Interview Otto Binder

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Interview Otto Binder
22.Oktober 2002
I: Sagen Sie mir bitte, was Sie über Ihre Urgroßeltern wissen.
B: Über die Urgroßeltern väterlicherseits, weiss ich praktisch nichts, ich weiß, daß sie aus dem jetzigen Mikulov,
dem damaligen Nikolsburg kommen. Nikolsburg war eine große und berühmte Kille, also eine Judengemeinde.
Was meine Mutter, meine Information war immer indirekt, mein Vater ist ja schon zugrunde gegangen, wie ich
fünf Jahre alt war. Die Verbindung meiner Mutter und der Familie meines Vaters war damals auf ein Minimum
zusammen geschrumpft und sie wusste nur das, was sie eben von meinem Vater gehört und in Erinnerung gehabt
hat. Es dürfte eine Familie gewesen sein, die angeblich an Tuberkulose ausgestorben ist, es hat auch dann in der
grossen Familie, die dann wieder entstanden ist, nie einen derartigen Fall gegeben also möglicherweise war eine
gewisse Immunität da und wie gesagt, meine Großeltern waren Cousins, was ja üblich war und die sind offenbar
als Rest dieser Familien, ich schätze Ende 1860 oder 1870iger Jahre nach Wien gegangen, wie das eben der
große Trend der Juden der Monarchie damals war.
I: Kennen Sie noch die Namen ihrer Urgroßeltern?
B: Nein, die kenn ich nicht, aber da möchte ich doch etwas erzählen. Es hat im Biedermeier Wien einen
Schriftsteller gegeben namens Daniel Spitzer, der bekannt wurde, sehr bekannt wurde, er war der Satiriker
seinerzeit, unter dem Namen der „Wiener Spaziergänger“. Es ist vor ein paar Jahren auch eines seiner Bücher
herausgekommen. Wie ich das Buch mit dem Klappendeckel des Buchs gesehen hab, habe ich gesehen, daß er
auch aus Nikolsburg gekommen ist, daß er, er dürfte so vier, fünf Jahre älter gewesen sein als meine Großmutter,
und meine Großmutter hat, nach dem Grabstein, nach den Dokumenten, einmal Spitz und einmal Spitzer
geheißen. Also ich könnte mir vorstellen, daß dieser Daniel Spitzer aus der gleichen Familie war wie wir, was
nichts sagt, weil in solchen Killes alle miteinander durcheinander geheiratet haben und miteinander verwandt
waren. das ist also alles, was ich aus der Richtung weiß.
I: Und wissen Sie von den Urgroßeltern ihrer Mutter irgend etwas?
B: Ja, ja. Die Großmutter meiner Mutter hat noch sehr lange nach der Wanderung, nach der Übersiedlung nach
Wien in der Familie gelebt. Meine Mutter als die Älteste, hat sie offenbar sehr, sehr gern gehabt und bis zu ihrem
Tod gepflegt und so manch jüdisch-deutschen Aussprüche sind durch sie noch erhalten geblieben. Der Vater
meiner Großmutter hat Gottlieb geheissen, war Bierbrauer in einem Ort der damals Brüsau geheissen hat, das
dürfte das jetztige Breshetsch bei Zwittau (Brezova nad Svitavou) sein, und soll durch, vom Bierfass
runtergefallen sein, durch Unfall zu Tod gekommen sein, wodurch die Familie in ziemliches Elend geraten war.
I: Und wie sind die dann nach Wien gekommen?
B: Mein Grossvater mütterlicherseits ist im jetzigen Golc-Jenikau in Böhmen geboren, das heißt, meine Familie
stammt zu einem Viertel aus Böhmen und zu drei viertel aus Mähren und da weiß ich, ja da gibt’s ja die
Geschichte, die ich ja auch in meiner Biografie erwähnt hab, er ist im August 1847 geboren worden, da hat es in
Böhmen ein Gesetz gegeben, im Königreich Böhmen, ich bin nie richtig draufgekommen und einen nicht
adäquaten Namen genannt wurde, daß jedenfalls die Folge gehabt hat, daß legitim, offiziell durften in jeder
jüdischen Familie nur der älteste Sohn heiraten. Großvater war offenbar kein ältester Sohn oder mein
Urgroßvater, das heisst, aber geheiratet haben die Leute doch, aber rituell und die in der Mischsprache, die sie
gehabt haben, sie haben alle nicht ein Wort tschechisch können, meine Mutter und ihre Schwester haben etwas
tschechisch können, weil sie in der ersten Volksschulklasse noch in Mähren, in eine offenbar gemischt sprachige
Volksschule gegangen sind.
I: Die sprachen alle deutsch?
B: Alle deutsch. Und hatten aber offenbar sehr starken Einfluss also eine Art Judendeutsch, das, glaube ich nicht,
das jiddische der Ostjuden war.
I: Sicher nicht, nein.
B: Und diese Art der Verheiratung haben sie „Boden-Chassene“ genannt, Chassene ist Hochzeit und der Boden
ist der Dachboden, das heißt sie haben am Boden geheiratet, offenbar nicht in der Synagoge.
I: Das heisst aber dann auch, daß die Kinder die Namen der Mutter bekommen haben.
B: Sehr richtig, nur ist dann im März 1848 die Revolution gekommen, und diese Heiraten und offenbar auch die
Kinder wurden scheinbar offiziell legitimiert, hat aber eine Folge gehabt, das das Geburtsdokument meines
Großvaters folgendermaßen gelautet hat: Hynek recte Ignatz, Ullmann recte Weissenstein. Hynek ist Ignatz auf
tschechisch, Ullmann war der Name der Mutter recte, also Weissenstein, schön. Meine Mutter hat immer
wieder erzählt, und das war so ein Element der Familientradition, daß im Jahre 1896, wie mein Großvater in der
Gegend des heutigen Mexikoplatzes am damaligen Erzherzog Karl Platz Vorgartenstrasse mit der Familie gelebt
hat und offenbar schon recht wohlbestallt und wohlhabend war, da wurde, wie mir die Mutter erzählt hat immer
wieder aufgefordert an der Verbauung, damals neuen Verbauung des ganzen Viertels mitzutun, was er abgelehnt
hat, mit der Begründung, er ist das Schlechteste, was es auf der Welt geben kann, er ist sowohl ein Böhm, als
auch ein Jud. Das war das Luegersche Wien und da wollte er das Wiener Heimatrecht erwerben, es ja hat damals
nicht das Staatsbürgerschaftsrecht in unserem Sinn gegeben, sondern ich glaube das nach dem Ende des I.
Weltkriegs das Heimatrecht, das eine grausame Angelegenheit war, denn wenn jemand zum Beispiel in der
zweiten, dritten Generation hilfsbedürftig geworden ist, ist er dann womöglich in irgendeinen Heimatort, in dem
er zuständig war abgeschoben worden und ist dann in einer völlig fremden Umgebung in einem Armenhaus
zugrunde gegangen nicht, also die Kinder nach dem Umsturz, der auch in gewisser Hinsicht eine Revolution
war, das Jahr 1918, ist das ja geändert worden. Und da wollte man in den Wiener Heimatschein wieder
hineinschreiben, Hynek recte Ignatz, Ullmann recte Weissenstein und mein Großvater soll sich darüber
fürchterlich aufgeregt haben und durchgesetzt haben, daß er nur noch Ignatz Weissenstein geheissen hat. Das
war so eine Geschichte aus der Familientradition und da hat sie mich auch einmal aufgeregt, das hab ich auch
beschrieben. Als, meine Frau war ja Nichtjüdin, meine Frau ist auf ein Besuchsvisum nach Schweden mir
nachgekommen, wir haben nicht heiraten können, weil durch ein Haager Übereinkommen Schweden
mitverpflichtet war, Ehehindernisse des Heimatlandes auch für das Emigrationsland anzuerkennen. Hätte uns
irgendein schwedischer Priester getraut, hätte es gegolten, denn die schwedische Kirche war ja damals
Staatskirche. Es hat sich keiner getraut, auch wenn mancher sehr radikal getan hat. Aber es hat uns nicht gestört,
denn die Lebensgemeinschaft war damals schon in Schweden, hat den Titel gehabt, „stockholm äktenskap“, also
Stockholmer Ehe, nicht, kein Mensch, jeder hat meine Frau angesprochen als meine Frau und ich hab von
meiner Frau geredet, es war also keine Angelegenheit für uns, aber wie wir dann in der Lage waren uns eine
Wohnung zu schaffen, wie wir in der Lage waren, uns ein Kind anzuschaffen, sind wir dann gemeinsam auf das
Stockholmer Jugendamt gegangen, weil es in Stockholm damals schon ein Gesetz gegeben hat, wonach ein Kind
aus einem Eheversprechen Schwedisch „ tru lu „ , rechtlich in jeder Hinsicht gleichgestellt war mit einem
ehelichen Kind, also nicht nur im Bezug auf Erbschaft, sondern auch zum Beispiel, daß es auch gegen den
Willen des Vaters den Familiennamen des Vaters hätte annehmen können, nicht? Wir sind auf das Jugendamt
gegangen, ich hab dort vorgestellt, daß dieses bereits recht sichtbare Kind mein Kind ist, zu Protokoll gegeben,
das ist wohlwollend zur Kenntnis genommen worden, na ja, da ist die Margit halt gekommen, dann mußte man
aufs Pastoratsembedet gehen, das ist die zuständige Kirchengemeinde des Stadtteils. Das war bei uns Katharina,
Katharina Versammlungen, da muß ich betonen, die schwedische Kirche war damals in Wirklichkeit schon ein
öffentliches Organ, und die Priester haben sich auch immer beklagt, daß sie zu ihren seelsorgerischen Pflichten
überhaupt nicht kommen, weil sie nur staatsbürgerliche haben. Sie haben also zum Beispiel, die Schweden
nennen das auch so, Volkbuchführung geführt, das ist das, was bei uns das Matrikelamt ist. Das heißt, wir
mußten zum lokalen Matrikelamt gehen, ja, es hat noch vorher was anderes gegeben, da mußte meine Frau auf
die deutsche Botschaft gehen, weil ein Kind ist kein Mensch, wenn es nicht in irgendeinem Pass steht, und da sie
noch einen deutschen Pass gehabt hat, mußte sie es eintragen lassen, darauf hin hat der Beamte dort gefragt, ob
sie weiß, daß sie ein Verbrechen begangen hat, weil sie.. gesagt hat ja, sie weiß, was sie getan hat, daraufhin hat
er ihr die Seiten aus dem Pass raus gerissen, die Aufenthalts-und Arbeitsbewilligung, die hat sie zurück
bekommen, Pass hat er eingezogen und sechs Monate später ist meine Frau dann separat, nicht wie wir alle
kollektiv, separat ausgebürgert worden, dann konnten wir heiraten. Aber wir wußten, daß es sich so abspielen
wird, und das hat sich so planmässig abgespielt, nein aber vorher ist sie eben, so war das, vorher ist sie auf
Katharina Versammlung gegangen, und dort schreibt ihr der Beamte, die haben keine Zertifikate ausgestellt,
sondern so einen Papierwisch, Kind der Kukoschka, also der Köchin Anna Pusterer und des Warware, Dreher,
Otto-Israel Binder. Und da bin ich in die Luft gegangen, da bin ich hingegangen und hab ihnen einiges erzählt.
Das haben sie dann gestrichen. Und für mich war es eindrucksvoll, wie sich Sünden der, wie heisst das so schön,
die Sünden der Vergangenheit, immer weiter übertragen. Dann zum Schluss wars nur eine Komödie. Na ja gut,
dann hat meine Frau die Ausbürgerung bekommen, und im November 1944 haben wir dann ofiziell heiraten
können und damit war dann die Geschichte erledigt.
I: Gehen wir wieder zurück.
B: Ja, wieder zurück zu den Großeltern, mein Großvater dürfte aus einer, die Juden dürften irgendwie gewerblich
tätig gewesen sein, irgendwie dürfte er das Zentrum von der Webe von Hanitz??, so was gewesen sein, so was
gewesen sein. Er dürfte eine Stiefmutter gehabt haben, über seine Eltern hat meine Frau ( Mutter ) nie was
gewusst, sie hat nur gewusst, daß es einen Bruder gegeben hat, und dieser Bruder hat Gustav Weissenstein
geheissen und hat dann am Beginn der Neubaugasse ein Ledergeschäft gehabt. Mit dem war dann meine Mutter,
und den hab auch ich gekannt, usw. Und das war auch eine lustige Verbindung. Er hat also dann eine Tochter
gehabt, die hat einen Herrn Bodansky geheiratet, die sind dann nach England emigriert, der Gustav Weissenstein
ist vorher gestorben, und irgendwie hat sich dann heraus gestellt, daß die Frau, die er geheiratet hat, Tante
Bertha, eine Cousine der Hansi Meindl war, der Frau des letzten Meindl. Und wir hatten uns gefunden gehabt,
und hatten gerade, ich hab dann auch, hat sich zwischen mir und den Meindls ein Freundschaftsverhältnis
angebahnt gehabt, und da haben wir angefangen, die Verbindungen zu suchen, die waren aber über fünf oder
sechs Ecken, nur ist sie dann dazwischen gestorben und auch die Hans Bodansky.
I: Und waren Ihre Großeltern religiös, haben die religiös gelebt?
B: Nein, ich komm noch darauf zurück. Mein Großvater muss irgendwie mit der Landwirtschaft zu tun gehabt
haben. Ich vermute, daß er so etwas war, wie ein Gutsverwalter, nicht, und meine Mutter hat erzählt, er hat bis
zu seinem Lebensende nicht verwunden, er wäre immer wieder gerne in die Landwirtschaft. Das war seine
unerfüllte Lebenssehnsucht. Aber in der Ehe war offenbar meine Großmutter der Starke, wann und sie haben
dann fünf Kinder gehabt, meine Mutter die Älteste, die Frieda, die dann mit ihr zusammen gelebt hat, die
Jüngste. Über die schreibe ich auch in meinem Buch. Und da sehen Sie den großen Erfolg, daß die Juden die
aufsteigen wollten, vielfach eben nach Wien gegangen sind. Haben sich am damaligen Erzherzog Karl-Platz, der
gerade im Aufbau, im Entstehen war, wo es die grossen Remisen der damals neu elektrifizierten Strassenbahnen
gegeben hat, in der Vorgartenstrasse, so ein Haus nach dem anderen entstanden ist, da hat er der Reihe nach
Brandweinerei, Kreislerei, ein Cafehaus, zeitweise scheinbar beides zugleich gehabt, und dürfte materiell sehr
bald schön in die Höh gekommen sein. Das war auch der Grund, warum man ihm angeboten hat, bei der
Finanzierung und Bau solcher Häuser mitzutun, aber da hat ihn also der damals doppelte Antisemitismus
verbunden mit Antitschechentum, wobei ich zu dem Kapitel also noch auch ein bissl vielleicht zu sagen hätte.
Ihre Frage der Religiosität, ich hab in meinem Buch geschrieben, das hat vor allem für meine Familie
väterlicherseits gegolten. Ihr Heros war der Vorsitzende der Angestelltengewerkschaft Karl Pick. Und ihre
Religion war die Sozialdemokratie, wenn Sie so wollen. Ich will nicht sagen, daß sie keine gehabt haben, das
Judentum jedenfalls als Solidarität, nicht als Religion. Ich glaube nicht, daß von meinen Onkeln und Tanten
jemals jemand freiwillig in den Tempel gegangen ist. Und meine Großmutter mütterlicherseits war eine
ausgesprochene Feindin.
I: Wirklich?
B: Ja! Wenn da meine Mutter hätte so ein bissl Anflüge von Religiosität gehabt, sie hat zu den Leuten gehört, die
am Jom Kippur einen halben Tag gefastet haben, und da hat meine Großmutter sie mit Spott und Hohn
überzogen. In einer Hinsicht waren sie absolut jüdisch, im Essen.
I: Ja, im Essen?
B: In der Küche.
I: Die waren koscher, ja?
B: Nein! Nein! Böhmisch! Jüdisch, nicht, überhaupt nicht!
I: Überhaupt nicht, die Großeltern, das ist ja sehr erstaunlich.
B: Weder noch.
I: Das heißt, Sie wurden auch überhaupt nicht jüdisch erzogen! Also, daß Sie ein Jude waren, ein bewußter Jude,
ist schon klar, aber Sie haben mit Religion gar nichts zu tun gehabt, oder doch?
B: Aber mit Judentum!
I: Mit Judentum schon?
B: Aber nicht mit Religion.
I: Aber nicht mit Religion.
B: Und ich sag das sehr bewußt, weil irgendwo meine Einstellung nicht so fern davon ist. Schon anders, aber
nicht so weit weg. Schauen Sie, es hat die Juden gegeben, man war Jud. Das hat mit Religion weiter nichts zu
tun gehabt. Man war vielfach, dann in meiner Generation vor allem, durchwegs vermischt. Ich hab unter,
vielleicht übertreib ich jetzt ein bisschen, aber in dem sehr, sehr grossen Kreis meiner gleichaltrigen Freunde und
Bekannten, wir waren ja alle eine riesige Jugendgeneration, nicht, von der man sich heute in der Stadt keinen
Begriff machen kann. Es hat von jenen Freunden, bei denen wenigstens ein Teil jüdisch war, hat es, außer denen,
die erst in der Emigration ihren Partner gefunden hatten und geheiratet haben, eigentlich nur zwei gegeben, die
nicht in Mischehen waren. Der eine war der Erwin Lackenbacher aus der Leopoldstadt, der war dann Erwin
Laxden?? In Schweden, und der zweite war der Bruno Kreisky, der eine geborene, allerdings getaufte Jüdin
geheiratet hat. Wir waren alle Mischehen. Einmal nach der einen dann nach der anderen Seite.
I: Also es spielte überhaupt keine Rolle das Jüdische?
B: Das möchte ich auch wieder nicht sagen. Wissen Sie, ich hab mir manchmal gedacht, es war für einen
aufsteigenden jüdischen Proletarierburm viel interessanter, ein Mädchen zu finden aus einem jüdisch
kleinbürgerlichen Milieu und umgekehrt. Man hat viel mehr zu sagen gehabt, es war anregender, es war
stimulierender, es war befruchtender. Es waren gute Verhältnisse.
I: Interessant!
B: Aber weil Sie mich über jüdisches Leben fragen, dann muss ich sagen, dass diese Facette des jüdischen
Lebens vergangen, nicht nur vergangen ist, sondern auch vergessen ist. Aber schaun Sie, etwas, was also auch
das Bewusstsein Jude zu sein, ohne religiös zu sein, doch immer so gestört hat, oder hervorgerufen hat, war ja
eigentlich auch der Antisemitismus. Der hat einen absolut von vornherein in diese Front gedrängt. Schon, das
man als etwas anderes beghandelt wurde, auch wenns nicht feindselig war.
I: Man wurde, auch wenn es nicht feindselig war, als etwas anderes behandelt, ja? Das lief nicht nur über
Feindsseligkreit?
B: Na schon, daß man zum Beispiel in der Schule, ich habs ja auch erzählt, in der Albertgasse, die
Untermittelschule, da hat es eine Klasse gegben, die war gemischt, jüdisch katholisch, die zweite war rein
katholisch, und die „C“, in die ich gegangen bin, war katholisch, protestantisch und jüdisch, zu je ein Drittel.
Schon, daß man hier separat bezeichnet wurde. Es gibt ähnliche Dinge jetzt. Ich höre von meinen Kindern über
die Enkel, daß die Kinder überhaupt kein Gefühl dafür gehabt haben, mit wem sie in die Volksschule gekommen
sind, ob ein Kind Mohammedaner war oder nicht Mohammedaner war. Das hat begonnen, das beginnt, wenn die
Buben in die Koranschule kommen. Wenn die Mädchen sich nicht mehr beim Turnen ausziehen. Das ist auf
einmal, sind die Kinder irgendwo was anderes. Und da fängt dann so die Segretation an. Aber es ist auch so, es
hat natürlich auch wesentlich andere Dinge gegeben, die diese ganze Wiener Entwicklung, die heute mit recht
als brilliant und strahlend hergestellt wird. Schaun Sie sich die Entwicklung in der damaligen Sozialdemokratie
an. Der Gründer Viktor Adler , die grossen Leute, die man verehrt hat waren Wilhelm Ellenbogen und Marx, ein
getaufter Jud. Die neue Religion war von Juden geführt. Otto Bauer, den wir alle so verehrt haben .
I: War einem das damals bewusst, das das alles Juden sind?
B: Na freilich!
I: Und war man stolz dazu zu gehören?
B: Ja! Ja! Sehen Sie, das ist der Punkt. Und einen Sigmund Freud, der allerdings damals noch eher negativ
beurteilt wurde, vor allem, von den konservativen Juden, die die Psychoanalyse als etwas unanständiges,
obszönes betrachtet haben, aber die ganzen grossen Mediziner, wieviel Juden waren dabei? Landsteiner, dann
die Literatur.
I: Hat sich dieses stolz sein ausgewirkt auf die Beziehung zu Nichtjuden, oder war das völlig verwischt, wenn
man politisch
B: Ich würde sagen, ich glaub, die Frage darf man so nicht stellen, weil da kollektive Antworten zu geben, ist
schon nicht gut. Es hat jeder das irgendwo anders gesehen und anders empfunden. Es hat also ein sehr einfacher
Jude da nur die Namen gekannt, nicht, und gewusst, das sind also grosse Leut. Es hat sicherlich ein
Intellektueller Jude es anders gesehen, es hat ein wohlhabender Jude, ein reicher Jude, es anders gesehen. Es
waren die ganzen führenden Leute in den Banken, waren die führenden Leute der Wirtschaft waren Juden. Das
ist sehr schwer zu sagen. Es hat ja vielfach einen doppelten Effekt, wenn wir schon über das Thema reden. Ich
bin oft ein bisserl zersprungen, wenn man beim Kreisky über den jüdischen Serlbsthass gesprochen hat. Blödsinn
gewesen, ausgesprochener Blödsinn! Aber es hat etwas gegeben bei den Juden. Ich stoss immer wieder auf
Fragen im Zusammenhang mit Otto Leichter. Sie kennen die Rolle, sie kenne den Komplex. Nu, wir sind ja mit
dem Sohn, mit Henry Leichter aufs engste verbunden gewesen, auch jetzt noch, und die Käthe Leichter, ich war
Jugendlichenobmann in der Inneren Stadt, die Käthe Leichter war unsere grosse Frau, die Käthe Leichter war die
Frauenreferentin der Wiener Arbeiterkammer, der Otto Leichter war auch im Bezirk, er war zweiter Redakteur
der Arbeiterzeitung, die Redakteure der Arbeiterzeitung waren Austerlitz, waren Leichter, waren Oscar Pollak
vor allem, vorher. Nachher waren Jack Halack ???, nicht, waren durchwegs Juden. Man hat die Qualität gekannt,
aber es hat einen Effekt gegeben, daß die Juden nicht mehr Juden wollten. Sie haben den Anspruch erhoben ihre
Funktion auszuüben, anerkannt zu sein usw, aber sie waren sich gleichzeitig klar, daß eine mitteleuropäische
Arbeiterpartei in einem Land wie Österreich, keine so extrem jüdische Führung haben durfte. Dieser Coupe
Effekt (Eisbrecher Effekt ???), daß diejenigen, die drinsitzen sich akzeptieren, aber die, die einsteigen, auf jeden
Fall bis zur nächsten Station angefeindet werden, den hats bei Juden sehr stark gegeben. Es hat jüdische
Unternehmer und Geschäftsleute gegeben, die keine Juden angestellt haben, aus Fragen der Optik. Jetzt bin ich
vielleicht vom Thema abgekommen.
B: Gehen wir zur Familie zurück?
I: Nein, eigentlich nicht, schon interessant, sehr interessant. Aber das bedeutet ja auch schon was, daß Juden als
Unternehmer keine Juden wegen der Optik anstellten, das bedeutet ja was.
B: Ja, hat auch, und das war kein jüdischer Selbsthass, das war einfach die Furcht. Eine völlig falsche
Einstellung gewesen, denn sie hat nichts genutzt und sie hat nur die wirtschaftliche Lage der Juden in der
verschlechterten wirtschaftlichen Situation nach der Mitte der 20iger Jahre noch verstärkt.
I: Gut, gehen wir zurück zur Familie.
B: Ja, wobei, ich möchte noch zurückgreifen, ja aber das gehört auch zur Familie, ich sagen möchte, die Brigitte
Hamann hat mir in einem Kurzgespräch, das wir da vor paar Monaten gehabt haben, ich hab sie auf mein Buch
aufmerksam gemacht nach einem Vortrag, weil ich gesagt hab, Hitlers Wien habe ich mit einer kleinen
Zeitverschiebung selber noch sehr gut gekannt. Die Brigittenau, in der ich eingesperrt war, die ich von unten her
auch kennengelernt hab, da hat sie eine Bemerkung gemacht, über den furchtbaren Antisemitismus der Lueger
Zeit, da kann man dann vielleicht separat ein Wort drüber reden. Es gehört nicht ganz zum Thema, aber es
gehört zum jüdischen Leben. Ja, meine Familien waren beide auch ausgesprochene Aufsteiger, und das Foto
scheint mir sozusagen die Dokumentation zu sein.
I: Das heisst also, sie haben das als Kind schon nicht mehr so erleben können, ihr Vater ist ja früh gestorben.
B: Ja, ich sag immer gestorben und nicht gefallen, weil er in Wirklichkeit zu Tode gehetzt wurde bei einem
Marsch. Schaun Sie, was auch das jüdische Bewusstsein, wenn sie so wollen, ausgemacht hat, war neben der
Religion eine sehr jüdische Tradition. Die absolute Hocheinschätzung, schaun Sie es hat unter den Juden auch in
der Monarchie nie Analphabeten gegeben, es war geistige Tradition da, es war die Hochschätzung des Geistigen
da. Es war, ich kann mich erinnern bei Lederer &Wolf waren wir so eine Gruppe Lehrlinge, davon hat einer
Schütz ??? geheissen und war der Sohn des Kantor von Floridsdorf. Und wie dessen Bruder, dessen älterer
Bruder den Jus-Doktor gemacht hat, hat der ganze Betrieb bei uns, die Angestellten, mitgefeiert. Heute, wenn so
ein junger den Doktor, wie meine Kinder ihre akademischen Grade erworben haben, jetzt die Kinder ist noch
gegangen, aber die Enkel jetzt, die haben überhaupt nichts davon gesagt, nur das Zeugnis hab ich halt gekriegt.
Aber admals war ja die Anzahl der Studierenden, der Akademiker viel, viel kleiner und das war was, nicht und
ich hab so zu formulieren versucht, daß ich gesagt hab, die Juden haben den Rabbi ersetzt durch den Doktor oder
gar Professor. Und die Tochter mit nem Doktor zu verheiraten oder gar Professor, das war ungefähr das höchste
der Ziele. Fast mehr als das Geld. Und so eine Tradition kriegt eben ein Kind schon in sehr, sehr frühem Alter.
Nicht, dieses System von Urteilen und Vorurteilen. Ich glaube, das unterschätzt man leicht, diese Ausrichtung,
wer ist was und wer ist weniger usw, nicht?
I: Sie haben dann von dem Aufsteigen Ihrer Familie und von dem Wohlstand wenig gehabt?
B: Sehr wenig.
I: Denn Sie waren ja dann ziemlich arm.
B: Ja, ja.
I: Erzählen Sie ein bißchen von Ihrer Kindheit.
B: Na ja, meine Mutter ist vor der Situation gestanden, daß der Betrieb in Konkurs gehen musste, weil ja auch
der Kompagnon unmittelbar nachher umgekommen ist, für eine Glasschleiferei, Spiegelbelegerei die
Möbelerzeuger beliefert hat, war kein Watt??? mehr da, waren auch keine Leute da. Nach dem Tod meines
Vaters, hat man ihr geraten, die Erziehung meiner Mutter und ihrer Schwestern war die Erziehung der Mädchen
aus gutem Haus. Berufsausbildung überhaupt nicht, und das Ideal war, auf der vierten Galerie des Burgtheaters
oder auchder Galerie des „Deutschen Volkstheaters“ zu gehen, oder auch in ein Konzert zu gehen. Das Ideal war
die deutsche Kultur.
I: Ihre Eltern haben viel mit Kultur zu tun gehabt?
B: Meine Mutter! Vom Vater weiss ichs nicht. Beim Vater war es eben so, daß die ganze Familie, ich glaube,
daß das kulturelle Niveau der Familie meines Vaters eigentlich kleiner war. Die, die ich dann wirklich
kennengelernt hab, den Wilhelm, den Hans und die zwei Taubstummen, die Taubstummen waren ja überhaupt
eine andere Welt, da war der kulturelle Standart...Beim Max war er sicher extrem hoch. Nur ist der ein paar
Monate nach meinem Vater gefallen. Aber der Umstand, daß diese ganze Familie zusammen gesteuert hat, um
dem einen, dem talentierten Bruder den Weg über die damals, Subventionen hats ja damals kaum gegeben oder
gar nicht gegeben, den Weg zur Ausbildung zum Opernsänger zu ermöglichen, hat ja auch den Kulturwillen
gezeigt, wie weit der also da war, kann ich nicht beurteilen. Aber jedenfalls war die Lebensweise, ich habe keine
Erinnerung mehr an die Wohnung in der Rembrandtgasse, oder fast keine, aber was ich später nach den Möbeln
in der Sterngasse beurteilen konnte, in der ich ja dann sehr oft war, bis zum Schluss, grad in den letzten Jahren
um so mehr, denn da hat mich mit meinen zwei Onkeln wieder die illegale sozialistische Arbeit verbunden, da
waren wir wieder im gleichen Parteibezirk, da war ich dann, vor allem, nachdem ich eingesperrt worden war,
war ich das grosse Mitglied der Familie. Da war also so Möbel Deutsche Eiche, der kleinbürgerliche Stil der Zeit
vor der Jahrhundertwende. Während bei mir zu Haus waren die Möbel, das war Jugendstil, also 1907.
I: Sehr schön, und das konnte Ihre Mutter erhalten später?
B: Na ja, das hat sie mitgenommen in die neue Wohnung auf der Alser Straße, das hab ich auch beschrieben, da
hat sie imJahr 1916, da waren offenbar Wohnungen zu haben, was man wollte, und da hat sie in diesem
neugebauten Haus, in dem der verstorbene Professor Kaposi ein Sanatorium einrichten wollte, im Hintertrakt so
eine Wohnung gemietet, mit dem Gedanken im Mediziner Viertel, das ja auch die Alser Straße dort bis heute ist,
zu vermieten an Ärzte und da hab ich eben auch geschrieben, aber eingezogen sind dann geflüchtete Ostjuden.
Naj, das ist dann eine sehr jämmerliche Geschichte geworden, mein Großvater war auch gestorben, der eine
Onkel ist versandelt, Oskar, der ist dann im Männerheim in der Wurlitzergasse gestorben, und der andere, der
das Geschäft dann gefüher hat, hat das nicht ausgehalten und ist schon vor dem Krieg nach Argentinien
gegangen, hat dann mal den versuch gemacht mit Familie zurückzukommen, das ist gleich danebengegangen.
Und die Großmutter hat dann, sie hat immer schlechte Ratgeber gehabt, und die Frauen haben nicht den Mut
gehabt, selber eine wirtschaftliche Lage oder Situation zu beurteilen, deswegen haben sie auch fürs ganze
Vermögen, das sie gehabt haben, dann auch die Kriegsanleihe gezeichnet ????, die dann auch Papier war, hat ein
Volkscafe in der Schlösselgasse gekauft gehabt, das hat, da sie ja nichts anderes als Tee mit Sacharin zu
verkaufen hatten, ist es auch nicht gegangen, und da ist dann die Großmutter mit der Tante Frieda zu uns
gezogen. Dann haben sie gemeinsam Heimarbeit gemacht.
I: Was haben sie gemacht für Heimarbeit, genäht?
B: Nein, unmittelbar nach 1918 Strickereien oder so was. Und irgendwann dann, das muss um 1920 oder so was
gewesen sein, hat meine Mutter Arbeit gefunden bei der Firma „Langbein &Co“ in der Neubaugasse, die
Strickwaren erzeugt hart, das waren vor allem Kinderstrickwaren. Man hat damals die Kinder in, wie heisst das,
in Kopf bis Fuss eingekleidet. Das war ein grosser Artikel und diese gestrickten teile wurden da zusammen
gefügt. Diese Firma wurde geleitet von drei Schwestern, Dreifinger???, die zweite weiss ich nicht mehr, die
dritte war die Frau Spira. Spira ist die Grossmutter der Elisabeth T. Spira, und ihr Mann, der irgendwo in der
Telegrafen Verwaltung war, war dann auch in der Firma. Eine Nichte der Schwestern war auch im Betrieb und
der Bruder war mein Pfadfinderführer. Und wie gesagt, das war die Firma „Langbein &Co“ aus der Herrmann
Langbei, die Elisabeth Spira usw kommen. Der Leopold Spira war immer Kommunist, das schreibt er ja auch,
ich hab die Literatur da, einmal ist er gesessen, dann bin ich gesessen. Dann hab ich meinen Posten verloren und
bei der Firma war sie bis zum Schluss und ich weiss es nicht mehr, irgendwie, ich glaube, nachdem ich aus dem
Lager nach Haus gekommen bin, hat mir meine Mutter erzählt, daß sich unmittelbar nach dem Einmarsch der
Deutschen eine Stuttgarter Firma bei ihnen gemeldet hat, mit der sie immer schon zusammen gearbeitet haben,
und die hat ihnen die Firma ordentlich abgekauft. Was für mich deswegen auch interessant nachher war, weil
man verflacht jetzt vieles aus der Geschichte. Es hat auch sogenannte Arisierungen dieser Art gegeben. Ich hab
auch andere gekannt, wo zum Beispiel das arische Familienmitglied die Firma übernommen hat. Das ware ine
Firma zum Beispiel in der Westbahnstrasse, die hat ein sehr linker Sozialdemokrat übernommen, der dann
Hauptbetriebsrat bei der Oewag war, Gewerkschaftler und dessen Sohn, der Schmidmeierer ???, war dann auch
Abgeordneter und in der Länderbank, der ist also da mit der jüdischen Mutter aufgewachsen, Kunwald hat die
Firma geheissen und die hat ein Monopol gehabt auf die Belieferung der Tapezierer mit alldem, was ein
Tapezierer braucht. Da hat der arische Schwiegersohn ihnen die Firma „arisiert“.
I: Ja sicher gab es auch solche...
B: Es gab auch solche, nur sind die nie laut geworden auch nachher nicht.
I: Na ja, die Mehrzahl war halt anders.
B: Man hat auch nachher nicht gern über solche Dinge geredet. Ja, wieder zur Familie zurück. Das heisst, das hat
also zur merkwürdigen Folge geführt, in Österreich hat es keine Geseztgebung, keine Sozialrechte für
Heimarbeiter gegeben, überhaupt keine. Und wie die Deutschen gekommen sind, haben sie mit der deutschen
Gesetzgebung auch die sozialen Rechte für Heimarbeiter eingeführt, die es in Deutschland schon vorher gegeben
hat, so daß meine Mutter auf einmal so viel besser verdient hat, daß sie bei dem jüdische Geschäftsmann
Friedmann in der Mariannengasse ihre ganzen Schulden abzahlen konnte, bevor die noch emigriert sind. Und die
Firma hat sie weiter beschäftigt.
I: Kommen wir mal zurück zu Ihnen, in welche Schule sind sie gegangen?
B: Das erste Jahr noch von der Fenzlgasse aus, ich bin schon mit fünf dreiviertel Jahren in die Schule
gekommen, weil, es waren offenbar damals zu wenig Kinder da, und da haben sie also auch den
Einschreibtermin auf den September vorverlegt. Da bin ich schon vor meinem sechsten Lebensjahr in die Schule
gekommen. Das erste Jahr eben nur um den Häuserblock herum in die Goldschlagstrasse, und dann sind wir auf
die Alser Strasse. Ecke Fenzlgasse Beckmanngasse. Ich habs nur in Erinnerung gehabt, da war ich einmal dort,
da ware s völlig leer, es hat keine Arbeiter mehr gegeben, es hat gar nichts gegeben, nur grosse Schleifsteine.
I: Wann war das?
B: Das muss schon nach dem Tod meines Vaters gewesen sein, also 1915. Damals hat die ganze Gegend bis zur
Märzstrasse hinaus den schönen Namen Stemmeisenviertel gehabt. Ja, wenn ein Einbrecher irgendwo erwischt
worden ist, ist er aus der Gegend gewesen. Auch der ganz grosse, der berühmte, der Einbrecher Herr
Breitwieser, der so eine Wienerische Art Robin Hood war, war ja von dort. Das war das Stemmeisenviertel und
ich belustig mich immer wieder wenn ich in die Gegend komm wie die anders ausschaut und ich seh, wie sich
die Welt verändert hat. Ein zweites derartiges Viertel war in der Brigittenau, noch in der Zeit, in der ich dort
eingesperrt war, die Gegend Wintergasse, also, nicht weit vom Gaußplatz. Es war ein ausgesprochen jüdisches
Viertel, also nicht die Beckmanngasse, die war überhaupt nicht jüdisch, das war das jüdische Subproletariat,
sowas hats auch gegeben. Und dann sind wir übersiedelt und da wäre die Schule in der Gilgegasse zuständig
geworden, war aber Kriegsspital, so daß ich bis fünften, in die Geblergasse in Hernals gehen musste. Man hat
damals keine Bedenken gehabt, die Kinder auch über die Kreuzungen und den Gürtel gehen zu lassen.
I: Da war auch noch nicht so viel Verkehr, ja?
B: Na sicher nicht, nein, überhaupt nicht. Das Auto war ja noch eine Seltenheit, und erst recht im Krieg.
I: Und wie, da sind sie gelaufen.
B: Ja sicher, hat ja keine Rolle gespielt in dem Alter.
I: Haben Sie sich gut gefühlt in der Schule, sind Sie gern in die Schule gegangen?
B: Ich weiss es nicht mehr, ich weiss es nicht mehr. Unglücklich war ich sicher nicht. Hab eine Freud gehabt wie
jeder Bub, aber dann sind auch schon Probleme gekommen. An eines kann ich mich erinnern, es war noch in der
Geblergasse, da hab ich eine Lehrerin gehabt, die hab ich sehr verehrt. Die hat auch einen schönen grossen
Busen gehabt. Und Isabella Gerasch hat sie geheissen, war auch damals ein bekannter Schauspieler, der so
geheissen hat, und wie meine Leute zu Haus draufgekommen sind, daß ich die Lehrerin so verehrt habe, bin ich
ständig ihrem blutigen Hohn ausgesetzt worden. Na ja, aber meine Generation hat davon gelernt, daß auch
Buben mit acht, neun Jahren schon auf so was schaun. Die Befreiung der Sexualität von einigen Tabus ist schon
eine grosse Errungenschaft unsere Zeit. Wenn ich so zurückdenke, auch die Auswirkungen auf mich, die
Prüderie dieses Milieus war, vor allem des Frauenmilieus, die hat schon einiges angerichtet. Das war sehr
bezeichnend für diese ganze jüdische. Das eigentliche Proletariat war da viel lockerer, aber das war die offizielle
Moral, die offizielle kleinbürgerliche Moral und die war sehr stark, die jüdische Moral. Und die, die aus dieser
Moral ausgebrochen sind, wie eben Sigmund Freud, die Psychologen, noch ein paar andere Namen, auch
Schriftsteller, die waren ja....
I: Hat ihre Mutter gelesen?
B: Sie hätte es gern, aber die Arbeit, die sie gehabt hat, gerade weil in der Zeit die Firma Langbein sie ja auch
beschäftigen wollte, und meine Schwester hat eine Schneiderlehre gemacht, aber nie einen Posten gekriegt, und
hat dann eben auch, zeitweise auch in der Firma als das gearbeitet, was man heute Designer nennen würde, als
Modemacherin. Die Heddy war sehr talentiert und eine sehr gute Schülerin.
I: Haben Sie eine gute Beziehung zu ihrer Schwester gehabt?
B: Ja, die ganzen Beziehungen waren sehr gut, in jeder Hinsicht und die haben sehr auf ihre Leute geschaut. Und
meine Leute haben, auch wenn die Kollektionen geliefert waren und an sich nichts, kein Geschäft da war, haben
meine Leute bei den Musterkollektionen für die nächste Saison immer auch die Arbeit gehabt. Das war vielfach
Nachtarbeit, da mussten sie bis zwei Uhr oder drei Uhr in der früh die Arbeit fertig haben, damit sie sie um acht
in der früh liefern können. Ich hab einmal, das hab ich ja geschrieben, wie bin ich zum Lesen gekommen. Hat
meine Mutter einen Anfall gehabt, hat die Hoffnung gehabt, daß sie auch einmal ein Buch lesen kann, und ist
eben da in die Leihbücherei in der Feldgasse gegangen, na ja und da hat sie versprochen, mir auch was zu lesen
zu bringen. Ich kann mich erinnern, wir haben in der Wohnung neben der Tür den grossen Kasten gehabt, in
denen damals die sehr grossen Gasometer drinnen gesteckt sind. Ich bin die ganze Zeit, ich muss noch sehr klein
gewesen sein, das muß, wir sind 1916 hin, das muss 1917 oder was gewesen sein, bin die ganze Zeit neben dem
Glaskasten gehockt, zu warten, bis meine Mutter kommt und mir was zu lesen bringt. Und das Buch, das sie mir
gebracht hat, war die Beschreibung der Reise des Vasco da Gama.
I: Das ist ja sicher interessant.
B: Ja, sehen Sie, das will ich ja zeigen. Das ist diese Tradition, die charakterbildend war in der
Sozialpsychologie, in der Einstellung debüssiert??? hat. Sicherlich, ich kann mich erinnern, es hat auch
Vorurteiele gegeben. Meine Grossmutter, so mütterlicherseits, die war immer dagegen, einen jüdischen
Handwerker zu nehmen. Aus dem Vorurteil, a Jud, der a Handwerker wird, war nicht imstand einen geistigen
Beruf zu erreichen. Es hat nur ein paar Handwerker gegeben, die toleriert waren. Der eine war ja in meiner
Familie väterlicherseits, das war der Goldarbeiter, heute würde man ihn Goldschmied oder Juwelier nennen und
Schneider. Mein Großvater väterlicherseits war ja sein ganzes Leben, sein ganzes Berufsleben, soweit ers
konnte, bis zu seinem Tod, eben auch wieder durch Unfall, der Zuschneider bei der Firma Tiller auf der
Mariahilferstraße. Und die Firma Tiller auf der Mariahilferstraße, ich glaub, sie besteht jetzt noch, war jene
Firma, bei der ein österreichischer Offizier, ob er jetzt in Brody oder in Raguza oder in Ala oder in Wien war,
seine elegante Ausgehuniform hat machen lassen. Und da war mein Grossvater Zuschneider.
I: Das waren diese zwei Berufe, die akzeptiert wurden.
B: Ja, und dann hat´s vielleicht noch einen dritten gegeben und das war alles, was mit Buchdruck zu tun gehabt
hat. Ich bin in der Zeit meiner ersten Arbeitslosigkeit einmal eine Saison für ein Unternehmen recherchieren
gegangen von Rechercheure für Ratenhändler.
I: Und was wurde recherchiert?
B: Die Bonität der Ratenkunden. Aber auf Raten gekauft hat man auch Schuhe. Der Arbeitslose, oder auch
Kleinverdiener hat sich auch Schuhe damals nicht auf einmal leisten können und hat sie auf Raten gekauft. Das
war eine genossenschaftliche Auskunftei, das war danach 1934 und da haben ich und meine Kollegen, mich hat
das auch der Hans Kunkel??? Hingebracht, der dann in Buchenwald umgebracht wurde, mit dem ich in der
Illegalität sehr verbunden war und da sind wir oft in der Leopoldstadt zu Taubstummen gekommen, die
Buchdrucker-oder setzer waren. Und da war es immer wieder so, daß die Kinder die Tür aufgemacht haben,
wenn man geläutet hat. Die waren auch oft mit Taubstummen verheiratet. So, ich hab ja auch einen Onkel und
eine Tante gehabt, die taubstumm waren. Und der Max, der Opernsänger, der war zwischen ihnen. Ja, wenn Sie
wollen, hat das auch zum jüdischen Leben gehört, es hat nur mit Religion nichts zu tun gehabt. Und das war
eben das assimilierte Wiener Judentum. Ja und da bin ich also dann in die Geblergasse gegangen, und gegen
Ende des Kriegs haben sie aber die Gilgegasse wieder geräumt und da bin ich dann ads letzte Jahr wieder in die
Gilgegasse gegangen. Und die Schule existiert ja auch jetzt noch. Und meine Schwester in den Häuserblock auf
der anderen Seite, in die Lazarettgasse. Ich beschreib das ja auch wieder in meinem Buch, ich war der Einzige in
dieser Klasse, der in die Mittelschule gegangen ist. Die Anzahl war damals noch sehr gering. Und meine Mutter
hätte mich nicht getraut, mich in die Mittelschule gehen zu lasse, weil sie befürchtete hat, was dann auch
gestimmt hat, daß es materiell nicht packt, daß ich doch schauen müsste, in eine Lehre zu kommen und
möglichst bald zu verdienen. Und da haben wir dann einen Lehrer gehabt, der aus dem Krieg zurückgekommen
war, der hat Hobinka geheissen, und ich bereue bis heute noch, daß ich nach dem Krieg ihn nicht gesucht hab.
Ich hab ihn dann mal im Telefonbuch gesucht, da war er als Landesinspektor i.R. im Telefonbuch. Und der ist
zurückgekommen, wir hatten dann einen Lehrer, der hat Schüler misshandelt, der hat mit dem Rohrstaberl
grausam geprügelt. Mich nie, ich war immer so einer, ich hab immer lauter Einser gehabt, in der Volksschule,
dann nimmer, dann überhaupt nicht mehr.
I: Wodurch kam das, daß Sie dann keine guten Zensuren mehr Hatten?
B: Erstens nicht die Zeit, nicht den Rückhalt, ich war völlig auf mich allein gestellt. Vor allem dann in der
Vierten, hab ich auch einen anderen Buben betreuen müssen, der hat auch die Zeit genommen. Das war dann
schon schwer und vor allem, in geometrisch Zeichnen, Zeichnen, Turnen hab ich immer schlechte Noten gehabt.
I: In Turnen auch?
B: Ja.
I: Aber geometrisch Zeichnen, dazu braucht man was Bestimmtes.
B: Nein, man hat Geräte gebraucht, eine Redisfeder??? Und Tusche usw. und da hab ich nur immer das aller
entsetzlichste und schlechteste Material gehabt. Ich hab immer nur die Tuschflecken auf den Zeichnungen
gehabt und die Linien, die ausgefahren waren, weil ich das Zeug nicht gehabt hab.
I: Sagen Sie, waren Sie eine Ausnahme, oder gab es mehrere Kinder in der Klasse, die
B: Wahrscheinlich, ja, eine negative Auswahl war ich nicht. Schlechter, als ein Dreier war es nie, fünf Noten
haben wir gehabt.
I: Nein ich meine eine Ausnahme, daß Sie viele Dinge nicht hatten, die die Mehrheit hatte?
B: Geistig, oder materiell?
I: Materiell, nicht geistig!
B: Da waren die Unterschiede schon, obwohl sie dann in der Mittelschule, unsere, also in der Volksschule
überhaupt nicht. Das war reines Proletariat, sehr armes Proletariat und etliche Kinder, ich kann mich erinnern,
den Tag in der früh dann, wie der Krieg zu Ende war, sind die Buben, heit ist mei Vater ham komme, heit is mei
Vater ham koome, habens erzählt, nicht? Und dann hats ein paar gegeben, bei denen der Vater nicht ham komme
war. Das haben wir schon gespürt, nein das war reine Proletariat, bei denen die Mutter in die Fabrik gegangen ist
und irgendwohin arbeiten gehen mußte. Und wir haben uns immer im Zimmermannparkhaben wir uns getroffen
und herumgetollt.
I: Und später?
B: Da ist allerdings schon etwas herein gekommen, was in der Beziehung nicht uninteressant ist, die Welle der
ostjüdischen Flüchtlinge. Und da hats zwei oder drei, drei oder vier in meiner Klasse gegeben, Silberstein,
Rappaport, die sind von dort gekommen, und die waren anders.
I: Wie waren die?
B: Ghetto. Und ich kann mich erinnern, ich bin einmal beim Silberstein in der Wohnung gewesen, das war in der
Zimmermanngasse, gegeüber dem Kinderspital, und ich war schockiert. Leere Zimmer, desolate Zimmer ohne
Möbel, mir erscheinen riesige Menschen in Kaftan, Bärte, Pajes und so in einer mir völlig fremden Sprache
diskutierend und diskutierend. Das war für mich eine fremde Welt. Und das wars! Und das war auch diese
grosse Antisemismuswelle, die damals eingesetzt hat. Und ich bin, und da glaub ich war ich der Einzige in der
Klasse, irgendwo dazwischen gestanden. Ich war auch Jud, irgendwie hab ich zu denen gehört, irgendwie hab
ich gar nicht zu denen gehört, irgendwie bin ich mit denen in die Canisiusgasse, Ecke Nußdorferstrasse, dieses
Haus war eine Schule damals, in den Religionsunterricht gegangen.
I: Sie sind in den Religionsunterricht gegangen, ja? Das haben Sie mir gar nicht erzählt!
B: Natürlich, ja. Religionsunterricht haben wir in der Schule gehabt. Ich weiss nicht von welcher, wahrscheinlich
von der zweiten oder dritten Klasse, aber nicht in der Schule, separat, in der Cannisiusgasse.
I: Und dort haben Sie gelernt lesen, Gebete?
B: Weiss ich nicht, Gebete, ich glaube eher die Geschichte, die Schöpfungsgeschichte.
I: ????????
B: Ich glaube ja, oder haben wir die erst in der Mittelschule gehabt, das weiss ich nicht mehr.
I: Und wie war das für Sie, war das interessant?
B: Lästig wars!
I: Lästig?
B: Ja, einmal in der Woche, öfter wars, glaub ich nicht, musste ich den Weg von der Alserstrasse in die
Carnisiusgasse laufen und wieder zurück. Strassenbahn ist man natürlich nicht gefahren, da hat mans Geld nicht
gehabt. Auch lang nachher nicht. Da hab ich keine Empfindung mehr, obwohl ich jetzt die letzten 42 Jahre
zehntausende Male dran vorbeigefahren bin und immer noch tue.
I: Sagen Sie, und die Ostjuden, als die Kinder in die Klasse kamen .
B: Sie haben auch mich angefeindet.
I: Ich wollt gerade fragen, haben Sie sich zu denen zugehörig gefühlt, weil Sie sagen, sie haben den besucht zu
Hause? Also irgend eine Verbindung war schon da, oder gar nicht?
B: Ich glaub, das ist ein Punkt, ein Thema, von dem ich glaub, man sollte es nicht so sehr, die Schweden würden
sagen, man soll es nicht so sehr „pressen“. Derartige Gefühle, Zugehörigkeit, Nichtzugehörigkeit sind ja oft sehr
ambivalent und wechselnd.
I: das hat mich jetzt privat interessiert!
B: Schauen Sie, wenn ein Kind dazu geschoben wird, gehört es dazu, ob es will oder nicht. Das reflektiert ja
auch nicht, gehör ich dazu oder nicht dazu. Es wird dazu geschoben. Aber andererseits muss auch ein
Eifersuchtsgefühl mir gegenüber gewesen sein, weil es einmal eine sehr unangenehme Geschichte gegeben hat.
Da sind wir sicherlich aus dem Religionsunterricht gekommen von der Carnisiusgasse, und, Sie kennen den Park
zwischen Spitalgasse und Währinger Strasse, dieses Dreieck? Dort steht jetzt auch eine Tafel, auf der
Arne-Carlsson?? Park steht. Das ist auch etwas, was in meinem späteren Leben eine Rolle gespielt hat. Und vor
dieser Tafel ist eine Abschrägung des Trottoirs gewesen. Und irgendwie haben wir dort, oder haben sie mich
dort angegriffen, a Bubenbalgerei. Das war im Jänner 1917. Und ich bin ausgerutscht und hab mir das Bein
gebrochen und sie haben mich dort liegen gelassen. Und ich habe mich dann irgendwie, ich glaube in den
„Fünfer“ heneingearbeitet, der ist damals noch anders gefahren als jetzt, der ist die Skodagasse hinaufgefahren,
Spitalgasse, Alser Strasse, Skodagasse hinauf. Dort habe ich mich irgendwie aus der Srassenbahn rausgehantelt,
und dort hat mich dann ein Herr, der bei uns im Haus gewohnt hat, aufgeklaubt und nach Haus getragen. Auch
das ist eine weitere Geschichte, die noch einiges nach sich.., der hat Hönigsberg geheissen. Aber das ist eine
andere Geschichte, die kann ich dann separat erzählen. Es war also auch, und dann waren wir bös. Und ich
glaube, ich war gar nicht bös, daß wir bös waren. Und der Fuss ist mir auch damals nicht geheilt. Da war ich im
Allgemeinen Krankenhaus und wie sie mir den Gips runternehmen wollten, wars nicht geheilt, weil wir alle
unterernährt waren. Und da haben sie mir als Heilmittel eine Flasche Lebertran mit nach Haus gegeben, dann
wars geheilt. Es hat sich bei mir alles so irgendwie verdoppelt, was ich erlebt hab. Aber über Hönigsberg hätt ich
dann noch einiges zu reden und übrigens kann ich dann auch was zeigen. Ja, ich muss allerdings sagen, in der
Rückschau, es sind offenbar viele von den Flüchtlingen, ich hab nie irgendwie welche Quellen gelesen, gehört,
es müssen viele zurück gegangen sein, wie der Krieg zu Ende war und ich muss sagen, daß die Jungen aus dieser
Schicht sich unglaublich schnell hier integriert und auch an das hiesige Judentum assimiliert haben. Und das
macht, es ist irgendwie eines der vielen Tabus, die es heute auch meiner Überzeugung nach gibt. Das man also
diese Dinge unter den Tisch kehrt, die haben ihre Rolle gespielt, die haben die Leute verschreckt. Schaun Sie,
was soll ich Ihnen sagen. Ich war dann bei „Lederer&Wolf“ in der Lehre und dann auch angestellt. Wenn wir
eine Kundschaft aus Galizien gehabt haben, dann haben wir gewusst, wir müssen einen höheren Preis verlangen,
damit er uns herunter handeln kann. Das war bei einer österreichischen überhaupt nicht die Rede, aber das war
auch bei einer ungarischen oder serbischen oder bulgarischen Kundschaft oder einer kroatischen überhaupt nicht
die Rede. Da hat man den Preis genannt und der Preis wurde entweder akzeptiert oder nicht. Es hat nur eine
andere Kundschaft gegeben, die in dem Fall noch krasser war, das war die Kundschaft aus Alt Rumänien. Nicht
aus Neu Rumänien, nicht aus Siebenbürgen. Siebenbürgen war Europa und ist es sicher auch heute noch. Aber
wir haben für Ausland, haben wir Schweizer Franken Tarife gehabt, in drei Stufen je nach der Bonität der
Kundschaft. Aber Kundschaft aus Jassy ( jetzt Iasi ,) oder Braila, oder Bukarest, hat noch einen kräftigen
Zuschlag gehabt und zwar deswegen, man hat nur gegen Wechsel verkauft. Und eine Kundschaft hat als gute
Kundschaft gegolten, wenn der Executor das dritte mal gepfändet hat. Das war Alt Rumänien. Und das ist bis
heute. Ja, aber wie gesagt, und das war vielfach auch, das waren Juden, das waren Armenier, das waren, was
weiss ich, Leute aus welchen Nationen, sicher keine Rumänen. Die Rumänen waren ja nur das Proletariat.
Deswegen nach dem Krieg, aber lang nachher, da war schon die Wende da, hab ich einmal ein Essen gehabt in
der AUA, da war ich auch schon ausgeschieden. Hab ich eine Frage aufgeworfen in Zusammenhang mit dem
Osten, mit Odessa, da haben die anderen zu lachen angefangen und haben gesagt, ich wäre der einzige alte
Österreicher. Aber das war die Welt!
So, wo soll ich wieder hinsteigen?
I: Steigen Sie jetzt in ihre politischen Tätigkeiten.
B: Ja, entschuldigen Sie, ich will jetzt noch, Sie haben mich um die Schule gefragt. Und da ist der Lehrer
Hobinka gekommen, das war auch unerhört, daß ein Lehrer zu den Eltern nach Haus kommt, er hat mir immer
schon imponiert, denn er ist noch in die Klasse gekommen in Uniform, in Wickelgamaschen. Der österreichische
Soldat war ja auch für den Deutschen, nicht der deutsche Soldat hat Stiefel gehabt, der österreichische Soldat hat
Wickelgamaschen gehabt und war der Bruder „Schnürschuh“, der Kamerad „Schnürschuh“, und ist zu meiner
Mutter gekommen und hat ihr zugeredet, sie soll mich in die Mittelschule gehen lassen. Und meine Mutter hat
sich, sicher nicht ungern, überreden lassen. Und deswegen sag ich, es tut mir noch heute leid. Und der Hobinka
hat die Schulreform, die damals neue Schulreform gebracht. Ich hab nur das Pech gehabt, die ist immer ein Jahr
vor mir , ich bin immer ein Jahr nachgehinkt. Da hat man dann auf einmal keine Schulbänke mehr gehabt,
sondern Pulte und Stühle und alles mögliche andere, was vorher unerhört war. Die „glückliche“ Schule war eine
wirkliche Revolution und hat auch unsere Leute und unsere Jugend, unsere Jugendzeit wirklich begeistert. Und
da bin ich also in die Albertgasse gegangen, und da hab ich also schon geschildert, aber dort war ein eben ein
völlig anderes Milieu. Klassenaufteilung hab ich geschildert, der Grossteil der Lehrer war, weibliche Lehrer hats
ja nicht gegeben, nur männliche. Koedukation, die ist in späteren Jahren an einer Klasse probeweise eingeführt
worden. Etwas, was uns dann in der Jugend zur starken Opposition getrieben hat, zum absoluten Grundsatz in
der Jugendorganisation, die Koedukation zu forcieren und einzuführen, hat uns auch von den Pfadfindern dann
weggetrieben, unter anderem. Die Lehrer waren konservativ, vielfach deutschnational, sind vielfach aus den
katholisch oder national aus den schlagenden Verbänden gekommen. Von Antisemitismus, einen offenen
Antisemitismus hat man eigentlich nicht gespürt. Auch diese Unsitte bei Lehrern, einzelne Schüler zu
favorisieren, hat eigentlich nicht darauf hingedeutet. Aber, Sie haben vorhin sich ein bisschen gewundert, daß ich
in Turnen eine schlechte Note gehabt hab, klar, der Turnlehrer, an den kann ich mich sehr gut erinnern, war ein
jüngerer, hat einige Schmisse gehabt, der typische Körperbau des deutschen Turners. Diesen herausgewölbten
Brustkorb, und das Turnen war Geräte turnen, war Barren, Pferd, Mutübungen, von Gymnastik keine Spur. Die
Bodengymnastik haben wir uns bei den Jugentlichen dann eingeführt. Mit unseren eigenen Mädxhen, die an der
Universität unter anderem also ausser ihr, weiss ich, Germanistik, Romanistik noch das Turnen auch gehabt
haben.
I: Aha, das wusst ich nicht, daß ???Unterricht war, also Leichtathletik, das war gar nicht?
B: Es hat dann später einen Spielplatz gegeben, da ist Völkerball gespielt worden, aber sonst nichts.
I: So, und dann mussten Sie die Schule...
B: Musste ich sie nach der vierten verlassen, weil, die Mutter konnte nicht mehr. Schulgeldbefreiung musste man
erreichen mit dem Armenzeugnis, dem Mittellosigkeitszeugnis, da musste ich zum Armenrat gehen. Der
Armenrat ist dann später Fürsorgerat genannt worden. Der war im Hause Alser Strasse 10 in einer kleinen
Proletarierwohnung. Denkbar freundlich, denkbar nett hat er mir einen Stempel drauf gegeben. Aber für mich
auch die Pikanterie, daß ich später als Chef der Städtischen, in dem das Haus, Besitz der Städtischen, das Haus
Alser Straße 10 gehabt hab. Und der Fürsorgerat ein Angestellter der Zentralsparkasse war. So sind die Wege
manchmal gegangen. Schulmittel waren ein Problem, sehr antiquarisch irgendwo, da hab ich durch Wien einmal
durch rennen müssen und die Geschichte mit dem Putzker Atlas hab ich geschrieben, der steht dort. Der ist noch
immer gut als Atlas, als historischer Atlas. Ja, Greunde. Hab ich einen Freund gehabt, den Schurl Brauner, der
Vater war Bankbeamter mit einer sehr hysterischen Mutter, bürgerliche Verhätnisse. Der ist dann nach
Traiskirchen gekommen, das war eine Schule für Begabte. Die ist dann NAPOLA geworden und ist jetzt das
Flüchtlingsheim.
I: Die war Napola, diese Schule?
B: Die war NAPOLA, ja, dadurch ist ja der spätere Minister Resch in den Verdacht gekommen, Nazi gewesen zu
sein. Er war auch Schüler dort und wie die Nazis gekommen sind, ist er in den Lehrerstand ünernommen
worden. Und der Schurl ist nach Traiskirchen gekommen und der hat mich für die Pfadfinder geworben. Aber
kaum war ich dort, ist er weg. Das hat ihm entsprochen. Ich hab ihn dann später in der Illegalität, er war,
natürlich war er Kommunist, war auch mit einer aus Ostgalizien stammenden Kommunistin liiert. Ich sag das
aus einem bestimmten Grund: Und sie lebt noch und wir haben noch irgendwie Verbindung. Und er ist dann
eines Tages, das heisst nicht eines Tages, sondern im April 1940, ist er mit seiner Frau, er war nach Dänemark
emigriert, er ist dann mit ihr nach Paris und dort hat ihn die „Rote Hilfe“ einfach rausgeworfen. Jetzt bist du
uninteressant, jetzt müssen wir andere Leute unterstützen. Das waren die Kommunisten! Dann hats ihn nach
Dänemark verschlage, die Flüchtlinge sind bis auf einen alle davongekommen, vielfach aus verschiedenen
Gründen, also er ist auch, sie sind auch über den Sud gekommen, und da ist er in Stockholm aufgetaucht und wir
waren dann den ganzen Krieg in loser Verbindung. Er war aber immer ein Aussenseiter, und sie eigentlich dann
durch ihn auch. Sie hat sich dann mit meiner Frau sehr angefreundet. Er war Spitalarchitekt, er hat immer
Spitäler, jeden Wettbewerb in der Welt für die Erbauung eines Spitals hat er sich beteiligt. Aber dann hat er
einen Posten gekriegt bei den schwedischen Eisenbahnen, er hat keine Spitäler, sondern Eisenbahnstationen
gebaut. Wir waren also dann, wie ich schon hier war, immer wieder in Verbindung, auch mit ihr, sie war
Chemikerin, sehr hoch qualifizierte Chemikerin, und hat in Stockholm gearbeitet und ist mittags oft zu meiner
Frau gegangen und schwärmt heute noch von den Griessuppen meiner Frau. Da hat es noch eine dritte dazu
gegeben, eine Österreicherin. Ich erzähl das nur deswegen, weil sie eine Tochter gehabt hatten, die Annelie. Und
diese Annelie ist eine extrem hochqualifizierte auf dem Gebiet der Medizin und Biologie im Allgemeinen
Krankenhaus von Schweden und ist verheiratet mit Jöran Jöranson. Der ist der Chef der Diabetiker, und hat zwei
Töchter, und da gibt’s jetzt eine Verbindung zwischen denen und meiner Tochter Marianne und ihrem Mann.
Und sie lebt auch noch. Er ist gestorben. Deswegen erzähl ich das so, das war Schurl. Also wie gesagt, da bin ich
zu den Pfadfindern gekommen und in der Pfadfindergruppe, die haben wir dann im Jahr 1926, nicht wir allein,
andere Gruppen auch, zur sozialistischen Jugend gebracht. Das heisst, ich bin bei der sozialistischen Jugend
gelandet, ein anderer eben, der dann in den Februarkämpfen verwickelt war in der Leopoldstadt, der Wiili Ernst,
und der Kurt Weiss, unser letzter Pfadfinderführer hat dann mitgeholfen, die damals neuen „Roten Falken“
aufzubauen, in der Inneren Stadt und dann auch Zentral. Weitere Geschichte Sinjabel Alcasar, die da in unserem
Clan auf dem Bild ist, ist die Enkelin von Kurt und Elfi Weiss, und die Sylvia ist seit elf Jahren bei uns hier, hat
Medizin gemacht, hat jetzt den Turnus fertig, hat Dom Elmauer geheiratet und ihre Mutter, ihre Tante ist seit eh
und je Chefdolmetscherin in New York, die andere, also die Mutter der Sylvia, die Anita, bei der bin ich morgen.
Die sind praktisch rückemigriert. Mit ihrem Mann, der jetzt die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen
hat, den Octavio bel Alcasar. Die andere Tochter, die meine Frau besonders geliebt hat, die Monika, hat jetzt in
München fertig studiert, hat sich jetzt in London etabliert. Und die sind ein Fall von Reemigration. Das sind die
Leute, bei denen ich Zuflucht gefunden hab, wie ich von so einem SA Trupp gefasst worden war auf der Alser
Strasse und denen durchgegangen bin und mich nicht mehr nach Hause getraut hab. Die sind aufgewachsen im
Haus Ecke Berggasse und Lichtensteinstrasse im obersten Stock. Und das sind die Kinder und die Enkel. So,
jetzt können wir mit der Schule aufhören, gehen wir weiter.
Wie lang halten Sie´s noch aus?
I: Ich halte das aus.
B: Na, ich auch.
I: Für mich ist das kein Problem, Sie müssen sagen, wenn Sie nicht mehr können.Ja, da hats so
B: So, vielleicht fragen Sie wieder einmal!
I: Schule zu Ende, dann kam die Lehre.
B: Ja, da hats so eine ?????? Organisation gegeben, die hat sich so ein bisschen uns angenommen gehabt, und da
hats einen Hugo Winter gegeben, der war irgendwas in der Universal Edition, die Ihnen ja ein Begriff ist, nicht?
Und der hat einen Vetter gehabt, den Felix Wolf und der Felix Wolf war Eigentümer, Miteigentümer und Chef
der Firma „Lederer&Wolf“. Die Firma „Lederer&Wolf“ habe ich also beschrieben, sie war parallel mit der
Firma „Hermann Pollacks Söhne“ die führenden Firmen im damaligen Kaiviertel, im Fetzenviertel, das ist also
die Gegend Schottenring/Franz Josefs Kai, Morzimplatz, Salzgries. Da hats also an Textifirmen alles gegeben
von oben bis unten, verschiedenster Art usw., in einem unerhörten Gemisch von sehr stark jüdisch, und zwar
jüdisch in allen Varianten, die es gegeben hat. Von dem kleinen orthodoxen Juden, der ein sogenannter
Manipulant war, der noch in Pejes und im Kaftan gegangen ist, und am Samstag zugemacht hat, bis zu jüdischen
Grossaristokraten, für die sich die Lederer, die Wolfs und die Pollacks gehalten haben. Die dann auch ihre Villen
in der Jacquingasse neben dem Richard Strauss gebaut haben. Nichtjuden, die oft mehr gejüdelt haben, Juden
habens vermieden zu jüdeln, um nicht mehr als Juden im Vordergrund zu stehen, aber die Nichtjuden haben sich
das Jüdeln als Sport angewöhnt und konnten dann oft gar nicht mehr anders. Es ware in sehr gemischtes Milieu,
in jeder Hinsicht. Es war absolut tief gekennzeichnet durch die ganz schwere Wirtschaftskrise, es hat damals die
Vorarlberger als Grabler, als Neukömmlinge gegeben, bei denen sicher nie ein Jud angestellt war. Das war nicht
der Nazismus, das war der christliche Antisemitismus. Tja, Chefs waren meistens Juden, die inhaben. Und da hat
dann einmal ein Untermieter meiner Mutter, das war ein Mann aus Hannover, Reinhard hat er geheissen, mit
einer jüdischen Frau, Freundin, das war eine Graphikerin, die hat eines der Zimmer bei meiner Mutter hemietet
gehabt als Werkstatt, ein extremer Sozialdemokrat natürlich, der hat die Leitung der Firma Mercedes
übernommen, aber nicht Autos, sondern Büromaschinen, deren Fabrik in Zella-Mehlis in Thüringen war, und da
hat er mich mitgenommen. Und ich hab gesehen, dass die verstanden, dass diese ganze Firma „Lederer &Wolf“
zugrund geht. Wir sind bezahlt worden, haben aber überhaupt nichts mehr zu tun gehabt. Und für einen jungen
Menschen acht Stunden herum zu stehen, zu tun, als ob er was täte. Wir haben uns immer zusammen getan,
haben die Stellagen ausgeräumt, um sie wieder einzuräumen. Ja, das ist schrecklich, weil auch das Zeitgefühl
eines 18jährigen ein anderes ist. Da habe ich noch geschwind Maschinen schreiben gelernt, und bin also dort ins
Büro gegangen, aber es hat nicht lang gedauert, da habens auch den Reinhard da rausgeschmissen und mich
habens auch rausgeschmissen. Und da war ich das erste Mal arbeitslos. In der Zwischenzeit haben sie nämlich
die Fabrik in Zella-Mehlis auf das umgewandelt, was sie ursprünglich war, nämlich eine Pistolenfabrik, eine
Waffenfabrik. Und sie haben also nicht mehr Schreibmaschinen und Rechenmaschinen erzeugt und verkauft. In
dem Haus, das war am Burgring fünf, wie ich für die „Städtische“ die „Donau“ erworben habe, hat das Haus ihr
gehört. Vielleicht war es ein Triumpf.
Da war ich arbeitslos, inzwischen bin ich auch Obmann der Jugendlichen der Inneren Stadt gewesen, und da war
dann imJänner 1930 irgendeine Veranstaltung in Bad Fischau und da hat mich der damalige Sekretär der
Organisation gefragt, ob ich nach Salzburg gehen will. Und damit bin ich zur „Städtischen“ gekommen. Und das
ist dann halt ein weiteres Kapitel. Und nach einer Zeit war ich Jugendlichen Obmann der SAJ Salzburg. Damit
hat das Salzburger Kapitel begonnen.
Wollen Sie weiterfragen?
I: Wie lange waren Sie dann in Salzburg?
B: Mein ofizieller Dienstantritt war der 22. Jänner 1931. Eingesperrt wurde ich, von der Polizei geholt wurde ich
Ende April, bin dann gesessen, hab dann versucht, mich noch in Salzburg zu halten, und bin dann im September
oder Oktober wieder nach Wien zurück, 1934.
I: Und da kannten Sie aber Ihre Frau schon, ihre spätere Frau?
B: Meine Frau habe ich irgend einmal 1932 kennengelernt, und da haben wir dann einmal, da ist der Josef
Pfeffer auch hinaus geschickt worden, das war der Jugendlichen Obmann Meidling vorher, und wir waren sehr,
sehr gute Freunde, sehr eng verbunden, die einzigen Weaner. Ich meine das war ein Antisemitismus einer
anderen Sorte, nicht, die Salzburger und die Weaner. Und er war ja dann derjenige, der ??? alle Partei bis nach
Schladming, Tirol, Innviertel aufgebaut hat und dann letzten Endes auf einem Transport zwischen
Sachsenhausen und Bergen-Belsen umgebracht wurde. Einer unserer wirklich grossen Helden, einer der
vergessenen Helden. Ja, und da haben wir ein Jugendtreffen in Schwarzach veranstaltet, ich hab die Anni schon
vorher gekannt, ihr Vater war Eisenbahner, der alte Pusterer, 48 Jahr war er, ist pensioniert worden, die Ehe ist
auseinander gegangen, die Frau ist mit den drei Töchtern und dem Sohn nach Salzburg übersiedelt. Ich hab sie
schon von einer Jugendschule aus der Organisation gekannt. Bei dem Jugendtreffenist dann unsere verbindung
zustande gekommen. Da gibt’s auch wieder für mich einen lustigen Bezug. Um uns bei diesen Jugendtreffen zu
helfen, hat uns die Wiener Zentrale einen Wanderlehrer, die hat es so bei den Kinderfreunden gegeben, die
haben auch uns geholfen, geschickt, und der ist mit seiner Freundin gekommen. Und diese Freundin hat Gretl
Pospischil geheissen. Ich kann mich an den Namen Eine der beiden Damen, mit denen ich noch Verbindung
hab, mit der Gretl hat also dann im weiteren komplizierten Verlauf aller unserer Leben den Paul Neurath
geheiratet, war mit dem dann viele, viele Jahre in Amerika. Wir waren aber auch immer wieder in Verbindung.
Dann ist der Paul voriges Jahr gestorben, einen schrecklichen Tod, mit viel Tragik rundherum und Katastrophen
rundherum, und ich bin die ganze Zeit da mit verwickelt gewesen, gefragt worden und konnte auch helfen. Und
jetzt bin ich wieder dabei ihr in einer Vermögenssache zu helfen und Donnerstag bin ich wieder bei ihr. Und ich
hab mir das deshalb gemerkt, weil das der 3. Juni 1933 war, und die Verbindung mit meiner Frau den nächsten
Tag in Schwarzach begonnen hat. 67 Jahre waren wir zusammen.
I: Das ist eine lange Zeit. Und im Endeffekt ist sie schnell vergangen?
B: Ja, sie ist schnell, sehr schnell vergangen.Es ist leider so, das muss ich gestehen, eine deer
Alterserscheinungen, der Altersbeschwerden ist, daß einem viele Dinge völlig aus dem gedächtnis wegfallen. Ich
hab viel Gedächtnislöcher, manche kommen wieder, wenn ich sie hol. Es ist ausserdem so, dass die Erinnerung
halt ältere Erinnerungen oft überdeckt. Ich muss offen gestehen, es plagt mich manchmal. Es plagt mich
manchmal, dass ich meine Frau
Wir hatten gerade in der letzten Zeit hier ein sehr ruhiges und sehr harmonisches Leben ohne alle
funktionierende Kinder, keine Familienbeschwerden, Geld mehr, als wir gebraucht haben, aber sie ist verfallen
und stark depressiv geworden. Sie hats nicht geäussert, aber ich habs gemerkt. Auch die Kinder habens nicht
gemerkt. Das hats vor den Kindern nicht gegeben. Und ich hab sie nur mehr so in Erinnerung. Ich hab sie nicht
in Erinnerung, wie sie im Jahr 1933 war, wenn dann schau ich mir die alten Fotos an, aber die lebendige
Erinnerung meiner Frau ist die der letzten Verfallsperiode. Und viel, die ganze Stockholmer Zeit, so vieles ich
lebendig in Erinnerung hab...
Wissen Sie, es ist noch etwas. Das, was sich jeden Tag gleichmässig abspielt, setzt in der Erinnerung auf der
Festplatte des Gehirns, keine tiefen Spuren. Man erinnert sich an das Leben in Bildern und in Episoden. Kleine
Episoden, mir geht’s genauso über das Lager. Sie dürfen mich nicht über den Lageralltag fragen, der in
Wirklichkeit deswegen das ärgste war, weil er dauernd war. Weil man im Lager nicht eine sekunde sicher sein
konnte, oder sich loslassen konnte. Aber an was man sich erinnert, sind die eklatanten, die sich einmal
einprägen. Ich habe keine wirkliche Erinnerung von der Fahrt im Viehwaggon zwischen dachau und
Buchenwald. Dabei weiss ich aus der Erinnerung, wir sind einfach dort gestanden wie die Sardinen, gepresst,
ohne Toilette, ohne ohne alles, Stunden, Stunden. Aber ich hab in Erinnerung, wie sie uns in Weimar am
Bahnhof aus den Waggons herausgetrieben haben und wir in die Passagiere, die aus den Lokalzügen heraus
gekommen sind, hinein getrieben wurden, und daß sie uns dann in diese Unterfahrung getrieben haben, die also
dann auch für verschiedene weiteren Dinge in unserem Leben und vor allem in Buchenwald dann sehr
massgebend und entscheidend war. Diese Periode, weils diese Szene war, erinnert man sich.
I: Ich hab gedacht, je älter man wir, um so schlechter wird das Kurzzeitgedächtnis und um so grösser wir das
Langzeitgedächtnis, daß man wirklich Einzelheiten erzählen kann, die man eigentlich Jahre vorher vergessen
hatte..
B: Man hat sie weggeschoben. Das Gedächtnis ist ein merkwürdiger... ich glaube ja nicht, daß man irgendwas
vergisst, sondern was man verliert, ist der Zugriff. Der Computer ist ein gutes Beispiel dafür. Karl Kapranik, der
auch später vorkommt, hat dann unter den Leuten, um die er sich kümmern musste und für die er sorgen musste,
waren auch immer die Witwe und die Töchter vom Oswald Richter dabei, das hab ich nicht geschrieben. Das
hab ich nicht geschrieben. Der dürfte sich in der Emigration nicht sehr gut durchgesetzt haben.
I: Jetzt müssen wir nochmal kurz zurückgehen. Also Sie haben gearbeitet, sie waren arbeitslos, kommen wir
langsam zum 38iger Jahr?
B: Na, da bin ich also, nachdem ich bei der „Städtischen“ rausgeschmissen wurde, gesessen bin,
rausgeschmissen wurde, bin ich nach Wien zurück, na ja, versucht Adressen schreiben, einmal das, einmal jenes.
Viel hat dabei nicht rausgeschaut, im Wesentlichen, die Illegalität. In der Jugend bis Sommer 1937 und da bin
ich dann in die Partei übergegangen. Und das hab ich im Buch beschrieben, ausser, Sie wollen noch was fragen.
Meine Frau ist mir dann immer wieder nachgekommen und dann im Sommer sind wir das erstemal haben wir
eine Österreich Tour gemacht und das zweitemal sind wir nach Italien gefahren mit dem Rad. Konnte man
damals noch, auf leeren Strassen.
I: Und dann kam der Einmarsch der...
B: Dann kam der Einmarsch und für uns nicht ganz überraschend. Politisch habe ich mir immer gedacht,
eigentlich war Österreich bereits im Juli 1935 soweit. Das sich das so rausgezogen hat, daß das Hitler auch noch
so rausgezogen hat, ist eigentlich sehr merkwürdig, denn von Juni 1935 an von dem Treffen Ribbentrop Tschano
in Venedig an , hat ja offensichtlich Mussolini die Herrschaft über Österreich an, durch seine Niederlagen im
Abessinienkrieg, an Hitler übertragen gehabt. Ja, aber damit hat auch die innere Demontierung fortgesetzt, die
ideologische Demontierung, wenn man will, ist das eine besondere Art der Korrumpierung gewesen. Man
korrumpiert eben Menschen durch ständigen Druck, durch ständige Drohung macht man sie mürbe, bereit zur
Kapitulation.
I: Wie haben Sie diesen Einmarsch erlebt?
B: Im November 1937 ist es der österreichischen Polizei gelungen, sowohl bei den Nazis, als auch bei uns,
grosse Teile des Apparats auffliegen zu lassen, das hat dazu geführt, daß in dem Kreis, wir hatten Wien in fünf
Kreise eingeteilt, ich war der Stellvertreter des Kreisleiters für die Bezirke 3,4,10,11. Das hat dazu geführt, das
auf der Seite der RS vier Kreisleiter eingesperrt waren, und der Fünfte, er hat mit dem legalen Namen Franz
Mayer geheissen, war nach dem Krieg in Wien bekannt als der Askö-Mayer, er war dann der Generalsekretär der
Dachorganisation der Arbeitersportverbände. Der hat gesehen, daß man ihm nachsteigt, das er unter
Beobachtung steht. Ich hab also als sein Stellvertreter dann einspringen müssen. Aber meine Verbindung war er.
Meine Weisungen, Nachrichten sind über ihn gegangen. Dann ist also Berchtesgaden gekommen. Mit
Berchtegaden ist auch die Freilassung der von, nicht wie Hitler verlangt hat, eingesperrten Nazi erfolgt, sondern
auch der Sozialisten, Kommunisten, aller politischen Gefangenen. Damit waren also die alten
Organisationsstrukturen und Leute wieder da, obwohl man der Situation noch nicht getraut hat. Und dann hat
Schuschnik den Versuch gemacht, durch eine Volksabstimmung die Dinge zu ändern, was aber in Wirklichkeit
dazu geführt hat, daß er den Einmarsch nur forciert hat. Und es war für uns also die Frage, welche Weisung gibt
die Partei, die sich als die Partei der Sozialdemokratie gefühlt hat, auch die der illegalen Gewerkschaften, der
illegalen Betriebsräte. Welche Parole gibt sie aus? Kann man den Leuten zumuten, nach diesen vier Jahren, für
Schuschnigg zu stimmen? Und ich hab die Weisung gehabt, am Freitag vor der geplanten Abstimmung, das war
eben der Tag des Einmarsches, den Bezirken 3,4,10,11 die Weisung des Zentralkomitees der Partei zu
überbringen gegen den Anschluss, also für Schuschnigg zu stimmen. Mir ist also der Wortlaut der Fragen heute
nicht mehr geläufig. Wir hatten uns in einem Gasthaus??? zu treffen, das war in einem Slum Eck, das dass
jetzige Eck zwischen Favoritenstrasse und Laxenburgerstrasse, gleich hinter dem Bahndamm. Es war ein altes
Parteiwirtshaus. Ich bin dort higegangen, ich bin natürlich, weil es konspirativ vorgeschrieben war, nicht direkt
hin gegangen. Das durfte man nicht , das hat man nicht getan, sondern man ist erst durch Gassen durch
gegangen, und hat immer versucht zu schauen, ob einem jemand nachsteigt. War aber überhaupt eine völlig
geänderte Situation. Es ist für mich in bleibender, bedrückender Erinnerung, dass die Strassen voll waren mit
Menschen. Und alles hat die drei Pfeile und die Rote Nelke getragen. Und das ist auch etwas, was in der
Erinnerung und vor allem in der Erinnerung von Leuten, die sich als „links“ dünken, völlig weg ist. Das
entspricht nicht der masochistischen üblichen Gangart. Die Leute waren aus irgendeinem nicht verständlichen
Grund der Meinung, jetzt ist also alles wieder in Ordnung, jetzt sind wir wieder da. Und in Wirklichkeit, wir
hatten eine interne Parteiinformation, die haben wir „Fini“ genannt. Die Information war in einem so langem
Format, auch mit einer Schreibmaschine geschrieben, die ganz eng war. Also auf den ersten Blick kenntlich.
Die „Fini“ ist in Wirklichkeit gemacht worden von Josef Bodlipnik, illegaler Name Korn, ein Mann der neben
Buttinger der wirkliche Kopf der illegalen Partei war, der auch heute total vergessen ist, ausser in Kärnten und in
den Archiven. Und da wussten wir bereits, da war schon die Mitteilung, die Gestapo sitzt bereits am
Schottenring, also in der Polizeidirektion. Das war nicht das jetztige Gebäude, das war dort, wo jetzt das Hotel
steht. Das ist ja dann weggebombt worden. Es war uns sonneklar, das das Regime bereits unterwandert ist, auch
in dem Apparat Aber auf der anderen Seite, die Massen draussen, in Favoriten, mit den drei Pfeilen und der
Roten Nelke. Ich bin dann also ins Lokal und statt der fünf Leute, die ich da erwartet habe, waren ungefähr
fünfzig dort. Die ganzen vorher, Favoriten hat drei oder vier Bezirksleitungen in Wöllersdorf gehabt, die da auf
einmal frei waren. Und einige andere Bezirke auch. Die sind alle dort gesessen und ich bin allein gekommen und
hab diese Weisung zu überbringen gehabt. Nun hatten die einen Sprecher schon vorher und das war der Otto
Probst. Der Otto Probst, während ich Obmann in Innere Stadt und Salzburg war, da war der Otto Probst
Jugendliche Obmann in Favoriten. Also, wir waren alte bekannte, alte Freunde. In der Illegalität haben wir
gewusst, wir sind beide da. Otto Probst hat mir gesagt, politisch verstehen wir den Beschluss absolut, aber wir
kommen jetzt alle aus den Gefängnissen aus Wöllersdorf. Wie können wir da für ein Regime stimmen. Wir
haben dann also alle gesehen, so geht das nicht, daß da fünfzig sind und ich da. Und da haben wir verabredet, wir
treffen uns Nachmittag wieder. Und schon mit dem Franz Mayer, weil man gesehen hat, es gibt keine Polizei,
gibt keine Verfolgung mehr, man kann so frei agieren. Und das haben wir Nachmittag gemacht. Und das habe
ich überhaupt nicht mehr im Gedächtnis. Da habe ich ein völliges Loch. Es muss aber gewesen sein, aber ich
glaub, wir haben überhaupt nichts geredet. Es war der Einmarsch bereits bekannt. Und da bin ich nach haus
gegangen, von wo weiss ich nicht mehr und bin durch die Spitalgasse gegangen, in der Richtung Alser Strasse
und da macht ja die Spitalmauer so eine Rundung. Und dort bin ich gestanden und konnte die Lazarettgasse nicht
überqueren, weil ein Strom von Menschen die Lazarettgasse herunter gekommen ist. Und das waren nach
Kleidern und Auftreten sichtlich die Nazi, die Nazi, wahrscheinlich aus Hernals, Währing oder irgendwo. Und
da hab ich eine Erinnerung, der ich nicht ganz trau. Mit weissen Stutzen die Frauen, mit den Röcken, mit solchen
Zöpfen auf einmal. Woher die Weiber die Zöpfe damals genommen haben, hat sich Wien damals belustigt. Auf
einmal haben die alle Zöpfe gehabt äh, blonde. Ich hab in Erinnerung, daß sie völlig stumm, nix marschiert,
gegangen, völlig. Ein regelloser Haufen, der da marschiert ist, und ich hab in Erinnerung, vielleicht täusch ich
mich, völlig stumm. Und ich bin daneben am Trottoire gestanden, und die sind dran vorbei. Keiner hat sich nach
mir umgeschaut. Und ich war damals sicher prononciert jüdisch als jetzt. Ich hab das dann in meine Biografie
schreiben wollen, und dann ist mir die Erinnerung so verdächtig vorgekommen, daß ich es unterlassen hab.
I: Dieses Stumme?
B: Ja, die ganze Szene. Und dann hat viele, viele Jahre später meine Frau das Hobby gehabt, englisch zu lernen,
das hab ich ja geschrieben, das wissen Sie ja, und hat zeitweise in der britishen library und zeitweise in der
american library sich die Bücher ausgeliehen. Und eines Tages kommt sie nach Haus, wie sie dort gesucht hat,
ist sie auf ein Buch gekommen, Muriel Gardiner, Code Name „Mary“. Und die Muriel Gardiner war die Frau
vom Josef Buttinger, vom Parteivorsitzenden. Und die beschreibt, also die Biografie ihrer Zeit, sie ist ja
hergekommen als Schüler von Sigmund Freud, und hat eine Wohnung in der Rummelhardtgasse gehabt, gleich
auf der anderen Seite. Und die ist in der gleichen zeit, während ich auf der einen Seite gestanden bin, ist die auf
der anderen Seite gestanden und beschreibt den Zug so, aber schreibt nichts über johlen, singen, rufen-erwähnt
sie überhaupt nicht. So, daß meine Erinnerung dann doch war, aber ich habs nicht ins Buch hineingeschrieben.
Da hab ich das noch nicht gehabt. Damit war die Parole gültig für drn fall, die Partei stillgelegt ist. Alles, jede
Funktion stillgelegt ist einmal. Es war der gedanke da, erst einmal dann neu aufzubauen, der richtige Gedanke.
Ich habe nur dann noch einmal, ich hatte mit meinen Bezirksleitern, also drei vier, fünf, zehn. Im dritten Bezirk
war der Bezirksleiter der Karl Mantler. Der war damals schon, von der Kleeblattgasse gekannt, sein Vater war
der Leiter von der illegalen Gewerkschaft, der war eine Kleinigkeit jünger als ich. Was soll ich sagen, wie ich
Generaldirektor der „Städtischen“ war, war er Generaldirektor der „Zentralsparkasse“. Die Wege haben, viele
Jahre waren wir die zwei Parallelen, die man auch bei allen Veranstaltungen der Stadt Wien mit Gattinnen neben
einander gesetzt hat. Der war dann nicht mehr da, der ist Merkwürdig, sehen Sie, das ist auch so merkwürdig.
Wir haben alle miteinander über alle diese Dinge nicht mehr geredet. Nicht über unsere Familien, nicht über
das, was wir in der Zwischenzeit gemacht haben. Gut, bei mir wars also deswegen auch klar, daß ich dann zur
„Folksam“ gekommen bin, weil das eine lebendige neue Verbindung geworden ist. Ich glaube, daß der Karl
Mantler, da muss ihm der Vater schon die Emigration vorbereitet gehabt haben nach Berlin. Es waren nicht
wenige unserer engsten freunde, die nach Deutschland emigriert sind. Ein paar sind mit den Arbeiterzügen
gegangen. Die Deutschen hatten damals qualifizierte Arbeiter rekrutiert in Massen.
I: Die sind dann 1938 nach Berlin gegangen?
B: Ja, oder irgendwo nach Deutschland, als Arbeiter. Und damit sind sie der Gestapo aus der Evidenz heraus
gefallen. Habe nicht gehört, daß einer irgendwo dann verfolgt wurde, oder daß sie ihn erwischt haben. Und der
Mantler dürfte, glaube ich, während des ganzen Krieges Jurist bei Siemens gewesen sein. Und war damit
gedeckt. Die drei anderen, da war die Zentrale Wiener Auszahlungsstelle für Arbeitslose auf der Thaliastrasse,
das war früher ein Spital, das haben sie dann zu der Auszahlungsstelle aller Wiener Arbeitslosen gemacht, also
ein merkwürdiges Milieu. Die Gegend war ja völlig heruntergekommen einerseits, andererseits hat sich auch ein
gewisser Handel dort etabliert, dem Niveau des Konsums der Arbeitslosen. Und da hatten wir die Verabredung,
daß wir uns zu einer ganz bestimmten Zeit, in einer ganz bestimmten Sekunde beim ganz bestimmten Schalter
anstellen und treffen. Und damit haben wir unsere gedeckten Kontakte gehabt. Und das haben wir noch nach
dem Einmarsch gemacht. Und ich kann mich erinnern, wir sind dann miteinander zu viert, bis auf den gürtel
vorgegangen. Da sind wir gestanden und haben Abschied genommen. Und der eine, der Mantler hat schon
gefehlt, der war schon weg, der eine war der ???, der hat mich dann, der hat noch gelebt, aber nachher war er
schon irgendwo weg. Der zweite war der Robert Tschalka, das war der Simmeringer, und der war der Schwager
der Rosl Jochmann. Die haben zusammen auch vorher, nachher in einem Haushalt gewohnt. Wie ich dann im
Oktober 1947 das zweitemal in Wien war, und als Mitglied der skandinavischen Jugenddeligation, die her
gekommen war für die Neugründung der sozialistischen Jugendinternationale, wie ich da am „Roten Jugendtag“
auf den Stufen des Rathauses gestanden bin, mit den jubelnden Blauhemd rotkrawattigen Massen, ist so ein
kleiner Polizei Offizier neben mir gestanden und wie ich da schau, war das der Robert Tschalka. „Was machstn
Du da?“
„I bin jetzt der Stadthauptmann von Mariahilf“! Und der Dritte, ich glaube, er hatte Richard oder Robert
geheissen Schneider, das war der letzte Obmann in Favoriten, ist nach Buchenwald gekommen, und da hat mir
der spätere Stadtrat Koci, der auch ein Favoritner war, dann erzählt:“ Ja, was mit dem Richard gemacht haben,
weiss ich nicht, aber er muss umgebracht worden sein im Zusammenhang wahrscheinlich mit medizinischen
Experimenten. Erstens war es ungewöhnlich, daß sie seine Lebensgefährtin dann nach Buchenwald hinein
gelassen haben, und sein Leichnam soll völlig schwarz gewesen sein. Den haben sie also in Buchenwald
umgebracht. Das waren also die drei, von denen ich mich da verabschiedet hab. Eine meine ersten Funktionen,
nachdem ich zurückgekommen war, mein erster Anlauf war Mantler, der hat mich gleich gefragt: „Bist schon
irgendwo angespendelt?“ Hab ich gesagt nein, da sagt er, komm zu uns in die Leitung der „Sozialbau“, nicht, der
Baugenossenschaft. Da war ich also drinnen bis ich Generaldirektor der „Städtischen“ geworden bin, und weil
ich von dort aus den Sozialbau stark finanziert hab, war das dann inkompartibel und da bin ich dort gegangen.
Aber da hab ich veranlasst, dass in der Gegend des Amalienbads ein Bau des „Sozialbau“ nach Ihm benannt
wird. Und dann bin ich geholt worden.
I: Ja ich weiss, dann sind Sie geholt worden.
B: Aber das ist wieder ein neues Kapitel.
I: Gab es irgendein jüdisches Leben für Sie nach dem Krieg für Sie? Wie haben Sie ihre Kinder erzogen? Spielte
Judentum eine Rolle?
B: Überhaupt nicht, gar keine. Schauen Sie, erstens einmal, meine Frau war aus einem alpenländischen Milieu,
in dem man möglicherweise gewusst hat, dass ein Geschäftsmann in Saalfelden ein Jud ist, mehr nicht. Der
Antisemitismus war, als Gegeideologie der Partei entsprechend, verpönt. Meine Frau hat diese vier Jahre in der
Illegalität nicht viel Kontakte haben können, durch den Beruf, aber einige doch, meine Familie kennen gelernt,
meine Familie hat sie sehr, sehr schön aufgenommen gehabt. Also dann in der Emigration war sie ja, soweit es
die Österreicher betroffen hat, doch sehr stark in Gesellschaft und befreundet mit Leuten, die als Juden gegolten
haben, aber sich überhaupt von den anderen unterschieden haben. Also für meine Frau wäre so ein Milieu völlig,
völlig fremd gewesen und ich hab überhaupt kein Interesse gehabt. Ich war sehr froh, das Siedlungshaus in der
jetzigen Peer-Albin Hansson Siedlung zu kriegen, in dem wir ja zehn Jahre gewohnt haben. Die Margit war
sechs Jahre, wie wir dort hingekommen sind, der Lennart war eineinhalb Jahre und die Marianne ist draussen
geboren.
I: Wie ist das für Ihre Kinder, spielt das irgend eine Rolle, daß Sie jüdisch sind?
B: Sicher, aber ich kann das nicht spezifizieren, überhaupt nicht.
I: Und die Enkelkinder?
B: Schauen Sie, das gehört auf jeden Fall dazu, aber das kann ich nicht spezifizieren, daß sie zur sogenannten
linken Reichshälfte ??? gehören. Dass meine Tochter Margit ist die Frau vom Heinz Fischer und der Heinz
Fischer hat auch einen jüdischen Grossvater gehabt.
I: das wusste ich gar nicht.
B: Der Heinz Fischer hat einen jüdischen Grossvater gehabt und der Vater und auch der Onkel vom Heinz
Fischer, der Ernst, waren dadurch warten Sie, was hat der Rudolf Fischer gemacht? Er war irgendwo auch auf
die Seite gestellt. Und die Kinder der Edith, also seiner Schwester, sind mehr oder weniger bei einer Schwester
ihrer Mutter aufgezogen worden. Der Mann der Schwester war Sargmeister, der spätere Leiter der
Konsumgenossenschaft Wien und Ernährungsminister nach dem I. Weltkrieg. Schon dadurch ist ja auch auf dem
Weg die Markierung und die Beeinflussung, das auf dieses Geleise zu stellen. Vielleicht ist das die bessere
Antwort, das ist nicht die tägliche Beeinflussung durch ein spezifisches jüdisches Milieu und vor allem durch ein
religiöses Milieu, von dem man weit, weit weg war, weit weg. Aber es ist das was ich sagen möchte: Judentum
ja, Religion, nein. Es ist von vornherein ein Markierung da. Es wäre absurd, zum Beispiel mit einer Herkunft des
Heinz Fischer Antisemit zu werden und sich für die Frage nicht zu interessieren, ihr gegenüber gleichgültig zu
sein. Wie weit mein Sohn Lennart, der ist jetzt wieder in der letzten Nummer vom Augustin erwähnt als Anwalt
für eine neue Organisation. Der ist mehr in der GEMMI und der hat jetzt den Freispruch erreicht dieses
Nigerianers, der erst neun Jahre gekriegt hat. Das war mein Sohn. Ich sag immer, er ist ein Anwalt der
Unterdrückten und der Verfolgten. Hat eine Frau geheiratet, die aus einem ganz anderen Milieu kommt, die viel
radikaler ist als er. Die Kinder vom Heinz Fischer, von der Margit, die also immer aktiv ist,
Wieviel Kinder haben Sie?
I: Zwei Töchter.
B: Ich hab drei Kinder, und ich stelle immer wieder belustigt fest, daß die Kinder von ihre Eltern erben. Alle
haben vor allem von mir geerbt. Aber jeder was anderes, verschiedenartig. Aber in der Hinsicht ist vor allem die
eminent humanistische, soziale, sozialistische, nicht im DDR-Sinn, Einstellung da. Für meine Tochter Marianne
war es von Anfang an klar, sie hat schon al sechsjährige gewusst, was sie werden will und ist sie geworden,
Ärztin. Sie ist Oberärztin im Hanusch Spital, und ist jetzt seit einiger Zeit als Stellvertreterin der Lisl Bittermann,
die ja Gesundheitsstadtrat ist, die Leiterin der dritten Medizinischen. Ihre Spezialität ist Hämathologie,
Leukemie, Blutkrankheiten und dergleichen. Nun ist das Hanusch Spital, ich weiss nicht, wie weit Sie die
Zusammensetzung dort kennen
I: Ich lag schonmal im Hanusch Spital.
B: Als Patient, ich meine die Ärzte, es ist stark jüdisch.
I: Wirklich?
B: Na und wie! Immer wieder, auf der Abteilung und die Primarien. Und der Kinderarzt, oder der Neumann, der
HNO, der jetzt in Pension gegangen ist, und ob es der Munk ist, der die gemässigten Juden da aufbauen will, der
Hautarzt und auch auf ihrer Abteilung und es sind auch Leute, die von aussen kommen und bei der Carotis
Untersuchung, na na, das Hanusch Spital. Hat mich einmal ein, hat mir einmal ein Doktor Stierer den Blinddarm
operiert und nachher treff ich ihn bei einer jüdischen Veranstaltung, zu der ich selten geh. Hab ich gefragt: „Was
machen Sie da?“ Und da sagt er: „Irgendwie gehör ich dazu, ich weiss zwar nicht wie.“ War seine Mutter eine
jüdische Krankenschwester und sein Vater war Schuster, die der Holocaust nicht mehr...Sie war im Rothschild
Spital und die haben dadurch den Krieg überlebt. Er ist dann auf die Welt gekommen, als Volljud. Der ist dann
doch wieder zu jüdischen Veranstaltungen gegangen und noch der Tommy Smolka wie ich sehe da immer.
I: Der ist mir jetzt ein paarmal begegnet.
B: Ja, ja also ich kann nicht sagen, dass sie und die Lisl Bittermann übertreibt ja ihr jüdisches Erbe. Da war die
Mutter Jüdin. Die geht immer mit dem Magen David herum. Ein bisschen zu plakativ find ich und manchmal
auch dort, wo ich es schon nicht mehr führen würde.
I: Waren Sie jemals im Tempel in der Seitenstettengasse, nach dem Krieg?
B: Ich, bei der Eröffnung.Nein, sonst nicht. Nächstens gehe ich wieder hin, da ist die Eröffnung des Monuments
für die Holocaustopfer.
I: Wann ist das, jetzt bald?
B: Ich glaube am 10. November oder am 9. November. Da werde ich hingehen. Ja, einmal war ich dazwischen
dort, aber das war keine religiöse Geschichte, das war, wie der Muczikant die Gemeinde übernommen hat.Er hat
eine Bürgerversammlung dort gemacht. Da war ich im Seitenstetten Tempel drin.
I: Ihre Enkelkinder?
B: Die Enkelkinder? Na ja der Philipp ist jetzt 30, hat erst angefangen Jus, hat er Wirtschaft und Computer, hat
schon als Mittelschüler für Appl auf diesen diversen Messen die Computer vorgeführt, und hat auch das
stehenlassen und hat aber jetzt vor paar Monaten auf Stift Göttweig die Universität Krems gemacht. Und auf
Stift Göttweig promoviert, master of science. Arbeitet für oder als Firma, die in Wirklichkeit ein ?????????
Konzern ist, das ist also Pappendeckel, also schon auch ????? Konzern. Die Margit sagt, wenn er sie anruft, muss
sie ihn immer erst fargen, wo bist, in Düsseldorf, in Brüssel oder irgendwo? Und er ist jetzt zwei Tage jede
Woche in Nikopol in Bulgarien, und baut dort mit anderen eine Fabrik auf, die sie gekauft haben. Hat eine
Freundin, die auch aus der Firma kommt. Die Lisa, die ist auch jetzt schon 27, ist jetzt am Ende ihres Turnus in
Neunkirchen, lebt mit einem Unfallchirurgen zusammen, wird sicher an dem Spital bleiben.Ist also mit dem
Medizinstudium fertig. Der Lennart hat zwei Söhne, der Paul hat jetzt..., der iat der Antiintelektuelle, der hat nie
lesen wollen. Alle anderen sind Leser, alle. Und hat die Chemie Schule in der rosensteingasse gemacht, aber
dann auch einen niedrigen Grad, das hat er fertig gemacht, damit hat er die Qualifikation eines qualifizierten
Arbeiters, und hat aber schon angefangen vorher, mit den Johanniter-Krankentransport zu machen und macht
jetzt, bis Februar glaub ich, seinen Zivildienst bei den Johannitern. Fährt also, macht Krankentransporte, Tag und
Nacht. Und der Jüngere, der Jakob, die wollten ihn Jorada ?? nennen, da hab ich protestiert, das ist ein
Komikername. Aber Jakob heisst er, das ist die Schwiegertochter, nicht der Lennart, der drauf schaut, der hat
Politologie, Japanologie ein Jahr gemacht, aber über die Japanologie ist er gestolpert. Das setzt er nicht fort und
macht jetzt seit dem 1. Oktober seinen Zivildienst als Kinderlotse.
Kinderlotse? Das wusste ich gar nicht, daß das zum Zivildienst gehört.
B: Ja, das ist eine wirkliche Ausbeutung, für zwei Euro die Stunde, verpatzt ihnen den ganzen Tag, weil sie ja
doch etliche Male dort stehen müssen. Da hat der van der Bellen recht, diese Dinge gehören ordentlich bezahlt.
Wenn soviel Frauen einen Nebenberuf machen wollen, oder in Frühpensionisten usw. , die dann mit einem
Halbtagsverdienst sich etwas dazu verdienen. Es sind fünf Leute in Döbling, die das machen, da sitzen sie dann
stundenlang auf der Hohen Warte auf dem Kommissariat dazwischen. Zumindest zwei, der eine ist ein fertiger
Tierarzt und der andere ist ein fertiger Maschineningenieur. Und statt das die nach dem Studium in den Beruf
gehen könn, müssen sie ein Jahr Kinderlotsen spielen. Na schön, aber das prägt meine Kinder, auch die Enkel in
ihrem Verhältnis zur Gesellschaft und zum Staat. Na ja, daß sie einen jüdischen Grossvater haben, man kann
über so was nicht diskutieren.
I: Ist ihnen natürlich bewusst!
B: Ist bewusst und, vor allem bin ich sicher in der negativen Haltung gegenüber der Herrschaften Haider und
Konsorten. Die Schwiegertochrter ist Physiotherapeutin, ist auch die Präsidentin, bereitet auch so einen grossen
Kongress vor, ist sicherlich eher radikal links und Lennart war immer allein als Anwalt, was ich nie als sehr
glücklich, ein halbes Jahr war er mal beim Leichter in New York, dann hat er zwei Semester auf der Universität
Linz postgraduell ein Studium über europäisches Recht gemacht, weil er sich auf Asylrecht spezialisiert. Er
möchte jetzt auch eine wissenschaftliche Arbeit, will noch mal auf die Universität gehen, arbeitet mit anderen
zusammen und will über Asylrecht auch europäisches Recht wissenschaftlich arbeiten. Wenn Sie wollen, ist das
der Einfluss der jüdischen Herkunft. Als Anwalt hat er seine Praxis gemacht, aber seither arbeitet er allein als
Anwalt. Und ich hab den Eindruck, seine Klientel besteht zum ganz grossen Teil aus Leuten, die
Sraatsbürgerschaft und Gewäheleistungsprobleme und dergleichen haben. Sehr stark die Nigerianer, er ist sehr
stark angagiert in diesen Hilfsorganisationen und für die GEMMI. Wie gesant im „Augustin“ habe ich ihn jetzt
schon wieder entdeckt. Die Marianne ist wiegesagt den Weg der Medizin und ins Hanusch Spital gegangen, daß
schon sehr, eine sehr starke ???hat in der Richtung und die älteste, die Ulla ist einundzwanzig, war jetzt
wiederholt in Spanien, die hat auch nie eine schlechtere Note als einen Zweier auf irgendwas gehabt. Die zweite,
die Andrea ist 15, mindestens ebenso gut, sie ist seit drei Monaten auf Neuseeland, und schreibt ständig e-mails
usw. von dort.
I: Was macht sie in Neuseeland?
B: Schule gehen, ist bei einer Familie, jetzt waren sie auf der Südinsel zu fünfzig, ist dort vom Flugzeug
gesprungen, und weiss ich was, schreibt in einem lustigen Gemisch aus
da war sie mit einem Mädchen aus
Germany und einem Burschen aus Graz, und nachher sind sie draufgekommen, sie haben alle englisch
gesprochen. Und sie haben Halbzeit und die bei denen sie ist, die weinen jetzt schon und haben schon Sehnsucht,
wenn sie auseinander gehen. Und der Stefan ist acht. Ja, und wenn sie fragen, sie haben es im Bezug auf mich
gefragt, schauen Sie: Am Samstag fürh ich die Binder-Familie zum Essen aus, regelmässig, da diskutieren wir
auf „Teufel komm raus“, am Sonntag bin ich in der Regel bei der Marianne. Unter der Woche haben wir
eingerichtet, daß mich Margit jeden Tag in der Früh anruft, denn bei einem Menschen meines Alters, weiss man
nicht, ob er aufgewacht ist oder wie. Gestern waren wir zusammen in der Stadt Essen, morgen habe ich die
Helena da, Donnerstag führe ich die Gretl Neurath aus, weil die eben Probleme hat, Vermögensprobleme, also
so. Wenn sie was braucht, hat sie niemanden, keine Familie, keine Erben kein gar nichts. Und da kommt sie zu
mir. Das ist das Problem der Neunzigjährigen, das man sonst niemanden mehr hat.
Und was mir auch unter den viel, aber mehreren Dingen nicht gefällt, die ich jetzt also immer wieder erleb, ist
diese Verflachung, diese Gleichschaltung, diese Gleichsetzung. Das der Antisemitismus in der alten Monarchi
und in diesem alten Österreich, in diesem alten Wien, ich will ihn sicher nicht abwerten und kleiner machen, er
war unzweifelhaft da, aber er hat seine eigenen Züge gehabt, die mit dem Nazismus der Nazi und der späteren
Zeit, sich sehr unterschieden haben. Und ich halte das nicht nur für eine historische Reminiszens, sondern ich
halte, das ist vielleicht ein schlechter Ausdruck, sondern ich halte das für eine historische Tatsache, die meiner
Überzeugung dazu beigetragen hat, wesentlich dazu beigetragen hat, daß soundso viele österreichische Juden
nicht emigriert sind, obwohl sie vielleicht hätten emigrieren können. Weil sie einfach nicht gesehen haben was
da war, bis zum letzten Tag nicht, bis zum Aspernbahnhof nicht. Ich möchte da was erzählen: Schauen Sie, ein
Mann wie Daniel Spitzer war, wie ein Saphir, der Komiker Eisenbach war und ich möchte so ein bisserl
Anekdoten erzählen, die ich von meiner Mutter hab. Irgendwo hab ich das unlängst auch gelesen, ich glaub im
„Spectrum“ oder im „Album“ der Zeitungen, der Erinnerung dran, die Truppe der Budapester in Wien eine sehr
bekannte Theatertruppe war. Eine durchwegs jüdische und der leitende Mann, der unerhört beliebte Komiker,
der hat Eisenbach geheissen. Und meine mutter hat mir, gespielt haben sie vielfach im Kabel Theater, auf der
Pratestrasse, dort, wo jetzt die U-Bahnstation Nestroy Platz ist, die ist aber dann zerbombt worden.
I: Wo der Nestroy Platz ist, U_Bahn Station Nestroy Platz, ja?
B: Wo der Golden Tower steht. Und das war das Theater der ??oder das Lustspieltheater im Prater, das ja der S.
Gabor geleitet hat. Und eine Szene, über die sich die Wiener Juden unerhört amüsiert haben war, war irgendein
Stück, da wurde ein Jude angeklagt, wegen betrügerischer Krida. Und der Eisenbach spielt den Advokaten. Und
der Eisenbach appeliert in seinem Playdoyer für seinen Angeklagten ungefähr mit den Worten:“ Ein Delikt, das
gottseidank unter unseren Glaubensgenossen selten vorkommt.“ Der jüdische Witz war immer eine Selbstkritik,
war immer Selbstwitz und die Wiener Juden, die sich bewusst waren, daß es Dinge wie Raufhandel, wie Mord,
wie Gewaltverbrechen unter den Juden ausserordentlich selten gegeben hat, aber das typisch jüdische Delikt war
der Betrug und die Krida, die betrügerische Krida. Das ist was anderes. Leider hab ich das nur mehr
bruchstückweise im Gedächtnis, aber manchmal heben meine Leute so ein Lied daher geträllert. Ich kanns nur
bruchstückweis:
Die Musi kommt, die Musi spült,
das dicke Mammele
der lange Lebele
mit feingelocktem Haar
marschieren mit im gleichen Tritt
der alte Silberstein
hatscht hintendrein.
Das war ein Spottlied auf die Juden, aber es war ein Spott in einer Form, zu der die Nazi nie fähig gewesen
wären. Was haben die Nazi gesundgen, oder wenn das Judenblut vom Messer spritzt.
Wissen Sie, für mich ist in den zwei Liedern der Unterschied zwischen diesem Antisemitismus drin. Der Spott,
den die Juden dann selber auf sich angewendet haben, und dann diese harte Mördermentalität „und wenn das
Judenblut vom Messer spritzt“. Das sie dann das Judenblut vom Messer spritzt auch nicht so ernst genommen
haben, wie das andere war für mich eine Verstärkung der Katastrophe. Was wollte ich dann noch aus diesem
Milieu da hats einen Anwalt gegeben, den Doktor Sperber. Der ist leider mit uns nach Dachau gekommen und
dort sehr bald gestorben. Er hat Furunkulose sofort gehabt und ist gestorben. Der Doktor Sperber war berühmt,
seine Anekdoten sind in Wien verbreitet worden. Eine der Geschichten, da verteidigt er einen Henderldieb. Und
das Plädoyer ist , war das: Hohes Gericht, Sie beantragen für meinen Klienten eine Strafverschärfung, weil er in
der nacht eingebrochen hat. Hohes Gericht, wann sollen denn meine Klienten einbrechen?
Das war die Atmosphäre, es war genug arg. Es hat wirklich auch einen jüdischen Slum gegeben. Es hat, vor
allem in der Brigittenau ein Subproletariat gegeben. Ja, das war das eine, aber Sie haben ein anderes Thema, das
zurück kommen und die Stadt. Wissen Sie, das ist wichtig, was Sie da sagen, weil ich den Eindruck hab, daß es
weiter wirkt. Und ich glaube, daß das dann damit zu tun hat, dass die Wiener Bevölkerung immer ein derartiges
Gemisch war. Es ist keiner von allen Vorfahren und Ahnen hier auf die Welt gekommen. Man ist aus den
slawischen Ländern gekommen, man ist vom Balkan gekommen, der Adel ist total gemischt gewesen. Ich sehe,
wie sich da deutsche Firmen im Osten etabliert haben. Wir haben jetzt im Zusammenhang mit der „Städtischen“
ist also ein vor allem, der auch jetzt für die „Städtische“ unangenehm wird, da hat eine schweizer Gesellschaft
sich in Ungarn etabliert und die „Städtische“ beteiligt und hat der „Städtischen“ die Führung überlassen. Die
Lebensversicherungsgesellschaften haben jetzt Gloria. Und die „Städtische“ hat auch die „Swiss Life“, die
schweizerische Lebens-und Rentenversicherungsanstalt , in der ganzen Branche das Feinste vom Feinen, das
Vornehmste vom Vornehmen, jetzt wackeln sie auch. Da hat die „Städtische“ die „Swiss Life“ ausgekauft, führt
sie allein und die haben sie so geführt, daß die „Städtische den Namen auf „Union bischtoschito“ geändert hat.
Obwohl die Schweizer verstanden haben, daß sie das Land nicht verstehen. Oder der Philipp kommt da nach
Nikopol. Die Fabrik steht. Fragt, wie sind denn die Leut? Nicht freundlich, nicht unfreundlich, völlig apathisch,
gleichgültig. Er versucht also sofort, seine Angelegenheit ist EDV, Logistik usw. ein anderer Kollege hat den
Maschinenpark aufzubauen, die Infrastruktur ist futsch, die Maschinen stehen, und irgendeiner der dort ist sagt,
nein, nein die gehen, die gehen und da sagt der Philipp, er hätte sie doch gern in Betrieb gesehen. Es geht nicht,
denn die Sicherungen fehlen bei der elektrischen Anlage. Und dann haben sie also das Problem, daß die EDV,
die zentralisiert alles, keine cyrillischen Buchstaben hat und das sehr unbequem wäre und da hat er eine Frau, die
also auch damit zu tun hat gefragt, ob es denkbar wäre, dass sie bulgarisch, aber mit Latainbuchstaben schreibt.
Und die Frau sagt, das ist denkbar, weil durch das englische und das Fernsehen, sind die Leute an die
latainischen Buchstaben gewöhnt, sie können das lesen, sagt er Wenn sie lesen KÖNNEN. Und ich hab mir so
gedacht, der Philipp und der andere, der Mayhofer, die kommen aus einem Milieu, in dem man damit irgendwie
umgehen kann, indem man mit den Leuten reden kann. Und ich glaube, das ist das, was hier immer noch der
Vorteil ist. Ich seh zum Beispiel die „Deutsche Allianz“. Da haben sie ja gelacht, die Deutschen, die „Allianz“
hat das Vertrauen. Kaum war die Wende da, sind sie nach Ungarn gegangen, damals mit 12 Mio. Schilling,
haben um eine Konzession angesucht und haben dann Jahre, Jahre Jahre warten könnenbis etwas kommt. Ich
weiss nicht, ob sie je etwas bekommen haben. Es wär keiner österreichischen Versicherung eingefallen, auf diese
Art hinzugehen. Da ist man nach Ungarn gegangen und hat eine winzig kleine Gesellschaft gekauft und hat die
Leute hergeholt.
I: Ja, Sie haben recht.
B: Wissen Sie, irgendwo. Ich bin einmal, da war ich schon in Pension, schon aus der AUA ausgeschieden, mit
dem Heschkel zum Mittag essen dort gesessen, und da war so , unmittelbar nach der Wende, na kann nicht
gewesen sein. Ich bin 1993 ausgeschieden. Es muss Ende 1993 Anfang 1994 gewesen sein. Die Wende hat sich
erst langsam ausgewirkt. Und nun hab ich schon von "L„derer und Wolf“ an gelernt gehabt, damals hats ja alle
Restriktionen gegeben, die es gegeben hat und man hat für jedes kleinste Stück einen ungeheuren Papierkrieg
führen müssen um exportieren zu können usw. Lagerung, Ausführbewilligung, Schmutzzeugnis usw. Das war
mir also sehr geläufig. Und da frag ich die Leitung;“ Und was ist mit Odessa? Werds nach Odessa fliegen?“
„Wenn die Swiss Air mit uns fliegt, dann möchten wir fliegen. „Es ist doch relativ weit,“ hab ich gesagt. Hat
einer gesagt:“ Na wie weit ist es eigentlich?“ Habens herum geraten und dann hab ich gesagt:“ Es ist weiter als
Brüssel und es ist näher als London.“ Und es war genau so. Und da habens alle so gelacht, und haben gesagt, ich
bin der einzige alte Österreicher. Mir war das geläufig. Mir war geläufig, daß man in eine Hafenstadt wie Odessa
den kommerziellen Verkehr mit anderen Hafenstädten braucht. Und das daher nicht nur als Touristenverkehr,
sondern als der viel einträglichere Businessverkehr die Möglichkeit da ist. Wissen Sie, dieses Gespür, Gefühl,
daß man auch Leute hat, die noch aus dem Milieu kommen, da macht man viel zu wenig. Man macht zu wenig.
Man hätte hier Leute, die hier geflüchtet sind, die man wieder gehen lässt, die man behalten sollte. Ja, aber das
ist die Gegenwart.
I: Wollen wir uns noch Fotos anschauen?
ENDE
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