SWR2 Musikstunde

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SWR2 Musikstunde mit Hans Hachmann
Sie sehen blendend aus mit ihren 60 Jahren – die
Schwetzinger SWR-Festspiele (4)
1997-2012
Sendung:
Redaktion:
Freitag,
01. Juni
2012
9.05 – 10.00 Uhr
Bettina Winkler
M a n u s k r i p t
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Musikstunde (H. Hachmann) für Fr., 1. 6. 2012
Sie sehen blendend aus mit ihren 60 Jahren – die Schwetzinger SWR-Festspiele (4)
1997-2012
(Indikativ, nach 0’27 runter-, später wegblenden)
Warum nicht mal eine ganz normale Freitags-Musikstunde mit einem Rätsel beginnen, frage
ich Sie – also: es besteht zu 93% aus Wasser, hat 17 Kalorien pro 100 Gramm, verliert
stündlich an Frische und Geschmack und enthält die Vitamine B, C und E (vorsingen!), also
praktisch einen C-Dur-Dominantseptakkord ohne G? Hat’s immer noch nicht geklingelt?
Schwetzingen! Spargel! Der muss doch irgendwie durch diese Musikstunden-Viertagewoche
geistern, selbst Königin Silvia genoss ihn, 2011, wo die sog. „Achse des Guten“ eingeweiht
wurde (die Straße in Schwetzingen auf’s Schloss zu, dann in den Park und weiter zu den
weißen Hirschen, sich schließlich in der Unendlichkeit verlierend – das sollte sozusagen die
kurfürstliche Allmacht darstellen!), und auch heute, zu den Tagen von Spargelkönigin
Katharina der I. gibt’s natürlich ein entsprechendes Rezept – schließlich kommen doch alle
Schwetzinger Festspielkünstler ausschließlich deswegen hierher! Und heute lese ich sogar ein
Gedicht vor – der unbekannte Wilhelm Busch – wie heißt es in der später verworfenen
Originalversion seiner „frommen Helene“: Helene liebte Wettsingen, im hochgeschätzten
Schwetzingen. Und nach dem Auftritt ging es dann ins „Lügebrückl“, nebenan. Denn
Spargel, Schinken, Koteletts
sind doch mitunter auch was nett’s!“ – wirklich! - Wilhelm Busch! – gut, die ersten 4 Zeilen
hat er dann weggelassen...“ – Spargelrezept gleich, erst singt ein großer Verehrer dieses
Gemüses, nämlich der quasi in Schwetzingen entdeckte Christian Gehaher – er schickte dem
für die Konzerte verantwortlichen Peter Stieber eine selbstgebrannte CD, dieser war begeistert
und engagierte den Bariton, der seither hier – erfreulicherweise, muss man sagen – zum
Stammpersonal zählt. Auf dem Notenpult liegt Robert Schumann, am Flügel: Gerold Huber.
MUSIK Schumann, op. 39,1 Gerhaher/Huber Schwetzingen 2003 (2’00) M0017079 020
Gerhaher und Huber: beide stammen aus Straubing an der Donau, wo auch der Textdichter
der „Zauberflöte“, Emanuel Schikaneder herkommt. Und es KANN kein Zufall gewesen sein,
dass Gerhaher in Schwetzingen 2002 unter Thomas Hengelbrock als Papageno debütierte –
Hengelbrock, der bislang acht Mal in Schwetzingen wunderbare Produktionen abgeliefert hat.
- Papageno, der gern- und Vielesser – hier für ihn das Rezept: Spargel in – ja, Sie werden
ganz richtig gehört haben! - Biersauce: also, die Spargel räuchern (das geht auch im Grill, 3
Minuten, in Alu-Schale, mit entsprechendem Räuchermehl), das Ganze AN einer Hollandaise,
mit zusätzlichem Blutorangensaft und Bier, Speckknödel dazu – fertig! (Klingt schlimmer, als
es schmeckt!) Aber was kommt auf Sie in dieser Sendung über die jüngste SchwetzingerFestspiel-Pentekaidekade, die Ära Stieber, sonst noch so zu? Ein bisschen über den
Schwetzinger Schlosspark – das muss sein, ein Überblick über Gewesenes, ein Ausblick auf
Kommendes, und, Aktuelles. - Kammerkonzerte: das vom früheren Festspielchef Friedmar
Lüke heiß geliebte Artemis Quartett (inzwischen auch in der neuen Besetzung Weltklasse),
DIE Bratschistin Tabea Zimmermann, das exorbitante Fauré- Klavierquartett, Heinrich, der
Cello-Schiff, die Emersons, das Kuss-, das Belcea-, und – seit vielen Jahren - das Hagen
Quartett, 1999 beispielsweise mit Erwin Schulhoff – besser geht’s nicht!
MUSIK Schulhoff, Fünf Stücke, das 4. (4’37) Hagen Quartett Schwetzingen 1999,
M0010679 008
Alle, die in Schwetzingen gespielt haben, haben etwas gemeinsam: die geradezu
schwärmerische Begeisterung für den Schlosspark, mögen der Mücken dort auch noch so
viele sein! Gut, die Kirschblüte ist vorbei, aber dafür haben wir den angeblich von einem
entlassenen Gärtner aus Rache gepflanzten Bärlauch im Übermaß, des weiteren Flieder, den
chinesischen, der allerdings nicht von dort kommt, eine Orgie für Auge und Nase, wie’s ja
überhaupt Schwetzingen schon immer mit den Sinnen hatte – Klopstock spricht davon, dass
man „hier recht lebe in den Wolllüsten der Musik!“ - da fallen einem natürlich sofort ein die
ja wahrlich nicht unattraktive Gambistin Hille Perl und ihr Partner Lee Santana, zu Gast
beispielsweise 2004 in Schwetzingen, und hier Repräsentanten des Bereiches junge, alte
Musik. – das Duo spielt Johannes Schenck, schwungvolle Musik eines barocken,
niederländischen Weinhändlersohnes; der lebte in DER Zeit, wo der Schwetzinger Kurfürst
Karl-Ludwig seinem Schlossgärtner 1668 befohlen hatte „pflanze er mir hier (also im
Gemüsegarten) Spargel!“ (Anm. der Redaktion: damals DAS vornehme Modegemüse aus
Frankreich!), das war, BEVOR der Schwetzinger Schlosspark eine französische, will sagen,
von Nicolas de Pigage wohlgeordnete, später dann englische, eher freizügig angelegte
Ausrichtung erlebte – hier mit dem Duo Perl/Santana Musik aus der Orangerie, komponiert
von Johannes Schenck, ein Vierteljahrhundert vor Bach – „Il giardino armonico“, der
harmonische (ich ergänze: Schwetzinger Schloss-)garten.
MUSIK J. Schenck, Suite F-Dur (Ausschnitt 4’34) Perl/Santana Schwetzingen 2004
M0020911 024 und 025
1774, berichtet der damalige sächsische Botschafter, sei Kurfürst Carl Theodor in seinem
eigenen Schlossgarten von Räubern überfallen worden – heute sind die Zeiten sicherer, man
trifft allenfalls mal Konzertbesucher beim Flanieren oder Peter Stieber beim Joggen. Den
Park jedenfalls liebt jeder, sei es das herrliche Arboretum gleich neben dem Büro der
Festspiele, die Moschee mit ihrem schattenspendenden Umgang, das illusionistische „Ende
der Welt“ gleich hinter dem Badehaus (erklärter Lieblingsplatz der Musikjournalistin
Eleonore Büning), oder die Statue Apolls, der kurioserweise seine Lyra in der falschen Hand
hält - das konnten Sie – neben vielem anderen einer vor 10 Jahren viel beachteten
Radiosendung „50 Jahre Schwetzinger SWR-Festspiele“ von Jörg Tröger unter Mitwirkung
meiner Wenigkeit entnehmen, inspiriert habend natürlich insgesamt diese unsere derzeitige
Musikstundenwoche. Wenn Sie sich in Sachen Schwetzingen fortbilden wollen, so empfehle
ich Ihnen wärmstens den Besuch der Ausstellung „60 Jahre Schwetzinger SWR-Festspiele“,
die läuft bis zum 1. Juli im Karl-Wörn-Haus, will sagen, dem Museum der Stadt
Schwetzingen, und es seien Ihnen auch die 2 ausgesprochen bibliophil aufgemachten
Bildbände ans Herz gelegt: „Ein Arkadien der Musik“ und jetzt nagelneu, „Arkadien klingt
weiter“ – da ist zum Beispiel jene stimmungsvolle Hans Werner Henze – Schilderung zu
lesen: „Freundliche, freudige Erinnerungen: an frühsommerliche, angenehme Düfte von
wilden Blumen und Laubbäumen, jungen und alten. Und Musik von Nachtigallen, höflich
begleitet von lustvollem, lustigen Gesang der Frösche, von Männerchören sozusagen,
wundersam die ganze Nacht hindurch, nah und fern...“ keine Konkurrenz – würde ich mal
behaupten, für ein weiteres, immer wieder hochgeschätztes Stammensemble in Schwetzingen
– die Damen und Herren des Südfunkchores bzw. aktueller seit den Zeiten der Fusion, das
SWR Vokalensemble Stuttgart.
MUSIK Bach, „Singet dem Herrn“ (4’34) SWR Vokalensemble, Schwetzingen 2000,
M0012528 012
Was hat sich nun im Schwetzingen der letzten 10 - 15 Jahre sonst noch so getan: die
Festspiele führen seit drei Jahren den SWR in ihrem Namen, ein Bekenntnis des Senders zu
der Welt größtem Radio-Klassikfestival, es gibt – mit ausgewählten älteren Aufnahmen – die
hänssler classic CD Edition Schwetzinger SWR-Festspiele, große Namen tauchten das erste
Mal, und dann aber immer wieder auf: Peter Sadlo, der Schlagzeuger, der Schauspieler Bruno
Ganz, der Pianist Alfred Brendel, mit seinem cellospielenden Sohn das letzte mal hier, sowie
AUCH dieses Jahr als Vortragender (mit vom Publikum heiß ersehnten Klangbeispielen),
Andras Schiff, der ob der hohen Temperaturen im Konzert nicht mehr von Schwetzingen
sprach, sondern von Schwitzingen, Sokolov, Goode, Hamelin, la belle Hélène Grimaud, die
Leonskaja und sonstige Klavierissimo-Größen, nicht zu vergessen in einer
Nachwuchsmatinee 2003 ein völlig unbekannter, gerade mal 20-jähriger Chinese, der dann in
wildem Ungestüm den Klavierhocker zertrümmerte – inzwischen kennt jeder den Namen
Lang Lang, in Schwetzingen nicht nur mit Liszt zu Gast, den er übrigens, gespielt von Kater
Tom mit Zuhörer Jerry, als 2-jähriger im Fernsehen erlebte und seitdem Klavierspielen wollte
– hier ist er mit dem Opus 1 seines Landsmannes Tan Dun.
MUSIK Tan Dun, op. 1 (Ausschnitt 5’42) Lang Lang Schwetzingen 2003, M0016308 009
Lang Lang, stellvertretend für all die jungen Schwetzinger Debütanten, die dann von dort aus
praktisch ihre Weltkarrieren begannen.
Eine weitere Neuerung im Programmangebot der Festspiele: die Komponistenportraits,
begonnen 2002, als Wolfgang Rihm 50 wurde, mit einer von ihm konzipierten, kleinen aber
sehr feinen Konzertreihe mit dem Minguet-Quartett, eigene Werke, kombiniert mit expliziten
Bezügen zur Musikgeschichte – Holliger folgte, Eötvös, Sciarriono (von dem übrigens sage
und schreibe drei Opern in Schwetzingen zur Uraufführung gelangten), Lachenmann,
Widmann, Reimann (letzterer in diesem Jahr, und ich erinnere noch einmal an seine
Umweltschutzoper „Melusine“ 1971). – Der einzige, der seinerzeit aus Krankheitsgründen
nicht dabei sein konnte: György Kurtag mit dem Motto „Zeichen, Spiele, Botschaften“ wobei
sich eine Reihe von Topinterpreten wie Holliger, das Hagen Quartett, Jörg Widmann und
Tabea Zimmermann zu wahrlich überzeugenden Anwälten des bedeutenden Ungarn machten.
Hier seine Hommage an einen berühmten Kollegen, R. Sch.
MUSIK KURTAG Hommage à R. Sch. Widmann u.a. (Ausschnitt 7’10) Schwetzingen 2011
M0279472 016
Programmschwerpunkte, Reihen bzw. Sonderprojekte in Schwetzingen, neben den eben
erwähnten Komponistenportraits – da gäbe es einiges: Chopin und Schumann im Chopin-undSchumann-Jahr, Haydn-Klaviertrios, Mannheimer Schule, Beethoven-Sonaten, Brahms- und
Bartok-Quartette, Frauen-Power vokal und auf der Violine, Schubertiade, Heinrich Heine in
Wort und Musik, damals mit „Im wunderschönen Monat Mai“ von dem 16-jährigen Bela
Bartok als kleiner Sensation, vergangenen Sonntag einen Mozart-Tag, 2010 „Mare nostrum –
Klangraum Mittelmer“, dieses Jahr Musik aus Panamerika - ich merke es, ich gerate schon bei
dieser Aufzählung ein bisschen ins Schwärmen, zumal damit auch ganz viele großartige
persönliche Erlebnisse verbunden sind. Ich rede jetzt NICHT von dem unvergesslichen
Donnerschlag bei Beethovens „Missa solemnis“ im Speyrer Dom – Gewitter, wie schon
erwähnt, neben dem Pfau, dem (allerdings nur Matineegefährdenden) Autorennen aus
Hockenheim und dem vorbeijaulenden Krankenwagen immer wieder ein natürlicher Feind der
SWR-Aufnahmeleute in Schwetzingen, wo die Technik übrigens ganz früher nahezu ohne
Abhörmöglichkeiten in einer Theaterloge kauerte – inzwischen rangieren seit langem
souverän die Aufnahmewagen etwa in der „Wildnis“, wie das Arreal hinter den linksseitigen
Konzertsälen liebevoll von Insidern bezeichnet wird. Aber, vergessen wir rechter Hand das
Theater nicht, zumal es ja wohl auch doch einen gewissen Schwerpunkt bei Schwetzingens
Bewerbung als Weltkulturerbe darstellt – diesen Juni wird’s entschieden, ob neben
Klosterinsel Reichenau und Kloster Maulbronn endlich auch mal was „weltliches“ an der
Reihe ist!
Theater: über Gluck, Sciarrino, Thomas Hengelbrock, Mozart, Rihm (Proserpina 2009) sprach
ich ja bereits, möchte aber unbedingt erwähnen des Mannheimer Lokalmatadors Ignaz
Holzbauer 1753 hier uraufgeführte Oper „Il figlio delle selve“, das rührend-komische Spiel
von der Trennung und der Wiedervereinigung eines Herrscherpaare (gebe ich jetzt mal stark
verkürzt den Inhalt wieder) – Georges Delnon war der Regisseur, Klaus-Peter Kehr der
Dramaturg, und Christoph Spering leitete das L’Orfeo Barockorchester.
MUSIK Holzbauer, „Il figlio delle selve“ (Ausschnitt 6’48) Schwetz. 2003, M0054798 007
Dieses Jahr hatten wir als Schwetzinger Opern-Ausgrabung Anton Schweizers „Rosamunde“,
auch wieder mal so eine unmoralische Hofgeschichte um die wie ich finde etwas fragwürdige
Alternative „Gift oder Dolch“, welche 1778 in Schwetzingen uraufgeführt werden SOLLTE,
aber die Politik bzw. der Umzug des Hofes nach München verhinderte dieses – von
Schweizer sind übrigens nur wenige Autographe vorhanden, da er bei einem Bäcker in
Untermiete wohnte, der viele seiner Manuskripte bedauerlicherweise zum Ofenanzünden
missbrauchte., tz, tz, tz...
Was ist noch hervorzuheben aus der Abschiedssaison von Peter Stieber, dem inzwischen
Eberhard Stett als Geschäftsführer gefolgt ist, Stett, der Schwetzingen quasi von der Pike auf
kennenlernen wollte, und sich dafür sogar für eine Opernproduktion als Bär in einer
Nebenrolle zur Verfügung gestellt hat. Er und Marlene Weber-Schäfer, die künftige Leiterin
des Konzertbereichs, sind von der Zukunft der Festspiele überzeugt: Ein gutes Produkt
schaffe sich selbst die Nachfrage – heißt es selbstbewusst – für alle Altersgruppen. –
Mit was, meine Damen und Herren, habe ich mir hin und her überlegt, beende ich musikalisch
diese 4 Musikstunden? Mit Glück, wie die Franzosen zu Gluck sagen, mit dem alles
angefangen hat und seiner Erkennungsmelodie aus „Orpheus“?
MUSIK Schwetzingen-Jingle Gluck, Orpheus) M0012025 040
Nein, das quasi nur zur Erinnerung – wenn Sie das hören, wissen Sie: Schwetzingen ist nicht
weit! – Ich denke mir, mit Gesang haben wir begonnen, also enden wir auch mit Gesang, und
zwar mit einem seit 1996 nahezu ständigen Gast in Schwetzingen, der – stellvertretend für
unendlich viele - ins Gästebuch geschrieben hat: „Es gibt Orte, an die man als Künstler gerne
zurückkehrt. Oft sind es Erinnerungen an ein intensives Konzerterlebnis oder ein aufmerksam
lauschendes Publikum. Manchmal ist es die schöne Akustik und spezielle Atmosphäre in
einem Saal, das Zusammenspiel mit besonderen Partnern oder Begegnungen mit anderen
Künstlern. Es können auch banalere Dinge sein wie herzliche Gastfreundschaft oder gute
Organisation von Seiten des Veranstalters. Die Schwetzinger Festspiele sind für mich insofern
ein herausragendes Festival, als man alles Beschriebene gleichzeitig erleben kann, und ich bin
dankbar, seit Jahren immer wieder hierher eingeladen zu werden. Ad multissimos annos! Alle
guten Wünsche für eine erfolgreiche Zukunft! Gez. Christoph Prégardien.
MUSIK Schumann, „Sehnsucht nach der Waldgegend“ Prégardien/ensembleKontraste (2’11)
Schwetzingen 2010 M0251016 009
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