Wir sind alle Buddenbrooks

Werbung
Autor: Braunberger, Gerald
Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
2. November 2008
Rubrik: Wirtschaft, S. 36
Wir sind alle Buddenbrooks
Der
Renditehunger
der
Mittelschicht hat zum Entstehen
der Finanzkrise beigetragen
VON GERALD BRAUNBERGER
Ökonomen halten gewöhnlich nicht
viel von Soziologen. Aber da sich
die
Ökonomen
nicht
leichttun,
schlüssige
Erklärungen
zur
aktuellen Finanzkrise zu liefern,
kann es vielleicht nicht schaden,
einmal einem Soziologen zuzuhören.
Einen
soziologischen
Erklärungsversuch
liefert
Christoph Deutschmann (Universität
Tübingen)
in
einem
nun
als
Arbeitspapier erschienenen Vortrag
vor der Deutschen Gesellschaft für
Soziologie.
Den Ausgangspunkt seiner Analyse
bilden längerfristige Trends: Das
sind zum einen die als Ergebnis
einer
langen
Phase
wirtschaftlichen Wohlstands nach
dem Zweiten Weltkrieg entstandenen
Finanzvermögen,
die
zwar
sehr
ungleich verteilt sind, von denen
aber
auch
die
Mittelschichten
profitiert
haben.
Diese
Finanzvermögen wachsen seit langem
ungleich
schneller
als
das
Bruttoinlandsprodukt
(BIP),
was
die
Gefahr
von
Finanzkrisen
verstärkt. Verwaltet werden diese
Finanzvermögen
überwiegend
von
professionellen
Investoren
wie
Investment- oder Hedge-Fonds. Den
Aufstieg dieser institutionellen
Investoren hat die Globalisierung
und Deregulierung der Finanzmärkte
begünstigt.
Deutschmann wirft dann einen Blick
auf die privaten Anleger, die zu
den sozial Erfolgreichen zählten:
Sie gehören den gehobenen oder
höchsten
Einkommensklassen
an,
verfügen überproportional häufig
über gehobene Bildungsabschlüsse,
üben einen Beruf als Angestellte
oder Beamte im Bereich der höheren
Dienstleistungen aus oder sind als
Führungskräfte, Selbständige oder
Freiberufler
tätig.
Vielfach
handelt es sich um Personen, denen
der Erfolg nicht in die Wiege
gelegt wurde, sondern die ihn sich
durch
eigene
Anstrengungen
erarbeitet
haben."
Für
diese
Menschen ist Geld nicht nur ein
Tauschmittel:
"Wer
Geldvermögen
hat, übt sozialen Einfluss nicht
kraft
seiner
Reputation
oder
seines gesellschaftlichen Ranges
aus, sondern verfügt über ein
generalisiertes
Machtpotential,
das
scheinbar
gänzlich
ohne
soziale
Vermittlungen
auskommt.
Vermögen heißt Können, und das im
Geld objektivierte Können lässt
den Vermögensbesitzer leicht den
Unterschied zwischen seinen in der
Regel sehr begrenzten persönlichen
Fähigkeiten und dem Potential des
Geldes vergessen. So wird das Geld
zum Vehikel einer narzisstischen
Selbsterhöhung nach dem Motto: Was
mein Geld kann, das kann und bin
ich."
Während der Anleger sein Ego über
sein Vermögen definiert, ist er
weit
von
den
Finanzmärkten
entfernt,
an
denen
sein
Geld
angelegt wird. Er weiß eigentlich
nicht, was dort vorgeht, erwartet
aber ganz selbstverständlich eine
attraktive
Rendite
auf
sein
Vermögen. Kommt es nun zu einem
Crash
mit
einbrechenden
Aktienkursen, sieht der Anleger
diesen Vermögensverlust als ein
persönliches Versagen an: "Deshalb
kann er, wenn die Börse abstürzt
oder das Finanzamt sich meldet,
dies nur als Beschädigung des
innersten
Kerns
seiner
Persönlichkeit
empfinden."
Das
führt
nach
Deutschmann
zu
typischem
Fehlverhalten:
"Auch
wenn die Kurse längst fallen, muss
man die Papiere, auf die man
einmal gesetzt hat, schon aus
Gründen
des
Selbstwertgefühls
behalten und handelt sich dann
große Verluste ein. Das Problem
des
Anlegers
ist,
dass
sein
kalkulierendes Ego mit dem Objekt
seiner Kalkulationen, dem Geld,
auf
eine
diffuse
Weise
verschmilzt. Außer dem Blick auf
den
Gewinn
und
das
Gewinnen
scheint es für ihn keine weiteren
relevanten sozialen Interessen zu
geben."
Die
Schuld
für
den
Vermögensverlust
tragen
dann
gierige Banker und Börsianer aber nie der Anleger selbst, der
doch durch seine Renditeansprüche
zu
den
Exzessen
an
den
Finanzmärkten beigetragen hat.
An die Erklärung des Anlegers
schließt
sich
eine
sozioökonomische
Analyse
an.
Deutschmann geht davon aus, dass
dem Vermögen der einen gewöhnliche
Schulden anderer gegenüberstehen.
In den Industrienationen sieht er
nun
eine
Entwicklung,
in
der
vielen Vermögensbesitzern nur noch
wenige
kreditwürdige
Schuldner
gegenüberstehen. Was soll dann aus
den Vermögen werden? Deutschmann
behandelt
dies
anhand
einer
extremen Annahme, wonach nahezu
alle Menschen Vermögen besitzen:
"Es entstünde dann eine auf den
Kopf gestellte soziale Pyramide,
in der es fast nur noch Rentiers
gibt, aber kaum Schuldner, die die
aus
den
Vermögen
abgeleiteten
Forderungen einlösen. Was sich so
ergäbe,
wäre
ein
kollektiver
,Buddenbrooks-Effekt',
der
zur
Vernichtung
der
Finanzvermögen
führen müsste." Deutschland habe
auf diesem Wege schon ein gutes
Stück zurückgelegt, sei aber vom
Endstadium noch weit entfernt.
Die
Reaktion
darauf
ist
ein
Kapitalexport in Länder, in denen
viele
Schuldner
existieren.
Aufgrund der Deregulierung kommt
es zu Euphorien und anschließenden
Zusammenbrüchen: "Die Tendenz zur
exzessiven
Spekulation
sollte
nicht allein als ein Problem der
persönlichen
Moral
der
Banker
betrachtet werden. Sie hat eine
strukturelle
Ursache
in
dem
globalen
Überfluss
an
Anlage
suchenden Finanzvermögen, das die
Banken zwingt, das Kapital ihrer
Kunden um nahezu jeden Preis in
den Markt zu drücken."
Nach Ansicht des Autors kann dies
nicht gutgehen; er bezeichnet das
Handeln der Vermögensbesitzer, die
ein
Naturrecht
auf
attraktive
Renditen zu besitzen meinen, als
in
hohem
Maße
selbstwidersprüchlich:
"Millionen
von
Aktienund
Fondsanteilbesitzern
erwarten
,Erträge' auf ihr Geld, ohne sich
die geringsten Gedanken darüber zu
machen, wo die Schuldner herkommen
sollen,
und
ohne
selbst
ein
unternehmerisches
Risiko
zu
übernehmen."
Deutschmann
konstatiert
eine
beispiellose
Entkoppelung
von
Eigentum
und
unternehmerischer Tätigkeit, die
den Anleger vergessen lasse, dass
zur wirtschaftlichen Entwicklung
auch die schöpferische Zerstörung
durch
den
Wettbewerb
der
Unternehmen gehöre.
Daran
ist
viel
Wahres,
aber
dennoch erscheinen die politischen
Schlussfolgerungen nicht zwingend.
Deutschmann will den Zyklus von
Hausse
und
Baisse
durch
eine
Stärkung des öffentlichen Sektors
sowie eine wirksame Besteuerung
von
Vermögen
und
Finanzmarktumsätzen brechen. Damit
würde man mit Sicherheit eine
Hausse verhindern. Das Ergebnis
könnte aber eine dauerhafte Baisse
sein.
Christoph Deutschmann: Der
kollektive Buddenbrooks-Effekt.
Die Finanzmärkte und die
Mittelschichten. Arbeitspapier
2008. Im Internet:
http://www.mpifg.de/pu/workpap/wp0
8-5.pdf
Bildunterschrift:
Illustration
Alfons Holtgreve
Alle
Rechte
vorbehalten.
(c)
F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Herunterladen