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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Christiane Knauf
Regie: Marlene Breuer
WISSENSWERT
Guernica
Ein Bild und seine Geschichte
Von Christa Schell und Christiane Knauf
Sendung:
Donnerstag, 26.04.2007, 08:30 Uhr, hr2
Sprecherin: Sylvia Heid
Zitator: Uwe Koschel
O-Töne: Carlos Collado Seidel
07-031
COPYRIGHT:
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Rundfunks.
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Musik: Paul Dessau Klavierstück Guernica
O-Ton 1:
Guernica ist ja ein Symbol, Symbol für den Bürgerkrieg, Symbol für
die Grausamkeit von Kriegen. Dieses Bild war ja eine Auftragsarbeit
für die Weltausstellung, die ja 1937 in Paris stattgefunden hat. Und
dieses Bild hing auch in Paris, mitten im Bürgerkrieg, und war
natürlich als Aufschrei gegen diesen Krieg gedacht.
(Musik kurz hoch)
Zitator:
„Als der amerikanische Außenminister Colin Powell und der Chef
der UN-Waffeninspekteure Hans Blix (...) vor der internationalen
Presse in New York ihre Positionen zu einem möglichen Krieg
gegen den Irak erläuterten, sollte die Weltöffentlichkeit eines nicht
sehen: Pablo Picassos ´Guernica`, das in Form einer Tapisserie (...)
im Vorraum zum Sitzungssaal des Sicherheitsrats hängt.(...) Es sei,
so ein Diplomat, kein ´angemessener Hintergrund`, wenn Powell
oder der Botschafter der Vereinigten Staaten bei den Vereinten
Nationen, (...) über Krieg redeten und dabei von schreienden
Frauen, Kindern und Tieren umgeben seien, die das durch
Bombardements verursachte Leid zeigten.“
Sprecherin:
Und so wurde, wie die Frankfurter Allgemeinen Zeitung damals
berichtete, das bekannteste Anti-Kriegs-Bild des zwanzigsten
Jahrhunderts am 4. Februar 2003 „von einem blauen Vorhang mit
UN-Logos verhüllt“. Doch jeder fünfte Erwachsene, heißt es, kennt
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es, ob als Postkarte oder als Plakat. Manche, wie der Marburger
Historiker Carlos Collado Seidel, kennen sogar das Original.
O-Ton 2:
Es ist ein Aufschrei und ein Leid. Ein Mensch, rechts, der um Hilfe
schreit, weil offensichtlich sein Haus brennt, eine Frau auf der linken
Seite, die ganz offensichtlich ein totes Kind in Händen hält und den
Schrei gen Himmel setzt. Am Boden eben dieser schmerzverzerrte,
zerstückelte Körper, das schreiende Pferd wird natürlich mit dem
spanischen Volk gerne identifiziert, zumal man ja mitten im Körper
auch so etwas wie eine tiefe Wunde erkennt. Ein Bild des Grauens,
der Zerstörung und des Leides.
Sprecherin:
Im Juli 1936 hatten Militärs unter Führung von Generalmajor
Francisco Franco gegen die linksgerichtete Koalitionsregierung aus
Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten geputscht. Das war der
Beginn eines dreijährigen Bürgerkriegs zwischen regierungstreuen
Republikanern und rechten Nationalisten, der Tausende Todesopfer
forderte und das Land verwüstete.
O-Ton 3:
Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die noch in sehr
archaischen Strukturen existiert hat. Und immer wieder kam es zu
Revolutionen, z.B. der revolution von 1868. Und dann eben der
große Aufbruch, mit Ausrufung der Republik im Jahr 1931, wo
erstmals der ernsthafte Versuch unternommen worden ist, eine
bürgerlich-parlamentarisch-demokratische
Gesellschaft
aufzubauen. Es ging ja auch um die Verteilung von Besitzständen,
vor allen Dingen die sehr dringende, sehr wichtige Agrareformfrage,
auch die Beteiligung der Arbeiterschaft an Tarifverträgen, eine
Militärreform, die Zurückdrängung des Einflusses der Kirche auf die
Gesellschaft. Und das hat natürlich die Kräfte der Reaktion auf den
Plan gerufen. Es gab verdeckte Putschkonspirationen 34, 35, und
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dann letztlich der mißglückte von 36. Es kam nicht zu einer
Machtübernahme automatisch, sondern eben zu diesem
grausamen und blutigen Bürgerkrieg im Juli 1936.
Musik: Ernst Busch „Los cuatro generales“
Zitator:
„Der Entschluß zur deutschen Einmischung in den spanischen
Bürgerkrieg und zum ersten Auslandseinsatz nach dem Ende des
ersten Weltkriegs wurde auf einem Opernball getroffen: Am 26. Juli
1936 empfing Adolf Hitler bei den Wagnerfestspielen in Bayreuth
den Abgesandten seines spanischen Gesinnungsgenossen General
Francisco Arranz, der ihm die Bitte Francos zum Kauf von zehn
Transportflugzeugen vortrug. Adolf Hitler sagte nicht nur diese
Flugzeuge zu, sondern entsandte ein ganzes Kampfgeschwader mit
6.500 Soldaten und einem ersten Kontingent von 78 Maschinen.
Die ersten Freiwilligen wurden bereits am nächsten Tag in Marsch
gesetzt.“
Sprecherin:
Schreibt der Politikwissenschaftler Gehard Piper. „Unternehmen
Feuerzauber“ nannten die Nazis diesen Auslandseinsatz, der unter
größter Geheimhaltung vorbereitet wurde. Obwohl sich Deutschland
offiziell
dem
internationalen
Waffenembargo
gegen
Spanien
angeschlossen hatte, unterstützte es Franco mit der „Legion
Condor“ und mehreren tausend Tonnen Waffen und Brennstoff.
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O-Ton 4:
Während Franco von Mussolini und Hitler massiv mit Waffen
unterstützt worden ist, konnte sich zunächst die Spanische Republik
kaum wehren, weil aufgrund des „Nichteinmischungskomitees“
Spanien im Ausland keine Waffen kaufen konnte, die es dringend
benötigt hätte, um sich gegen den Aufstand wehren zu können. Das
wird auch in der Forschung als einer der zentralen Faktoren
dargestellt, der zu dem Scheitern der Republik geführt hat. In
Großbritannien, - in Frankreich weniger, weil zu dieser Zeit in
Frankreich ja auch eine Volksfrontregierung unter Leon Blum regiert
hat -, aber in Großbritannien existierten große Vorbehalte gegen die
unmittelbar nach Putschbeginn einsetzende soziale Revolution. Und
das war natürlich auch für Großbritannien, für die britische
Regierung, ein großes Alarmzeichen: Denen kann man natürlich
keine Waffen zukommen lassen, oder auf deren Seite können wir
uns nicht schlagen.
Sprecherin:
Auf Seiten der spanischen Republik kämpften internationale
Brigraden, Freiwillige aus aller Herren Länder. Sie hofften, mit dem
Freiheitskampf des spanischen Volkes auch die Freiheit ihrer
eigenen Völker zu verteidigen. Sie kamen zu Fuß oder auf dem
Seeweg, man schätzt, dass es insgesamt 40 bis 60 000 waren.
Unter ihnen auch Ernest Hemmingway und George Orwell, der
Schriftsteller Ludwig Renn und der Sänger und Schauspieler Ernst
Busch.
Musik: Ernst Busch „Spaniens Himmel“
Sprecherin:
Im Frühjahr 1937 hatten die nationalistischen Truppen Nordspanien
erreicht.
Bilbao,
Sitz
der
autonomen
Provinzregierung
des
Baskenlandes, wurde umzingelt. Östlich davon liegt die Kleinstadt
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Guernica, die damals knapp 6000 Einwohner und eine unbekannte
Zahl von Flüchtlingen beherbergte. Am 26. April 1937 bombadierte
die Legion Condor die Stadt. Oberstleutnant Richthofen notierte in
sein Kriegstagebuch:
Zitator:
„Guernica, Stadt von 5000 Einwohnern, buchstäblich dem Erdboden
gleichgemacht. Angriff erfolgte mit 250 Kilo und Brandbomben,
letztere etwa ein Drittel. Als die ersten JUs kamen, war überall
schon
Qualm,
keiner
konnte
mehr
Straßen,
Brücken
und
Vorstadtziele erkennen und warf mitten hinein. Die 250ziger warfen
eine Anzahl Häuser um und zerstörten die Wasserleitung. Die
Brandbomben hatten nun Zeit, sich zu entfalten und zu wirken.
Bauart
der
Häuser,
Ziegeldächer,
Holzgalerie
und
Holzfachwerkhäuser, führte zur völligen Vernichtung. Bombenlöcher
auf Straßen noch zu sehen, einfach toll. In Guernica sonst Friede.“
Musik: Paul Dessau „Guernica“
O-Ton 5:
Die Dimension der Angriffe und die Häufigkeit, mit der über
Guernica hinweggeflogen worden ist, das deutet alles darauf hin,
daß da gezielt die Flächenbombardierung von Ortschaften geübt
worden ist, weil die deutsche Luftwaffe war natürlich interessiert,
Erfahrungen zu sammeln und neue Kriegstaktiken für den damals
schon sich abzeichnenden neuen Krieg in Europa zu gewinnen.
Und das war sicher Ziel und Zweck des Ganzen, einer der wichtigen
Aspekte der Entsendung der Legion Condor nach Spanien, das
heißt nach einem Rotationsprinzip wurde möglichst vielen
deutschen Luftwaffenangehörigen die Möglichkeit geboten unter
Kriegsbedingungen taktische Einsätze zu fliegen.
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Sprecherin:
Der Historiker Carlos Collado Seidel. Drei Tage nach dem
Luftangriff besetzten Francos Truppen die Stadt. Pablo Picasso, der
damals im Pariser Exil lebte, begann mit der Arbeit an seinem Bild
für den spanischen Pavillion auf der Pariser Weltausstellung.
Damals schrieb er:
Zitator:
„Das spanische Ringen ist der Kampf der Reaktion gegen das Volk,
gegen die Freiheit. Auf dem Wandgemälde, an dem ich arbeite und
das ich Guernica nennen werde, und in all meinen letzten Werken,
bringe ich deutlich meinen Abscheu vor der militärischen Kaste zum
Ausdruck, die Spanien in einen Ozean von Leid und Tod versenkt
hat.“
Musik: Paul Dessau „Guernica“
Sprecherin:
Etwa 18 000 Bürgerkriegsgefangene, heißt es, haben die Stadt
Guernica später wieder aufgebaut, auf dass der „Generalissimo“ wo
auch immer verlautbaren lassen konnte, ein Bombardement habe
es nie gegeben. Doch es gibt ja das Bild: schwarz auf weiß, im
wahrsten Sinne des Wortes, und in grauen Tönen: Picassos
malerische Ikone gegen den Krieg.
O-Ton 6:
Es ist ja bekannt, daß Picasso testamentarisch festgelegt hatte, daß
dieses Bild nach Spanien kommen sollte, aber erst, wenn eine
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Demokratie dort besteht. Und es war die große Anstrengung der
damaligen spanischen Regierung, dieses Bild möglichst bald nach
Spanien zu holen, und damit ein Symbol der Heimholung des Exils.
Hunderttausende waren ja ins Exil zunächst gegangen und
Hundertfünfzig, Zweihunderttausend sind dauerhaft im Exil
geblieben. Und ich habe es das erste Mal gesehen, als es noch im
Palacio del Buen Retiro, hieß das glaube ich, stand. Ein kleines
Palais, das extra dafür hergerichtet worden ist. Das Bild stand hinter
Panzerglas, und daneben war eine bewaffnete Eskorte, die das Bild
bewachte. Das war die Angst, daß eben dieses Symbol für den
Bürgerkrieg angegriffen oder zerstört werden könnte. Über viele,
viele Jahre blieb da dieses Bild hinter Panzerglas beschützt.
Musik: Paul Dessau Guernica
Sprecherin:
„Guernica“, der von Paul Dessau 1938 im Pariser Exil komponierte
Ton zum Bild, das pünktlich zur Pariser Weltausstellung fertig
wurde. Fast vier mal acht Meter in seiner ganzen, kaum faßbaren
Größe. „Entartete Kunst“ in den Augen der Nazis. Wer zu Francos
Zeiten mit einem Nachdruck erwischt wurde, kam ins Gefängis. Und
mindestens vier mal acht Meter blauen Stoffs mußten her, um den
Wandteppich im Foyer der Vereinten Nationen zu bedecken,
damals, als Colin Powell für den Krieg warb, den sie heute noch
führen. So viel Kunst durfte nicht sein. Vielleicht weil sie zu deutlich
ihren „Abscheu vor der militärischen Kaste“ zeigt und davor, daß sie
die Welt immer und immer wieder „in einen Ozean von Leid und
Tod“ versinken läßt.
Literatur:
Carlos Collado Seidel: Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte
eines Europäischen Konflikts. Verlag C.H.Beck, 2006
8
ISBN 3-406-54095-3
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