04. Inhaber der Zulassung: G.L. Pharma GmbH, 8502 Lannach. Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Packungsgrößen: 14 und 28 Stück. Weitere Angaben zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder sonstige Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit, Nebenwirkungen sowie Angaben über Gewöhnungseffekte
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fortbildung
Symptomatische Demenz-Therapie –
Cholinesterasehemmer und Memantin
Diese stellen zentrale medikamentöse Optionen in der Therapie kognitiver wie auch nicht-kognitiver
Demenz-Symptome dar. Konkret sind derzeit in Österreich vier Substanzen verfügbar – und zwar die
Cholinesterasehemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sowie der NMDA-Rezeptorantagonist
Memantin.
Untersuchungen zu deren therapeutischem
Einsatz liegen für Alzheimer- bzw. vaskuläre
Demenz sowie Mischformen, des weiteren für
die Parkinson-assoziierte Demenz, die Demenz
mit Lewy-Körperchen und die frontotemporale Demenz sowie für das Mild Cognitive Impairment (MCI) vor. Einzig bei letzteren beiden
besteht derzeit keine Evidenz für eine Gabe der
genannten Substanzen.
Sich aus den bisherigen wissenschaftlichen
Erkenntnissen ergebende Empfehlungen sowie
Beachtenswertes zum Management im Praxis­
alltag werden in der Folge zusammengefasst –
zum einen fließen Aussagen von J. Rodda und
J. Carter aus ihrem rezent im BMJ veröffentlichten Review [1] und zum anderen Empfehlungen aus dem österreichischen Konsensusstatement „Demenz 2010“ [2] darin ein.
Cholinesterase-Inhibitoren (ChEI) hemmen
die Acetylcholinesterase und somit den Abbau von Acetylcholin im synaptischen Spalt
– dadurch verlängert sich dessen Wirkdauer. Klinisch wird durch eine gesteigerte cholinerge Aktivität eine Verbesserung von darüber vermittelten Defiziten erwartet. Darüber
hinaus inhibiert Rivastigmin auch die Butyrylcholinesterase bzw. verstärkt Galantamin die
intrinsische Aktivität von Acetylcholin an nikotinergen Rezeptoren, wahrscheinlich durch
Bindung an eine allosterische Rezeptorstelle.
Die Bedeutung dieser additiven Effekte ist allerdings laut Rodda und Carter noch unklar.
Memantin ist ein NMDA-Rezeptorantagonist und greift somit am glutamatergen System an – es reguliert die Wirkung pathologisch
erhöhter toxischer Glutamat-Konzentrationen,
die zu neuronalen Funktionsstörungen führen
können.
ChEI bei leichter bis mittelschwerer
Alzheimer-Demenz
Laut österreichischem Demenz-Konsensus werden ChEI als Mittel der ersten Wahl zur
ARZT & PRAXIS
Behandlung der leichten bis mittelschweren
(MMSE 11-26) Alzheimer-Demenz empfohlen.
Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sind in
Österreich dafür auch zugelassen.
Sie zeigen eine günstige Beeinflussung von
kognitiven Funktionen, Alltagsaktivitäten und
globalem klinischen Eindruck. Diese Effekte
sind moderat und vorwiegend durch dosisabhängige Verbesserungen oder Stabilisierung
der Behandlungsgruppen bei fortlaufender
Verschlechterung der Placebogruppen bedingt. Die Behandlungseffekte sind alltagsrelevant. Belegt ist eine Wirksamkeit für eine Therapiedauer von 6 — 12 Monaten.
In einem Cochrane Review fasste J. Birks Daten für alle drei Substanzen zusammen und
inkludierte 13 Studien mit einer Dauer von 6
bzw. 12 Monaten. Diese Metaanalyse bestätigte ebenso die Effektivität von ChEI im leichten
und mittleren Schweregrad der Alzheimer-Demenz. Zudem hielt Birks Folgendes fest: Eine Voraussage, wer auf welche Substanz anspricht, sei nicht möglich. In Bezug auf die
Wirksamkeit sei keine Evidenz für die Überlegenheit einer Substanz festzustellen. Es sei keine Kostenineffektivität bei einem Einsatz dieser Substanzen zu beobachten gewesen.
Hierzu ergänzten Rodda und Carter in ihrem
Review, dass beobachtete moderate Änderungen in den klinischen Skalen immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen wären.
Für manche Experten seien sie zu klein, um
klinische Bedeutung zu erlangen – für andere wiederum seien die moderaten Mittelwerte
Ausdruck eines substantiellen Benefits einiger
weniger Patienten bei gleichzeitig fehlendem
Ansprechen der überwiegenden Mehrzahl. Gegenwärtig würden allerdings Anstrengungen
unternommen, die Gruppe der möglichen „Responder“ genauer definieren zu können.
In verschiedenen Studien wiederum wurde
ein Ansprechen auf die Therapie als eine „geringere Verschlechterung, als diese in unbe-
handeltem Zustand zu erwarten gewesen wäre“, definiert. So wählten etwa Wilkinson et al.
in ihrer Arbeit an Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz eine Definition der „klinischen Verschlechterung“, welche
Kognition, Alltagsfunktionalität und globalen
klinischen Eindruck miteinbezog. Im Studienzeitraum von 6 Monaten schnitten die antidementiv (hier mit Donepezil) Behandelten signifikant besser ab – nur 14 versus 30 % unter
Placebo zeigten eine klinische Verschlechterung. Diese Daten sprechen zum einen dafür,
dass selbst vermeintliche „Non-Responder“
von einer antidementiven Therapie profitieren,
und zum anderen dafür, dass klinisch repräsentative Aussagen zum Benefit einer Therapie
nur mittels mehrdimensionaler Betrachtung zu
gewinnen sind. Dementsprechend könne der
MMSE nicht alleinige Grundlage von diesbezüglichen Entscheidungen sein.
ChEI bei schwerer Alzheimer-Demenz
Mittlerweile besteht ein zu Memantin identer
wissenschaftlicher Evidenzgrad auch für Donepezil. Benefits fanden etwa Cummings et al.
rezent in einer gepoolten Datenanalyse. Dies
führt zu gleicher Einschätzung der Studienlage für Memantin und Donepezil bei schwerer
Demenz – dementsprechend wird im österreichischen Demenz-Konsensus Donepezil neben Memantin als Mittel der ersten Wahl in der
Behandlung der schweren Alzheimer-Demenz
(MMSE 1 — 10) empfohlen. Eine Zulassung von
Donepezil für die Indikation „schwere Alzheimer-Demenz“ durch die EMEA besteht derzeit
allerdings nicht.
Praxisrelevante Aspekte einer ChEITherapie
ChEI sind laut österreichischem DemenzKonsensus als Langzeittherapie einzusetzen.
Placebo-kontrollierte Studien liegen über Zeiträume bis zu einem Jahr vor. Mehrfach wurden
Jahrgang 67 / 994a / 2013
fortbildung
allerdings offene Extensionsstudien durchgeführt, die für eine Wirksamkeit auch über diese
Zeitspanne hinweg sprechen — aus verschiedenen studientechnischen Gründen sind diese
Ergebnisse jedoch mit Vorsicht zu beurteilen.
Des Weiteren wird im besagten Konsensus
festgehalten, dass Therapieunterbrechungen
vermieden werden sollen bzw. ein Absetzen
von ChEI bei einem MMSE ≤ 10 Punkten abzulehnen ist. Für Donepezil zeigten randomisierte Doppelblindstudien bei Patienten mit 1 — 10
Punkten im MMSE Verbesserungen von Kognition und Alltagsfunktionalität im Vergleich zu
Placebo (Feldman et al., Winblad et al.) – gegenwärtig besteht allerdings keine europäische
Zulassung bei schwerer Demenz. Daten für andere ChEI liegen zwar nicht vor, die Konsensuskonferenz-Teilnehmer gingen aber von einem
Klasseneffekt auch bei schwerer AlzheimerDemenz aus.
Der Versuch eines Präparatwechsels bei Unverträglichkeit wird laut Konsensus empfohlen, bei mangelnder Wirksamkeit sei er möglich
und kann auch Sinn machen, da ChEI unterschiedliche pharmakologische Eigenschaften
aufweisen. Für die Überlegenheit eines ChEI
gegenüber einem anderen besteht keine eindeutige Evidenz. Zur Verbesserung der Compliance wird im österreichischen DemenzKonsensus die tägliche Einmalgabe von ChEI
empfohlen.
Darreichungsformen, Wirkstärken: Konkret ist Donepezil oral in Form einer Filmta­
blette sowie einer sich im Mund auflösenden
Schmelztablette (jeweils in Wirkstärken von 5
bzw. 10 mg), Galantamin oral als Lösung zum
Einnehmen (4 mg / ml) sowie als Retardkapsel (8 mg – 16 mg – 24 mg) und Rivastigmin
oral als Hartkapsel bzw. ebenfalls als Schmelztablette (jeweils in Wirkstärken von 1,5, 3,
4,5 bzw. 6 mg) sowie transdermal als Pflaster (4,6 mg/24 Stunden – 9,5 mg/24 Stunden)
verfügbar.
Dosierungen: Für Donepezil wird die initiale
Gabe von 1 x 5 mg/die (vorzugsweise abends)
empfohlen, diese kann bei Bedarf nach einem
Monat auf 1 x 10 mg/die gesteigert werden,
die maximale Tagesdosis liegt bei 10 mg. Donepezil wurde bereits in den originalen Zulassungsverfahren in Einmalgabe angeboten. Die
Schmelztablette ist entsprechend pharmakokinetischer Untersuchungen bioäquivalent zur
Filmtablette und weist ein identes Einsatzgebiet auf.
Galantamin sollte als Lösung zum Einnehmen initial in einer Dosierung von 2 x 4 mg
Jahrgang 67 / 994a / 2013
(vorzugsweise zum Frühstück und Abendessen) eingenommen werden — diese Tagesdosis von 8 mg sollte über 4 Wochen beibehalten werden. Die anfängliche Erhaltungsdosis
beträgt 16 mg/die (2 x 8 mg/die) — auch diese Dosis sollte über mindestens 4 Wochen beibehalten werden. Eine Titrierung auf 24 mg/die
(2 x 12 mg/die) kann nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.
Alternativ dazu steht Galantamin auch in einer oralen Retardform für die tägliche Einmalgabe (vorzugsweise morgens) zur Verfügung. Die Wirkdosen von 16 bzw. 24 mg/
die werden durch Hochtitrieren über initiale 8 mg/die in frühestens 4 bzw. 8 Wochen erreicht. Galantamin in Retardform war mit si­
gnifikanter Verbesserung am ADAS-Cog, aber
nicht auf CIBICplus oder NPI-Score assoziiert
— die Teilnehmer der Konsensuskonferenz sahen aber auch hier eine Übertragbarkeit der
bisherigen Galantamin-Ergebnisse auf diese
Darreichungsform.
Eine orale Rivastigmin-Therapie (Hartkapsel,
Schmelztablette) sollte in einer Dosierung von
2 x 1,5 mg/die begonnen und über mindestens
2 Wochen beibehalten werden, bevor eine Steigerung auf 2 x 3 mg/die erfolgt. Weitere Dosiserhöhungen auf 2 x 4,5 bzw. 2 x 6 mg/die sind
nach Intervallen von ebenfalls mindestens je
2 Wochen möglich. Die maximale Tagesdosis
liegt bei 2 x 6 mg.
Einmal täglich kann Rivastigmin transdermal
verabreicht werden – und zwar initial als 4,6
mg/24 Stunden-Pflaster. Nach einem Monat
kann dann auf die empfohlene Erhaltungsdosis in Form eines 9,5 mg/24-Stunden-Pflasters
aufdosiert werden. In der IDEAL-Studie erwies
sich das 9.5 mg/24 Stunden-Pflaster als ähnlich wirksam wie eine orale Gabe von 2 x 6 mg/
die in Kapselform.
Nebenwirkungen: Die Metaanalyse im bereits genannten Cochrane Review von J. Birks
erbrachte Evidenz für eine insgesamt höhere Nebenwirkungsrate unter ChEI-Therapie
im Vergleich zu Placebo – signifikant häufiger
wurde dabei über Übelkeit/Erbrechen bzw. Diarrhoe berichtet. Unter Donepezil wurden vergleichsweise weniger Nebenwirkungen beobachtet – laut Birks könnte aber bei vorsichtiger
schrittweiser Titration von Galantamin bzw.
Rivastigmin über mehr als 3 Monate hinweg
eine mit Donepezil vergleichbare Verträglichkeit zu erzielen sein. Eine demgegenüber raschere Dosistitration sei bei Donepezil zwar
möglich, die niedrige Einstiegsdosierung verdiene aber dennoch eine ausreichende thera-
peutische Beachtung.
Der Devise „Start low, go slow“ – also Beginn mit der niedrigsten Dosis und langsame
schrittweise Titration unter Beachtung von
Wirkung und unerwünschten Effekten – zur
Minimierung von Nebenwirkungen schlossen sich auch Rodda und Carter in ihrem Review an.
Darüber hinaus dürften auch verschiedene Darreichungsformen zur täglichen Einmalgabe diesbezüglich vorteilhaft sein. So erwies
sich im Falle von Galantamin die tägliche Einmalgabe der Retardform in den Dosierungen
16 bzw. 24mg/Tag hinsichtlich Verträglichkeit
und Sicherheit zwar ähnlich jener der Zweimalgabe, allerdings berichteten Dunbar et al. in einer Post-hoc-Analyse über einen signifikant
geringeren Einsatz von Antiemetika unter der
Retardform. Was die transdermale Applikation
von Rivastigmin betrifft, so war in der IDEALStudie die Nebenwirkungsrate beim 9,5mg/24Stunden-Pflaster nahezu ident zur Placebogruppe und signifikant niedriger als bei jenen
Patienten, die Kapseln erhielten. Zudem war
die Hautverträglichkeit des Pflasters im Allgemeinen gut.
Zusammenfassend zählen also Übelkeit/Erbrechen, Durchfall, Abdominalschmerz, Ano­
rexie oder Schwindel zu den häufigen ChEINebenwirkungen – deren Auftreten lasse sich
aber laut Rodda und Carter gewöhnlich durch
vorsichtige Dosistitration minimieren bzw.
durch Dosisreduktion beherrschen.
Darüber hinaus sahen Kim et al. in ihrer Metaanalyse unter ChEI ein erhöhtes Risiko für
Synkopen (OR 1,53), nicht hingegen für Stürze.
Schwere kardiovaskuläre Nebenwirkungen
sind laut Rowland et al. nach Durchsicht der
vorhandenen Datenlage selten. Eine Bradykardie wird als gelegentlich auftretend beschrieben. Rodda und Carter empfahlen regelmäßige
Pulskontrollen, wenngleich es für die Intervalle dieses Monitorings noch keine klaren Daten
gäbe – Rowland et al. sahen in ihrem Protokoll
während Dosistitration monatliche und danach halbjährliche Kontrollen vor. Für ein generelles EKG-Monitoring vor Therapiebeginn
sahen Rowland et al. hingegen keine Evidenz.
Als absolute Kontraindikation gilt bei allen
drei Substanzen die Überempfindlichkeit gegenüber der Wirksubstanz, oder einen der
sonstigen Inhaltsstoffe sowie bei Donepezil
bzw. Rivastigmin eine solche gegenüber Piperidin- bzw. Carbamat-Derivaten. Nachdem keine Daten über die Anwendung von Galantamin
bei Patienten mit schweren Leber- (Child-Pu-
ARZT & PRAXIS
21
22
fortbildung
gh-Score > 9) bzw. Nierenfunktionsstörungen
(Kreatinin-Clearance < 9 ml/min.) vorliegen,
ist Galantamin bei diesen Personen kontraindiziert – ebenso wie bei Patienten mit sowohl
signifikanten Nieren- als auch Leberfunktionsstörungen. Eine Vorgeschichte mit Reaktionen
an der Anwendungsstelle als Hinweis auf eine allergische Kontaktdermatitis mit Rivastigmin-Pflastern stellt ebenfalls eine Kontraindikation dar.
Vorsicht ist durch direkte cholinerge Effekte oder einen erhöhten Vagotonus in verschiedenen Situationen geboten. So etwa bei
Sick-Sinus-Syndrom oder anderen supraventrikulären Störungen des Herzreizleitungssystems (z.B. SA-, AV-Block), Asthma/COPD, erhöhtem Ulkusrisiko (positive Ulkus-Anamnese,
NSAR-Therapie) sowie Harnretention.
Wenngleich es laut Rodda und Carter potentielle Synergien zwischen ChEI und Substanzen
mit Herzfrequenz-verlangsamender Wirkung
(z.B. Digitalis, Betablocker) gäbe, so bestehe
dennoch keine Indikation für deren routinemäßiges Absetzen vor dem Beginn einer ChEITherapie. Darüber hinaus besitzen alle ChEI das
Potential, anticholinerg wirkende Arzneimittel zu beeinflussen. Zudem kann unter Narkose
mit einer Wirkverstärkung der Muskelrelaxantien vom Succinylcholintyp gerechnet werden.
Memantin bei Alzheimer-Demenz
Memantin wird im österreichischen DemenzKonsensus bei Patienten mit mittelschwerer Alzheimer-Demenz (MMSE 11 — 19) sowie
bei Unverträglichkeit oder mangelnder Wirksamkeit von ChEI bei Patienten mit leichter
bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (MMSE 11 — 22) empfohlen. Darüber hinaus wird
es im gleichen Konsensus als Mittel der ersten
Wahl neben Donepezil in der Behandlung der
schweren Alzheimer-Demenz (MMSE 1 — 10)
genannt. Eine Zulassung besteht in Österreich
für die symptomatische Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz.
McShane et al. beschrieben in ihrem Cochrane Review moderate Benefits hinsichtlich Kognition, Alltagsfunktion, Verhalten und globalem klinischem Eindruck bei Patienten mit
moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz
nach 6 Monaten. Bei milder bis moderater Erkrankung war hingegen nur ein marginaler positiver Effekt auf die Kognition zu beobachten.
Hinsichtlich der Kombinationstherapie mit
ChEI wird im österreichischen Konsensus festgehalten, dass eine solche bei Patienten mit
ARZT & PRAXIS
mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz (MMSE 5 — 14) anzustreben sei.
So konnten etwa Tariot et al. eine Überlegenheit der Kombination aus Memantin und Donepezil gegenüber einer Monotherapie mit
Donepezil hinsichtlich Kognition, Alltagsfunktion und globalem klinischem Eindruck feststellen. Für eine Kombination mit Rivastigmin
bestehen ebenfalls Daten (Dantoine et al., Lopez et al.) zur überlegenen Wirksamkeit gegenüber einer Monotherapie mit diesem ChEI.
In einer weiteren Studie (Atri et al.) konnte
der positive Effekt einer Kombinationstherapie gegenüber der alleinigen Verwendung von
ChEI über einen mehrjährigen Zeitraum belegt
werden.
Praxisrelevante Aspekte einer
Memantin-Therapie
Darreichungsformen, Wirkstärken: Memantin steht oral in Form einer Filmtablette (5
mg — 10 mg — 15 mg — 20 mg) oder einer Lösung (5 mg / Pumpenhub) zur Verfügung.
Dosierung: Initial sollte mit einer Dosierung
von 1 x 5 mg/die (zur jeweils gleichen Zeit) begonnen und diese in jeweils wöchentlichen
Abständen über 1 x 10 bzw. 1 x 15 mg/die auf
die empfohlene Erhaltungsdosis von 1 x 20
mg/die gesteigert werden.
Nebenwirkungen: Wie Rodda und Carter ausführten, seien die Nebenwirkungen von Memantin verglichen mit jenen unter ChEI seltener und weniger ausgeprägt – so sahen etwa
McShane et al. in ihrem Cochrane Review unter Memantin Therapieabbruchraten auf
Placeboniveau.
Als häufig auftretende Nebenwirkungen gelten Obstipation, erhöhter Blutdruck, Kopfschmerz, Schwindel und Schläfrigkeit.
Einzige absolute Kontraindikation stellt eine
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder
einen der sonstigen Bestandteile dar.
Wenngleich bei Patienten mit Epilepsie,
Krämpfen in der Anamnese oder prädisponierenden Faktoren dafür Vorsicht geboten ist, so
wurde der Effekt von Memantin auf die Anfalls-Aktivität nie systematisch untersucht
und tierexperimentelle Studien sprechen sowohl für pro- als auch antikonvulsive Effekte,
welche über das NMDA-Rezeptorsystem mediiert werden.
Einsatz bei weiteren Demenzformen
Vaskuläre Demenz: Im österreichischen Demenz-Konsensus wurden Donepezil und Me-
mantin als Mittel der ersten Wahl bei vaskulären Demenzen empfohlen. Allerdings
werde der globale klinische Eindruck nicht
beeinflusst. Galantamin könne mit geringerer Zuverlässigkeit empfohlen werden und sei
wahrscheinlich auch bei Mischformen der Demenz effektiv – weitere Studien zu den häufigen Mischformen wurden dabei dringlich angeregt. Rivastigmin könne mit niedrigerer
Zuverlässigkeit empfohlen werden, auch bestünde für Mischformen der Demenz eine geringere Evidenz für die Wirksamkeit.
Demenz mit Levy-Körperchen: Laut Konsensus zu empfehlen sei Rivastigmin bzw. mit
niedrigerer Zuverlässigkeit Donepezil, wobei
diesem Statement nur Fallstudien zugrunde
lagen.
Parkinson-assoziierte Demenz: Als Mittel der ersten Wahl wird im Konsensus Rivastigmin empfohlen – in Österreich ist diese Substanz für die Behandlung einer leichten bis
mittelschweren Demenz bei idiopathischem
Parkinson-Syndrom zugelassen. Als Mittel
zweiter Wahl werden Donepezil und Memantin angegeben.
Frontotemporale Degenerationen: ChEI
sind gemäß Konsensus nicht zu empfehlen,
Memantin stelle hingegen eine Second-LineOption dar.
Einsatz bei nicht-kognitiven Symptomen
ChEI wurden von den Teilnehmern der österreichischen Konsensuskonferenz in der Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten und
psychotischen Symptomen als wirksam angesehen und daher in dieser Indikation empfohlen. Allerdings würde eine Monotherapie
oft nicht ausreichen und in solchen Fällen eine Kombination mit Antipsychotika erforderlich machen.
Memantin wurde im Konsensus in der Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten insbesondere für Aggression bzw. Agitiertheit als
wirksam angesehen und dementsprechend in
dieser Indikation empfohlen.
–mb–
♦
Literatur:
[1] Rodda J, Carter J: Cholinesterase inhibitors and memantine for symptomatic treatment of dementia;
BMJ 2012; 344: e2986
[2] Schmidt R et al.: Konsensusstatement „Demenz 2010”
der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft; Neuropsychiatrie 2010; 24 (2): 67 — 87
Jahrgang 67 / 994a / 2013
fortbildung
Depression – differenziertere und verträglichere Therapie durch neuere Substanzen
Das Zeitalter der neueren Antidepressiva hat mit der Einführung der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) begonnen. Inzwischen sind zahlreiche weitere Substanzen mit unterschiedlichsten Wirkungen auf verschiedene Neurotransmittersysteme verfügbar. Dieses breiter gewordene Spektrum hat die differentialtherapeutischen Möglichkeiten erweitert unter gleichzeitigen Verbesserungen
von Sicherheitsprofil und Verträglichkeit.
Im rezent publizierten österreichischen Konsensus-Statement zur medikamentösen Therapie der Depression [1] hielten die Vorsitzenden
o. Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Dr. Siegfried Kasper
und Prim. Univ.-Prof. DDr. Michael Lehofer in
ihrem Vorwort dazu fest: „Nach wie vor zählen Depressionen nicht nur zu den häufigsten
Erkrankungen der Psychiatrie, sondern werden
auch bei verschiedenen organmedizinischen
Erkrankungen, z.B. kardiovaskulären Erkrankungen, neuroendokrinologischen Erkrankungen, rheumatischen Erkrankungen, und in
der Onkologie beobachtet. In den 90er-Jahren
hat sich durch die Einführung moderner Therapieprinzipien, die vorwiegend durch die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
(SSRI) gegeben waren, eine therapeutische Akzeptanz von Antidepressiva entwickelt, die in
den letzten zehn Jahren noch verfeinert wurden. Insbesondere hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils haben sich dabei deutliche Fortschritte ergeben.“
Wesentliche Aussagen aus diesem Konsensus-Statement werden in der Folge
zusammengefasst.
Antidepressiver Therapiealgorithmus
Eine sorgfältige Diagnosestellung umfasst insbesondere den Ausschluss anderer Pathologien mit unterschiedlichem therapeutischen Zugang wie Dysthymie, bipolare
Depression, Angststörung, somatoforme Störung, schizodepressive Episode, depressives
Syndrom bei Schizophrenie, organischer oder
Suchterkrankung.
Im Rahmen eines verständnisvollen, stützenden ärztlichen Gespräches erfolgt daraufhin die Erstellung eines Gesamtbehandlungsplanes. Der Schwerpunkt der
Therapiemaßnahmen orientiert sich dabei am
syndromalen klinischen Zustandsbild bzw. am
Depressions-Subtyp.
Jahrgang 67 / 994a / 2013
Die WFSBP(World Federation of Societies of
Biological Psychiatry)-Guidelines sehen hinsichtlich medikamentöser Behandlung folgenden Therapiealgorithmus vor:
• Therapiebeginn mit einem Antidepressivum in Monotherapie
• Bei partiellem Ansprechen oder Non-Re­
sponse nach 2 – 4 Wochen Therapie:
 Optimierung der Dosis (Dosiserhöhung)
• Bei weiterem mangelndem Ansprechen:
 Kombination zweier Antidepressiva mit
unterschiedlicher Pharmakodynamik
 Augmentationsstrategien (Kombination
mit einer anderen Klasse von Medikamenten – z.B. atypischen Antipsychotika, modernen Hypnotika bzw. Stimmungsstabilisierern wie etwa Lithium)
 Wechsel zu einem neuen Antidepressivum derselben oder einer anderen Klasse
Akutbehandlung: Die Monotherapie mit einer antidepressiven Substanz ist zu Beginn einer Behandlung grundsätzlich einer Kombinationsbehandlung vorzuziehen. Kann damit kein
Erfolg erzielt werden, erscheint die Kombination zweier Antidepressiva mit unterschiedlichem Wirkmechanismus aufgrund der vorliegenden Daten günstiger als der Wechsel auf
ein anderes Antidepressivum. Hochselektive
5-HT2a-Rezeptorantagonisten wie z.B. Trazodon oder Mirtazapin tragen zu einer Verbesserung der antidepressiven Eigenschaften bei
einer gleichzeitigen Gabe mit SSRI bei. Bei Bestehen psychotischer Symptome ist die Kombination eines Antidepressivums mit einem
atypischen Antipsychotikum zu empfehlen.
Nach der Akutbehandlung einer ersten depressiven Episode sollte die weitere medikamentöse Behandlungsdauer im Sinne einer Erhaltungstherapie etwa 4 — 6 Monate ab dem
Zeitpunkt der Remission betragen. Danach
kann die Medikation langsam ausgeschlichen
werden, wenn keine Indikation für eine pro-
phylaktische Therapie besteht.
Phasenprophylaxe: Bei unipolaren Depressionen soll nach dem Abklingen der depressiven
Symptomatik im Sinne eines Rückfallschutzes etwa 9 — 12 Monate mit jenem Antidepressivum weiterbehandelt werden, das zum
Abklingen der Symptomatik geführt hat (Erhaltungstherapie). Die Dosis soll jener der
Akutbehandlung entsprechen – eine Dosisreduktion erhöht das Rezidiv-Risiko.
Eine prophylaktische Langzeittherapie über
Jahre (oder lebensbegleitend) zur Verhinderung neuer depressiver Episoden kann bei Patienten mit komplexen Verläufen angezeigt sein
– zur Langzeitbehandlung eignen sich alle neueren Antidepressiva.
Fachärztliche bzw. stationäre Therapie:
Patienten mit einer schweren Depression, psychotischen Symptomen oder Suizidalität sollten fachärztlich-psychiatrisch behandelt werden bzw. ist bei Vorliegen einer mittelschweren
oder schweren Depression (insbesondere mit
folgenden Risikofaktoren: Suizidgefahr, psychotische Symptomatik, Therapieresistenz, signifikante soziale oder berufliche Funktionsstörungen) eine stationäre Behandlung
indiziert. Dies gilt ebenso bei Komorbiditäten
wie Sucht- bzw. anderen psychiatrischen sowie relevanten somatischen Erkrankungen.
Auch die Art der Behandlung kann eine Indikation zur stationären Aufnahme darstellen (z.B.
Elektrokrampftherapie).
Auswahlkriterien für Antidepressiva
Klinisch effektive und in Österreich für die Indikation „Depression“ zugelassene neuere Antidepressiva sind der Tabelle 1 zu entnehmen.
Da die klinische Wirksamkeit sowohl zwischen den Substanzgruppen als auch innerhalb dieser Gruppen statistisch vergleichbar
ist, erfolgt die Auswahl des Antidepressivums
nach syndromalen Kriterien, Nebenwirkungs-
ARZT & PRAXIS
23
24
fortbildung
Substanz
Präparate
Startdosis
(mg/Tag)
Dosisbereich
(mg/Tag)
Standardtagesdosis
(mg)
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
Citalopram
Seropram®
div. Generika
20
20 – 40
20
Fluoxetin
Fluctine®
div. Generika
20
20 – 80
20
Fluvoxamin
Floxyfral®
50
100 – 300
100
Paroxetin
Seroxat
div. Generika
20
20 – 50
20
Sertralin
Gladem®
Tresleen®
div. Generika
50
50 – 200
50
10
10 – 20
10
60 – 120
60
®
Allosterischer Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (ASRI)
Escitalopram
Cipralex®
Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Duloxetin
Cymbalta®
60
Milnacipran
Ixel
50
100
100
Venlafaxin
Efectin®
div. Generika
50
75 – 375
100
37,5
37,5
37,5
Remeron®
div. Generika
30
15 – 45
30
Edronax®
4
4 – 10
8
300
300 – 600
300
50
75 – 600
200
Wellbutrin®
dzt. ein Genericon
150
150 – 300
150
Agomelatin
Valdoxan®
25
25 – 50
25
Mianserin
Tolvon
div. Generika
30
30 – 90
60
®
Glutamat-Modulator (GM)
Tianeptin
Stablon®
Noradrenalin- und Serotonin-spezifisches Antidepressivum (NaSSA)
Mirtazapin
Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI)
Reboxetin
Reversibler Monoaminooxidase-A-Hemmer (RIMA)
Moclobemid
Aurorix®
Serotonin-5-HT2-Antagonist und -Wiederaufnahmehemmer (SARI)
Trazodon
Trittico®
Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI)
Bupropion
Andere Antidepressiva
®
Tab. 1: Klinisch effektive und in Österreich zur Behandlung der Depression zugelassene neuere Antidepressiva – modifiziert nach (1)
profil und möglichen Wechselwirkungen,
der individuellen Verträglichkeit (Alter, Komorbidität, Verkehrstauglichkeit), den Vorerfahrungen und Erwartungen des Patienten
sowie den Vorerfahrungen des Arztes, der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage bzw. der
Applikationsform.
Differentialtherapeutische
Überlegungen
Die Rezeptorprofile der einzelnen Substanzen
ARZT & PRAXIS
weisen sowohl auf spezifische Wirkprofile als
auch auf mögliche Nebenwirkungen hin.
Den folgenden Neurotransmitter-Systemen
werden differenzierte Wirkungen zugeordnet:
• Serotonin (5-HT): Regulation von Appetit
und Schlaf, Vorteile bei komorbiden Angstund Zwangssymptomen, Impulskontrolle
• Noradrenalin (NA): Aktivität
• Dopamin (DA): Therapie der anergischen
Depression, Kognition
• Histamin (H): Appetit
• Melatonin (M): Regulation des
Schlaf-Wach-Rhythmus
Die Nebenwirkungen stehen in folgendem
Zusammenhang:
• Serotonin (5-HT): gastrointestinale Beschwerden, sexuelle Störungen
• Noradrenalin (NA): Unruhe, kardiale
Nebenwirkungen
• Anticholinerg (mACH): Mundtrockenheit,
kognitive Störungen, Prostatahypertrophie,
Miktionsbeschwerden, Herzleistungsstö-
Jahrgang 67 / 994a / 2013
Fachkurzinformationen siehe Seite 19
26
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
Substanz
Anticholinerge
Wirkung
Übelkeit/Erbrechen/
Diarrhoe
Sedierung
Agitation/
Schlafstörungen
Sexuelle
Funktionsstörungen
0
++
0
+
+
Citalopram
0
++
0
+
+
Fluoxetin
0
++
0
++
++
Paroxetin
+
++
0
+
++
Sertralin
0
++
0
++
+
Duloxetin
0*
++
0
+
0
Milnacipran
0*
+
0
+
0
Venlafaxin ret.
0*
++
0
+
+
0
+
0
0
0
0
0
++
0
0
0
+
++
0
0
0*
+
0
++
+
0
0
0
++
0
0
0
0
+
0
0
+
0
0
0
ASRI
Escitalopram
SSRI
SNRI
GM
Tianeptin
NaSSA
Mirtazapin
SARI
Trazodon
NARI
Reboxetin
NDRI
Bupropion
RIMA
Moclobemid
Andere
Agomelatin
0 = keine Wirkung, + = geringe Wirkung, ++ = moderate Wirkung, +++ = starke Wirkung
* Pseudoanticholinerge, noradrenerge Wirkung wie z.B. Mundtrockenheit, Obstipation, Schwitzen
** Nur in Depressionsstudien mit Kapseln, bei anderen Indikationen und Tabletten nicht vorgekommen
Tab. 2: Nebenwirkungsprofil neuerer Antidepressiva – modifiziert nach (1)
rungen, Glaukom, Verschwommensehen
• Histamin (H) : Gewichtszunahme,
Sedierung
• Serotonin-2-Blockade (5-HT2): Sedierung
• α1-Blockade: orthostatische Hypotension
Zum Nebenwirkungsprofil neuerer Antidepressiva gibt Tabelle 2 Auskunft.
Metabolismus: Ein Großteil der Antidepressiva wird sehr stark hepatisch über das Cytochrom-P-450-Enzymsystem metabolisiert –
von Bedeutung sind vor allem die Isoenzyme
CYP3A4, 2D6, 2C19 bzw. 1A2.
Für das Auftreten klinisch relevanter Wechselwirkungen ist dabei entscheidend, ob ein
Pharmakon nur als Substrat eines Cytochroms
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ab- bzw. umgebaut wird oder ob es dieses
auch hemmt (Inhibitoren) bzw. induziert (Induktoren). So bewirkt zum Beispiel die gleichzeitige Verabreichung von Fluoxetin, einem
sehr starken Inhibitor von CYP2D6, und des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin eine massive Steigerung des Plasmaspiegels des
Trizyklikums. Mit einem verstärkten Auftreten
von anticholinergen, sedierenden und kardiotoxischen Nebenwirkungen muss daher gerechnet werden. Auch Paroxetin hemmt sehr
stark CYP2D6 und in Kombinationen mit Betablockern ist auf Bradykardien zu achten.
Wenn auch viele Vertreter der neueren Antidepressiva nur Substrate sind, so ist doch bei
der gleichzeitigen Verabreichung von Indukto-
ren wie Phenytoin, Carbamazepin bzw. Hypericin auf unzureichende Wirkkonzentrationen zu
achten.
In der Kombination eines neueren Antidepressivums mit Inhibitoren wie Clarithromycin, Ketokonazol, Verapamil, Cimetidin bzw.
Omeprazol ist hingegen auf eine Erhöhung
der Plasmaspiegel bis in den toxischen Bereich
(Kumulierung) und ein verstärktes Auftreten
von klinisch sichtbaren unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu achten.
Auch Nahrungsmittel können das Enzymsystem blockieren. So ist etwa Grapefruitsaft ein
starker CYP3A4-, aber auch CYP1A2-Inhibitor und sollte genauso wie Rotwein (CYP1A2-,
3A4-Inhibitor) nicht gleichzeitig mit entspre-
Jahrgang 67 / 994a / 2013
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
Substanz
Orthostatische
Hypotonie
Gewichtszunahme
EKGVeränderungen
Thrombozytenaggregationshemmung
0
0
0
++
Citalopram
0
0
0
++
Fluoxetin
0
0
0
++
Paroxetin
0
0/+
0
++
Sertralin
0
0
0
++
Duloxetin
0
0
0
0
Milnacipran
0
0
0
0
Venlafaxin ret.
0
0
+**
0
0
0
0
0
+
++
0
0
+
0
0
0
ASRI
Escitalopram
SSRI
SNRI
GM
Tianeptin
NaSSA
Mirtazapin
SARI
Trazodon
NARI
Reboxetin
++
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
NDRI
Bupropion
RIMA
Moclobemid
Andere
Agomelatin
Tab. 2: Nebenwirkungsprofil neuerer Antidepressiva – modifiziert nach (1) (Fortsetzung)
chenden Arzneimitteln genommen werden.
Für einige CYP-Enzyme existieren genetisch
bedingte Aktivitätsunterschiede: So sind bezüglich CYP2D6 etwa 7 — 10 % der mitteleuropäischen Bevölkerung „poor metabolizer“
mit fehlender oder reduzierter Funktion bzw.
rund 2 % „ultrarapid metabolizer“ mit gesteigerter Enzymaktivität. Menschen mit anderer
ethnischer Herkunft können deutlich häufiger
„ultra­rapid metabolizer“ sein.
Tianeptin und Milnacipran werden nicht über
die CYP-Enzyme metabolisiert und haben daher bei Multimedikation ein geringeres Wechselwirkungspotential mit anderen Pharmaka.
Da Fluvoxamin, Milnacipran, Mirtazapin, Sertralin und Venlafaxin zum Großteil über die
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Niere ausgeschieden werden, sollte bei stark
eingeschränkter Nierenfunktion eine Dosisreduktion vorgenommen werden.
Im Umkehrschluss erscheint etwa Milnacipran als sinnvolle Therapieoption bei Patienten mit eingeschränkter hepatischer Funktion.
Sedierung: Da die Sedierung hauptsächlich
auf einer Blockade der 5-HT2-, α1-adrenergen
und Histamin-H1-Rezeptoren beruht, ist diese bei den meisten neuen Substanzen wie den
SSRI nicht gegeben, vielmehr kann es sogar zu
Schlafstörungen (Insomnie) kommen. Ist eine
sedierende bzw. schlaffördernde Wirkung gewünscht, so kommen Mirtazapin und Trazodon unter den neueren Antidepressiva infrage.
Bei Mirtazapin ist eine initial sedierende Wir-
kung, die allerdings nach einer etwa zweiwöchigen Gabe abnimmt (Adaptationseffekt), bekannt. Der Sedierungseffekt dieser Substanz
ist wegen der sequenziellen dosisgebundenen Rezeptorbindung bei niedriger Dosierung
deutlicher als bei höherer.
Auch bei Trazodon nimmt die sedierende
Wirkung nach der Anfangsphase (ca. 14 Tage) ab und kann durch die empfohlene langsame initiale Dosissteigerung minimiert werden. Im Unterschied zu Mirtazapin kommt es
bei Trazodon zu keiner Gewichtszunahme oder
Appetitsteigerung.
Das melatonerge Antidepressivum Agomelatin führt aufgrund seiner Wirkungen an den
MT1/MT2- und 5-HT2c-Rezeptoren zu einer
Wiederherstellung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Für Agomelatin wurden mehrfach in Studien eine rasche Verbesserung der Schlafqualität, eine Zunahme der Tiefschlafphasen und
keine Beeinflussung des Leichtschlafes bei
gleichzeitiger Verbesserung der Tageswachsamkeit gezeigt.
Empfehlungen zur Dosierung
Die individuelle Dosierung hängt von Indikationsstellung, Therapiephase (Beginn, Ausschleichen), optimaler Verabreichungsform
und Halbwertszeit ab.
Bei Antidepressiva kann der Wirkeintritt mit
einer Latenzzeit von mindestens 2 Wochen erwartet werden – am Beginn der Therapie empfiehlt es sich daher, eine Standarddosis (= jene
Dosis mit der optimalen Wirkungs-Nebenwirkungs-Relation) zu verwenden. Bei unangenehmen Nebenwirkungen wird eine reduzierte,
bei mangelndem Therapieerfolg nach 2 Wochen eine erhöhte Dosis verordnet. Bei einigen wenigen Substanzen wird eine Dosis-Wirkungs-Beziehung diskutiert. Auch angesichts
der nicht irrelevanten Prozentsätze an „poor“
und „ultrarapid metabolizern“ ist bei Therapieresistenz an ein Therapeutic Drug Monitoring
zu denken.
–mb– ♦
Literatur:
[1] Kasper S, Lehofer M: Depression – Medikamentöse Therapie / Konsensus-Statement – State of the art
2012; CliniCum neuropsy, Sonderausgabe November
2012
ARZT & PRAXIS
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Fachkurzinformation siehe Seite 19
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