erkennen und - Wie die Welt in den Kopf kommt

Werbung
WIE DIE WELT IN DEN KOPF KOMMT
EIN RAUM-ZEIT-DYNAMISCHES SICH
SELBSTSTRUKTURIERENDES MODELL DES GEHIRNS
Neurophysiologische
Hinweise,
dass
Gehirnwellen
der
Verbindungsfindung
zwischen
aktiven
Neuronen,
sowie
der
Zeitcodierung von Information dienen, haben zu einem extrem
leistungsfähigen neuronalen Modell geführt. Das Kunsthirn für den
selbstlernenden erziehbaren Spiel- Betreuungs- oder Haushaltsrobotter
ist konzipiert.
Von MMag. Manfred Gotthalmseder
Weigunystrasse 8/1 4040 Linz
Tel: 043 699 11719682
[email protected]
INHALTSVERZEICHNIS:
1
KURZFASSUNG (ABSTRACT)
2
REDUNDANZKETTEN-FLIEßNETZE
1 Studien am Gehirn, die ein zeitdynamisches Modell notwendig machten
2 Abgrenzung zu anderen Netztypen
3
4
EIN GEHIRNMODELL AUF BASIS DES REDUNDANZKETTEN-SIGNALFLUSSES
Die sieben Problemstellungen eines Gehirns
1. Regeln zur Bindungsstärke
2. Regeln zur Verbindungsfindung
3. Regel zur hierarchischen Organisation der Informationen
4. Regeln zum Zusammenfluss der Signale
5. Regeln zur zeitlichen Voraussage
6. Regeln für körperliche Bedürfnisse als Handlungsmotiv
7. Regeln für geistige Bedürfnisse und kreatives Verhalten
ZUSAMMENFASSUNG ALLER REGELN
5
EXKURS: ÜBERPRÜFUNG DER REGELN AM VISUELLEN SYSTEM
1. Niedrige Stufen visueller Verarbeitung
2. Höhere Stufen visueller Verarbeitung
3. Höhere Funktionen
6
SCHLUSS
Literaturliste
Lebenslauf
1
KURZFASSUNG (ABSTRACT)
6
Was ist neu an dem in dieser Arbeit vorgestellten Modell? ............................................. 11
Ziel und Aufbau der Arbeit .............................................................................................. 12
2
REDUNDANZKETTEN-FLIEßNETZE
14
2.1 Neurophysiologische Studien, die ein neues Zeitdynamisches Modell notwendig
machten.
14
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.1.5
2.1.6
2.1.7
2.1.8
2.1.9
2.1.10
2.1.11
2.1.12
Axon Pathfinding ............................................................................................. 17
Verbindungsfindung in Lernprozessen. ............................................................ 22
Horizontale Verbindungen ............................................................................... 26
Wellen im ausgereiften Gehirn ........................................................................ 27
Unverbrauchte Reserve-Verbindungen ............................................................ 31
Großflächige Modulation der Synapsen. .......................................................... 32
Rückläufige Signale. ........................................................................................ 32
Kettensignalfluss und Signalfließzeit ................................................................ 34
Chunkzellen..................................................................................................... 37
Regelkreisprinzip. ............................................................................................ 40
Aufmerksamkeitslenkung ................................................................................ 40
Übergang zu seriellem Denken ........................................................................ 43
2.2 Abgrenzung der Signalflussidee zu anderen Netztypen
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4
46
Die Vor- und Nachteile klassischer Mehrschichtnetzwerke............................... 46
Vor- und Nachteile statistischer Netze ............................................................. 48
Das Kohonen Netzwerk ................................................................................... 51
Auf Synchronisation beruhende Netze ............................................................. 55
2
2.2.5
3
Redundanzketten-Fließnetze: Die Vorteile dieses neuen Netztypus ................. 58
EIN GEHIRNMODELL AUF BASIS DES REDUNDANZKETTEN-SIGNALFLUSSES
Was ist die allgemeine Aufgabe des Gehirns?
65
66
Was ist ein Ereignis oder ein Objekt im Gehirn?............................................................. 67
Zusammenfassung der Grundidee neuronaler Netze ...................................................... 67
Die sieben Problemstellungen eines Gehirns
68
3.1 Regeln zur Bindungsstärke:
69
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.4
3.1.5
3.1.6
3.1.7
Die Assoziative Konditionierung ....................................................................... 69
Wir treffen Voraussagen aufgrund eines statistischen Lernmechanismus ........ 70
Wann wird eine Verbindung mit welcher Stärke erlernt? .................................. 71
Wie und warum neue Erfahrungen stärker gewichtet werden sollten . ............... 72
Wo Konditionierungslernen von Bayes abweicht .............................................. 74
Über die statistische Gleichbehandlung räumlicher und zeitlicher Distanzen .... 76
Die Darstellung negativer Relationen durch hemmende Verbindungen ............ 76
3.2 Regeln zur Verbindungsfindung
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.2.6
3.2.7
3.2.8
77
Das Blitzprinzip ................................................................................................ 78
Die Vereinigung der Vorteile des Mehrschichten und des Bayes-Netzes .......... 79
Das Kurze-Wege-Fließmodell .......................................................................... 79
Wie kann die Verbindungsfindung in einem künstlichen System ablaufen? ...... 82
Ein verbessertes Modell .................................................................................. 84
Die Kontaktfindung .......................................................................................... 86
Die Zweischritt-Scheinlösung ........................................................................... 87
Kontaktfindung durch Kämmlinienvermischung ................................................ 89
3.3 Regel zur hierarchischen Organisation der Informationen:
3.3.1
3.3.2
3.3.3
Die eine Verknüpfung repräsentierende Zelle .................................................. 94
Generalisierung und Differenzierung .............................................................. 100
Verarbeitungsebenen und das Differenzierungsproblem ................................ 102
3.4 Regeln zum Zusammenfluss der Signale
3.4.1
3.4.2
3.4.3
3.4.4
3.4.5
3.4.6
3.4.7
3.4.8
3.4.9
3.4.10
104
Wann und wie verlassen die Fließsignale eine Redundanzkette? .................. 104
Warum solche räumliche Verbindungen nicht entstehen ................................ 105
Die Abziehbildcodierung ................................................................................ 106
Wie stark sind Signale, die sich verbinden? ................................................... 109
Die notwendige Unterscheidung von Reizstärke und Reizanzahl.................... 110
Konkretisierung der Signalcodierung für die KI-Forschung ............................. 111
Der Abfluss der Signale am Beispiel räumlich getrennter Punkte ................... 111
Warum wir Form und offene Linie unterscheiden ........................................... 114
Wann werden Signale kombiniert, wann überschrieben? ............................... 115
Was haben wir damit erreicht? ...................................................................... 116
3.5 Regeln zur zeitlichen Voraussage
3.5.1
3.5.2
3.5.3
3.5.4
3.5.5
94
117
Der Unterschied zwischen Vorstellungen und Wahrnehmungen .................... 117
Zwei Arten zeitlicher Vorankündigung: Mit und ohne Verbindungen ............... 118
Das Uhr-Modell ............................................................................................. 119
Das Pendel-Modell ........................................................................................ 119
Das Sanduhr-Modell ...................................................................................... 121
3
3.5.6
3.5.7
3.5.8
3.5.9
3.5.10
3.5.11
3.5.12
3.5.13
3.5.14
3.5.15
Das Reihenfolge-Modell ................................................................................ 122
Wann, und womit beginnt die Zeiterfassung? ................................................ 124
Wie unterscheiden wir Lautstärke und Tempo? ............................................. 126
Die Ordnung auditiver Verbindungen durch das Prinzip der Blockierung ........ 128
Wie werden Reizverläufe erfasst? ................................................................. 129
Was gilt mehr, Nähe oder Ähnlichkeit? .......................................................... 130
Die Verarbeitung der zeitlich kodierten Signale im visuellen System .............. 131
Die Verarbeitung zeitlicher Signale des auditiven Systems ............................ 132
Die Verbindung nicht zeitgleicher Signale: ..................................................... 134
Zukunftsvorstellungen versus parallele Welt .................................................. 135
3.6 Regeln für körperliche Bedürfnisse als Handlungsmotiv
3.6.1
3.6.2
3.6.3
3.6.4
3.6.5
3.6.6
3.6.7
3.6.8
3.6.9
3.6.10
Zwei Gründe gegen Verhaltensverstärkung durch Verbindungsverstärkung ... 139
Die Rolle der rückführenden Signale „aus der Zukunft“ .................................. 141
Die Unterscheidung von Emotion und Gefühl ................................................. 143
Wie Handlungen gestartet werden ................................................................. 143
Exkurs: Ein System für alle Verarbeitungsprozesse ....................................... 144
Erwartungssignale von den Sinnen, zeitgegenläufige vom Triebzentrum ....... 146
Die Verschaltung der Sollwertabweichungssignale zu Bedürfnissen .............. 146
Vorstellung der Zukunft und der Vergangenheit ............................................. 147
Aussagenlogik ............................................................................................... 148
Handlungen automatisieren (unbewusst erledigen) ........................................ 149
3.7 Regeln für geistige Bedürfnisse und kreatives Verhalten
3.7.1
3.7.2
3.7.3
3.7.4
3.7.5
3.7.6
4
5
159
Regeln zur Verbindungsstärke: ...................................................................... 159
Regeln zur Verbindungsfindung ..................................................................... 159
Regeln zur hierarchischen Organisation der Verbindungen ............................ 160
Regeln zum Zusammenfluss der Signale ....................................................... 160
Regeln zur zeitlichen Voraussage .................................................................. 161
Regeln für körperliche Bedürfnisse ................................................................ 162
Regeln für geistige Bedürfnisse und kreatives Verhalten ............................... 163
Allgemeine Zusatzregeln: .............................................................................. 163
Ist das Modell damit fertig? ............................................................................ 164
EXKURS: ÜBERPRÜFUNG DER REGELN AM VISUELLEN SYSTEM
5.1 Niedrige Stufen visueller Verarbeitung
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
5.1.5
5.1.6
5.1.7
149
Aufmerksamkeit und das Bindungsproblem ................................................... 149
Trennung von Figur und Grund ...................................................................... 151
Der Lerntrieb bzw. ästhetische Trieb ............................................................. 151
Die Notwendigkeit des Lerntriebes für den Erwerb der Bewegungskontolle ... 153
Kreativität. Ausprobieren neuer Handlungen .................................................. 155
Das Verhältnis von „Außenwelt“ zu „Innenwelt“ .............................................. 157
ZUSAMMENFASSUNG ALLER REGELN
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4
4.1.5
4.1.6
4.1.7
4.1.8
4.1.9
137
166
166
Das Projektionsfeld ....................................................................................... 166
Kontur und Farberkennung ............................................................................ 167
Die Reaktion von Gegenfarbenzellen auf Unschärfe und Grauverläufe .......... 172
Die Bewegungzellen und die Objektfixierung ................................................. 174
Die Kontur und Richtungserkennung ............................................................. 176
Die Erkennung von Konturrichtungen............................................................. 177
Abziehbildsignalfluss auf den Richtungsebenen ............................................. 182
4
5.1.8
Die Doppelgegenfarbenzellen ........................................................................ 184
5.2 Höhere Stufen visueller Verarbeitung
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
5.2.6
5.2.7
5.2.8
5.2.9
185
Objektgröße und Anzahl ................................................................................ 185
Was ist Textur, was Form? ............................................................................ 186
Struktur- und Texturbeispiele ......................................................................... 187
Ein Modell der Texturerkennung .................................................................... 204
Formerkennung ............................................................................................. 204
Figur/Grund ................................................................................................... 208
Die Bindung der Sinnesreize .......................................................................... 210
Die Verarbeitung räumlicher Tiefe ................................................................. 211
Raumorientierung .......................................................................................... 212
5.3 Höhere Funktionen
5.3.1
5.3.2
5.3.3
5.3.4
5.3.5
5.3.6
5.3.7
5.3.8
6
Wieso das Modell in anderen Systemen funktionieren sollte als im visuellen . 214
Sozialer Kontakt ............................................................................................ 215
Sprache ......................................................................................................... 216
Wille und willentliches Merkvermögen ........................................................... 216
Was ist Bewusstsein? .................................................................................... 219
Bewusste und unbewusste Komponenten der Bewegungskontrolle ............... 220
Verdrängte Erlebnisse ................................................................................... 221
Stress und Depression .................................................................................. 222
SCHLUSS
6.1.1
6.1.2
6.1.3
6.1.4
7
214
223
Warum es letztendlich ein philosophisches Werk ist ...................................... 223
Warum gab es ein solches Modell noch nicht? .............................................. 226
Künstliche Wesen, Horrorvorstellung oder Bereicherung? ............................. 228
Wie soll es weitergehen? ............................................................................... 230
LITERATURLISTE
232
5
1 KURZFASSUNG (ABSTRACT)
Neue Technologien ermöglichen es der Neurophysiologie die Dynamik des Gehirns
im Kurzzeitbereich zu erforschen, und die Ergebnisse werfen bisherige
Denkmodelle über den Haufen. Das hier dargestellte Modell fußt auf solchen neuen
Studien über Wellen und Signalbewegungen und es zeigt, wie am Beispiel des
Gehirns, wesentlich leistungsfähigere neuronale Netze machbar sind. Der Schlüssel
dazu lautet: Kontaktfindung und Zeitcodierung.
Wenn wir in der Gehirnforschung von „selbstlernend“ sprechen, so bezieht sich dies
auf die Lernregeln der Psychologie, die in ihrer elementarsten Form in den
Konditionierungsexperimenten zutage treten. Ich behaupte, dass diese Lernregeln
noch nie vollständig in einem künstlichen neuronalen Netz umgesetzt wurden. Fehlt
nur eine solche elementare Regel, so ist die Leistungsfähigkeit des Systems bereits
zerstört. Es ist anzunehmen, dass solche Ausfälle auch in der Natur vorkommen.
Die auf unvollständigen Lernregeln aufbauenden Netze der heutigen KI -Forschung
könnte man aus meiner Sicht deshalb mit dem Gehirn eines Autisten vergleichen,
das dazu taugt das Telefonbuch zu lernen, aber nicht um sich im Leben
zurechtzufinden. Da bereits zu Beginn meines Studiums für mich feststand, dass
meine Abschlussarbeit dieses Thema behandelt, habe ich über Jahre alle Literatur
die mir begegnete nach Erkenntnisregeln durchsichtet und glaube heute das
vollständige Regelwerk in ein Modell fassen zu können.
Unser Gehirn hat ein übergreifendes Ziel: Es dient dazu die Welt und die
zukünftigen Bedürfnisse vorauszusagen, und unser Handeln darauf abzustimmen.
Dieses Ziel verfolgen alle Nervensysteme, seit sich in der Evolution die Fernsinne
entwickelt haben. Hat ein Tier z.B. Augen, so braucht es ein Gehirn, das es
veranlasst zu flüchten wenn es den Feind erspäht, nicht erst wenn es vom Feind
berührt wird. Es handelt also aus einer hypothetischen Zukunft. Auch jede sinnvolle
geplante Handlung des Menschen bezieht sich auf eine hypothetische Zukunft.
Um eine solche Zukunft vorauszusagen, erlernen wir Reizketten. Aber nur wenn
sich eine Kette AB häufig wiederholt hat, können wir auch davon ausgehen, dass
in Zukunft wieder auf Reiz A Reiz B folgen wird. Deshalb lernen wir, anders als der
Speicher eines Computers, erst durch Wiederholung.
Das hier dargestellte Modell fußt auf der alten Idee, dass erlernte Reizverbindung en
direkt in „gewachsenen“ neuronalen Verbindungen ihre Repräsentation finden.
Diese Vorstellung mag in ihrer einfachen Form nicht viel Erklärungswert besitzen,
wenn wir in weiterer Folge jedoch die zeitlichen Vorgänge der Signalbewegungen
im Gehirn in die Überlegungen mit einschließen, so werden wir ein Modell erhalten,
das sehr gut die Ergebnisse der neueren zeitdynamischen Studien der
Neurophysiologie erklärt.
6
Der Grundlegende Ansatz ist altbekannt: Der Pawlowsche Hund, dem immer die
Glocke zum Futter geläutet wird, verbindet also das Neuron „Glocke“ mit jenem, das
Futter repräsentiert. Dieser Verbindung kann ein eigenes Neuron zugeordnet
werden, das für den gesamten Fütterungsprozess steht, also für das gesamte
Chunk. Der Hund kann dann in weiteren Lernprozessen dieses Neuron verknüpfen
und z.B. feststellen, dass Fütterung zwei mal am Tag erfolgt. Lernen wäre sehr
einfach zu erklären, gäbe es immer nur zwei Reize, wie Glocke und Futter, die
räumlich und zeitlich ident auftreten. Aber das gibt es nicht. Reize nehmen nämlich
auch im Gehirn unterschiedliche Orte ein. Es ergeben sich zwei wesentliche
Fragen:
1. Was ist, wenn drei oder mehr Reize verbunden werden sollen.
2. Wie finden die Orte zueinander eine Verbindung?
Zu 1: Während zwei Reize durch eine Linie verbunden werden können, also durch
einen Nerv, und wir uns vorstellen können, dass in der Mitte dieser Verbindung jene
Zelle positioniert sein könnte, die die Reizverbindung (Fütterung) repräsentiert, gibt
sowohl die Vernetzung, wie auch die Position dieser sogenannten Chunk-Zelle im
Fall von mehreren Neuronen ein Rätsel auf.
Stellen wir uns ein Lernexperiment mit Punktdarstellungen vor. Eine Drei-PunktAnordnung soll als Begriff gedacht, und von anderen Anordnungen unterschieden
werden können. Sie soll in einem Konditionierungsexperiment eine eigene Reaktion
auslösen. Dazu muss ihr eine eigene Zelle zugeordnet werden, von der diese
Reaktion ausgelöst werden kann.
Die Regel dazu klingt simpel: Gleichzeitig räumlich nahe Reize werden verbunden.
Jeder Punkt ist ein Reiz. Das bedeutet aber Punkt A wird mit Punkt B verbunden, B
mit C, C mit A. Wir erhalten drei Verbindungen, und damit drei Chunkzellen, und
nicht eine. Damit stehen wir wieder am Anfang. Das Problem der Bildung eines
einzigen Gestaltbegriffs blieb ungelöst. Werden mehr als zwei Reize zugleich im
Gehirn aktiv, so ergibt sich also ein Lern-Problem, das ich in der Literatur auf dieser
elementaren Ebene nicht behandelt gefunden habe.
Jeder Bildpunkt der visuellen Wahrnehmung muss im Ursprung als Einzelreiz
verstanden werden, ehe das Gehirn lernt, die Punkte zu größeren Einheiten zu
verbinden. Somit werden in der Regel Millionen von Reizen im Gehirn zugleich
aktiv. Aber nach welchen Regeln werden mehr als zwei Reize verbunden? Wie
erkennen wir solche Reizanordnungen, also Bilder?
Die Lösung des Verbindungsproblems:
Ich will in dieser Einleitung schon einige Lösungen vorwegnehmen, obwohl ich es
hier nur in einer unprofessionellen Kürze tun kann, ohne auf neurophysiologische
Beweisführung, technische Details und bereits bekannte technische Lösungen
einzugehen. Das alles kommt später. Und es wird sich auch erst später
7
herausstellen, was alles durch die Lösung der hier dargestellten Elementarprobleme
hervorgeht, nämlich die Erklärung der gesamten inneren Repräsentation der Welt.
Die Antwort auf die Frage danach wie mehrere Reize eine Verbindung bilden
können, fand sich gemeinsam mit der Antwort auf Frage 2: Wie finden distanzierte,
zugleich
aktive
Neuronen
eine
Verbindung
zueinander?
Konditionierungsexperimente haben gezeigt, dass prinzipiell jede beliebige
Reizkombination erlernt werden kann. Aber eine Gehirnzelle hat nicht mit jeder
anderen Kontakt, und es gibt prinzipiell mehr verschiedenartige Reize, als eine
Gehirnzelle aktive Kontakte haben könnte. Deshalb muss die Verbindung meist
über andere Zellen erfolgen. Aber wie kann eine selbstlernende noch nicht
verschaltete Struktur diese Verbindungen finden?
Axon Pathfinding ist ein wichtiges Problem der gegenwärtigen Neurophysiologie.
Was die schnelle Kurzzeitspeicherung betrifft, so scheint es einen analogen
Prozess zum Axon Wachstum zu geben, den ich als Signal-Pathfinding bezeichne.
Beide Prozesse scheinen von elektrochemischen Gehirnwellen gesteuert. Ich werde
die dazugehörigen Studien gleich im Anschluß an diese Einleitung darstellen. Sehr
vereinfacht kann man sich vorstellen, dass von den aktiven Neuronen eine Welle
ausgeht, die sich strahlenförmig zu allen Seiten hin ausbreitet und die Stru ktur
durchkämmt. Die Strahlen sind wie eine Bahn, auf der ein Weg zurück zur Quelle
gefunden werden kann. Betrachten wir nun noch einmal unser Beispiel mit den drei
Punkten, so ergibt sich ein Ausbreitungsmuster dieser Wellen. Sie laufen an einem
zentralen Punkt in der Mitte des Dreiecks zusammen. Damit haben wir einen
einzigen Ort für eine Chunk-Zelle (Begriff-Zelle), die dieses Dreieck repräsentiert.
Zu diesem Ort hin verbinden sich die drei Punkte. Dies ist die Grundidee zur
Lösung des Pfadproblems.
Was aber, wenn mehrere Punkte (Reize) in einer Linie hintereinander aufgefädelt
positioniert sind?
Es scheint als würden sie dann auch nicht mehr als Objekt sondern als Linie, eben
hintereinander, gedacht. Wenn wir uns in unserer Vorstellung einer Punktreihe von
8
Punkt 1 zu Punkt 3 begeben, so gelangen wir dort nur über Punkt 2 hin. Unser
Vorstellungsdenken ist zeitlich, die Punkte sind räumlich. Diese Punktanordnung
wird also in unserem Denken zeitcodiert. In unserem Denken begeben wir uns von
den Linienenden die Linie entlang. Es ist anzunehmen, dass dabei auc h die Signale
derartig fließen. Aber dazu später mehr.
Womit beginnt die Verarbeitung visueller Reize?
Um das zu verstehen, bedürfen wir einer Rückbesinnung auf das eigentliche Ziel
des Gehirns: Verbindungen dienen der Voraussage. Mit diesem Wissen wollen wir
nun die ersten Verarbeitungsschritte der visuellen Wahrnehmung zu interpretieren
versuchen:
Die Neuronen, welche die Bildpunkte eines Bildes repräsentieren, werden sich mit
ihren Nachbarn verbinden, um deren Aktivität vorauszusagen. Meistens wird die
Aktivität benachbarter Bildpunkte ähnlich sein, weil ein Bild aus Farbflächen
besteht, und immer viel mehr Punkte innerhalb dieser Farbflächen Platz finden, als
an deren Konturen. Innerhalb der Flächen sind benachbarte Punkte gleich gereizt,
also verbinden sie sich und sagen voraus: Mein Nachbar ist gleich gereizt. Das ist
die elementarste räumliche Voraussage. An den Konturen kommt es jedoch zu
einem Voraussagefehler, also zu einem Reiz, der auf die nächste Ebene
weitergesendet wird.
Genauso ist es mit der zeitlichen Folge. Egal wie klein wir eine Zeiteinheit wählen,
es wird nicht mit jeder neuen Zeiteinheit das Bild wechseln. Deshalb kann eine
Sinneszelle durchschnittlich vorausahnen: In der nächsten Zeiteinheit werde ich
wieder gleich gereizt sein.
Sinneszellen geben nur Signale weiter, wenn ihre Voraussage nicht stimmt. Da
unser Auge immer etwas zittert, wechselt an den Konturen ständig das Bild. Sowohl
zeitlich als auch räumlich ist dort immer ein Voraussagebruch. Dieser
Voraussagefehler wird auf die nächste Ebene von Neuronen gesendet. Dort landen
also nur Konturreize.
Konturen verlaufen durchschnittlich geradlinig, weil grundsätzlich viel mehr
Neuronen auf einer Linie Platz finden, als auf deren Ecke. Deshalb verbinden sich
die Neuronen auf dieser Ebene zu Ketten (Balken) und sagen eine geradlinige
Konturfortsetzung voraus.
Die Winkel oder Enden solcher Konturlinien begrenzen den voraussagbaren
Bereich. Innerhalb der Linie (Reizkette) folgt ein Punkt voraussagbar dem nächsten.
Sie bilden eine Einheit. An den Enden der Kette liegt der Voraussagefehler. Ich
nehme an, dass ein Reiz vom Gehirn umso stärker wahrgenommen wird, je wen iger
er vorausgesagt wird. Ja mehr noch, jeder Reiz ist ein Voraussagefehler! Ist er
vollkommen vorausgesagt, ist es kein Reiz mehr. Jemand der dauerhaft neben der
Autobahn wohnt, hört die Autos nicht mehr. Sie sind kein Reiz mehr.
9
Kettensignalfuss entlang der Verbindungsbahnen
Wenn wir oben davon ausgegangen sind, dass Signale an gereizten Neuronen
starten (Voraussagefehlern), und ein Wellensignal in das vorhandene
Verbindungsnetz senden, um einander zu finden und eine Chunkzelle zu aktivieren,
so sieht dies in den Kettenverbindungen auf der Konturebene folgendermaßen aus:
Das Kontur-Ende ist der Voraussagefehler, also der Reiz. Dort starten Signale und
laufen die vorhandenen Verbindungen, also die Konturen entlang. Sie treffen an
einem Punkt in der Mitte der Linie (Kontur) aufeinander. So haben wir einen Punkt
pro Linie, an dem das Signal letztlich landet. An diesem Punkt kann die Chunkzelle
liegen, die die Linie repräsentiert.
Aber wie kann aus der Reaktion einer solchen Chunkzelle hervorgehen, wie lang
die Linie ist? Ganz einfach: Die Signale fließen länger, wenn die Linie länger ist. Ich
werde nachher neurophysiologische Ergebnisse präsentieren, die das belegen.
Genau das ist auch in unserer bewussten Vorstellung zu beobachten. Wir brauchen
länger, um uns eine längere Distanz vorzustellen (Inselexperiment).
Freilich kann ich in dieser Kurzfassung nicht weiter ins Detail gehen. In der Arbeit
will ich darstellen, dass prinzipiell jedes Bild durch das Signalflussprinzip auf
ähnliche Weise zeitcodiert werden kann. Da alle Sinnesdaten in Reaktionsbildern
vorliegen, ergibt sich ein allgemeines Modell des Gehirns, denn die
Signalfließprozesse taugen somit auch zur Verarbeitung von akustischen Reizen,
oder Tast und Geruchsreizen etc.
Bewusstsein und Wille
Im Bewusstsein wird alles seriell, also zeitlich nacheinander gedacht. Linien werden
also zeitlich abgewandert. Es hat eine Umcodierung von zeitlicher Information auf
räumliche stattgefunden. Genau an dieser Schwelle kommt es von unbewussten zu
bewussten Prozessen der Wahrnehmungsverarbeitung. Das hier vorgestellte Modell
soll nicht nur ein Meilenstein in der Entwicklung der künstlichen Intelligenz
darstellen, es dient letztlich der Erforschung des Bewusstseins.
Das Ziel des Gehirns liegt nicht nur in der Voraussage zukünftiger
Umweltbedingungen und Körperzustände, sondern auch darin die körperlichen Ist Werte sowohl jetzt, als auch in Zukunft möglichst an die Sollwerte heranzuführen.
Das ist der Zweck allen Handelns, einschließlich Sicherheitsdenken, Habgier und
sozialem Rang.
Körperliche Sollwerte eines künstlichen Wesens könnten zum Beispiel geladene
Batterien, sowie gesicherte Daten und Vermeidung von Erschütterung und anderen
Schäden sein. Will es durch Dienstleistungen selbstständig seinen Strom
verdienen, sich also einen Broterwerb suchen, wie der Mensch dies tut, so braucht
es viel Einblick in die Welt (viel Voraussage) und es muss sich sozial einbinden,
denn der Strom aus der Steckdose fließt nur solange er bezahlt wird. Bereits ein
10
einfaches Bedürfnis kann ein mobiles System, das Voraussage beherrscht, somit
schon zu einer Vielfalt an komplexen Verhaltensmustern anregen. Genau das
zeichnet den Menschen aus. Das hier dargestellte Modell will zeigen, dass eine
selbstlernende Struktur machbar ist, die bei ausreichender Größe prinzipiell solche
Leistungen steuern kann und damit über einen Willen verfügt.
Was ist neu an dem in dieser Arbeit vorgestellten Modell?
Um ein in sich schlüssiges und konsistentes System zu schaffen, war mehr
notwendig als nur die Idee der Zeitcodierung durch den Signalfluss. Hier eine Liste
der neuen Aspekte des Modells:
1. Das Modell zeigt, wie Verbindungen in beliebiger Richtung zu gleichzeitig aktiven
Neuronen, über andere Neuronen hinweg aufgebaut werden können. Es findet d abei (in
Anlehnung an den Blitz) den kürzesten Weg und nabelt die Verbindungen ab. Damit ist
das Problem kombinatorisch zu zahlreicher Verbindungsmöglichkeiten gelöst, denn es
werden Verbindungen erst erschaffen, wenn sie gebraucht werden.
2. Jeder entstandenen Verbindung ist ein Neuron zugeordnet, das diese Verbindung
repräsentiert. Mit diesen Neuronen entsteht somit auch eine ideale Lösung der Frage
nach der räumlichen Anordnung der Repräsentationen im Netz (visual space).
3. Durch das, aus Konditionierungsexperimenten bekannte Gesetz der Blockierung, wird
verhindert, dass zu viele Verbindungen entstehen.
4. Die Auslösung erster Handlungen geschieht durch einen Regelkreis, der unseren
Erkenntnisdrang simuliert. Andere Bedürfnisse kann ein Baby ja noch nicht selbst
befriedigen (Stangl 2002). Deshalb ist auch nicht vorstellbar, dass sie sein Handeln
motivieren, denn ohne Befriedigung findet keine Konditionierung statt. Der Regelkreis,
der den Spiel- und Erkenntnistrieb simuliert, ist also für ein selbstlernendes System,
das bei Null startet, unumgänglich. Die Impulse dieses Regelkreises starten an
Voraussagefehlern. Diese liegen, je nach Lernerfahrung, anderswo im Netz. Das
System arbeitet also, anders als gängige Netze, weder Top Down noch Bottom Up.
5. Wir verketten nacheinander oft erlebte Reize, und nützen diese assoziativen
Verbindungsketten, wenn wir uns etwas vorstellen (Tritschler 2001). Auch Reizbilder
werden durch Verbindungen gespeichert, allerdings sind es nun Ketten von zeitgleichen
Signalen, die ich als „Und-Verbindungen“ bezeichne. Es gibt nun keinen Zeitpfeil, der
beschreibt in welcher Richtung diese Ketten durchflossen werden sollen. Das Signal
könnte darin ewig im Kreis laufen. Das hier dargestellte Modell löst dieses Pro blem
durch den Start der Signale beim Voraussagefehler (Erkenntnistrieb).
6. Der Abfluss der Signale aus den Und-Verbindungen, führt zu einer Zeitcodierung
visueller Information, die erklärt, warum es für den Menschen optisch ersichtliche und
weniger ersichtliche Zusammenhänge in Bildern gibt. Durch diese Zeitcodi erung kommt
die Information nacheinander durch eine Leitung (Damit ist das Bindungsproblem
gelöst, und auch die synchronisierten Signale, die man fand, passen in dieses M odell
(vergl. Held 2002)). So können relativ wenige Leitungen die Forminformation e ines
gesamten Objektes vermitteln, und an unzählige erkennende Übereinheiten
weitergeben.
7. Es ist meines Wissens nach das erste neuronale Modell, das zeigt, wie es von der
parallelen Verarbeitung der Sinne, zur seriellen der Vorstellungen kommt, warum also
11
in Vorstellungen nur eine Sache zu einem Zeitpunkt bewusst gedacht werden ka nn. Es
zeigt, wie Vorstellungen unser Handeln beeinflussen, und worin sie sich von
Wahrnehmungen unterscheiden.
8. Das Modell beschreibt die „Hardware“ eines Kunsthirns, welches Verhalten aufgrund
innerer Vorstellungen kontrolliert, die es durch Erfahrungen erwirbt. Es mus s in ein
mobiles System integriert sein, dessen Sensoren Reize aus der Umwelt empfangen,
durch die es programmiert wird. Seine Vorstellungen davon, welche Zukunft eintreten
wird, sind abhängig von den Konsequenzen, die es auf sein Verhalten erwartet. Man
kann das Neuronale Netz erziehen, indem man ihm Konsequenzen für sein Verhalten
prophezeit. So ist es für jeden Menschen ohne Vorbildung verwendba r.
Ziel und Aufbau der Arbeit
1. Die Grundidee, dass Signalfließzeiten eine Rolle in der Informationsverarbei tung
des Gehirns spielen, fußt auf neueren Neurowissenschaftlichen Studien. Eine
Übersicht dazu soll den Anfang der Arbeit bilden, da das Modell ohne diese
Quellen, nach altem Lehrbuchwissen sehr weit hergeholt wirkt.
2. Im Anschluss daran will ich eine kleine Übersicht über die gängigen künstlichen
neuronalen Netze der KI-Forschung geben, um zu zeigen, welch unlösbare
Probleme diese aufwerfen. Ich will zeigen, dass das hier dargestellte Modell auf
lange Sicht den einzig gangbaren Weg zu künstlicher Intelligenz darstellt.
3. Dann folgt auf ca. 100 Seiten das Modell und endet mit einer Zusammenfassung
seiner neuronalen Regeln.
4. Diese werden schließlich, im vierten Teil der Arbeit, zur Überprüfung, auf die
elementaren Prozesse des Sehens angewendet, um zu zeigen, dass analoge
Strukturen entstehen, wie wir sie im Gehirn finden.
Zugegebenermaßen ist das Modell mit heutigen Computern schwer zu simulieren,
denn die Speicherung von Wissen erfolgt wie im Gehirn in Verbindungen, und
zusätzlich bedarf es auch noch der zeitlichen Bewegung von Signalen in diesen
Verbindungen, um zu der dargelegten Zeitcodierung von Reaktionsbildern zu
kommen. Das Fernziel dieser Arbeit besteht deshalb darin, als Grundkonzept zur
Entwicklung einer eigenen Hardware zu dienen, in der Wissen in Form von
Verbindungen abgespeichert wird. In Chips gespeicherte größere Datenmengen
sind heute technisch möglich, man denke nur an Digitalkameras. Das Modell bedarf
aber eines ganz eigenen Aufbaus solcher Chips, um die Welt in sich „begrifflich“
aufnehmen zu können.
Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel, den die Entwicklung
leistungsfähiger Allzweckroboter mit sich bringen wird, dürfte aus meiner Sicht
stärker sein, als jener, der mit der Entwicklung von PCs erfolgte. Man bedenke nur,
dass jeder mit diesen künstlichen Wesen umgehen kann, denn sie werden nicht
programmiert, sondern erzogen. Sie werden Spielgefährten und Haushaltshilfen
sein, oder Behinderten ihre Selbstständigkeit zurückgeben. Sie werden ihren „Geist“
auf gelagerten Datenträgern absichern können, und somit einen Hauch von
Unsterblichkeit in sich tragen.
12
Allerdings werde ich, soweit es in meiner Macht liegt, dem Forschungsvorhaben die
Auflage erteilen, dass jeder daraus hervorgehende Artikel erst mit zweijähriger
Verspätung in Englisch erscheinen darf, um dem mitteleuropäischen Raum einen
Vorsprung zu verschaffen, weil ich meiner Heimat einen sinnvolleren Umgang mit
einer Technologie von derartiger Sprengkraft zutraue.
13
2 REDUNDANZKETTEN-FLIEßNETZE
Der eigentliche Text beginnt erst etwa auf Seite 50. Bevor ich das Modell
beschreiben kann, ist aber notwendig zu zeigen warum ein neues Modell notwendig
war, und aus welchen Erkenntnissen es hervorging.
2.1 Neurophysiologische Studien, die ein neues
Zeitdynamisches Modell notwendig machten.
Ich muss mich beim Leser für die Artikelflut in diesem Kapitel entschuldigen. Ohne
Vorwegnahme der noch wenig bekannten, zeitdynamischen Forschungsergebnisse
der Neurophysiologie, die erst jüngst durch schnellere Bildgebende Verfahren
möglich wurden, kann ich nicht fortfahren. Denn aus der Sicht der klassischen
Lehrbuch-Neurophysiologie erschiene die Arbeit völlig unplausibel. Deshalb will ich
diese neuen Ergebnisse hier vorweg geballt präsentieren.
Es ist schon lange bekannt, dass sich vor allem ein junges Gehirn völlig
umzustrukturieren vermag, wenn dies notwendig ist. Die folgenden drei Beispiele
zeigen, dass das Gehirn durchaus ein sich selbst strukturierendes Organ ist:
Völlig umstrukturiert hat sich das Gehirn einer Hydrocephalus-Patientin. Sie wurde
im ersten Lebensjahr operiert, so dass das bis dahin heil gebliebene Gewebe
gerettet werden konnte, und alle Funktionen übernahm. Sie weist heute (als
Jugendliche) keinerlei Beeinträchtigungen auf, hat sogar überdurchschnittlichen
Schulerfolg, obwohl nur ein Teile ihres Gehirns arbeiten. Der wissenschaftliche
Bericht kann als vier Minutenfilm (1,5MB) von
geladen werden.
Die folgenden Bilder zeigen die Durchschnittsaktivitätsverteilung in einem gesunden
Gehirn (links) und in jenem der Patientin (rechts), das einen großen Hohlraum
aufweist (Mitte).
http://members.telering.at/manfred.gotthalmseder/Hydrocephalus.html
.
.
Auch sind aus der Medizin Beispiele von Menschen bekannt, an denen man nach
deren Ableben feststellte, dass sich bei ihnen eine Gehirnhälfte nicht entwickelt
hatte. Auch diese Menschen wiesen im Leben keine Auffälligkeiten auf. Die
Plastizität des Gehirns zeigt sich auch an einem Experiment mit neugeborenen
14
Hamstern, denen der Sehnerv an eine andere Stelle der Großhirnrinde chirurgisch
angebracht wurde. Das Gehirn entwickelte dort, wo normal das Hörsystem liegt, ein
gesundes Sehsystem. http://www.eurekalert.org/pub_releases/2000-09/UoMM-UoMr2009100.php .
Fest steht, dass das Gehirn nach den Konditionierungs bzw. Lernregeln arbeitet,
und daher Probleme der Kontaktfindung in Raum und Zeit zu lösen hat. Wenn es
dabei ähnlich wie das hier dargestellte Modell vorgeht, so sollten man nach
folgenden Phänomenen im Gehirn Ausschau halten:
1. Axon-Pathfinding. Gibt es Wegfindung im Gehirn, und basiert diese auf sich
ausbreitenden Wellen (Kämmsignalen)? Gibt es chemische Signale dieser Art, die die
Axon-Wachstumsrichtung lenken?
2. Verbindungsfindung in Lernprozessen. Hat Wegfindung mit Lernen zu tun? Lernen
sollte auch dann möglich sein, wenn die zu verbindenden gleichzeitig aktivierten Neuronen
zu weit voneinander entfernt sind, als dass noch ein direkter Kontakt der Neuronen
anzunehmen ist. Es sollten auch indirekte Kontakte erlernbar sein, deren Route über
andere Neuronen führt. Dabei ergibt sich eine spezielle Form des Pathfinding -Problems.
3. Horizontale Verbindungen. Das Gehirn müsste meinem Modell zufolge auch reich an
horizontalen erlernten Verbindungen sein, die sich zu Ebenen verketten können.
4. Wellen im ausgereiften Gehirn. Gibt es neben den chemischen Wellen beim AxonWachstum im jungen Gehirn womöglich auch elektrochemische Wellen, bzw.
„Kämmsignale“ innerhalb des Nervengewebes des erwachsenen Gehirns, die auf die
Synapsenkontakte wirken, und beim Lernen eine Rolle spielen?
5. Unverbrauchte Reserve-Verbindungen. Wenn neuronale Verbindungen durch Lernen
verschaltet werden, dann sollten sich auch noch unverschaltete Verbindungen finden
lassen, denen vorerst noch keine Funktion zugeordnet ist.
6. Großflächige Modulation der Synapsen. Es sollte Hinweise geben, dass die
Gehirnwellen eine verteilte Modulation von Synapsenänderungen hinterlassen (synaptic
spread), wie sie benötigt wird, um die Kämmrichtung festzulegen, an denen die
Aktivitätszentren, von denen die Signale gesendet wurden, einen Weg, also eine
Verbindung zueinander finden können.
7. Rückläufige Signale. Es sollte eine rückläufiges Signal zwischen den zu verbindenden
Neuronen existieren, um die Verbindung abzunabeln und zu verstärken, wie dies für das
Langzeitgedächtnis notwendig ist. Da das Ziel in der Verstärkung der Verbindung liegt,
und dies im Gehirn einen Umbau der Neurone erfordert, ist weniger von einer
elektrischen, als von einem chemischen, bzw. proteingesteuerten Retour -Signal
auszugehen, das sich dadurch auszeichnet, dass es Synapsenänderungen hervorbringt.
8. Kettensignalfluss mit Signalfließzeit. Es sollte aus neurophysiologischer Sicht der
Idee nichts im Wege stehen, dass räumliche Distanzen durch horizontale Signalfließzeiten
zeitcodiert werden.
9. Chunkzellen. In Lernprozessen sollte die Bildung von Chunkzellen nachweisbar sein,
die auf eine erlernte Reizkombination ansprechen, nicht auf die Einzelreize. Bereits
erlernte, und daher vorausgesagte Verbindungen müssen dann nicht noch einmal erlernt
werden.
15
10. Regelkreisprinzip. Ein Signal aus dem Sollwertzentrum (Lustzentrum im limbischen
System) des Gehirns sollte genügen, um Handlungen zu verstärken. Die Bedeutung des
Signals ergibt sich rein aus dessen Herkunft, dem Sollwertzentrum.
11. Aufmerksamkeitslenkung. Der Hippocampus (im limbischen System) und die vor
allem in diesem Gehirnteil ausgelösten Langzeit-Potentiale können dem hier vorgelegten
Modell zufolge nicht direkt den Lernvorgang darstellen, sondern lediglich den
Ausgangspunkt zur gerichteten Aufmerksamkeit, die Lernen fördert. Gibt es Studien, die
eine solche Rolle des Hippocampus zulassen?
12. Übergang zu seriellem Denken. Die Zeitcodierung der Bildinformation müsste zu
einem Übergang von paralleler Verarbeitung auf den unteren Stufen der Wahrnehmung
hin zu dem seriellem Denken des Bewusstseins führen. Die neuronalen Netze der
Informatik kennen einen solchen Übergang nicht. Welche Hinweise für serielles Denken
gibt es im Gehirn?
Es sieht so aus, als bestünde diese neun Punkte Liste aus Fakten, die sich klar
neurophysiologisch bestätigen oder widerlegen lassen. Doch die Neurophysiologie
ist heute ein Gebiet, das aus so vielen Spaten besteht, dass widersprüchliche
Ergebnisse fast schon an der Tagesordnung sind. Alte Dogmen darüber, wie ein
Neuron Signale verarbeitet, werden durch neue Untersuchungen angegriffen.
Dedriten können nach aktuellen Studien auch Signale produzieren (Dendritic
Spikes), Teile einer Zelle können unterschiedlich aktiviert sein (Golding et.al. 2002),
Langzeitspeicherung bedarf, einer neuen Untersuchung zufolge, neuer Zellen, die
auch im erwachsenen Gehirn noch entstehen (Spektrum-Ticker 2001.03.20). Das
alles galt bisher als ausgeschlossen.
Auch sind die Forschungsmethoden der Neurophysiologie so vielfältig geworden,
und die meisten Wissenschafter konzentrieren sich auf eine bestimmte Methode, so
dass in jeder Spate unterschiedliche Beobachtungen gemacht werden, die sich oft
sogar zu widersprechen scheinen. Forscher benennen ihre Beobachtungen
unterschiedlich, je nachdem mit welchem Gerät sie gemacht werden. Deshalb geht
aus der Literatur nicht klar hervor, ob überhaupt das gleiche Phänomen beobachtet
wurde.
16
Die Grafik aus Gazzaniga et.al (1998) zeigt die verschiedenen bildgebenden
Verfahren. MEG & ERP sind ereigniskorrelierte electrophysiologische
Aufzeichnungen, Pet & MRI: blood-flow based imaging techniques, TMS:
Transcranial Magnetic Stimulation.
Die Grafik zeigt, dass die neuen spannungsabhängigen Markerstoffe (voltagesensitive oder optical Dyes) einerseits den Überblick über größere Flächen des
Gehirngewebes erlauben, und andererseits zeitlich schnelle Abläufe erforschbar
machen, wie dies bisher nur EEG und Ableitungen von Neuronen mittels Elektroden
(Unit-Recording) ermöglichten. Zeitverlaufs-Studien mit Optical Dyes sind also für
ein Modell, das zeitliche Abläufe zwischen Neuronen behandelt, am
interessantesten. Da sie noch eine relativ neue Entwicklung darstellen, darf man
sich noch nicht all zu konkrete Ergebnisse erwarten.
Ich habe die Studien im Folgenden nach der obigen 12 Punkte-Liste geordnet:
2.1.1 Axon Pathfinding
Dass das Hauptproblem des Gehirns darin besteht, dass einkommende Signale am
richtigen Ort landen, um schließlich einen geeigneten Output zu ergeben, ist
unbestritten. Den ersten Schritt dazu stellt die „Verkabelung“ der Neuronen im
Embryo dar. Mit chemischen Botenstoffen weisen die Zielzellen den wachsenden
Axonen der Quellzellen den Weg (Axon Guidance). Das Pathfinding-Problem ist
also zunächst durch chemische „Wellen“ gelöst, die von den Zielzellen zum Growth Cone des Axons gehen. Bartheld et.al 1996 beschreiben ihre Studie dazu folgendermaßen:
“Neurotrophins are produced in the target; the signal therefore must be conveyed from the
axon terminus to the cell body over a considerable distance. Little is known about internalization of neurotrophins at the axon terminal and mechanisms of transport. We have examined the transport of neurotrophins from the axon terminals to the cell bodies in the
ION”
17
Eine weitere Studien stammt von Henkemeyer (2001):
"We found molecules that communicate important signals that guide the growing tips of
embryonic nerve fibers (the axon growth cone) and, therefore, help form networks of neurons and synapses in the brain in a process called axon pathfinding,"
Wenn diese chemischen Botenstoffe im extrazellulären Raum irgenwie
herumschwimmen, so können sie nicht als Richtungsweiser dienen. Das bedeutet,
sie müssen sich in Form einer chemischen Welle ausbreiten, und den Raum auf
diese Weise durchkämmen. Tatsächlich wurden derartige Beobachtungen gemacht.
Ein Beispiel ist das Wachstum der Nerven-Axone von der Retina der Augen zum
Lateral Geniculate Nucleus (LGN) im Gehirn. Auf der Retina des Embryos bilden
sich spontane Aktivitätswellen, die nachweislich wesentlich für die Verdrahtung der
Axone sind. Dazu Katz et.al. 2002:
„Multielectrode recordings and calcium-imaging studies (CA2+) recealed the presence of
’retinal waves’ … Indeed, these waves seem to be crucial for the emergence of segregated retinal projection patterns in the LGN itself.”
Weitere Quellen dazu: (Shatz 1993, S.23, Gruber 2000, S.119)
Calcium 2+ waves gehen mit elektrischen Feldern einher. Es wird angenommen,
dass die Richtung, von der die Signale kommen, vom Growth-Cone des Axons
erfasst werden kann. Studien von Penn AA, Shatz CJ. (1999) Stützen diese
Annahme.
Die folgende Grafik dazu stammt aus Hely T. A. (1998)
Spitzer et. al. (2000) bieten eine umfassende Arbeit zur Rolle der CalciumTransients (Ca2+ Waves) für Axon-Guidance und Kontaktfindung.
„Like cloudbursts on the developing landscape, Ca2+ transients modulate growth and
stimulate differentiation, in a frequency-dependent manner, probably by changes in phosphorylation or proteolysis of regulatory and structural proteins in local regions. We review
the mechanisms by which Ca2+ transients are generated and their effects in regulating
motility via the cytoskeleton and differentiation via transcription” S. 813: “Growth cone
Ca2+ waves regulate axon outgrowth and pathfinding in vivo.”
Ihre Studien werden im Spektrum- Ticker (2001.03.14) von Spektrum der
Wissenschaft folgendermaßen zusammengefasst:
18
„Die lebenden Zellen markierte das Team von Timothy M. Gomez und Nicholas C. Spitzer
mit einem leuchtenden Farbstoff, der das Vorhandensein von Calcium aufzeigt. Unter
einem konfokalen Mikroskop konnten sie die Calcium -Wanderung mit Hilfe einer Serie
von acht Bildern pro Sekunde verfolgen … Nur dort, wo ein Calciumstrom auch die
Wachstumszone der Nervenzelle erreichte, konnte das Team ein gerichtetes Wachstum
feststellen.“
Spitzer et.al widmen sich vor allem dem embryonalen Axon-Wachstum. Dass
Waves auch im Axon Wachstum des ausgereiften Gehirns eine Rolle spielen, zeigt
sich vor allem nach Gehirnschäden (Carmichael & Chesselet 2002):
“Chronic tetrodotoxin infusion into the lesion site blocked the synchronous neuronal activity after thermal-ischemic lesions as well as axonal sprouting. Thus, both after different
types of lesions and in the blockade experiments axonal sprouting was strongly corr elated
with synchronous neuronal activity, suggesting a role for this activity in anatomical reorganization after brain lesion in the adult rat.”
Aber taugen denn chemische Wellen überhaupt dazu, das Wegfindungsproblem zu
lösen? Steinbock et.al (1995) zeigen, dass der natürliche Prozess des Signalflusses
einer chemischen Welle durch ein Labyrinth, das mathematisch aufwendige
Problem der Wegfindung einfach und schnell löst, und er deutet an, dass dies auch
als Modell für das Gehirn dienen könne. Chemische Wellen sind sogar geeignet,
um ein Symmetrieachsenskelett zu einer beliebigen Form zu generieren, wie die
folgende Aufnahme einer chemischen Welle aus Adamatzky (1998) zeigt:
Dass auch in Zellgeweben das Wegfindungsproblem durch chemische Wellen
gelöst wird, zeigt sich am Beispiel der Amöbe. Amöben bewegen sich durch
Zellwanderung. Wie die folgende Grafik aus Adamatzky (1998)2 darstellt, sind sie
fähig Wegfindungsprobleme zu lösen und z.B. zwischen zwei Futterquellen die
attraktivere zu wählen.
19
Aber was spielt sich im inneren der Amöbe ab? Studien zeigen, dass in der Amöbe
sogenannte cAMP-Wellen zu beobachten sind (Newell 2000). Diese chemischen
Wellen scheinen die für die Zellwanderung notwendigen Verrechnungsprozesse zu
bieten. Das folgende Bild zeigt solche Wellen. Sie breiten sich von den Zentren
nach außen aus.
(Die Spiralen erklären sich vermutlich aus folgender Regel: Die Bildung einer neuen Welle
bewegt sich kreisförmig um das Zentrum. Sie startet immer an jener Stelle, wo schon
länger keine neue Welle gebildet wurde, wobei die Neubildung gleich den benachbarten
Bereich mitreißt. So verläuft die Neubildung immer rundum im Kreis, und trotzdem sich die
Wellen vom Zentrum nach außen ausbreiten, sieht es aus als drehe sich die Spirale. Die
Bewegung verläuft aber vom Zentrum nach außen, und damit im Grunde nicht a nders als
bei den konzentrischen Wellen. Sie ist daher als Richtungsweiser brauchbar und erinnert
an die Kämmsignale in meinem Modell.)
Auch im Gehirn dürften solche cAMP-Wellen neben den Ca2+ Wellen, von denen
weiter oben die Rede war, bei der Axon Guidance eine Rolle spielen. Die
chemischen Substanzen dafür sind vorhanden, man scheint aber noch nicht so weit,
die Wellen im Gehirn abzubilden. Deshalb sind die Abbildungen des AmöbenGewebes interessant, und wurden auch schon für eine Computersimulation des
Wegfindungsproblems im Gehirn herangezogen.
Die Idee, die dieser Simulation zugrunde liegt ist eine ähnliche wie in meinem
Modell. Die Ausbreitungsrichtung der Wellen gibt dem Axon den Weg vor.
Allerdings geht man davon aus, dass es neben anziehenden auch abstoßende
chemische Signale gibt. Simulationen dazu finden sich bei Segev, R. & E. BenJakob (2003).
Axon Guidance ist ein weltweiter Forschungsbereich der Neurophysiologie. Fest
steht, dass dabei viele chemische Prozesse im Spiel sind, deren Vielfalt bei Dickson
20
(2001) nachzulesen ist. Die meisten Studien beziehen sich aber auf embryonales
Axon-Wachstum. Erst neuere Studien zeigen, dass Axon-Wachstum auch bei
Lernprozessen eine Rolle spielen dürften. Die alte Lehrmeinung, besteht darin dass
wir bloß durch Synapsenänderungen lernen. Bei massiveren Lernvorgängen dürfte
es jedoch zu einer Modifikation der gesamten axonalen Verbindung kommen.
Allerdings nur wenn eine Lernaufgabe mit Synapsenänderungen alleine nicht zu
bewältigen ist. Neugeborene Frettchen, deren visuelles System zerstört wurde, um
die Sehinformationen in das auditorische System zu linken, entwickeln in diesem
Gehirnteil lernbedingt axonale Verschaltungen, wie sie normal im visuellen System
zu finden sind. Sharma et.al 2000 zeigen dies in ihrer Studie:
“Deafferentation of the auditory thalamus in ferrets at birth induces retinal ax ons to innervate the medial geniculate nucleus (MGN). Visual input is relayed from the retina through
the MGN to primary auditory cortex (A1), and visually driven cells are orientation selective.”
Die Autoren beweisen mittels Bildgebung durch spannungssensible Marker, dass
die Neuronen, die normal auditive Informationen verarbeiten, sich zu den, für das
visuelle System typischen Orientation-Maps verschalten, und unterziehen die
„Rewired Brains“ ihrer Fretchen einer genauen Untersuchung. Die Darstellung von
Orientation-Maps wird uns später noch einmal begegnen, deshalb spare ich mir hier
eine genauere Erläuterung. Man beachte vorerst nur die Ähnlichkeit der
entstandenen Strukturen.
Die Autoren schließen ihren Bericht mit: „Together with the demonstration that the visual
projection routed to auditory cortex mediates visual behaviour and hence instructs the
perceptual modality of cortex, our findings show that the pattern of early sensory activation
can instruct the functional architecture of cortex to a significant extend.”
Aber selbst wenn wir solche Studien ignorieren und bei der alten Lehrbuchmeinung
bleiben, dass Lernprozesse keine Wachstumsprozesse bei Axonen und Dendriten
anregen, sondern nur zu Modulationen der bereits vorhandenen Zellkontakte
(Synapsen) führen, (letzteres ist bereits durch Genmarker nachgewiesen WSA
2002.12.18), stolpern wir über das Pathfinding-Problem. Denn auch Lernprozesse,
die über bereits vorhandene neuronale Kontakte verlaufen, bedürfen mitunter einer
Wegfindung, nämlich dann, wenn zwei Neuronen, die noch keinen direkten Kontakt
zueinander haben, nur über indirekte Routen eine Verbindung zueinander aufbauen
können. Allerdings suchen wir in diesem Fall nicht mehr nach einem Pfad im
extracellulärem Raum (wie beim Axon-Pathfinding), sondern nach einem Signalweg,
der im Zellnetz über eine Kette von Neuronen verläuft, so wie bei meinem Modell.
21
Für die Entwicklung eines künstlichen neuronalen Netzes sind die beiden
Problemstellungen (Axon Pathfinding und Signal Pathfinding) eigentlic h identisch,
denn egal ob ich den extracellulären Raum, oder das noch nicht verschaltete
Neuronengewebe simuliere, in beiden Fällen brauche ich ein Netz, in dem Wellen
über benachbarte Punkte hinweglaufen können, um die zukünftige Wegrichtung
vorher sozusagen durchzukämmen. Um die Weitergabe von Wellen möglich zu
machen, müssen die Punkte des Raums mit ihren Nachbarn verbunden sein, wie in
jeder Substanz in der Wellen fließen können. Im Vakuum gibt es weder Schall, oder
chemische Wellen noch elektrische Ladungen. Erst in einem zusammenhängenden
molekularen Netz kann über eine Kette von räumlichen Punkten eine Verbindung
erlernt werden. Für die Simulation ist vorerst egal, ob die räumlichen Punkte
Moleküle oder bereits Neuronen sind. Es ist in jedem Fall sinnvoll, das räumliche
Raster nicht feiner zu wählen, als das Neuronennetz. So spart man sich unnötige
mögliche Wege und kann doch jedes Neuron erreichen. Genau dieser
Gedankengang liegt meinem Modell zugrunde.
2.1.2 Verbindungsfindung in Lernprozessen.
Ich oben die neurophysiologischen Beweise für die Notwendigkeit chemischer
Wellen beim Axon-Pathfinding zitiert. Da mein Modell in seiner ursprünglichen
Intention eigentlich nicht den extrazellulären Raum simuliert, durch den das Axon
seinen Weg findet, sondern das Nervengewebe, wäre interessant, ob es aus
neurophysiologischer Sicht im Gehirn auch innerhalb des Nervengewebes ein
Wegfindungsproblem gibt.
Unter letzterer Annahme simulierten die Kämmsignale meines Modells nicht das
Axon-Pathfinding, sondern nur die Synapsenumcodierung. Gibt es solche
Wegfindungs-Mechanismen innerhalb des Nervengewebes im Gehirn? Derartige
Mechanismen würden nur dann notwendig, wenn das Gehirn fähig wäre, Distant Connections über andere Neuronen hinweg (poly-synaptic) aufzubauen. Dann
müssten die Neuronen einander nämlich erst finden. Tatsächlich gibt es genügend
Hinweise auf eine solche Fähigkeit. Schon Hebb geht von der Existenz kettenartiger
Lernverbindungen aus, siehe Grafik.
Hebb (1972): “Now the mechanism of association diagrammed in Figure 29 requires that
the axon a must be close to b, so it can help to fire it, before the learning begins. How
often would this be so? Not often, surely. And when we talk about an association between two perceptions (e.g., sound and light in the sensory preconditioning experiment),
we must suppose that a numberof single-neuron contacts are required – a single neuron a
could not reliably excite all the neurons making up the group B. It is not likely that any
brain activity has such contacts with any other brain activity, to make direct association
possible. But if Ain Figure 29 does not have such potential connections with B, it will
have many other connections already formed (the associations of common experience),
including one with some process C or Dwhich can connect with B. When a direct A – B
connection is impossible, an A – C – B or A – C – D – B connection may be formed instead (Fig. 30). A can excite B, but indirectly.“
22
Figure 30. Direct and indirect associations. Left: some axons from neurons in group A
end close enough to neurons in group B so that a direct A-B connection can be established when the two are active together. Right: no axons from A approach B, but among
A's many connections (associations from common experience) is one with C, which is
connected with D, whose axons do reach B and thus make a connection A -C-D-B possible.
Intrakrinelle Konditionierung: Das Gehirn scheint tatsächlich die Fähigkeit zu
besitzen, beliebige Verbindungen herzustellen, und zwar in einer Geschwindigkeit,
die zu schnell ist, um Axon-Wachstum als Verbindungsursache anzunehmen. Dies
kann durch Koditionierung per Elektrodenreizung im Gehirn gezeigt werden. Dabei
wird über eine Elektrode eine Region am offenen lebenden Gehirn des
Versuchstiers gereizt, knapp bevor eine andere Region stimuliert wird. Nach einer
Lernphase kann schon auf die elektrische Reizung der ersten Region ein
„Voraussagesignal“ in der zweiten Region empfangen werden. (Golding et.al 2002,
Milgram 2002a). Die assoziative Konditionierung, also eine Verbindung zwischen
zwei Stimuli, konnte auch an Meerschnecken nachgewiesen werden (Byrne 2002,
Graham 2002, Aplysia 2002).
Auch die vielfach zitierten synchronen Signalrythmen (Singer 2002, SpektrumTicker 2000.06.13, Held 2002), die oft auch an entfernten Neuronen zu beobachten
sind, lassen sich nur unter der Annahme erklären, dass diese ’Synchron-SpikingNeurons’ irgend eine Art der Verbindung zueinander aufbauen, und dazu müssen
sie einander erst einmal finden. Wenn nicht von vorn herein eine direkte Verbi ndung
vorgegeben ist, landen wir wieder beim Pathfinding-Problem. Da aus vielen Studien
hervorgeht, dass auch Neuronen, die keinen direkten Kontakt zueinander haben,
synchron pulsen können, ist damit indirekt belegt, dass das Nervengewebe über
einen Pathfinding-Mechanismus verfügt, der eine Verbindung schafft, und damit
synchrones Pulsen ermöglicht. Livingstone MS (1996) schreibt:
“In the cat and the macaque monkey, cells with similar receptive field properties show correlated firing, even when their receptive fields do not overlap.”
Und bei Varela F. et.al (2001) ist zu lesen:
“Neurons that belong to a given assembly are linked by selective interactions. These interactions are mediated through direct or indirect (poly-synaptic) connections… …For example, in columns of the primary visual cortex separated by 2-7 mm, which have nonoverlaping receptive fields, neurons that share similar feature properties tend to synchro-
23
nisize… …Coherence has also been observed between LFPs from somatosensory and
Primary motor cortex separated by an estimated cortical distance of 2 cm” Später im Text:
“We have studied patients implanted with multiple electrodes in preparation for surgical
resection for epilepsy… …These intracortical oscillations showed large -scale synchrony
between temporal and frontal lobes that appeared only during the execution of the discrimination task.”
Wright, JJ et.al. (2001) fassen in ihrem umfassenden Bericht viele Studien
zusammen, und kommen zu dem Schluss:
“At a scale from fractions of a millimeter to many centimeters of cortex, patches of active
cells have been experimentally observed to enter into synchronous oscillation. That is,
cross-correlations of pulse density, or of mean local field potential at the separated locii
are maximal at zero lag. This phenomena has been widely, although controversially, considered to act as a substrate for association processes in the cortex. (eg, Eckhorn et al
1998; Singer 1994; Singer and Gray 1995; Stryker 1989; Bressler et al 1993; Livingston
1996; Miltner et al 1999; Neuenschwander and Singer 1996; Palm and Wennekers 1997;
Steriade et al 1996; Gray and Singer 1989; Gray et al 1989). Such interactions depend
particularly upon excitatory cortico- cortical fibres of medium to large scale.” Die
Forschergruppe veranschaulicht ihre Beobachtungen mit folgender Grafik mit der daru nter
angeführten Beschreibung:
24
The top left panel of figure 1 shows two representative cells within the cerebral cortex one red (an excitatory "pyramidal" cell) and one blue (an inhibitory "stellate" cell). Populations of these cells are linked together densely in the cerebral cortex. Top right panel
shows the gamma band local oscillation which emerges when the locale of cells becomes
sufficiently excited.
The middle panels of figure 1 show how at a larger scale, these foci of excited cortex generate waves of cortical electrical activity spreading into the less excited surrounding cortical tissue (middle left panel). The resulting wave activity can be analysed by crosscorrelation, as shown in the middle right panel. Here the lag time for maximally correlated
activity (with reference to the recording site shown in the left middle panel) is displayed for
the extended field. It is seen that the foci of activity have entered "synchronous oscillation".
The lower panels in figure 1 show the overall brain, and EEG activity as generated in
simulations - from low frequency "theta" activity, through the alpha, beta and gamma
ranges, to 40Hz. These progressive changes in frequency content reflect the overall level
of cortical excitation. At the highest levels of excitation, the self -excited cortical state described in the top panels has been reached.
25
2.1.3 Horizontale Verbindungen
Es wird also angenommen, dass Neurone auch über andere Neurone hinweg
kettenartig (polysynaptic) Signale weitergeben und eventuell auch derartige
Verbindungen aufbauen, also einen Weg zueinander finden. Als nächstes ergibt
sich die Frage, ob diese kettenartigen Verbindungen auch in horizontaler Richtung
vorliegen, wie es für mein Signalflussmodell des Gehirns notwendig wäre. Wenn es
um die Verbindungsanatomie des Gehirns geht, so erfährt man meist, welche
Ebenen der Gehirnrinde vertikal zu welchen anderen Ebenen und Arealen senden.
Dass innerhalb der Ebenen die Neurone hauptsächlich horizontal zueinander
projizieren, wird oft verschwiegen, weil es den Anatomen meist darum geht, zu
zeigen in welchen Hirnarealen die Signale letztendlich landen. Die Verarbeitung
innerhalb der Areale lassen sie dabei unbeachtet. In der folgenden schematischen
Schnittdarstellung der Gehirnrinde sehen wir die horizontalen Verbindungen,
wenngleich deren zahlreiche Verzweigungen nicht dargestellt wurden (Aus Fulton
2001).
Wie vielverzweigt die horizontalen Verbindungen exakt verlaufen, wurde am
Sehsystem bereits erforscht. Es bilden sich, genau wie in meinem Modell,
Quasiebenen. Neuronen innerhalb einer Ebene des Gehirns bilden Netze
miteinander. Die folgende Studie zeigt, dass sich Neuronen einer
Konturrichtungsselektivität (Balkendetektoren) stärker miteinander verbinden, als zu
jenen anderer Ausrichtung. Sie bilden also eine Quasiebene innerhalb einer
Gehirnebene. Genau dazu wird auch mein Modell führen.
(Bosking et.al 1997) “Orientation Map and Lateral Connec tions in Tree Shrews” (color figure). Die Abbildung zeigt die richtungsspezifische Reaktion von Neuronen im
Rindenbereich des Gehirns, wo die Seheindrücke weiterverarbeitet werden. Es wurden
Streifenmuster angeboten, und mit spannungsabhängigen Markerfarbs toffen wurde die
26
Reaktion auf verschiedene Richtungen abfotografiert. Die Bilder wurden eingefärbt
überlagert, so dass die Farben die Richtungssensibilität der Zellen kennzeichnen. Weiters
wurden mittels Färbemethoden die Bereiche schwarz markiert, in die die Axone der weiß
markierten Neurone wandern. So kann gezeigt werden, dass Neurone gleicher
Richtungssensibilität miteinander in Verbindung stehen und einander horrizontal Signale
weitergeben. Das entspricht der Quasiebene, die sich in meinem Modell allei n durch die
Umsetzung der Konditionierungsregeln bildet, wenn wir einzelne Neuronen bereits als
Reize betrachten.
Dass der Sinn hinter diesem Assoziationsfeld der Balkendetektoren darin liegen
dürfte, längere Konturstücke als eine Einheit zu erkennen, haben andere schon vor
mir vermutet. Es gibt sogar bereits Computersimulationen dazu, wie die von Lovel
(2002) aus der ich folgende Abbildungen entnommen habe. Die Abbildung links
zeigt ein Muster mit einem hervortretenden zusammenhängenden Konturstück. Di e
Abbildung rechts erklärt die zugrundeliegenden Verbindungen (bzw fehlenden
Verbindungen), durch die ein solches Konturstück als zusammenhängend erkannt
werden kann.
2.1.4 Wellen im ausgereiften Gehirn
Kehren wir noch einmal zurück zum dem Phänomen der snchron-spiking Neurons
im Gehirn. Zweifelsohne brauchen entfernte Neuronen irgend einen Kontakt über
eine „polysynaptic Route“ zueinander, um ein identisches Impulsmuster zeigen zu
27
können. Nun ergibt sich die Frage, ob ein solcher Kontakt, wie in meinem Model l,
auch im Gehirn durch Kämmsignale entsteht, die sich über größere Bereiche der
Gehirnoberfläche rundum ausbreiten, so wie die Ladung des Luftraumes dem Blitz
vorangeht? Im Fall der Axon Guidance geht man von Ca2+ Wellen aus. Aber
spielen solche Wellen auch eine Rolle im Aufbau von Lernverbindungen des
erwachsenen Gehirns innerhalb des Nervennetzes?
Die kettenartige Wanderbewegung von Gehirnwellen über den gesamten Kortex,
und damit über das horizontale Verbindungsfeld einzelner Neuronen hinaus, ist
schon lange bekannt. So schreibt Freeman 1958:
“It is now widely accepted that a surface’ positive wave represents an ascending depolarization, whereas a surface’ negative wave represents depolarization moving from the surface to the base. While this analysis is useful for describing the electrical activity of many
parts of the nervous system, e.g., peripheral nerve (16) and some central nuclei (17), it
does not appear to be valid for the prepyriform evoked potential. This potential is distinct
from those systems in that it moves tangentially over the surface without an initially positive wave, until the borders of the cortex are reached. The total distance of spread (up to
14 mm. or more) is greater than the horizontal extension of the indigenous cells.“
Aber erst in jüngster Zeit ist durch spannungsabhängige fluoreszierende Farbstoffe,
die es ermöglichen die Aktivität am geöffneten Gehirngewebe in vivo zu
beobachten,
klar
geworden,
dass
der
Eindruck
von
wellenförmiger
Signalausbreitung (Gehirnwellen) nicht bloß durch die Unschärfe der
elektroenzephalographischen (EEG) Untersuchung entsteht. Es hat sich gezeigt,
dass das EEG viel schärfere Bilder liefert als man annahm (Spektrum-Ticker
2001.07.13),
und
dass
auch
in
wirklich
scharfen,
hochauflösenden
Abbildungsverfahren mit spannungsabhängigen Markern wellenartige Signale zu
beobachten sind, die die Oberfläche der Areale durchlaufen. Gochin et.al.
“Our results suggest that input projections are usually restricted to less than 500 micron
patches and are then distributed over greater distances by intrinsic connections.”
Vor allem in Prechtls Studien an der Taube konnte mittels Voltage Sensitive Dyes
wunderbar die wellenartige Signalausbreitung am Gehirn aufgezeichnet werden
(Prechtl et.al. 1997).
28
Der Bildbeschreibung ist zu entnehmen, dass die Bildfolge insgesamt einen
Zeitraum von etwa einer Sekunde umfasst. Auch mit neueren multielectrode
Recordings sichert Prechtl seine Aufzeichnungen zu den Wellenbewegungen ab
(Prechtl et.al. 2000).
OOyen et.al. (1992) beobachten ebenfalls solche „Long-Lasting Transients“ im
EEG, und suchen die Antwort nach der Herkunft dieser langsamen Wellen in
Calciumflüssen. Diese Annahme argumentieren sie folgendermaßen:
„Since such slow waves can last as long as several hundred millisec onds, their duration
cannot be derived from the classical IPSP ((unitary inhibitory input) duration of ca. 100 ms
and EPSP (unitary excitatory input) duration of ca. 25 ms, as can be done for EEG fluctuations in the alpha frequency range (Lopes da Silva et. al., 1974). Therefore, the question
arises whether slow waves basically emerge from interactions in a network of neurons, are
a direct consequence of intrinsic membrane kinetics of single neurons (Steriade et al.
1990). Ion channels with slow kinetics (e.g. a long-lasting (200-500 ms) calcium-mediated
potassium conductance (Connors et al., 1982) may be candidates for such intrinsic kinetics.”
El-Bab (2001) fast den Einfluss von Calcium Ionen auf die elektrisch messbaren
Feldpotentiale wie folgt zusammen:
29
An increase in the influx of positively charged cations, such as sodium or calcium, reduces
the membrane potential and thus depolarizes a portion of the post -synaptic membrane.
This results in an excitatory post-synaptic potential (EPSP). An influx of negatively
charged anions, such as chloride or an efflux of positively charged cations, such as potassium, increases the local membrane potential and thus hyperpolarizes the posts ynaptic
membrane. This produces an inhibitory post-synaptic potential (IPSP)….
The transmission of information to the brain involves the flow of ions across the neuronal
membrane producing a voltage field around each active neuron. The potential difference
between the postsynaptic membrane portion and the other parts of the neuronal membrane causes an electrical current to flow along the cell body and dendrites with a return
current in the extracellular space. These electrical potentials summate in the cortex and
extend through the coverings of the brain to the scalp. These spontaneou s electrical activities are known as electroencephalogram (EEG) and by using the electroencephal ographic
technique we are able to record these voltage changes.
Sich ausbreitende Wellen (Propagating Waves) sind Cohen et.al. (2000) zufolge ein
allgemeines Phänomen der Gehirnrinde, und somit z.B. auch im olfaktorischen
System der Taube zu beobachten. Aufzeichnungen von propagating W aves bieten
auch Senseman and Robins (2002). Nenadic und Ghosh (2003) haben die
Ausbreitung der Wellen bereits am Computer simuliert. Allerdings war ihnen die
Idee, dass diese Wellen dem Pathfinding dienen, nicht bekannt. Ihre Simulation amt
somit nur das Wellenmuster nach.
“Our model is intended to replicate cortical waves imaged on the ependymal surface of the
cortex with an in vitro prepatation.”
Die Annahme, dass die Wellen als Förderer (Pathfinder) von Lernverbindungen
dienen könnten, überprüften Zhang & Poo (2001) und kommen zu einem positiven
Ergebnis. Sie unterscheiden nicht zwischen dem Axon-Pathfinding-Problem und den
Lernprozessen im erwachsenen Gehirn, sondern nehmen an, dass beidem der
selbe Prozess zugrunde liegen könnte (siehe letzter Satz):
„Calcium waves and oscillations are found in many developing neural circuits (Garaschuk
et.al 2000, Wong et. al. 1995, Spitzer et.al 2000). These Ca 2+ transients may arise from
Ca2+ influx triggered by membrane depolarization or Ca 2+ release from internal stores. The
widespread coupling between developing cells by gap junctions allows intercellular spread
of Ca2+ and production of Ca2+ waves through regenerative Ca 2+-induced Ca 2+ release
from internal stores, independent of plasma membrane depolarization. Moreover, Ca 2+
waves through electrically coupled glial cells may result in secretion of factors that regulate maturation and functions of synaptic connections (Ullian et.al 2001). In developing
neurons, Ca 2+ transients modulate nerve growth (Spitzer et.al 2000) and stimulate neuronal differentiation (Ghosh & Greenberg 1995, Zucker 1999) …
… However, recent findings have shown that electrical activity may be required for growing thalamic axons to reach their appropriate cortical target area (Catalano & Shatz 1998)
and for axons of cortical pyramidal neurons to form layer-specific intracortical connections
(Dantzker & Callaway 1998). In these latter studies, it is difficult to determine with certainty
whether the activity is involved in axon path finding per se or target selection of the axon
after it has reached the target cell.
30
2.1.5 Unverbrauchte Reserve-Verbindungen
Wenn wir davon ausgehen, dass die Ca²+ Waves dazu dienen, dass aktive
Neuronen zueinander einen Verbindungsweg finden, so müssen wir zwischen den
vorübergehenden Verbindungen unterscheiden, die der Weitergabe der Waves,
also der Kämmsignale dienen, und jener bleibenden Verbindung, die danach
zwischen den aktiven Neuronen hergestellt wird. Es gibt Hinweise auf eine solche
Unterscheidung. Atwood & Wojtowic (1999) zeigen, dass das Gehirn voll von Silent
Synapsen ist, die scheinbar durch Ca²+ Waves aktiviert werden können.
“In several nervous systems, evidence from electrophysiological and optophysiological
measurements has established a strong case for the existence of silent synapses and for
their emergence as active synapses with appropriate stimulation. During normal development and aging, synapses of individual neurons change in number, and many of these
may be functionally silent at certain stages of their developmental trajectory. Changes in
their status may contribute to shaping the properties of neural pathways during development, often in response to neural activity… …Regulatory proteins, including synaptota gmin (a putative Ca 2+ receptor) and cysteine string proteins that appear to affect Ca 2+ sensitivity of release processes, modify the rate and calcium sensitivity of release.”
Es ist allgemein bekannt, dass im Gehirn beim Lernen Langzeitpotentiale ausgelöst
werden. Magarolis Gruppe (2001) zeigt, dass dabei Stille Synapsen aktiviert
werden:
“It is still unclear whether the changes that take place in long -term potentiation can be accounted for by modulations in the strength of this communication or whether new connections are made. Dr Malgaroli’s group has found evidence that some of these modulations
can be explained by the recruitment of non-functional or mute synapses… …In hippocampal neurons around thirty percent of the synaptic terminals seem to be non -functional after
stimulation.”
Zu dem selben Ergebnis kommen auch Rumpel et. al 1998.
“In the developing visual cortex activity-dependent refinement of synaptic connectivity is
thought to involve synaptic plasticity processes analogous to long-term potentiation (LTP).
The recently described conversion of so-called silent synapses to functional ones might
underlie some forms of LTP… …The incidence of silent synapses strongly decreased during early postnatal development… …This conversion of silent synapses to functional ones
might play a major role in activity-dependent synaptic refinement during development of
the visual cortex.”
Außerdem zeigen neuere Experimente mit fluoreszierenden Genmarkern, dass von
den etwa 10-tausenden Synapsen einer Nervenzelle nur ein paar Duzend wirklich
der Langzeitspeicherung dienen, während der Rest nur für eine mögliche Belegung
veranlagt ist (Spektrum-Ticker 1999.11.29). Die Frage ist, wie sollten diese
veranlagten Potentiale denn genützt werden, wenn nicht durch einen Pathfinding Prozess, der zu neuen Verbindungen führt?
31
2.1.6 Großflächige Modulation der Synapsen.
Wenn eine verteilte Aktivität (das Kämmsignal, bzw. propagating wave) dazu dienen
soll, dass zwei (oder mehrere) aktive Neuronen einen Verbindungsweg zueinander
finden, so muss die die verteilte Aktivität bereits zu vorübergehenden SynapsenModulationen führen, um die Pfadrichtung vorzugeben. Verteilte (spread) Snapsen Modulationen sind bekannt, wenngleich noch nicht bestätigt werden kann, dass sie
für das Pathfinding von Verbindungen dienen, indem sie die Kämmrichtung
vorgeben. Heutige Untersuchungsmethoden scheinen ungeeignet eine derart
konkrete Theorie zu bestätigen. In ihren Studien zur verteilten Synapsen -Modulation
kommen Fitzsimonds et.al (1998) zu folgendem Schluss:
“Intra- and Intercellular Spread of Synaptic Modulation: Activity-dependent synaptic modification occurs not only at the active synapse but also affects other nearby synapses. If the
spread of synaptic modulation is due to intracellular signals during the induction or expression of the synaptic changes, only synapses associated with the pre- or postsynaptic
cells will be affected. However, secreted or membrane-permeant diffusible factors produced by the active synapse may spread through the extracellular space to affect nearby
synapses on different populations of cells. Indeed, both intra- and intercellular spread of
synaptic modulation has been reported. Such spread directly affects the spec ificity of activity-induced synaptic changes and are likely to be important for developmental and adult
synaptic plasticity.”
2.1.7 Rückläufige Signale.
Kontaktfindung ist aber meinem Modell zufolge mit der Ausbreitung von Waves, und
der damit einhergehenden Synapsenmodulation noch nicht beendet. Diese
Prozesse sorgen erst einmal für die Vorgabe der Kämmrichtung. Nun ist aber auch
noch eine rückläufige Verbindung vom Empfänger zum Sender notwendig, um
einen Kontakt zwischen den Beiden herzustellen. Wenn wir das System mit einem
Blitz vergleichen, so ist zuerst die Ladung des Raumes notwendig, und dann erst
läuft der Blitz den vorgezeichneten Weg entlang.
Rückläufige, retrograde Meldungen von Empfängerneuronen zum Sender, auch
Backporpagation genannt, sind, entgegen der Meinung älterer Lehrbücher,
durchaus bekannt. Es gibt verschiedene chemische Botenstoffe, die in Frage
kommen. Elektrische Signale sind allerdings nicht zu erwarten, denn die
Rückmeldungen dienen dem Umbau der synaptischen Kontakte, und ein solcher
erfolgt im Gehirn chemisch. Der Blitz ist also in diesem Fall chemischer Natur, und
wandert eher langsam zurück. In einem künstlichen System würden wir aber
trotzdem elektrische Signale verwenden, um zu einer Kontaktfindung zu kommen.
Die künstlichen Neuronen müssten durch eine Verschaltungseinheit simuliert
werden, die auf rücklaufende Signale anders reagiert als auf vorwärts gerichtete. Im
Gehirn ist das dadurch geregelt, dass es sich um einen ganz anderen Signaltyp
handelt, der zurückläuft. Fitzsimonds et. al (1998) veröffentlichten eine umfassende,
öffentlich zugängliche, Zusammenfassung mit über 300 zitierten Studien, die
32
Hinweise zur Annahme retrograder chemischer Signale geben. Sie kommen zu
folgendem Schluss:
“Bidirectional communication between a neuron and its postsynaptic cell is essential for
the development, maintenance, and activity-dependent modulation of synaptic connections.” Und weiter: „There are three forms of retrograde signaling at the synapse: 1) signaling by membrane permeant molecules, 2) signaling by secreted factors, and 3) signaling by membrane-bound factors (see Fig.1 and sect. IV, A-C).“
Activation of postsynaptic transmitter receptors
results in an influx of Ca2+ (through transmitter
receptor channels or voltage-dependent Ca2+ channels) or a release of Ca2+ from internal stores.
Elevation of Ca2+ triggers a cascade of events (broken arrowed lines) that eventually leads to 3 forms of
retrograde signaling to presynaptic neuron: production of membrane-permeant diffusible factors (e.g.,
nitric oxide and arachidonic acid) that diffuse from
post- to presynaptic neuron (A), exocytic secretion of
soluble factors (e.g., neurotrophins) that diffuse
across synaptic cleft to activate presynaptic membrane receptors, which may in turn be internalized
and transported to nucleus and other parts of neuron
(B), and modulation of postsynaptic membrane
proteins, which are physically linked to presynaptic
membrane receptors either directly or indirectly (via
extracellular matrix molecules), resulting in activation
of presynaptic receptors (C). All 3 forms of presynaptic actions may lead to modulation of transmitter
secretion machinery or production of downstream
cytosolic factors (X) for long-range retrograde propagation to nucleus and other parts of neuron.
Ich denke die Grafik zeigt bereits die ganze Komplexität des Themas. Es ist nicht
zu erwarten, dass in nächster Zeit klar erkannt werden kann, welche Rolle welcher
chemische Mechanismus des Gehirns im Rahmen des Erkenntnisgewinns spielt.
Aber das Beispiel zeigt, dass die Mechanismen zahlreich sind, und durchaus
komplex genug, um die Vielfalt der Funktionen zu übernehmen, die ich aus meinem
analytischen Zugang für ein erkenntnisgewinnendes System, wie es das Gehirn ist,
für notwendig erachte.
Abgesehen von den chemischen Botenstoffen an der Synsapse ergibt sich auch die
Frage nach dem Rücktransport durch die Zellen. Bei Fitzsimonds et. al (1998) ist
dazu zu lesen:
„Long-range retrograde transport of neurotrophins and other ligand-receptor complexes
may thus also be viewed as merely an intermediate step in an extensive intercellular exchange and propagation of protein signals within the neuronal network. Another potential
mechanism for propagating retrograde signals over long distances is the use of regener ative waves of second messengers in the cytoplasm. These waves can be generated at the
local sites of reception of retrograde factors and propagate over long distances across the
33
entire cell, with a speed in the range of 8-100 µm/s (256). The most dramatic example is
the Ca2+ wave… Calcium waves can be generated in oocytes by internal release of Ca 2+
by activation of muscarinic receptors or by injection of InsP 3 (46, 209). Calcium waves
were also observed in neurons (146, 180) and in large networks of cells coupled by gap
junctions, e.g., developing cortex (367), vascular endothelial cells (179, 311), myocytes
(340), hepatocytes (308), and astrocytes (74, 88).” (Literaturverweise siehe:
http://physrev.physiology.org/cgi/content/full/78/1/143)
Eine neuere Studie zu den retrograden Signalen während der Long -Time
Potentiation findet sich bei Huizhong W. Tao and Mu-ming Poo (2001). Zur Frage
des Transportes rückläufiger Signale findet sich darin folgende zusammenfassende
Stellungnahme:
„It is possible that a transsynaptic retrograde signal, generated after the induction of synaptic plasticity, triggers another cytosolic signal that propagates throughout the presyna ptic neuron, or the retrograde signal itself serves as the propagating signal…
…Regenerative waves of second messenger (e.g., Ca 2+, InsP3, cAMP) can be good candidates, because it is known that these waves can be generated at local sites and prop agate over long distance across the entire cell.”
Abgesehen von den chemischen Hinweisen auf rückwirkende Signale, wie sie zur
Kontaktfindung zwischen zwei entfernten aktiven Neuronen im Netz notwendig
wären, gibt es auch der komplexe Ablauf an elektrischen Impulsen und Wellen, die
bei einer fokalen Reizung zweier Punkte in einem Neuronengewebe zustande
kommt, Anlass zur Annahme eines Wegfindungsprozesses. Neuronengewebe kann
in Nährlösungen gezüchtet werden, und auch Gehirngewebe lässt sich längere Zeit
am Leben erhalten. So können ex-vivo Untersuchungen durchgeführt werden, die
den Einsatz von technischem Equipment erlauben, der am lebenden Gehirn nicht
möglich ist. Marom & Shahaf (2002) fassen die Ergebnisse solcher Studien
zusammen. Zum Thema „Response to focal stimulation“ schreiben sie:
S.74: “When focal stimulation is applied to a network, for example, by passing current between two adjacent electrodes, or between an electrode and a distand reference point, the
network responds by producing a propagating wave of activity. The response is built of
three clear components … The early component appear with the same time delay relative
to stimulus onset with sub millisecond precision … It is followed by a period with low spike
probability … Then comes the late component, a ‘reverberating wave’ that can la st for
hundreds of milliseconds.” S. 67: “Potter & DeMarse (2001) developed a technique that
allows networks to survive for over a year”
2.1.8 Kettensignalfluss und Signalfließzeit
Die spannungsabhängigen Aufnahmen im primären Sehsystem von Bosking et al.
(1997), die ich weiter oben zitiert habe, zeigen, dass Balkendetektoren gleicher
Ausrichtung sich miteinander Kettenartig verbinden, was ich als Quasiebene
bezeichnet habe. In meinem Modell nehme ich an, dass über solche kettenartige
Verbindungen Signale fließen, und dass dieser Kettensignalfluss zur Zeitcodierung
der Bildinformation führt. Gibt es neurophysiologische Hinweise hierzu? Es müsste
doch feststellbar sein, dass eine längere Linie ein längeres Signal sendet, als eine
34
kurze. Dass dies genau so ist, zeigen Kapadia
Ableitungsexperimenten. Sie fassen die Ergebnisse mit
zusammen:
et.al in ihren
folgender Grafik
Eigentlich prophezeit mein Modell auch eigene Voraussage-Fehler-Signale an
Konturwinkeln, denn auf der Ebene der Balkendetektoren wird Geradlinigkeit
vorausgesagt. Aniruddha und Gilbert haben solche Signale verzeichnet. Allerdings
teile ich nicht ihre Annahme, dass auch in diesem Fall dauerhaft verankerte
Verbindungen in Form einer Map entstehen können, was sie auch nicht nachweisen
konnten. Dauerhafte Connections sind
aufgrund der statistisch geringen
Auftrittshäufigkeit eines gleichen Winkels auf der selben Bildposition den
Lerngesetzen zufolge unwahrscheinlich.
„Neurons in primary visual cortex (V!) respond differently to a simple visual eleme nt presented in isolation from when it is embedded within a complex image… …Here we study
the role of short-range connections in this process… …The strength of this contextual influence on a neuron can be predicted from a model of local connections based o n simple
overlap with particular features of the orientation map… …This indicates that (for e xample) the parameter of corner processing could also form a functional map over the cortical
surface, similar to and closely linked with the familiar maps of orie ntation and space.”
Die Idee, dass Signalfließzeiten räumliche Distanzen und zusammenhängende
Formen codieren, habe ich auch in einer neurophysiologischen Arbeit untersucht
gefunden. Eckhorn R. (2000) kommt zu dem Schluss, dass eine solche Idee
plausibel erscheint. Er schreibt:
“It starts from the hypothesis that synchronization and decoupling of cortical gamma activities (35-90 Hz Waves) define the relations among visual objects ... Synchronization,
35
measured by spectral coherence, is restricted to few millimeters cortex. Such patches of
gamma-synchronization become de-coupled across the representation of an object's contour, and thereby can code figure-ground segregation. … Spike transmission delays, increasing with cortical distance, can explain the restriction of gamma-coherence to patches
of few millimeters cortex. … Our results and those of others are supportive for the hypothesis that phase-coupled gamma-signals can code feature grouping and object continuity.
Wenn Signalflüsse zu Zeitcodierung führen, so müssten die Signalmuster, die über
den Kortex entlangwandern, anderswo verspätet, also Phasenverschoben
ankommen. Es wird immer so viel von synchronen Signalen gesprochen, aber sind
sie wirklich synchron? Tatsächlich sind sie anscheindend phasenverschoben. Die
folgende Studie von Ermentrout et. Al. (2001) bringt dieses Thema auf den Tisch
und schlägt drei Möglichkeiten vor, diese Phasenverschiebungen zu erklären:
Wenn sich die Autoren dann entschließen, die dritte Möglichkeit zu simulieren, so
hat das aus meiner Sicht damit zu tun, dass sie bei der zweiten Möglichkeit nicht
viel zu simulieren gehabt hätten, sondern vielmehr eine Erklärung dafür benötigen
würden, woher der Signalrhythmus im ersten Neuron kommt. Mein Modell führt zu
solchen Rhythmen und bietet eine Erklärung für den Rhythmus im ersten Neuron,
also bin ich der Ansicht, dass im Gehirn Fig.b umgesetzt ist. Einig bin ich mir mit
den Autoren in Ablehnung der Möglichkeit Fig.a. Sie stellt, so die Autoren, nur eine
scheinbare Bewegung von Signalen dar. Dass Signale wirklich horizontal wandern
zeigen die Autoren danach mit Untersuchungen am visuellen System. Sie sprechen
von „Traveling Waves“. Im visuellen System existieren gar nicht genügend „Long
Range Connections“, als dass Fig a als Lösung in Frage käme. Ich habe in meinem
Modell das Thema der kettenartigen Signalweitergabe bereits aus psychologischer
Sicht behandelt. Wir erinnern uns, dass ich dazu eine ähnliche Grafik gezeigt habe.
36
Ich habe mich auf Experimente zur assoziativen Konditionierung berufen, die die
Möglichkeit von einer Verschaltung wie in Fig.a ausschließen.
Zu dem Schluss, dass wandernde Signale dem Synchronisationsphänomen
zugrunde liegen, kommen auch Funahashi, M. und M. Steward (1998) in Studien an
Brain-Slices.
„We show that synchronous gamma (40-100 Hz) activity follows population bursts by deep
layer retrohippocampal neurons in undrugged slices from rat brain. … These events can
be initiated by a propagating population spike.”
Von der Retina der Taube wurden bisher die besten Bilder wandernder Wellen
aufgezeichnet (siehe oben). Du and Ghosh (2002) haben sich gefragt, ob die
Wanderwellen klar genug sind, um damit zum Beispiel die örtliche Position von
Lichtpunkten zu bestimmen. Sie nützen dabei die Zeit, die das Signal brauch t um
den Raum zu durchwandern, zu Positionsbestimmung. Genau wie in meinem Modell
handelt es sich also um eine Zeitcodierung räumlicher Information durch
Signalfließzeiten. Sie haben die Idee, dass derartiges im Taubenhirn stattfindet
anhand der Bilder von Calcium-Waves am Computer modelliert und bestätigt:
„The goal … is, to verify that the position of a spot of light incident on the retina of a trutle
is envcoded by the spatiotemporal dynamics of the cortical waves they generate … Extracellular recordings from the visual cortex of freshwater turtles have shown that neurons at
each cortical locus are activated by visual stimuli presented at every point in the binocular
visual space, although the latency and shape of the response waveforms vary as the stimulus is presented at different loci in the visual space. … A visual stimulus … produces a
wave of depolarization that propagates anisotropically across the cortex. This raises the
possibility that visual information is coded in the spatiotemporal dynamics of the cortical
waves. Subsequentliy, travelling electrical waves have been observed not only in turtle
visual cortex, but also across olfactory, visual and visuomotor areas of cortex in a variety
of species (Ermentrout, G.B. and D. Kleinfeld 2001).”
Zuletzt bleibt noch die Frage, ob das Gehirn überhaupt fähig ist schnelle Abläufe,
wie die Wanderbewegungen von Wellen, zeitlich auszuwerten. Laut Hubel (1989, S.
28) fließen Signale im Gehirn O,1 bis zehn Meter pro Sekunde. Das ist langsam,
wenn wir bedenken, dass das Gehirn durchaus in der Lage ist, das verspätete
Eintreffen des Schalls, beim abgewandten Ohr zur Ortung einer Schallquelle zu
nützen (Möckel u.a.1995). Wie das Gehirn dies mit langsamen Bauteilen schaffen
könnte zeige ich in meinem Modell zum Hören.
2.1.9 Chunkzellen
Lernexperimente bei gleichzeitiger elektrischen Ableitungen von Neuronen der
Großhirnrinde haben gezeigt, dass es in Lernprozessen durchaus zur Bildung von
Chunkzellen kommt. Als Chunkzelle bezeichne ich ein Neuron, oder eine
Neuronengruppe, die nur bei Auftreten einer erlernten Reizverbindung aktiv wird,
nicht jedoch auf die einzelnen Reize. Damit Neuronen dies können, müssen sie
durch den Lernprozess erst dementsprechend verdrahtet werden. Messinger et.al
(2001) zeigen in ihren Studien, dass im Gehirn derartiges passiert.
37
“We recorded neuronal activity in the anterior IT cortex of two monkeys during the learning
of visual-visual associations. The monkeys performed a paired-associate task in which
one stimulus from a pair (the cue) was presented and the monkey had to select the other
stimulus from that pair (the paired associate) to receive a juice reward.”
“We found that many neurons in both area TE and perirhinal cortex came to elicit more
similar neuronal responses to paired stimuli as learning proceeded. Moreover, these neuronal response changes were learning-dependent and proceeded with an average time
course that paralleled learning. This experience-dependent plasticity of sensory representations in the cerebral cortex may underlie the learning of associations between objects.”
Für long-term-Memory von Stimulus-Stimulus-Verbindungen
Neuronen sprechen bereits Studien von Miyashita Y (1988).
durch
konkrete
Neben zeitlich aufeinanderfolgenden Stimuli, gibt es ja auch Stimuli, die nicht
zeitlich sondern nur örtlich getrennt sind. Was oft örtlich nahe aufeinander auftritt
wird genauso verbunden, denn örtliche Nähe zählt so viel wie zeitliche. Das erste
was aus solchen Lernprozessen hervorgeht, sind Chunks zur Erfassung von oft
auftretenden einfachen örtlichen Relationen von Konturen. Wir nennen dies
„Formen“. Gibt es eigentlich Neuronen, die auf Grundformen ansprechen?
Schmoesky (2003) hat im visuellen System derartige Neuronen gefunden. Er
schreibt dazu zusammen mit Leventhal (1998):
“ The issue here is how the brain encodes a stimulus boundary (e.g., a square) when the
visual cue that defines that boundary (e.g., color, luminance, texture, motion, illusion, etc.)
is varied. As Gestalt psychologists would note, the stimulus is very differe nt in each of
these cases but the fundamental percept, the square, remains the same. We asked two
fundamental questions. First, are there V1 or V2 cells in cat and monkey capable of responding in a similar fashion to a boundary regardless of the cue defini ng it? … Second, if
such cells exist are they equally prevalent in V1 and V2? Our results demonstrated that a
subpopulation of cells in both regions can respond to a stimulus boundary, such as an oriented bar, in a cue-invariant manner, though this property was rare in V1 while prevalent
in V2.
Figure 26. Example of a cue-invariant cell in cat area 18. This cell responds with the same degree of orientation bias
and to the same preferred orientation regardles s of whether the bar is defined by simple luminance (top), texture
(middle) or isoluminant gratings (bottom). From Leventhal et al. (1998). (27 K jpeg image)
One conclusion from this work is that cells in the very first stage of cortical processing are
already capable of responding to a single stimulus boundary in a complex manner that allows for object detection even as the cues defining the object change, or are partially occluded (Leventhal et al., 1998).
38
Aber sind denn solche Leistungen dem primären visuellen System überhaupt
zuzutrauen? Neuere Untersuchungen zeigen, dass auf V1 viel mehr stattfindet, als
bisher angenommen. V1 dient zum Beispiel auch als Arbeitsspeicher (Spektrum Ticker 2001.07.10). Trotzdem sei hier darauf hingewiesen, dass eine Leis tung, wie
die Erkennung eines Quadrates, auf so niederiger Stufe der visuellen Verarbeitung
kaum anders zu erklären ist, als durch mein Modell der Kettensignalfluss Zeitcodierung. Für alles andere sind zu wenige Long-Distance-Connections
vorhanden, denn für die Vielzahl möglicher Grundformen und Positionen müssten
davon unzählige existieren oder zumindest müsste ein Neuronennetz, das dies
leistet, über erheblich mehr Ebenen verfügen.
Dass im visuellen System Neuronen gefunden wurden, die auf eine bestimm te
Form, wie ein Quadrat ansprechen erinnert etwas an das Modell der
„Großmutterzelle“, das in der Gehirnforschung heute nur belächelt wird. Es ist die
Idee, dass für jedes Objekt ein Neuron im Gehirn zuständig sei. Sicherlich ist die
Idee einer bedeutsamen Zelle lächerlich, denn die Bedeutung kann erst im Netz an
Verbindungen entstehen, die zu Zukunftsprognosen führen, Empfindungen
(Körpersollwertabweichungen) assozieren lassen und Motorik auslösen. Aber es
spricht tatsächlich viel dafür, dass das alles an einem konkreten Ort
zusammenläuft, wo dann sozusagen der jeweilige Begriff repräsentiert ist. Wie
sonst sollten Begriffe ihrerseits wieder Lernverbindungen miteinander eingehen?
Viele Untersuchungen weisen sehr klar darauf hin, dass Neuronen für
Begriffskathegorien gibt. Die erste und bekannteste stammt von Penfield (1963), ein
Versuch, den man aus ethischen Gründen nicht jederzeit nachstellen kann. El-Bab
(2001) fast diese Studie wie folgt zusammen:
“Penfield was able to electrically stimulate areas of the cortex of patients who were awake
while undergoing surgery for focal epilepsy. He found that the stimulation of temporal
lobes led most of these patients to experience very vivid and realistic images. These often
involved hearing music, somebody's voice, such as when one person said, " I hear someone talking... I think it was about restaurant or something"
Penfield assumed that subjects were in fact recalling past events that had happened to
them, and proposed that memories are stored at very precise cor tical locations (as in
computer’s memory), and can be stimulating with a small electrode in contact with that
location.”
Auch neuere Untersuchungen an Tieren sprechen für örtlich relativ konkrete
Repräsentationen. So fand Christof Koch sogenannte „face cells“ (Birbaumer 1996,
S.405, Bremen 1998, Cross 2000, Recht 2000) und es gibt im Gehirn Neuronen für
Eigenschaften wie einen bestimmten Augenabstand (Spektrum-Ticker 2002.01.22),
sowie Neuronen für andere Objektkathegorien oder bestimmte Formen (Goldstein
1997, S.104, WSA 2001.10.04, Doerfler Alex 2001). Weiters zeigen
Untersuchungen, dass neue Eindrücke neue Nervenzellen verbrauchen, um
gespeichert zu werden (Spektrum-Ticker 2001.03.20).
Wir dürfen also durchaus annehmen, dass einer neu erlernten Verbindung auch ein
Platz zukommt, an dem sie repräsentiert ist. Ein ganz wesentliches Element in
39
meinem Modell ist weiters, dass Verbindungen, die bereits erlernt sind, dadurch zu
erkennen sind, dass sie bereits die richtigen Voraussagen liefern. Sie brauchen
nicht noch einmal erlernt werden. Das bedeutet, wo richtige Voraussagen getroffen
werden, braucht keine Weitergabe der Signale an höhere Voraussageeinheiten
stattfinden. Genau diese Idee greifen Legenstein et.al auf, um das Verhalten von
Neuronen zu erklären.
“Reports from sensors which had already been autonomously predicted by the system,
need not be transmitted to higher-level areas, since they provide no new information to the
organism. This allows the higher-level areas to focus on the most far-reaching predictions
and abstractions.”
2.1.10 Regelkreisprinzip.
Ich gehe in meinem Modell davon aus, dass es im Gehirn ein Lust/Unlust -Zentrum
gibt, wo körperliche Sollwerte überprüft, und Abweichungen sowie Annäherungen
gemeldet werden. Die Abfolge von Reizen der Aussenwelt, und die damit
einhergehende Abfolge von Sollwertannäherungen und Abweichungen führen bei
wiederholten Vorgängen zu Lernverbindungen, über die solche Abfolgen in Zukunft
vorausgesagt werden können. Vom Lust/Unlust Zentrum kann über solche
Verbindungen ein Signal von der vorausgesagten Zukunft zur Gegenwart
zurückfließen, und je nachdem ob es ein hemmendes oder erregendes Signal ist,
kann die vorgestellte Zukunft Handlungen verstärken oder schwächen. Eine
Handlung, die zu einem erregenden Signal in diesem Lustzentrum führt, wird
beibehalten werden, denn dies besagt, dass sie für die Beibehaltung der
Körpersollwerte sorgt. Was aber, wenn wir ein solches Lustsignal künstlich im
Gehirn erzeugen? Dann wird das Versuchstier die Handlung beibehalten, die zu
dem Signal führt, denn das Signal kommt aus dem Lustzentrum, und damit steht es
für die Erreichung von Körpersollwerten. Dass das künstliche Signal keine sinnvolle
körperliche Wirkung repräsentiert, kann das Tier nicht wissen. Soweit die Theorie.
Aber gibt es wirklich das Phänomen, dass das Pressen einer Taste für das
Versuchstier zu einer sinnvollen Handlung wird, nur weil sie ein Signal am richtigen
Fleck des Gehirns bewirkt? Tatsächlich ist es so. Shizgal & Conover (1996)
befassen sich mit diesem Phänomen. Sie schreiben:
“The self-stimulating rat presents a compelling spectacle. Having been trained to press a
lever that triggers intense, continously available stimulation of a "hot" site in the medial
forebrain bundle, the rat works in a frenzied, insatiable fashion, even at the cost of forgoing its sole daily opportunity to obtain food… … How could a signal meaningful to a rat
arise from delivery of synchronous stimulation via a stout wire crudely inserted into the
intricate fabric of the brain?… are there …neurons that implement a unidimensional representation of the utility of natural goal objects?”
2.1.11 Aufmerksamkeitslenkung
Im limbischen System des Gehirns sitzt nicht nur das Lust/Unlust-Zentrum, sondern
auch der Hippocampus. Von Personen, denen dieser Gehirnteil in beiden
40
Hemisphären ausgefallen ist, weiß man, dass dies die Lernfähigkeit beeinträchtigt.
Allerdings reift dieser Gehirnteil erst im dritten Lebensjahr aus (Gruber 2000, S.122).
Bis dahin hat das Kind Wahrnehmen, Bewegungskontrolle und Sprache gelernt, es
kann den Tagesablauf überblicken und sich darauf emotional einstellen. Das alles
sind Dinge, die durch viele Wiederholungen erlernt werden.
Tier und Mensch merken sich nur dann etwas beim ersten mal, wenn es relevant
ist. Bei der „Markierung“ dieser Relevanz dürfte der Hippocampus eine Rolle
spielen. Das legt schon sein Sitz im Lust/Unlust-Zentrum, das man auch als
Relevanz-Zentrum bezeichnen könnte, nahe. Fällt er bilateral aus, so ist es
unmöglich, sich den Namen einer Person, oder einen Termin sofort zu merken, und
vor allem Orte wiederzufinden. Es werden überhaupt fast alle Dinge, die man nur
einmal erlebt hat, vergessen. Der Mensch verliert seinen Zeitbegriff wie wir vor dem
dritten Lebensjahr. Bekannt ist dazu der Fall H.M., beschrieben bei Kolb &Whishaw
(1996), S.301. Der Fall ist interessant, da H.M. die Zeit vor seiner Operation
komplett erinnert, und allgemein überdurchschnittlich intelligent erscheint.
In Anlehnung an den Computer galt der Hippocampus als Arbeitsspeicher bzw.
Kurzzeitspeicher, wo die Information landet, bevor sie in den Langzeitspeicher, also
in die Gehirnrinde, wandert. Neueren Studien zufolge könnte er aber auch nur der
Aufmerksamkeitskontrolle dienen, die für die Lenkung des Gedächtnisses
notwendig ist. Wir lenken unsere Aufmerksamkeit auf eine Sache, wie z.B. einen
Namen, wenn wir uns dessen zukünftiger Bedeutung bewusst sind. Wiederholte
Lebensabläufe müssen bereits erlernt sein, um Zukunft und damit zukünftige
Bedeutung zu erahnen. Ich vermute, dass deshalb diese lernorientierte Lenkung der
Aufmerksamkeit (bewusste Konzentration) erst ab vier Jahren möglich ist. Davor
verschwindet die Vergangenheit im Nichts, weil nur einmal erlebte Dinge (und diese
definieren Zeitpunkte) kaum Bedeutung haben und vergessen wurden. Dass der
Hippocampus eher mit Aufmerksamkeit als direkt mit Lernen zu tun hat, ist auch der
Schluss, zu dem Shors & Matzel (1997) in einer Überblicksstudie zu dem Thema
kommen. Sie interessierten sich vor allem für die Zahlreichen Experimente zu
Langzeitpotenzierungen, (LTP) die im Hippocampus auftreten. Sind diese eine Art
der Informationsspeicherung, oder dienen sie nur der latenten Aufrechterhaltung
der Aufmerksamkeit? Sie schreiben:
“Other characteristics of LTP, including its rapid induction, pers istence, and correlation
with natural brain rhythms, provide circumstantial support for this connection to memory
storage. Nonetheless, there is little empirical evidence that directly links LTP to the storage of memories. In this target article we review a range of cellular and behavioral characteristics of LTP and evaluate whether they are consistent with the purported role of hippocampal LTP in memory formation… … As an alternative to serving as a memory storage
device, we propose that LTP may serve as a neural equivalent to an arousal or attention
device in the brain.”
Page 8: “Among the more than 1,000 articles published between 1990 and 1997 that refer
specifically to LTP in the title, the vast majority either imply or explicitly state in the abstractor introduction that LTP is a memory storage device… …When the search was extended back to 1974, fewer than 80 among over 1,300 articles with LTP in the title described any behavioral manipulation relevant to the assessment of memory. Given these
41
statistics, one might assume that it had been demonstrated that LTP was "the memory
mechanism" and that further studies were unnecessary. In fact, many articles with a b ehavioral manipulation provide evidence to the contrary (see H ippocampus,1993, No. 2;
Bannerman et al. 1995; Saucier & Cain 1995).”
Die folgende Bemerkung in dem Artikel ist wieder ein Hinweis auf großflächige
Signalausbreitungen (spread)
im
Gehirn,
wie sie mein Modell zu
Verbindungsfindung braucht:
Seite 6: “In addition to the spread of overt potentiation to nearby synapses, changes also
accompany the induction of LTP that are not limited to active synapses or even nearby
synapses. For example, unilateral tetanization of the perforant pathway induces LTP in the
dentate gyrus and an increase in messenger RNA (mRNA) for a presynaptic glutamate
receptor on the stimulated (ipsilateral) side 2 hours later (Smirnova et al. 1993).”
Neurere Studien bringen Aufmerksamkeit vor allem mit synchronen Signalen in
Verbindung. Von Langzeitpotentialen (LTP) ist nicht die Rede. Aber die Studien
müssen einander nicht ausschließen. Wahrscheinlich sind synchrone Signale nichts
anderes als LTPs, nur bleiben sie nicht so lange aufrecht, wenn nicht ein
Lernvorgang damit verbunden ist. Zu Lernvorgängen kommt es nur, wenn ein
Zusammenhang sehr wichtig scheint, und die Aufmerksamkeit deshalb länger dabei
bleibt.
Und was haben synchrone Signale mit Gehirnwellen zu tun? Einer Studie von
MCFadden (2002) zufolge handelt es sich auch hierbei um das selbe Phänomen,
nur wird die Synchronizität der Impulse im Mikromaßstab der Einzelzellableitung
beobachtet, und Gehirnwellen zeigen das Gesamtbild.
In engem Zusammenhang mit dem Thema Aufmerksamkeit steht auch die
Diskussion um Kurz- und Langzeitspeicherung im Gehirn. Kurzzeitspeicherung
entsteht
wohl
durch
Aufrechterhaltung
(Langzeitpotenzierung)
eines
Verbindungszusammenhangs. Dabei ist Interesse im Spiel, und somit das
Lust/Unlust-Zentrum, zu dem ich auch den Hippocampus zähle. Es entstehen
Verbindungen (Synchronizitäten), die sich bis in verschiedenste Bereiche der
Großhirnrinde erstrecken und die Verbindungen abnabeln (Lernen). Wenngleich die
Aufmerksamkeit sich nur dem stärksten Zusammenhang widmen kann, (weil
scheinbar nur eine Reizkette zu einem Zeitpunkt eine Verbindung zum Lust/UnlustZentrum aufbauen kann), sind andere Verbindungen, die in diesem Rennen nicht
den ersten Platz gemacht haben, noch aufrecht (LTP), und die Wahrscheinlichkeit,
dass sie wieder zum stärksten Signal werden und ins Bewusstsein treten ist hoch.
Ein Zusammenhang über mehr als neun Inhalte ist im Kurzzeitspeicher nicht
aufrechtzuerhalten. Vielleicht ist das deshalb so, weil sich das Signal auf die
verknüpften Verbindungen aufteilt, und ab einer gewissen Zahl an Inhalten ist es
unwahrscheinlich, dass die Signale noch stark genug sind, denn nur stark aktivierte
Verbindungsketten siegen im Rennen um das Bewusstsein.
42
2.1.12 Übergang zu seriellem Denken
Die durchschnittlich sieben Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses versuchen Jensen &
Lisman (1998) dadurch zu erklären, dass ein serieller Abruf im Gehirn existiert
(siehe Grafik).
Wenngleich mir ihre Hypothese etwas zu vereinfacht erscheint, hat sie doch einiges
mit den Verbindungsketten und dem Kettensignalfluss gemeinsam, den ich
annehme. Die Autoren stützen ihre Ansicht durch eine breite Palette an Studien, die
zeigen, dass ein Inhalt des Kurzzeitgedächtnisses durch einen jeweils eigenen
Zyklus an Gehirnwellen aufrechterhalten wird. Sind die Wellen weg, ist die
Information vergessen. Das passt auch sehr gut in mein Modell. Sie schreiben:
We have proposed that a single brain network can separately maintain up to seven memories by a multiplexing mechanism that uses theta and gamma brain oscillations for clocking.
Die Autoren beziehen sich mit ihrem seriellen Modell vor allem auf ein
psychologisches Experiment von Steinberg (1966). Sein Versuch sah folgendermaßen aus:
„A list of items is presented rapidly. A few seconds later, a probe item is presented, and
the subject answers as quickly as possible whether the probe wa s on the list. A key finding
consistent with serial memory scanning is, that the average reaction time increases linearly with the number of items on the list. … (That applies as well) for “yes” and “no” answers
… the answer can apparently not be given until the entire list is scanned.”
Die Studie von Jensen & Lisman geht also von einer seriellen Codierung im
Kurzzeitgedächtnis aus, wie sie auch ich annehme. Allerdings enthält die Studie
keinerlei Idee wie es zu der Zeitcodierung kommt, und wie sie wieder in eine
räumliche Form gebracht wird. Denn eines steht fest, die Langzeitspeicherung ist in
der Großhirnrinde, das heißt sie liegt in Form eines räumlichen Netzwerkes vor. Es
ist also letztlich eine räumliche Speicherung.
43
Mein Modell beinhaltet die fehlende Idee der Umcodierung. Es sind die Fließzeiten
im Netz, die von einer räumlichen zu einer Zeitcodierung führen, und umgekehrt.
Dass es solche Fließzeiten gibt, belegen weiter oben genannte neurophysiologische
Studien. Dass Distanzen tatsächlich in direkter Weise zeitcodiert werden, legt unter
anderem folgendes psychologisches Experiment nahe (aus Anderson 1996, S.111):
Kosslyn, Ball und Reiser haben 1978 ihre Versuchspersonen eine Karte einer Insel
einprägen lassen, auf der verschiedene Objekte eingezeichnet waren. Die
Versuchspersonen sollten sich ein Objekt auf der Karte in Erinnerung rufen. Dann wurde
ein anderes genannt, und sie sollten einen Knopf drücken, sobald sie sich mental bei dem
anderen Objekt befanden. Die zeitliche Reaktionsdistanz entsprach dabei der räumlichen
Distanz der Objekte auf der Karte.
Synästhesie: Für eine zeitliche Codierung visueller Reize sprechen auch
synästhetische Erlebnisse mancher Menschen, die Bilder sozusagen hören (hören =
zeitlich), oder Musik sehen können (Spektrum-Ticker 2002.02.28, WSA
2001.03.29). Bis zu einem gewissen Grad kann jeder Mensch Klangliches und
Visuelles in Verbindung bringen. So ordneten die meisten Versuchspersonen in
Köhlers Experiment der linken Figur den Namen Maluma, und der rechten den
Namen Takete zu. Schicken wir ein Signal entlang der Linie, das Krümmungen
signalisiert, so kommen wir zu einem, den vorgegebenen Begriffen ähnlichem,
Klangeindruck. (aus Nowotny 1969)
44
Aber wenn Bilder tatsächlich im Gehirn zeitcodiert werden, so müsste jedes Bild
doch eine kurze Zeit ruhig gestellt werden, bis die Zeitcodierung abgeschlossen ist.
Das geschieht tatsächlich, und zwar durch die sakkadische Bewegung unserer
Augen und dadurch, dass das Gesehene für einen kurzen Zeitraum im
„Arbeitsspeicher“ der Sehrinde behalten wird (Wesenick u.a. 2000). Wir fixieren ein
Objekt, und erst nach einer kurzen Verarbeitungszeit können wir die Augen
weiterbewegen (Berhill und Stark 1987, S.68). Sie können an ihren Mitme nschen
beobachten, dass sie es nicht schaffen, mit den Augen eine fließende
Kreisbewegung zu beschreiben. Und wenn doch, so erkennen sie dabei nichts
mehr.
Ich habe weiter oben bereits Studien angeführt, die zeigen, dass die sogenannten
synchronen Signale mit zunehmender Distanz phasenverschoben auftreten, was
eine Wanderbewegung in Verbindungsketten nahe legt (Ermentrout et.al. 2001). Ich
sehe darin die Quelle der Zeitcodierung der Reaktionsbilder der Gehirnoberfläche.
Von einem Code kann aber nur gesprochen werden, wenn das Gehirn für gleiche
Wahrnehmungen gleiche Zeitrhythmen verwendet. Tatsächlich gibt es
Untersuchungen, die dies bei bestimmten Wahrnehmungen belegen (WSA
2001.08.08, WSA 2002.11.27, Stickgold u.a.2002). Warum nicht alle
Untersuchungen zu diesem Ergebnis kommen ist aus dem hier vorgelegten Modell
leicht zu erklären. Es sind jeweils nur jene Bereiche und Aspekte einer
Wahrnehmung synchronisiert, denen gerade Aufmerksamkeit zukommt (Held 2002,
Spektrum-Ticker 2000.03.16, Spektrum-Ticker 2001.11.09). Diese wechselt aber
ständig und nimmt immer andere Bezüge innerhalb eines Objektes unter die Lupe.
Andere Bezüge gehen einher mit anderen Signalrhythmen. Deshalb darf man sich
nicht immer durchgehend das gleiche Signalmuster erwarten.
Es ist also davon auszugehen, dass die für die Zeitcodierung notwendigen
Kettenverbindungen aufgebaut werden, und aufrecht bleiben, solange sie durch die
Aufmerksamkeit aktiv gehalten werden. Dass die in diesen Kettenverbindungen
auftretenden synchronen Signale tatsächlich mit Aufmerksamkeit und dem
Bindungsproblem von Objekteigenschaften zu tun haben gilt als erwiesen. McFadden (2002) fasst Studien dazu wie folgt zusammen:
“Wolf Singer and colleagues demonstrated that neurones in the monkey brain that responded to two independent images of a bar on a screen fired as ynchronously when the
bars were moving in different directions but fired synchronously when the same bars
moved together (Kreiter and Singer, 1996). It appeared that the monkeys registered each
bar as a single pattern of neuronal firing but their awareness that the bars represent two
aspects of the same object, was encoded by synchrony of firing. In another experiment
that examined interocular rivalry in awake strabismic cats, it was discovered that neurones
that responded to the attended image fired in synchrony, whereas the same neurones
fired randomly when awareness was lost (Fries et al., 1997). In each of these e xperiments, awareness correlated, not with a pattern of neuronal firing, but with synchrony of
firing. Singer, Eckhorn and others have suggested that these 40-80 Hertz synchronous
oscillations link distant neurones involved in registering different aspects (colour, shape,
movement, etc.) of the same visual perceptions and thereby bind together features of a
45
sensory stimulus (Eckhorn et al., 1988; Singer, 1998). However, if synchronicity is involved in perceptual binding, it is unclear how the brain uses or even detects synchrony.”
McFadden stellt in seinem Artikel auch klar, dass die synchronen Signale, die an
verschiedensten Stellen des gesamten Cortex gefunden werden können, in Summe
das elektrische Feld bilden, das im EEG hervortritt. Da Aufmerksamkeit gen erell mit
Bewusstsein gekoppelt ist, sieht er darin den Sitz des Bewusstseins. Das ist nicht
so abwegig, denn wie mein Modell zeigt, dient der Kettensignalfluss (synchrone
Signale) wahrscheinlich der Zeitcodierung, also dem seriellen Denken. Im
Bewusstsein denken wir alles seriell. Wir können zwar sehr schnell zwischen
Inhalten hin- und herschalten, aber es ist nie mehr als ein (höchstens 2) Inhalt
zugleich im Bewusstsein.
Das Gehirn ist also ein neuronales Netz, das räumliche Zusammenhänge zeitcodiert
und so zu seriellem Denken findet. Mein Modell ist wahrscheinlich das derzeit
einzige neuronale Netz, das dies tut. Warum das Gehirn nur einen Inhalt pro Zeit
verfolgt ist leicht zu sagen. Es dient der Handlungskontrolle, und es macht keinen
Sinn, zwei Handlungen zugleich auszulösen. Wir können unseren Arm heben oder
senken, aber nicht beides zugleich. Ein neuronales Netz, das einen Roboter lenkt,
braucht also in seinen inneren Entscheidungen auch nur seriell zu denken, auch
wenn nach der Entscheidungsfällung der Handlungsbefehl letztlich wieder auf die
Vielzahl von Motoren, oder Muskelfasern aufgeteilt wird.
2.2 Abgrenzung der Signalflussidee zu anderen Netztypen
2.2.1 Die Vor- und Nachteile klassischer Mehrschichtnetzwerke
Dieser Netztypus wird in der Literatur am öftesten erwähnt (Hinton 1993, S.98,
Tarasov 1993, S.106) und dürfte auch die meisten Anwendungsmöglichkeiten
bieten. Mehrschichtennetze bestehen aus einer Eingabe-Schicht, die ihre Signale
über ein oder mehrere vermittelnde Schichten auf eine Ausgabeschicht projiziert.
46
Bei jeder Übertragung hat jede Zelle eine Verbindung zu mehreren benachbarten
Neuronen, das Signal wird also an eine Zellgruppe weitergegeben. Ein Signal kann
so letztlich an jedem Ort der Ausgabeschicht ankommen. Die Grafik
veranschaulicht die Idee am Beispiel der Buchstabenerkennung, die mit solchen
Netzen bewältigt wurde (Mehr dazu Schaub 2002). Damit die Aktivität so durch das
Netzwerk fließt, dass sie in Summe hauptsächlich am richtigen Ort ankommt, also
bei dem Neuron, das für den Buchstaben steht, muss das Netz trainiert werden.
Dabei werden die Verbindungen unterschiedlich gewichtet (verstärkt). Die
schnellste Methode die Gewichtung zu setzen besteht darin sie vom Sollwert (dem
Aktivitätsmaximum am erkannten Buchstaben) zurückzurechnen, genannt
Backpropagation (Hinton 1993, S.99). Eine naturnähere Variante besteht darin die
Gewichtungen durch Mutations-Selektions-Mechanismen von Verbindungsgruppen
zu finden (Edelmann 1993, S.28f.) Aber wie auch immer, beeinträchtigt die
Veränderung der Gewichte zugunsten der Erkennung eines bestimmten
Buchstabens, immer die Erkennung der bereits erlernten anderen Buchstaben zu
einem geringen Grad.
Die wesentlichen Nachteile dieses Netzwerktypus sind:
1. Das Netzwerk bedarf der Definition eines bestimmten Bildausschnittes, in dem sich das
zu erkennende Objekt befindet. In realen Situationen sind Objekte aber immer von
verschiedensten Hintergründen umgeben. Da das Netzwerk keine Regel kennt, um die
Grenze zwischen Figur und Grund finden zu können, nimmt es den Hintergrund in den
Erkennungsprozess mit, und erhält unterschiedliche Ergebnisse, bei gleichen Objekten.
47
2. Das Netzwerk soll, in Anwendung auf das Gehirn, die Verbindung von Reizen mit
Reaktionen erklären. Auf den Wahrnehmungsreiz „G“ folgt sozusagen die Reaktion,
also der Druck auf die Taste „G“. Aber unser Gehirn verbindet nicht nur Reize mit
Reaktionen. Es verbindet auch Reize mit Reizen (Wenn wir uns z.B. Reizfolgen
merken, um beim nächsten mal Zukunft vorauszuahnen.). Es verbindet ebenfalls
Reaktionen miteinander zu fertigen Handlungsabläufen, und es verbi ndet sogar
Reaktionen mit Reizen (Wenn wir zum Beispiel die Wirkung unseres Verhaltens
vorausahnen lernen). Das Netz müsste also in alle Richtungen durchlä ssig sein. Ist es
aber nicht!
3. Das eigentliche Problem aber ist, dass ein natürliches Gehirn keinen Leh rmeister hat!
Ihm wird nicht sofort mitgeteilt welches Ergebnis ideal ist, was also z.B. die Taste für
„G“ ist. Mehrschichtennetzwerke brauchen einen Trainer, der das Ziel vorgibt (Hi nton
1993, S.101) Zwar wurden auch Netze konstruiert, deren Ziel eine möglichst
datenreduzierte Repräsentation von Information ist, aber auch das ist ein vorgegebenes
Ziel. Gehirne hingegen trainiert das Leben. Sie reagieren eher wie statistische Ne tze.
2.2.2 Vor- und Nachteile statistischer Netze
Das Lernziel eines Babys besteht vorerst darin, die Zusammenhänge der Welt zu
durchschauen. Die Befriedigung seiner Bedürfnisse kann es erst später selbst
übernehmen.
Jedes Objekt dieser Welt bildet in sich einen Zusammenhang. Seine Bildpunkte und
seine Teile gehören zusammen und treten meist gemeinsam auf. Wir treten z.B.
immer mit unserem Kopf auf. Bayesianische Netzwerke registrieren solche
statistische Häufungen. So könnten sie eventuell dazu taugen das Figur/GrundProblem zu lösen, indem sie Pixelgruppen, die oft gemeinsam auftreten, einer Figur
zuordnen, weil die Pixelgruppen eine ähnliche Entfernung, Bewegung, Farbton und
Strukturiertheit besitzen, und so eine statistische Häufung darstellen. Der
Hintergrund gehört nicht zu der Häufung.
Abgesehen von räumlichen Zusammenhängen gibt es auch zeitliche. Dinge fo lgen
wiederholt gleichermaßen aufeinander. Das Baby muss all diese Zusammenhänge
kennenlernen, es muss Folgewirkungen und Tagesabläufe abschätzen lernen.
Solche Aufgaben sind mit bayesianischer Wahrscheinlichkeits-Prognostik möglich.
Bayessche Netze orientieren sich an der assoziativen Konditionierung. Wenn oft auf
48
A ein B folgt, dann kann eine Verbindung hergestellt werden, über die in Zukunft ein
Signal zu B fließen kann. So wird B schon vorausgeahnt (Brandherm 2000). Ohne
solche Vorausahnung wäre kein planendes Handeln vorstellbar.
Es wird also erlernt welche Reize etwas miteinander zu tun haben, und welche
nicht. Dazu müssen alle Reize mit allen anderen eine potentielle Verbindung
besitzen, die dann verstärkt wird oder eben nicht. So könnte ein Hund lernen, dass
auf Glocke und Rotlicht Futter folgt.
Nun bin ich kein Experte in Bayesschen Netzen, aber ich beobachte, dass in Texten
darüber gerne das Kapazitätsproblem behandelt wird (Plach 1999), und es ist
einsichtig warum: In der obigen Grafik sind alle möglichen Zweierverbindungen
zwischen 10 Neuronen dargestellt, wobei die, durch Erfahrung verstärkten, rot
eingezeichnet sind. Aber genaugenommen müssen auch alle höherzahligen
Verbindungskombinationen möglich sein, denn Objekte sind nicht durch
Zweierverbindungen, sondern erst durch eine Kombination aus vielen Bildpunkten
beschreibbar. Selbst wenn wir von höheren Reizen ausgehen, wie dem Rotlicht
oder der Glocke, sind Zweierverbindungen nicht ausreichen, denn wir können einem
Hund beibringen, dass Futter nur nach einer Kombination von Rotlicht und Glocke
auftritt, nicht bei aufeinanderfolgenden Einzelreizen. Wenn das Gehirn keine neuen
Verbindungen schafft, sondern nur vorhandene verstärkt, müssten alle
Verbindungskombinationen potentiell vorhanden sein, damit sie gegebenenfalls
verstärkt werden können. Wie viele Verbindungskombinationen ergeben sich zum
Beispiel bei 10 Neuronen?
Zählen wir erst einmal die Zweierverbindungen. Jede Zelle kann mit jeder and eren
verbunden werden, außer mit sich selbst, also 10 mal 9. (Den Weg zurück ist dabei
schon mitgezählt.) Dreierkombinationen ergeben sich, indem ich einer
49
Zweierkombination eine dritte Zahl zugebe. Es gibt also 10*9*8 davon. Aber mit den
Dreierkombinationen habe ich auch schon die Siebenerkombinationen berechnet.
Denn die nicht in der Kombination enthaltenen 7 Restziffern, waren ja auch
kombiniert. Genauso ergeben sich mit den 2er die 8er, mit den 6er die 5er. Und
gesamt?
Zweierkombinationen
10*9= 90
Achterkombinationen
90
Dreierkombinationen
10*9*8= 720
Siebenerkombinationen
720
Viererkombinationen
10*9*8*7= 5040
Sechserkombinationen
5040
Fünferkombinationen
10*9*8*7*6= 30240
Neunerkombinationen
9
Zehnerkombinationen
1
Summe
43930
Es gibt also 43930 Verbindungskombinationen von nur zehn Zellen!
Diese Zahl entspricht also der Anzahl an unterscheidbaren möglichen Bildern bei 10
Bildpunkten. Allerdings mit der Einschränkung, dass es nur schwarze und weiße
Bildpunkte gibt. Ansonsten würde sich die Zahl an Kombinationen enorm erhöhen,
denn eine Zelle würde nun nicht mehr entweder ein, oder ausgeschaltet, sondern
verschieden aktiviert sein. Kann sie zehn verschiedene Graustufen repräsentieren,
so wirkt das auf die Kombinationsmöglichkeiten wie eine Verzehnfachung der
Zellen.
Abfolgen: Eine noch wesentlich größere Erhöhung entstünde dann, wenn das
Netzwerk nicht nur auf differenzierbare Reize, sondern auf bestimmte Reizfolgen
reagieren können soll. Es handelt sich dann um ein Dynamisches Bayessches Netz
(Brandherm 2000) Also auf Rotlicht  Glocke, nicht aber auf Glocke  Rotlicht.
Bleiben wir bei den 10 Neuronen, und den zigtausend möglichen Bildern, so kann
sich davon jedes mit beliebig vielen weiteren zu einer Filmsequenz verbinden.
Nehmen wir an, wir merken uns nur Sequenzen aus 1 bis 3 Bildern:
Anzahl verschiedener Bilder
43930
Zweierkombinationen
43930*43929= 1929800970
Dreierkombinationen
43930*43929*43928= 84772297010160
Summe
84774226855060
50
Es gibt also Milliarden verschiedener Reizkombinationen, bei nur drei
aufeinanderfolgenden Reizen von nur 10 binär reagierenden Neuronen! Drei
aufeinanderfolgende Reize sind wie ein Film aus drei Bildern. Geschichten kann
man sich damit noch nicht merken. Und auch 10 Neuronen zur Bildauflösung sind
nicht genug! Ein Auge liefert bereits 1,5 Millionen Bildpunkte, und zwar nicht binär,
sondern in sehr fein unterscheidbaren Intensitätsstufen. Dann sind da die
Projektionsfelder des Körperempfindens, des Hörens und des Riechens. Mir ist
erzählt worden, dass würden wir mit all diesen Neuronen alle kombinatorischen
Möglichkeiten durchspielen, eine Zahl an Kombinationsmöglichkeiten entstünde, die
über der Zahl der Quanten des Universums liege. Ich bin kein Mathematiker, aber
es genügt mir zu wissen, dass die Zahl an Verbindungsmöglichkeiten größer ist, als
die Zahl an Verbindungen, die im Gehirn vorveranlagt ist.
Das Gehirn kann also nicht alle eventuell einmal benötigten Verbindungen bereits
veranlagt haben, und bei Bedarf verstärken. Auch anatomisch ist ersichtlich, dass
im Gehirn nicht jedes Neuron mit jedem Kontakt hat. Das Gehirn braucht also die
Fähigkeit Verbindungen erst herzustellen, wenn sie benötigt werden, und es braucht
Strategien um Daten zu komprimieren und selektieren.
Mit
der
Neuronenanzahl nehmen die kombinatorischen Möglichkeiten
unverhältnismäßig stark zu. Da dynamische Bayessche Netze alle Verbindungen
durchrechnen, sind auch mit heutigen Großrechnern nur Bayes-Netze mit wenigen
hundert Neuronen denkbar (Brandherm 2000). Bayesianische Netze können also,
aufgrund eines kombinatorischen Kollaps, nicht erklären, wie das Gehirn die Reize
der einzelnen Sinnesrezeptoren zu Begriffen verbindet. Es ist nicht vorstellbar
solche Netze für die Verbindung der unzähligen einzelnen Sinnesrezeptoren
einzusetzen, sondern man beschränkt sich auf fertige Begriffe, wie bei Pawlow die
Glocke und das Futter. In der Psychologie versucht man umgekehrt die assoziative
Vernetzung von Begriffen in Lernexperimenten zu erforschen, und in
propositionalen (begrifflichen) Netzen aufzuzeichnen (Anderson 1996, S. 147f).
Konditionierungsexperimente sind mit Bayes zu simulieren, und Mehrschichtnetze
erledigen Buchstaben- bzw. Mustererkennung. Somit mag es so aussehen, als wäre
durch deren Kombination alles gelöst. Irrtum! Mehrschichtennetze brauchen einen
Trainer, und als Trainer kann das Bayesnetz nicht dienen, denn es ist, sola nge es
noch nie einen sinnvollen Input aus dem Mehrschichtennetz bekommen hat, nicht
arbeitsfähig, und das Mehrschichtennetz kann nicht ohne Bayesschen Trainer.
Dieses Problem scheint durch das Kohonen-Netz lösbar:
2.2.3 Das Kohonen Netzwerk
Ein Kohonen-Netz besteht aus einer Projektionsschicht, und einer Kohonen-Schicht
(Ausgabeschicht). Es kann lernen Reize differenziert wiederzuerkennen, ohne dabei
einen Trainer zu benötigen. Was oft wiederholt eingetreten ist, erobert auf der
Kohonen-Schicht einen eigenen Platz. Man kann sagen, auf der Schicht entsteht
51
eine Karte, in der oft Wahrgenommenes mehr Platz einnimmt. Spitzer geht in „Geist
im Netz“ auf diesen Netztypus ausführlich ein und erläutert viele Experimente in
denen Parallelen zur Organisation der Karten im Gehirn gezeigt werden konnten
(S.103-124, S.247-167), vom Hörsystem der Fledermaus bis hin zum assoziativen
Denken. Ich will mich hier auf eine kurze Beschreibung dieses Netzt ypus am
Beispiel der Buchstabenerkennung beschränken, da es mir ja nur um die
Abgrenzung zu meinem Modell geht.
Nehmen wir also an, ein Kohonen-Netz soll Buchstaben erkennen. Jedes Neuron
der Input-Schicht hat eine Leitung zu jedem Neuron der Kohonen-Schicht (OutputSchicht). Ein Kohonen-Neuron erhält also von jedem Bildpunkt des Buchstabens ein
Signal. Ziel ist es nun, dass das Neuron eine Art Schablone entwickelt, die so
genau auf einen bestimmten Buchstaben zutrifft, dass er von allen anderen
Buchstaben zuverlässig differenziert werden kann. Es darf aber nicht jedes Neuron
der Kohonen-Schicht den gleichen Buchstaben erkennen, sondern es soll sich für
jeden Buchstaben ein eigenes Neuron entwickeln.
Zur Lösung dieses Problems ist es notwendig, dass die Neuronen der Kohonen Schicht seitlich miteinander kommunizieren. Sie tun dies nach dem
Zentrum/Umfeld-Prinzip. Erhält ein Neuron einen Input, so vergleicht es diesen
zunächst mit seiner Schablone. Sind die Bildpunkte einander durchschnittlich
ähnlich, so nähert es die Schablone noch weiter an den Input an. Zusätzlich sendet
es nun ein Signal an sein Umfeld, das bewirkt, dass auch die Schablonen direkt
umliegender Neuronen an den Input angenähert werden. Auf weiter entfernte
Neuronen wirkt dieser seitliche Input jedoch gegengleich, das heißt deren
Schablonen werden dem Reiz unähnlicher.
Diese Mechanik hat zur Folge, dass entfernte Neuronen nicht den gleichen
Buchstaben repräsentieren können. So entsteht ein Reaktionsbild (Karte), in dem
ähnliche Buchstaben im Netz nahe nebeneinander repräsentiert sind.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang eigentlich „Ähnlichkeit“? Ganz einfach: Da
die Buchstaben durch ein Pixelbild mit Graustufen dargestellt sind, wird eine
Schablone der Vorgabe dann „ähnlicher“, wenn der Grauwert jedes Pixels der
Schablone ein wenig an den Grauwert der Vorgabe angenähert wird.
Aber mit welchen Schablonen startet das Netz? Es startet mit einem
Zufallspunktmuster. Die Zufallspunkt-Schablonen werden manchen Buchstaben
ähnlicher, manchen unähnlicher sein. So ist von Anfang an eine Tendenz gewisser
Neuronen der Kohonenebene zu bemerken, einen ganz bestimmten Buchstaben zu
erkennen. Die guten Schablonen verdrängen unähnliche Schablonen aus ihrer
Umgebung, so dass diese Buchstaben anderswo repräsentiert werden. Exakte
Schablonen sind nicht notwendig. Das Netz ist bereits dann ideal verschaltet, wenn
das Neuron, das von einem Buchstaben am stärksten aktiviert wird, auf keinen
anderen Buchstaben stärker anspricht. Es braucht nicht maximal aktiv zu sein.
Allerdings ist aus der folgenden Grafik, die die Ergebnisse eines Kohonen-Netzes
zeigt, durchaus zu erkennen, dass Buchstaben mit zunehmendem Training von
52
Schablonen repräsentiert werden,
ursprünglichen (aus Spitzer S.113).
die
ihnen
ähnlicher
werden,
als
die
Das Kohonen-Netz zeigt uns also, wie das Gehirn es schaffen könnte,
Repräsentationen für wiederholt wahrgenommene Sinnesreize auszubilden und in
Karten nach dem Prinzip der Ähnlichkeit anzuordnen. Kohonen-Netze sind auch
fähig neue, ähnliche Reize zu repräsentieren. Schließlich sind zwischen den
Neuronen der Kohonen-Schicht, die Buchstaben repräsentieren, noch unbesetzte
Neuronen frei. Das Netz kann sozusagen weiterlernen.
Der Nachteil dieses Netztypus liegt einerseits im enormen Aufwand an
Verbindungen und Berechnungen des „jedes mit jedem-Prinzips“, andererseits gibt
es allgemeine Einwände gegen das Prinzip des Schablonenabgleichs.
53
Schablonenabgleich eignet sich vielleicht, um Buchstaben zu differenzieren, aber
um Objekte der realen Außenwelt zu erkennen bedarf es mehr. Es genügt nicht, ein
Objekt durch eine Verbindung von Bildpunkten darzustellen. Eine Katze kann je
nach Entfernung klein oder groß im Bild sein. Sie soll auch erkannt werden wenn
ich den Kopf zur Seite neige, oder sie ihre Position im Bild verändert. Und auch
wenn der Lichteinfall sich ändert, und sie plötzlich hell vor dunklem Grund erscheint,
oder nur teilweise beschattet wird, oder wenn der Hintergrund anders ist.
54
Selbst tausende Bilder pro Objekt würden noch kein sicheres Erkennen garantieren.
Abgesehen davon ergibt sich die Frage, welcher Mechanismus all diese Bilder,
wenn sie als Schablonen gespeichert wären, einem einzigen Objekt zuordnet?
Indem man Kohonen-Netze mehrschichtig organisiert, kann man zwar erst
Merkmale ausfiltern, und in einer gröberen Schicht diese zueinanderfügen. Damit
reagiert das System weniger sensibel auf die Position eines Objektes, aber eine
Drehung oder Größenänderung ist damit noch nicht zu verarbeiten. Und wie wir
oben gesehen haben, ist ja die Position nur eines von vielen schwer zu lösenden
Problemen bei der Objekterkennung. Auch ist damit nicht zu erklären, warum
manche Zellen im Gehirn, ihrem Reaktionsverhalten nach, eher eine
Vektorverarbeitung visueller Information nahelegen (Spitzer S. 82).
2.2.4 Auf Synchronisation beruhende Netze
Es ist bekannt, dass unser Gehirn Erfahrungen nach den Regeln bayesianischer
Statistik gewinnt, denn diese Regeln entsprechen ziemlich genau den, in der
Psychologie erforschten Konditionierungs- und Lernregeln (Mischo, C. 2002). Wir
haben eine angeborene Fähigkeit, die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, mit der ein
schon öfter erlebter Zusammenhang wieder eintreten wird (Spektrum-Ticker
2002.01.24, Spektrum-Ticker 2002.03.25, WSA 2002.11.29). Ein erster Ansatz, zu
klären wie das Gehirn solche Zusammenhänge herstellt, und dabei dem
beschriebenen
Kapazitätskollaps
entgeht,
besteht
in
der
Entdeckung
synchronisierter Signale.
Warum Synchronizität hilft Kapazität zu sparen, will ich anhand des rosenblattschen
Bindungsproblems erklären (Gruber 2000, S.94). Stellen wir uns vor, unser Gehirn
verfügt über Einheiten, die Merkmale auswerten, wie zum Beispiel den Ort oder die
Form eines Objektes. Nehmen wir an, ein Objekt ist dreieckig und in der unteren
Bildhälfte. Dann wird die Einheit, welche den Ort verarbeitet „unten“ melden, und
die Einheit welche die Form verarbeitet, wird „Dreieck“ melden.
o
u
Was passiert nun, wenn wir oben zusätzlich ein Viereck haben? Dann wird die
Einheit, die „oben“ meldet ebenfalls aktiv, und auch die Einheit für „Vie reck“.
55
o
o u
Neuron ist aktiv
u
Neuron ist passiv
Aber aus der Gesamtinformation ist nicht mehr zu erkennen, ob das Dreieck oder
Viereck oben liegt! Das ist das „Rosenblattsche Bindungsproblem“. Das neuron ale
Netz müsste jede Objektkonstellation eigens speichern um sie wiederzuerkennen,
und könnte nicht auf bekannte Teile zurückgreifen. Wir würden dann hier kein
Dreieck zusammen mit einem Viereck erkennen, sondern etwas komplett Neues,
ein „Dreiviereck“. Dieses neue Ding hätte aber für uns dann nichts mit Dreiecken
und Vierecken zu tun. Und dafür würden endlose Kapazitäten verbraucht, denn eine
kleine Verschiebung der Objekte würde wieder etwas komplett Neues erg eben usw.
Die synchrone Verarbeitung der Eigenschaften des Vierecks, Phasenverschoben
zur ebenso synchronen Verarbeitung der Eigenschaften des Dreiecks, kann hier
eine Lösung bringen.
Aktionspotentiale
o
o
u
u
t
Die Lösung des Rosenblatt´schen Bindungsproblems durch die Einführung einer Zeitstru ktur.
Genauso brauchbar wäre es, die Dinge nacheinander zu verarbeiten, anstatt ihre
Informationen Phasenverschoben ineinanderzumischen. Messungen im visuellen
Systems des Gehirns zeigen aber synchrone Frequenzmuster. (Singer 2002,
Spektrum-Ticker 2000.06.13, Held 2002, WSA 2001.08.08). Die Serialität unseres
bewussten Denkens spricht andererseits für ein Nacheinander, da wir zwar oft
schnell switchen, aber genaugenommen nie mehr als einen Denkinhalt zugleich
denken.
Wir sollten uns aber von der relativ neuen Entdeckung synchron feuernder
Neuronen nicht zu viel erwarten. Aus dieser Idee ist noch keine Antwort auf sehr
wesentliche Aspekte begrifflichen Lernens ableitbar:
1. So ist durch Synchronizität noch lange nicht erklärt, wieso der Erkenntni sprozess vom
Generellen zum Differenzierten verläuft, und nicht umgekehrt. Die Entwicklung des
Sehens beginnt damit, die Welt grob in Bereiche zu gliedern, und erst später feiner zu
differenzieren. So bezeichnet ein Kleinkind, das bisher nur einen Hund kennt, jedes Tier
als Wauwau und lernt erst später feiner zu unterscheiden.
2. Das Synchronisationsmodell erklärt nicht ausreichend, wie wir von einer verteilten
Repräsentation der Sinneszellen zu begrifflichem Denken kommen. Es zeigt nicht, wie
aus einer Konstellation getrennter Objekte ein zusammenhängendes Ereignis im Kopf
56
wird. Wie können Dinge assoziativ verbunden werden, wenn sie im Gehi rn verteilt, also
in Stücke zerlegt repräsentiert sind? Müssen dann hunderte Verbindungen hergestellt
werden, wenn ein Kind lernt, dass das Ei zum Huhn gehört?
3. Nicht einmal die ersten Stufen der visuellen Verarbeitung sind mit der Idee synchron
pulsierender Zellen wirklich erklärbar. So bleibt zum Beispiel immernoch die Frage
offen, wieso das visuelle System von einer parallelen Verarbeitung zu einer s eriellen
wechselt (Julesz 1987, S.48). Zur Erläuterung dessen, was parallel, also
flächendeckend, und was seriell, also fokusierend-nacheinander bedeutet, hier ein
grafisches Beispiel:
Fig. 1: In diesem Beispiel gelingt die Texturunterscheidung gut. Das bedeutet, die
parallele Verarbeitung erkennt einen Unterschied. Die serielle Formerkennung sag t uns
hingegen, es handelt sich um die gleiche Form.
Fig. 2 Hier erkennen wir in der parallelen Texturverarbeitung keine deutlich
hervortretende Fläche, aber die serielle Formverarbeitung lässt uns zwei
unterschiedliche Winkel erkennen.
4. Woher kommen die Frequenzmuster? Die folgende Grafik (aus Guber 2000) zeigt
schematisch, wie man sich die synchronisierten Signale vorstellen kann.
57
Assemble 1
U
Assemble 2
t
a)
b)
Die Zellen der beiden Figuren, hier als Assemble 1 und 2 bezeichnet, senden
verschiedene Signalmuster. Innerhalb einer Figur sind diese synchron. Es ergibt sich die
Frage: Woher kommen diese Signalmuster? Sind sie beliebig, also zufä llig? Und wie
erkennt das System, dass es 2 Figuren sind, wenn diese Kontakt h aben?
2.2.5 Redundanzketten-Fließnetze: Die Vorteile dieses neuen Netztypus
Ich will den neuen Typus in Weiterführung der Idee synchronisierter Impulse
erklären: Die Idee der synchronisierten Neuronen, die man im Gehirn entdeckte
(Singer 2002, Spektrum-Ticker 2000.06.13, Held 2002, WSA 2001.08.08), besteht
ja darin, dass gleichgereizte Zellen Kontakt zueinander aufbauen und dann
synchron zu schwingen beginnen. Dazu ist seitlicher Kontakt und ein
Signalaustausch zwischen den Zellen notwendig, denn wie sonst sollten
benachbarte Zellen ihre Schwingung angleichen? Die Existenz synchroner Signale
im Gehirn ist nachgewiesen, Der Kontakt dazu dürfte horizontal verlaufen, denn die
synchronen
Neuronen
liegen
in
der
Ebene
nebeneinander.
Einen
zusammenhängenden
Bereich
gleich
gereizter
Zellen
will
ich
als
„Redundanzbereich„ bezeichnen (Redundanz=Wiederholung). Nun will ich die Idee
der synchronen Signale etwas ausbauen.
Wie schon gesagt, muss ein seitlicher horizontaler Informationsaustausch zwischen
den Zellen einer Ebene stattfinden, sonst könnten sie nicht synchron Feuern. Die
einfachste Vorstellung besteht nun meiner Meinung nach darin, dass die Zellen ein
Signal einander weitergeben. Da man bei neuen Modellen immer von der
einfachsten Annahme ausgehen soll, stelle ich mir also vor, dass über die
Redundanzbereiche ein Fließsignal wandert, das die synchronen Signalrhythmen
erklärt. Das Fließsignal muss natürlich irgendwo starten. Die einfachste Annahme
hierzu ist die, dass es an den Enden des Redundanzbereiches
(Voraussagebereiches) startet. Die Zeitlinien dieses Fließsignals sehen im Fall von
Flächen gleichgereizter Neuronen, wie dies bei der Verarbeitung von Bildern
vorkommen kann, dann so aus:
58
Die synchronen Signalmuster könnten daraus hervorgehen, dass das Signal Zeit
zum Durchfließen des Redundanzbereiches braucht, und so eine Signalabfolge,
also ein Zeitmuster entsteht. Auch eine Linie kann ein solcher Redundanzbereich
bzw. eine Redundanzkette sein. So könnten die oben punktiert dargestellten
Achsenskelette letztlich auch in sich zusammenfließen, auf jeweils einen Punkt. Die
zeitliche Abfolge an Signalmengen, die an diesem Punkt ankommen, repräsentiert
dann die Form des Objektes. Die Forminformation des Objektes ist damit
zeitcodiert.
Das wesentliche an der Idee zusammenfließender Signale gegenüber der Idee
synchron pulsierender getrennter Signale besteht nun darin, dass der
Zusammenfluss aller Signale eines Objektes zu einer Mitte hin, verständlich macht,
warum der Mensch Objekte als Einheit erlebt. Die Idee einer verteilten
Repräsentation durch synchron pulsierende Neuronen bietet dafür keine Erklärung.
Von der Retina weiß man, dass sie bei ihrer Verschaltung solch seitliche
Fließbewegungen, zeigt, die man als Aktivitätswellen bezeichnet (Shatz 1993,
S.23). Man besitzt noch keine geeignete Methode, um flächendeckende
Fließbewegungen in der Großhirnrinde zu überprüfen, wenngleich ein neuer
Fluoreszenzfarbstoff bald dorthin führen könnte (Ehret 1997). Deshalb fehlen dazu
Ergebnisse. Aber die Retina gilt als Teil des Gehirns, und dies legt nahe, dass die
Großhirnrinde auch zu solchen Fließbewegungen fähig ist.
Die wichtigsten Vorteile des in dieser Arbeit dargestellten Modells werden
sein:
1. Kein Lehrmeister: Um Redundanz (Wiederholung) festzustellen braucht es lediglich
Statistik. Statistisches Lernen bedarf keines Lehrmeisters. Der Begriff „Redundanz“
bezieht sich im obigen Beispiel auf die gleichartige Reizung aller Neuronen der Fläche
des Objektes. Redundanz gibt es aber auch in zeitlichen Rhythmen, die also mit
ähnlichen Mechanismen verarbeitet werden können.
59
2. Eine Regel für die gesamte Großhirnrinde: Es mag so scheinen, als wäre der
Redundanzketten-Signalfluss eine aus der Luft gegriffene Sache. Genaugenommen
gehen aber alle Kognitionsforscher immer schon davon aus, dass Zukunftsvorste llung
in Neuronennetzen durch den Fluss von Signalen auf bereits wiederholt aktivierten
Verbindungen entstehen, also auf vergangenen Erfahrungen. Es ist sogar
nachgewiesen, dass Vorstellungen in den selben Arealen zustandekommen, wo die
Informationen gespeichert wurden (Spektrum-Ticker 2001.07.10, WSA 2000.11.16)
Voraussage basiert auf wiederholter Erfahrung. Wiederholte gemeinsame Aktivierung
von Neuronen ist Redundanz! Es wird also immer schon von Signalfüssen entlang von
Redundanzbereichen
ausgegangen!
Ich
nenne
diese
Vorstellung
den
„Erwartungssignalfluss“, oder auch „Voraussagesignalfluss“, denn Voraussage ist das
Ziel dieser Signalflüsse. Voraussage ist notwendig für zielgerichtetes Verhalten. Die
einfachste Form der Redundanz ist eine Fläche mit gleich stark aktivierten Neuronen.
Sie feuern über einen gewissen Zeitraum hinweg wiederholt gemeinsam. Bereits hier
kann eine Voraussage getroffen werden. Aus der Aktivität eines Neurons kann die der
Nachbarneuronen vorausgesagt werden. Also muss durch den Bereich dann ebenfalls
ein Redundanzketten-Signalfluss ergehen, denn die statistischen Regeln der Erkenntnis
müssen für alle zeitlichen Maßstäbe gelten. Genau das passiert im Beispiel das oben
grafisch dargestellt ist! Dass dabei Formen zeitcodiert werden ist eine
Nebenerscheinung.
3. Plastizität: Welcher Bereich der Großhirnrinde welche Informationsart übernimmt, hängt
lediglich vom Ort des Signalinputs ab, der von den Sinnen kommt. Die Genetische
Grundstuktur der gesamten Fläche der Großhirnrinde scheint im Ursprung gle ich zu
sein. Allerdings beginnt das Lernen, und damit die Spezialisierung bestimmter
Bereiche, schon im Embryo. Doch kann in dieser Zeit noch völlig umgelernt werden.
Das ist durch Hydrocephaluspatienten (Wasserkopf) belegt, die den nicht zerdrückten
Rest des Gehirns mitunter völlig anders organisieren. Neuerdings zeigen auch Studien,
wie eine Sehnervtransplantation an Hamstern, die daraufhin ihr Sehsystem dort
entwickelten, wo normal das Hörsystem sitzt (Frost 2000) wie flexibel das Gehirn ist.
Weiters ist die Plastizität des Gehirns durch Studien an Gehörlosen (Spektrum -Ticker
1999.01.14), oder an Menschen belegt, die Jahre nach einem Unfall, neue Arme
transplantiert bekamen (WSA 2001.07) oder die Besetzung der freigewordenen Areale
nach Transplantationen durch andere Aufgaben (Held 1987). Das RedundanzkettenFließmodell, das ich in dieser Arbeit vorstellen will, wird sowohl mit zeitlichen, als auch
mit räumlichen Korrelationen arbeiten, und ist damit das einzige, das für alle
Informationsarten geeignet ist, und in dieser Hinsicht der Großhirnrinde entspricht. Das
heißt, es wird uns zur Erklärung des Hörens genauso dienen, wie dazu, zu erklären, wie
wir es schaffen uns eine Zukunft vorzustellen. Zukunftsvorstellungen sind nichts weiter
als Signalflüsse, in, durch wiederholte Erfahrungen gebildeten Verbindungen.
4. Berücksichtigung von Signalfließzeiten: Ich werde zeigen, dass es Sinn macht, die
Zeiten als Informationsquelle zu nützen, die Signale zum Durchfließen von
Redundanzbereichen brauchen. Es ist wichtig, diese Zeiten zu berücksichtigen, da sie
die Reihenfolge der Verarbeitung von Signalen bestimmen. Diese Reihenfolge braucht
aber nicht kontrolliert zu werden, sondern sie ergibt sich automatisch, und kann sogar
genützt werden, um daran Objekte wiederzuerkennen. Dass es für das Gehirn einen
Unterschied macht, welches Signal wo zuerst ankommt, zeigt sich ja am Beispiel des
Stereo-Hörens. Ein Schall-Signal, das sich links von uns befindet, erreicht das rechte
Ohr später, und das Gehirn kann dies erkennen (Möck el u.a.1995).
60
5. Erklärung der im Gehirn entdeckten Zeitmuster: Durch die beim Durchfluss von
Redundanzbereichen entstehenden zeitlichen Verschiebungen der Signale, erg eben
sich im Modell zeitliche Muster. Damit verfügen wir über eine Idee, woher die in den
Experimenten zur Synchronisation gemessenen Zeitmuster kommen könnten, wenn wir
nicht annehmen wollen, dass sie zufällig sind.
6. Erklärung des Übergangs von parallelem Sehen zu seriellem begrifflichem Denken:
Das Gehirn beherrscht Zeitverarbeitung. Warum sollte es also Formen nicht direkt an
gleichen Zeitmustern erkennen? Die Zeitmuster müssen seriell, also nacheinander,
betrachtet werden, um nicht durcheinander zu kommen. Das erklärt den Übe rgang von
der parallelen Verarbeitung (noch nicht zeitlich) im visuellen System zur seriellen im
begrifflichen Sehen. Bewusst können wir die erkannten Objekte nur nachei nander
denken, also seriell. Texturen hingegen sehen wir flächendeckend. Bildet ein Element
einen Texturbruch, entdecken wir es sofort (Goldstein 1997, S.186, 188).
Die drei V inmitten von O’s sind ein Texturbruch. Wir entdecken sie sofort (parall ele
Verarbeitung). Die drei R inmitten von Q’s und P’s enthalten Elemente, die in den
anderen beiden Buchstaben auch vorkommen, und sind daher kein Textu rbruch. Wir
müssen sie mit unserem Blick suchen, also seriell alle Buchstaben betrachten. Kein
neuronales Netz konnte bisher diesen Übergang zum bewußten seriellen Denken
erklären. Damit visuelle (flächige) Information seriell gedacht werden kann, muss sie
zeitlich codiert, also zeitlich nacheinander gesendet werden. Sie wird dadurch der
auditiven Information ähnlich. Für Synästhetiker verschwimmt die Grenze zwischen den
Informationsarten. Tatsächlich wurde nachgewiesen, dass Synästhesie ein Phänomen
ist, das an der Schwelle zum Bewusstsein (also bei der Zeitcodierung) seinen U rsprung
hat (WSA 2001.03.29).
7. Eine massive Ersparnis an Verbindungen ergibt sich dadurch, dass die Zeitmuster
Orientierungsunabhängig gelten. Wenn wir die Information über die Form eines
Objektes erst einmal zeitcodiert haben, so ist egal wo sie sich befindet, sie bleibt in sich
identisch. Das bedeutet, es ist dann egal welchen Platz das Objekt im Bild einnimm t,
die Information bleibt gleich, und Wiedererkennen kann damit stattfinden. Das
Wiedererkennen von schief, oder am Kopf stehenden Objekten verbraucht in diesem
Modell also keine neue Verbindungen, weil auch ein schiefes Objekt das gleiche
Fließzeitmuster erzeugt. So lässt sich außerdem erklären warum ein leicht verdrehter
Winkel im seriellen (zeitcodierten) Denken immernoch als identisch erkannt, im
parallelen Sehen eine Struktur aus solchen Winkeln jedoch als etwas Anderes
betrachtet wird (siehe Grafikbeispiel oben). Aber dazu im zweiten Teil des Te xtes mehr.
61
8. Vom Abstrakten zum Konkteten, nicht umgekehrt! Ein Kind braucht nicht, wie ein
Mehrschichtennetz, tausend verschieden positionierte Hunde gesehen zu haben, um
auch einen am Kopf stehenden Hund zu erkennen. Die Zeitcodes an denen (im Modell)
Objekte erkannt werden, lassen sich auf eine Weise vereinfachen, an der ich darstellen
werde, wie Kinder Abstraktionsleistungen vollbringen, die es erlauben Dinge generell zu
erfassen und später erst, wenn notwendig, differenzierter.
9. Optimale Datenkomprimierung: Es wird oft so getan, als hätte das Gehirn ohnehin
unerschöpfliche Ressourcen. Studien belegen eher das Gegenteil (Spektrum -Ticker
1999.10.19). Es gilt heute als sicher, dass das Gehirn Wissen in Form von
Verbindungen speichert (Spektrum-Ticker 1999.11.29). Diese Speicherungsart ist
aufwendig. Wer sich die Zahl von möglichen Kombinationen von Bildpunkten
ausrechnet, kommt zu dem Ergebnis, dass Datenkomprimierung unbedingt notwendig
ist. Das trifft natürlich nicht nur auf das visuelle System zu. Datenkomprimierung
bedeutet, bekannte Bausteine zu verwenden, um Neues zu beschreiben. Genau das tut
ein Kind, wenn es in seiner Zeichnung erstmals ein Männchen aus einem Rechteck,
einem Kreis, und vier Strichen zusammensetzt. Genau das tun wir auch, wenn wir
Objekte erkennen. Wir erkennen „wieder“ einen Baum, obwohl wir diesen Baum noch
nie gesehen haben. Das Redundanzketten-Fließnetz basiert auf Signalübertragung
zwischen gleichen Bausteinen, und wird uns daher von vorn herein zu optimaler
Datenkomprimierung führen, weil es immer vorhandene Bausteine verwendet, um
etwas zu erfassen.
10. Die Entzerrung perspektivisch verkürzter Längen kann einfach geleistet werden,
indem stereooptisch die Tiefenflucht von Strecken erfasst wird. Die Tiefe nflucht ist hoch
wenn die Strecke in den Raum läuft. Dann ist auch ihre Erscheinung verkürzt. Die
Länge, in der eine Stecke erscheint, wird in dem Modell durch die Zeit codiert werden,
die ein Signal für deren Durchfluss benötigt. Werden diese Zeitdaten nun manip uliert,
also mit zunehmender Tiefenflucht immer mehr verlängert, so ist Entzerrung erreicht.
Die Zeit-Daten bleiben auch bei perspektivischer Schrägansicht gleich, und das Objekt
kann wiedererkannt werden. Da wir keine Ansichten abspeichern, sondern diese
“entzerrten“ Datensätze, ist es auch so schwer perspektivisch richtig zeichnen zu
lernen. Würden wir Dinge durch das Schablonen-Abgleich-Verfahren erkennen, so
müsste für jede jede perspektivische Ansicht eine neue Schablone erstellt werden. Das
kann nicht funktionieren.
11. Erklärung der Verbindungsfindung im Gehirn. Da Reize im Leben nicht vorweg in
Ursache und Wirkung zu trennen sind, und des einen Ursache oft die Wirkung des
andern ist, muss es prinzipiell möglich sein, Neuronen in beliebigen Richtungen
miteinander zu verbinden. Es muss also eine Verbindungsfindung in allen Richtungen
zwischen beliebigen Neuronen möglich sein. Das Signalflussprinzip wird sich genau für
diesen Zweck nützen lassen. Ich will hier eine kurze Überlegung vorwe gnehmen, um
später noch einmal genauer darauf zu sprechen kommen.
62
Stellen wir uns ein Netzwerk vor, wie es in der Grafik dargestellt ist. Reiz A und B
sind irgendwo repräsentiert. Die Gesetze nach denen die Verbindung zwischen A
und B gewichtet wird, sind die Konditionierungsregeln, bzw. bayesianische Statistik:
Was häufig in zeitlicher und räumlicher Nähe zueinander auftritt, wird stärker
verbunden. Wir haben bei der Besprechung der Bayes-Netze festgestellt, dass
unmöglich alle benötigten Verbindungen von vorn herein veranlagt sein können,
weil die Kombinationsmöglichkeiten zu zahlreich sind. A kann also von vorn herein
keine direkte Verbindung zu B besitzen. Die wesentliche Frage ist also nun:
„Wie finden die Reize eine Verbindung zueinander?“
Die Antwort ist: Sie machen es wie der Blitz. Auch er findet den kürzesten Weg zum
Boden, ohne Augen zu besitzen. Damit er das kann, muss aber der ganze Raum
vorstrukturiert werden. Es müssen sich alle Luftmoleküle ausrichten. Ich nehme
also an, von den aktiven Punkten geht ein Signalfluss aus, der das Netz
vorstrukturiert, also durchkämmt. Entlang der Kämmlinien verläuft schließlich die
Verbindung. Ein solcher Durchkämmungsprozess würde aber vor allem am Anfang
der Lernphase zu großer Hirnaktivität führen, was durchaus so ist (Spektrum -Ticker
2001.11.30).
63
Die Geschwindigkeit des Signalflusses sorgt dafür, dass nahe Punkte schneller eine
Verbindung finden, als entferntere. Nahes eher zu verbinden entspricht den
Konditionierungsregeln. In der folgenden Grafik sind die Zeitlinien der
Signalfließbewegung dargestellt.
Das beste an der Idee aber ist, dass es sich immer noch um den gleichen
Redundanzketten-Signalfluss handelt, der im visuellen System zu den
Achsensekeletten geführt hat, wie sie in einer Grafik weiter oben gezeigt wurden.
Wir müssen uns die Punkte nur als Löcher in einer Objektfläche vorstellen.
64
3 EIN GEHIRNMODELL AUF BASIS DES
REDUNDANZKETTEN-SIGNALFLUSSES
Im folgenden will ich die Möglichkeiten, die sich mit der Idee des
Redundanzkettensignalflusses eröffnen, genauer durchdenken. Es wird sich zeigen,
dass mit dieser Idee die Entwicklung eines selbstständig erkenntnisgewinnenden
Kunsthirns für künstliche Wesen machbar wird. Die Botschaft dieser Arbeit lautet:
Das fehlende Glied in der Entwicklung künstlichen Erkenntnisgewinns ist mit der
Berücksichtigung der Signalfließzeit gefunden. Nun bedarf es nur noch
ausreichender finanzieller Mittel, um ein, sich selbst strukturierendes, künstliches
Gehirn zu bauen, d.h. eine dementsprechende elektronische Hardware zu
entwickeln.
Warum gab es diese Idee einer Berücksichtigung der Signalfließzeit nicht schon
früher? Es ist wohl so, dass man in der Naturwissenschaft praktische Studien den
theoretischen vorzieht. Da es kein Beobachtungsinstrument gibt, das den
Signalfluss innerhalb einer Fläche verbundener Neuronen unabhängig von anderen
Signalflüssen beobachten könnte, kann eine praktische Studie Signalfließzeiten in
ihren Modellen auch nicht berücksichtigen, und somit tut man so als gäbe es sie
nicht. Immerhin werden Fortschritte der Beobachtungsmethoden bald zu einer
anderen Haltung führen (Spektrum-Ticker 2001.07.13, Ehret 1997). Theoretische
Vorreiter, wie ich einer bin, werden nötig sein. Zeigt doch der Siegeszug der Physik,
dass erst der theoretische Bereich die Ideen und Motive für zielstrebigere
praktische Experimente hervorbringt.
Ich gehe davon aus, dass ein erkenntnisgewinnendes System, ähnlich dem G ehirn,
machbar ist. Ein solches System, das durch die Umweltreize programmiert wird,
muss in einem mobilen Wesen integriert sein, das seine Aufmerksamkeit dorthin
lenken kann, wo Erfahrungen zu holen sind.
Um ein solches künstliches Gehirn zu schaffen, genügt es nicht die Natur zu
beobachten, man muss sie verstehen. Denn das Menschenhirn ist nicht
notwendigerweise ein ideales System. Man wird eventuell auf einem viel
geradlinigeren Weg zum Ziel finden können. Die Evolution musste immer am
Vorhandenen weiterbauen. So bekam der Delphin nie mehr Lungen, und wir
aufrechten Wesen bekamen unser Rückgrad nie mehr ins Körperzentrum zurück,
wie der Fisch, auch wenn wir dann weniger Wirbelsäulenprobleme hätten. Auch das
Hirschgeweih ist eine Fehlentwicklung für ein im Wald lebendes Tier. Biologen
könnten noch unzählige andere Beispiele für Irrwege der Natur nennen (Riedl 1989,
S.18, S.242).
Da das Verhalten von Lebewesen vorerst stark genetisch festgelegt war, hat sich
der selbstlernende Teil des Gehirns, die Großhirnrinde, über den genetisch
festgelegten gestülpt. Ein ideales selbstlernendes System kommt ohne diese
Relikte aus. Es ist meiner Ansicht nach möglich ein erkenntnisgewinnendes
65
Volumen zu schaffen, auf das Projektionsfelder für Sinne und Motorik beliebig
angeordnet werden können. Deshalb gehe ich auch kaum auf die Anatomie des
Gehirns ein, sondern beschäftige mich mit der Struktur, die das Gewebe haben
muss bevor Lernen einsetzt, und mit den Regeln, die es in sich birgt, und nach
denen es durch Lernprozesse umstrukturiert wird. Es hat sich gezeigt, dass jedes
selbstlernende Gehirn, ob künstlich oder natürlich, Regeln für sieben
Problemstellungen in sich bergen muss. Bevor ich zu diesen komme, soll aber noch
die Aufgabe des Gehirns allgemein definiert werden.
Was ist die allgemeine Aufgabe des Gehirns?
Das Gehirn ist das Organ, das uns sagt, was wir tun sollen, und unsere
ausführenden Organe (Muskeln und Drüsen) dann dementsprechend aktiviert . Um
herauszufinden, was wir tun sollen, bedarf es einer Prognose der Zukunft. Die
Zukunftsprognosen kann man sich wie einen Baum vorstellen. Wir befinden uns am
Stamm, und streben aufwärts. Es ist noch offen welchen Ast, und dann welchen
Zweig die Ereignisse wählen werden, und doch stehen nicht unendlich viele
Möglichkeiten zur Verfügung. Zumindest die nahe Zukunft lässt sich meist auf eine
kleine Zahl möglicher Wege (Äste) begrenzen. Je ferner, desto dünner und
ungewisser wird unsere Voraussicht (Zweige).
Oft führen Ereignisse auch wieder zurück zu bereits bekannten Situationen. Zum
Beispiel die Situation, dass ein Schüler gerne Englisch lernt, führt dazu, dass er
seine Vokabel kann, führt dazu, dass er Erfolg in diesem Fach hat, führt dazu, dass
er motiviert ist und gerne Englisch lernt. Damit sind wir wieder am Anfang. Das
bedeutet unser Baum der Voraussicht gleicht einer Trauerweide. Die Äste führen oft
zurück zum Stamm.
Der Stamm in unserem Bild stellt immer die Gegenwart dar, während die Äste die
Vorstellung von Zukunft darstellen. Nun gehen wir in der Zeit ein Stück we iter. Eine
Voraussage wird Wirklichkeit, sie wird zum Stamm. Der einstige Stamm
verschwindet in der Vergangenheit. Stellen wir uns nun unseren Baum als akt iven
Bereich in einem großen Netz von Verbindungen vor. Der Stamm kennzeichnet den,
durch Wahrnehmung gegenwärtig aktivierten Bereich. Die Äste und Zweige sind
der, durch Vorstellung voraktivierte Bereich. Tatsächlich ist im Gehirn eine
Voraktivierung wenn wir uns etwas vorstellen nachweisbar, und zwar jeweils im
selben Areal, das aktiv wird, wenn wir die vorgestellte Sache real wahrnehmen.
Wenn z.B. die Verbindung von der visuellen Wahrnehmung zu dem Areal in dem sie
die Gestaltbegriffe speichert, unterbrochen ist, dann können wir die Dinge nicht
mehr erkennen, aber es wird von einem Patienten berichtet, bei dem die
Verbindungen zur Motorik heil blieben, und der die Dinge durchaus noch zeichnen
konnte (Kolb 1996, S.220). Auch die, mit Bewegungsvorstellungen einhergehenden
Aktivierungen in der motorischen Hirnrinde bis hin zu leichten Muskelaktivierungen,
sind messbar. (Kolb 1996, S.403). Ja es ist sogar so, dass wir länger für die
Vorstellung einer längeren Handlung brauchen. So braucht es länger sich
66
vorzustellen man schreibe seinen Namen in großen Lettern an eine Tafel, als man
schreibe ihn klein in ein Heft. (Kolb S. 403).
Was ist ein Ereignis oder ein Objekt im Gehirn?
Jeder Knotenpunkt (Astgabel) unseres „Zukunftsbaums“ steht für etwas
Wahrnehmbares in der realen Welt (Ereignis oder Objektklasse). Aber müssen wir
dann nicht jeden Knotenpunkt beschriften, damit wir wissen für welches Objekt er
steht? Die Antwort ist „nein!“. Was sollte eine solche Beschriftung bringen. Für ein
Datenverarbeitendes System ist sie nur eine Buchstabenfolge. Diese taugt
bestenfalls dazu, die Knoten auseinanderzuhalten. Das ist aber nicht notwendig,
denn sie sind einfach durch ihren Ort im Netzwerk auseinandergehalten.
Wie aber kann dann ein solcher Knoten eine Bedeutung haben? Die Antwort ist,
dass nicht der Knoten selbst Bedeutung hat, sondern das Netz an Verbindungen,
das ihn umgibt. Er hat über andere Knoten hinweg letztlich Kontakt bis hin zu
bestimmten Input und Output-Bereichen des Gehirns. Das bedeutet, über ihn
werden nicht nur Vorstellungen von weiteren Ereignissen wachgerufen, sondern vor
allem auch Vorstellungen von Sinneseindrücken (Input), von Handlungen und
Bewegungen (Output), und von Empfindungen. Wobei wir der Einfachheit halber
annehmen wollen, dass Empfindungen nichts weiter sind als die Vorstellung von
Abweichungen oder Annäherungen der Körpermesswerte an Körpersollwerte
(Regelkreisprinzip).
Die Bedeutung liegt also nicht im Knoten selbst. Aber er ist doch immerhin der
Platz, an dem all die Verbindungen zusammenlaufen, die einen Begriff ausmachen.
Dass es solche Plätze gibt, und dass ständig welche erlernt werden, an denen neue
Verbindungen zusammenlaufen, ist neurophysiologisch erwiesen (siehe oben).
Zusammenfassung der Grundidee neuronaler Netze
Neuronale Netze sind im Anfangszustand aus lauter gleichen, miteinander
verbundenen Bausteinen zusammengesetzt (leeres Gehirn). Das Verhalten jedes
solchen Bausteines beruht auf den Erkenntnis- bzw. Lernregeln. Input erhält das
System durch die Rezeptoren der Sinnesorgane und über die körperlichen
Sollwertabweichungen. Die motorischen Aktivitäten werden über Gelenkssensoren
ebenfalls sensorisch erfasst und es werden Verbindungen hergestellt, zwischen
vorausgehenden Aktivitäten und eintretenden Folgen. Über solche Verbindungen
kann schließlich erlernt werden, Ereignisse vorauszuahnen (Zukunftsbaum) und
Handlungen so zu kontrollieren, dass Körpersollwerte wiedererreicht werden, wenn
eine Abweichung eingetreten ist, oder befürchtet werden muss. Die
Berücksichtigung der Signalfließzeiten spielt in dem hier dargestellten Modell eine
wesentliche Rolle, weil gezeigt werden kann, dass sich durch diese Zeiten in einem
Neuronennetz räumliche Information automatisch zeitlich codieren kann. Diese
neue Idee bringt dem neuronalen Netz einen enormen Kapazitätsgewinn, macht
Wiedererkennen von Objekten in natürlichen Bedingungen überhaupt erst
67
vorstellbar, und erklärt die Serialität bewussten Denkens. Deshalb der Name:
"Fließnetz".
Die sieben Problemstellungen eines Gehirns
1. Regel zur Bindungsstärke: Ein Gehirnmodell muss angeben, unter welchen
Bedingungen neuronale Verbindungen verstärkt, bzw. geschwächt werden, und wann sie
ganz verfallen.
2. Regel zur Verbindungsfindung: Die bisherigen künstlichen Netze nehmen Verbindungen
einfach als gegeben. Kombinatorische Überlegungen haben uns gezeigt, dass nicht alle
Verbindungen, die später einmal gebraucht werden, von vorn herein da sein können. Es
wären undurchführbar viele. Also brauchen wir ein Modell der Verbindungsfindung!
3. Regel zur vernetzten Organisation des Wissens: Wissen wird im Gehirn nicht in einer
langen Wurst abgespeichert, wie auf einer Festplatte, sondern es ist vernetzt. Wenn wir
uns etwas Neues merken, so setzen wir es so weit wie möglich aus bereits bekannten
Bausteinen zusammen. Auch das visuelle System ist in hierarchischen Ebenen
organisiert. Durch welche Regeln organisiert sich ein Gehirn dera rtig?
4. Regel zum Zusammenfluss der Signale: Was geschieht, wenn mehrere Signale eine
Zelle beliefern? Werden sie vermengt, nacheinander behandelt, siegt das Stär kere,
oder gibt es noch eine andere Lösung? Welche Lösung macht Sinn?
5. Regel zur zeitlichen Voraussage. Das Gehirn enthält nicht nur statisches Wissen, wie
ein Buch, sondern wir vermögen auch, uns auf Tagesabläufe einzustellen und
Bewegungen zeitlich exakt zu koordinieren.
6. Regel für Verhalten das körperlichen Bedürfnissen folgt. Alle Aktivität entspringt
letztlich
irgendwelchen
Bedürfnissen.
Können
sie
alle
durch
Körpersollwertabweichungen definiert werden, die dem System genetisch mitgegeben
sind, wie die Körpertemperatur? Wie kommt es zu sinnvollen Handlungen?
7. Regeln für geistige Bedürfnisse und kreatives Verhalten. Ohne Lerntrieb würde ein Baby
den ganzen Tag stumm gegen die Wand starren. Es kann noch kein körperl iches
Bedürfnis selbst befriedigen, also braucht es eine andere Anregung. Neben der
Aufnahme von Wissen, besitzen Lebewesen auch die Fähigkeit kreativ neues Verhalten
hervorzubringen. Auch ein künstliches System braucht diese Funktion.
Dieses Schriftstück ist nach diesen sieben Regeln gegliedert (siehe
Inhaltsverzeichnis). Zur besseren Orientierung im Text versuchen sie doch, sich
die sieben Regeln einmal ganz einfach durch folgenden kryptischen sinnlosen Satz
zu merken:
„Stärke findet Organisation durch
Zusammenfluss von Voraussagen, körperlicher und geistiger Art“
Gemessen an diesen sieben Problemstellungen zeigt sich erst wie wenig neuronale
Netze bisher erklären konnten. Meist sind sie spezialisiert auf einen bestimmten
Problembereich. Auch die neue Idee einer zeitlichen Koordination von Reizen durch
68
Synchronisationsmuster, bietet nur für einen Punkt eine Lösung, nämlich für Punkt
4. Das heißt, es lässt sich damit vielleicht erklären, welche Signale
zusammenfließen, und welche nicht. Synchronisationsmuster erklären aber noch
nichts zu den anderen 6 Problemstellungen. Oft wird dann so getan, als gäbe es die
jeweils anderen Probleme gar nicht. Ich habe nun etwa 7 Jahre an dem hier
vorgestellten Modell gearbeitet, und es hat mich in etwa gleich viel Mühe gekostet,
bis ich zu jedem dieser 7 Punkte eine klare Regel angeben konnte, die nicht in
Widerspruch zu den anderen Regeln steht. Jedes der Probleme ist gleichermaßen
bedeutsam. Bleibt ein Punkt ungelöst, so bringt das gesamte Gehirnmodell keine
Leistung mehr, die der Natur nahestünde.
3.1 Regeln zur Bindungsstärke:
3.1.1 Die Assoziative Konditionierung
Ziel dieser Arbeit ist es, zu zeigen, dass eine erkenntnisgewinnende Struktur,
(ähnlich der Großhirnrinde) konzipiert werden kann, die zur Verarbeitung jeder Art
von Information taugt. Das heißt, es gibt Erkenntnisregeln, die für die Verbindung
der Reizsignale einzelner Netzhautzellen genauso gültig sind, wie für die
Verbindung komplexer Reize, wie sie in Konditionierungsexperimenten verwendet
werden. Wenn ich die Regeln aus Konditionierungsexperimenten ableite, so hat das
den Vorteil, dass die Ergebnisse für jedermann überprüfbar sind, allerdings den
Nachteil, dass ich immer schon die Fähigkeit zu einer komplexen
Reizdifferenzierung voraussetze, denn in Konditionierungsexperimenten kommen
komplexe Reize zum Einsatz, wie Glocke oder Rotlicht. Es wird stillschweigend
davon ausgegangen, dass das Wiedererkennen solcher Reize kein Problem
darstellt. So einfach ist das aber gar nicht. Deshalb sollen die Erkenntnisregeln, die
ich erst einmal anhand der Konditionierung entwickle, nachher auf das visuelle
System angewendet werden, um damit schließlich auch zu erklären, wie sich
Einzelrezeptoren, also die Reize der Sinne, so verbinden, dass komplexe Reize
erkannt werden können, denn auch erkennen muss gelernt werden (Miller 2000).
Die einfachste Form der Konditionierung ist die assoziative. Assoziative
Konditionierung bedeutet Lernen ohne Verhalten, rein aus Beobachtung. Erlernt
werden nicht Stimulus-Response-Verbindungen (Reiz-Reaktionsverbindungen),
sondern
Stimulus-Stimulus-Verknüpfungen.
Dies
scheint
dem
Konditionierungsprinzip zu widersprechen, denn wie könnten wir Lernen
beobachten, wenn wir kein Verhalten erfassen? Tatsächlich kann durch eine
intelligente Versuchsanordnung einwandfrei auf einen Lernprozess rückgeschlossen
werden, der stattgefunden haben muss, bevor überhaupt Verhalten ins Spiel kam.
Die
folgende
Versuchsanordnung
beweist,
dass
Pawlows
klassische
Konditionierung bereits eine assoziative Konditionierung war. (Mehr dazu bei
Zimbardo 1995, S.294).
69
Frage: Wie sieht es in der Black-Box "Gehirn"
aus; Welche Art der Verbindung entsteht?
Experiment: Phase 1: Im Käfig eines Hundes
erscheint mehrmals am Tag rotes Licht und dazu die
Glocke.
Phase 2: Pawlow: Vor dem Futter kommt immer die
Glocke.
Phase 3: Kontrolle: Speichelt der Hund auf rotes Licht?
In Phase 1 könnte eine Verbindung Rotlicht-Glocke
entstanden sein. Eine direkte Verbindung zu R kann
nicht entstanden sein.
Ergebnis: Hund speichelt. Das beweist, dass Signale
in Stimuliketten fließen (= Assoziative Konditionierung,
Zimbardo 6. S. 294)
In dem im Kasten beschriebenen Versuch kann keine Verbindung zwischen Rotlicht
und speicheln entstanden sein, da in der Konditionierungsphase mit dem Rotlicht
kein Futter angeboten wurde. Es kann also nur über eine Verbindung von Rotlicht
und Glocke dazu kommen, dass der Hund in Phase 3 auf Rotlicht speichelt. Die
Stimuliverkettung Rotlicht-Glocke wurde ohne Belohnung rein durch die
Beobachtung eines statistisch häufigen Zusammentreffens erworben. Das bedeutet
es war noch kein Speicheln, also keine Reaktion im Spiel. Die obere der beiden
Grafiken ist also die richtige. Sie zeigt eine Verbindungskette, über die Signale der
Realität vorauseilen können. Damit ist bewiesen, dass Signale, über
Verbindungsketten fließen. Pawlows Konditionierung dient im realen Leben dazu,
eine Voraussicht der Welt zu erwerben. Reaktionen sind dazu nicht notwendig. Erst
in Skinners Experimenten zur operanten Konditionierung (Zimbardo 1995, S.305)
geht es, wie im Zirkus, um den Erwerb neuen Verhaltens. Pawlow hingegen ist
allein mit Statistik zu simulieren. Verhaltensmutation und Selektion finden nicht
statt. Bayesianische Netze simulieren also Pawlow.
Die assoziative Konditionierung wurde auch mittels Elektroden in Seeschnecken
herbeigeführt und am offenen Neuronennetz beobachtet (Byrne 2002, Graham
2002, Birbaumer 1997, S.585). Inzwischen gibt es zahlreiche Hinweise auf
Stimuliverkettungen im Gehirn (Tritschler 2001). Der Glaube an reines ReizReaktions-Lernen gehört der Vergangenheit an. Wenn wir uns die Welt vorstellen,
so deshalb, weil wir Abfolgen von aneinandergeketteten Stimuli erlernt haben.
3.1.2 Wir treffen Voraussagen aufgrund eines statistischen Lernmechani smus
Wenn ein Wissenschafter eine Voraussage über die Zukunft machen will, so
bedient er sich statistischer Verfahren. Wir kennen keine anderen Verfahren, um
Vorauszusagen zu entwickeln. Tatsächlich gibt es inzwischen viele
70
Untersuchungen, die zeigen, dass auch das Gehirn statistisch arbeitet. (SpektrumTicker 2002.01.24, Spektrum-Ticker 2002.03.25, WSA 2002.11.29)
Eigentlich sollte dies schon lange klar sein. Haben sie sich schon einmal gefragt,
warum dieser „Supercomputer“ Gehirn nicht in der Lage ist, sich eine größere
Menge an Information sofort zu merken? Die Antwort ist: Wir merken uns deshalb
Zusammenhänge meist erst nach einigen Wiederholungen, weil das Gehirn sich auf
diese Weise davor schützt, Dinge als zusammengehörig zu vermerken, die nur
einmal zufällig aufeinander gefolgt sind. Wenn wir uns nur merken, was wiederholt
aufeinandergefolgt ist, so werden wir mit der Zeit die Fähigkeit zur Voraussicht der
Welt ausbauen. Merken wir uns alles zu leicht, so wird aus uns ein zerstreuter
lebensuntüchtiger Professor dessen Rettung darin besteht, dass es in unserer
Kultur Bücher gibt, wo überwiegend sinnvolle Zusammenhänge verzeichnet sind.
3.1.3 Wann wird eine Verbindung mit welcher Stärke erlernt?
Die folgende Grafik zeigt wie oft zwei Ereignisse A (Kreis) und B (Dreieck) über die
Zeit hinweg alleine, und wie oft sie zusammen auftreten. Nach Bayes besteht ein
Zusammenhang dann, wenn Ereignisse öfter zusammen auftreten als alleine.
Wie stark ist der Zusammenhang in dem dargestellten Beispiel?
Dem Reiz A (Kreis) folgt durchschnittlich jedes dritte mal B (Dreieck). Jedes 1 0. mal
tritt B alleine auf. Die Wahrscheinlichkeit mit der bei vernommenem A gleich ein B
wahrzunehmen sein wird, ist also ein Drittel. Diese Wahrscheinlichkeit ist
ausschlaggebend dafür, wie stark unsere Voraussageverbindung von A zu B sein
darf, wie sehr wir also nach Auftreten von A mit B rechnen und wie stark das
Erwartungssignal ist, das im Gehirn dem Modell zufolge durch die Verbindung zu B
gelangt.
(Und wie ist das, wenn A genauso häufig alleine auftritt als dass darauf B folgt?
Nehmen wir an A trat 100 mal alleine auf, und 100 mal folgte darauf B, A trat also
71
insgesamt 200 mal auf, so ist laut Bayes Gleichstand erreicht: 100:200=0,5. Wir
dürfen mit halber Erwartung auf B hoffen, wenn wir A wahrnehmen.)
Nun haben wir aber umgekehrt in der obigen Grafik auch erfasst, dass B unter zehn
Auftritten nur neunmal zusammen mit A auftritt. Die Wahrscheinlichkeit dass
zwischen A und B ein Zusammenhang besteht, ist demnach neun Zehntel, also 0,9
und nicht 1 (Bauer 1991, S.61). Letztere Wahrscheinlichkeit ist ausschlaggebend
dafür, als wie sicher ein Zusammenhang betrachtet werden kann, bzw. ob
überhaupt von einem Zusammenhang gesprochen werden darf. Auf das Gehirn
umgelegt, ob also eine Verbindung aufrecht erhalten werden soll, oder nicht. So viel
zur statistischen Berechnung der bedingten Wahrscheinlichkeit nach Bayes.
Um seine Verbindungen zu kontrollieren, muss unser künstliches Neuron B also
über eine innere Zählmaschine verfügen, die erfasst, wie oft:
A insgesamt auftrat
A und B zusammenfielen, und
B insgesamt auftrat.
Um die Stärke der Voraussage zu erfassen, muss im Neuron der zweite Wert durch
den ersten dividiert werden. Um zu erfassen ob die Verbindung aufrecht erhalten
werden soll, der zweite durch den dritten. Man kann auch sagen der zweite Wert
muss durch den dritten geschwächt werden, denn eine Division ist immer eine
Schwächung eines Wertes. Zellen dividieren nicht. Sie schwächen und verstärken
Verbindungen.
Umgekehrt kann natürlich auch die Wahrscheinlichkeit betrachtet werden mit der A
auf B folgt. In unserem Beispiel ist A nie auf B gefolgt, die Wahrscheinlichkeit ist
also null. Da A immer ohne ein davorliegendes B, sozusagen spontan auftrat,
braucht in diese Richtung auch kein Zusammenhang angenommen werden. Das
bedeutet, in dieser Richtung braucht keine Verbindung aufgebaut werden.
3.1.4 Wie und warum neue Erfahrungen stärker gewichtet werden sollten.
Allgemein gilt für die statistische Überprüfung von Verbindungsstärken (die ja
Wahrscheinlichkeitsgrade von Zusammenhängen repräsentieren), dass die
Zählergebnisse mit zunehmender Erfahrung immer höher werden. Es stellt sich die
Frage, wie lang der Zeitraum sein soll, in dem Ergebnisse noch statistisch erfasst
werden sollen. Ist er kürzer als eine Nacht, so müssten im Extremfall, mit jedem mal
Schlafen gehen, die Verbindungen verfallen. Das kann nicht sein. Nehmen wir aber
als Berechnungszeitraum die gesamte Zeit seit die Zelle existiert an, sozusagen von
der Geburt weg, dann fragt sich, wie wir die hohe Zahl an Reizen zählen und
verarbeiten sollen. Außerdem würden sich Verbindungen, die über Jahrzehnte nur
verstärkt wurden, auch über Jahrzehnte nicht mehr löschen lassen. Nun fragt sich
aber: Wie kann dann Gehirngewebe später noch für etwas Neues genützt werden.
Wie z.B. könnte dann ein Erblindeter Gehirnbereiche nutzen, die einst dem
visuellen Bereich zugeordnet waren?
72
Die Lösung besteht darin, nicht einen bestimmten Zeitraum, sondern eine
bestimmte Anzahl an Reizen zu überwachen. Darüber hinaus ist das System
einfach voll. Ich will damit sagen, dass wir in einem begrenzten System eine
Kapazitätsgrenze festlegen müssen, ab der wir alte Erfahrungen nicht mehr in
unsere Wahrscheinlichkeitsrechnung einbeziehen. Ansonsten würden neu
hinzukommende Erfahrungen, in Relation zur Summe der bereits gemachten,
immer weniger Gewicht bekommen. Das wäre nur dann in Ordnung, wenn die Welt
um uns immer gleich bleiben würde. Wenn wir annehmen, dass die Welt sich in
einem stetigen Wandel befindet, sollten wir den neuen Erfahrungen mehr Gewicht
verleihen. Das können wir, indem wir alte Erfahrungen nach und nach über Bord
werfen. Das ist ganz einfach vorzustellen. Die Bayesianische Statistik ist durch
Relationen darstellbar. Eine gute visuelle Anschauung gibt uns dazu das
Farbenmischen.
Stellen wir uns vor, wir beobachten, dass B fünfmal auf A folgt. Diese Folge stellen
wir durch fünf Tropfen schwarze Farbe dar, die wir in einen Topf geben. Nun folgt A
einmal alleine und B bleibt aus. Das stellen wir durch einen weißen Far btropfen dar,
den wir im Topf dazurühren. Es folgen weitere Erfahrungen, und weitere Tropfen
Schwarz und Weiß werden zugerührt. Die Wahrscheinlichkeit mit der wir annehmen
dürfen, dass jedes B durch A angekündigt wird, ist durch den Graug ehalt der
Gesamtfarbe dargestellt.
Nehmen wir an, nach 100 Tropfen wird der Topf voll. Mit jedem neuen Tropfen, den
wir zufügen, schwappt ein alter Tropfen Farbe aus dem Topf. Ich nehme an, dass
unser Gehirn genau so arbeitet. Ab dem Moment wo es voll ist, berücksichtigt es
neue Information stärker. Es kann sich auf diese Weise immer relativ schnell an
neue Verhältnisse anpassen.
Die Anpassung an neue Verhältnisse führt aber dazu, dass alte Erinnerungen
umgeformt werden. Was man einst für wahrscheinlich hielt, wird durch neue
Erfahrungen plötzlich für unwahrscheinlich gehalten, und umgekehrt. Studien
belegen, dass eine solche Umformung stattfindet, denn jedes Mal, wenn das Gehirn
Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis wieder aufgerufen hat, müssen diese
73
erneut durch die Synthese frischer Proteine konsolidiert werden (Spektrum-Ticker
2000.08.17, Spektrum-Ticker 2001.07.30).
Wenn wir von einem neuronalen Netz ausgehen, dessen Neuronen Verbindungen
darstellen, und somit die für die Wahrscheinlichkeitsrechnungen nötigen Divisi onen
und Multiplikationen ausführen sollen, so ist es, als ob jede Zelle einen kleinen
Taschenrechner darstellt. Dass eine solche Annahme sinnvoll ist, zeigen Studien,
die nahelegen, dass Gehirnzellen durchaus in der Lage sind, Signale multiplik ativ
zu verstärken, oder abzuschwächen (Gabbiani u.a. 2002, Spektrum-Ticker
2001.04.19, Spektrum-Ticker 2002.01.24).
Ein Umsetzung einer solchen Idee ist digital natürlich aufwendig und kaum
durchführbar. Aber wenn wir von der digitalen Lösung abweichen, und auf analog
arbeitende Transistoren zurückgreifen, so erscheint die Sache durchaus
durchführbar, denn ein analog arbeitender Transistor, wie er im Verstärker einer
Stereoanlage vorkommt, tut nichts anderes als die einkommenden Signalstärken zu
multiplizieren (und damit die Lautstärke des Outputsignals zu erhöhen), wobei der
Multiplikationsfaktor abhängig ist von der Spannung, mit der er versorgt wird. Was
nun, wenn diese Spannung nicht konstant ist, sondern ihrerseits ebenfalls ein
Signal wechselnder Stärke? Dann erhalten wir die komplizierten Outputergebni sse,
die wir für eine Umsetzung der bayesianischen Formel in einem Netzwerk
benötigen! Und es sind nur einfache Bauteile notwendig: analoge Transi storen!
3.1.5 Wo Konditionierungslernen von Bayes abweicht
Aber was heißt überhaupt Reize treten zusammen auf? Wieviel Zeit darf zwischen
zwei Reizen vergehen bevor man sagen kann, sie sind alleine aufgetreten? Diese
Frage ist statistisch ungültig. Wichtig für die Voraussage von Reizen ist nämlich
nicht die Länge der Zeitdistanz, sondern, dass diese Länge jedesmal gleich war.
Statistisch betrachtet können wir die Reize in Fig. C der folgenden Grafik noch
genauso gut voraussagen wie in Fig. A, denn das Dreieck folgt genauso zuverlässig
immer auf den Kreis, aber eben verspätet, also nicht AB, sondern A.......B.
74
Konditionierungsexperimente zeigen aber, dass der Zusammenhang zwischen A
und B nicht mehr erkannt wird, je weiter der Zeitabstand A B die
Auftrittshäufigkeit der Reize überschreitet (siehe Fig.C). Kann diese Begrenzung in
unserer Wahrnehmung der Welt einen praktischen Grund haben? Wieso sollten
nahe Reize einander eher auslösen als ferne?
Eine Antwort kann über die Häufigkeit von Reizen gefunden werden. Ein Reiz der
mehr als doppelt so häufig auftritt wie ein anderer, kann letzteren niemals
zuverlässig ankündigen, weil nur Reize die gleich häufig vorkommen auch immer
zusammen vorkommen können.
Doppelte Häufigkeit bedeutet, dass die Signale des ersten Reizes durchschnit tlich
nur halb so viel Abstand zueinander aufweisen wie die Signale des zweiten. Da das
Gehirn immer nach möglichst guten Ankündigungsreizen (A) Ausschau hält,
brauchen nur Signale auf eine Korrelation untersucht werden, die durchschnittlich
ähnliche Häufigkeit aufweisen. Aber mit welchem der Folgereize sollte eine
Verbindung hergestellt werden? Mit dem nächsten, oder dem fünf Reize weiter?
Nehmen wir an wir sehen auf eine entfernte Stadt über die ein Gewitter niede rgeht.
Auf jeden Blitz folgt in einem gewissen Abstand ein Donner. Werden die Blitze
häufiger, so fallen zwischen jenen Blitz, der den Donner den wir hören ausgelöst
hat, noch weitere Blitze. Natürlich wäre statistisch immer noch die Korrelation
zwischen Blitz und Donner erfassbar, weil der Zeitraum zwischen ihnen noch
konstant ist, solange das Gewitter die gleiche Entfernung hat. Unser Gehirn steigt
hier wohl deshalb aus, weil es in der Natur kaum solche Beispiele gibt, wo gilt Reiz
A verursacht B, aber nicht das folgende, sondern irgendein weiteres B.
Das bedeutet, dass unser Gehirn nur den Zeitraum von A zum darauf folgenden A
auf ein B absucht, das in einem möglichen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu A
steht. Eine solch sinnvolle Leistungsbeschränkung wollen wir auch in unserem
künstlichen System verankern, zumal wir ohnehin den enormen Rechenaufwand
reduzieren müssen.
Kann ein solches System dann aber überhaupt noch lange Zeitzusammenhänge
erfassen? Ja! und zwar durch Chunkbildung! Eine Kette von Ereignissen kann eine
Einheit bilden, die wir als Chunk bezeichnen wollen. So ein Chunk könnte zum
Beispiel "Frühstücken" lauten. Und dem Frühstücken kann das Chunk "Einkaufen
gehen" folgen. Die beiden Chunks haben etwa gleiche Auftrittshäufigkeit Relativ zu
dem Zeitraum vom Auftreten zum durchschnittlichen nächsten Auftreten des
gleichen Chunks, liegt zwischen den verschiedenen Chunks ein geringer zeitlicher
Abstand. Also werden sie verbunden. So erfasst ein Baby Tagesabläufe, und hat es
erst einmal den Tagesablauf als Chunk, so kann es den Wochenablauf erfassen
usw. Im Prinzip ist jeder Begriff ein Chunk.
75
3.1.6 Über die
Distanzen
statistische
Gleichbehandlung
räumlicher
und
zeitlicher
Was wir hier für die zeitliche Distanz von Ereignissen ermittelt haben, gilt
gleichermaßen für den Raum. Das zeigt sich auch an der obigen Grafik.
Zusammenhänge, die wir zeitlich nicht mehr erkennen, sind auch in ihrer grafischen
räumlichen Darstellung nicht augenscheinlich.
Nun lässt sich gegen diesen Grundsatz einwenden, dass es durchaus
Zusammenhänge gibt, die wir zeitlich verstehen, die aber räumlich dargestellt nicht
so gut fassbar sind, z. B. erkennen wir im grafisch dargestellten Frequenzmuster
eines Musikstückes einen falschen Ton nicht mehr. Allerdings ist zu bedenken,
dass wir von Kindheit an mit Musik konfrontiert sind, und so im auditiven System
bereits über geeignete Chunks verfügen, die uns ein Verständnis ermöglichen. Im
visuellen System, mit dem wir die Frequenzmuster betrachten, haben wir noch
keine geeigneten Chunks für dieses Muster auf Lager.
3.1.7 Die Darstellung negativer Relationen durch hemmende Verbi ndungen
Hemmende Verbindungen treten im neuronalen Netz dann auf, wenn eine verkehrtproportionale Relation erfasst werden soll. Stellen wir uns vor, Pawlows Hund
bekommt weniger bis gar kein Futter, je heißer der Tag ist. Je stärker die Einheit
seines Gehirns anspricht, die die Raumtemperatur repräsentiert, desto schwächer
soll die Voraussage für Futter werden. Vom Reiz „Raumtemperatur“ geht eine
hemmende Verbindung zum Reiz „Futter“.
Positive Relationen sind leichter verständlich als negative. Sie bedürfen keiner
hemmenden Verbindungen. Läuten wir dem konditionierten Hund irgendwann die
Glocke sehr leise, wird er auf Anhieb nicht sicher sein, ob jetzt auch Futter kommt.
Das Erwartungssignal ist sozusagen dann auch leiser (positive Relat ion).
Aber stehen hemmende Verbindungen damit nicht in Widerspruch zu der
Lerntheorie? Wir sind doch davon ausgegangen, dass sich Zeitgleiches, Nahes und
Ähnliches verbindet. „Ähnlich“ bedeutet auf der elementaren Basis der Neuronen
„ähnliche Reizstärke“. Hemmende Verbindungen entstehen aber aufgrund der
zeitgleichen Unähnlichkeit zweier Reize!
Der Widerspruch hebt sich auf, wenn wir begreifen, dass hemmende Verbindungen
eigentlich „Antiverbindungen“ sind. Aber um die Hemmung zu übertragen brauchen
wir trotzdem eine Verbindung im neuronalen Netz!
Die Lösung dieses Problems können wir uns vom Gehirn abschauen. Von gut
erforschten Gehirnbereichen, wie der Sehrinde, wissen wir, dass alle Reize in Form
eines Gegenreizes noch einmal vorliegen. Zu jeder On/Off-Zelle gibt es eine
Off/On-Zelle. Zu jedem Reaktionsbild ein Negativ (Hubel 1989, S.50). Man könnte
sich das so vorstellen, dass unter einer Zelle, die auf Glocke positiv anspricht
immer die gegenteilige Zelle liegt, die auf Glocke gehemmt wird. Die Beiden bi lden
76
ein Paar. Umso stärker der Reiz, desto mehr Differenz weisen deren Zellreaktionen
auf.
Wenn wir von dem obigen Beispiel ausgehen, und uns naiv vorstellen, unser Hund
hätte eine Zelle für Futter, dann hat er auch eine für „Antifutter“. Das Signal von der
Zelle für Raumtemperatur korreliert in unserem Beispiel nun nicht mit „Futter“
sondern eben mit „Antifutter“. Es kann mit der Zelle für Antifutter nach dem G esetz
ähnlicher Reizintensität verbunden werden.
Wenn wir die bayesianische Statistik nun auf die Zellen und Antizellen anwe nden,
so ist klar, dass zwei Paare (jew. Zelle plus Antizelle) nie zugleich eine positive und
eine hemmende Verbindung zueinander aufbauen werden. (Bestenfalls
abwechselnd, wenn die Bedingungen rhythmisch wechseln), denn es wird sich nur
durchsetzen, was häufiger zutrifft, also immer nur eines von Beidem.
3.2 Regeln zur Verbindungsfindung
Das Gesetz, dass räumlich und zeitlich Nahes eher verbunden wird, bedarf keiner
eigenen Umsetzung in unserem System. Was die zeitliche Nähe betrifft, so ergibt
es sich automatisch, dass was zuerst kommt, auch zuerst verbunden wird.
Was die räumliche Nähe betrifft, so wird sich nun zeigen, dass die
Verbindungsfindung durch den Signalfluss, ganz automatisch das Nahe vor dem
Entfernteren verbindet. Es braucht also auch hier kein eigener Mechanismus im
System verankert werden.
Die Verbindungsfindung zu erklären bedeutet, einen Weg zu finden, um in einem
künstlichen System eine Verbindung herzustellen, wo vorher keine war. Da wir die
Verbindung schlecht wachsen lassen können, muss wohl vorher schon etwas da
sein. Aber die Verbindungen, die vorher da sind, brauchen noch nicht direkt die
Punkte verbinden, die später verbunden werden sollen.
Stellen wir uns also ein Netz vor, in dem jedes Neuron über 12 Verbindungen mit
seinen direkten Nachbarzellen rundum Kontakt hat (6 hin, 6 Retour). Wenn wir, wie
oben, davon ausgehen, dass ein Neuron in einem Netzwerk das Zukunftsprognosen
leistet, durchschnittlich nur mit vielleicht drei anderen Neuronen eine
Voraussageverbindung aufrecht hält (also drei mögliche Zukünfte voraussagt) , so
verfügt das Netz mit zwölf Verbindungen pro Neuron bereits über einen
Überschuss. Es kann also die Mehrzahl zu reinen Durchläufern umgestalten. Diese
Durchläufer können weiter auseinanderliegenden Zellen dazu dienen, sich zu
verbinden. Eine Verbindung verläuft also meist über andere Zellen. An diesen
durchlaufenden Verbindungen muss ein Neuron, sobald sie einmal hergestellt sind,
nichts mehr ändern oder berechnen. Das Signal läuft einfach durch.
Diese Vorstellung entspricht dem Gehirn. Auch Neuronen haben eine große Zahl an
veranlagten Verbindungen, aber nur wenige davon werden durch Lernvorgänge
besetzt (Spektrum-Ticker 1999.11.29, Spektrum-Ticker 1999.11.29).
77
Neue Verbindungen in einem künstlichen Gehirn könnten also dadurch entst ehen,
dass sie einfach über andere Zellen hinweglaufen, ohne dass sie diese Zellen
aktivieren. Sie müssen dazu im Inneren dieser Zellen abgekoppelt werden. Di eser
Abkopplungsprozess wird uns noch näher beschäftigen.
Vom natürlichen Gehirn ist anzunehmen, dass es neben der Möglichkeit eines
Signalflusses
über
andere
Zellen
hinweg
(Kettensignalfluss)
auch
Wachstumsprozesse zur Herstellung von Verbindungen nützt. Vielleicht provozieren
Zellen, die voll besetzt sind, weil alle Durchfahrtswege schon genützt werden, den
Wachstumsprozess neuer, freier Nachbarzellen. Dass frische Nervenzellen benötigt
werden, wenn die vorhandenen alle besetzt sind, zeigen neuere Studien (SpektrumTicker 2001.03.20 , WSA 2002.02.28, Spektrum-Ticker 1999.10.19)
3.2.1 Das Blitzprinzip
Wie finden entfernte gleichzeitig aktive Neuronen einen Weg zueinander? Wie
findet der Blitz den Weg zum Boden? Das Gesetz der Nähe fordert, dass Neuronen,
die häufig innerhalb eines, relativ zur Auftrittshäufigkeit kleinen Zeitraumes,
zusammen reagieren, eine Verbindung zueinander herstellen. Es erscheint
einfacher die Forderung nach einer Verbindungsfindung für gleichzeitig aktive
Neuronen zu erfüllen, als für dieses Nacheinander. Deshalb besteht der erste
Schritt zu einer Lösung darin, für eine Nachaktivierung zu sorgen, die bis zur
durchschnittlichen nächsten Aktivierung des Neurons abklingt. Wir wollen
annehmen, dass das Neuron in dieser Zeit der Nachaktivierung für eine
Verbindungsbildung offen ist.
Mit dieser ersten Lösung des Zeitproblems, reduziert sich das Problem der
Verbindungsfindung vorerst darauf, die räumliche Distanz zwischen zeitgleich
aktiven Neuronen zu überbrücken.
Wahrnehmungsexperimente haben ergeben, dass Bildelemente, die räumlich nahe
sind, eher in Bezug zueinander gesetzt werden (Anderson 1996, S.43). Diese Regel
kann direkt auf das Gehirngewebe angewendet werden, auf welches das Bild
übertragen wird. Neben dem Problem der Nähe stellt sich auch noch die Frage der
Direktheit von Verbindungen. Es sollten möglichst gerade Verbindungswege
gefunden werden, die nicht unnötig viele Durchläuferzellen erfordern.
Das hier gestellte Problem gleicht dem eines Blitzes. Wie findet er den kürzesten
Weg zu Boden? Er kann doch nicht sehen! Was den Blitz betrifft, so liegt die
Erklärung in einer Geladenheit des Luftraumes, dessen molekulare Bausteine sich
elektrisch ausrichten. Der Blitz braucht dann lediglich diese Ausrichtung
entlangzuwandern (Mathelitsch 2002).
Auch im Fall unseres neuronalen Netzwerkes wird es nicht ohne eine solche
Ausrichtung gehen. Das Netz muss sozusagen gekämmt werden, damit das Signal
seinen Weg finden kann.
Wenn man das biologische Vorbild heranzieht, so muss man genaugenommen
zwischen Nervenwachstum und Verbindungsfreigabe unterscheiden. Im er sten
78
Lebensjahr
vermehren
die
Neuronen
massiv
die
Dendriten,
also
Verbindungsbahnen (Birbaumer 1997, S.576). Es werden mehr Verbindungen
angelegt, als aktiv verwendet werden. (Spektrum-Ticker 1999.11.29). Scheinbar
bauen Neuronen immer mehr Verbindungen auf, als nötig, um sie gegebenenfalls
aktivieren zu können. Damit kann ein schnellerer Lernprozess stattfinden, als durch
Verbindungswachstum.
Studien
an
Seeschnecken
zeigen
solche
Verbindungsprozesse (Byrne H. 2002)
Es dürften aber auch im erwachsenen Gehirn noch Nervenwachstumsprozesse
stattfinden, wobei sich hier noch deutlicher zeigt, dass Nerven in der Lage sind, den
Weg zu finden. Ich erinnere mich an eine TV-Wissenschaftssendung, wo in einer
Nährlösung gezeigt wurde, dass zwischen Neuronen, die regelmäßig gleichzeitig
stimuliert werden, eine Verbindung wächst. Leider fehlt mir die Quelle, aber ich fand
ähnliche Experimente und Studien (Spektrum-Ticker 2001.04.24, WSA 2002.02.28,
WSA 2002.12.18). Gehirnzellen finden also sinnvolle Verbindungswege, so wie
Wurzeln das Wasser, der Blitz den Boden oder Schleimpilze die Nahrung. Ein
Versuch belegt, dass wenn man ein Labyrinth, mit einem Schleimpilz füllt, und an
den Eingängen Nahrung auslegt, dieser sich entlang der kürzesten Labyrinthstrecke
zurückbildet, hin zur Nahrung (Nakagaki 2002). Ein weiterer Interessanter Versuch
zeigt, dass Nanopartikel aus Gold in gelatineartiger Flüssigkeit elektrische Pole
spontan durch Gruppierung zu „nassen Drähten“ verbinden. Könnte man diese
Verbindungen fixieren, so wäre ein Modell entwickelt, das dem Wachstum von
Nervenverbindungen nahe käme (WSA 2001.11.05). Wir können nur annehmen,
dass all diesen Wegfindungsprozessen irgendwelche „Kraftlinien“ vorausgehen, die
zu einer energetischen Durchkämmung des Raumes führen.
3.2.2 Die Vereinigung der Vorteile des Mehrschichten und des Bayes-Netzes
Der Signalfluss, der zur Durchkämmung des Neuronennetzes notwendig ist, der
also zu den Kraftlinien führt, muss unterschieden werden, vom eigentlichen Blitz,
der die Strecke zwischen den zu verbindenden Neuronen direkt entlangwandert und
diese Verbindung abnabelt. Auch in einem Mehrschichtennetz gibt es vorerst so
etwas wie Erkundungssignale in der Trainingsphase, und später die Verwendung
der verstärkten Verbindungen in der Arbeitsphase. Auch ist im Mehrschichtennetz
nicht jedes Neuron direkt mit jedem verbunden, sondern die Verbindung kann bei
Bedarf, über Zwischenschichten hergestellt wird (Siehe Grafik zum Kapitel
Mehrschichtennetz). Wir wollen diese Idee nun für unser Netz nützen das, im
Gegensatz zum Mehrschichtennetz, statistisch lernt und keinen Lehrmeister
braucht. Es sollen aber, anders als beim Mehrschichtennetz, Verbindungen in allen
Richtungen möglich sein.
3.2.3 Das Kurze-Wege-Fließmodell
Die folgende Grafik zeigt, wie sich kämmende Signale von einem Punkt aus
innerhalb eines natürlichen Netzwerkes ausbreiten könnten. Für die Ausbreitung
79
von Signalen gilt: Sie können nur eine Zelle treffen, die nicht bereits aktiv ist. Hat
eine Zelle ihr Signal weitergegeben, so verschwindet nach kurzer Zeit ihre Aktivität.
Der Weg den die Signale gewandert sind bleibt aber offen (Kämmung). Ist ein
Ausbreitungsdurchgang vorbei, und sind die Verbindungen gefunden, kann das
System zurückgesetzt werden, und der nächste Durchgang kann starten. Dieses
Konzept könnte eine mögliche funktionale Erklärung für die Gehirnwellen liefern.
Nun benötigen diese Signale im Gehirn auch Zeit sich auszubreiten. In Nerven ohne
Myelinschicht legt das Signal nur 0,1 bis 10m/sec. zurück (Hubel 1989). Wenn wir
annehmen, dass in einer Schicht Gehirngewebe mehrere Zellen zugleich aktiv sind,
die nun zueinander eine Verbindung aufbauen sollen, so ergibt sich ein
Kämmmuster, das folgendermaßen aussehen könnte:
80
Die entstehenden Verbindungen im Fall der vorgegebenen Punkte, sind in der
Grafik strichliert eingezeichnet. Es lässt sich erkennen, dass das Kämmmuster nicht
dazu führte, dass alle Punkte mit allen anderen eine Verbindung eingingen, sondern
dass nur Bahnen zu räumlich nächsten Punkten entstanden. Genau solche
gedankliche
Verknüpfungen
wurden
mit
grafischen
Elementen
in
Wahrnehmungsexperimenten getestet und es zeigte sich eben dieses Phänomen.
Entferntes ist nur über den Umweg von Nahem abrufbar; Vorstellungen sind
hierarchisch organisiert (Anderson 1996, S.121).
Wir nehmen also an, dass die Signale im Gehirngewebe sich ausgehend von
aktivierten Bereichen ausbreiten und dabei einen Weg durchfließen, den sie
isolieren. Betrachten wir nun nicht das zeitliche Ausbreitungsmuster (die Zeitri nge),
sondern den Weg der zurückgelegt wurde (die Strahlen).
81
Während ihrer Fließbewegung legen die Signale eine Weg zurück, den sie isolieren.
Bei Kontakt von zwei durchkämmten Bereichen kann der „Blitz“ durch diesen Weg
die Punkte verbinden. Die Signale fließen natürlich weiter, um, wenn möglich
weitere Verbindungen herzustellen.
Nun mag gegen dieses Modell einzuwenden sein, dass es doch rein hypothetischer
Natur sei. Aber immerhin lässt sich zeigen, dass kein Modell der
Verbindungsfindung vorstellbar ist, ohne Kämmsignale, die den Raum erkunden.
Wie sollte ohne solche Vorläufersignale ein Neuron auch wissen, wo sich das
andere aktive Neuron befindet? Das Modell mag hypothetischer Natur sein, aber es
ist das einzig mögliche!
3.2.4 Wie kann die Verbindungsfindung in einem künstlichen System abla ufen?
Nun soll die Sache mit der Verbindungsfindung noch etwas genauer betrachtet
werden. Ein Informatiker mag sagen, dass dies doch viel einfacher ginge als mit
solchen Fließsignalen, nämlich dann, wenn wir alle Punkte in ein gemeinsames
Koordinatensystem eintragen. Eine Hardware zu schaffen, in der Signale W ege
durchfließen, dabei Schalter umlegen, und auf diese Weise ihren zurückgele gten
Weg notieren, ist sicher enorm aufwendig! Aber diese Hardware soll ja nicht nur zur
Lösung des Verbindungsproblems dienen. Sie ist gleichzeitig auch der Speicher des
Kunsthirns. Anders als ein Festplattenspeicher hat das Gehirn ständig auf alles
Zugriff. Wir brauchen nicht lange in unserem Speicher zu suchen, um ein Ding
wiederzuerkennen. Auch befindet sich alles in ständiger Umformung. Wenn unsere
Großmutter im Alter vergesslich wird, so tun wir uns schwer ihr gesundes Bild in
Erinnerung zu behalten. Es wurde „umgeformt“ (Spektrum-Ticker 2000.08.17
Spektrum-Ticker 2001.07.30). Ein trastisches Beispiel schildert Rosenfield (1996, S.
143) Ein Mann, der in mittlerem Alter erblindete, konnte sich nach Jahren nurmehr
82
jene Personen visuell vorstellen, die er seit der Erblindung nicht mehr gesehen
hatte. Sich selbst konnte er sich nicht mehr visuell vorstellen.
Um das Gehirn zu simulieren, ist aus meiner Sicht eine eigene Hardware
notwendig. Das erste Problem, das uns zur Konzeption einer solchen Hardware
führt ist eben das Verbindungsproblem, denn Verbindungsfindung ist die Grundlage
allen Lernens! Ein künstliches Netzwerk sollte aus gleich geformten Bauteilen
bestehen, die in Serie produziert werden können. Jede Zelle soll mit ihren Nachbarn
verbunden sein. Das Netz könnte also so aussehen:
Durch die Gleichförmigkeit des Gitters entsteht aber das Problem, dass die
Verbindungen zwischen den Zellen nun alle gleich lang sind und in drei Richtungen
vorliegen. So ergibt sich ein sechseckiges Ausbreitungsmuster, und der Signa lweg
ist auch nicht immer der geradlinigste:
Die Fließwege sind dunkel eingezeichnet, die Zeitringe hellblau. Aber es handelt
sich aufgrund des Netzwerkes nicht mehr um Ringe sondern um Sechsecke. Damit
kann aber als Erstkontakt zwischen zwei aneinanderstoßenden Signalausbreitungen
ein breiter Bereich entstehen, und in diesem Fall wäre nicht klar, wo der dire kte
Weg liegt. Außerdem habe ich die Verzweigungen der Aststruktur nur auf die
Hauptachsen gesetzt, und das führt dazu, dass in vielen Fällen gar nicht der
83
direkteste Weg beschritten wird, sondern ein Umweg, wie dies die gelbe Linie
verdeutlicht.
3.2.5 Ein verbessertes Modell
Es hat sich gezeigt, dass eine kreisförmige Signalausbreitung in einem halbwegs
regelmäßigen Netz ganz einfach dadurch erreicht werden kann, indem eine Zelle
ihre Ladung nicht in einem, sondern in mehreren Schritten überträgt. Zwischen den
Zellen herrscht sozusagen ein Widerstand, und so kann vorerst nur ein Drittel des
Signals zur Nachbarzelle wandern und von dort ein neuntel auf die übernächste
Zelle. Erst in einem zweiten Schritt wird die Nebenzelle voll aktiviert und ein Teil des
Signals wandert durch den Widerstand weiter voraus. Die Signalausbreitung hat
sozusagen eine leicht unscharfe Grenze. Man könnte sagen die Zellen brauchen
eine kurze Zeit um in Schwung zu kommen. Das ist für natürliche Vorgänge ein gut
vorstellbares Modell. Es lässt sich auch durch einfache Filter in einem
Grafikprogramm simulieren. Um die abgebildeten Filter zu verstehen, muss man
alle Zahlen durch den unten angeführten Divisor dividieren. So steht in der Mitte 1,
daneben ein Drittel und weiter ein Neuntel und in der größeren Version ist auch
noch ein Siebenundzwanzigstel durchgerechnet. Das Ergebnis der beiden Filter ist
identisch. Der zweite Filter rechnet es nur etwas genauer durch, eben bis zum
Siebenundzwanzigstel. Er führt zu einem exakteren, aber rechenintensiveren
Ergebnis. Kurzum, man wähle den Filter, der einem besser gefällt.
Filtert man einen weißen Bildpunkt auf schwarzem Grund mehrmals mit einem
solchen Filter, so beginnt sich ein immer größerer weißer Kreis zu bilden, der die
Signalausbreitung veranschaulicht.
84
Bemerkenswert ist dabei, dass auch die Beschädigung, die ich dem Kreis durch
Einfügen einer schwarzen Delle verpasst habe, bei weiterer Ausbreitung wieder
verschwindet. Das System neigt einfach dazu, wieder die Kreisform anzunehmen.
Unscharfer Übergang ist daher auch für ein chaotisches Verschaltungsmuster, wie
jenes im Gehirn, geeignet, um eine kreisförmige Durchkämmung zu erreichen, die
Verbindungsfindung ermöglicht.
Was die Simulation betrifft, so lässt sich, da im Grafikprogramm nicht anders
möglich, nur eine quadratrasterförmige Verteilung der Bildpunkte, die für Neuronen
stehen, simulieren. Es liegt auf der Hand, dass diese Lösung auch zu einer
kreisförmigen Signalausbreitung in anderen neuronalen Netzen taugt, solange sie
einigermaßen halbwegs regelmäßig sind. So auch im Wabenmuster.
Woher kommt nun diese Kreisform? Würde ich als Filter ein Quadrat von neun
Einsern eingeben, so erhielte ich eine quadratische Signalausbreitung, das heißt
ein Quadrat mit scharfer Kontur das mit jedem drüberlaufen des Filters im Radius
um einen Pixel wächst. Der Kreis entsteht einfach durch die vorauseilenden
Graupixel (Unschärfe) im Bild, die Ihr Signal auch an die seitlichen Nachbarn
verteilen. Wir können uns vorstellen, dass ein Neuron im Netz durch die unscharfe
Ausbreitung unterschiedlich starke Signale von meist zwei Seiten bekommt. Zu
jener Seite, die es stärker beliefert, führt letztlich der Ast des Signalflussbaumes
(Kämmmusters). So ist das Verzweigungsproblem gleich mitgelöst. Es könnte zum
Beispiel ein Verzweigungsmuster wie das folgende entstehen:
85
Die gelbe Linie zeigt, dass ein solches Verzweigungsmuster zu relativ geradlinigen
Verbindungen führen wird.
3.2.6 Die Kontaktfindung
Ich habe erklärt, wie sich Signale kreisförmig ausbreiten. Was aber passiert ab dem
Punkt, wo die Signale aufeinandertreffen? Rufen wir uns noch einmal das
schematische Bild des Signalflusses in Erinnerung:
Die schwarzen Linien zeigen die bereits durchkämmten Bereiche. In diesen
Bereichen ist jetzt nurmehr eine Signalweitergabe in der vorgegebenen Richtung
möglich. Das Signal von A nach B (und umgekehrt) fließt also entlang der roten
Linie weiter. Was aber ist mit den nahezu gleichzeitig eintreffenden Signalen, die in
die grün eingezeichneten Verbindungen hineinfließen? Das Modell ist noch nicht
ideal, denn es entstehen mehrere Verbindungen.
86
Es gibt noch ein weiteres Problem: Stellen wir uns nun mehrere Punkte vor, die
winkelförmig angeordnet sind. Die folgende Grafik zeigt die Zeitlinien des
Signalflusses. Die entstehenden Verbindungen sind rot eingezeichnet. Es zeigt
sich, dass das Modell in seiner jetzigen Form in diesem Fall nicht zu direkten,
geradlinigen Verbindungen führt. Es ist daher nicht brauchbar, denn die
Signalfließzeit soll in unserem Modell die Entfernung von Punkten codieren, und die
ist zu lange, wenn nicht der direkte Weg gewählt wird.
Ein drittes Problem ergibt sich aus der Frage, wie denn die Signale überhaupt zu
den Ausgangszellen zurückkehren sollen. Die strahlenförmige Signalausbreitung
ergibt sich nämlich aus der Regel, dass eine Zelle ihr Signal immer nur an eine
noch nicht aktivierte Zelle weitergeben kann. Deshalb fließt das Signal vorwärts,
nicht zurück. Wenn Signalströme unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen, so
schneiden sie einander den Weg ab. Eigentlich sollte dann gar keine
Signalweitergabe mehr möglich sein, denn alle benachbarten Zellen wurden gerade
eben aktiviert, und sind im Moment aktivierungsunfähig.
Diese drei Probleme scheinen sich auf verschiedene Weise lösen zu lassen. Ich
möchte zuerst ein sehr einfaches Modell vorstellen, das aber bei genauerer
Betrachtung zu Fehlern führt. Ich habe sehr viele ähnliche Modelle erstellt, weil ich
mir eine einfachere Lösung gewünscht hätte, als notwendig ist. Letztlich glaube ich,
dass es nur eine einzige Lösung gibt. Diese will ich als nächstes vorstellen.
3.2.7 Die Zweischritt-Scheinlösung
Die Idee baut darauf, dass die Verbindungsfindung in zwei Schritten erfolgt.
Zunächst fließen die Signale zueinander. In der Mitte zwischen den
kontaktsuchenden Zellen kommt dieser Schritt zum Stillstand. Dort treffen die
Signale unterschiedlicher Herkunft aufeinander, und es entsteht eine „Kontaktlinie“
aktivierter Zellen, die ihre Signale nicht weitergegeben können. Ich habe diese in
der folgenden Grafik strichliert eingezeichnet. Diese Kontaktlinie bildet eigentlich
eine Ausnahmesituation, denn nur auf der Kontaktlinie erhalten Zellen gleichzeitig
zwei Inputs.
Nun nehme ich an, dass das Kunsthirn einen Rhythmus hat, in dem es die
Aktivierungsfähigkeit der Zellen wieder herstellt, also so etwas wie Gehir nwellen.
87
Sobald die Aktivierungsfähigkeit wieder hergestellt ist, können die Signale,
ausgehend von der Kontaktlinie, zurück zu den Ausgangszellen fließen. Die
folgenden Grafiken zeigen die entstehenden Rückflüsse an einem Beispiel mit zwei
Ausgangspunkten
und einem Beispiel mit winkelförmig angeordneten
Ausgangspunkten.
Erster Schritt….
Zweiter Schritt
Erster Schritt…
Zweiter Schritt
Es ist zu erkennen, dass der zweite Schritt auch im Beispiel mit dem Winkel zu
geraden Verbindungen zwischen den gegenüberliegenden Zellen führt. Das
Problem scheint gelöst. Allerdings ergibt sich in den meisten Situationen ein Fehler,
der diese Lösung unbrauchbar macht. Die folgende Grafik zeigt vier Punkte, die
eine Verbindung aufbauen sollen.
88
Der Signalfluss des ersten Arbeitsschrittes ist als Grauverlauf dargestellt. Um die
Ausgangszellen herum entstehen Felder. In einem der Felder habe ich linear die
Zeitlinien des zweiten Arbeitsschrittes eingezeichnet. Man sieht, dass sich die
Linien von dem Rand des Feldes zur Mitte X hin ausbreiten. Aber die Ausgangszelle
liegt nicht in der Mitte des Feldes. Deshalb können die meisten Verbindungen nicht
hergestellt werden. Nur die eine dick eingezeichnete Verbindung entsteht. Wir
brauchen also ein anderes Modell!
3.2.8 Kontaktfindung durch Kämmlinienvermischung
Wenn das Zwei-Schritte-Modell sich als nicht brauchbar erweist, wie könnten die
Signale, welche der Kontaktfindung zwischen Zellen dienen, auf andere Art zur
jeweils gegenüberliegenden Zelle gelangen, ohne von deren Signalstrom blockiert
zu werden? Ich will dazu annehmen, dass sich die Signale auf halbem Weg in einer
Zelle treffen, dann für einen kurzen Moment nicht weitergegeben werden können,
bis die umliegenden Zellen wieder reaktionsbereit sind. Für diesen Moment bleibt
das Signal in der Zelle aufrecht. Danach kann es weiterwandern.
Da es nun in bereits durchkämmte Bereiche wandert, müsste es auch die
Fließrichtung daran anpassen. Was aber, wenn die durchkämmten Bereiche nicht
nur in der Kämmrichtung, sondern bis zu einem gewissen Grad auch in anderen
Richtungen durchflossen werden können? Dazu müssen wir uns vorstellen, dass die
Kämmsignale nicht nur den Signalweg offen lassen, der gegenläufig zu ihrer
Fließrichtung steht, sondern auch ähnliche Richtungen nicht völlig geschlossen
werden. Die Fließsignale hätten dann in einem begrenzeten Feld die Möglic hkeit
sich so weiter auszubreiten, wie sie es tun würden, wenn sie einander nicht
kreuzten. Sie überschreiben einfach die Kämmlinien des gekreuzten Signals.
Dieses Modell führt auch zu einer anderen Lösung im Beispiel der winkelförmig
angeordneten Punkte. Diesmal verläuft die Verbindung anders, aber es entsteht
wieder ein Umweg. Der verläuft jetzt in die Gegenrichtung.
89
Die Frage ist nun, wie schaffen wir es, die beiden Modelle so zu kombinieren, dass
sie in diesem Beispiel zu brauchbareren Verbindungen führen, die nicht ein Eck in
ihrer Verbindungslinie haben.
Die Lösung wäre dann gefunden, wenn an der Stelle, wo die Kämmsignale einander
überlagern, ein Mittelweg zwischen den beiden Richtungen gefunden wird. Die
Signale könnten übereinander fließen, wie im vorhergehenden Beispiel, aber die
Kämmspur, die sie insgesamt hinterlassen, sollte den Mittelweg darstellen. Dazu
will ich annehmen, ein Signal, das eine Zelle durchläuft, hinterlässt in ihr keine klare
Spur, sondern eine unscharfe. In der Durchlaufrichtung ist sie ohne Widerstand
durchfahrbar, in ähnlichen Richtungen mit geringem Widerstand, und in der
Richtung quer zur Durchlaufrichtung ist sie nicht mehr befahrbar. Überlagern sich
nun zwei Richtungen, so wird ein Mittelwert der beiden Durchläufe gebildet.
Wie sieht das nun eigentlich aus, wenn wir nicht von winkelförmig angeordneten
aktiven Zellen ausgehen, sondern wieder zurückkehren zum Problem der
Kontaktfindung von nur zwei aktiven Zellen? Die folgende Grafik zeigt das Ergebnis.
Die bunten Linien zeigen die Kämmlinien, die durch die Fließsignalvermischung
zustande kommen. Positiv an dem Modell ist auch, dass nur eine einzige
Verbindung zwischen den Zellen entsteht. Die anderen Fließwege verfehlen das
Ziel.
90
Dort wo die Signale der Punkte zueinander laufen, ist bei der Überlappung ihrer
Fließrichtung eine mittlere Richtung zu erwarten. Wenn sie im rechten Winkel
aufeinandertreffen, wird sich ihre Fließrichtung somit aufheben. Das passiert an der
kreisförmigen Grenzlinie zwischen Rot und Grün. Deshalb sind dort die Richtungen
nur in Pastellfarbe angedeutet. Eigentlich gibt es dort keine klare Richtung, weil
sich die Richtungen aufheben. Außerhalb dieser Zone gibt es wieder Signale, die im
spitzen Winkel aufeinandertreffen. Die dabei entstehende Richtung ist aber nun um
90° gedreht.
Wie ist ein solcher Überlagerungseffekt von Fließrichtungen vorstellbar? Sind dazu
nicht aufwendige Rechenvorgänge in den Neuronen notwendig? Ich denke nicht.
Mit geeigneten analogen elektronischen Bauteilen könnte die Durchschnitt srichtung
dabei ganz ohne Rechenvorgänge auf ähnliche Weise zustandekommen, wie in der
folgenden Grafik die horizontale Schattierungsrichtung des dritten Bildchens durch
Überblendung der beiden ersten Schattierungsrichtungen zustande kam.
+
=
Aber zurück zur vorhergehenden Grafik mit den Fließrichtungen. So wie der
Signalfluss dort dargestellt ist, ergibt sich ein Problem. Die Fließsignale wandern
ungehindert über die gesamte Fläche hinweg weiter. Stellen wir uns nun viele
gleichzeitig aktive Punkte im Netz vor, und alle Signale fließen übereinander, und
bilden gemittelte Kämmrichtungen. Dabei kann nichts Sinnvolles herauskommen.
Es wird also wichtig sein, dass die Kämmsignale auch irgendwo ein Ende finden.
91
Dafür gibt es, wenn wir uns die vorherige Grafik ansehen, eigentlich eine
naheliegende und einfache Möglichkeit. Stellen wir uns vor, dort wo sich die
Kämmlinien in ihrer Richtung aufheben, findet das Fließsignal keine Richtung mehr,
in die es weiterfließen kann. Es wird aufgehoben. Die folgende Grafik zeigt den
Effekt dieser Regel:
In dieser Grafik treten drei Phänomene
Verbindungsfindung unbedingt notwendig sind:
auf,
die
für
eine
sinnvolle
1) Trifft ein Fließstrom auf einen Bereich der in die entgegengesetzte, oder eine nahezu
entgegengesetzte Richtung durchflossen wurde, so kann er ihn durchfließen. Die
Kämmrichtungen vermischen einander.
2) Trifft ein Fließstrom auf einen Bereich der bereits quer zu seiner Fließrichtung
durchkämmt wurde, so kann er nicht weiterfließen, weil der Weg ve rsperrt ist.
3) Geraten Fließsignale aneinander, die fast in der gleichen Richtung unterwegs sin d
(grüne Linien), so können sie einander nicht überschreiben. Das liegt daran, dass
überschreiben ja nur durch einen Trick möglich ist. Wir haben die R egel aufgestellt, dass
ein Signal, das nicht weitergegeben werden kann, kurz aufrecht erhalten wird, bis
benachbarte Verbindungen wieder frei werden. Stoßen Signale frontal aufeinander,
halten sie also kurz inne, und fließen dann von dieser Stelle aus weiter. Es sieht aus, als
flößen sie übereinander hinweg. Wenn zwei fast gleiche Fließrichtungen
zusammenlaufen, ist das jedoch anders, denn alle Signale können weitergegeben
werden. Also fließen die Signale ab, ohne einander zu überlagern.
Punkt 3 führt zu einem interessanten Effekt. Geraten Fließsignale aneinander, die
nahezu in die selbe Richtung unterwegs sind, vereinigen sie einander. Dieser Effekt
erweist sich nicht als störend, sondern sogar als Notwendigkeit! Das wird deutlich,
wenn wir uns vorstellen, dass 12 Punkte, die auf einer Kreislinie regelmäßig
angeordnet sind, sich in dessen Zentrum vereinen sollen. Eine Zelle in unserem
neuronalen Netz verfügt in der Fläche aber nur über 6 Verbindungen. Also müssen
sich die Kämmlinien, im gegebenen Beispiel, schon vorher vereinigen, und das
können sie durch diesen Nebeneffekt unserer Signalflussregeln.
92
Stoßen mehr als zwei Fließströme zusammen, so gilt für die Signale das gleiche
wie im Fall von nur zwei Fließströmen: Kann ein Signal nicht weiterfließen, so
bleibt es aktiv, bis die umliegenden Zellen wieder aufnahmefähig sind. Im Fall
der folgenden Grafik passiert dies im Zentrum. Die Signale wandern nun zurück,
und mischen dabei ihre Richtung mit den bereits vorhandenen Kämmlinien. Da
die vorhandenen Kämmlinien bereits aus einer Kämmlinienmischung
hervorgehen, die vorher stattfand, beschreiben sie Kurven. Es entsteht eine
Dreierverbindung zum Zentrum der Grafik.
Damit sind die Gesetze zur Verbindungsfindung besprochen. Es stellt sich noch die
Frage, ob bestimmte Verbindungen Vorrang vor anderen haben, oder ob alle
entstehenden Verbindungen aufrecht bleiben sollen. Das Gesetz der Nähe sollte in
das Modell inkludiert werden. Es besagt, dass wenn Punkte, nahe beieinander
liegen, diese eher als zusammengehörig betrachtet werden, als wenn sie weiter
entfernt sind. Kurze Verbindungen sind also zu bevorzugen. Da kurze Verbindungen
schneller zustande kommen, kann diese Bevorzugung auch durch die zeitliche
Nähe geschehen. Die Vorrangstellung kurzer Verbindungen könnte letztlich d adurch
ausgedrückt werden, dass sie einen geringeren Widerstand im Netz besitzen.
Die Regeln der Verbindungsfindung, die die obigen vier Anforderungen erfüllen,
waren nicht leicht zu finden. Ich habe lange an ihnen geforscht, und vermute, dass
die hier dargestellte Lösung den einzigen möglichen Weg darstellt. Deshalb
vermute ich, dass im Gehirn etwas analoges stattfindet.
Die Richtung der Kämmlinien in diesem Modell erinnert an die Kraftlinien der
Gravitation, die sich ergeben würden, wenn unsere Punkte Planeten wären.
Gravitation verkörpert ja auch das Gesetz der räumlichen Nähe, denn ihre Stä rke
erhöht sich mit der Nähe zu den Planeten. Diese Parallele ist nicht verwunderlich.
93
Gravitation ist die wichtigste strukturierende Kraft der Natur, und unser Gehirn dient
u. a. dazu die Natur zu repräsentieren. Deshalb bedarf es einer ähnlichen
strukturierenden Kraft.
Ob die zuletzt genannten Regeln zur Erstellung der Kämmlinien Sinn machen, kann
daran überprüft werden, wie der Mensch flächig angeordnete Reize in Bezug
zueinander stellt, und ob das Modell ähnliche Bezüge (Verbindungen) herstellt. Den
Ort eines Punktes im Raum definieren wir ja durch seinen Abstand zu anderen
Punkten des Raumes. Genauso ist es mit einem Punkt auf einer Grafik. Interessant
ist, welche Bezüge wir beim Betrachten einer Grafik als die Wesentlichen erachten.
Aus meiner Sicht sind es die Selben Verbindungen, denen auch das Modell den
Vorrang einräumt.
3.3 Regel zur hierarchischen Organisation der Informationen:
3.3.1 Die eine Verknüpfung repräsentierende Zelle
Mit der Verbindung von Zellen und ist zwar der der schwierigste Teil des Mod ells
geschafft, was das visuell-analytische Denken betrifft; der Prozess der Verarbeitung
ist aber noch nicht abgeschlossen. Nehmen wir an, dass die beiden nun
verbundenen Zellen Reize repräsentieren. Bleiben wir bei Pawlows Hund, dann sind
es „Glocke“ und „Futter“. Zusammen ergibt das ein neues Chunk namens
„Fütterung“. Welche Zelle repräsentiert jetzt dieses Chunk? Muss es nicht eine
Zelle geben, die diese Verknüpfung repräsentiert?
Hier stehen wir vor der Frage, ob es im Gehirn überhaupt Zellen für best immte
Begriffe geben kann. Eine solche Vorstellung galt aus dem Verständnis neuronaler
Netze heraus als verpönt und wurde als die Theorie der „Großmutterzelle“
verspottet. In neuronalen Netzen sind Informationen normalerweise verteilt
repräsentiert. Das hier vorgestellte Netz wird aber beide Repräsentationsarten
zulassen. Einerseits gibt es die verteilte Information, und zwar nicht nur im Raum,
sondern, da das hier konzipierte Netz auch mit zeitlichen Signalmustern arbeitet,
gibt es sogar eine zeitliche Verteilung einer Repräsentation. Trotzdem können die
Muster letztendlich in einer Zelle münden, die einen Begriff repräsentiert. Genau so
scheint dies neueren Studien zufolge auch im Gehirn zu sein. So fand Christof
Koch sogenannte „face cells“ (Bremen 1998, Cross 2000, Recht 2000) und es gibt
im Gehirn Neuronen für Eigenschaften wie z.B. einen bestimmten Augenabstand
(Spektrum-Ticker 2002.01.22), sowie Neuronen für andere Objektkategorien, wie
Körperformen und Formzusammenstellungen (Goldstein S.104, WSA 2001.10.04,
Doerfler
Alex
2001)
Es
gibt
auch
Untersuchungen
mittels
Magnetresonanztomografie, die aber aufgrund der geringen Auflösung, von etwa
einem Quadratmillimeter, die Frage nicht beantworten können, was das einzelne
Neuron zu repräsentieren vermag. Nachgewiesen wurde auf diese Weise aber die
94
Repräsentation von Objektkathegorien an bestimmten Orten im Gehirn (Spitzer
2000, S.259).
Aussagekräftig sind vor allem die Untersuchungen mittels Elektroden am offenen
Gehirn, wobei diese beim Menschen nur Nebenerscheinungen einer notwendigen
Gehirnoperation sein können. Man zeigt dem Patienten Gegenstände und misst mit
Elektroden, ob man ein Neuron findet, das auf einen der Gegenstände reagiert.
Warum diese Untersuchungen schwierig sind, will ich am Beispiel von Großmutters
Kachelofen erklären. Dieser ist, wie die meisten vertrauten Gegenstände, vor allem
örtlich definiert. Man kann ihn bei der Operation nicht herzeigen. Deshalb wird man
im Operationssaal nur Neuronen für Überbegriffe finden. Meiner Ansicht nach, gibt
es nur wenige Dinge, die uns wirklich als Einzelgegenstand vertraut sind. Auf dem
Mietparkplatz vor meiner Wohnung stehen immer die selben Autos. Aber nur der
rote Ferrari ist individuell. Alle anderen bilden für meine Wahrnehmung einfach eine
Autostruktur, wie es sie auf vielen Plätzen der Stadt gibt. Würde man die Autos der
Plätze austauschen, würde ich es nicht merken. An all diesen Autos erkenne ich nur
den Überbegriff „Auto“. Daraus folgt: Man müsste die Operation in der vertrauten
Umgebung durchführen, wo der Patient vertraue Einzeldinge wahrnehmen kann.
Aber selbst dann, hätte man wohl wenig Chance unter Millionen in Frage
kommender Zellen, die Elektrode genau in jene zu stechen, zu der man den
Gegenstand zeigt, den der Patient gerade bewusst wahrnimmt. Und erst die
Wiederholbarkeit würde dies zeigen, denn Zellen weisen auch ein starkes
Zufallsrauschen auf.
Umgekehrt wäre es auch möglich Zellen zu reizen, und den Patienten zu fragen,
was er erlebt. Aber das kann nicht funktionieren, denn es müsste vermutlich ein
ganzes Netz an Verzweigungen aktiviert werden, um eine bewusste Wahrnehmung
zu erzeugen. Diese aktivierten Zweige müssten stärker sein, als jene aktiven
Bereiche, die der Patient gerade durch seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit
im Gehirn aktiviert hat, und die Aufmerksamkeit kann sich in der ungewohnten
Situation auf alles Mögliche beziehen. Vielleicht ist er mit Gedanken in der Z ukunft,
hat Sorgen oder Erwartungen. Das Bewusstsein kann sich ja nur einer Sache zu
einem Zeitpunkt widmen, und so siegt der stärkere Gedankeninhalt, und der wird
nicht von einer einzigen gereizten Zelle ausgehen.
Das bedeutet, die Frage nach der Möglichkeit einer Großmutterzelle ist noch nicht
klar beantwortbar, und die Ablehnung einer solchen Vorstellung, ist nur aus der
verteilten Repräsentation in den derzeit gängigen neuronalen Netzen zu erklären.
Aber möglicherweise liegt ja gerade darin die Schwäche dieser Netze, und der
Grund dafür, dass sie nicht begrifflich denken und planen können. Deshalb sollten
wir uns nicht so sehr an die Informatik und Neurologie klammern, sondern uns an
der psychologischen Lernforschung orientieren. Diese zeigt sehr klar, dass erlernte
Verbindungen zu Einheiten führen, auf die wir in Zukunft im Stück zugreifen können
(Kognition 2000, S.30).
Im Allgemeinen können wir also davon ausgehen, dass Begriffe im Gehirn örtlich
repräsentiert sind. Es kann uns im Grunde egal sein, ob dies durch ein einzelnes
Neuron geschieht, oder durch eine Neuronengruppe. Die Idee, dass Begriffe durch
95
eine Neuronengruppe statt durch ein einzelnes Neuron präsentiert werden, würde in
meinem Modell keiner wesentlichen Änderung bedürfen. Ich bräuchte nur
annehmen, dass Zellen auch zu entfernteren Nachbarn Verbindungen haben (was
ja so ist). Dann treffen die oben beschriebenen Kämmsignale nicht in einer Zelle
aufeinander, sondern in einer Zellgruppe. Und es gehen nicht von einer Zelle
Kämmsignale aus, sondern von einer Gruppe nebeneinanderliegender Zellen. Das
System verbraucht auf diese Weise mehr Zellen und Verbindungen, aber es wird
auch weniger anfällig auf Störungen. Das macht Sinn im Fall von unzuverläss igen
Bauteilen, wie Neuronen. Es hat aber wenig Sinn für elektronische Bauteile. Die
folgende Grafik zeigt, dass die Verbindung zweier Neuronengruppen nicht zu mehr
Kontaktpunkten führt als die Verbindung zweier Einzelneuronen, denn die
Fließsignale der gruppierten Neuronen verschmelzen. So entgeht das System auch
bei
hierarchischer
Entwicklung
immer
weiterer
Verbindungen
einem
Verbindungskollaps:
Bleiben wir also dabei, dass ein Begriff im Gehirn örtlich repräsentiert ist, egal ob
nun durch eine Zellgruppe, oder durch ein einzelnes Neuron. Im Gehirn können
etwa sieben solche „Chunks“ gleichzeitig aktiviert werden. Das ist der maximale
Lerninhalt, der kurzzeitig behalten werden kann. Ein Beispiel wäre eine Reihe von
sieben Buchstaben oder Zahlen. Die Frage ist, wie können wir uns mehr me rken?
Folgende Buchstabenfolge ist in 10 Sekunden zu merken:
A B A S FU KWA
BSR
TLO MV
Folgende Winkelfolge ist zu merken:
Tja, das übersteigt wohl unsere sieben Lerninhalte. Ist es damit unmöglich?
Keineswegs. Wenn wir die Information so umstrukturieren, dass wir bereits
bekannte Verknüpfungen unseres Gehirns verwenden können, dann genügen die
sieben Chunks durchaus. Wie wäre es zum Beispiel damit:
A, BASF, UKW, ABS, RTL, OMV
Und mit folgender Merkhilfe: „Bilde Zwei-Balken-Gruppen aus NAMA NAMA“
96
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal Pawlows Hund. Weder die Einheit, we lche
für Glocke, noch jene welche für Futter steht kann die gesamte Fütterung
repräsentieren. Wir benötigen eine neue, noch unbesetzte Zelle. Das bedeutet,
dass neues Lernen auch neue Gehirnzellen benötigt. Tatsächlich weisen neue
Studien nach, dass im Gehirn ständig neue Zellen nachwachsen (Kuhn 2001,
Spektrum-Ticker 1999.10.21, Spektrum-Ticker 1999.11.08, WSA 2002.02.28).
Gehirnzellen scheinen sich sogar transplantieren zu lassen (WSA 2001.03).
Wichtiger für das Modell scheint aber eine Studie, wonach ohne neu entstehende
Zellen, keine Erinnerungen mehr gespeichert werden (Spektrum-Ticker
2001.03.20). Allerdings dürften viele Zellen, vor allem im jungen Gehirn noch
unbelegt sein, und, wenn am richtigen Ort gelegen, zur Speicherung neuer Inhalte
herangezogen werden (Spektrum-Ticker 1999.11.29).
Jedenfalls muss die neu belegte Zelle sich mit anderen ebenso neuen Zellen nach
den bayesianischen Regeln ungehindert verknüpfen können, denn wir sind ja fähig
einmal erlernte Chunks miteinander zu verknüpfen. Deshalb soll sie ihr Output Signal auf eine neue Ebene senden. Als Platz wollen wir den Kontaktpunkt
zwischen den beiden Ausgangszellen annehmen, also die Mitte zwischen ihnen.
Diese Annahme gründet sich auf Beobachtungen der räumlichen Organisation im
menschlichen Gehirn. Jede Funktion hat ihren Platz in der Mitte zwischen den
sensorischen und/oder motorischen Feldern, die sie beliefern. So sind die
Sprachzentren rund um das Hörzentrum angeordnet, aber das Sprachverstehen
mehr hin zum visuellen System mit dem wir die Welt wahrnehmen, das Sprechen
mehr hin zum motorischen Feld. Daneben die Kontrolle des Mundes und weiter weg
die Kontrolle anderer Körperbereiche. Der Gehirnbereich zwischen Sprachverstehen
und Sehen beinhaltet eine non-sprachliche Repräsentation wahrnehmbarer Dinge.
Sozusagen die Vorstufe hin zum Sprechen. Zwischen dem sensorischen
(tastenden) Projektionsfeld und dem Sehzentrum liegen die Bereiche für
Raumorientierung. Das Stirnhirn verbindet den sprachlich bewussten Bereich mit
dem motorischen, und erhält Input aus dem limbischen System, wo Bedürfnisse und
Triebe ihren Ursprung haben. Im Stirnhirn werden Zukunftsvorstellungen und
gegenwärtige Bedürfnisse abgewogen und Pläne verfolgt, sowie die Pläne and erer
Menschen erkannt (Spektrum-Ticker 2002.03.25, WSA 2001.02.01). Auch bei
Stirnhirnverletzten Tieren ist eine deutliche Veränderung des Verhaltens
bemerkbar, und im Umgang mit ihnen fällt erst auf, dass auch Tiere normalerweise
Ziele ansteuern, wenn auch kurzfristigere als der Mensch. Eben das können Tiere
mit Stirnhirnschäden nicht mehr. Ihr Verhalten ist chaotisch und beliebig (Hernegger
1995, S.169). Da moralisches Verhalten meist das Ziel hat negative zukünftige
97
Empfindungen, wie z.B. soziale Ausgrenzung zu verhindern, sitzt auch die Moral im
Stirnhirn (Spektrum-Ticker 1999.10.21).
Die folgende grobe Skizze veranschaulicht die funktionellen Aufgabenbereiche im
Gehirn. Ich habe sie in der handschriftlichen
Form belassen, um ihre
Skizzenhaftigkeit zu betonen. Gut erläutert wird die funktionale Gehirnanatomie in
Kolb/Whishaw 1996.
Das meiste Wissen über die Funktionsbereiche der Gehirnareale erhält man durch
Studien an Menschen, bei denen durch Unfälle, Tumore oder Hirnblutungen u.ä. ein
bestimmter Bereich des Gehirns zerstört wurde.
Oliver Sacks schildert in
spannender Erzählform Patienten, die an solchen Veränderungen leiden. Sein Buch
gibt ein Bild davon, wie sehr das Gehirn unsere Person bestimmt (Sacks 1990).
Was aus der örtlichen Verteilung der Funktionsbereiche hervorgeht ist, dass der
notwendige Input für eine bestimmte Leistung immer aus benachbarten Arealen
98
kommt liegt. Die Verarbeitung zweier Eingänge scheint immer in der Mitte zwischen
den Quellen (Projektionszentren) stattzufinden. Deshalb wollen wir davon
ausgehen, dass die Zelle, welche eine Verbindung (Chunk) repräsentiert, ebenfalls
in der Mitte ihrer Zulieferer liegt. Es wird der möglichst direkte Weg zwischen den
beiden Zellen gefunden, und in der Mitte dieses Weges, also am Kontaktpunkt der
Fließsignale bildet sich die neue Chunk-Zelle (Verarbeitungseinheit) aus. So folgt
aus dem Modell der Verbindungsfindung ein Modell der örtlichen Selbstorganisat ion
im Gehirn. Dieses Modell erklärt auch, warum bei einem Hydrocephaluskind, wo die
Signale
tote
(zerquetschte)
Gehirnbereiche
umwandern
müssen,
die
Verarbeitungszentren letztlich anderswo im Gehirn zu liegen kommen, und warum
neugeborene Hamster mit transplantiertem Sehnerv ihr Sehzentrum dort
entwickeln,
wo
dieser
Nerv
hinoperiert
wurde
(Frost
2000).
Die
Verarbeitungsbereiche scheinen nicht genetisch fixiert zu sein, sondern alles findet
seinen Platz nach dem Prinzip der Verbindungsmitte. Das Prinzip der Mitte findet
sich auch in der Natur der Zelle selbst. Man hat festgestellt, dass auch innerhalb
von Zellen Fließprozesse stattfinden müssen, damit die, für die Zellteilung nötige
Mitte gefunden werden kann (WSA 2002.01.02).
Aus meiner Sicht wird die Plastizität des Gehirns heute immer noch unterschätzt,
weil sich die Forscher nicht zu dem Glauben durchringen können, dass eine
Struktur so verschiedenartigen Leistungen zugrunde liegen kann. Dabei sollte dies
schon seit den frühen 80er Jahren bekannt sein. In einer Fernsehdokumentation
aus dieser Zeit (Heminway) wird eine Hydrocephalus (Wasserkopf) Patientin
vorgestellt, deren Gehirn im Embionalstadium deformiert wurde, wie es die folgende
PET-Scanner-Aufnahme zeigt.
Normales Gehirn
Sharons Gehirn
Die Verbindungen zu den Sinnen blieben erhalten, und die junge Frau führt ein
normales Leben, und bringt in der Schule sogar überdurchschnittliche Leistungen.
Durch Einatmen von Xenon 133 konnten schon damals die aktiven Bereiche des
Gehirns bildgebend dargestellt werden. Hier zeigt sich, dass die Frau nur Teile
nützt. Ihr Gehirn hat sich also durch die räumliche Deformation völlig anders
organisiert.
99
Normales Gehirn
Sharons Gehirn
Wir wollen davon ausgehen, dass das Prinzip der Verbindungsmitte dafür sorgt,
dass jeder Gedächtnisinhalt seinen Platz im neuronalen Netz findet. Ist das Netz
durch einen Hohlraum oder durch defektes Gewebe deformiert, so führt der kürzest
mögliche Weg zwischen zwei Punkten um diesen Bereich herum. Das Netz
organisiert sich anders. Dies scheint aber nur bei einem Embryo in dem gezeigten
Ausmaß möglich.
3.3.2 Generalisierung und Differenzierung
Aber nicht immer macht es Sinn, für eine Verbindung zweier Reize gleich eine
Chunkzelle zu günden, die die Kombination dieser Reize darstellt. Nehmen wir uns
als Beispiel das Erlernen des ABC.
Die folgende Grafik veranschaulicht links, wie viele Verbindung en auftreten würden,
wenn wir für jede Zweierverbindung eine eigene Chunkzelle gründeten. Zusätzlich
müssen wir noch bedenken, dass die Zellen im Gehirn nicht, wie hier dargestellt, so
ordentlich
nebeneinanderliegen,
sondern
jede
Verbindung
über
viele
Zwischenzellen führt. Multiplizieren wir die Zahl an dargestellten Verbindungen also
noch einmal mit etwa hundert Zwischenzellen. An eine Umsetzung des Modells
wäre so nicht mehr zu denken.
Durch Kettenbildung können die 625 Verbindungen auf eine überschaubar e Zahl
von etwa 30 vermindert werden. Durch Experimente mit dem Sprachrhythmus und
der Abrufbarkeit habe ich versucht herauszufinden, wie das ABC in meinem G ehirn
organisiert ist, und bin auf die rechts dargestellte Reihung gekommen. Ich kann
einen Anfangs, einen Mittelteil, und einen Endteil aufrufen. X,Y,Z sind dann noch
wie ein Anhang dran. Wahrscheinlich habe ich das ABC in der Volksschule bereits
in dieser Teilung erlernt. Auch Experimente mit meinem 7 jährigen Neffen legen
nahe, dass die Buchstabenfolge des Alphabets im Gehirn eher so organisiert ist,
wie rechts dargestellt. Frage ich ihn welcher Buchstabe nach J kommt, so hat er
keinen direkten Zugriff, sondern muss bei A beginnen, und plappern bis er beim K
landet.
Verbindungsketten können jederzeit abgerufen werden. Wir starten bei einem
Begriff, und lassen die Versuchsperson dazu frei assoziieren (Anderson1996,
S.180).
100
Verbindungsketten sind also die normale und vorrangige Verbindungsform. Aber
wann zerfallen sie in Teile und bilden eine Verbindungspyramide aus? Wann wird
für eine Verbindungskette im Gehirn eine eigene Chunkzelle gegründet? Diese
Frage ist identisch mit jener danach, wo eine Verbindungskette beginnt, und e ndet.
Es gibt darauf nur eine sinnvolle Antwort: „Verbindungsketten beginnen und
enden dort, wo ein Voraussagefehler auftritt.“ Der Hund lernt Rotlicht, Glocke,
Futter. Vor dieser Kette war auch immer ein Ereignis (weil das Leben eine
Aneinanderkettung von Ereignissen ist), aber eben immer ein anderes. Es gehört
also nicht zur Voraussagekette. Der Voraussagefehler ist also auch der Auslöser
für die Abgrenzung der Kette und der Zuordnung einer Verbindungszelle (Chunk).
Das bedeutet umgekehrt, dass innerhalb jenes Bereiches, wo kein
Voraussagefehler eintritt, auch keine weiteren Verbindungen entstehen. Es kommt
also zu Verbindungsketten, wie in der Grafik rechts dargestellt, und nicht zur Unzahl
an Verbindungen, wie links dargestellt. Die Verbindungskette erbringt alle nötigen
Voraussagen, und so bleiben weitere Lernvorgänge aus. Diese Annahme ist auch
101
überprüft worden, und unter dem Begriff „Blockierung“ bekannt. Es konnte in
Konditionierungsexperimenten gezeigt werden, dass wenn erlernt wurde ein
Ereignis durch einen Vorankündigungsreiz vorauszuahnen, kein weiterer
Vorankündigungsreiz erlernbar ist, solange der erste nicht ausbleibt oder versagt.
Die richtige Voraussage verhindert also weitere Verbindungen (Zimbardo 1995,
S.308 Mischo 2002, Macho 1999).
Wie lässt sich Reizverkettung mit den bayesianischen Regeln in Verbindung
bringen? Dort ist doch immer nur von zwei Reizen die Rede! Wir haben festg estellt,
dass die Verbindung AB zerfällt, wenn B öfter alleine vorkommt als mit in der
Kombination. Die Ankündigung durch A funktioniert dann nicht. Nehmen wir nun als
Beispiel die Kette A-B-C-D-E-F-G, so kommt doch B in der Sprache viel öfter vor,
als nur in dieser Verbindung, wo es durch A angekündigt wird. Muss die Kette also
zerfallen?
Die Antwort ist Ja! denn in einem leeren Netz, das die Teile noch nicht erlernt hat,
müssen erst einmal diese erworben werden. So lernt ein Baby erst einmal die
einzelnen Laute kennen, bevor es sie zu Silben vereint, und dann vereint es diese
zu Wörtern und weiter zu Sätzen. Das ABC als Reihe wird erst erworben, wenn es
in einem Lebenszusammenhang steht, zum Beispiel als Aufgabe in der
Volksschule. In diesem Lebenszusammenhang eingebettet, ist es dann als Ganzes
enthalten. In diesem Lebenszusammenhang kommt es immer in dieser Reihenfolge
vor, ist daher voraussagbar, wird keine Voraussagefehler aufwerf en und somit auch
nicht mehr zerfallen. Es bleibt als Kette bestehen, mit einer eigenen Chunkzelle, die
wir als „ABC“ bezeichnen können.
Nur haben wir mit diesem Beispiel zu hoch gegriffen. Wir können die
Verschaltungskomplexität, die das Gehirn bis zur Volksschule erreicht hat, nicht
mehr überblicken. Es werden uns bei der Behandlung des visuellen Systems aber
Voraussageketten begegnen, wie zum Beispiel die Voraussage der weiteren
Bewegung eines vorbeiziehenden Objektes, die wir noch vollständig überblick en
können.
3.3.3 Verarbeitungsebenen und das Differenzierungsproblem
Wir können uns diese Voraussageketten als Verbindungen vorstellen, die mit
Widerständen versehen sind. Je nach der bayesianischen Wahrscheinlichkeit, mit
der ein Ereignis erwartet werden darf, ist der Widerstand gering, oder eben groß.
Nach einigen solchen Widerständen
verliert sich das Signal in der Kette.
Ereignisse die wahrgenommen werden, aber nicht, oder kaum erwartet
(vorhersignalisiert) wurden, sind Voraussagefehler und werden als solche auf die
nächst höhere Ebene des Netzwerkes weitervermittelt, wo sie untereinander
Verbindungen eingehen können. Dabei können möglicherweise wieder
Voraussagbarkeiten entdeckt werden, oder es entstehen wieder Voraussagefehler,
die auf eine noch höhere Ebene übertragen werden. Von Ebene zu Ebene steigt die
Komplexität des Systems.
102
Mit der Bildung einer neuen Verbindungszelle im Falle eines Voraussagefehlers ist
auch
ein
bekanntes
Problem
propositionaler
Netze
gelöst,
das
Differenzierungsproblem (Herkner 1991, S.163). Wenn zum Beispiel erkannt wird,
dass Eva große Augen hat, dann entsteht zunächst eine Verbindung von Eva zu
Augen, und dann noch zu groß. Und wenn Karl blaue Augen hat, entsteht eine
Verbindung von Karl zu Augen. Von dort liegt aber bereits eine Verbindung zu groß
vor. Das darf nicht sein. Da entsteht ein Voraussagefehler. Karls Augen sind nicht
groß.
Die Voraussagekette muss also getrennt werden. Der Voraussagefehler provoziert
die Bildung einer neuen Verbindungszelle (Chunk), und so kommen wir zur unteren
Darstellung, wo das Problem einer Verwechslung nicht mehr gegeben ist. Die
Kettenverbindung Eva hat große Augen ist ebenfalls erhalten g eblieben.
Die Regel lautet also: „Sobald ein Voraussagefehler auftritt, wird das Signal an
neue, noch freie Zellen weitergegeben.“ Wie aber geht das System mit nur teilweise
zutreffenden Voraussagen um? Die Antwort ist einfach: „Es wird immer jener Teil
des Signals an neue Zellen weitergegeben, der nicht vorausgesagt wurde.“
Diese Regel will ich vorerst einfach so stehen lassen. Später werden wir sehen,
dass auch die Verschaltung des visuellen Systems im Gehirn, soweit sie bekannt
ist, eine solche Regel nahelegt.
Die Vorstellung besteht also darin, dass bereits die Reize der einzelnen
Sinnesrezeptoren
einander
vorauszusagen
versuchen,
also
Voraussageverbindungen zueinander eingehen. Von Ebene zu Ebene der
Verarbeitung werden immer komplexere Voraussageverbindungen gelernt. So
ergibt sich die Frage, ob dieser Lernvorgang des Gehirns auch anatomisch sichtbar
ist. Tatsächlich werden fertige Verbindungen mit einer Myelinschicht ummantelt, die
sie isoliert, und den Signalfluss in ihnen beschleunigt. Und es ist, wie erwartet, zu
beobachten, dass die Myelinisierung des Gehirns bei den Projektionsfeldern der
103
Sinne beginnt, und bis in die Pubertät voranschreitet. Erst dann wird z.B. auch der
Frontallappen voll „erobert“ (Spitzer 2000, S.196).
3.4 Regeln zum Zusammenfluss der Signale
Im letzten Kapitel, das ich der hierarchischen Organisation des Wissens gewidmet
habe, wurden nur Beispiele angeführt, die einen zeitlichen Ablauf darstellen. Das
Alphabet ist ein nacheinander an Buchstaben, also ein zeitlicher Ablauf.
Das Gehirn legt eine innere Repräsentation der Welt in Form von Verbindungen an.
Bei zeitlichen Abläufen ist klar, dass diese Verbindungen auch dieses zeitliche
Nacheinander wiederspiegeln. Werden sie abgerufen, so durchwandern wir in
unserer Vorstellung wieder den zeitlichen Ablauf. Wir können den Film nicht
verkehrt ablaufen lassen. Wir sehen niemanden rückwärts gehen, wenn wir an die
Vergangenheit denken. Allerdings ist der Film, da er an Voraussageenden ze rfällt,
in einzelne Ereignisse (Cunks) gegliedert, die wir durchaus in verkehrter
Reihenfolge erinnern können.
Visuelle Informationen sind in dem örtlichen Zueinander neuronaler Aktivität
festgelegt. Wie kann dieses örtliche Zueinander durch Verbindungen abgespeichert
werden? Um diese Frage zu beantworten, müssen einige Hürden überwunden
werden, die über das hinausgehen, was die heutige Gehirnforschung nachweisen
könnte. Das folgende Kapitel ist also dem Ziel entsprungen, ein funktionstüchtiges
Modell zu schaffen, wie es die KI-Forschung braucht. Allerdings ist das Modell nicht
aus der Luft gegriffen. Es lässt sich schlüssig argumentieren, dass auch das Gehi rn
bestimmten Problemstellungen nicht entgehen kann, zum Beispiel dem Problem,
eine zeitliche Reihenfolge der Verarbeitungsschritte festzulegen.
3.4.1 Wann und wie verlassen die Fließsignale eine Redundanzkette?
Während die Zeit in einer linearen Verkettung von Verbindungen beschrieben
werden kann, kommen wir bei der Abspeicherung visueller Informationen nicht
daran vorbei, auch sternförmige Verbindungen zuzulassen, denn Bilder bestehen
aus Flächen und in Flächen gibt es Verbindungen in alle Richtungen, nicht nur in
eine.
Tatsächlich gibt es sternförmige Verbindungen im Gehirn. Die Zentrum/Umfeld
Zellen verbinden zum Beispiel benachbarte Zellen sternförmig miteinander (Hubel
1989, S.185). Benachbarte Zellen des Netzhautbildes fallen meistens in die gle iche
Farbfläche eines Projektionsbildes. Sie sind also oft gleich gereizt. Die
Konditionierungsregeln besagen, dass gleichartige Reize verbunden werden, wenn
sie häufig räumlich und zeitlich nahe aufeinandertreffen. Also müssen die Zellen auf
unterster Stufe der visuellen Wahrnehmung alle mit ihren Nachbarn eine
sternförmige Verbindung aufbauen, und so ist es.
104
Diese Voraussagekette (in unserem Fall eigentlich eine Voraussagefläche) findet ihr
Ende dort, wo ein Voraussagefehler auftritt. Bei der Betrachtung einer weißen
Wand ist nirgends im Bild ein Voraussagefehler. Wohl aber bei der Betrachtung von
Formen. Dabei kommt es an der Kontur zu Voraussagefehlern, da benachbarte
Zellen dort unterschiedlich aktiviert sind. Die Voraussagefehler führen zur Gründung
von Chunkzellen. Alle diese Chunkzellen liegen auf den Konturen.
Nehmen wir nun an, dass diese Konturzellen auf eine neue Ebene übertragen
werden, und dort ihrerseits wieder versuchen Verbindungen aufzubauen. Es starten
also, ausgehend von den Konturen, Fließsignale, die der Verbindungsfindung
dienen:
Die Mittelpunkte der gefundenen Verbindungen ergeben nun, wie die Grafik zeigt,
das Symmetrieachsenskelett von Formen. Diese Mittelpunkte können sich ihrerseits
verketten und Chunkzellen beliefern. Die einer solchen Kette zugeordnete
Chunkzelle spricht dann nur an, wenn das Objekt zu sehen ist. Sie erkennt das
Objekt.
3.4.2 Warum solche räumliche Verbindungen nicht entstehen
Die Grafik vermittelt den Eindruck, dass, wenn das Gehirn alle Informationen in
Form von Verbindungen darstellt, etwas derartiges im Gehirn vorgehen müsste.
Aber eigentlich kann dies nicht so sein. Die Verbindungen zum Objektzentrum hin
werden sich nicht bilden, denn es gilt das Gesetz der Nähe. Konturzellen werden
sich also miteinander zu Linien verketten, aber nicht die weite Strecke zu einer
anderen Kontur überbrücken.
Werden sich dauerhafte Verbindungen bilden? Wenn wir die statistischen Regeln
auf die Sache anwenden, so kommen wir zu dem Ergebnis, dass sich kaum
dauerhafte Verbindungen bilden werden. Dort hieß es nämlich, dass die Verbindung
105
„auf A folgt B“ nur dann beibehalten werden darf, wenn B meist von A angekündigt
wird, und selten alleine auftritt. Die Zellen, die sich im obigen Beispiel miteinander
verbunden haben, sind aber sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Zukunft,
meist in anderen Kombinationen aktiviert worden. Das heißt sie werden nur äußerst
selten genau in dieser Verbindungskombination auftreten. Die unter ste Ebene, die
der Konturfindung dient, mag ihre Verbindungen halten können, denn auch in
anderen Bildern werden benachbarte Zellen häufig gleich gereizt sein. Die
Verbindungen,
welche
zum
Symmetrieachsenskelett
führen,
und
alle
übergeordneten Verbindungen werden jedoch schon von der nächsten
Wahrnehmung wieder überschrieben werden. Das heißt Formen können so nicht
dauerhaft erinnert werden.
An unserem Modell stimmt also momentan etwas nicht. Die Statistik ist aber
unanfechtbar. Also müssen wir damit leben, dass örtliche, bzw. räumliche Bezüge
höherer Ordnung nicht dauerhaft durch örtlich fixe Verbindungen gespeichert
werden können. Tatsächlich findet man im visuellen System des Säugetierhirns ja
auch nur niedrige Verarbeitungsstufen, wie sie zum Herausfiltern von
Helligkeitsgrenzen, Farbgrenzen, Bewegungskonturen, Tiefenverarbeitung und
Richtungserkennung notwendig sind, durch örtliche Verbindungen repräsentiert
(Hubel 1989). All diese Faktoren kommen aber in jedem Bild vor, und können sich
deshalb statistisch dauerhaft behaupten.
Außerdem birgt die Idee, Formen durch dauerhafte räumliche Verbindungen zu
speichern auch noch andere Detailprobleme, wie zum Beispiel die große Anzahl an
Verbindungen, die nötig wäre, um eine Form zu erfassen. Auch würde die Form in
dem Moment nicht mehr erkannt, wo sie verschoben wird, bzw. es müssten wieder
neue Verbindungen gegründet werden. Das Selbe gilt, wenn die Form verdreht,
verkleinert, oder anders beleuchtet erscheint. Und der Gipfel des Übels besteht
darin, dass wir letztlich keine Regel kennen, die die Vielzahl an Verbindungen
vereinen könnte, die dann ein und die selbe Form in verschiedenen Situationen
repräsentieren.
3.4.3 Die Abziehbildcodierung
Wenn nun die Verbindungen, welche zum Symmetrieachsenskelett führen, nic ht
aufrecht erhalten werden, so ergibt sich die Frage, wie dann Wiedererkennen von
Formen möglich ist. Das bisherige Modell arbeitet doch mit derartigen
Fließsignalen. Warum sollten sie hier plötzlich keinen Sinn mehr ergeben?
Faktisch ist es so, dass die Fließsignale durchaus noch immer Sinn ergeben. Nur
dienen
sie
nun
nicht
mehr
der
Verbindungsfindung,
sondern der
Verbindungsnutzung. Verbindungen sind ja da. Jede Zelle ist mit ihren Nachbarn
verbunden
worden.
Nur
die
höheren
Verbindungen,
zu
den
Symmetrieachsenskeletten entstehen nicht.
Die Frage ist, wozu sind überhaupt Verbindungen gut, wenn nicht dazu, dass darin
Signale fließen. Stellen wir uns also ein Verbindungsnetz vor, in dem jed e Zelle mit
106
ihren Nachbarn verbunden ist. Wie sollen denn darin Signale fließen? Wo und wann
sollen denn solche Signale entstehen? Es macht keinen Sinn Verbindungen
aufzubauen, wenn darin keine Signale fließen. Aber wozu könnte ein solcher
Signalfluss gut sein?
Wir wissen, dass auf der primären Sehrinde die Seheindrücke als flächiges
Reaktionsbild vorliegen. Dieses Reaktionsbild wird auf Ebenen aufgeteilt, die für
Farbe, Struktur, Bewegung, Tiefenzuordnung usw. stehen. Danach geschieht mit all
diesen flächigen Reaktionsbildern irgendeine Transformation, und einen Schritt
weiter, sind im Schläfenlappen auf einmal Formen und Objekte erkannt (Damasio
1993, S.51). Aus meiner Sicht kann das, was an dieser Stelle des Säugetiergehirns
passiert, nichts anderes sein, als eine Codierung der flächigen Informationen auf
Zeit, denn Information muss grundsätzlich entweder Zeit oder Raum in Anspruch
nehmen, um existent zu bleiben. Entweder ich schicke sie durch viele räumlich
nebeneinanderliegende Leitungen in einem Stück, oder ich schicke sie durch
wenige Leitungen nacheinander, also zeitcodiert, wie die Zeilen des Fer nsehbildes.
Wie könnte eine solche Zeitcodierung aussehen?
Die Antwort ist ganz einfach. Wir lassen durch die Verbindungen Signale fließen,
und die Zeitspanne, die der Signalfluss anhält, beschreibt die räumlichen Distanzen,
die durchflossen werden. Aber wo können die Signale starten? Natürlich von den
Voraussageenden, also von dort, wo die derzeitige Verbindung ihre Gültigkeit
verliert. Das sind in unserem obigen Beispiel die Konturen. Der entstehende
Signalfluss entspricht dann genau den Zeitlinien, mit denen die Objekte der Grafik
gefüllt sind. Tatsächlich legen Studien Nahe, dass im Gehirn zum Beispiel
Farbinformationen von den Konturen in die Objektflächen wandern (Spillmann u.a.
2000).
Wie kann nun die Zeitdauer des Durchflusses weitervermittelt werden? Nehmen wir
uns als anschauliches Beispiel ein Abziehbild. Wir ziehen das Bild nun von den
Voraussageenden, also den Konturen, her ab. Die abgezogene Fläche wandert
dabei zur Mitte, so wie in der Grafik dargestellt:
107
Ich fand auch noch zwei ähnliche Möglichkeiten mit dem gleichen Effekt, a uf die ich
hier nicht näher eingehen will. Wichtig ist, dass wenn nun auch noch mitvermittelt
werden kann, wie viele Signale zu einem Zeitpunkt jeweils zusammenfließen
(Reizanzahl), dass dann auf diese Weise die ganze Forminformation zeitc odiert aus
der Ebene tritt. Auf das Problem der Auswertung zeitlicher Information werde ich im
übernächsten Kapitel Antwort geben.
Wieso aber führt der Signalfluss nun aus der Ebene, und bleibt nicht in der Eb ene,
wie bei den Kämmsignalen. Die Antwort ist einfach: Die Kämmsignale treten bei der
Verbindung entfernter Reize auf einer nicht gereizten Fläche auf. Hier aber erhält
die ganze Fläche einen Reizinput. Die Signale können also nicht retour wandern,
weil Zellen die gereizt sind nicht aufnahmefähig sind. Außerdem sind die
Verbindungen ja schon gefunden. Wie oben erwähnt ist jede Zelle mit ihren
Nachbarn verbunden. Es geht hier also genaugenommen gar nicht mehr um
Verbindungsfindung, sondern um Verbindungsnutzung, also um den Signala bfluss.
Wieso werden die vorhandenen Verbindungen an den Objektgrenzen, wo
benachbarte Zellen unterschiedlich gereizt sind, nicht wieder getrennt? Weil die
momentane Erfahrung, den Bayes-Regeln zufolge, nicht sofort die Unzahl von
vergangenen wiederholten Erfahrungen überschreiben kann, wo benachbarte Zellen
gleich gereizt waren. So wird die Kontur nur als Ausnahme, d.h. als
Voraussagefehler wirksam.
Wir
befinden
uns
also
bereits
eine
Verarbeitungsstufe
über
der
Verbindungsfindung, bei der Frage, wie Signale durch die Verbindungen fließen.
Tatsächlich ist diese Frage nur bei zeitgleich entstandenen Verbindungen durch den
Abziehbildsignalfluss zu beantworten. Solche Und-Verbindungen haben nämlich,
anders als zeitliche Verbindungen (Dann-Verbindungen), keine vorgeschriebene
Richtung, und würden wir keine Regeln für den Signalfluss festlegen, so könnten
die Signale innerhalb zeitgleicher Und-Verbindungen bis in alle Ewigkeit im Kreis
108
herumwandern. Jedes sinnvolle neuronale Modell kommt also um die Festlegung
einer Signalflussrichtung in Und-Verbindungen nicht umhin! Allerdings bieten alle
neuronalen Netze, die ich kenne, dazu nicht mehr an, als Fließrichtungen von den
Sinnen nach oben (Bottom-Up) oder von einer Zieldefinition nach unten (Top-Down)
vorzuschreiben. Nach 10 jähriger unfruchtbarer Diskussion, was der richtige Weg
sei, sollte eigentlich allen klar sein, dass es nicht nur diese zwei Wege geben kann.
Der Start des Signalflusses beim Voraussagefehler bietet ein völlig neues Ko nzept,
dessen überragende Leistungsfähigkeit ich mit dieser Arbeit darstellen möchte.
Genaugenommen fließen die Signale innerhalb von Und-Verbindungen in meinem
Modell vorerst gar nicht, weil ein Signal nicht weitergeben werden kann, so lange
alle verbundenen Zellen gleiche Reizintensität haben. Wir erinnern uns: Eine
gereizte Zelle kann kein Signal empfangen, also kann auch keine Zelle einer
gleichgereizten Gruppe ein Signal an ihre Nachbarzelle abgeben. Nur wenn diese
schwächer gereizt ist, als die sendende Zelle, kann ein Signalfluss zustande
kommen.
Es muss also an den Rändern der Fläche, wo die Voraussagefehler auftreten, zu
einem verstärkten Impuls kommen, der dazu führt, dass ein Signalfluss
zustandekommt. Tatsächlich hat uns die Theorie des eigenen Impulses beim
Auftreten eines Voraussagefehlers, ja bereits bei der Gründung von Chunkzellen
als Regel gedient. Im weiteren wird sie uns zu einem schlüssigen Modell der
Aufmerksamkeitslenkung
führen.
Ziehen
doch
unerwartete
Ereignisse
(Voraussagefehler) immer unsere Aufmerksamkeit auf sich (Goldstein 1997, S.33).
3.4.4 Wie stark sind Signale, die sich verbinden?
Verbinden können sich nur Signale, die zeitgleich am selben Ort zusammenla ufen.
Angeblich wird Signalstärke im Gehirn durch Signaldichte repräsentiert (Hubel
1989, S.23). Also kann nur dann eine gute Verbindung zustande kommen, wenn
ähnliche Dichte vorliegt, denn nur dann findet sich für jeden Einzelimpuls zeitgleich
ein Gegenimpuls. Nach den bayesianischen Regeln muss in diesem Fall eine
Verbindung zustande kommen. Da der Begriff „Signalstärke“ aber anschaulicher ist,
werde ich ihn weiter verwenden. Dann gilt also: Es können nur Signale gleicher
Stärke miteinander verbunden werden.
Wie stark können überhaupt zusammenfließende Signale sein? Dies ist abhängig
davon, wie die Ebene, auf der die Signale zusammenfließen, verschaltet ist. Sind
die Zellen der Ebene mit allen ihren unmittelbaren Nachbarn verbunden, so ergeben
sich pro Zelle in unserem künstlichen System maximal sechs Signale, die
zusammenfließen können. Dies stellt dann den maximalen Input dar.
Als Adaption wird die Fähigkeit der Sinne verstanden, sich an verschiedene
Reizintensitäten anzupassen. Es ist bekannt, dass Zellen ihre Sensitivität den
Bedingungen anpassen, so dass ihr Reizumfang voll ausgeschöpft werden kann.
Dies ist natürlich ein zeitlicher Effekt, der nur Sinn hat, wenn er nicht die zeitlichen
109
Inputs aufhebt. Das bedeutet, Adaptionsprozesse müssen deutlich langsamer
ablaufen, als die durchschnittliche Aktivierungshäufigkeit.
Die Adaption müsste nach einiger Zeit dazu führen, dass die Zellen einer Ebene, in
der jede Zelle mit all ihren Nachbarn verbunden ist, nur dann maximal reagieren,
wenn von all ihren Nachbarn ein maximaler Reiz eintrifft, denn das ist der maximale
Input, den sie auf dieser Ebene erhalten können. Auf einer Ebene, wo jede Zelle nur
mit zwei Nachbarzellen verbunden ist, ist der maximale Input dann gegeben, wenn
diese Beiden maximal senden. Auf einer Ebene, wo jede Zelle mit sechs
Nachbarzellen verbunden ist, sind sechs Signale nötig, um sie maximal zu
aktivieren.
3.4.5 Die notwendige Unterscheidung von Reizstärke und Reizanzahl
Das Gehirn zeigt uns, dass nicht nur Verbindungen von zwei, sondern von beliebig
vielen Signalen möglich sind. Es wird ja zeitlich und räumlich Nahes verbunden. Es
gibt durchaus Situationen wo mehr als zwei Neuronen wiederholt mit der gleichen
zeitlichen und räumlichen Distanz zueinander aktiviert werden, und somit alle zu
einer Verbindung zählen. Die Zentrum/Umfeld-Zellen im Sehsystem sind ein
solches Beispiel einer sternförmigen Verbindungsgruppe.
Wenn wir vom Modell des Abziehbildsignalflusses ausgehen, so zeigt die folgende
Grafik Ausgangspunkte, die so verteilt sind, dass ihre Signale zeitgleich am se lben
Ort zusammenlaufen. Dort sollte also eine Verbindung von mehr als zwei Si gnalen
zustande kommen.
Bei diesem Zusammenfluss soll es aber nicht zu einer Vermischung zwischen 1. der
Stärke (Dichte) der zusammenfließenden Signale und 2. ihrer Anzahl kommen. Aber
wie können diese beiden Informationen im Gehirn erhalten bleiben?
Würde die Trennung von Stärke und Anzahl nicht aufrechterhalten, so käme es in
folgendem Fall zu einer Verwechslung: Wenn die verbundenen Zellen nur mit halber
Kraft senden, dann kommt es nur zu halber Aktivierung der Gesamtverbindung. Zu
halber Aktivierung kommt es aber auch, wenn nur die Hälfte der Zellen senden,
denn dann ist ebenfalls nur der halbe Input da. Es stellt sich also die Frage, wie
diese Situation von der ersteren unterschieden werden kann.
110
Die Antwort liegt in den Antizellen, die wir schon bei der Darstellung hemmender
Verbindungen kennengelernt haben. Ist ein Signal nur halb aktiv, so ist ja auch die
Antizelle noch halb aktiv, denn ihre Reizung ist immer negativ zu der der Zelle (Man
bedenke, dass das Negativ von Grau ebenfalls Grau ist). Also fließt auch dort ein
Signal halber Stärke zusammen, wenn alle Zellen mit halber Kraft senden. Senden
hingegen nur die Hälfte der Zellen mit voller Kraft, so senden die Antizellen gar
nicht, also kommt es dort zu gar keinem Signal. Die beiden Situationen können
also unterschieden werden.
3.4.6 Konkretisierung der Signalcodierung für die KI-Forschung
Die Idee, dass visuelle Information durch Fließzeiten zeitcodiert werden kön nte,
wird neue Experimente in der Neurophysiologie provozieren. Es ist, nachdem man
die synchron pulsenden Neuronen entdeckt hat, bereits abzusehen, dass
Zeitcodierung das Forschungsgebiet der Zukunft in der Neurophysiologie darstellt.
Die Idee der Zeitcodierung stellt aber auch ein neues Konzept für die KI -Forschung
dar. Wenn die Form eines Objektes auf einen einfachen zeitlichen Code reduziert
werden kann, unabhängig von deren Lage und Größe, dann ist visuelles
Wiedererkennen kein Problem mehr, denn die zeitlichen Codes brauchen wenig
Speicher und können somit jederzeit mit den gegenwärtig eintreffenden
Sinnesreizen verglichen werden.
Damit das funktioniert, muss allerdings sichergestellt werden, dass jede
differenzierbare Form auch ihren eigenen Zeitcode erhält. Auch muss jede Art von
Grafik zeitcodierbar sein. Ich habe mich lange mit dem Thema beschäftigt, und
glaube, die dafür nötigen Regeln zu kennen. Wichtig ist, dass diese Regeln
allesamt darin festgelegt werden müssen, wie Neuronen miteinander
kommunizieren bzw. interagieren. Abgesehen vom Neuron soll das Modell keines
übergeordneten Steuerungssystems bedürfen. Die folgenden Überlegungen sind
also an den Praktiker gerichtet, der ein solches System umsetzen will, und Regeln
dazu braucht. Er wird nicht warten, bis die Neurologie so weit ist, diese Regeln zu
überprüfen, für ihn ist nur wichtig funktionstüchtige Regeln zu kennen. Andere
Leser mögen die folgenden fünf Textseiten einfach überspringen.
3.4.7 Der Abfluss der Signale am Beispiel räumlich getrennter Punkte
Wir wissen, dass das Gehirn alle Informationen durch Verbindungen beschreibt.
Würde es alle erdenkbaren räumlichen Bezüge durch Verbindungen abspeichern,
für jede abgespeicherte Verbindung ein Neuron gründen das diese Verbindung
repräsentiert, und dann den räumlichen Bezug solcher Neuronen durch weitere
Verbindungen abspeichern, denen wieder Neuronen zugeordnet werden usw., dann
käme es an kein Ende. Die folgende Grafik beweist, dass ausgehend von drei
Ausgangspunkten, bereits ein unendlicher Verbindungsprozess in Gang k äme,
zumindest wenn die Feinheit der Auflösung unendlich wäre.
111
Tatsächlich führt das bisher besprochene Signalflussmodell, wenn es richtig
verstanden wird, nicht zu der hier dargestellten Verbindungsflut. Um zu verstehen
warum nicht, vergegenwärtigen wir uns doch noch einmal die Grafik mit den
Symmetrieachsenskeletten. Wir sind dort davon ausgegangen, dass auf unterster
Ebene der visuellen Verarbeitung, alle Zellen mit ihren Nachbarn verbunden sind.
Sie sagen voraus, dass der benachbarte Bildpunkt meist gleich gereizt ist. An den
Konturen kommt es zum Voraussagefehler. Von dort startet das Fließsignal. Es
durchwandert die Verbindungskette (Verbindungsfäche), die aus einer Unsumme
von Verbindungen besteht, und bündelt die gesamte Information in deren Zen trum.
Dort kann sie nicht mehr weiterfließen und tritt aus der Ebene. Die
Verbindungskette im obigen Beispiel besteht demgegenüber nicht aus einer
Unsumme von Verbindungen, sondern aus genau 6. Die Verbindungen werden im
visuellen System keinen dauerhaften Bestand haben, aber vorerst werden sie
geknüpft und bleiben zumindest lange genug aufrecht, damit die Information
zeitcodiert werden kann.
Es bleiben 6 Verbindungen, auch wenn sie über andere Zellen hinweg geknüpft
wurden! Sie ergeben eine vorläufig vorhandene Verbindungskette, der ein
Chunkneuron zugeordnet werden könnte, aber nur eines, nicht 4. Wollen wir nun
ein Signal von den Voraussageenden durch die Verbindungskette fließen lassen, so
stoßen wir auf das Problem, dass alle drei Ausgangspunkte nicht voraussagbar
sind. Also soll von allen drei aktiven Neuronen ein Signal starten. Ein Neuron kann
112
aber nur dann ein Signal eines anderen aufnehmen, wenn dieses stärker ist als sein
eigenes. Ansonsten kommt es zu einem Gleichgewicht der Kräfte. Deshalb können
die Signale nirgends anderes hinfließen, als in das Zentrum des Dreiecks. Im
Zentrum tritt also die gesamte Information zeitcodiert aus der Ebene.
(Eigentlich sollte auch in Gleichgewichtssitutationen, wie zum Beispiel bei einer einzigen
Verbindung von zwei Ausgangspunkten, ein Abfluss des Signals möglich sein. Welche
Zelle dann an welche ihr Signal weitergibt, entscheidet der Zufall. Aber eine
Zufallsentscheidung ist ja im obigen Fall nicht nötig. Es gibt ja ein O bjektzentrum, in dem
die Signale zusammenfließen können.)
Wie kann eigentlich die gesamte Information über die örtliche Verteilung der Punkte
in diesem einen Signal enthalten sein, das nun die Ebene verlässt? Ganz ei nfach.
In der Signallänge ist die Länge der Verbindungen, in der Reaktionskonstell ation
von Zelle zu Antizelle die Zahl an zusammenfließenden Reizen, und die Reizstärke
codiert. Nun bleibt nur noch die Frage, wie eine regelmäßige von einer
unregelmäßigen Punktanordnung unterschieden werden kann.
Die folgende Grafik zeigt 4 Punkte, die unregelmäßig auf einer Kreisbahn verteilt
wurden. Keiner der Punkte kann vorausgesagt werden. Sogesehen gibt es keinen
stärkeren Voraussagefehler, von dem aus die Fließsignale starten könnten. Aber es
besteht trotzdem ein Ungleichgewicht innerhalb der Kreisbahn. Nach dem Gesetz
der Nähe, sind nahe Verbindungen stärker. Neuron 3 wird seine Aktivität nahezu in
gleicher Stärke auf 2 und 4 aufteilen wollen, da die Verbindungen dorthin n ahezu
gleich kurz sind. 2 und 4 bevorzugen es, einen Großteil ihrer Aktivität zu Neuron 3
zu schicken, weil zu Neuron 1 ein großer Abstand zu überwinden wäre. Siegen wird
Neuron 4, weil es näher zu 3 ist als Neuron 2. Dort wird also das Signal der
Kreiskette zu fließen beginnen (rot). Die anderen Signale folgen.
Abgesehen davon wird wohl jedes Neuron auch einen Teil seiner Signalstärke in
das Objektzentrum schicken. Vorerst entstehen also zwei Fließsignale
(Zeitcodierungen), die aber auf höherer Verarbeitungsebene ihrerseits
zusammenfließen
können.
Das
Gesamtsignal
repräsentiert
dann
die
Punktverteilung.
Im Endeffekt ist das Merken und Wiedererkennen von Punktanordnungen wie der
hier gezeigten, schon äußerst aufwendig, und zwar nicht nur für unser künstliches
113
System, sondern auch für das menschliche Gehirn. Das zeigt sich, wenn wir sie in
einem Fragebogen verdreht präsentieren, und ähnliche Punktanordnungen zum
Vergleich anbieten. Das menschliche Gehirn ist einer solchen Aufgabe verblü ffend
wenig gewachsen. Formen, die im Fließprozess zu deutlich unterscheidbaren
Symmetrieachsenskeletten führen, sind hingegen viel leichter zu erinnern. Die
meisten Naturformen sind solche Formen.
3.4.8 Warum wir Form und offene Linie unterscheiden
Wenn die Punkte zu sehr auf eine Seite der Form gedrängt werden, wie in der
folgenden Grafik, so werden sie nicht mehr als Elemente einer Form gedacht,
sondern als gekrümmte Linie. Wieso eigentlich? Es ergibt sich kein Zentrum, wo
die, für die Verbindungsentstehung notwendige Situation entstünde, dass die
Signale nicht mehr weitergegeben werden können, und somit zurückfließen. Es
kommt in diesem Fall, an der Stelle wo sich die Signale treffen, zu einer
Verschmelzung und einer Weitergabe der Signale, aber nicht zu einem Rückfluss,
der für die Entstehung einer Verbindung notwendig wäre. Das bedeutet, es können
nur Zweierverbindungen zwischen benachbarten Punkten entstehen. Sie ordnen
sich in unserem Denken nicht zu einer geschlossenen Form, sondern nur zu einer
Kette von Zweierverbindungen, also zu einer offenen Linie. Die Linie kann dann von
ihren Enden her durchflossen werden.
Im Rahmen des hier dargestellten Hirnmodells, fallen sowohl Formen als auch
Linien unter den Überbegriff „Redundanzketten“. Auch zeitliche Abläufe sind
Redundanzketten, aber sie enthalten zusätzlich eine Zeitinformation, und haben,
anders als zeitgleiche Verbindungen (Und-Verbindungen), damit eine klare
Fließrichtung. In den hier besprochenen Und-Verbindungen muss erst eine
Fließrichtung gefunden werden. Wir haben angenommen, der Signalfluss startet an
den Voraussageenden. Formen und Linien unterscheiden sich am Ort ihrer
Voraussageenden. Eine Form beginnt an ihren Außengrenzen, eine Linie hingegen
114
an ihren beiden Enden. Eine gekrümmte Linie wird an der veränderten Richtung der
Verbindungen erkannt. Interessanter Weise bedarf es zur Erkennung der Richtung
einer Verbindung keiner neuen Regeln. Ich werde im Anschluss an das Model
zeigen, dass die vorhandenen Regeln ganz automatisch zu Ebenen führen, die
richtungsspezifisch reagieren. Da sich diese Ebenen alle auf der selben Stufe der
Verarbeitungshierarchie entwickeln, sind sie im Gehirn auf einer Fläche ineinander
verwoben, und ich spreche von Quasiebenen, weil sie optisch nicht als Ebene
erscheinen, es von ihrer Verbindungsstruktur her aber sind. Die richtungssensiblen
Zellen werden Balkendetektoren genannt, und sind im Gehirn nachgewiesen. Aber
dazu mehr im Kapitel „Anwendung des Modells“.
3.4.9 Wann werden Signale kombiniert, wann überschrieben?
In diesem Modell steht die Zeit, die ein Signal braucht, um eine Strecke eines
Reaktionsbildes zu durchfließen, für deren Länge. Dadurch werden visuelle
Informationen zeitcodiert. Als kleinste Einheit in unserem künstlichen System
könnte die Zeit dienen, die ein Signal benötigt, um eine Zelle zu überbrücken. Es
handelt sich dabei um einen unvorstellbar kleinen Zeitraum, wie er für
Schaltvorgänge in der Zelle benötigt wird. Mit der räumlichen Distanz zwischen zwei
Punkten A und B, steigt auch die Zahl der Zellen, die überbrückt werden müssen,
und damit die Zeitspanne.
Die kleinste Einheit der Zeit, ist in unserem Fall der Schaltvorgang in der Zelle.
Damit ist klar, wie lange die „Gleichzeitigkeit“ andauert. Die kleinste Einheit des
Raumes, ist die Zelle. Sie ist der Bildpunkt des visuellen Systems. Wir werden im
Rahmen der Konturrichtungserkennung sehen, dass durch gewisse Tricks sogar
noch Wahrnehmungen unter diesen räumlichen und zeitlichen Grenzen möglich
sind. Aber dazu später.
Nehmen wir nun an, die Zellen eines Bereiches haben in der Vergangenheit mit
ihren Nachbarn eine Verbindung aufgebaut, und diese Verbindungen werden nun
durch eintretende Reize aktiviert. Es kommt zu einem Kettensignalfluss. Aber
welche Regeln gelten, wenn mehrere Signale gleichzeitig aufeinandertreffen?
Vermischen sich die Signale, siegt das Stärkere, oder werden sie irgendwie
miteinander verrechnet? Wie kommt es dazu, dass unser Bewusstsein nur einem
Inhalt zu einem Zeitpunkt folgen kann?
Dass es im Gehirn eine solche Regel geben muss, zeigt sich erst in aller
Deutlichkeit bei den zeitlichen Redundanzketten, durch die Ereignisse im Gehirn
repräsentiert werden. Wenn wir zum Beispiel entscheiden sollen, welche von zwei
Zukunftsvorstellungen die wahrscheinlichere ist, so fließen dabei Signale durch
Verbindungen, und die stärkeren Signale siegen und repräsentieren die größere
Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Vorstellung. Gerade bei Vorstellungen zeigt
sich, dass es keinen Sinn macht, aufeinandertreffende verschiedenartige Signale zu
vermischen. Eine Mischvorstellung ist Unsinn. Wir können uns verschiedene
Ereignisse nur nacheinander vorstellen, nicht gleichzeitig vermischt. Auch könnte
115
aus dem Gemisch nie mehr auf die Originaldaten rückgeschlossen werden. Ein
Gemisch würde zu Datenverlusten führen.
Der einzige Fall, wo ein Zusammenfluss der Signale zu keinen Datenverlusten führt,
ist wenn die Signale zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit gleicher Stärke
eintreffen, also gleichartig sind. Allerdings muss dann, wie wir am Beispiel mit den
Vieleck-Punktverteilungen gesehen haben, auch die Information mitgeliefert
werden, wie viele Signale kombiniert wurden. Das geschieht in Sternverbindungen,
wie schon besprochen, über die Reaktion der Antizelle.
Unsere Regeln für den Zusammenfluss lauten also:
„Beim Zusammenfluss unterschiedlich starker Signale siegt das stärkere. Gleich
starke Signale können hingegen kombiniert werden.“
„Die Antizelle errechnet die Kombination aus den negativierten Reizinputs aller
Zulieferer, und das führt nicht immer zum komplementären Ergebnis im Vergleich
zur Zelle. In einem solchen Fall muss das Signal der Antizelle extra
weiterverarbeitet werden. An diesem Zusatzsignal ist zu erkennen, ob mehrere
starke oder wenige schwache Signale zum Gesamtoutput geführt haben.“
Möglich ist eine sternförmige Verbindung dann, wenn eine Zelle immer zeitgleich
von umliegenden Zellen das gleiche Signal erhält. Sie kann dann zu allen auf
einmal eine Verbindung halten, wobei für diese Verbindungen der gleiche
statistische Wahrscheinlichkeitswert (Bayes) gilt. In diesem Fall sind also mehrere
Signale auf einmal verarbeitbar, da für sie alle die gleichen statistischen Werte
gelten. Das führt zu einer effizienten Verarbeitung. Wir haben ja oben die Regel
aufgestellt, dass gleiche Signale zusammenfließen dürfen. Sternverbindu ngen sind
Orte eines solchen Zusammenflusses.
Damit haben wir den abstraktesten, und somit komplizierten Teil des Modells
abgeschlossen. Für alles Weitere werden sich lebensnähere Beispiele finden, was
die Sache wesentlich verständlicher macht.
3.4.10 Was haben wir damit erreicht?
Der Signalfluss entlang der Redundanzketten führt zu maximaler Komprimierung
der Bilddaten. Außerdem entsteht der gleiche Output, auch wenn das Objekt rotiert
wird. Das ist für das Wiedererkennen wichtig. Zwar genügt es nicht eine einzige
Leitung auf der Bildfläche anzubringen, um die Bilddaten dort hindurchzusenden,
denn es ist ja im vorhinein nicht klar, an welcher Stelle der Bildfläche die
Mittelpunkte von Formen liegen werden. Die Information tritt ja immer an den
Mittelpunkten von Formen aus der Fläche. Auch entstehen vorerst so viele Signale
wie Formen. Also muss von jeder Zelle eine Output-Leitung vorliegen. Aber die
Signalströme, welche die Fläche verlassen, können sich ja danach Kontakte zu
Einheiten suchen, die auf bestimmte Signalrhythmen ansprechen, und die damit die
Formen erkennen. Wir brauchen keine fest vorgegebene Output-Leitung. Das
besondere an dem hier dargestellten Modell ist ja, dass es in der Lage ist, Kontakte
nach Bedarf herzustellen. Der Ort eines Objekts ist also egal. Wenn die Zellen,
116
welche die Signalrhythmen erkennen, die in ihnen enthaltenen Zeitabschnitte relativ
zueinander verarbeiten, so erkennen sie die Formen auch unabhängig von deren
Größe.
Aber ist es nicht eine Ausnahme, die nur auf das visuelle System zutrifft, dass sich
Zeitsignale so elegant nutzen lassen? Nein! denn es ist prinzipiell für das Erkennen
egal, wie der Code aussieht, der ein Objekt repräsentiert. Nichts im Gehirn gleicht
der Welt. Es kommt nur darauf an, dass Gleiches wieder zu gleichen Codes führt,
und die Differenzierung der Codes so geschieht, wie wir die Welt erleben. Auch der
Tastsinn oder der Geruch könnte mit zeitcodierten Signalen arbeiten, beim Geruch
ist dies sogar schon nachgewiesen (WSA 2001.08.08). Die Art der Codes ist kein
Kriterium, denn es gibt keinen Code, der dem Objekt der Welt gleicht. Dies zu
verlangen ist genauso unsinnig, wie dass die Gehirnzellen, welche die Banane
repräsentieren, bananenförmig geformt oder angeordnet sein müssten.
Dass das System die Welt so unterteilt, wie wir sie gegliedert erleben, ist jedoch
durchaus wichtig. Wir würden die Welt nicht in Objekte zerlegt erleben, wenn das
Gehirn die Information nicht auf diese Weise zerlegen würde! Das bedeutet
umgekehrt, dass unsere Begriffsgrenzen auch als Beweis für das hier dargestellte
Modell herangezogen werden können. Der Begriff „Linie“ ist einfach eine
komprimierte Form zu sagen „da ist ein Punkt, und daneben noch ein Punkt, und in
der gleichen Richtung daneben noch ein Punkt und noch einer und...“ Über Begriffe
wie „Linie“ oder „Kurve“ könnten wir nicht verfügen, wenn unser Gehirn nicht fähig
wäre, die Punkte zur Linie zu vereinen, das heißt zu einer Reizkette. Nehmen wir
an, eine Linie läuft quer über die gesamte Netzhaut. Die beteiligten Bildpunkte
können nun auf zwei Arten vereint werden. Entweder sie beliefern über eigens
vorhandene Leitungen alle eine Zelle. Dies ist ausgeschlossen, da sich das
Rezeptionsfeld von Zellen dieses Typs dann über die ganze Netzhaut erstrecken
würde. Solche Zellen gibt es aber nicht, denn die Axone von Neuronen sind in den
Schichten des visuellen Systems nicht so lang (Hubel 1989). Oder es findet ein
Kettensignalfluss über andere Zellen hinweg statt, wie es dieses Modell annimmt.
Es beweist also nicht nur die assoziative Konditionierung die Existenz von
Kettensignalflüssen (Beispiel Rotlicht, Glocke, Futter), sondern auch die Länge der
Axone im Gehirns. Es existieren im Gehirn gar nicht die nötigen Verbindungen, um
ohne Kettensignalflüsse auszukommen.
3.5 Regeln zur zeitlichen Voraussage
3.5.1 Der Unterschied zwischen Vorstellungen und Wahrnehmungen
Vorstellungen dienen dem Gehirn vor allem, um planendes Handeln zu
ermöglichen. Planendes Handeln ist deshalb so schwer zu erklären, weil es
Voraussagen erfordert. David Loye schreibt: „Wer den modus operandi der
117
Voraussage schlüssig erklären kann, würde eine geistige Transformation auslösen,
die noch weit über die Konsequenzen der kopernikanischen, newtonschen,
einsteinschen und freudschen Revolution hinausreicht.“ (Holler 1996, S.328). Na
das sollte ja Motivation genug sein, für die nächsten Seiten!
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Vorstellungen und Wahrnehmungen ist,
dass in Vorstellungen Zeitabläufe schneller durchdacht werden. Das liegt vor allem
daran, dass Wiederholungen nicht seriell gedacht werden müssen. So bleibt unsere
Vorstellung von einer Bergwanderung an ein paar markanten Punkten hängen, wo
wir das Gehen unterbrachen, für eine Jause, ein Foto, einen Blick über die
Landschaft. Wir brauchen uns nicht jeden Schritt nacheinander vorzustellen.
„Gehen“ ist uns ja bereits ein Begriff. So ist unsere Vorstellung einer
Tageswanderung nach einer Minute abgeschlossen. Die Zeiterwartung ist
demgegenüber eine andere Sache. Wir erwarten nicht in einer Minute am Berg zu
sein.
Alles Handeln muss im richtigen zeitlichen Ablauf erfolgen, sonst wird das Verhalten
fehlschlagen. Das bedeutet die Knoten in unserem Verbindungsnetz müssen
zeitsensibel sein. Manche Ereignisse, wie zum Beispiel ein Musikstück, b estehen
sogar nur aus Zeitmustern. Es sind immer Schalldruckverschiebungen, aber deren
zeitliche Frequenzänderungen ergeben die Melodie.
3.5.2 Zwei Arten zeitlicher Vorankündigung: Mit und ohne Verbindungen
Voraussagen müssen nur dann über Verbindungen getroffen werden, wenn ein Reiz
durch einen anderen angekündigt wird. Es gibt aber auch Dinge, die ohne
Ankündigungsreiz eintreten. Zum Beispiel das Geräusch eines weinenden Babys,
das aus der Nebenwohnung durch die Mauer dringt. Trotzdem kann eine gewisse
Erwartungshaltung gegenüber solchen Reizen eingenommen werden, die sich aus
der Häufigkeit ihres Auftretens ergibt. Dies könnte durch eine höhere oder
niedrigere Grundgereiztheit der Zellen repräsentiert sein. Die Grundgereiztheit des
Neurons für Erdbeben ist z.B. höher, wenn unser künstliches Wesen in San
Francisco wohnt, als in Österreich.
Dieser Erwartungs-Grundreiz kann auch in einer Frequenz schwanken. Zum
Beispiel erwarte ich zu jeder vollen Stunde die Glocke der Kirchturmuhr. Dazu
brauche ich kein Vorankündigungssignal von einem anderen Reiz. Die Zeit gibt den
Impuls. Damit Neuronen ihren Erwartungsgrundreiz schwanken lassen können,
müssen sie an einer inneren Uhr teilhaben oder selbst Zeit speichern, zum Beispiel
indem sie Reizlängen aufnehmen wie ein Kondensator den Strom.
Eine Speicherung von Zeit ist eigentlich für jede zeitliche Voraussage notwendig. Es
gibt mehrere Möglichkeiten Zeit zu verarbeiten. Aus meiner Sicht liefern a ber
bestimmte Fähigkeiten und Schwächen des Menschen, was seine Zeiteinschätzung
betrifft, ein klares Bild davon, wie das Gehirn Zeit verarbeitet, bzw. wie nicht. Auch
der Aufbau des Gehirns liefert einen Hinweis. Ich will im Folgenden darauf näher
eingehen.
118
3.5.3 Das Uhr-Modell
Es ergibt sich die Frage, ob es im Gehirn eine Uhr gibt, die für die allgemeine
Verarbeitung zeitgebundener Information zuständig ist. Es scheint, als wäre dies
nicht der Fall. Zwar ist bekannt, dass der Hirnstamm, den Schlafrhythmus, de n
Nahrungsrhythmus, sowie den sexuellen Rhythmus regelt (Kolb, Wishaw 1996,
S.41), aber dieses genetische Programm hat wohl wenig mit der Verarbeitung
zeitgebundener Information, wie der Musik zu tun.
Eine Uhr besteht aus einem Pendel und einer Zähleinheit, die eine genormte
Zeitspanne abzählt. Es gibt keinen Hinweis auf eine Zeiteinheit im G ehirn. Weiters
gibt es keinen Hinweis auf einen Zählbeginn. Wo und wann sollte die Uhr zu zählen
beginnen?
Gegen eine Uhr spricht auch, dass wir Zeiträume mit zunehmender Länge immer
ungenauer erfassen. Wir erinnern uns an Feste, von denen wir nicht einmal mehr
das Jahr angeben können, andererseits kann ein Schlagzeuger eine Genauigkeit
des Taktes erfassen, der ihm sogar ermöglicht ein gutes und ein schlechte
Metronom zu unterscheiden, obwohl die Fehler bei diesen Geräten im Bereich unter
tausendstel Sekunden liegen.
Zeitlängen mit zunehmender Präzision zu erfassen umso kleiner sie sind, käme
einer logarithmischen Skala gleich. So könnte man Zeitlängen als Teil eines Ja hres
erfassen, wobei man nur folgende Teile verwendet: 1, ½, 1/3, ¼, 1/6, 1/8, 1/12,
1/16, 1/24, 1/32, 1/48, 1/64, 1/96, 1/128, 1/192, 1/256, 1/512, 1/768, 1/1024…
Setzen wir diese Serie 64 Schritte fort, so kommen wir auf ein 6442450944-tel des
Jahres, das ist etwa eine 500stel Sekunde. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass
jede Zelle über einen 64 Bit Speicher verfügt, um Zeit zu erfassen. Eine Uhr bildet
Zeit in Form einer linearen Skala ab, die einen fixen Startpunkt (Christus Geburt)
kennt. Wenn das Ziel des Gehirns letztlich darin besteht Zeitlängen durch eine
logarithmische Skala zu erfassen, muss es einen direkteren Weg geben, als erst
Ereignisse mit Uhrzeit zu versehen, und dann die Abstände umzurechnen. Es wurde
auch noch kein Ort im Gehirn gefunden, der einer solchen Umrechnung für alle
zeitlichen Ereignisse dienen könnte.
Weiters sprechen die starken Schwankungen des subjektiven Zeitempfindens
gegen eine Uhr im Kopf. Wenn wir im Krankenhaus liegen und unter Langeweile
und Schmerzen auf den Besuch warten, dauert eine Stunde wesentlich länger, als
bei guter Stimmung auf einer Party.
3.5.4 Das Pendel-Modell
Wenn es schon keine ganze Uhr im Kopf gibt, weil kein absolutes Zeitmaß
festgelegt werden kann, so ergibt sich die Frage, ob nicht vielleicht jedes einzelne
Neuron seine eigene innere Frequenz darstellen kann.
Die Fourieranalyse von Tönen zeigt, dass jedes beliebige Geräusch aus einer
Summe verschiedener übereinandergelagerter Sinuskurven dargestellt werden
119
kann, also als Frequenzspektrum (Goldstein 1997, S.201). Auch die Rezeptoren im
Ohr liefern an das Gehirn die Töne in einzelne Frequenzen zerlegt. Man hat auch
schon versucht, die Fourieranalyse auf die Codierung von Bildern anzuwenden
(Fergus u.a. 1987). Allerdings stellt sich die Frage, wozu das gut sein soll.
Tatsächlich erhält das Gehirn die Klanginformtionen vom Ohr in Frequenzen zerlegt
(Müsseler, Prinz 2002). Aber es würde auch im auditiven System nirgends hin
führen, bei dieser Art der Verarbeitung zu bleiben. An Stelle eines Kanals müsste
es nun eine Vielzahl von Kanälen abspeichern. Ein Musikstück zerfällt für unsere
Ohren in einzelne Instrumente. Die Wellen des Frequenzspektrums sind aber
durchaus nicht einzelnen Instrumenten zuzuordnen, denn jedes Instrument
beinhaltet eine ganze Palette von Wellen (Möckel u.a. 1995), die sich mit denen
anderer Instrumente decken. Wie sollte die zersplitterte Information wieder in die
einzelnen Instrumente getrennt werden? Das Gehirn muss also die Fr equenzen, die
im Ohr getrennt vorliegen, auf höherer Ebene auch wieder zueinander bringen, um
sie zum Beispiel einem Instrument zuzuordnen.
Noch ein weiterer Hinweis spricht dafür, dass die Frequenzanalyse nur eine
Funktion der Rezeptoren des Ohres ist, nicht ein Verarbeitungsmechanismus des
Gehirns. Sinuswellen, die nur einen Halbton auseinanderliegen, erscheinen als
disharmonisch. Überlagern wir hingegen Frequenzen, die jedes zweite oder dritte
mal gemeinsam schwingen, so entsteht eine Harmonie.
Im Fall einer Frequenzanalyse müsste sich der Halbton genauso leicht darstellen
und abspeichern lassen, wie die Harmonie, denn beides besteht nur aus zwei
Wellenlängen. Für das Gehirn sieht das anders aus. Es verarbeitet die Sache wohl
so ähnlich wie die folgenden zwei Muster. Das „harmonische“ Muster hat den
kleineren Rapport. Das ist entscheidend für die leichte Abspeicherung und
Fortsetzung (WSA 2001.04.23).
Disharmonie
Harmonie
Das bedeutet, das Gehirn will nicht mehrere Wellenlängen parallel denken, sondern
es will den Gesamteindruck zu einer Sache vereinen. Dass in höheren Arealen des
Hörsystems Zellen auf bestimmte Periodizitäten ansprechen kann als Beweis für
dieses Modell gesehen werden (Langer 1998). Das passt auch gut zum genannten
Ziel des Gehirns, denn wenn dieses darin besteht, die wahrscheinlichst e Zukunft
vorauszuahnen, dann ist damit eine Zukunft, und nicht mehrere parallele Zukünfte
120
gemeint. Natürlich laufen in der Welt immer viele Ereignisse parallel ab, aber wir
müssen deren Zusammenspiel kennen, um zu wissen, wie wir handeln sollen. Wir
dürfen sie nicht als dauerhaft getrennt betrachten, denn unsere Handlungen sollen
an die wahrscheinlichste der möglichen Zukünfte ausgerichtet werden.
Ich behandle die Problematik der Frequenzanalsyse hier unter der Überschrift
Pendel-Modell. Die Art der Zeitverarbeitung, die ich als „Pendel-Modell“ bezeichne
ist ident mit der Idee, Frequenzen als Zeitmessfaktor zu verwenden. Gegen das
Pendel-Modell spricht die Begrenztheit der Gültigkeit von Pendeln oder
Frequenzen. In der Welt treten viele Dinge in serieller Regelmäßigkeit auf. Zum
Beispiel beginnt ein Hund zu bellen, und es lässt sich voraussagen, dass er noch
eine Weile weiterbellt. Aber dann hört er auf, und das Pendel im Gehirn produziert
einen Voraussagefehler nach dem anderen. Nach einigen solchen Fehlern würde
die Voraussage wieder verlernt, und die gesamte Erfahrung gelöscht.
Noch etwas spricht gegen das Pendel-Modell. Was sollte denn diesem Modell
zufolge abgespeichert werden, wenn nicht die Pendel-Frequenz? Diese müsste
äußerst exakt abgespeichert werden, denn eine geringfügig andere Frequenz würde
im Zusammenspiel mit den gleichzeitig ablaufenden restlichen Frequenzen, die
abgespeichert werden, nicht mehr übereinstimmen. Die Erfahrung zeigt, dass wir
keine exakten Wiederholfrequenzen abspeichern. So ist es zum Beispiel sehr
schwierig, das Tempo eines Musikstückes absolut zu erinnern. Viel leichter ist es
hingegen, das Tempo, das der Dirigent einzählt, fortzusetzen. Genauso verhält es
sich mit Frequenzen. Wir können eine bekannte Melodie
relativ zu einem
vorgegebenen Ton fortsetzen, aber nur wenige können die Melodie immer in der
gleichen Höhe anstimmen, haben also ein absolutes Gehör (WSA 2002.02.21).
Durch das Pendel-Modell ist dieses Phänomen nicht zu erklären. Würden
Ereignisse in Form von überlagernden Frequenzen (Pendellängen) abgespeichert,
so müssten diese Längen exakt vermerkt werden, sonst hat ihre Überlag erung
nichts mehr mit dem ursprünglichen Ereignis gemein.
3.5.5 Das Sanduhr-Modell
Anders als das Pendel, erfasst die Sanduhr eine Zeitlänge, nicht eine Frequenz. Die
Sanduhr startet nach ihrem Ablaufen also nicht automatisch mit dem nächsten
Durchgang. Es wird nicht erwartet, dass der Hund in unserem obigen Beispiel ewig
weiterbellt.
Auch muss die Sanduhr durch irgendetwas gestartet werden. Das kann ein anderes
Ereignis sein. Wir erleben die Welt als eine Verkettung von Ereignissen, die
einander auslösen.
Eine Sanduhr funktioniert nach dem Prinzip des Füllens und Umfüllens. Das ist ein
Prinzip, das auch für Neuronen vorstellbar ist. In der Elek tronik könnten
Kondensatorähnliche Bauteile diese Aufgabe übernehmen. Die Füllmenge der
Sanduhr muss nicht vorgegeben sein, sondern könnte von einem davor
121
ablaufenden Ereignis übertragen werden. Das würde erklären, wie wir es vermögen,
den Takt fortzusetzen, den der Dirigent vorgibt.
Abgespeichert würden dann nicht direkt die Füllmengen, sondern Relationen bzw.
Differenzen von Füllmengen. Es würde durch Verbindungen festgelegt, welche
Ereignisse miteinander in Bezug stehen und eine Zusatzinformation, die
„Füllmenge“ würde die Zeitlängen der Ereignisse relativ zueinander beschreiben.
Wenn wir nun erkannt haben, dass Füllmengen ausreichen, um Zeit zu
repräsentieren, dann ist auch klar, dass wir als Zeiteinheit etwas brauchen, das wir
als Füllstoff verwenden können, wie die Sandkörner der Sanduhr. Wenn wir diese
Idee auf das Gehirn umlegen, so ist es das Signal des Neurons, das als Füllei nheit
dienen kann. Ist ein Neuron für eine gewisse Zeitspanne aktiv, so sendet es
innerhalb dieser Zeit eine Anzahl an Impulsen. Sie sind die Füllmenge, die die Zeit
repräsentiert, in der das Neuron aktiv war. Tatsächlich gibt es aus der
Neurophysiologie einen klaren Hinweis auf dieses Prinzip. Bei der Erforschung der
neuronalen Reaktionen im auditiven System, ist man darauf gestossen, dass oft die
Zeiteinheit von 0,4 ms auftritt, bzw. deren Vielfache. 0,4 ms ist die maximale
Impusrate der Neuronen (Bleeck 1996).
Nun ergibt sich noch die Frage, wie das Gehirn dann Frequenzen verarbeiten kann,
die weit schneller schwingen als dieses Maß. Zur Beantwortung dieser Frage will ich
an das Frequenzspektrum erinnern, in das der Schall bereits im Ohr zerlegt wird.
Die Tonale Anwendung wird bis auf die Hirnrinde übertragen. Klang präsentiert sich
dort also als Klangbild (Ehret 1997, Seifert 2002, S.40). Die Maximale
Verarbeitungsrate dieser Klangbilder ist 0,4 ms. Die Bildinformation lässt aber
erkennen, welche hohen Frequenzen vorliegen.
3.5.6 Das Reihenfolge-Modell
Das Sanduhr-Modell hat uns darauf gebracht, die Zeitlänge eines Signals als
Menge an Impulsen zu definieren, die eine Zelle in dieser Zeit sendet. Woran
erkennen wir nun, dass diese Zeitlänge zu Ende ist? Die Zelle sendet irgen dwann
nicht mehr. Irgendwann wird sie wieder senden. Woran erkennen wir die Lücke
dazwischen?
Bei der Verarbeitung visueller Reize, haben wir uns der „Antizellen“ bedient, die
immer negativ zu einer Zelle arbeiten. Das heißt sie senden dann, wenn die Zelle
pausiert. Wenn wir dort solche Zellen angenommen haben, warum dann nicht auch
hier. Die Aktivität der Antizelle repräsentierte dann die Lücke. Ein Rhythmus von
Impulsen stellt sich dann als Folge von Signalen und Lücken dar.
Zeitlich Nahes wird bekanntlich eher verbunden, als Entferntes. Also werden auf
unterster Ebene erst einmal Verbindungen zwischen benachbarten Impulsen
entstehen. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die Folge 1,0, und die Folge 1,1 sowie
jeweils deren Negativ (Antizellenreaktion).
Die Folge 1,1 spricht natürlich auch während längerer Signale ständig an. So
spricht sie auf vier Impulse zweimal an. Das bedeutet, im Gehirn sollten auch
122
selbstproduzierte Periodizitäten auftreten, die nicht direkt den akustischen Reizen
entspechen, sondern die sich aus der maximalen Impusfrequenz erklären. Genau
solche wurden gemessen (Langer 1998).
Nun ergibt sich noch die Frage, ob die beiden Einser der Folge 1,1 von der selben
Zelle repräsentiert werden, oder von zweien. Grundsätzlich gilt im Gehirn durchaus
die Regel, dass ein gleichartiger Stimulus wieder von der selben Zelle repräsentiert
wird. Ein Beispiel sind die Balkendetektoren im Sehsystem. Allerdings scheint auch
die Regel zu gelten, dass eine Zelle, die gerade erst aktiv war, eine kurze Pause
benötigt (Coolspot), bis sie wieder aktiv werden kann (Ehret 1997). Diese Regel
haben wir auch benützt, um das Vorwärtsfließen der Kämmsignale zu erklären.
Außerdem sind wir davon ausgegangen, dass wenn ein Reiz nicht aufgenommen
werden kann, eine neue Verbindung entsteht. Aus all dem ergibt sich folgendes:
Der erste Impuls 1 wird von der nächstgelegenen Zelle aufgenommen, die in
Zukunft diese 1 repräsentiert. Die zweite 1 kann sie nicht aufnehmen, weil sie eine
Pause braucht. Also wird eine weitere Verbindung zu einer Nachbarzelle gegründet.
Hält das Signal noch länger an, so ist die erste Zelle wieder aufnahmebereit.
Abgesehen
davon
könnten
die
1er
Zellen
auch
zueinander
eine
Voraussageverbindung aufbauen, weil sie ja oft nacheinander aktiviert sind. Der
Widerstand dieser Voraussageverbindung würde die Durchschnittstonlänge
repräsentieren.
Zu einer solchen Voraussageverbindung könnte sich auch eine eigene Chunkzelle
ausbilden, die dann die Folge 1,1 repräsentiert. Des weiteren könnte eine
übergeordnete Einheit die zweimal hintereinander eintretende Aktivierung dieser
Zelle erfassen. Sie erfasst dann die Signallänge 1,1,1,1. Es sind auch
übergeordnete Einheiten vorstellbar, die 8, 16, 32 und mehr Impulse erfassen. Das
bedeutet, es würden Neuronenverbände entstehen, die sozusagen zählen können.
Tatsächlich sind zählende Neuronen im Hörsystem entdeckt worden, wenngleic h als
Versuchstier der Frosch diente (Standard 2002.09.02). Am Affen hat Neuronen für
das Zählen von Objekten entdeckt (WSA 2002.09.11).
Das bedeutet, eine einzelne Zelle braucht nicht die Fähigkeit besitzen, eine
bestimmte Füllmenge an Signalen zu repräsentieren. Eigentlich hat das hier
dargestellte System gar keine neuen Fähigkeiten verlangt. Allein die Erholpause der
Zelle hat zur Zeiterfassung geführt. Interessant ist auch, dass automatisch eine
logarithmische Skala (2, 4, 8, 16, 32…) entstand. Zeit wird also mit zunehmender
Länge immer gröber erfasst. Dies entspricht unserem Denken.
Was in der räumlichen Verarbeitung die Verbindung ist, ist in der zeitlichen
Verarbeitung die Folge bzw. Reihenfolge. Es wird sich zeigen, dass die
statistischen Regeln zur Verbindungsfindung und jene zur Speicherung von Folgen
viele Parallelen aufweisen. Folgen werden, so wie Verbindungen, sich nur dann
dauerhaft im Gehirn verankern können, wenn sie wiederholt auftreten, also öfter
bestätigt, als widerlegt werden. Nehmen wir an, das Bellen eines Hundes stellt sich
als Folge von Reizen und Lücken dar. Es erfolgen einige Wiederholungen. Dann
erfolgt eine längere Lücke, bis zum nächsten Tag, wenn wir den Hund wieder bellen
hören. Die längere Lücke wird aber nicht die wiederholt aufgetretenen kurzen
123
Lücken überschreiben, denn sie tritt nur einmal auf, und hat daher weniger Kraft.
Anders als beim Pendel-Modell, kann also im Reihenfolge-Modell die Erfahrung im
Gehirn durchaus dauerhaft abgespeichert werden.
3.5.7 Wann, und womit beginnt die Zeiterfassung?
Sicher ist, dass auch im Rahmen der Zeiterfassung Verbindungen (Folgen) so lange
aufgelöst und durch neue überschrieben werden, so lange sie eine zu geringe
Wiederholungsrate besitzen. Das heißt, Voraussagen, die öfter widerlegt we rden
als bestätigt, zerfallen. Aber gibt es denn Ereignisse (Folgen), die diesen harten
Regeln zufolge überhaupt bestehen bleiben können? Welche Folgen könnten das
sein? Welche Informationen machen den Anfang?
Um diese Frage zu beantworten, will ich anhand eines kurzen Rückblicks auf das
Modell der visuellen Verarbeitung, eine allgemeine Theorie des Erkenntnise rwerbs
entwickeln, die wir dann auch auf die Zeitverarbeitung übertragen kö nnen.
Es scheint so, als lernten Kinder zuerst die Überbegriffe, bevor sie feiner zu
differenzieren vermögen. Das bedeutet, wenn sie einmal ein vierbeiniges Tier
gesehen haben, erkennen sie das nächste wieder als vierbeiniges Tier. Erst später
lernen sie Hund, Katze und Hase zu unterscheiden. In der Kinderzeichnung fand ich
ein ideales Beispiel, um zu zeigen, dass das Allgemeine wirklich den Anfang bildet.
So könnte man behaupten, in den folgenden Zeichnungen sei erst einmal das Ding,
dann der Mensch, dann die Geschlechterdifferenz, dann der Erwachsene Mann und
die Frau, und schließlich zwei bestimmte Personen dargestellt. Die Kinderzeichnung
schreitet also in ihrer Entwicklung vom Allgemeinen zum Differenzierten. (Aus
Fleisch 1988, S.13). Das Kind entwickelt zuerst recht allgemeine Formen, die es in
vielen Dingen wiederfindet, wie den Kreis, den Strich, das Quadrat und das Dreieck
(Edelmann 1998). Komplexe Formen, wie die mit 12 Jahren gezeichneten Fig uren,
setzt es aus den bereits bekannten Formen zusammen.
124
Dass das Wahrnehmungslernen ebenfalls diesen Verlauf nimmt, kann man an
bestimmten Beispielen auch noch als Erwachsener erfahren. Wenn nach China
übersiedeln, lernen wir die asiatischen Gesichtszüge besser differenzieren. Wenn
uns Autos interessieren, lernen wir die Marken besser unterscheiden. Wahrne hmen
lernen heißt also differenzieren lernen.
Ich nehme an, Differenzieren beruht im auditiven System, genauso wie im visuellen,
auf dem Prinzip, dass Voraussagefehler, an übergeordnete Einheiten
weitergegeben werden. Sobald die übergeordneten Einheiten lernen, den
unvoraussagbaren Rest vorauszusagen, wird die Wahrnehmung konkreter. Das
Differenzierungsvermögen steigt. So können wir z.B. lernen zwischen dem
rhythmischen Rauschen der Brandung, dem Brasseln des Regens, oder dem
pfeifenden Rauschen des Windes im Wald zu unterscheiden. Diffuse Eindrücke,
wie Rauschen, zeichnen sich ja generell dadurch aus, dass sie Bereiche darstellen,
in denen viele erkennende Einheiten ansprechen, aber alle nur in geringem
Ausmaß, ohne regelmäßige Wiederholung.
Auch aus der neurophysiologische Erforschung des visuellen Systems kann man
erkennen,
dass
Wahrnehmung
vom
allgemeinen
zum
Differenzierten
voranschreitet. Die ersten Ebenen, die sich im visuellen System verschalten, dienen
der Trennung der Seheindrücke in ganz allgemeine Eigenschaften, in die jeder
Seheindruck zerlegt werden kann, wie Farbe, Größe, Bewegung (Hubel 1989) und
Flächengliederung. Was einmal gespeichert ist, muss nicht noch einmal gespeichert
werden, und ist einmal alles Wiederholte und Allgemeine erfasst, so ist damit ein
Rahmen geschaffen, in dem sich auch weniger oft wiederholte, also konkretere
Dinge im Gehirn halten können. Sie fußen auf den allgemeinen Eigenschaften, und
stellen spezielle Kombinationen solcher dar.
125
Die genannten Eigenschaften entsprechen den Begriffen, die wir verwenden, um
Seheindrücke sprachlich zu schildern. Deshalb ist anzunehmen, dass sich auch in
den untersten Stufen des auditiven Areals Repräsentationen von Eigenschaften
finden, mit denen wir Höreindrücke beschreiben. Solche Eigenschaften sind
Lautstärke, Tonhöhe (was dem Rapport in Klangwellen entspricht), Tonlänge,
Klangfarbe. Mit dem letzten Begriff geht es Analytikern so ähnlich wie mit dem
Begriff „Form“ im visuellen Bereich. Er ist unkonkret. Immerhin gibt es die Begriffe
hell-dumpf, harmonisch-unharmonisch.
3.5.8 Wie unterscheiden wir Lautstärke und Tempo?
Was die Lautstärke einer auditiven Wahrnehmung betrifft, so ist es wohl die
Impulsdichte der Rezeptoren, die diese kennzeichnet. Aber wie unterscheiden wir
dieses Impulsdichte von der Frequenz? Dies können wir bei hohen Tönen durch die
spezifische Reaktion der Hörrezeptoren des Ohres auf einzelne Frequenzbereiche
erklären. Tatsächlich ist dieser spezifische Reaktionsbereich bei tieferen T önen
nicht mehr gegeben (Bleeck 1996).
So stellt sich die Frage dort von neuem: Wie unterscheiden wir eine Serie von
Einzelreizen von einem durchgehenden schwachen Reiz? Die Lösung liegt
vermutlich in der Antizelle. Sie ist aktiv, wenn nichts zu hören ist, und gehemmt
wenn die Zelle, mit der sie verbunden ist, arbeitet. Leise Töne mögen einen
Sinnesrezeptor nur zu einer sehr geringen Impulsrate anregen, aber seine Antizelle
reagiert gar nicht, während sie zwischen einzelnen lauten Tönen in der selben
Impulsrate „Antiimpulse“ sendet, um die Lücken zu kennzeichnen. (In einer
elektronisch erfassten Tonkurve ist Stille, wo keine Amplitude herrscht. Zwar
wandert die Welle ständig auch durch den Nullpunkt, aber dieser genaugenommen
unendlich kurze Zeitraum gilt nicht als Lücke.)
Die Antizelle ist nicht so umfangreich verschalten wie die Zelle, denn Lücken
zeichnen sich gegenüber Reizen darin aus, dass sie nur eine einzige Eigenschaft
besitzen. Das ist ihre zeitliche Länge. Es gibt keine halben Lücken, denn so lange
ein Reiz noch hörbar ist, ist es ein Reiz. Auch hat die Antizelle keine direkte
Verbindung zu den Sinnen, sondern wird nur über jene Zelle aktiv, deren
ausbleibende Reaktion sie signalisiert. Sie kann aber mit jeder anderen Zelle ganz
normal eine Voraussageverbindung eingehen.
Was das Erkennen betrifft, so stellt eine andere Lautstärke oder ein anderes
Tempo für unser derzeit konzipiertes System ein Problem dar, das anhand einer
Musikaufnahme leicht zu beschreiben ist. Stellen wir uns vor, wir spielen die
Aufnahme lauter ab. Die Rezeptoren unseres auditiven Systems werden stärker
ansprechen, und in der gleichen Zeit mehr Impulse liefern. Nun stellen wir uns vor,
wir drehen nicht nur die Lautstärke zurück, sondern reduzieren elektronisch auch
die Geschwindigkeit. Die Rezeptoren pulsen nun seltener, weil leiser, aber dafür
126
sind die Töne auch länger geworden, so dass im Endeffekt die gleiche Anzahl an
Impulsen bei gleich langen Tönen entsteht.
Das einzige, woran unser System erkennen kann, dass sich etwas verändert hat, ist
die Reaktion der Antizellen. Diese reagieren nicht auf Lautstärke, denn Reizlücken
haben keine Lautstärke. Sie pulsieren noch mit ihrer üblichen Frequenz. So sind es
möglicherweise die Lücken, die die Zeit in das System bringen. Kein Wu nder also,
dass für unser subjektives Empfinden die Zeit in einer reizarmen Umgebung
langsamer fließt.
Wie erkennen wir eigentlich Melodien, wenn sie in einer anderen Höhe abgespielt
werden? Dann sind alle Frequenzen zeitlich verändert. Meine erste Idee dazu,
bestand in der Vermutung, dass wir nicht Zeiten und Zeitdifferenzen erfassen,
sondern Zeitrelationen. Doch müsste auch diesen eine Zeitmessung zugrunde
liegen, denn wovon sollte die Relation gebildet werden. Das Problem mit den
Relationen bestünde aber darin, dass wir auf diese Weise überhaupt keine
Zeiterinnerung hätten. So ist das ja nicht. Wir stimmen ein Lied durchaus in einem
passenden Tempo an. Unserer Zeiterinnerung fehlt es lediglich an Exaktheit. Es
gibt noch einen triftigeren Grund, der gegen eine rein relationale Erfassung von Zeit
spricht. Anscheinend ist für jedes Baby ein absolutes Hörvermögen erlernbar (WSA
2002.02.21). Also steht die absolute Zeiterfassung am Anfang, und wird verlernt,
weil etwas anderes gebraucht wird.
Mein zweiter Lösungsversuch lehnte sich an das Phänomen der Adaption an.
Unsere Sinnesorgane adaptieren an Reizstärken, so dass sie immer ein möglichst
optimales Ergebnis liefern. Warum sollte unser erkennendes System nicht auch
zeitlich adaptieren. Wenn ein Musikstück langsamer gespielt wird, bräuchte das
Gehirn lediglich die maximale Impulsrate der Neuronen etwas zu reduzieren, und
die Zeitwahrnehmung würde wieder zum selben Ergebnis kommen, wie bei der
schneller gespielten Version.
Der neueste, dritte Lösungsversuch besteht darin, zu zeigen, dass wir gar keine
eigene Lösung brauchen. Die findet das System von selbst. In der Umwelt kommen
Reize nämlich sehr oft in verschiedenen Tempi vor. Oft beschleunigt etwas seine
Bewegung, Töne werden höher abgespielt, oder Rhythmen beschleunigen sich.
Dabei macht das Gehirn die Erfahrung, dass ähnliche Zeitmuster oft in
beschleunigter oder verlangsamter Form aufeinanderfolgen. Zwischen den
langsamen und schnelleren Mustern werden sich also ganz automatisch
Verbindungen entwickeln, da Aufeinanderfolgendes verbunden wird.
Die Verbindungen werden auf unterster Stufe der Verarbeitung entstehen. Dort
befinden sich die Teile, aus denen sich alles Höhere zusammensetzt. Wenn dort die
Erfahrung gemacht wird, dass eine Gruppe von kürzeren Teilen mit einer Gruppe
von längeren Teilen auf proportionale Weise verbunden werden kann, so ist für alle
höheren Einheiten der Wiedererkennungsprozesse gelöst. Wir erkennen dann
Musikstücke auch, wenn sie in einer anderen Höhe und Geschwindigkeit abgespielt
werden, wir verlieren das absolute Gehör. Da dann in den höheren Einheiten keine
127
Voraussagefehler mehr entstehen, weil Erkennen geleistet wird, kommt es dort
auch zu keinen weiteren unnötigen Verbindungen. Eine Verbindungsflut bleibt aus.
In diesem Modell werden Zeitlängen durch verschiedene Neuronen verkörpert. Es
gibt keine einheitliche Uhr. Dieses Konzept hat sich auch ein neues neuronales
Modell zur Spracherkennung zueigen gemacht. Mit Erfolg! Es erkennt durch die
flexible Zeiterfassung Sprache so gut wie der Mensch (Spektrum-Ticker
1999.10.04).
3.5.9 Die Ordnung auditiver Verbindungen durch das Prinzip der Blockierung
Wenn wir eine Reizlänge wirklich an der Anzahl der aufeinandergefolgten Impu lse
erkennen sollten, und sich große Zeitlängen aus kleineren bereits bekannten
Zeitlängen zusammenaddieren lassen, dann stehen wir vor dem Problem, dass sich
eine große Zeiteinheit auf viele verschiedene Arten aus kleineren zusammensetzen
ließe. Stellen sie sich vor, aus wie vielen verschiedenen kleineren Zahlen zum
Beispiel eine 8 zusammengesetzt werden kann. Aus 5+3, aus 4+4, aus 6+2, aus
4+2+2 usw. Wie viele Möglichkeiten gibt es dann erst bei wirklich großen Za hlen!
Wenn jede dieser Möglichkeiten auch umgesetzt wird, so könnten in diesem Spiel
alle Neuronen und Verbindungen des Gehirns verbraucht werden, denn die
Zahlenreihe ist unendlich. Was also begrenzt diesen Prozess?
Ist zum Beispiel die Folge 11 vorhanden, und es folgt ein längerer Reiz, z.B.
11111111, dann ist dieser nicht in einem Lernschritt zur Gänze erfassbar, weil ja ein
Neuron in diesem Modell immer nur eine Folge aus zwei nacheinander
erscheinenden Inputs aufnehmen kann. Es wird also zuerst die zweimal
nacheinander erfolgte Aktivierung der 11 an eine neue Chunkzelle weitergeg eben
(also 1111) und eine Stufe höher wird deren Wiederholung repräsentiert (also
11111111). Dass zwischen der wiederholten Aktivierung der Zellen höherer
Verarbeitungsebenen ein größerer zeitlicher Abstand liegt, als bei Zellen der
unteren Ebenen ist irrelevant. Eine Zelle spricht in diesem Modell auf die
Reihenfolge an, nicht auf die Zeit. Andernfalls stünden wir ja wieder am Anfang
unserer Überlegungen, weil dann die Zelle eine innere Uhr bräuchte. Wir haben
beschlossen, dass sich die Zeit in diesem Modell indirekt abbildet.
Wichtig ist hier nur folgende Feststellung: Jede andere Form, eine Folge von 8
Reizen darzustellen, z.B. 2+3+3, hätte mehr als zwei Lernschritte benötigt. So
kommt die Verschaltungshierarchie 248 allen anderen zuvor, weil sie schneller
erlernt wird. Sie stellt den schnellsten Weg dar, die hohen Zahlen zu erobern. Wenn
zum Beispiel die 8er-Serie einmal erlernt ist, und erkannt werden kann, so nehmen
diese Neuronen die ankommenden Signale auf. Die Signale gelangen zu keinen
anderen Neuronen mehr. Deshalb bilden sich auch keine anderen Verbindungen
mehr aus. Das Prinzip besteht also darin, dass der Verbindungszuwachs dadurch
begrenzt wird, dass bereits vorhandene Verbindungen die Reize aufnehmen. Damit
ist eine Voraussage gelungen, und so werden weitere Lernvorgänge blockiert. Das
Prinzip der Blockierung ist durch eine Unzahl an Konditionierungsexperimenten
nachgewiesen (Zimbardo 1995, S.308, Macho 1999, Mischo 2002).
128
Warum aber wird die Erfassung von Mengen und Zeiten mit deren Länge
unexakter? Wie kommt es zu dem Eindruck einer logarithmischen Skala? Die
Antwort darauf sollte nun nicht mehr schwer fallen. Wenn sich manche große
Zahlen, wie 8, 16, 32, 64 durch sehr wenige Lernschritte erfassen lassen, so
werden sie sich zuerst ausbilden, denn sie werden immer auch dann mitaktiviert,
wenn eine noch größere Menge auftritt. Solange diese grobe Erfassung genügt,
erfolgen keine ausreichend starken Voraussagefehler um weitere Lernvorgänge
auszulösen.
Aber was soll das heißen, „keine ausreichend starken Voraussagefehler“? Die
Antwort darauf werden wir im Zusammenhang mit der Lenkung der Aufmerksamkeit
kennen lernen. Die Aufmerksamkeit wird immer dem stärksten Voraussag efehler
zugewandt (wenn nicht gerade etwas trieblich relevantes das System beschäftigt)
(Sperling 1998). Dinge sind so lange „genügend“ erfasst, um nicht weiter verarb eitet
zu werden, solange es stärkere Anziehungspunkte für die Aufmerksamkeit gibt,
deren Verarbeitung im Moment Vorrang hat.
Einen Hinweis auf die bevorzugte Strukturierung von Zeiträumen durch das Prinzip
der Verdopplung (2, 4, 8, 16) liefert die Musik. Wir können in den Takt eines
Metronoms auch einen halb so langsamen Takt hineinhören. Jeder zweite oder
vierte Schlag klingt dann für uns irgendwie anders (Holler 1996, S. 290). Das ist
wahrscheinlich deshalb so, weil eben jeder zweite Schlag von einer
übergeordneteren Zelle erfasst wird.
Um Voraussagefehler dem jeweils stärksten Reiz zuwenden zu können, müssen
diese moduliert signalisiert werden, also schwächer oder stärker, je nach
Entsprechung. Nur so ist eine Aufmerksamkeitslenkung zum stärksten
Voraussagefehler hin vorstellbar. So darf zum Beispiel ein langes Ereignis, das
durch einen extrem kurzen Aussetzer unterbrochen wird, nicht sofort in zwei
Ereignisse zerfallen, es soll weiterhin als langes Ereignis erkannt werden. In der
Palette möglicher Repräsentationen siegt dann jene, die am stärksten anspricht.
Wenn die Unterbrechung zu lange anhält, erkennen wir zwei getrennte Ereignisse,
wenn sie kurz ist, betrachten wir es als ein Ereignis mit einer Störung.
3.5.10 Wie werden Reizverläufe erfasst?
Reize treten nicht immer schlagartig ein, dauern an, und enden dann schlagartig,
sondern es kommt oft zu fließenden Übergängen. Nehmen wir zum Beispiel das
Geräusch eines herannahenden Autos. Es fährt vorbei und verschwindet wieder.
Wie kann ein solcher Verlauf als ein einziger Reiz erkannt werden?
Die Lösung für dieses Problem habe ich mir vom visuellen System abgeschaut. Wie
erkennen wir Grauverläufe? Ganz einfach. Wir vergleichen benachbarte Bildpunkte
und erfassen deren Unterschied. Nehmen wir an, die folgende Graf ik stellt einen
auf und abschwellenden Sirenenton dar. Ich überblende nun das Verlaufsmuster mit
seiner negativen Kopie. Die Bilder werden einander aufheben, so dass Grau
129
entsteht. Nun verschiebe ich die Kopie um ein wenig, so dass zeitlich benachbarte
Einheiten übereinander zu liegen kommen. Das Ergebnis ist darunter abgebildet.
Die Verläufe stellen sich nun als durchgehende helle und dunkle Flächen dar. Je
stärker der Verlauf, desto mehr wird sich die Tönung vom Durchschnittsgrau
entfernen. Je nach Verlaufsrichtung (abnehmende oder zunehmende Amplitude)
wird in der Überblendung ein heller, oder ein dunkler Grauton entstehen. Der
Grauton kennzeichnet also die Verlaufsstärke, und die Verlaufsrichtung. Dadurch,
dass der Verlauf auf dieser Verarbeitungsebene eine durchgehende Reizstärke
(Grauton) erhält, kann er im Weiteren als ein einheitlicher Reiz verarbeitet werden.
Auf die Zeit umgelegt bedeutet das, dass auf dieser Verarbeitungsebene ein zeitlich
anhaltendes Signal entsteht, dessen Länge und Stärke den Verlauf darstellt. Ich bin
überzeugt, dass man im Hörsystem einmal Neuronen entdecken wird, die auf
Verläufe ansprechen, weil es sich um eine elementare Eigenschaft von Klängen
handelt.
3.5.11 Was gilt mehr, Nähe oder Ähnlichkeit?
Konditionierungsexperimente zeigen nicht nur, dass Nahes eher in Verbindung
gebracht wird als Entferntes, sondern auch dass Ähnliches eher verbunden wird als
Unähnliches. In einem neuronalen Netz ist ein Reiz im elementarsten Fall einfach
ein gereiztes Neuron. Ähnlichkeit wäre damit nur durch die Reizintensität
darstellbar. Aber was ist Intensität anderes als Impulse pro Zeiteinheit? (In einem
elektrischen System sind es Elektronen pro Zeit). Die Frage reduziert sich also auf
jene: Was soll eher verbunden werden, etwas, das eine ähnliche Signalhäufigkeit
besitzt, oder etwas das zeitlich und räumlich nahe zueinander auftritt?
Aber diese Frage stellt sich nicht, den die Signalhäufigkeit ist ja in unserem Sy stem
schon immer mit einberechnet. Der bayesianischen Regel zufolge wird etwas nur
dann eine starke Verbindung zueinander aufbauen, wenn es möglichst immer
zusammen auftritt. Wenn Reiz A doppelt so häufig auftritt wie B, so kann die
Verbindung gar nicht all zu stark sein.
Signalhäufigkeit ist also aus statistischer Hinsicht gleichzusetzen mit Signalstärke.
Diese hat Einfluss auf die Stärke einer Verbindung, während die Nähe von Signalen
dafür entscheidend ist, ob ein Zusammenhang erkannt wird, ob also eine
Verbindung überhaupt zustandekommt. Ist nämlich die Entfernung zu groß, so
werden nähere Ereignisse der entfernteren Verbindung den Weg verstellen.
Wenn Signalstärke und Signalhäufigkeit eigentlich ein und die selbe Sache sind,
dann kann auch beides im Gehirn durch das gleiche neuronale Verhalten dargestellt
130
werden, nämlich durch die Impulsdichte. Nicht mit Reizstärken, sondern mit
Impulsdichten zu arbeiten, hat einen Vorteil. Wenn ein Signal über viele Zellen
hinweg weitergegeben wird, so könnte sich seine Signalstärke dabei leicht wandeln,
wie die Kopie einer Kopie einer Kopie einer analogen Musikaufnahme. Wird
Signalstärke hingegen durch Impulsdichte repräsentiert, so kann nichts passieren.
Die Impulsanzahl bleibt gleich, egal wie oft sie kopiert wurde. Dass das Gehirn mit
Impulsdichten arbeitet, ist bekannt (Hubel 1989, S.23). Aber die Impulsdichte hat
auch einen Nachteil. Sie braucht Zeit. Deshalb muss das Gehirn alle schnellen
Abläufe, wie die Unterscheidung von Schallfrequenzen, oder die Wahrnehmung von
Bewegungskonturen eigenen Rezeptoren überlassen.
Trotz dieser Überlegungen ist es natürlich immer noch praktischer, sich bei der
Konzeption eines Hirnmodells, Signale als unterschiedlich stark vorzustellen, weil
Impulsdichte kein so anschaulicher Bergriff ist.
3.5.12 Die Verarbeitung der zeitlich kodierten Signale im visuellen System
Nach all diesen allgemeinen Überlegungen zur zeitlichen Verarbeitung können wir
uns nun ein Bild davon machen, wie die zeitlich codierten Signale des visuellen
Systems weiter verarbeitet werden. Wenn die visuellen Signale innerhalb der
Objektflächen durch den „Abziehbildsignalfluss“ zusammengeflossen sind, entsteht,
je nach Objektgröße, ein anhaltendes Signal unterschiedlicher Dauer. Der Ort an
dem dieses Signal entsteht, ist das Objektzentrum. Es ist also irgendein Ort
innerhalb der Bildfläche. An diesem Ort beginnt nun die Zeitverarbeitung. Das heißt,
dass sich auf dieser Verarbeitungsebene Neuronen bilden werden, die auf
Reizfolgen reagieren.
Nun ergibt sich die Frage, warum, den Bayesianischen Regeln zufolge, nicht schon
auf allen anderen Schichten des visuellen Systems zeitaktive Neuronen entstanden
sind. Meine Antwort ist einfach: Solange ein Neuronen eine Verbindung zu einem
gleichzeitig aktiven Nachbarneuron eingehen kann, wird es diese Verbindung
vorziehen, denn Gleichzeitigkeit bedeutet maximale zeitliche Nähe. Es gilt ja, dass
zeitlich Nahes eher verbunden wird, als zeitlich Entferntes.
Aber zurück zu der Ebene, wo die zeitcodierten Signale ankommen. Vordringliche
Aufgabe wird es nun sein, deren Länge, und damit die Objektgröße zu erfassen.
Dazu wird sich eine Hierarchie an Reizfolgen entwickeln, wie wir sie weiter oben
besprochen haben. Das heißt, Zweierserien werden sich zu Vierer, diese zu 16er
Serien verbinden. In der zehnten Stufe kann somit ein Neuron entstehen, das
bereits eine Reizlänge von 1024 Impulsen repräsentiert. Eine Gruppe aus 10
Neuronen ist also fähig eine breite Palette von Zeiteinheiten zu erkennen. Solche
Gruppen werden sich überall auf der Ebene ausbilden, denn verschiedene visue lle
Eindrücke werden zu immer neuen Objektzentren führen.
Wenn nun ein zeitcodiertes Signal auf dieser Ebene ankommt, und sich in seinem
Umfeld bereits ein Neuron befindet, das seine Reizlänge repräsentiert, und somit
sein Signal aufzunehmen vermag, dann wird das Signal an dieses Neuron
131
weitergeben. Das bedeutet, dass sich in dieser Gegend kein zweites Neuron der
selben Sorte ausbilden kann. Die Neuronengruppen treten also in eine räumliche
Konkurrenz, bis jede einen Fleck für sich erobert hat.
Auf einer übergeordneten Ebene können die zeitaktiven Neuronen ihrerseits
Verbindungen zueinander aufbauen. Diese Verbindungen repräsentieren den
Abstand der erkannten Objektflächen oder Konturlängen zueinander. Auch dieser
Abstand wird sich nicht durch dauerhafte Verbindungen darstellen lassen, weil er,
genau wie die Objektformen, durch ständig neue Wahrnehmungen überschrieben
wird. Aber der Abstand kann seinerseits über den Abziehbildsignalfluss zeitcodiert
werden, und durch eine weitere zeitaktive Ebene können diese Abstände daue rhaft
erfasst werden.
Die Neuronen dieser Ebenen sprechen nun bereits auf Signalfolgen an, die extrem
selten vorkommen, Signalfolgen, die nur bei einer ganz bestimmten räumlichen
Konstellation visueller Reize auftreten. Wenn ein Neuron nur auf einen bestimmten
Reiz anspricht, der ansonsten im Alltag nicht vorkommt, dann wird es auch nicht
ständig in einer neuen Situation aktiv. Es wird nicht ständig neue Verbindungen
eingehen. Das heißt seine Verschaltung wird nicht durch ständig neue Situ ationen
überschrieben. Es erkennt also dauerhaft eine bestimmte räumliche Konstellation.
Es erkennt zum Beispiel ein Objekt. Man kann auch sagen, es repräsentiert dieses
Objekt im Gehirn.
Damit haben wir eine Vorstellung, wie visuelle Objekterkennung ablaufen kann.
Aber ein kleines Problem ist noch offen: Wenn visuelle Eindrücke durch
Zeitcodierung erkannt werden, so braucht es natürlich auch eine kurze Zeit, um sie
auszuwerten. Für diesen kurzen Zeitraum muss das Bild fixiert werden. Dies
geschieht einerseits durch die sakkadische Augenbewegung (Berhill und Stark
1987, S.68), andererseits dadurch, dass das Bild zwischengespeichert wird
(Wesenick u.a. 2000). Wenn sie jemanden bitten, mit seinen Augen einen Kreis zu
ziehen, so können sie beobachten, dass sein Auge nicht regelmäßig im Kreis
wandert, sondern dazwischen immer wieder stecken bleibt und sprunghaft
weiterwandert. Wir fixieren einen Eindruck, bis er ausgewertet ist, und wandern
dann erst mit dem Auge weiter.
3.5.13 Die Verarbeitung zeitlicher Signale des auditiven Systems
Was das Hören betrifft, so ist im Gegensatz zum Auge, eine fließende Verarbeitung
der Information möglich. Die Verarbeitung beruht auf den selben Regeln, wie die
Auswertung der zeitcodierten visuellen Information, sonst wäre es nicht mö glich,
dass ein neugeborener Hamster, dem der Sehnerv ins auditive System verpflanzt
wird, mit diesem System normal zu sehen lernt (Frost 2000), oder Gehörlose obere
Areale des Hörsystems für andere Leistungen nutzen (Spektrum-Ticker
1999.01.14). Die Grundstruktur der Gehirnrinde muss im Ursprung durchg ehend
von ähnlicher Beschaffenheit sein. Welche Verschaltungen sich dann ausbilden,
hängt davon ab, was darauf an Reizen projiziert wird, und wie diese Pr ojektion
aussieht.
132
Einen weiteren Hinweis für die Ähnlichkeit der Verarbeitung auditiver und visueller
Information, liefern die Gestaltprinzipien, also die bekannten Regeln, nach denen
sich etwas zu einer Gestalt abgrenzen lässt, wie Nähe, Ähnlichkeit, gute
Fortsetzung usw. Sie gelten für beide Informationsarten gleich (Holle 1997, Purwins
u.a.2000).
Was das Hören betrifft, so sind im Ohr eigene Rezeptoren für verschiedene
Frequenzbereiche nebeneinander angeordnet. Genau auf diese Weise projizieren
sie ihre Reize über Zwischenstationen auf die Gehirnrinde (Kolb 1996, S.96).
Benachbarte Frequenzbereiche sind in Alltagsgeräuschen meist gleichzeitig aktiv,
also werden sich stabile nachbarschaftliche Verbindungen bilden. Diese bilden dann
einen Voraussagefehler, wenn die gleichzeitige Aktivierung nicht gegeben ist. So
wird eine erste Verarbeitung entstehen, die einer besseren Trennung der
Frequenzbereiche dient (ähnlich der ersten Verarbeitung im visuellen System, die
dem Hervorheben von Konturen dient). So viel ist auch schon Neurophysiologisch
bestätigt (Kolb 1996, S.96/97).
Nun ergibt sich die Frage, ob ein Neuron auch in der Frequenz senden muss, die es
repräsentiert. Die Antwort ist, dass es das weder muss, noch kann. Wir hören
nämlich Frequenzen weit oberhalb der maximalen Impulsrate von Neur onen. Das
Neuron repräsentiert die Frequenz durch seine Position am Projektionsfeld. Das
genügt. Die Stärke (Impulsrate) mit der ein solches Neuron sendet, repräsentiert
nicht die Frequenz, sondern steht diese für die Lautstärke, in der die Frequenz
relativ zu anderen Frequenzen gerade zu hören ist. Ziel des auditiven Syst ems ist
es nun, an den zeitlichen Auftrittsmustern verschiedener Frequenzen zu erkennen,
was gerade zu hören ist.
Tatsächlich sind für das Gehirn die Auftrittsmuster relevant, und nicht das
vorhandene Frequenzspektrum (Ehret 1997). Ein Ton eines natürlichen
Instrumentes besteht nicht aus einer Frequenz, sondern aus einem Spektrum an
Frequenzen. Wir erkennen aber das Muster, in dem diese Frequenzen ein
gemeinsames Vielfaches bilden. Dieses Wiederholungsmuster macht die Tonhöhe
aus (Langer 1998). Der Ton braucht nicht einmal eine Frequenz zu enthalten, die
der Tonhöhe entspricht. Es zählt nur die Wiederholungsrate des Gesamtmusters
aller enthaltenen Frequenzen. (Bleeck 1996, Seifert 2002, S.47)
Dass im Ohr Töne in ein Frequenzspektrum zerlegt werden, stellt lediglich einen
Weg dar, Information verarbeiten zu können, die schneller ablaufen, als die
maximale Frequenzrate der Neuronen. Die zeitlich nicht mehr repräsentierbare
Information wird dem Gehirn als ein Reaktionsbild geliefert, also ör tlich codiert. Das
ist der Sinn des Frequenzspektrums. Das Spektrum wird auf einen länglichen
Bereich der Gehirnrinde projiziert. Was damit weiter geschieht ist erst heute, durch
einen neuen Fluoreszenzfarbstoff erforschbar, der bei geöffneter Schädeldecke auf
die Gehirnoberfläche aufgetragen, dann aufleuchtet, wenn ein nahegelegenes
Neuron elektrisch aktiv wird (Ehret 1997).
Es ist nun anzunehmen, dass als erstes erfasst wird, wann und wie lange ein
Neuron an einem Platz des Spektrums aktiv ist. Es werden sich Neuronen bilde n,
133
die für bestimmte Signallängen stehen. Außerdem werden sich solche Neuronen mit
benachbarten
Neuronen
verschalten,
die
die
Länge
eines
anderen
Frequenzbereiches erfassen, weil diese oft zeitgleich aktiv sein werden. Es wird zu
Voraussagefehlern kommen, wenn diese nicht zeitgleich aktiv sind.
Diese Voraussagefehler werden ihrerseits Verbindungen eingehen, und somit
spezifischere Signalkonstellationen verkörpern. Ich bin der Überzeugung, dass auf
diese Weise eine Hierarchie an Verschaltungen entsteht, deren höhere Einheiten
auf ganz bestimmte Reizkonstellationen ansprechen, zum Beispiel auf einen
Klavierton. Um einen Klang zu erkennen, ist nicht nur ein Frequenzmuster
notwendig, sondern vor allem spielt auch der Klangverlauf eine Rolle (Müsseler,
Prinz 2002).
Für all das bedarf es aus meiner Sicht keiner eigenen Regeln. Die Lösungen, die
ich weiter oben zum Erkennen von Reizlängen und Reizfolgen erarbeitet h abe,
sollten auch hier greifen. Das Problem der Zeiterfassung ist eine Sache, die s owohl
im Bereich kleiner Zeiträume, wie der Töne eines Musikstückes, wie auch an
größeren Zeiträumen abgehandelt werden kann, wie es die Ereignisfolgen eines
gewöhnlichen Wochentages sind. Man wird immer auf die selben Regeln stoßen,
weil Statistik in allen Größenbereichen gilt!
Egal in welchem Zeitmaßstab wir denken, es wird immer Zeitfolgen geben, die
häufiger auftreten, und die sich deshalb als erste in einer dauerhaften Form
abbilden können, also nicht mehr überschrieben werden. Aber im Zeitmaß eines
Tages ist dies leichter zu erkennen, als in den Zeitmaßstäben der Musik.
So können wir an Kleinkindern beobachten, dass sie schon früh bestimmte
Tagesabläufe kennenlernen, wie zum Beispiel der Wechsel von Tag und Nacht, das
Erscheinen der Mutter, wenn man schreit, das Ritual des Windelwechselns, des
Fläschchenwärmens, des Schlafengehens, des Kinderwagenfahrens. Ich kann mich
erinnern, wie verwundert sich mein kleiner Neffe beschwert hat, als er des Nachts
mit dem Kinderwagen am Flughafen herumgeführt wurde. Das war nicht das übliche
Ritual!
3.5.14 Die Verbindung nicht zeitgleicher Signale:
Genaugenommen ist ein wichtiges Problem der Zeitverbindungen noch ungelöst
geblieben. Zeitverbindungen bestehen zwischen Zellen, die nicht zeitgleich, sondern
nacheinander aktiv werden. Aber wie lange sollen sie verbindungsfähig bleiben?
Antwort: Sie dürfen eigentlich immer Verbindungen empfangen und durch ein
Rücklaufsignal beantworten. Die Bayesianische Statistik verhindert ohnehin, dass
Verbindungen zwischen Zellen bestehen bleiben, die ungleich häufig aktiv sind. Bei
Zellen die gleich häufig aktiv sind, ergibt sich automatisch immer eine Verbi ndung
zum zeitlich nächstliegenden Reiz.
Kämmsignale zur Verbindungsfindung sollten Zellen prinzipiell nur zum Zeitpunkt
ihrer Aktivierung aussenden, und zwar nur dann, wenn es noch keine Verbindung
gibt, an die das Signal weitergegeben werden kann. Das garantiert die
134
Funktionstüchtigkeit des Prinzips der Blockierung. Die Kämmsignale breiten sich
aus, bis sie eine verbindungsfähige Zelle finden. Im Fall eines Zeitunterschiedes
liegt die Aktivierung der Zelle schon zurück. Sie hat daher jetzt kein Kämmsignal
ausgesandt. Deshalb stelle ich mir vor, dass das Rücklaufsignal nicht in der
Verbindungsmitte entsteht (wie bei zeitgleichen Verbindungen), sondern dire kt bei
der kontaktierten Zelle (grün).
Es entsteht also eine einseitige Verbindung, die den Zeitpfeil repräsentiert. (Zeit
verläuft nur in eine Richtung. Das nennt man den „Zeitpfeil“). Es ist ja auch nicht
relevant, die zeitliche Mitte eines Tones in einem Musikstück vorauszusagen,
sondern seinen Anfang. Zeitketten werden in der Erinnerung von Anfang zum Ende
durchflossen. Deshalb ist es gut, wenn bereits die Verknüpfungsbildung von
Zeitketten etwas anderes abläuft. Die Chunkzelle entsteht dann einfach dort, wo
später die Vorstellungssignale starten sollen. Vorstellungen und die damit
verbundenen Voraussagefehler sind natürlich auch in der zeitlichen Verarbeitung
das wichtigste Prinzip zur Organisation von Information. Zellen erwarten ein Signal.
Trifft dieses nicht wie erwartet ein, so senden sie eine Fehlermeldung nach oben
(positiver Voraussagefehler), wo neue Chunkzellen, und neue Verschaltungen
entstehen.
3.5.15 Zukunftsvorstellungen versus parallele Welt
Wenn wir Erfahrungen machen, so entstehen Verbindungen im Gehirn. Diese
Verbindungen sind nicht nur räumlicher, sondern, wie wir jetzt gesehen h aben, auch
zeitlicher Natur. Genau diese Verbindungen werden auch aktiv, wenn wir die Dinge
noch einmal in der Vorstellung oder im Traum durchleben (Spektrum-Ticker
2001.07.10, WSA 2000.11.16, Stickgold u.a. 2002). Aber Vorstellungen müssen
noch in zwei Arten getrennt werden, denn es gibt zwei Arten von Zeiterwartung.
Einerseits die Reihenfolge. Sie ist die einzige Art der Zeiterwartung, die auch in
unseren Vorstellungen noch vorhanden ist. Wir können uns in unseren
Vorstellungen an den Zeitpunkt begeben, wo das Haus, das wir gerade zu bauen
begonnen haben, schon fertig ist. Aber auch in unseren Vorstellungen gibt es eine
Reihenfolge von Dingen, die nacheinander eintreten. Wir wissen durchaus, dass vor
135
der Fertigstellung der Reihe nach viele Dinge erledigt werden müssen, und dass wir
noch viele Nächte unruhig schlafen werden, bevor es soweit ist.
Die andere Art der Zeiterwartung bezeichne ich als die „parallele Welt“. Um
Wahrnehmungen im richtigen Tempo vorauszusagen, und Handlungen im richt igen
Tempo durchführen zu können, braucht es eine Signalweitergabe mit an die Welt
angepasstem Tempo, also eine langsamere Art von Signal, als jenes unserer
Vorstellungen, ein Signal, das die Zeitabläufe so langsam durchwandert, wie sie in
der Welt vorkommen. Es ist nicht so, dass wir alles was wir erleben wirklich
wahrnehmen. Das Meiste ist vorausgesagt, und wird nurmehr teilweise nachgeprüft.
Es gibt lustige Experimente, die dies zeigen. So wurden zum Beispiel Leute auf der
Strasse nach dem Weg gefragt. Während der Unterhaltung marschierten Träger mit
einer Tür zwischen den Gesprächspartnern durch. Dabei wurde der Wegsuche nde
durch eine andere Person ersetzt. Die Veränderung blieb meist unbemerkt (WSA
2000.11.17). Nicht nur Zeitpunkt, sondern auch Ort sind Basis unserer
Voraussagen. Voraussagen entstehen über die assoziativen Verknüpfungen. So
wurde Personen ein Dia einer Küchensituation gezeigt, und danach kur zzeitig Bilder
eines Brotes, eines Briefkastens oder einer Trommel angeboten. Das Brot konnte
durch das vorherige Dia deutlich besser erkannt werden (Goldstein 1997, S.24)
Wenn die Voraussagen in Echtzeit stattfinden, spreche ich von Zeiterwartung. Da
Zeitlängen durch eine Hierarchie von Verschaltungen auf die maximale Impulsrate
der Neuronen zurückgeführt werden, muss das Erwartungssignal auch diese
gesamte Verschaltungshierarchie durchwandern. Wir erwarten zum Beispiel, dass
ein Auto eine gewisse Zeit braucht um vorbeizufahren. Der Unterschied zwischen
der Zeiterwartung, die parallel
zur wahrgenommenen Welt stattfindet und
Vorstellungen ist der, dass in Vorstellungen wiederholte Reize nicht wiederholt
gedacht werden müssen. Wenn wir daran denken auf einen Berg zu gehen, so
brauchen wir nicht jeden Schritt zu denken.
Ich nehme an, dass das Gehirn zu jedem Reiz auch seine häufig auftretende Länge
zu
erfassen
versucht.
Nehmen
wir
als
Wahrnehmungsbeispiel
ein
Motorengeräusch. Wir erwarten, dass es von einem vorbeifahrenden Auto stammt,
und nach einer kurzen Zeit wieder ausklingt. Reißt es schlagartig ab, so en tspricht
dies einer Unterschreitung unserer Erwartung, die im Gehirn zu einem hemmenden
Signal führen könnte. Demgegenüber könnte sich eine Überschreitung der
Zeiterwartung, wenn also das Motorgeräusch nicht ausklingt, durch ein
aktivierendes Signal vermitteln.
Höhere Verarbeitungsebenen können dann Voraussagen für diese besonderen
Wahrnehmungen bilden. So könnten wir zum Beispiel bereits erahnen, dass dieses
anhaltende Motorengeräusch vom Wagen des Briefträgers kommt, der jeden
Morgen eine Weile stehen bleibt, ohne den Motor abzustellen. Wir haben also
zuerst die Ausnahme erkannt, und dann über den größeren Zusammenhang eines
vollen Tages, wieder eine Regel entdeckt, die die Ausnahme voraussagbar macht.
So funktioniert Erkenntniserwerb.
136
Wenn das Gehirn alle vorangekündigten Reize unterdrückt, gehen dann nicht all
diese Daten verloren? Nein, was hier stattfindet ist lediglich Datenkompr imierung.
Wenn jemand an der Autobahn wohnt, hört er die Fahrgeräusche irgendwann kaum
mehr. Seine Aufmerksamkeit widmet sich weniger voraussagbaren Ereignissen, die
in seinem Leben von Bedeutung sein können. Das Autobahngeräusch gehört
offensichtlich nicht dazu.
Es sind immer die Veränderungen in der Umwelt, oder auch in uns, die uns zum
Handeln zwingen. Deshalb ist das Gehirn so organisiert, dass es das
Gleichbleibende ausfiltert, und die Veränderung signalisiert. Wir brauchen während
einer Tageswanderung nicht unentwegt daran erinnert werden, dass Licht da ist.
Wichtig ist nur, dass es uns auffällt, wenn es zu dämmern beginnt. Diese
Veränderung ist ein Signal für uns, uns einen Unterschlupf zu suchen.
3.6 Regeln für körperliche Bedürfnisse als Handlungsmotiv
Mit diesem letzten Beispiel ist nun eine Überleitung zum vorletzen Kapitel des
Hirnmodells gefunden. Der Anwendung der Reizinformationen zur Steuerung des
Verhaltens. Der Wanderer sucht bei Dämmerung Unterschlupf. Es ist aber nicht
direkt die Dämmerung, die die Herbergssuche notwendig macht. Könnten wir mit
beliebiger Körpertemperatur leben, so wäre es nicht notwendig, sich in der kü hlen
Nacht eine wärmende Bleibe zu suchen. Es sind also unsere zukünftigen
Bedürfnisse, auf die letztlich alles Verhalten zurückgeht. Zukünftig insofern, als dem
Wanderer ja gegenwärtig noch warm ist, aber er bereits erahnen kann, dass das
nicht so bliebe, würde er im Freien übernachten.
Ich unterscheide zwei Arten von Bedürfnissen. Körperliche Bedürfnisse (nach
Nahrung, Wärme, Schutz vor Schäden, Schutz durch soziale Einbettung) und
geistige Bedürfnisse (Lern- und Spieltrieb, Wissensdurst, ästhetisches Empfinden
für räumliche und zeitliche Muster, Informationsgewinn durch sozialen Kontakt). Die
geistigen Bedürfnisse dienen der Erweiterung unseres Wissens über die Welt. Sie
sprechen auf Muster an, weil wir durch die, in Mustern enthaltene Wiederholung,
die Welt vorauszusagen lernen. Dieses Vermögen nutzen wir um die körperlichen
Bedürfnisse besser zu stillen. Was ich bisher beschrieben habe, ist ein
erkenntnisgewinnendes System, das die Welt vorauszusagen versucht. Nun stellt
sich die Frage, wie die dabei entstandenen Verbindungen genutzt werden, um
unser Verhalten bedürfnisorientiert zu organisieren. Zuerst will ich auf die
körperlichen Bedürfnisse eingehen.
Der Deckung von Bedürfnissen liegt meiner Ansicht nach nicht ein einfacher ReizReaktions-Regelkreis zugrunde. Vielmehr fließt unsere Prognose der Zukunft in
unser Verhalten mit ein. Es gilt nun festzustellen, wie diese Zukunft sprognose,
einschließlich der Prognose zukünftiger Bedürfnisse das Verhalten beeinflusst.
Beginnen wir unsere Überlegungen mit einem einfachen Reiz/Reaktions-Modell. Die
Bedürfnisse, zum Beispiel der Bedarf nach einer bestimmten Körpertemperatur,
137
genügend Flüssigkeit und Blutzucker, möglichst wenig Lärm und Erschütterung,
keine Schmerzen usw. sind durch genetisch vorgegebene Sollwerte festg elegt.
Weichen die über die Sinne wahrgenommenen Istwerte zu gravierend von den
Sollwerten ab, so wird Alarm geschlagen. Genaugenommen ist das eine stark
vereinfachte Darstellung. Milgram erläutert zum Beispiel die Regelkontrolle der
Flüssigkeitsaufnahme, und es ist zu erkennen, dass dies viel komplizierter abläuft
(Milgram 2002b). Aber für ein künstliches System genügt ein einfacher Regelkreis.
Diesen Bedürfnis-Alarm (Sollwertabweichung) wollen wir nun als einen Reiz unter
anderen betrachten, und überlegen, ob er genauso wie andere Reize verarbeitet
werden darf, oder ob er in irgend einer Weise gesondert behandelt werden muss.
Die folgende Grafik zeigt eine Situation, dargestellt durch die Reize A, B und den
Bedürfnisreiz X. Wir können uns vorstellen, dass in einer bestimmten Situation,
bestimmte Handlungen gefordert sind. X, A und B beschreiben die Situation. Die die
Handlungen auslösende Einheit H, spricht also an, wenn sie gleichzeitig Signale
von X, A, und B erhält.
Wie aber haben wir diese Verschaltung erlernt? Die klassische Antwort auf diese
Frage sieht folgendermaßen aus: „Einst muss es in der Situation X,A,B zu der
Handlung H gekommen sein, und wir müssen daraufhin registriert haben, dass sich
die Situation bessert, dass also die Sollwertabweichung X geringer wird oder
verschwindet. Daraufhin haben sich die Verbindungen verstärkt.“
Ich will im Folgenden zeigen, dass die Sache nicht so einfach ist. Der Mensch ist
keine reine Reiz/Reaktions-Maschine. Er reagiert nicht einfach auf eine
gegenwärtige Situation, sondern plant die erwartete Zukunft mit ein. Um ein
realistisches Modell des Erwerbs von Handlungen zu entwickeln, müssen wir also
die Sache in ihrer zeitlichen Abfolge betrachten. Im Folgenden ist dies grafisch
dargestellt.
138
Wir können erkennen, dass die Belohnung für das Verhalten, die
Sollwertannäherung X1, im Nachhinein erfolgt. Genauso ist es mit
Verhaltensweisen, die wir uns abgewöhnen, weil sie schlechte Konsequenzen
haben. Auch da erfolgt die Beurteilung im Nachhinein. Haben wir die
Zusammenhänge erst einmal kennengelernt, so können wir das nächste Mal die
Konsequenzen unserer Handlung vorausahnen. Die Zukunftsvorstellung beeinflusst
dann unser Verhalten. Es muss also ein Signal gegen den Zeitpfeil aus der
vorgestellten Zukunft zurücklaufen, damit die prognostizierten Sollwerte das
Handeln beeinflussen können, das ja davor stattfindet. Es fließt von den Zielen in
die Gegenwart zurück.
Dass unser Handeln aus Zukunftsvorstellungen gelenkt wird, zeigt sehr schön ein
Wegfindungsspiel von Marken (2000). Nahezu all unser Verhalten ist Zielorie ntiert,
auch wenn uns das meist nicht bewusst ist (WSA 2001.06.20). Und die dazu
notwendigen rückführenden Signale scheint es selbst bei Seeschnecken zu geben
(Kandl 1993, Byrne 2002).
Die Frage ist: Dient dieses Rücklaufsignal der Verbindungsverstärkung, wie bi sher
angenommen, ist es direkt ein Handlungsauslöser, oder gibt es noch eine andere
Möglichkeit? Ich will nun zeigen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, was dieses
Signal sein kann, und dass es notwendig ist, das klassische Reiz-Reaktionsmodell
abzuwandeln.
3.6.1 Zwei Gründe gegen Verhaltensverstärkung durch Verbindungsverstä rkung
Der
erste
wichtige
Grund,
warum
Verhalten
nicht
einfach
durch
Verbindungsverstärkung und Schwächung gesteuert werden kann, ist der, dass die
Verbindungsstärke in unserem Modell bereits etwas anderes darstellt. Sie
verkörpert die Wahrscheinlichkeit, mit der wir einen Zusammenhang vermuten. Die
Wahrscheinlichkeit also, mit der wir erwarten, dass die vorgestellte Zukunft auch
eintritt.
139
Natürlich hat auch diese Erwartung einen Einfluss auf unser Verhalten. Auf das
Verhalten bezogen müssen wir aber eine Unterscheidung beibehalten, zwisc hen der
Wahrscheinlichkeit mit der unser Verhalten Gewinn verspricht, und der Höhe des
Gewinns. Gelderwerb durch redliche Arbeit verspricht weniger Gewinn, als
Gelderwerb durch Lotto-Spielen. Aber die Wahrscheinlichkeit auf Gewinn, ist im
ersten Fall höher. Da wir diese beiden Handlungsmotive getrennt zu denken
vermögen, dürfen sie auch in unserem Modell nicht verschmolzen werden. Das
Modell würde sonst immer jene Zukunft für die wahrscheinlichste halten, die am
meisten Gewinn verspricht. Es würde jegliche Objektivität verlieren.
Es gibt aber noch einen wesentlicheren Einwand gegen die Verhaltenssteuerung
durch die Justierung der Verbindung vom Reiz zur Reaktion. Der Mensch vermag in
der gleichen Situation verschieden zu entscheiden, je nachdem, welche Z ukunft er
sich gerade erwartet. Wir werden nicht automatisch immer beginnen einzuheizen,
wenn uns kalt ist (X), und Heizmaterial (A) sowie eine Heizmöglichkeit (B)
vorhanden ist. Es kann sein, dass wir in 10 Minuten vor haben das Haus zu
verlassen, es kann sein, dass wir unseren Brennmaterialvorrat zur Neige gehen
sehen und aufsparen wollen, es kann sein, dass wir uns nicht in der eigenen
Wohnung befinden, und einen Konflikt mit dem Eigentümer vermuten, wenn wir
einzuheizen beginnen usw.
Es ist also die vorgestellte Zukunft, die auf die Gegenwart rückwirkt und unser
Verhalten verändert. Deshalb ist anzunehmen, dass die Auslösesignale für
durchdachtes, bewusst gesetztes Verhalten, aus dieser vorgestellten Zukunft
kommen. Nur bei unbewussten bereits automatisierten Reaktionen, ist ein direkter
Weg vom Reiz zur Reaktion möglich. Nicht aber bei geplanten Handlungen.
Erst die Idee, dass das Auslösesignal gegen den Zeitpfeil läuft, macht das
erworbene Wissen über die Vorgänge in der Welt für sinnvolles Verhalten nut zbar.
Wir können, wie Popper es formuliert, Vorstellungen an unserer Stelle sterben
lassen (Störig 1995, S.689). Wenn unsere Vorstellung uns prophezeit, dass uns
eine Handlung ins Verderben bringt, so führen wir diese Handlung einfach nicht
aus. Wir können also auch ohne zu Handeln, durch reine Beobachtung, etwas
lernen, das wir später nützen, um uns sinnvoll zu verhalten! Das einfache
Reiz/Reaktions-Modell kann das nicht erklären.
Außerdem macht uns die Zukunftsvorstellung erziehbar. Denn Erzieher tun nic hts
anderes, als gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse gegeneinander
auszuspielen. Da heißt es „Wenn du nicht aufhörst umzufetzen, dann gibt es
nachher nicht die übliche Eiscreme.“ Nun ändert sich im Kind plötzlich seine
Zukunftsvorstellung. Die Erfüllung eines zukünftigen Bedürfnisses ist bedroht. Also
passt es sein gegenwärtiges Verhalten an, um der Bedrohung zu entgehen.
Zukünftige Bedürfnisse bewirken gegenwärtiges Verhalten. Auch künstliche
Intelligenz wird man erziehen können, wenn sie nach dem hier dargestellten Modell
aufgebaut ist. Jeder wird damit umgehen können, denn für das Erziehen haben wir
alle eine gewisse Gabe!
140
Natürlich sind es nicht alleine die zukünftigen Lebensbedingungen, die
vorausgesagt werden müssen. Auch zukünftige Bedürfnisse müssen vorstellbar und
fühlbar sein. Im Stirnhirn werden Sinneseindrücke bereits so langfristig kombiniert,
dass Zukunftsvorstellungen möglich werden. Zu diesen Vorstellungen werden die
mit den Erlebnissen einhergehenden Gefühle aus dem limbischen System
(Lust/Unlust-Zentrum) kombiniert. Es führt also ein Nervenstrang vom Lustzentrum
ins Stirnhirn. Wird dieser unterbrochen, dann ist das moralische Handeln gestört
(Damasio 1995, Spektrum-Ticker 1999.10.21).
3.6.2 Die Rolle der rückführenden Signale „aus der Zukunft“
Eines der ersten Probleme, die ich in diesem Hirnmodell behandelt habe, war die
Frage, wie zwei räumlich entfernte aktive Neuronen eine Verbindung zueinander
aufbauen können. Ich habe angenommen, dass sich dazu Kämmsignale nach allen
Richtungen kreisförmig ausbreiten. Beim Aufeinandertreffen wird ein Signal die
Fließrichtung zurück geschickt, und so eine Verbindung abgenabelt.
Das Problem, das uns jetzt begegnet, kann weitgehend auf die gleichen
Mechanismen zurückgreifen. Wieder breitet sich von den aktiven Sinnesreizen
ausgehend, ein Signal aus. Es ist das Signal, das die möglichen Zukünfte
voraktiviert. Die Bahnen, über die es verläuft, sind bereits durch vergangene
Erfahrungen verschalten. Sie sind also weitläufig verstreut, während bei der
Verbindungsfindung ja jede (noch zur Verfügung stehende) Bahn verwendet wurde.
Nun ist das Netz bereits strukturiert, aber es laufen darin immernoch die selben
Prozesse ab.
Meist werden es zeitlich gerichtete Verbindungen sein, die entstehen, wenn Reize
oft aufeinander folgen. Das heißt, das Signal fließt von den gegenwärtigen Reizen
in die vorgestellte Zukunft. Es verzweigt sich dabei, denn oft sind mehrere Zukünfte
möglich. Da die Verbindungen Wahrscheinlichkeiten darstellen, sind sie nicht
vollkommen durchlässig. So wird das Signal geschwächt und verliert sich
schließlich. Den gesamten voraktivierten Bereich nenne ich „Zukunftsbaum“. Diesen
Begriff habe ich auch schon am Beginn des Textes erläutert. Der Zukunftsbaum
wird ständig den neuen Ereignissen der Welt angepasst.
Bedürfnisse sitzen wie andere Reize an bestimmten Stellen dieses
Zukunftsbaumes. An manchen Zweigen dieser Zukunft, wird also die Erfüllung eines
Bedürfnisses vorausgesagt. Von diesen Stellen soll nun ein Signal zurück, gegen
den Zeitpfeil ergehen. Dieses Signal hat die gleiche Rolle, wie die rückführenden
Signale im Rahmen der Verbindungsfindung. Es nabelt einen Weg ab. Das stärkste
zurücklaufende Signal wird alle anderen überrennen, und so bleibt nur eine
angestrebte Zukunft über. Der Weg in diese Zukunft wird isoliert (abgenabelt).
Natürlich kann sich diese Zukunft ändern, wenn aufgrund neuer Erfahru ngen der
Zukunftsbaum seine Gestalt ändert. Manche seiner Äste werden plötzlich
zuverlässiger erscheinen, (weniger Widerstand aufweisen) und man wird lieber den
Weg wählen, der über diese führt. Aber es wird nie mehr als ein Weg zu einem
Zeitpunkt isoliert werden.
141
Wieso nur ein Weg? Ganz einfach: Wir können nur eine Handlung zu einem
Zeitpunkt verfolgen. Es macht keinen Sinn, wenn an unseren Körper zug leich das
Signal ergeht, den Arm nach links und nach rechts zu bewegen. Wenn wir mehr ere
Dinge zugleich tun, so tun wir sie zwar zeitlich eng ineinandergeschachtelt, aber
doch hintereinander. Unser Bewusstsein startet immer nur eine Handlung zu einem
Zeitpunkt. Wenn Fuß und Arm können wir nur dann zugleich heben, wenn wir diese
Kombination als eine Handlung zu denken gelernt haben. Wenn wir zugleich Essen
und Gehen, so haben wir zuerst das Gehen bewusst gestartet, und es läuft als
routinierte Handlung nun unbewusst weiter, so dass unser Bewusstsein frei ist, das
Essen zu starten.
Die Serialität des Denkens spiegelt sich auch in unseren Vorstellungen, denn der
Weg, den unser Handeln wählt ist begleitet von Vorstellungen. So kann sich auch
unser bewusstes Vorstellungsvermögen nie mit mehr als einem Weg zu einem
Zeitpunkt befassen. Da der „Zukunftsbaum“ aber ständig aktualisiert wird,
erscheinen auch immer wieder neue Vorstellungen in unserem Bewusstsein, aber
nie mehr als eine pro Zeitpunkt.
Wenn das stärkste Rücklaufsignal siegt, und den Weg isoliert, so ergibt sich als
nächstes die Frage, woraus sich die Stärke des Rücklaufsignals begründet?
Antwort: Zum einen aus der Stärke der Erwartung der Zukunft. Voraussagen, die
eher unwahrscheinlich sind, sind mit mehr Widerstand versehen. Das bedeutet, es
wird nur ein schwaches Signal in solche Zukünfte gelangen, weil die Verbindungen
schwach sind. Zum anderen ist aber der erwartete Gewinn ausschlagg ebend.
Verspricht eine unwahrscheinliche Zukunft großen Gewinn, so ist ihre Gesamtstärke
vielleicht doch anderen Zukünften überlegen, und sie wird angestrebt, trotzdem sie
unwahrscheinlich ist. Der erwartete Gewinn ist abhängig von vergangenen
Erfahrungen in ähnlichen Situationen. Er ist aber auch abhängig von der derzeiti gen
Abweichung vom Sollwert. Für den Hungernden ist auch ein trockenes Stück Brot
ein Gewinn. Je nach erwarteter Gewinnhöhe ergeht vom Lustzentrum mehr oder
weniger Aktivität. Diese wird nun in Relation zur Zukunftserwartung gesetzt. Das
kann technisch gesehen ein analoger Transistor übernehmen, der die Stärke des
einen Signals durch die Stärke des anderen modifiziert. Das erhaltene Res tsignal
läuft nun den Zukunftsbaum zurück. Auch aus anderen erwarteten Zukünften, also
aus anderen Ästen des Zukunftsbaumes, kommen Rücklaufsignale. Aber nur das
Stärkste kann seinen Weg hinab bis zum Stamm isolieren.
Auch die Länge der Verzweigungen bis zu der erwarteten Zukunft spielen eine
Rolle, weil sie je nach Eintrittswahrscheinlichkeit mit Widerstand belegt sind. Je
näher wir der angestrebten Zukunft kommen, desto weniger Zeit, und desto weniger
Verzweigungen trennen uns vom Lustsignal. Deswegen wird der Lustgewinn auch
immer größer, je näher wir seiner Erfüllung entgegengehen.
(Harald Schaub nennt in seiner Arbeit als Auslöser für eine Handlung vier Faktoren:
Wichtigkeit, die Einschätzung der eigenen Kompetenz zu Zielerreichung und dass
Umstände und Zeitfenster eine Zielerreichung zulassen (Schaub 2002). All diese
142
Faktoren fanden sich unter einer technischeren Begrifflichkeit auch in dem hier
dargestellten Modell.)
3.6.3 Die Unterscheidung von Emotion und Gefühl
Bei der Unterscheidung von gegenwärtigen, oder zukünftigen Bedürfnissen würde
ich die Unterscheidung von Emotion und Gefühl ansiedeln. Gefühle sind
Sollwertabweichungen oder Erreichungen. Emotion ist die zukünftige Erwartung von
Gefühlen. So ist die Angst, die wir haben, wenn wir an einem schlechten Seil in der
Felswand hängen eine Emotion. Der Schmerz, den wir erleben, wenn das Seil reißt
und wir am Boden aufprallen ist ein Gefühl. Freilich werden die Begriffe in der
Alltagssprache nicht exakt verwendet.
Die stirnhirngeschädigten Patienten von Damasio machen deutlich, dass eine
solche begriffliche Trennung notwendig ist. Bei ihnen sind scheinbar die erlernten
Verbindungen zu den Sollwertabweichungen, also zum Lust/Unlust-System durch
den Gehirnschaden durchtrennt worden. Das heißt sie können zwar noch die
Zukunft vorausahnen, empfinden ihr gegenüber aber nichts. So haben sie auch kein
Motiv das aus der Zukunft wirkt, und ihr Wille entspringt nur den jeweils
gegenwärtigen Gefühlen, im glücklichsten Fall entspringt ihr Handeln alten
Gewohnheiten. Das bedeutet ihr Handeln weist Mängel auf, weil es nicht mehr
zukunftsorientiert ist, und das bedeutet es ist weniger planvoll, und weniger
moralisch (Damasio 1995). Trotz normaler Intelligenz verlieren diese Menschen
ihren Platz in der Gesellschaft. Man könnte sagen es fehlt ihnen die emotionale
Intelligenz. Die veraltete Vorstellung, wir könnten ohne Emotion rein aus Vernunft
sinnvoller handeln ist damit widerlegt (Churchland 1996). Es gibt natürlich auch
Menschen, die ganz ohne Stirnhirnschaden solche Schwächen aufweisen, weil sie
in diesem Gehirnbereich wenig lernfähig sind.
3.6.4 Wie Handlungen gestartet werden
Der Leser wird vielleicht bemerkt haben, dass die neurophysiologischen Zitate
immer seltener werden, je höher die Funktionen sind, die das Modell behandelt.
Tatsächlich ist der aktivierte Bereich, der Zukunftsbaum, nicht in der Weise
neurophysiologisch beobachtbar, wie das zu wünschen wäre. So bleiben all diese
Modelle hypothetischer Natur. Ihre Funktionstüchtigkeit kann aber vermutlich schon
bald dadurch gezeigt werden, dass man künstliche Wesen konstruiert, und deren
Verhalten beobachtet. Deshalb macht es Sinn weiterzudenken.
Die nächste Frage, die ich stellen will, ist die nach dem Auslöser für eine Handlung.
Wo kommt dieser her? Fest steht, dass er durch den Zweig des Zukunft sbaumes
zurückfließt, der zum stärksten Bedürfnis führt. Wir setzen nur Handlungen, die
entlang dieses stärksten Weges liegen. Wir folgen immer dem stärksten Motiv.
Jede Handlung stellt eine Zukunftsverzweigung dar. Wir kommen in eine andere
Zukunft, je nachdem ob wir sie ausführen oder unterlassen. Der isolierte Weg, der
uns zur Bedürfniserfüllung führt, bestimmt also, an welchen Verzweigungen des
143
Zukunftsbaumes wir eine Handlung ausführen müssen, um am Weg zu bleiben, und
an welchen nicht.
Wann, zu welchem Zeitpunkt also, wir eine Handlung genau zu starten haben, wird
aber durch die Zeiterwartung bestimmt. Ich habe sie weiter oben als „parallele Welt“
bezeichnet. Von den aktiven Reizen ausgehend, starten nicht nur die schnellen
Signale unserer Zukunftsvorstellungen, sondern auch die langsamen, welche
parallel zu den Ereignissen der Welt, den exakten Zeitpunkt der erwarteten
Ereignisse ankündigen. Diese zeitkontrollierte Signalweitergabe ist auch für ein
sinnvolles Handeln notwendig. Diese Signale fließen, in der Geschwindigkeit der
realen Welt, jenen Weg entlang, der aus dem Zukunftsbaum isoliert wurde. Sie
aktivieren zeitgerecht die Handlungen, die notwendig sind, um auf dem Weg zu
bleiben. Dieser zeitgerechte Ablauf von Handlungen ist eine absolute
Notwendigkeit, und beweist damit auch die Existenz von Signalen, die in ihrer
Geschwindigkeit exakt so langsam weitergegeben werden, dass sie parallel zu den
Ereignissen der Welt verlaufen können.
3.6.5 Exkurs: Ein System für alle Verarbeitungsprozesse
Bemerkenswert ist dazu, dass auch die Zeitcodierung räumlicher Formen, die ich
unter
dem
Begriff
„Abziehbildsignalfluss“
behandelt
habe,
zwei
Fließgeschwindigkeiten von Signalen verlangt. Vergegenwärtigen wir uns noch
einmal die Grafik, um dies zu verstehen:
Wir brauchen ein Signal, das das eigentliche Signal auf den Weg schickt. Das
eigentliche Signal hingegen ist doppelt so schnell. Es ist schon im Zentrum der
Fläche angekommen, während erst die Hälfte der Zellen der Fläche von jenem
Signal erfasst wurden, das die Signale auf den Weg schickt (siehe Mitte der Grafik).
144
Das Beispiel hat auf den ersten Blick überhaupt nicht viel mit dem jetzigen Problem
der zeitgerechten Auslösung von Verhalten zu tun. Schließlich haben wir es jetzt mit
zeitdefinierten Verbindungen zu tun, im obigen Fall hingegen mit zeitgle ichen UndVerbindungen. Solche Verbindungen von zeitgleich auftretenden Reizen, würden an
sich überhaupt keine Unterscheidung von Vorstellungszeit und Erwartungszeit
erfordern. Sie sollten immer mit maximaler Geschwindigkeit durchflossen werden,
weil ja in der realen Welt kein Zeitabstand zwischen ihrer Reizung existiert. Wir
können das System der zwei verschieden schnellen Signalflüsse aber hier für den
geregelten Durchfluss der Und-Verbindungen nützen, indem wir einfach festlegen,
dass Erwartungssignale maximal mit halbem Tempo vorankommen. Erwartungen
müssen ja immer erst mit den realen Sinneswerten verglichen werden, um den
Voraussagefehler zu ermitteln. Das könnte deren langsames Maximaltempo
erklären. Die Vorstellungssignale hingegen brauchen sich einfach nur über das
vorhandene Netz hinweg auszubreiten, ohne weiter verarbeitet zu werden, und
fließen daher doppelt so schnell.
Genaugenommen sollte ich die schnellen Signale im Fall von Und-Verbindungen
nicht als Vorstellungssignale bezeichnen. Vorstellungen zeichnen sich ja dadurch
aus, dass sie aus der Gegenwart in Bereiche fließen, die durch die Sinne erst in
Zukunft aktiviert werden (Zukunftsbaum). Beim Abziehbildsignalfluss durchfli eßen
die schnellen Signale jedoch, genau wie die langsameren Erwartungssign ale, die
derzeit aktive Fläche, und es entstehen W ahrnehmungen und nicht Vorstellungen.
Also sprechen wir lieber von den „schnellen Signalen“ als von Vorstellungssignalen.
Immerhin zeigt das Beispiel, dass es nicht nur in Dann-Verbindungen, sondern auch
in Und-Verbindungen zwei Signalgeschwindigkeiten geben dürfte. Der
Abziehbildsignalfluss, und die damit entstehende Zeitcodierung räumlicher
Information ist also letztlich eine vorteilhafte Nebenerscheinung der zwei
Fließgeschwindigkeiten, von der ich annehme, dass sie die Natur auf die selbe
Weise „zufällig“ zu nützen gelernt hat, wie sie in diesem Modell beschrieben ist.
Hinweise für eine solche Annahme, werde ich später darstellen, wenn wir das
Modell anwenden, um das Erkennen von Strukturen zu erklären. Wie wir uns
erinnern, ist die Annahme einer Regel zum Signalfließverhalten in UndVerbindungen eine absolute Notwendigkeit, denn ohne eine Regel, würden die
Signale darin ewig kreisen, denn sie könnten immer in jede beliebige Richtung
weiterfließen.
Der Kämmsignalfluss, welchen wir zur Verbindungsfindung benötigt haben, hat sich
auch nach den Regeln der Und-Verbindung ausgebreitet. Es handelt sich also
immer
um
das
gleiche
Prinzip
auf
verschiedenen
Stufen
der
Verarbeitungshierarchie. Der Leser irrt also nicht, wenn ihm vieles im Text schon
bekannt vorkommt. Ich will zeigen, dass wir verschiedene Verarbeitungsschritte
durch ein und das selbe System erklären können.
145
3.6.6 Erwartungssignale von den Sinnen, zeitgegenläufige vom Triebzentrum
Das Lustzentrum gehört nicht zur Großhirnrinde, und hat andere Gesetze. So
ergehen zum Beispiel, anders als von Sinnesreizen, vom Lustzentrum keine Signal
in die vorgestellte Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Es macht keinen Sinn zu
fragen, was aus einer Bedürfnisbefriedigung zukünftig hervorgeht. Vielmehr macht
es Sinn, zu fragen, ob eine davor ablaufende Handlung ein Bedürfnis befriedigt hat.
Es ist also nur das Davor relevant. Aus Handlungen gehen Bedürfnisbefriedigu ngen
hervor und nicht umgekehrt.
Stellen wir uns zeitliche Verbindungen prinzipiell gedreht vor, wie einen G ewehrlauf.
(Das ist natürlich nur eine Denkhilfe, um sich die Gesetze der Reizübertr agung im
Modell besser vorstellen zu können) In die Zukunft sind sie rechtsdrehend, in die
Vergangenheit dementsprechend linksdrehend. Signale von den Sinnen sind wie
Projektile, die bereits einen Rechtsdrall haben. Sie laufen daher in den
Verbindungen immer in die vorgestellte Zukunft.
Sollwertabweichungen (Bedürfnisse) liefern Signale, die genauso miteinander
verarbeitet werden, wie die Signale von den Sinnen, aber die Signale sind
linksdrehend. Treffen sie auf Verbindungen, die von Sinnesreizen ausgehend
geknüpft wurden, so laufen sie diese zurück statt vorwärts. Sie laufen den
Zukunftsbaum zurück in die Gegenwart. Vorausgesagte Bedürfnisbefriedigungen
senden aktivierende, vorausgesagte Sollwertabweichungen senden hemmende
Signale zurück in die Gegenwart.
Es gibt also nicht nur Vorstellungssignale von den gegenwärtigen Sinnesreizen in
die Zukunft, sondern auch die Bedürfnisreize, welche den Zeitpfeil zurücklaufen, zu
den Zellen, die gegenwärtig aktiv sind (Byrne 2002). Das ist nur möglich, weil die
Zellen in der Vergangenheit auch schon aktiv waren, und Verbindungen e rlernt
wurden. Durch Überlappung dieser Signale aus beiden Richtungen wird der Weg
abgenabelt, der uns zeigt, welche Handlungen uns zur befriedigendsten Zukunft
führen. Es siegt nicht unbedingt der kürzeste, sondern der stärkste Weg, der sich
aus der Stärke der Verbindungen ergibt, die ja Wahrscheinlichkeitsgrade von
Zukunft repräsentiert.
3.6.7 Die Verschaltung der Sollwertabweichungssignale zu Bedürfnissen
Wie verschalten sich nun die Bedürfnisse. Eines steht fest, die Sollwertabwe ichung
kann noch nicht direkt als das Ereignis definiert werden, das als Verstärker oder
Verminderer für Handlungen fungiert. Eine Sollwertabweichung kann ganz langsam
immer größer werden, ohne dass dafür irgend ein Verhalten zuständig wäre. Zum
Beispiel wird das Energiedefizit eines Systems ohne weiteres zutun immer größer.
Als Schlüsselreiz für die Anbindung einer Handlung dient aber nicht dieser Wert,
sondern die plötzliche positive Veränderung der Energiebilanz, wenn eine
Umweltsituation, durch die wieder Energie zugeführt wird, auf ein Verha lten folgt.
Das bedeutet, unser System lernt zuerst, eine Voraussage über den häufigsten
Verlauf von Bedürfniskurven zu treffen, den Verlauf, den sie ohne Fremdeinfluss
146
haben. Diese Voraussage schlägt dort fehl, wo Fremdeinfluss auftritt. Das
entstehende Fehlersignal kann nun mit diesem Außeneinfluss, z.B. der
Nahrungsaufnahme, eine gültige Verbindung eingehen. Durch diese Verbindung
läuft das Signal, das letztlich die nötigen Wege abnabelt, die zu bedürfnisgerechten
Handlungen führen.
Da die Grundlage zur Verschaltung der Bedürfnisse wieder deren Voraussagbarkeit
ist, gibt es auch Adaptionsprozesse bei Bedürfnissen. Abweichungsmaxima erleben
wir als unbefriedigend, Annäherungsmaxima als befriedigend. Dazwischen liegt ein
vorausgesagter Normalzustand, den wir eigentlich gefühlsmäßig gar nicht erleben.
Dieser Normalzustand ist insofern interessant, als er offensichtlich die
durchschnittliche Abweichung verkörpert. Dieser Durchschnitt verschiebt sich
natürlich mit den Verhältnissen. Leben wir in guten Verhältnissen, so we rden wir
anspruchsvoller, und uns kann nicht mehr zufrieden stellen, was einen Menschen
aus armen Verhältnissen noch glücklich macht. Durchschnittlich sind wir nicht
zufriedener oder unzufriedener als dieser. Für das Gehirn ist es nur wichtig, dass
wir in Entscheidungssituationen den besseren Weg wählen. Es ist nicht notwendig,
dass wir, wenn wir in schlechten Verhältnissen leben, rund um die Uhr leiden.
Wichtig ist nur, dass wir die Chance ergreifen unsere Situation zu verbe ssern, wenn
sie sich bietet. Dieses Regulativ kann am ehesten erreicht werden, indem das
Gehirn alle Werte über längere Zeit hinweg am Durchschnitt adaptiert.
Dazu braucht es keine neuen Regeln. Adaption haben wir bereits kennengelernt.
Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass sie auch im Bereich der
Bedürfnisreize gilt. Sie sorgt dafür, dass immer die volle Skala der Aktivierung und
der Hemmung zur Steuerung genützt wird.
3.6.8 Vorstellung der Zukunft und der Vergangenheit
Unsere Vorstellungen können in die Zukunft, aber auch in die Vergangenheit
schweifen. Was diese beiden Richtungen unterscheidet ist meines Erachtens
zunächst einmal die Quelle. Bedürfnisse wecken, wie eben besprochen,
vergangene Erinnerungen, Sinnesreize wecken Zukunftsvorstellungen. Allerdings
ist das nicht ganz so klar, denn unser Bewusstsein hat gar keine klare Definition
von der Zeit einer Vorstellung. Die Zeit einer Vorstellung ergibt sich aus deren
Anbindung an andere Vorstellungen. Zukunft und Vergangenheit trennen somit
meines Erachtens nichts weiter als Details. Wenn ich an einen bestimmten
Arbeitstag aus der Vergangenheit denke, dann ist er durch Vorfälle gekennzeichnet,
die an anderen Arbeitstagen nicht stattfanden. Denke ich an den morgigen
Arbeitstag, so kennzeichnen ihn die gerade laufenden Projekte. Denke ich an einen
Arbeitstag vor einem Jahr, oder in einem Jahr, so fehlen mir die
Detailinformationen, und mein Bild von diesen Tagen ist exakt gleich. Es ist
eigentlich nichts zeitliches in der Vorstellung, das diese Bilder unterscheidbar
machen würde.
Datenkomprimierung im Gehirn entsteht dadurch, dass räumlich oder zeitlich
Wiederholtes durch Mehrfachverwendung der gleichen gespeicherten Information
147
dargestellt wird. Ich greife also in beiden Fällen auf die gleiche Vorstellung z urück.
Nur wenn ich etwas als zukünftig erreichbares Ziel erlebe, rutscht die Vo rstellung
auf einmal von der Vergangenheit in die Zukunft.
3.6.9 Aussagenlogik
Um alle Zusammenhänge der Welt repräsentieren zu können, muss der
Zukunftsbaum verschiedene Verbindungen zulassen. Die Aussagenlogik, ein
Teilbereich der Philosophie, hat eine Liste von fünf Verbindungsarten
hervorgebracht, um jeden beliebigen logischen Zusammenhang darstellen zu
können (Liessmann, Zenaty 1992, S.45)
Und
Wenn dann
nicht zeitdefinierte Verbindung
Zeitdefinierte Verbindung (Nacheinander)
Nicht
Hemmende Verbindung
Oder auch
Ich kann so, oder auch so Handeln (Verzweigung)
Entweder oder Es kann diese oder jene Zukunft eintreten (Verzweigung)
Genaugenommen muss also zwischen den beiden Arten von Oder-Verzweigungen
unterschieden werden. Zukunftsverzweigungen, die auf unser Verhalten
zurückgehen, sind entweder-oder-Verzweigungen. Dort siegt das stärkere
Rücklaufsignal. Das stärkere und nähere Bedürfnis macht das Rennen. Ich muss
durch Denkprozesse entscheiden, ob ich entweder so, oder so handeln will.
Demgegenüber sind oder-auch-Verzweigungen solche, die zwei mögliche Zukünfte
repräsentieren, die ohne mein Zutun alternativ eintreten könnten. Dabei wird ein
Durchschnitt der Rücklaufsignale gebildet, denn ich habe nicht die Macht
bestimmen zu können, welche der Zukünfte mich erwartet, also wird ein
Durchschnitt beider Zukünfte mein Verhalten bestimmen. Läuft an einer solchen
Verzweigung ein hemmendes Signal mit einem aktiven zusammen, so hebt es
dessen Aktivität auf. Es wird dann wenig Motivation geben, an diese Verzweigung
des Zukunftsbaumes zu gelangen, obwohl ein starkes Signal beteiligt war; denn das
hemmende beteiligte Signal besagt, dass mich diese Zukunft genauso gut ins
Verderben führen kann. Allerdings können solche Verzweigungen in einer Richtung
stärker ausfallen, wir erwarten dann eher die eine, als die andere Zukunft. Dann
muss auch das Gewicht der rücklaufenden Signale unterschiedlich stark zählen.
Klarer ausgedrückt: An Verzweigungen des Zukunftsbaumes wo wir durch unser
Handeln über unsere Zukunft entscheiden können (entweder oder) siegt das
stärkere Rücklaufsignal. An Verzweigungen wo wir dies nicht können, und nicht
genau wissen welche der beiden möglichen Zukünfte uns erwartet (oder auch), wird
ein Durchschnitt der beiden Rücklaufsignale gebildet, und beide Wege bleiben
offen, bis neue Wahrnehmungen uns zeigen welchen Weg die Dinge gehen
werden.
148
3.6.10 Handlungen automatisieren (unbewusst erledigen)
Verzweigungen von Zukunftsprognosen wurden nicht zu einem Zeitpunkt erlernt,
sondern nacheinander, erst der eine Weg, dann der zweite Weg. Das heißt, erst
wurde eine bestimmte Erfahrung gemacht, doch ein andermal hat die Sache zwar
gleich begonnen, aber anders geendet. Ein Voraussagefehler entstand, eine
Chunkzelle wurde gegründet, und eine Abzweigung zur neuen Situation angel egt.
Was aber, wenn eine Verzweigung verfällt, weil immer der eine, nie der andere
Weg gewählt wird? Dann ist keine bewusste Entscheidungsfindung mehr von
Nöten, weil es ohnehin nur einen möglichen Weg gibt. So entsteht eine
automatisierte Handlung, die wir unbewusst durchzuführen vermögen. Unser
Bewusstsein brauchen wir nämlich nur, wo Entscheidungen zu fällen sind, die aus
Zielvorstellungen hervorgehen.
3.7 Regeln für geistige Bedürfnisse und kreatives Verhalten
Damit komme ich zum letzten Kapitel des Modells. Ziel dieser Arbeit ist es ja, zu
zeigen, dass in allen Bereichen des Erkenntnisgewinns die selben Regeln gelten,
und es möglich ist, eine Gehirnstruktur zu schaffen, die lernen kann
Verschiedenstes zu verarbeiten. Dem Phänomen der Aufmerksamkeit kommt dabei
besondere Bedeutung zu.
3.7.1 Aufmerksamkeit und das Bindungsproblem
Geistige Aufmerksamkeit versus Abwesenheit ist ein Phänomen, das es in allen
Bereichen des Erkenntnisgewinns gibt. Um es zu verstehen, müssen wir nun
begreifen, dass die verschiedenen Prozesse, die ich bisher besprochen habe
(Verbindungsfindung,
Abziehbildsignalflusses,
Zeiterwartung
und
Verhaltenskontrolle) alle auf dem gleichen Prinzip beruhen. Überall gab es einen
Sollwert = Voraussage, und eine Abweichung = falsche Voraussage. Immer ging
von dieser Abweichung ein Signal aus.
Aber was geschah nun auf einen solchen Voraussagefehler? Da war die Rede vom
Signalrückfluss zum Zwecke der Verbindungsabnabelung, aber auch von der
Weitergabe nach oben und der Bildung einer Chunkzelle. Unter dem Stichwort
„Abziehbildsignalfluss“ war die Rede vom Abfluss der Signale, beginnend beim
Voraussagefehler. Bei der Zeitwahrnehmung war die Rede von der Unterdr ückung
vorausgesagter Signale. Die Frage ist also: Wie erhalten wir ein einheitliches
Modell? Was ist nun die Reaktion auf den Voraussagefehler?
Es ist naheliegend, dass wenn wir die Reaktion auf Voraussagefehler definieren
können, damit auch die Aufmerksamkeit definiert ist, denn nichts erregt uns ere
Aufmerksamkeit mehr, als das Unerwartete (Sperling 1998, Stangl 2002).
Aufmerksamkeit ist die Grundlage seriellen Denkens. Wir denken alles
149
nacheinander, in der Reihenfolge, in der es unsere Aufmerksamkeit erregt. Um zu
erklären, wie es zur Serialität des Denkens kommt, hat das Modell angenommen,
dass von den Vorstellungen jene stärkste siegt, die abgenabelt werden kann.
In der visuellen Wahrnehmung gibt es auch Aufmerksamkeit. Bei der Zeitcodierung
der örtlichen Position von Punktanordnungen haben wir auch besprochen welche
Verbindungen sich durchsetzen. Aber von einer Serialität kann man da noch nicht
sprechen. Wie wir an uns selbst beobachten können, können wir unsere
Aufmerksamkeit nur auf ein Objekt zu einem Zeitpunkt lenken. Wie kommt es zu
dieser Serialität in der visuellen Wahrnehmung?
Es scheint unmöglich, ein solches Nacheinander zu modellieren, wenn wir
annehmen, dass jeder Voraussagefehler sowohl zu einer Weitergabe des Signals
an die nächste Ebene, als auch zu einem Rückfluss der Signale innerhalb der
Ebene, durch den Abziehbildsignalfluss führt. Bei jedem Voraussagefehler würden
sich die Signale verzweigen und so nie zu einem Strang verschmelzen, wie es das
serielle Denken verlangt.
Aber genaugenommen sind Signale, welche auf der nächsten Ebene miteinander
verbunden, und auf diese Weise vorausgesagt werden können, ja gar keine
Voraussagefehler!! Sie dürfen daher auch auf der vorhergehenden Ebene nicht zum
Abziehbildsignalfluss führen, zumindest vorläufig noch nicht! Vielmehr werden sie
von Ebene zu Ebene weitergegeben, bis ein Teil von ihnen in der Hierarchie der
Verschaltungen so weit nach oben gelangt ist, dass keine Voraussage mehr
möglich ist. Dort erst, wo noch keine geeignete Chunkzelle gebildet ist, bzw. diese
noch nicht verschalten werden konnte, dort erst entsteht der Voraussagefehler. Dort
entspringt der Impuls unserer Aufmerksamkeit. Nun fließt das Signal über alle
Ebenen zurück. Erst jetzt kommt es auf den Ebenen zum Abziehbildsignalfluss.
Wenn es an derzeit aktiven Sinneszellen anlangt, aktiviert es diese. Die Wirkung
der Aufmerksamkeit bis hinab auf die primäre Sehrinde ist bereist durch
Experimente belegt (Spektrum-Ticker 1999.05.07, Spektrum-Ticker 2001.02.26).
Ein Objekt führt zu Redundanzketten in seiner Fläche, es führt aber eine Ebene
höher auch zu Redundanzketten entlang seiner Konturen. Es gibt eine stärkere
Verbindung zwischen Konturen gleicher Farbe, gleicher Bewegung, gleicher
Entfernung. All diese Ketten bilden eigene Ebenen (Quasiebenen), aber all diese
Ebenen stehen auch miteinander in Verbindung, da sie alle, wenn auc h über
Umwege, von den Zellen der Netzhaut gespeist werden. Die rückfließenden Signale
durchsteigen alle diese Ebenen. Der Abziehbildsignalfluss führt dazu, dass die
Signale auf allen Ebenen fast gleichzeitig im Objektzentrum ankommen. Alle
Signale verlaufen also synchron. Das Modell erklärt damit wie es dazu kommen
kann, dass Neuronen, die zum Reaktionsbild eines Objektes gehören, dem wir
Aufmerksamkeit schenken, alle synchron zu pulsen beginnen. (Studie auf
Spektrum-Ticker 2000.03.16)
Die Länge der Fließsignale und ihr Ort, das heißt die Ebene, auf der sie sich bilden,
beschreiben die visuellen Eigenschaften des Objektes. Diese werden nun zeitlich
verarbeitet. Ist das Objekt schon länger im Blickfeld, so sind die zeitlichen Codes,
150
die es vermittelt bekannt, und es ergeht ein hemmendes Signal durch das gesamte
Netz der Redundanzketten zurück. Das Objekt ist damit deaktiviert.
Kommt jedoch ein neues Objekt in unser Blickfeld, z.B eine herbeilaufende Ka tze,
so erregt sie unsere Aufmerksamkeit, weil sie zu neuen Redundanzketten und
neuen Zeitcodes führt, also zu Voraussagefehlern.
Das Neue kann isoliert
betrachtet werden, da das Alte bereits deaktiviert ist. Das bedeutet, es funkt keine
fremde Information dazwischen. Damit führt uns das Modell der Aufmerksamk eit zur
Lösung des nächsten Problems:
3.7.2 Trennung von Figur und Grund
Das Modell der Aufmerksamkeit bietet aber nicht nur eine Erklärung dafür, wie
durch Redundanzketten alle Reize, die ein Objekt ausmachen, zusammengeha lten
werden können (Bindungsproblem Spektrum-Ticker 2000.06.13, Hardcastle 2002),
es bietet damit auch eine Erklärung für die Trennung von Figur und Grund. Eine
Figur bildet einen Redundanzbereich, der durchflossen werden kann. Ist die Figur
abgeschaltet, so kann der Grund ungehindert durchflossen werden. Die Figur steht
dem Signalfluss nicht mehr im Weg. Die Signale können nun den gesamten Grund
durchfließen. Die abgeschalteten Flächen, wo einst die vordergründige Figur aktiv
war, gelten nun einfach als Lücken zwischen aktiven Bereichen des Hintergrundes.
Es sind Lücken, die selbst keine Aktivität haben, also nichts Sichtbares vermi tteln.
Durch den Signalfluss über diese Lücken hinweg, werden die Formen des
Hintergrundes ungehindert verarbeitet. Nun ist dessen Form erkennbar. Oft wird der
Grund in sich auch wieder eine Figur bilden. So können auch Überschneidungen
von Objekten verarbeitet werden.
Eine weitere Hilfe zur Trennung von Figur und Grund, bietet die
Entfernungswahrnehmung. Auch hier gilt: Nahes wird zuerst behandelt. Ist es
erkannt, und abgeschaltet, so kann der Hintergrund verarbeitet werden.
3.7.3 Der Lerntrieb bzw. ästhetische Trieb
Die Aufmerksamkeit wird also immer auf den am stärksten komprimierbaren Aspekt
gelenkt, weil von dort die stärksten Signale ausgehen, wie im obigen Beisp iel der
Kreis. Letztlich werden aber die unerwartetsten Aspekte innerhalb einer
Wahrnehmung am längsten verarbeitet, weil sie nicht abgeschaltet werden können.
Die Voraussagefehler führen also zu aktivierenden, die Voraussagen zu
deaktivierenden Rückflusssignalen.
Die aktivierenden Rückflüsse der Voraussagefehler gleichen dem Rückflusssignal,
welches im Zukunftsbaum den Weg isolierte, der dann unser Handeln lenkte. Aber
wenn es sich dort um die selbe Art von Signalen handelt, müssen dann nicht auch
die hier entstehenden Rückflusssignale einen Weg isolieren, der sobald motorische
Zellen dem Weg liegen, eine Handlungsanweisung darstellt? Zwar entspringt das
151
Rückflusssignal in diesem Fall nicht dem Lustzentrum, aber es bleibt doch ein
Rückflusssignal.
Welchen Ursprung hat es nun eigentlich? Es entsteht an den Voraussageenden,
dort also, wo nach neuen Lernverbindungen gesucht wird. Tatsächlich haben wir,
wie ich im Folgenden zeigen werde, damit schon den Lerntrieb definiert. Das
Rückflusssignal, welches zur Verbindungsfindung notwendig ist, kann, wenn es
über die Startzellen in ältere Ebenen vordringt, also die Verbindungen zeitlich
zurückläuft, einen Verhaltensweg isolieren, also als Bedürfnis wirken.
Was ich hier annehme ist also eine enge Verwandtschaft zwischen den
Mechanismen, die Aufmerksamkeit auslösen, und jenen, die Handlungen
verursachen. Der Unterschied liegt nur darin, dass bei zweiteren motorische
Neuronen beteiligt sind. Ich bin nicht der erste, der eine solche Gleichartigkeit der
Mechanismen annimmt (Siehe Artikel von Balkenius 2000).
Um mich verständlich zu machen, will ich mit den Überlegungen noch einmal e twas
weiter vorne beginnen: Erinnern wir uns an das grafisch dargestellte Beispiel mit
Evas blauen und Karls großen Augen. Wir haben festgestellt, dass neue
Verbindungen nur gebildet werden, wenn Voraussagen fehlschlagen, denn solange
alles vorausgesagt werden kann, ist Lernen blockiert (Macho 1999). Verläuft also
alles um uns herum wie gewohnt, so werden die Erwartungen, die in unserem
Gehirn entstehen, immer bestätigt. Erst wenn eine Erwartung nicht bestätigt wird,
wird eine neue Chunkzelle gebildet, die die neue Situation repräsentiert. Da diese
neue Situation ja in Zukunft auch vorausgesagt werden soll, versucht diese neue
Chunkzelle Verbindungen zu knüpfen. Sie sendet Kämmsignale aus und nimmt mit
anderen aktiven Zellen Kontakt auf. Von dem Kontaktpunkt ausg ehend fließt ein
Signal zurück, um die Verbindung abzunabeln.
Bei der Besprechung des Phänomens „Aufmerksamkeit“ sind wir davon
ausgegangen, dass dieses Rücklaufsignal nicht nur bis zur Chunkzelle fließt,
sondern weiter, über bereits vorhandene Verbindungen, auch auf tiefere Ebenen
zurückfließt, und dort Aufmerksamkeit bewirkt. Was ist aber, wenn die
Redundanzketten zeitlicher Natur sind? Dann fließt das Signal gegen den Zeitstrom,
bis es sich durch Verbindungswiderstände verliert, oder aber über Umwege wieder
bei gegenwärtig aktiven Sinneszellen landet. In diesem Fall kann von der
gegenwärtigen Reizsituation ein Weg in eine Zukunft angestrebt werden, die
wieder zu den erkannten Zusammenhängen führen müsste. Die Zusammenhänge
können dann in dieser Zukunft noch einmal erlebt, und somit überprüft we rden.
Wenn das Rücklaufsignal von den gegenwärtigen Sinnesreizen in die
Vergangenheit laufen kann, bis es sich aufgrund der Wiederstände der Leitungen
verliert, was unterscheidet dann noch Wahrnehmung von Vorstellung. Antwort:
Wahrnehmung bedarf, genauso wie motorische Aktivität, zusätzlich noch des
Echtzeit-Erwartungssignals. Dieses ist nur bei gegenwärtig vorhandenen Reizen
gegeben.
Was ist nun der Effekt von einem Rücklaufsignal über die Gegenwart hinaus in die
Vergangenheit? Diese Rücklaufsignal wird, sofern es nicht von einem stärk eren
152
überschrieben wird, unsere Aufmerksamkeit und unser Verhalten dahin lenken,
dass wir noch einmal die neue Situation betrachten, bzw die davor vollfüh rten
Handlungen noch einmal setzen.
Die Handlungen bringen uns also wieder in die eben erlebte Situation, und dabei
können die neu entstandenen Verbindungen gleich überprüft werden. Bestätigen sie
sich nicht, so entsteht wieder ein Voraussagefehler, wieder eine Chunkzelle, die
wieder neue Verbindungen aufbaut, wobei wieder Rücklaufsignale entstehen. Der
Prozess startet so oft von vorne, bis entweder ein gültiger neuer Zusammenhang
erkannt ist, oder Adaptionsprozesse die Reizschwelle der beteiligten Zellen so weit
hinaufgesetzt haben, dass die Lernversuche zum Stillstand kommen. An
Kleinkindern ist die Tendenz zum Lernen durch Wiederholung gut zu beobachten.
Man denke nur an das Spiel: Dose auf, Ding hinein, Dose zu. Dann wieder auf, Ding
heraus, Dose zu, und alles von vorne…
Die Vermutung, dass Aufmerksamkeit und der Erwerb von Körperkontrolle dem
selben Mechanismus entspringt, dass ihnen also ein allgemeiner Lernt rieb
zugrundeliegt, ist relativ neu (Balkenius 2002).
Aber was mag der Lerntrieb mit Ästhetik zu tun haben? Nach psychologischer
Lehrbuchmeinung begründet sich das ästhetische Empfinden, das uns bestimmte
Dinge, wie Kunst- und Designgegenstände vermitteln, aus einer erlernten
Verbindung zu einem Grundbedürfnis. Das passt auch ganz gut zu den klassischen
Bildthemen der Malerei: Der Akt ist sexuell motiviert, das Portrait sozial (Erinnerung
an jemanden), das Landschaftsbild territorial, und das Stilleben ging aus
Nahrungsmitteldarstellungen hervor. Alles fußt auf Grundbedürfnissen.
Aber was ist mit der abstrakten Ästhetik eines Musikstückes, eines Musters, eines
Versreimes, eines Tanzes, oder abstrakter Malerei? Warum hat die Evolution uns
solch ein Bedürfnis mitgegeben? Welchen Zweck mag es haben? Die Antwort: All
diese Dinge enthalten Rhythmen, also Wiederholungen! Nur wo die Welt sich
wiederholt, kann sie der Mensch voraussagen, und nur wo er das kann, kann er das
Ergebnis seines Handelns erahnen, und nur wenn er das kann, kann er sinnvoll
handeln. Deshalb interessieren uns Bereiche der Welt, wo sich etwas wiederholt.
Der Lerntrieb und die von ihm ausgelöste Empfindung von Neugier oder Ästhetik ist
sozusagen ein eigens veranlagtes Bedürfnis (Stangl 2002).
3.7.4 Die Notwendigkeit des Lerntriebes für den Erwerb der Bewegungsko ntolle
Es ist gewiss so, dass ein Baby noch kaum eines seiner körperlichen Bedürfnisse
selbst erfüllen kann. Deshalb kommen diese für seine Aktivitäten als Auslöser nicht
in Frage. Der Hauptauslöser liegt somit beim Lerntrieb. Erst wenn das Baby genug
Einblick in die Welt erworben hat, und Voraussageverbindungen zu den
körperlichen Sollwerten entstanden sind, können diese wirksam werden. Damit es
soweit kommt, muss erst einmal der Lerntrieb in Kraft treten (vgl. WSA 2002.11.29).
153
Genaugenommen dürfte das Lernen durch Wiederholung schon beim Embryo
beginnen, also schon zu einer Zeit, wo sich das Gehirn entwickelt. Es ist
anzunehmen, dass bereits ein Embryo lernt, seine Bewegungen ein wenig zu
kontrollieren. Der Prozess beginnt damit, dass Verbindungen geschaffen we rden,
wenn Reize oftmals zeitgleich aktiv sind. Zum Beispiel die motorischen Ze llen, die
ein Bein bewegen, und die Gelenkssensoren, die die Bewegung des Beines
rückmelden. Nehmen wir an, die Verbindung startet bei abgewinkeltem Gelenk und
vollem Signal des Gelenksensors, und führt zu einem Ausstrecken des Beines und
damit verstummen des Gelenksensors. Die Regel lautet also: Je mehr Aktivität zu
den Muskeln kommt, desto weniger meldet der Gelenksensor. Die motorische Zelle
wird mit der „Anti-Gelenksensorzelle“ eine Verbindung eingehen. (Wir erinnern uns,
dass es im System zu jeder Zelle eine Anti-Zelle gibt, die verkehrt herum reagiert)
Wenn es irgendwann wieder zu einem abgewinkelten Bein kommt, ist die
Ausgangsbedingung da, um die Bewegung wiederholen zu können. Heißt das, das
System muss warten, bis es zufällig wieder zur Ausgangssituation kommt? Nein!
Nicht wenn es schon über ausreichende Erfahrung verfügt. Dann kann das
beschriebene Rücklaufsignal von der neuen Lernerfahrung über die Verknüpfungen
zurücklaufen, bis es auf eine Situation stößt, die der Gegenwart (nach der
Lernerfahrung) entspricht. Von dort können Handlungen gesetzt werden, die wieder
in die Situation führen, die vor der Lernerfahrung geherrscht hat. Dann kann die
Lernerfahrung wiederholt werden. In unserem Fall könnte also das Bein wieder
abgewinkelt werden. Ist sowohl das Abwinkeln als auch das Strecken des Beines
ansatzweise erlernt, so wird der Embryo zu strampeln beginnen, bis beide
Bewegungen im Gehirn richtig stabil verknüpft sind, und jeweils eine eigene
Chunkzelle gebildet haben. Auf diese Weise erlernt er Bewegungskontro lle.
Ausgangspunkt war also das Rücklaufsignal, das bei der Verbindungsfindung
entsteht. Es ist nicht durch eine Sollwertabweichung eines Bedürfnisses gebildet,
sondern es ist ein, für Lernprozesse notwendiges Rücklaufsignal. Aber es kann als
Handlungsauslöser fungieren. Dann sprechen wir vom Spiel- bzw. Lerntrieb.
Allerdings ist dieser nicht so stark wie die körperlichen Bedürfnisse. Kommen die
stärkeren Rücklaufsignale aus dem Lustzentrum dazwischen, so werden die
schwächeren des Lerntriebes überschrieben. Das freie Spiel, mit dem Kinder die
Welt kennenlernen, ist also am ehesten zu beobachten, wenn es ihnen gerade
sonst an nichts fehlt, also kein körperliches Bedürfnis zu aktiv ist.
Der Lerntrieb dient also dazu, das Gehirn anzuhalten, erst einmal möglichst viele
Informationen über die Welt zu sammeln, in der Hoffnung, diese Wissen später
einsetzen zu können, um Bedürfnisse zielgerichtet befriedigen zu können. Aber
nach welchen Kriterien können die Informationen gesammelt werden, solange noch
keine Bedürfnisse im Spiel sind? Zunächst nach dem Kriterium der
Komprimierbarkeit, denn es kann eine größere Menge an Information abgespeichert
werden, wenn sie komprimiert in den Speicher kommt. Zweitens nach der
Wiederholbarkeit, also Gültigkeit. Mit einer Information, die ich gleich überprüfen
kann, passiert es mir nicht, dass sie lange Zeit wertvollen Speicherplatz besetzt,
und sich letztlich als falsch herausstellt.
154
Beide Kriterien sind im Lerntrieb automatisch inkludiert. Die Komprimierung aller
Informationen entsteht durch die Verknüpfungshierarchie bereits vorhand ener
Chunks, und die Überprüfung neuer Informationen entsteht durch die Tendenz zur
Wiederholung, da das Rücklaufsignal, welches beim Voraussagefehler startet, die
davor aufgetretenen Handlungen noch einmal aktiviert, bis Voraussage erlernt wird.
3.7.5 Kreativität. Ausprobieren neuer Handlungen
Der Leser wird vielleicht verblüfft sein, wenn ich nun, da das Modell fast fertig ist,
feststelle, dass es in seiner jetzigen Form noch überhaupt nichts leisten würde. Ein
Baby kann nämlich keine Handlungen erwerben ohne Ausprobieren. Das blieb
bisher ungelöst.
Unser System beobachtet also die Abläufe der Welt, und versucht sie
vorauszusagen. Auch die Kontrolle des Verhaltens erfolgt auf diese Weise. Es
beobachtet, welche Bewegungen aus der Aktivität bestimmter motorischer Zellen
(die ihre Signale an die Muskeln leiten) hervorgehen, und versucht diese
Bewegungen vorauszusagen. Auch die Konsequenzen der Bewegungen werden
vorausgesagt, und so kann das System in Zukunft zielgerichtete Handlungen
setzen.
Aber damit es lernen kann vorauszusagen, welche motorische Zellgruppe welche
Bewegung auslöst, muss die Bewegung erst einmal beobachtet werden. Es müssen
Bewegungen ausprobiert werden. Nur durch Versuch und Auswahl können die
ersten Schritte des Bewegungslernens erworben werden. Mutation und Selektion
wurden von vielen Wissenschaftern als die Prinzipien schlechthin dargestellt, die
der Entwicklung des Gehirns zugrundeliegen (Edelmann 1993 S.28f, Calvin 1993).
Aber inzwischen hat sich gezeigt, dass ohne statistische Prinzipien, die zu einer
inneren Welt mit Voraussicht führen, nicht viel erreichbar ist. Die Differenz zwischen
den beiden Methoden hat Marken (2000) sehr schön mit einem Wegfindungsspiel
veranschaulicht.
Aber woher kommt nun der nötige Impuls für die ersten Bewegungen? Da ja noch
kein Ziel da ist, kann der dazu nötige Impuls nur nach dem Zufallsprinzip gesetzt
werden. Unser System muss sich also erst einmal chaotisch verhalten, bevor
Kontrolle erlernt werden kann. Das ist ja auch an den chaotischen Bewegungen
eines Embryos zu beobachten. Woher kommt nun der nötige Zufall. Aus meiner
Sicht gibt es dafür eine klare Quelle. Er kommt aus dem, jedem System eigenen,
Hintergrundrauschen.
Ich stelle mir vor, die Zellen sind im Ursprung zufallsaktiv, wobei die
Durchschnittliche Aktivität sich ähnlich verhält wie das Rauschen eines Fernsehers
ohne Empfang, oder eines lautgedrehten Verstärkers ohne Input. Dazu braucht es
keine neue Regel. Adaption sorgt dafür, dass Zellen in ihrer Sensitivität maximal
„lautgestellt“ sind, solange sie noch keine Reizerfahrungen gemacht haben. Dieses
„graue“ Rauschen, wird mit zunehmender Lernerfahrung gehemmt oder aktiviert, so
155
dass sich, nach den Konditionierungsregeln, die erhöhte oder verminderte
Bereitschaft der Zellen ergibt, zu Feuern.
Das Rauschen hat noch eine Funktion. Zellen können zu einem Zeitpunkt ja nur
entweder feuern oder schweigen. Das Rauschen dient, wie ein Raster dazu, di eses
Entweder- Oder aufzuteilen in ein Mehr, oder Weniger. Rauschen vermindert also
nicht die Leistung des Systems, sondern erhöht sie sogar. Dies will ich mit
folgender Grafik verständlich machen:
Stellen wir uns einen ganz kurzen Zeitpunkt vor. Zellen der Netzhaut können
innerhalb dieses Zeitraums nur zwei Zustände einnehmen. Entweder sie senden
gerade einen Impuls, oder eben nicht. Ein dazwischen gibt es nichts. Das Bild von
mir, würde dann so dargestellt, wie wenn ich es mit einem Schwellenwert behandle.
Stellen wir uns nun vor, das Originalbild ist stark verrauscht, und führen wir dann
noch einmal den Schwellenwert durch. Wir sehen, dass in diesem Fall durch das
Rauschen ein viel informationsreicheres Endergebnis entstanden ist.
Dass
Signalrauschen die Wahrnehmung unterstützt, legen auch neurologische Studien
nahe (WSA 2002.05.24).
Was das Zusammenspiel von Zelle und Antizelle betrifft, so kann man sich das mit
dem Zufallsrauschen folgendermaßen vorstellen: Eine nicht verschaltete Zelle weist
Zufallsrauschen auf. Grundlage des Rauschens ist die maximale Taktfrequenz. Das
Rauschen weist mittleres Grau auf, also durchschnittlich halbe Taktfrequenz.
Rauschen ist für die bayesianische Statistik durchschnittlich nicht von Bedeutung,
weil zwischen rauschenden Zellen ebensooft Löschungen wie Verbindungen
156
gebildet werden. Die Antizelle rauscht mit, aber sie reagiert jeweils negativ zur
Zelle. Eine Aktivierung entsteht, indem Aktivität von der Antizelle in die Zelle
verlagert wird. Aktivität wird also nicht gebildet, sondern nur verschoben.
Ich vermute, dass ein System machbar ist, in dem das, Rauschen, also die
ungeordnete Energieform, keinen Energieverbrauch kostet. Die Verlagerung würde
dann aber sehr wohl etwas Energie kosten, denn es entsteht ja ein Mehr an
Ordnung, und Ordnung kostet Energie.
Die hier dargestellte Idee, dass dem Gehirn das Hintergrundrauschen als
Kreativitätspotential dienen könnte, gilt inzwischen fast schon als bestätigt.
Dopamin und Noradrenalin werden im Gehirn ausgeschüttet werden, um das
Signal/Rauschverhältnis sinnvoll zu modulieren (Spitzer S. 289-315). Entspannung,
und damit einhergehendes höheres Rauschen, führt zu mehr kreativem Potential.
3.7.6 Das Verhältnis von „Außenwelt“ zu „Innenwelt“
Es mag so scheinen, als wäre dieses Herumprobieren, das unserem
Bewegungslernen zugrundeliegt, ein äußerst uneffektives Verfahren, um
Erkenntnisse zu gewinnen. Tatsächlich ist es aber so, dass wir kaum eine neue
Handlung setzen können, ohne etwas Wesentliches zu lernen, denn jeder neue
Umgang mit Objekten bringt neue Objekteigenschaften zutage. Was immer wir mit
einem Objekt machen, offenbart Informationen, an denen wir später Objekte
erkennen können. Werfen wir ein Ding in das Wasser, so erfahren wir etwas über
seine Löslichkeit. Stoßen wir Dinge aneinander, so hören wir ihren Klang.
Schmeißen wir sie, so erfahren wir deren Zerbrechlichkeit. Durch weit ere
Handlungen können Eigenschaften wie Wärmeleitfähigkeit, Verklebbarkeit,
Fettlöslichkeit, elektrische Leitfähigkeit, Durchlässigkeit für verschiedene
elektromagnetische Wellen usw. erfahren werden. Die ganze Wissenschaft baut
darauf auf, ständig neue Handlungen zu erfinden, deren Ausgang im vorhinein noch
nicht klar sein kann. Ohne solche Spielerei hätten wir nicht viel Wissen über die
Welt. Neue Eigenschaften sind immer Grundlage für neue Entwicklungen, vom
Klebstoff bis zum Röntgengerät. Jeder Qualität, die wir von einem Objekt kennen,
liegt ein Verfahren zugrunde, das wir spielerisch erfunden haben. Die Qualit äten
sind sogesehen unsere Erfindung.
Natürlich gibt es auch einige Eigenschaften, wie zum Beispiel die
Lichtrefflexionsfähigkeit von Objekten, auf die wir die Objekte mit unseren
angeborenen Sinnen untersuchen, in dem Fall dem Auge. Aber auch diese Sinne
sind „spielerisch“ durch Zufall, also durch Mutationen erlernt worden, allerdings
nicht von uns, sondern evolutionsgeschichtlich von unseren tierischen Vorgängern.
Auch die phylogenetische Entwicklung unterliegt den Gesetzen des
Erkenntniserwerbs.
Eigenschaften bestehen immer aus den zwei Komponenten Qualität und Quant ität.
Ich kenne keinen Philosophen, der erklärt hätte, wie sie zustande kommen, weil sie
eben nicht logisch zu erklären sind. Es ist unser spielerisches Zutun, das die
157
Qualität erfindet. Die Natur vermittelt uns nur die Quantität in der eine Qualität auf
ein Objekt zutrifft. In der Außenwelt, jenseits von uns, gibt es sogesehen nur
Quantiäten, also Quanten.
Ich will die Sache mit dem Zufall, dem Rauschen, der Mutation bzw. der Spielerei
(wie immer wir es nennen wollen) damit abschließen. Es sind ja bereits neuronale
Netze bekannt, die auf Zufall und Auswahl (Mutation und Selektion) beruhen
(Edelmann 1993, S.387). Die letzten Ausführungen sollten nur zeigen, dass diese
Idee durchaus, ohne wesentliche Schwierigkeiten, mit dem hier dargestellten Modell
vereinbar ist, ja sogar vereint werden muss, um kreatives Verhalten zu erkl ären.
Damit sind alle mir bekannten Problemstellungen eines selbstlernenden Systems
ansatzweise gelöst. Das Modell ist im Prinzip fertig! Es folgt eine
Zusammenfassung der Regeln und die Anwendung auf die Sehrinde.
158
4 ZUSAMMENFASSUNG ALLER REGELN
Der folgende Regelhaufen mag erschreckend wirken. Andererseits ist jeder Satz,
den ich in einer Hilfeanleitung zu einem gewöhnlichen Computerprogramm wie
Word finde, eigentlich eine Regel des Programms. Sogesehen ist ein Programm
wie Word viel komplizierter als das hier dargestellte Modell, das mit den folgenden
36 Sätzen beschrieben werden kann. Ich nehme an, die meisten bereits
verwirklichten KI-Systeme sind komplizierter, wenn auch einfacher umzusetzen.
4.1.1 Regeln zur Verbindungsstärke:
1. Zur Festlegung der Verbindungsstärke muss erfasst werden, wie oft: A
insgesamt auftrat, A und B zusammenfielen, und B insgesamt auftrat. Um die
Stärke der Voraussage zu erfassen, muss im Neuron der zweite Wert durch den
ersten dividiert werden.
2. Verbindungsverfall: Um zu erfassen ob die Verbindung aufrecht erhalten
werden soll, muss die Zahl wo A und B zusammenfiel durch die Zahl allein
auftretender B dividiert werden.
Vorrang neuer Information: Die nötige Mehrgewichtung neuer Verbindungen
(Adaption an die neuen Bedingungen) wurde durch das Prinzip des
Farbenmischens veranschaulicht. Weiße Farbtropfen repräsentierten die
Reizkombination AB, schwarze den Reiz A. Die Mischung repräsentiert die
Wahrscheinlichkeit, dass auf A B folgt. Ist der Mischtopf voll, tritt Adaption in Kraft,
das heißt, es wird Mischfarbe verworfen damit neue Farbe Platz hat.
3. Gesetz der Nähe: Nahes wird eher verbunden als Entferntes. Das ergibt sich
aber im Signalfließnetz automatisch.
4. Hemmung: Jeder Zelle ist eine Antizelle zugeordnet, die auf die Inputsignale
negativ reagiert. Über sie werden daher hemmende Verbindungen entstehen.
4.1.2 Regeln zur Verbindungsfindung
5. Kreisförmige Ausbreitung: Die Signale müssen innerhalb der Ebenen in einem
unscharfen Verlauf weitergegeben werden, weil gezeigt werden konnte, dass sie
sich dadurch kreisförmig, also nach allen Richtungen gleich schnell ausbre iten.
6. Vorwärtsfluss: Die Signale fließen vorwärts, nicht zurück, da eine Zelle, die
gerade ein Signal abgegeben hat, keines empfangen kann. Diese vorläufige
Blockade ist auch für die Zeiterfassung ausschlaggebend.
7. Bevorzugung jeweils eigener Zellen zur Signalweitergabe. Ein Signal wird nur
dann an eine Zelle weitergegeben, die auch von einer anderen Quelle b eliefert wird,
wenn keine freie Zelle vorhanden ist.
159
8. Rückfluss: Treffen die Signale auf der Ebene aufeinander, und ist kein Platz, um
Signale weiterzugeben, werden die Signale so lange aufbewahrt, bis die
benachbarten Zellen wieder aufnahmefähig sind.
9. Kämmsignale: Kämmwege dienen der Verbindungsfindung. Der Signalflüsse,
welche zu den Kämmlinien führen, überschreiben einander. Die entstehende
Kämmrichtung beschreibt den Mittelweg der sich überschreibenden Richtungen.
10. Ende des Kämmsignalflusses: Trifft ein Signal auf einen Bereich, der bereits
Quer zu seiner Fließrichtung durchkämmt wurde, kann es nicht mehr weiterfließen,
weil der Mittelweg zweier entgegengesetzter Wege einer Löschung gleic hkommt.
4.1.3 Regeln zur hierarchischen Organisation der Verbindungen
11. Die Bildung einer neuen Chunkzelle: Verbindungen entstehen zwischen
gleichzeitig gereizten Zellen. Die Aktivierung der Zelle (durch die Sinne) kann durch
die Verbindung zur anderen Zelle fließen, und von dort weiter zur näch sten. Ist eine
Zelle der Kette nicht wie erwartet aktiviert, so entsteht ein Voraussage fehler. Das
Signal wird in die nächste Ebene weitergegeben. Dort bildet sich die Chunkzelle.
Sie wird jedes mal wieder aktiviert werden, wenn dieser Voraussagefehler en tsteht.
12. Wieviel Signal wird weitergegeben? Es wird immer nur jener Teil des Signals
weitergegeben, der nicht vorausgesagt werden konnte. Wenn auf höherer Ebene
festgestellt werden muss, dass die Enden der Kette nicht vorausgesagt werden
können, fließt ein Signal die ganze Kette zurück (Abziehbildsignalfluss). Solange
jedoch Voraussagen möglich sind, bleiben solche Signale aus (Lernblockierung).
13. Verschaltung der Chunkzellen: Eigentlich ist jede Zelle, die aus einer
Abzweigung einer Verbindungskette hervorgeht, eine Chunkzelle. Neue
Chunkzellen gehen miteinander Verbindungen nach den üblichen Regeln der
Verbindungsfindung ein. Man könnte sagen, an jeder Astgabelung des
Zukunftsbaumes sitzt eine Chunkzelle. Dadurch entsteht die Hierarchie im De nken.
14. Platz der Chunkzelle: In Und-Verbindungen, wo Voraussagesignale von den
Enden einfließen, entsteht die Chunkzelle in der Mitte der Verbindung, dort wo der
Abziehbildsignalfluss austritt. Demgegenüber gibt es in zeitlichen Verbindungen
eine klare Fließrichtung, die dazu führt, dass die Chunkzelle am Anfang der
Verbindung entsteht.
4.1.4 Regeln zum Zusammenfluss der Signale
15. Kombination versus Serialität: Gleiche Signale können zusammen in eine
Leitung fließen: Unterschiedliche Signalstärken können nicht vermischt we rden. Es
siegt das stärkere Signal. Ist dieses verarbeitet, und damit abg estellt, kommt das
schwächere zum Zug (Serialität der Aufmerksamkeit).
16. Zahl und Stärke beim Zusammenfluss: Beim Zusammenfluss mehrerer
Signale entsteht in der Antizelle die Summe ihrer Negativa. Die Gesamtreizung der
160
Antizelle muss dann nicht immer das Negativ zum Gesamt der Zelle darstellen. So
kann Zahl und Stärke der zusammengeflossenen Signale unterschieden werden.
17. Stärke der Verbindungen: Beim Abfluss bzw. Zusammenfluss der Signale
siegen kurze Verbindungen vor längeren.
18. Universalität der Regeln: Die entstehenden Verbindungen führen in Summe zu
einem neuen Netz, in dem aber immernoch die gleichen Regeln gelten. Im visuellen
System entstehen Quasiebenen (flächendeckende Verbindungsketten), wie jene der
Balkendetektoren.
19. Abziehbildcodierung/Start: In Und-Verbindungen kommt es unter gleich
gereizten Zellen zu keinem Signalaustausch. Der Abfluss der Signale beginnt an
den endgültigen Voraussageenden. Die befinden sich in den obersten bisher
verschalteten Ebenen. Innerhalb der Unterebenen führt er dann zur
Abziehbildcodierung. Der Startzeitpunkt wird durch die, in Und-Verbindungen halb
so schnell fließenden Erwartungssignale festgelegt. Das Abziehbild ergibt sich
durch die doppelt so schnellen Vorstellungssignale.
20. Abziehbildcodierung/Abfluss: Der Abfluss aus der Ebene ergibt sich bei der
Abziehbildcodierung an der Stelle, wo die Signale nicht mehr weitergegeben werden
können, also z.B. in der Mitte einer Fläche gleichgereizter Zellen. Dort wird das
Signal aus der Ebene an neue Zellen weitergegeben, wo es vor allem zeitliche
Verarbeitung auslöst.
21. Warum kehrt das Signal nicht um, wie bei der Verbindungsfindung? Weil
es sich um Zellen handelt, die alle durch die Wahrnehmung aktiviert sind und
bereits verschalten sind.
4.1.5 Regeln zur zeitlichen Voraussage
22. Vorstellungssignale und Erwartungssignale: Es muss zwei Arten von
Signalflüssen geben. Die schnellen Vorstellungssignale, die ohne Zeitverlust die
Verbindungen entlanglaufen, und die Erwartungssignale, die die erlernten zeitlichen
Distanzen zwischen Reizen repräsentieren, indem sie immer erst weitergegeben
werden, wenn die Voraussage überprüft ist. Dadurch laufen sie parallel zur Ech tzeit
der Welt.
23. Der zeitliche Voraussagefehler entsteht, wenn die weitergegebenen
Erwartungssignale nicht mit einem erwarteten Reiz zusammentreffen
24. Adaption:
auszuschöpfen.
ist
notwendig
um
das
volle
Reizpotential
von
Neuronen
25. Unterscheidung von Reizstärke und Reizlänge: Dies geschieht, wie schon im
visuellen System, durch die Zusatzinformation der Antizelle. Ihre Reizstärke in
Relation zur Reizstärke der Zelle ist entscheidend.
26. Zeiterfassung: Erwartungssignale sollen mit der Realwelt übereinstimmen
(parallele Welt). Da Zeitlängen durch eine Hierarchie von Verschaltungen auf die
maximale Impulsrate der Neuronen zurückgeführt werden, muss das
161
Erwartungssignal lediglich diese gesamte Verschaltungshierarchie durchwandern,
um durch die Impulsrate so abgebremst zu werden, dass es mit der Realzeit
übereinstimmt.
27. Die Verbindung nicht zeitgleicher Signale: Zellen bleiben kontaktfähig,
solange sie nicht vorausgesagt wurden, und auch nicht durch Adaption
verstummen. Im Fall eines Zeitunterschiedes liegt die Aktivierung der ersten Zelle
schon zurück. Sie hat daher jetzt kein Kämmsignal ausgesandt, wird aber vom
Kämmsignal der neu aktivierten Zelle erfasst, und antwortet mit Signalrücklauf. Das
Rücklaufsignal entsteht also nicht in der Verbindungsmitte, sondern direkt bei der
kontaktierten Zelle.
4.1.6 Regeln für körperliche Bedürfnisse
28. Sollwertabweichungen: Körperliche Bedürfnisse werden durch Signale (und
deren Verknüpfungen) repräsentiert, die entstehen, wenn ein Messwert nicht dem
genetisch vorgegebenen Sollwert entspricht.
29. Rückfließende Signale: Die Signale der Sollwertabweichungen (Bedürfnisse)
verbinden sich untereinander nach den bisherigen Regeln, haben aber die Fähigkeit
Verbindungen von Sinnesreizen gegen den Zeitpfeil zu durchwandern. Man kann
sich vorstellen, zeitliche Verbindungen seien gedreht wie ein Gewehrlauf, und
Bedürfnisreize hätten ihren Spinn in die andere Richtung.
30. Weg abnabeln: Durch die Überlagerung der rückfließenden Signalströme vom
Lustzentrum und den vorwärtsfließenden von den Sinnen (Zukunftsvorstellungen),
wird ein Pfad isoliert, der zu einer bedürfnisgerechten Zukunft führt. Die stärkste
Zukunft siegt. Handlungen sitzen an Verzweigungsstellen der prognostizierten
Zukunft. Wir können jeweils eine Zukunft voraussagen, zu der uns die Handlung
führt, und eine andere Zukunft, zu der es ohne Handeln käme. Es siegt der Weg,
der für die Bedürfnissollwerte mehr bringt.
31. „Entweder oder“ versus „oder auch“: An Verzweigungen des
Zukunftsbaumes wo wir durch unser Handeln über unsere Zukunft entscheiden
können (entweder oder) siegt das stärkere Rücklaufsignal. An Verzweigungen wo
wir dies nicht können, und nicht genau wissen welche der beiden möglichen
Zukünfte uns erwartet (oder auch), wird ein Durchschnitt der beiden
Rücklaufsignale gebildet, der dann unsere Zielmotivation repräsentiert. Solche
Verzweigungen sind sozusagen undefiniert.
32. Zeitpunkt der Handlung: Der abgenabelte Weg löst noch keine Bewegung
aus. Dazu muss erst das Erwartungssignal, welches zeitlich parallel zur Welt
verläuft, die Zelle erfassen. Erwartungssignale folgen dem abgenabelten Weg in
der Realzeit (parallele Welt) und aktivieren zeitgerecht die Motorik.
162
4.1.7 Regeln für geistige Bedürfnisse und kreatives Verhalten
Keine neuen Regeln. Aufmerksamkeit, Lerntrieb und ästhetischer Trieb bedürfen
keiner einzigen neuen Regel. Sie entstehen einfach durch die rücklauf enden
Signale, die beim Erlernen neuer Verbindungen zwischen noch nicht
vorausgesagten Reizen entstehen,
sich im Netz verteilen und dabei Wege
abnabeln.
33. Gegenläufiger Spinn: Die Möglichkeit des Rückflusses wurde durch die
Geschraubtheit zeitlicher Verbindungen veranschaulicht, und durch den
Gegenläufigen Spinn der Signale von den Bedürfnissen. Sind die Signale, die von
Zellen ohne gültige Voraussage, zum Zwecke der Verbindungsfindung ausgesendet
werden, auch gegenläufig gedreht, wirken sie, wie Bedürfnissignale, als
Wegbereiter für Handlungen. =Lerntrieb.
34. Kreativität und neues Verhalten: Zellen, deren Sensitivität noch nie durch
einen Adaptionsprozess eingeschränkt wurde, sind so „laut adaptiert“, dass sie
Zufallsrauschen aufweisen. Zufällige Häufungen in diesem Rauschen führen zu
Zufallsverbindungen, über die Zufallsverhalten entsteht.
Wieso daraus sinnvolle Verbindungen hervorgehen: Zufallsrauschen führt aber
nicht direkt zu bleibenden Verbindungen, weil die nächste umgekehrte Häufung die
Verbindung statistisch wieder aufhebt. Das Zufallsverhalten kann aber Folgen für
Körpersollwerte haben, die nicht zufällig sind, und dann wird sinnvolles Verha lten
selektiert und somit erlernt.
4.1.8 Allgemeine Zusatzregeln:
Aus der Anwendung des Modells am Beispiel des visuellen Systems wird sich die
Notwendigkeit für zwei Regeln ergeben, die ich erst dort behandle. Die Regeln will
ich der Vollständigkeit halber trotzdem hier auflisten:
35. Ab wann gelten zwei Reize als Gleich: Dieses Problem fällt unter die
„Schwellenwert-Probleme. Es hat sich folgende Regel als brauchbar erwiesen:
Signale gelten demnach dann als gleich, wenn ihre Differenz zueinander geringer
ist, als die Differenz, die sich im Durchschnitt zum Eigensignal der Em pfängerzelle
ergibt.
36. Berechnung des Voraussagefehlers bei Sternzellen: Um den
Voraussagefehler zu ermitteln müssen bei einer sternförmigen Verbindung mehrere
Signale mit dem Eigensignal der Zelle verglichen werden. Dabei wird nicht sofort
ein Durchschnitt der eintreffenden Signale gebildet und dieser dem Eigensignal der
Zelle gegenübergestellt, sondern jedes Signal wird einzeln mit dem Eigensignal der
Zelle verglichen, und erst danach wird ein Durchschnitt der gesammelten
Abweichungen gebildet. Dieser stellt den gesamten Voraussagefehler dar.
163
36 Regeln erscheinen viel, zumal die meisten davon direkt das Verhalten eines
einzelnen Neurons beschreiben. Aber eine Zelle ist ein ungeheuer komplexes Ding.
Am Beispiel der Einzeller sehen wir, dass eine Zelle sogar für sich lebensfähig sein
kann. Ich halte es durchaus für möglich, dass ein Neuron wesentlich mehr ist, als
ein Schalter. Abgesehen davon bleibt natürlich zu hoffen, dass sich der
Regelhaufen noch auf wenigere Gesetzmäßigkeiten vereinfachen lässt. Während
der Entwicklung dieses Modells waren die Regeln zeitweise schon viel zahlreicher
und ließen sich dann immer weiter reduzieren.
4.1.9 Ist das Modell damit fertig?
Ich würde sagen Ja. So wie es jetzt ist, ist es aus meiner Sicht das erste tec hnisch
konkrete Modell, das die Fähigkeit des Gehirns sich selbst zu strukturieren erklären
kann, und die Grundphänomene des Erkenntnisgewinns ausreichend behandelt.
Das Gehirn weist auch Phänomene auf, die für ein Modell des selbs tlernenden
Erkenntnisgewinns nicht wichtig erscheinen. Die unterschiedliche Nutzung der
Gehirnhälften zum Beispiel. Es dürfte eine Gehirnhälfte im Entscheidungsfall
zeitliche, die andere räumliche Verbindungen bevorzugen (Holler 1996, S.286) ).
Dieser Faktor scheint aber nicht so wesentlich, denn auch ein Mensch, der nur mit
einer funktionstüchtigen Gehirnhälfte auf die Welt kommt, entwickelt ein normales
Verhalten. Auch diverse genetische Grundprogramme, die uns helfen schneller
Fortschritte beim Erlernen des Greifens, Gehens, oder des Erkennens von Stimmen
und Gesichtern zu machen, werden im Modell nicht berücksichtigt, weil das System
diese Dinge auch ohne diese genetischen Hilfen bewältigen kann, wenn auch
langsamer, und weil ein möglichst objektives selbstlernendes System entwickelt
werden soll, also ein ideales erkenntnisgewinnendes System, möglichst ohne
Vorurteile und vorgefertigte Programme. Die Komplexität der Anatomie des Gehirns
ergibt sich aus meiner Sicht aus seiner evolutionären Abstammung von
Tiergehirnen, die weitgehend genetisch vorprogrammiert waren. Die Evolution kennt
ihr Ziel nicht, und findet den Weg tappend. Wir können ihn geradliniger
verwirklichen.
Zugegeben, das Modell ist aufgrund der 36 Regeln, die für das
Verbindungsverhalten jedes einzelnen Neurons gelten, nicht einfach zu verst ehen,
da die Regeln aber in der einzelnen Zelle liegen, genügt es eine Zelle technisch zu
verwirklichen. Diese braucht dann nur vervielfältigt zu werden. Deshalb ist eine
Umsetzung durchaus denkbar. Der Kostenaufwand für die Entwicklung einer
solchen künstlichen Intelligenz ist abhängig von ihrer Kapazität, wobei ich annehme,
dass ein Bruchteil der Neuronen nötig wäre, um das gleiche zu leisten wie das
menschliche Gehirn. Die Neuronen im Gehirn scheinen unexakt zu arbeiten, und
nur in Summe zu exakten Ergebnissen zu finden (Fischbach 1993, S.13). Ich halte
es also für möglich die Leistungskapazität des menschlichen Gehirns annähernd zu
erreichen, allerdings wird es aufwendig sein, wie der Mondflug für die Techn ologie
der 60er Jahre. Es muss das Interesse eines Volkes sein, um verwirklicht zu
werden. Aber es wäre diesen Aufwand doch Wert? Man bedenke nur, wie sehr ein
164
solches künstliches Wesen das Selbstverständnis erweitern würde, das der Mensch
von sich hat. Anders als er, könnte es ewig leben, indem es sein Wissen sichert,
und wenn es zerstört wird, dieses Backup in einen neuen Körper eing espielt wird.
165
5 EXKURS: ÜBERPRÜFUNG DER REGELN AM VISUELLEN
SYSTEM
Die folgenden Beispiele mögen eine Umsetzung noch komplizierter erscheinen
lassen. Sie sollten aber unseren Glauben an die Machbarkeit nicht
beeinflussen, denn nichts von dem im folgenden Beschriebenen braucht von
Menschen programmiert zu werden. Beschrieben wird das Verhalten des Systems
auf Umweltreize. Erschaffen brauchen wir ja nur das leere Gehirn. Programmiert
wird es durch die Umwelt. Niemand sonst hätte die Fähigkeit es zu
programmieren. Was die ersten, grundlegendsten Verarbeitungsmechanismen
betrifft, so will ich im Folgenden zeigen, dass sich durchaus erahnen lässt, was die
Umwelt in das Wesen hineinprogrammieren wird. Hohe Stufen der Entwicklung wird
der Mensch vielleicht nie begreifen können, selbst dann nicht, wenn er einmal ein
solches Wesen geschaffen hat.
5.1 Niedrige Stufen visueller Verarbeitung
5.1.1 Das Projektionsfeld
Im Prinzip ist ein Projektionsfeld nichts anderes, als ein Bereich der Gehirnfläche,
auf den die Reize eines Sinnesorgans übertragen werden. So wird zum Beispiel
das Bild der Netzhaut der Augen in Form eines Reaktionsbildes auf das Gehirn
übertragen. Die Reize werden dabei auf eine größere Fläche verteilt , um Platz für
deren Verarbeitung zu haben.
166
Farbrezeptoren der Kamera
Deren Projektionsbereiche im neuronalen Netz
Natürlich könnte die Projektion auch noch weiter verteilt werden. An den folgenden
Beschreibungen wird man abwägen können, wieviele Zellen man auf einer Ebene
benötigt.
5.1.2 Kontur und Farberkennung
Das erste was die Lichtrezeptoren des Auges nach unseren Verbindungsregeln tun
werden, ist Kontakte zu ihren Nachbarn herzustellen. Die Nachbarzelle wird häufig
eine ähnliche Reizintensität aufweisen, und zwar selbst dann, wenn sie auf einen
anderen Spektralbereich reagiert, denn die meisten Objekte reflektieren Licht über
einen sehr breiten Bereich des Spektrums. Der Grund warum benachbarte Zellen
oft gleich gereizt sein werden ist einfach der, dass generell in einem Bild mehr
Punkte innerhalb von Farbflächen zu liegen kommen, als an Konturen und innerhalb
von Farbflächen sind benachbarte Bildpunkte gleich gereizt.
Die Voraussage, die diese Verbindungen bringen, lautet also: „Die Nachbarzelle
weist mit einer Wahrscheinlichkeit x eine gleiche Reizung auf“. Wo das Bild
Konturen aufweist wird jedoch diese Voraussage nicht stimmen. Es wird zu
Fehlermeldungen kommen. Damit haben wir Konturen erkannt.
Nun soll die Sache etwas genauer in Hinsicht auf die Farbe betrachtet werden.
Zuerst gehen wir von einem Zwei-Rezeptoren-System aus. Beachten wir also erst
einmal nur die Rot- und Grünrezeptoren. Jeder Rotrezeptor bildet eine Verbindung
zu den grünen Nachbarzellen aus, denn Grün ist im Lichtspektrum dem Rot näher
als Blau, und rote direkte Nachbarzellen sind nicht da. Es gibt nicht nur eine,
sondern drei grüne Nachbarn. Da sie meist die gleiche Reizung aufweisen, können
sie alle mitverbunden werden (siehe benachbarte Zellen in der Grafik des
167
Projektionsfeldes). Umgekehrt verbindet sich jeder Grünrezeptor zu den drei roten
Nachbarzellen hin. Es entstehen Verbindungen in beide Richtungen, genau so, wie
man sie im Gehirn findet (Hubel 1989, S.192). Zusammen bilden diese
Verbindungen sternförmige Verbindungsketten nach allen Richtungen, oder besser
gesagt ein Verbindungsnetz, über das sich Signale in alle Richtungen au sbreiten
können.
Dieses System ist relativ leicht simulierbar. Ich nehme an, die Signale sollen die
Eigenreizung der Nachbarzelle voraussagen, und sie, soweit die Voraussage
zutrifft, aufheben. Wenn die Voraussage nicht zutrifft, werden sie geschwächt und
breiten sich nicht mehr viel weiter in der Verbindungskette aus. Das Ausbreiten der
Voraussagesignale ist also nichts anderes als ein Ineinanderschwimmen der
Signale, also Unschärfe. Die Größe der Unschärfe kann ich nur schätzen. Als
Testbild will ich das folgende verwenden:
Der Vergleich von Voraussage und Eigenreiz ist nun so vorzustellen: Jede Zelle
repräsentiert ihre Gereiztheit nicht nur in einem positiven, sondern auch in einer
negativen Ladung. Wenn zwei Zellen zueinander einen Kontakt herstellen, fließt
Strom von deren positiven zu deren negativen Kontakten. Weisen die Zellen gleiche
Ladungsintensität auf, so können negative und positive Ladungen einander
vollständig aufheben. Wenn nicht, so bleibt ein Rest. Dieser Rest ist der
Voraussagefehler.
Ich versehe also den roten Farbkanal mit Unschärfe, um den Signalfluss zu den
Nachbarzellen zu simulieren. Die Unschärfe stellt dar, wie weit die Signale
ineinanderfließen. Indem ich dieses Bild nun mit dem scharfen grünen Farbkanal
überblende, das ich vorher invertiert (negativ gemacht) habe, simuliere ich, wie sich
Voraussage- und Eigenreiz gegenseitig aufheben. So komme ich zu folgendem
Ergebnis:
+
=
168
Wir erkennen, dass die Helligkeitsunterschiede verschwunden sind. Sie treten nur
noch in Form der Konturen hervor. Das ist so, weil innerhalb der Flächen die
Gereiztheit der Nachbarzelle richtig vorausgesagt werden konnte. Wo sind die
Signale hin? In diesem Modell gehen sie nicht verloren, sondern fließen in Form des
Abziehbildsignalflusses ab. Dieser Signalfluss beginnt an den Voraussageenden.
Das sind die Konturen, die ja noch zu sehen sind. Der Abziehbildsignalfluss se lbst
ist nicht dargestellt. Genaugenommen zeigt die rechte Darstellung ja b ereits die
nächste Verarbeitungsebene, wo die Signale, die abfließen konnten, fehlen.
Bestimmte Signale sind aber geblieben. Der Farbunterschied zwischen Rot und
Grün ist noch durch den Grauverlauf im Dreieck gekennzeichnet, weil rote Zellen
immer grüne Nachbarn haben, und diese Nachbarn nur im Fall einer grauen Fläche,
nicht jedoch bei Farblicht gleiche Reizung aufweisen. Das bedeutet, unser System
verarbeitet Farbton anders als Helligkeit. Das hat natürlich einen Vorteil, denn wir
können mit einem solchen System die Eigenfarbe eines Objektes unabhängig von
Licht und Schatten, die darüber fallen (Helligkeit), beschreiben. Betrachten sie das
Ergebnis aus größerer Entfernung, so sind die Helligkeitskonturen nicht mehr
sichtbar, und nur die Farbinformation bleibt.
Wie verschalten sich nun die Blaurezeptoren?
Im Gehirn verschalten sich die Blaurezeptoren
sowohl mit Rot als auch mit Grünrezeptoren
gleichzeitig zu Blau-Gelb-Gegenfarbenzellen
(Hubel 1989, S.192). Die additive Mischung von
Rot und Grün ergibt Gelb. Die Rot- und GrünZapfen werden erst einmal zu Gelb verbunden,
und dann mit Blau zu den Gegenfarbenzellen.
Ich behaupte, man kann dieses Phänomen mit
meinem
Modell
vollkommen
aus
der
Bayesianischen
Statistik
und
den
Konditionierungsregeln ableiten. Um das zu
verstehen
ist
zuerst
der
Empfindlichkeitsbereich der drei Zapfentypen
zu beachten:
In der Grafik zeigt sich, dass Rot und Grün
einen viel ähnlicheren Reaktionsbereich haben
als
Blau.
Ihre
Empfindlichkeitskurven
überlappen sich in einem viel weiteren Bereich.
Offensichtlich führt dies dazu, dass sie vom
Gehirn in der ersten, groben Verschaltung als
gleich behandelt werden. Erst im nächsten
Schritt, wenn bei dieser Methode zu viele Voraussagefehler entstehen, wird eine
genauere Differenzierung vorgenommen.
169
Wir brauchen also eine Schwellenwert-Formel, eine Formel, die angibt, bis wann
Signale noch als gleich gelten. Ich habe nur zwei Bereiche des visuellen Systems
gefunden, die so weit erforscht sind, dass man aus deren Verschaltung auf eine
solche Formel schließen könnte. Es ist dies die Farbwahrnehmung und die
Konturrichtungserkennung. Es hat sich gezeigt, dass der Schwellenwert in Relation
zum Eigensignal der Zelle beschrieben werden kann. Ich kam auf folgende Formel:
Signale gelten dann als gleich, wenn ihre Differenz zueinander geringer ist,
als die Differenz, die sich im Durchschnitt zum Eigensignal der
Empfängerzelle ergibt.
In Relation zu dem Reaktionsverhalten der Blaurezeptoren wird das
Reaktionsverhalten von Rot- und Grünrezeptoren sehr ähnlich erscheinen, weil der
Empfindlichkeitsbereich von Rot-und Grünrezeptoren sehr ähnlich ist, während Blau
im Spektrum weiter abseits liegt. Das bedeutet aus der Sicht des „blauen“ Neurons
erscheinen seine Rot- und Grünnachbarn gleich, und es stellt zu Beiden eine
Verbindung her. Die gegenpoligen Gelb/Blau-Zellen werden eventuell aufgrund
räumlicher Probleme zuerst noch aus zwei Gruppen bestehen (siehe Dreiecke in
der Grafik) und erst auf der nächsten Verarbeitungsstufe beide zusammen die selbe
Doppelgegenfarbenzelle beliefern, für die sie als gleich gelten. So entsteht das
Blau-Gelb Verbindungsnetz, das verantwortlich ist für die Reaktionsweise der B/GGegenfarbenzellen in unserem Gehirn. Um sie zu simulieren überblende ich also
ein Kombinationsbild aus Rot- und Grünkanal mit dem unscharfen invertierten
Blaukanal.
170
+
=
Wir können erkennen, dass sich im Dreieck nun ein horizontaler Graustufenve rlauf
ergibt, wo es bei dem Reaktionsbild der Rot-Grün-Gegenfarbenzellen ein vertikaler
Verlauf war. Wir verfügen also über einen vertikalen und einen horizontalen
Verlaufsbalken, und so ist jede Farbe des Dreiecks durch die Reaktionswerte exakt
definiert. Diese beiden Verlaufsbalken beschreiben also Farbe ohne ihren
Helligkeitswert. Die Helligkeit benachbarter Zellen wurde hingegen bereits richtig
vorausgesagt, ist also erkannt. Wir können uns vorstellen, dass diese Information
bereits in Form des Abziehbildsignalflusses komprimiert und zeitcodiert an höhere
Verarbeitungseinheiten abgegeben wurde. Nur mehr die Konturen sind stehen
geblieben. Wir können also Objektfarbton und Sättigung weiter verarbeiten, ohne
von Licht und Schatten irritiert zu sein.
Die Erkennung von Objektfarben unabhängig von Schatten und Licht, fällt aus der
Sicht der Psychologie unter die „Konstanzleistungen“. Die meisten Konstanzleistungen basieren auf folgendem Prinzip: Es werden im Gehirn nicht einfach die
Messwerte, also die Reaktonsintensitäten der Sinneszellen verzeichnet, sondern
Sinnesdaten, die der gleichen Inkonstanz erliegen, werden durch Konditionierung
verbunden und im Verhältnis zueinander erfaßt. Am Beispiel von Licht und Schatten
konnte nun gezeigt werden, warum dies zu konstanten Farbdaten bei wechs elnder
Beleuchtungshelligkeit führt.
Was es bringt Daten in Relation zu erfassen, kann am Beispiel der
Farbverarbeitung auch mit Zahlen leicht erklärt werden: Wenn in einem hellen
Bereich eines bläulichen Objektes die Reaktion des blauen Zapfens 12, die de s
roten 3 und die des grünen 6 ist, und im schattigen Bereich des Objekts reagiert der
blaue mit 8, der rote mit 2 und der grüne Zapfen mit 4, so ist doch in beiden Fällen
das Reaktionsverhältnis der Zapfen zueinander 4:1:2. Dieses Verhältnis beschreibt
somit den Farbwert unabhängig von dessen Helligkeit.
Aber genaugenommen haben wir ja mit unserer Methode Differenzen und nicht
Relationen erfasst. Was ist der Unterschied? Beides beschreibt die Abstände
zwischen den Reizen. Die Größe der Zahlenwerte in einer Relation ist aber davon
abhängig, wie weit sich die Bruchzahlen kürzen lassen. Die Größe der Differenz ist
hingegen direkt auf den Signalstärkenunterschied der Reize zurückzuführen. Das
ist für unser Modell wahrscheinlich brauchbarer.
171
5.1.3 Die Reaktion von Gegenfarbenzellen auf Unschärfe und Grauverläufe
Was das letzte Testbild betrifft, so ist unser Modell zu guten klaren Ergebnissen
gekommen weil scharfe Konturen vorhanden waren. Das folgende Testbild zeigt ein
problematischeres Ergebnis. Das Problem der Farbverarbeitung will ich im
Folgenden beiseite lassen, deshalb wähle ich ein Schwarz-Weiß-Bild und trenne die
Kanäle nicht:
Innerhalb von breiteren Helligkeitsverläufen reagieren die Voraussagezellen
(Zentrum/Umfeld-Zellen) genauso wie innerhalb von regelmäßigen Flächen, nämlich
gar nicht, was grau dargestellt ist. Das würde aber bedeuten, dass wir beides nicht
unterscheiden können. Auch würde es innerhalb einer unscharfen Kontur, die ja
nichts anderes ist als ein Grauverlauf zu einem Bereich führen, in dem die Zellen
abschalten, wie er in der Grafik auftritt. So entstünden Doppelkonturen.
Richtig auffällig wird das erst, wenn ich die schwarz dargestellten gehemmten
Bereiche auch weiß kennzeichne (und den ungereizten Hintergrund zur besseren
Sichtbarkeit schwarz). Wir enthalten Doppelkonturen. Unsere Simulation ist also
falsch.
172
Das Problem lässt sich lösen, wenn wir die Zusammenführung der Signale der drei
Zellen, mit der die zentrale Zelle sich verbunden hat, mit deren Eigensignal anders
gestalten. Zwar muss die Regel erhalten bleiben, dass wenn die umliegenden
Zellen anders gereizt sind als die Eigenreizung der Zelle, ein Voraussag efehler, und
damit eine Reaktion auftritt, aber bildet man, so wie in unserer Simulation, zuerst
einen Durchschnittswert aus den umliegenden Zellen (was in der Simulation durch
das Unscharfbild geschieht), und vergleicht diesen dann mit dem Eigenwert, dann
kommt es in Grauverläufen eben zu keiner Differenz mehr.
Die Lösung besteht nun darin, dass die Reaktion jeder umli egenden Zelle
extra mit dem Eigensignal verglichen wird. So entstehen in Grauverläufen
Differenzen, da ja die Nachbarzellen verschieden gereizt sind. Nehmen wir an, die
Eigenreaktion der Zelle ist 4 und im Grauverlauf ist die Zelle rechts daneben in der
Stärke 3 gereizt, die links daneben in der Stärke 5, dann ist die
Durchschnittsreizung der Nachbarn 4, und daher gleich der Eigenreizung.
Vergleichen wir jedoch jede einzeln mit der Eigenreizung der Zelle, so ergibt sich in
beiden Fällen eine Differenz von 1, also signalisiert unsere Zelle einen
Voraussagefehler, wenn auch ohne definiertes Vorzeichen.
Diese Reaktion innerhalb des Grauverlaufs führt nun nicht nur dazu, dass unser
künstliches Gehirn Grauverläufe von Flächen unterscheiden kann, sondern dass
auch in der Mitte des Grauverlaufs einer unscharfen Kontur die Zentrum/Umfeld Zellen reagieren. Das Konturbild sieht also folgendermaßen aus:
173
Sind deshalb unsere einfachen Simulationsbilder zu den Gegenfarbenzellen auch
grundlegend falsch? Nein! Da dort keine Grauverläufe auftreten, würde sich an dem
Ergebnis nichts augenfälliges ändern. Die linke, scharf dargestellte Figur hat sich
hier ja auch nicht verändert.
Trotzdem gehört die gängige Theorie der Zentrum-Umfeld-Zelle konkretisiert. Ich
denke bei genauer Betrachtung wird sich das zuletzt dargestellte Reaktionsbild als
Gesamtreaktion der Z/U-Zellen zeigen, und nicht die Doppelkonturen. Die hätte
man nämlich schon längst entdeckt. Es wird sich zeigen, dass die Zellen innerhalb
von Helligkeitsverläufen nicht völlig stumm bleiben.
5.1.4 Die Bewegungzellen und die Objektfixierung
Auf Bewegung reagierende Zellen werden erst auf der Ebene entstehen, die
Konturen erhält, weil Bewegung nur an Konturverschiebungen erkannt werden kann
(innerhalb von Farbflächen verändert eine Verschiebung nichts).
Ein Neugeborenes ist noch nicht in der Lage Dinge mit den Augen zu fixieren.
Wenn es den Kopf dreht bleiben die Augen ruhig. Das bedeutet, das ganze
Netzhautbild wird sich verschieben. Konturen wandern also quer über die ganze
Netzhaut.
Diese Wanderung wird dazu führen, dass benachbarten Zellen entlang der
Bewegungsrichtung auf der nächsten Ebene, die diese Kontursignale erhält, zu
einer Kette verschalten werden, denn sie werden wiederholt unmittelbar
nacheinander aktiviert. Da eine Zelle in unserer Netzwerkstruktur nur in drei
Richtungen einen unmittelbaren Nachbarn hat, wird dies dazu führen, dass in drei
Richtungen und noch in deren drei Gegenrichtungen solche Ketten vorliegen.
Wenn nun ein Punkt in der Mitte einer weißen Fläche eines Monitors erscheint, so
sollte doch jede dieser drei Ketten voraussagen, dass er sich im nächsten Moment
in einer anderen Richtung verschiebt. Aber diese Voraussagen würden sich
widersprechen. Natürlich hat unser System diese Regel auch bemerk t. Wenn sich
ein Punkt in eine Richtung bewegt, so bewegt er sich nie gleichzeitig in die andere
Richtung. Also werden Verbindungen von der Anti-Linkszelle zur nächsten
174
Rechtszelle entstehen. (Zur Erinnerung: Die Anti-Linkszelle ist der für hemmende
Verbindungen zuständige Teil der Linkszelle, und immer mit ihr gemeinsam aktiv.)
Über diese Verbindung wird die rechtsvoraussagende Zelle gehemmt, wenn eine
Linksvoraussage stattfindet. Da im Moment alle Voraussagen möglich sind,
hemmen sich alle gegenseitig.
Bewegt sich der Punkt nun nach links, so entsteht ein Voraussagefehler bei der
links hemmenden Verbindung. Ihre Voraussage lautet: „Dieser Punkt wird sich nicht
nach links bewegen“, und dies ist nun widerlegt. Der Voraussagefehler ergeht an
die nächst höhere Ebene. Auf dieser Ebene erscheint also nur dann ein Signal,
wenn an einem Ort wirklich eine Bewegung nach links stattfindet. Wa ndert der
Punkt ein Stück weiter nach links, so erscheint daneben wieder ein solches Signal,
und wieder und wieder. Die Signale auf dieser Ebene werden wieder Ketten bilden.
Das sind nun die eigentlichen Bewegungszellen.
Sie signalisieren stärker, je mehr Bewegung stattfindet. Das kann zum Beispiel zur
Entfernungseinschätzung genutzt werden. Wenn wir uns seitlich bewegen, so
verschiebt sich Nahes im Perspektivebild stärker als Entferntes. Daran kann
Entfernung erkannt werden. Tauben nützen diesen Effekt zum dreidimensionalen
Sehen, und bewegen deshalb ständig den Kopf vor und zurück.
Zu einer solchen bewegungssensiblen Verschaltung kommt es aber nicht nur bei
Kontursignalen, sondern auch bei den Signalen, die sich durch den
Abziehbildsignalfluss in den Zentren der Objekte sammeln. Diese bewegen sich
genau so schnell weiter, wie die Objekte. Die Bewegung dieser Gesamtsignale
könnte das System nützen, um die Augenmuskel so zu aktivieren, dass das Objekt
fixiert ist. Aber welchen Augenmuskel wie stark?
Wandert ein Punkt in eine andere als die drei von der Zellstruktur vorgegebene
Richtung, zum Beispiel nicht ganz vertilal, so wird er hauptsächlich vertikal
benachbarte Zellen aktivieren, alle paar Übertragungen aber auch über einen
horrizontalen Nachbarn rutschen. Das bedeutet, er wird eine schwache Voraussage
in den horrizontalen, und eine stärkere in den vertikalen Bewegungszellen
auslösen. Stellen wir uns vor, die drei Richtungs-Typen von Bewegungszellen sind
mit drei Muskeln sinnvoll verbunden, die das Auge bewegen. So wird ein Muskel
stärker, der andere schwächer aktiviert. Diese Aktivierungen bewegen das Auge in
die Richtung, in die sich auch der Punkt bewegt. So kann Objektfixierung geleistet
werden.
Wie aber könnte sich ein solches System selbstlernend entwickeln?
Die Projektionsfelder der Augenmuskeln müssen genetisch vorgegeben sein, und
sie sollten im visuellen System liegen, und zwar auf der Ebene über dem
Abziehbildsignalfluss, wo es also schon einen zentralen Punkt für jedes Objekt gibt.
Die Art und Stärke der Verbindungen zu den Augenmuskeln kann erlernt werden.
Allerdings ist die Sache komplizierter, als man annehmen sollte. Als Antrieb kommt
nur der Lerntrieb in Frage. Starten müssen wir den Lernprozess wie immer, wenn
neues Verhalten erworben werden soll, mit Zufallsverhalten. Dieses entspringt dem
Hintergrundrauschen. Eine Zelle ohne Fremdeinfluss weist Zufallsrauschen mittlerer
175
Dichte auf. Starten wir unsere Überlegungen im motorischen Bereich:
Kopfdrehungen führen zum Vorbeiziehen der visuell wahrgenommenen Objekte.
Nun soll gelernt werden, wie das zentrale Objekt trotzdem fixiert werden kann. Die
irgendwann zufällige Bewegung der Augen gegen die Drehrichtung, könnte zur
Hemmung der wahrgenommenen Bildbewegung führen, was wiederum die
Aktivierung der Antizelle für „Bildbewegung“ zur Folge hat. Dies ist ein
Voraussagefehler, denn das Kind hat gelernt, dass Eigenbewegung zu
Bildbewegung führt. Der Voraussagefehler kann dann mit mit der derzeit aktiven
motorischen Zelle, die den Augenmuskel ansteuert, eine Verbindung eingehen.
Über diese Verbindung ist in Zukunft, in dieser Situation Bildfixierung anstrebbar.
Sie können an sich selbst testen, dass nur das Objekt, welches dem Bildzentrum
am nächsten ist, mit den Augen verfolgt werden kann. Die Augen parallel zu einem
vorbeiziehenden Objekt zu bewegen, das sich am Bildrand befindet, so dass es an
diesem Ort im Bild fixiert bleibt, ist uns nicht möglich. Der Grund könnte mit der
erhöhten Zelldichte im Bildzentrum zu tun haben. Dort ist nicht nur die Auflösung
feiner, sondern auch die Signaldichte höher, und damit eine Verbindung
wahrscheinlicher. Ich vermute, dass die Verbindungen zu den Augenmuskeln
deshalb dort entstanden sind.
5.1.5 Die Kontur und Richtungserkennung
Die Konturen, die wir durch die Fließnetze erhalten haben, sind relativ breit. Man
könnte sagen, wir haben eher einen Graustufenverlauf zur Kontur hin erhalten, als
eine klare Linie. So ergibt sich die Frage, wie das Gehirn in einem so breiten
Verlauf eine Richtung erkennen kann. Natürlich weisen diese Verläufe eine
Richtung auf. In der Querrichtung zur Kontur kommt es zu starken
Reizveränderungen, längs dazu sind benachbarte Zellen gleich gereizt. Also
entstehen den Konditionierungsregeln zufolge Verbindungen zwischen diesen
benachbarten Zellen, nicht aber quer dazu. Wir erhalten also eine Kette aus
Verbindungen gleicher Ausrichtung. Ein anderes mal, wenn die Kontur in eine
andere Richtung verläuft, entstehen Verbindungen in einer anderen Ausrichtung.
Die durchschnittliche Länge, in der sich Konturen verschiedenster Bilder zufällig
überlagern, ist nicht all zu lang. Konturen können ja Krümmungen in alle möglichen
Richtungen aufweisen. Durchschnittlich wird also eine Kontur nur ein kleines
Stückchen gerade weiterlaufen. Wir können uns das so vorstellen, wie dies in der
folgenden Grafik dargestellt ist. Es erscheinen immer wieder neue Bilder auf der
Netzhaut, deren Konturen in alle möglichen Richtungen verlaufen. Hin und wieder
verläuft ein Konturstück in eine Richtung, die zuvor schon von einer Kontur
beschritten wurde. Dann werden erlernte Verbindungen bestätigt.
176
Da die Konditionierungsregeln auch verlangen, dass Nahes dem Entfernteren
vorzuziehen ist, und in unserem 6eck-Netzwerk eine Zelle nur in drei Richtungen
einen unmittelbar nahen Nachbarn hat, werden vorerst überhaupt nur Verbindungen
in diesen drei Richtungen entstehen.
Nun haben wir also solche Zweierverbindungen in drei Ausrichtungen. Alarm gibt
eine Zellgruppe nicht, wenn ein Reiz ihr entspricht, denn dann ist dieser kleine Teil
der Welt vorausgesagt, und lernen ist nicht notwendig. Alarmiert wird vielmehr,
wenn die Voraussage, dass die benachbarte Zelle gleich aktiv sein wird, nicht
zutrifft. Wenn wir von drei Verbindungsrichtungen ausgehen, dann ist
ausgeschlossen, dass eine Kontur bei allen dreien gleichzeitig zu einer optimalen
Voraussage führt, denn eine Kontur kann ja nur in eine Richtung verlaufen. Wenn
die Richtung nicht exakt einer der drei Verbindungsrichtungen entspricht, werden
sogar alle drei Verbindungszelltypen einen Voraussagefehler melden. Wichtig ist,
dass in der unterschiedlichen Stärke dieser Voraussagefehler die Konturrichtung
beschrieben ist. Jede Konturrichtung wird zu einer anderen Signalstärkerelation der
drei Richtungszelltypen führen. Daher ist jede Richtung exakt erkannt. Diese Idee
soll aber nun genauer betrachtet werden, weil es vorerst so scheinen mag, als sei
sie mit den, im Gehirn vorgefundenen Balkentedetoren unvereinbar.
5.1.6 Die Erkennung von Konturrichtungen
Die Erkennung von Kontur- und Schattierungsrichtungen ist ein und die selbe
Sache. Von den Zentrum-Umfeld-Gegenfarbenzellen erhält das System bereits ein
Konturbild. Ich werde wieder das bereits bekannte Testbild verwenden:
177
Was geschieht nun weiter mit diesem Bild? Wenn wir ein Bild mit sich selbst
überlagern und die Differenz errechnen, so erhalten wir eine schwarze Fläche, da
keine Differenz vorliegt. Verschieben wir nun eines der Bilder vertikal um ein bis
zwei Pixel, so ist damit eine vertikale Verbindung zu benachbarten Zellen sim uliert,
die dann reagieren, wenn sich ihr Signalinput unterscheidet. Dieser Unte rschied tritt
auf, woimmer vertikal benachbarte Bildpunkte unterschiedliche Reizung aufweisen,
zum Beispiel an horrizontalen Konturen, nicht aber an vertikalen.
Differenz kann in zwei Richtungen auftreten. Die benachbarte Zelle kann mehr,
oder sie kann weniger gereizt sein als die Eigenreizung. Ich verwende deshal b
einen grauen Untergrund und stelle positive Differenz weiß, negative schwarz dar.
Es entsteht also folgendes Reaktionsbild:
Unser Auge tendiert dazu dieses Bild dreidimensional zu interpretieren. Aber diese
Interpretation würde nur dann auftreten, wenn wir dieses Reaktionsbild zurück auf
die Netzhaut senden würden, was ja im Gehirn nicht passiert. Wichtig ist vielmehr,
dass in diesem Bild exakt vertikale Konturen zu keinen Reaktionen führen (grau),
während die Reaktion umso stärker ist, je mehr sich eine Kontur der horrizontalen
Richtung nähert. Wir haben also eine Richtungsreaktion, wie wir sie im Gehirn bei
den sogenannten Balkendetektoren feststellen!
178
Genaugenommen wollten wir ja die Voraussage simulieren: „Meine vertikale
Nachbarzelle ist gleich aktiviert wie ich“. Da wir angenommen haben, dass
Voraussagen in Ketten weitergegeben werden, entsteht automatisch auch eine
Voraussage für den vertikal übernächsten Nachbarn. Irgendwann verliert sich das
Voraussagesignal, weil die Verbindungen einen Widerstand aufweisen, der die
Wahrscheinlichkeit x repräsentiert, mit der die Voraussage zutrifft. Nehmen wir an,
die Wahrscheinlichkeit ist ein Drittel, dann ist der vertikale Voraussagefluss mit
folgendem Filter zu simulieren:
Wer ein Pixelgrafikprogramm im Computer hat, kann sich davon überzeugen, dass
dieser Filter einer fließenden Verschiebung des Bildes gleichkommt.
Nachdem wir nun Zellen erhalten haben, die sensitiv auf Querkonturen ansprechen,
ist klar wie wir Zellen erhalten, die auf Vertikale ansprechen. Dazu gehen wir von
benachbarten Zellen aus, deren Verbindung horrizontal verläuft. Färbe ich letzteres
Reaktionsbild rot und lege es über das erste, welches ich blau einfärbe, dann
erhalte ich ein Bild, das die Gesamtreaktion der Richtungszellen verans chaulicht.
Jeder Konturausrichtung sind nun eigene Farbwerte zugeordnet. Dabei hat diese
Form der Konturrichtungserkennung über ein vertikales und ein horrizontales
Fließnetz kaum Verbindungen bedurft. Konturrichtungsspezifisch reagierende
Zellen sind in der visuellen Sehrinde nachgewiesen, die sogenannten
Balkenrezeptoren. Man hat auch eine hypothetische Verschaltung dieser Zellen
ersonnen, wobei man davon ausging, dass ein Balkenrezeptor mit einem
179
blakenförmig angeordneten Steifen von Rezeptoren der Netzhaut verbunden ist.
Diese Annahme ist unserem Modell zufolge falsch, weil sie sich schlecht über
Konditionierungsprozesse erklären lässt. Hubel 1989, S.83 schreibt: „Selbst nach
20 Jahren wissen wir noch immer nicht, wie die Eingänge zu den corticalen
Balkendedektoren verschaltet sind, damit diese das beobachtete Verhalten zeigen.“
Trotzdem Hubel die hypothetische Natur seiner vorgeschlagenen Verschaltung
damals eingestand, ist sie von vielen Lehrbüchern übernommen worden. Natürlich
ist Hubels Forschung damit nicht hinfällig. Die Reaktionsweise der Zellen, die er
messen konnte, stimmt ja. Auch die rezeptiven Felder zweifle ich nicht an. Falsch
dürfte allerdings sein, dass zu jeder Zelle eines solchen Feldes eine eigene
Verbindung gegeben sein muss. Das würde zu einer Unmenge an Verbindungen
führen, die nicht nötig sind. Meinem Modell zufolge kann das System auf den
Großteil dieser Verbindungen verzichten, weil das Gehirn zu Kettensignalflüssen
fähig ist.
Da die Konturen auf Projektionsbildern nie scharf sind, sondern immer schmale
Schattierungen darstellen, bietet das von mir dargestellte System einen idealen
Mechanismus einer Richtungserkennung für ein praxisnahes System. Das folgende
Testbild soll die Richtungsreaktion anhand eines fotografischen Beispiels veranschaulichen. Ich habe in diesem Fall sowohl negative, als auch positive Differen zen
zwischen benachbarten Zellen gleichermaßen hell auf dunklem Grund dargestellt,
um die Gesamtreakton der Richtungszellen klarer zu verdeutlichen.
180
Auch habe ich drei, statt zwei Verschiebungsrichtungen verwendet und in den drei
additiven Grundfarben eingefärbt und übereinandergelegt um ein möglichst buntes
Ergebnis zu erhalten. Wir sehen, dass jede Richtung eine eigene Farbe erhält.
Wenn wir davon ausgehen, dass die oben dargestellte einfache Verschaltung mit
den unmittelbaren seitlichen Nachbarzellen bereits Richtungserkennung leisten
kann, und wenn weiters dargestellt werden kann, dass eine solche Verschaltung
aus den Konditionierungsregeln hervorgeht, ist sehr wahrscheinlich, dass auch im
Gehirn der Signalfluss innerhalb der Ebene zur Richtungsreaktion führt, und die
Idee der Balkenverschaltung falsch ist. Balkendedektoren gibt es natürlich, nur sind
sie anders verschalten als man glaubte. Die direkte Verschaltung zu Balken könnte
auch die enorme Feinheit der Auflösung der Richtungserkennung nicht erklären
(Spektrum-Ticker 2001.05.28). Das hier dargestellte Modell bietet hingegen eine
Erklärung, und es kann meiner Ansicht nach auch das bisher ungelöste Rätsel d er
wechselweisen Enthemmung von Balkendetektoren gegenteiliger Ausrichtung in
Nachbildversuchen klären (Eysel u.a. 1999).
Wenn wir die klassische Vorstellung der Balkenverschaltung zugunsten dieses
effektiveren, und aus den Lernregeln ableitbaren Modells verwerfen, so ergibt sich
allerdings die Frage, wie es dann sein kann, dass Dedektoren für so viele, fein
voneinander abgestufte Richtungen nebeneinander auf der Gehirnrinde
vorkommen, wenn doch unser Modell besagt, dass sich nur für drei
Grundrichtungen (ähnlich wie drei Grundfarben) Detektortypen entwickeln sollten,
weil im Netz die nächstgelegenen Neuronen immer in drei Grundrichtungen liegen.
Die Antwort liegt einfach in der nicht exakt wabenförmigen Anordnung der Zellen in
natürlichen Systemen. Die Verwerfungen in der Anordnung führen dazu, dass die
unmittelbaren drei Nachbarzellen einer Zelle nicht immer in den gleichen drei
Richtungen vorliegen. Die Verbindungen werden daher von Zelle zu Zelle immer
weiter von der Ursprungsrichtung abweichen, wie dies an der roten Linie zu
beobachten ist, die ich in der Abbildung einer Affen-Netzhaut eingezeichnet habe.
Für die weitere Verarbeitung in einem selbstlernenden System macht das keinen
Unterschied, da die statistischen Regeln schon dafür sorgen, dass die weiteren
Verbindungen stimmen und es zum richtigen Ergebnis kommt, auch wenn sich die
Verschiebungsrichtung dauernd dreht und wendet. Die verworfenen Verbindungen
leisten also was sie sollen, sind allerdings nicht so anschaulich und verständlich wie
in unserem künstlichen neuronalen Netz, wo über die ganze Fläche hinweg die
selben drei Verbindungsrichtungen vorkommen.
181
5.1.7 Abziehbildsignalfluss auf den Richtungsebenen
Lassen wir das Detail der Verwerfung der Konturrichtungen einmal außer Acht, und
bleiben wir bei unserem idealisierten künstlichen Modell, in dem es Zellen für drei
„Grundrichtungen“ gibt, aus deren Reaktionsweise, ähnlich wie bei den Grundfarben
bei der Farberkennung, alle anderen Richtungen erkannt werden.
An einem geradlinigen Konturstück werden gleiche Richtungszellen nebeneinander
ansprechen. Da die meisten Bildpunkte einer Kontur auf geraden Konturst ücken zu
liegen kommen, und nur wenige auf einem Konturwinkel Platz finden, werden
benachbarte Richtungszellen gleicher Ausrichtung häufig gleichzeitig aktiv werden.
Daher werden Richtungszellen gleicher Ausrichtung zueinander eine stärkere
Verbindung aufbauen, als zu denen mit anderer Ausrichtung.
Ein weiteres statistisch relevantes Argument, warum sich Richtungszellen gle icher
Ausrichtung zueinander stärker verschalten werden, ist die häufige gerichtete
Strukturierung unserer Umwelt. Ob Holzmaserung, Dachschindeln, Gräser,
Textilien…, in Texturen kommt es meist zu einem Streif. Das bedeutet eine
Richtung ist stärker vertreten.
Die Richtungszellen (Balkendetektoren) bilden sich alle in der selben Schicht der
visuellen Sehrinde im Gehirn, weil sie auf der gleichen Stufe der
Verschaltungshierarchie entstehen. Doch sie können innerhalb dieser Schicht
trotzdem zu ihresgleichen stärkere Verbindungen herstellen, als zu anders
182
ausgerichteten. So entstehen in dieser Schicht Ebenen. Ich nenne sie
„Quasiebenen“, weil sie ja anatomisch nicht übereinander liegen, sondern
ineinander verwoben sind. Dass dies noch nicht entdeckt wurde ist leicht zu
erklären. Es fehlt an Beobachtungsmethoden für Verbindungen. Zu erkennen ist nur
das Verhalten von Neuronen. Und selbst wenn wir Verbindungen sehen, geht es
uns wie mit der folgenden Grafik. Es sind hier genau zwei voneinander völlig
unabhängige Quasiebenen dargestellt. Das ist aber schwer zu erkennen, weil sie
nicht übereinander liegen, sondern ineinander verwoben sind.
Die Verbindungen der Quasiebenen der Richtungszellen sagen voraus, dass eine
Kontur einer bestimmten Ausrichtung auch in dieser Richtung weiter verlaufen wird.
Die Verbindungen sind auch für den Abziehbildsignalfluss wesentlich. Auch dieser
wird hauptsächlich auf der jeweiligen Quasiebene bleiben, weil nur wenige
Verbindungen zu anderen Ebenen führen, und wenn, dann mit größerem
Widerstand.
Verläuft eine Kontur in einer Mischrichtung zwischen zwei Quasiebenen, so
reagieren Richtungszellen beider Ebenen halb. Auch wird auf beiden Quasiebenen
ein Abziehbildsignalfluss stattfinden, und der Signaloutput beider Ebenen
kennzeichnet dann die Richtung der Kontur. Es ist also die Quelle, durch welche
schließlich die Konturrichtung kennzeichnet wird. Es kommt darauf an welche
Quasiebene sendet.
Was die Konturlänge betrifft, so ist sie, genau wie bei der Objektgröße, durch die
Dauer des Signalflusses gekennzeichnet, der benötigt wird, bis die Signale von den
Voraussageenden (Konturenden) zur Mitte der Kontur zusammenfließen.
Eine gebogene Kontur wird auf verschiedenen Streckenabschnitten zu stärkeren
Signalen auf der einen, oder anderen Ebene führen. Auch hier wird die
Gesamtstrecke durch ein anhaltendes Fließsignal codiert, allerdings wird dieses
Signal erst stärker aus der einen Quasiebene, gegen Ende stärker aus der anderen
Quasiebene „ertönen“. Darin ist die Krümmung der Kontur codiert.
Eine strichlierte Linie wird eventuell durch ein pulsierendes Signal codiert. Es ist ja
wichtig nicht nur die Elemente zu codieren, sondern auch den Abstand zwischen
183
ihnen. Dabei sollte es genügen, wenn das Kettenflusssignal für eine bestimmte Zeit
aussetzt, so dass sich Elemente und deren Abstand wie Töne und Zwischenräume
in der Musik verhalten.
Genauer kann dieser Prozess aber erst durch eine Simulation des Signalflusses
studiert werden. Wichtig ist, dass dabei jeder unterscheidbarer Reiz auch einen
unterscheidbaren zeitcodierten Output bringt.
5.1.8 Die Doppelgegenfarbenzellen
Im Gehirn sind Zellen vorhanden, die Farbgrenzen konturieren (Hubel 1989,
S.192). Die bisher besprochenen Gegenfarbenzellen haben eigentlich nur die
Trennung von Farbe und Helligkeit hervorgebracht, und sie haben uns dazu gedient
Helligkeitsgrenzen zu konturieren. Diese Konturen haben wir nun der
Konturrichtungsauswertung zugeführt. Wir sind aber auch fähig Farbgrenzen zu
erfassen. Wie können die dazu notwendigen Zellen verschalten sein?
Die sogenannten Doppelgegenfarbenzellen schaffen Konturen wo Farben gleicher
Helligkeit, aber unterschiedlicher Tönung vorliegen. Sie entstehen, wenn ein
Gegenfarben-Reaktionsbild mit benachbarten Zellen desselben Reaktionsbildes
eine Zentrum/Umfeld-Verschaltung eingeht, und sich die Signale aufheben. Ich
simuliere dies wieder durch die Überblendung mit dem unscharfen Negativ
(Wenngleich wir festgestellt haben, dass dies eine etwas zu vereinfachte Simulation
ist). Als Testbild dient uns das Ergebnis der Gegenfarben-Zellen. Um ein
verwirrendes Ergebnis zu vermeiden, habe ich die Helligkeitswechsel im Testbild
weggelassen, deshalb fehlen die kreisförmigen Konturen am GegenfarbenReaktonsbild.
Die Unschärfe bestimmt sich ja aus der Wahrscheinlichkeit einer Gleichgereiztheit
der Nachbarzellen. Diese Wahrscheinlichkeit wird bei diesen Farbauszügen
ziemlich groß sein. Man bedenke, dass ein ganzer Wald ohne Licht und Schatten zu
einer einzigen grünen Fläche wird. Oftmals gleichgereizte Nachbarn führen zu
durchlässigeren Voraussageverbindungen, weil ja ein größerer Voraussagebereich
möglich ist. Die Signale können sich also weiter ausbreiten, was ich durch größere
Unschärfe simuliere.
+
=
So entstehen in der Simulation des Doppelgegenfarbenzellen-Reaktionsbildes an
den Konturen keine Linien mehr, sondern breite Verläufe. Das mag der Grund sein,
warum es im Anschluß daran im Gehirn zu keiner eigenen Richtungsauswertung
mehr kommt. Dass eine solche Richtungsauswertung von Farbgrenzen ausbleibt, ist
184
nicht nur durch das Fehlen von Farbrichtungszellen nachgewiesen. Es wird sich
auch bei den Texturbespielen später zeigen, dass wir die Richtung von
Farbkonturen nicht flächendeckend parallel über das ganze Bild hinweg zu
verarbeiten mögen. Wohl aber seriell, nacheinander.
Aber nicht nur die Breite der Verläufe, sondern auch der mangelnde Platz im
visuellen System mag verantwortlich sein dafür, dass eine Richtungsauswertung der
Farbgrenzen nicht mehr stattfindet. Die Doppelgegenfarbenzellen entstehen in der
Verarbeitungshierarchie auf der selben Stufe wie die Balkendetektoren. Sie
verarbeiten, genau wie diese, das Signal aus den Gegenfarbenzellen. Dadurch
befinden sie sich in der selben Schicht des Gehirns, zu sogenannten Blobbs
zusammengedrängt zwischen den Balkendetektoren (Hubel 1989, S.190). Die
räumliche Situation wird somit etwas durcheinandergebracht, und es können
nachher keine exakten räumlichen Verbindungen, wie sie zur Richtungsauswertung
notwendig wären, mehr gefunden werden.
Natürlich werden benachbarte Blobbs zueinander Verbindungen halten, denn sie
reagieren ja oft ähnlich, weil sie meist die selbe Farbfläche repräsentieren, aber es
werden sternförmige Verbindungen zu allen Seiten hin sein, nicht
Richtungsspezifische. Auch dieses Netz an Verbindungen stellt eine Quasieben e
dar, über die ein Abziehbildsignalfluss stattfinden kann, der notwendig ist, um die
Informationen der vielen einzelnen Farbrezeptoren zu Objektflächen zu vereinen.
5.2 Höhere Stufen visueller Verarbeitung
5.2.1 Objektgröße und Anzahl
Das beim Abziehbildsignalfluss zusammengeflossene Signal wird an eine neue
Ebene weitergegeben, weil es in seiner Stärke und seinem Ort nicht vorausgesagt
werden konnte. Der Leser wird sich sicher noch an die Grafik dazu erinnern. Die
Signale fließen in der Objektmitte zusammen. Dieser Zusammenfluss wird natürlich
umso schneller erfolgen, je kleiner ein Objekt ist, denn dann muss weniger Weg
zurückgelegt werden. Ein kleineres Objekt fließt schneller auf einen Punkt
zusammen, und sein Fließsignal hält daher kürzer an. Außerdem erscheint das
Fließsignal früher.
Stellen wir uns nun vor, die Zellen der Ebene an die die Fließsignale ergehen,
reagieren auf Signallängen. Durch Adaption haben sie sich so eingestellt, dass sie
auf Objekte mittlerer Größe auch mittelmäßig ansprechen. Auf kleine weniger, auf
große mehr. (Voraussagefehler gibt es, was die erwartete Signallänge betrifft
wahrscheinlich kaum, da alle möglichen Signallängen gleichermaßen häufig
auftreten werden.) Signale gleicher Intensität können zueinander eine gute
Verbindung aufbauen, und über diese Verbindung abfließen. So können viele gleich
185
große Elemente zusammenfließen. Ihr Gesamtsignal ergibt dann ein Muster, eine
Textur.
Es handelt sich um ein intensiveres Gesamtsignal, wenn die Elemente groß sind,
denn dann senden die Zellen, welche auf Größe reagieren, stärker, und deren
Antizellen senden weniger. Wenn die Elemente über eine Fläche verteilt sind, so
haben sie nicht alle den gleichen Abstand zu einem Punkt, und können nur
nacheinander eintreffen. Dann hält das Signal länger an. So kann die Größe der
Form erkannt werden, mit der die Textur gefüllt ist.
Texturen mit unterschiedlich großen Objekten und unterschiedlicher Anzahl an
Objekten können unserem Modell zufolge leicht unterschieden werden. Aber
können sie das auch in Wirklichkeit? An welchen Eigenschaften unterscheiden wir
Texturen, und an welchen nicht?
5.2.2 Was ist Textur, was Form?
Nachdem wir nun über Zellen verfügen, die unterschiedlich auf Konturrichtungen
reagieren, und andere, die Objektgrößen erkennen, soll eine
Erklärung auf
selbstlernender Basis für die Texturabgrenzung gefunden werden. Das Thema
Texturerkennung ist deshalb so schön zu behandeln, weil hier sehr viel durch
Beobachtungsbeispiele belegt werden kann. Was unterscheidet Textur- und
Formerkennung? Texturen können flächendeckend gleichzeitig (parallel)
abgegrenzt werden, während eine exaktere Formerkennung nur mehr durch
fokussierte Aufmerksamkeit und serielle Verarbeitung geleistet werden kann. Das
bedeutet, wir können immer nur eine Form zu einem Zeitpunkt bewusst betrachten
(wobei wir natürlich unsere Aufmerksamkeit sehr schnell von Objekt zu Objekt
springen lassen können, aber eben nur nacheinander). So sehen wir im folgenden
Bild immer nur entweder die Vase oder die Gesichter, aber nie beides gleichzeitig.
Das ist ein Phänomen seriellen Denkens.
Anders als in diesem Beispiel können die Elemente einer Textur alle gleichzeitig
flächendeckend erfasst werden. Texturen werden, also großteils parallel verarbeitet.
Wiederholtes kann als ein Stück gedacht werden, es wird zu einem Chunk
verbunden. Das ist ein Prozess, den wir bereits kennen, allerdings sprachen wir
bisher meist von zeitlichen, nicht von räumlichen Wiederholungen.
186
Der Übergang von paralleler zu serieller Verarbeitung ist also gleichzusetzen mit
dem Übergang von den unbewussten Vorstufen der Auswertung von Seheindrücken
zu bewusstem Erkennen. Das macht diesen Übergang so interessant. Die Idee
diesen mit Hilfe von Texturbeispielen zu erforschen habe ich mir von Bela Julez
abgeschaut (Julez 1987, S.48). Die Beispiele der folgenden Seiten, und die daraus
folgenden Schlussfolgerungen stammen aber aus eigener Forschungstätigkeit.
5.2.3 Struktur- und Texturbeispiele
Was das Gehirn noch parallel zu verarbeiten mag, und was nicht mehr, ist durch die
Betrachtung ähnlich strukturierter Flächen erforschbar. Ich will dazu zunächst eine
Vielzahl an Beispielen bringen, um dem Leser eine Vorstellung von
Strukturdifferenzierung zu geben, bevor ich beschreibe, warum ich glaube, dass
das in dieser Arbeit vorgestellte Gehirnmodell zu einer analogen
Unterscheidungsfähigkeit führen sollte.
Wieso ist diese Thema eigentlich so interessant? Ganz einfach: Es gibt
unterschiedliche Texturen, die wir nicht voneinander unterscheiden können,
zumindest nicht sofort, bei seriellem Abtasten gelingt uns dies doch. Nun ist
serielles Sehen immer mit Aufmerksamkeit und Bewußtsein verbunden. Diese
Texturbeispiele weisen also Unterschiede auf, die erst durch serielles Sehen, also
erst nach der Zeitcodierung der visuellen Information verarbeitet werden können.
Gelingt hingegen eine Texturabgrenzung sofort flächendeckend, so bedarf dies
keiner bewussten gerichteten Aufmerksamkeit. Gängige neuronale Netze besitzen
keine Zeitcodierung und werden daher die seriellen Denkprozesse der
Aufmerksamkeit, die mit Bewusstsein einhergehen, nie erklären können. Das
Redundanzkettenfließnetz bietet demgegenüber einen Erklärungsansatz.
Die meisten Strukturen können auf Anhieb flächendeckend unterschieden we rden.
Wir erkennen die Kontur eines quergestreiften Quadrates auf längsgestreiftem
Grund sofort. Sicher ist, dass Texturen unterschieden werden, wenn sie
unterschiedlich große Flächen beinhalten, wenn sie sich durchschnittlich in der
Farbe unterscheiden, oder wenn sie verschieden große Anteile an Konturrichtungen
enthalten. Das alles sind statistisch leicht erfassbare Daten.
Die folgenden zwei zusammengefügten Texturen unterscheiden sich aber in keinem
dieser Punkte und deren Unterschied ist trotzdem sofort erkennbar, und zwar an
der Richtung der Anordnung der Balken in der jeweiligen Textur. Es zählt also auch
wie die Elemente zueinander positioniert sind. Erfasst wird dabei ein Streif.
(Wenn sie das Dokument digital im Word-Format betrachten, gehen sie auf Ansicht
100%)
187
Ist der Steif in beiden Texturen gleich, so ist keine augenblickliche Unterscheidung
der Texturbereiche mehr möglich, wie sich dies hier zeigt:
Und auch die nächstfolgende Textur, die ein abstrahiertes Gewebe in
Schrägansicht darstellt, dessen Kett und Schussfäden unterschiedlich gedreht sind,
kann von der Textur rundum, deren Kett und Schussfäden andersrum gedreht sind,
bei starrem Blick nicht unterschieden werden, weil kein unterschiedlicher Streif
vorliegt.
188
Oben sind die Überkreuzungsstellen der Fäden durchsichtig dargestellt. Die
folgende Abbildung zeigt ein richtiges Gewebe. Allerdings lässt sich ein solches
Muster nicht so schön mit seinem Spiegelbild verbinden, so dass der
Strukturwechsel an der Kontur auffallen würde. Deshalb sind im folgenden Bild
mehrere Versionen der Textur dargestellt, wobei sich eine unterscheidet. Die
Muster sollten mit starrem (nicht wanderndem Auge) betrachtet werden. Würde die
Strukturdifferenzierung des Gehins ansprechen, so sollte die abweichende Version
sofort herausstechen. Das tut sie aber nicht.
Verbreitern wir aber die Kettfäden, so enthalten die Texturen eine unterschiedl iche
Menge an horizontalen und vertikalen Linien pro Flächeneinheit. Jetzt ist auch mit
starrem Auge (nicht serielle Betrachtung) eine Unterscheidung möglich. Der Grun d
für die Unterscheidbarkeit liegt in der relativ ungleichen Menge an horizontalen und
189
vertikalen Linien pro Flächeneinheit, die das Gehirn zu erfassen vermag. In den
Texturen sprechen unterschiedlich viele Richtungszellen eines Typs an.
Wenn wir die Kett und Schussfäden unterschiedlich färben, und deren Farbe im
Untergrund
austauschen, ist interessanterweise ebenfalls keine sofortige
Unterscheidung möglich. Das bedeutet, dass die Richtungsverarbeitung sich
allgemein auf Konturen bezieht, die Farbgrenzen jedoch nicht getrennt nach
Richtung verarbeitet werden. Dies konnten wir bereits aus neurophysiologischer
Sicht, und durch das Gehirnmodell erklären. Es entstehen auf der selben Stufe der
Verschaltungshierarchie sowohl die Balkenzellen als auch die Gegenfarbenzellen.
Da Platzmangel aufkommt, drängeln sich die Gegenfarbenzellen zu Blobs
zusammen. Damit ist die räumliche Exaktheit der Anordnung nicht mehr gegeben,
die nötig wäre, um Farbgrenzen nachher auch noch auf ihre Richtung hin
auszuwerten. Deshalb sehen wir in diesen Texturen keinen Unterschied, obwohl die
Farbgrenzen sich deutlich in ihrer Richtung unterscheiden.
190
Das nächste Muster stellt eine Ableitung der hier dargestellten dar. Es enthält
wieder Farbbalken in zwei Richtungen, die in der umgebenden Textur ausgetauscht
wurden. Und auch hier ist keine sofortige Texturbereichsabgrenzung möglich.
191
Anders jedoch wenn sich die Balken in der Helligkeit unterscheiden. Dann hebt sich
der dunklere Balken besser vom Untergrund ab als der helle. Seine stärker
hervortretenden Konturen geben der Textur eine Richtung. In der umgebenden
Textur
tritt
jedoch
nun
die
andere
Richtung
hervor.
Spontane
Texturbereichsabgrenzung ist damit möglich.
Das gleiche gilt für das folgende Graustufenbild des Gewebemusters.
Unterscheiden sich Kett und Schussfäden nämlich in der Helligkeit, so erhält das
Muster einen dominierenden Streifen, der im unteren Muster anders verläuft. Nun
ist eine spontane Texturunterscheidung möglich.
192
Was aber, wenn keine Richtung in der Textur dominierend ist, weil der Untergrund
grau, die Balken schwarz und weiß sind, und sich so beide Richtungen gleich gut
vom Untergrund abheben? Die folgenden zwei Muster beweisen, dass die
Texturunterscheidbarkeit dann wieder abnimmt.
Die Erklärung hierfür liefern die Konturbilder der Grafiken. Die Konturintensität
dieses Musters lässt keine Unterscheidung zu, die des vor-vorhergehenden schon.
Hier also das Ergebnis eines Konturfilters. Wir sehen, die Texturen werden
identisch:
193
Der Leser wird sich nun fragen, warum ich bei den vorhergehenden
Texturbeispielen einige schräggestellt habe. Der Grund ist einfach. Die Balken
waren dadurch in diagonalen Richtungen angeordnet. Im allgemeinen meide ich die
vertikale Richtung in Texturabgrenzungsbeispielen, weil sie für den Menschen eine
besondere Bedeutung hat. Er braucht sie, um über optische Reize das
Gleichgewicht halten zu können. Es darf angenommen werden, dass der Mensch
diese Richtung sensibler wahrnimmt. Dadurch können sich Texturunterscheidungen
ergeben, weil gleich starke Konturreize der Abbildung nun nicht mehr gleich stark
wirken. Die geradegedrehten Texturen zeigen diesen Effekt. Nun ist auch in den
ersten beiden Bildern eine leichte Texturabgrenzung möglich:
194
Worum es bei diesen vielen Studien letztlich geht, ist der Unterschied in der
Verarbeitung von Formen und Texturen. Dieser wird besonders bei folgendem
Beispiel deutlich:
195
Obwohl die Dreiecke eines der Strukturfelder für die Formerkennung deutlich
gespiegelt sind, ist dies nur durch serielles, nacheinander Betrachten der Felder,
ersichtlich. Natürlich lässt sich einwenden, dass die mangelnde Unterscheidba rkeit
noch nichts mit mangelnder Formerkennung zu tun habe, denn die Form des
Dreiecks war ja gleich, nur dessen Ausrichtung wurde verändert.
Die einfachste Form ist die Linie und deren Länge, die zweiteinfachste Form ist ein
Winkel aus zwei Linien. Die folgenden Bildbeispiele zeigen, dass die
Texturverarbeitung weder Linienlängen noch Winkelgrößen zu erfassen vermag.
Differenziert können Linien-Streumuster jedoch dann werden, wenn sie eine
deutlich unterschiedliche Zahl an Linienenden oder an Linienrichtungen aufweisen.
Beides erfordert eine, nur auf wenige Bildpunkte begrenzte Merkmalserfassung,
während Winkelgrößen und Linienlängen eine großflächigere Auswertung benötigen
würden.
196
197
Kehren wir mit dem inzwischen erworbenen Wissen nun noch einmal zurück zur
anfangs gezeigten Abbildung, bei der sich eine gute Texturunterscheidung ergab,
weil die Texturgrenzen einen Streif ergaben:
Genauer betrachtet besteht dieses Muster ja aus ineinandergestapelten
Zickzacklinien. Erhöhen wir den Abstand dieser Stapel, so ist das Muster plötzlich in
die andere Richtung gestreift. Wieder ist eine klare Unterscheidung zum
gegengleich gestreiften Untergrund möglich.
198
Was aber, wenn der Abstand der Zickzacklinien so gewählt ist, dass sich Quer und
Längsstreif die Wage halten? Es zeigt sich, dass die Texturfelder dann kaum mehr
unterscheidbar sind, solange man das Bild ruhig fixiert. Ich habe in der folgenden
Grafik, die dies zeigt, aber wieder die Darstellung mit den vier Feldern gewählt, da
sonst die Unruhe an der Grenze des Texturwechsels eine Texturabgrenzung
ermöglicht, wie dies das bunte Exemplar daneben verdeutlicht.
Der Schluss, den man aus diesem Ergebnis ziehen kann ist, dass neben der
statistischen Mengenerfassung von Farbwerten, Konturausrichtung und Menge,
sowie Flächengrößen der Elemente in der Texturverarbeitung vor allem auch noch
eine Anordnungsrichtung erfasst wird. Das heißt es wird erfasst ob ein Streif
vorliegt, und ob die Elemente in dieser Richtung regelmäßig oder unregelmäßigen
Abständen angeordnet sind.
199
Auch in den folgenden beiden Bildern, wo den Zickzacklinien durch runde Ecken
ihre Richtungsdominanz genommen wurde, ist (bis auf kleine Störungen an
Konturbereichen) keine klare Unterscheidung von Figur und Grund zu erkennen.
Die Zentren der Halbkreise, aus denen das Muster zusammengesetzt ist, sind in
Figur und Grundmuster gleich verteilt. Deshalb kann kein klarer Streif entstehen. Da
ein Halbkreis alle Linienrichtungen enthält, ist auch in beiden Texturabwandlungen
gleich viel Linienlänge jeder Ausrichtung vorhanden.
Die Unterscheidbarkeit des Zickzack spiegelverkehrter Ausrichtung lässt sich auch
durch irritierende Elemente schnell zunichte machen. Im folgenden Bild wirken die
Texturbereiche daher gleich.
200
Nun ergibt sich die Frage, ob Strukturdifferenzierung möglich ist, wenn Strukt uren
mehrere verschiedene Richtungen enthalten, aber sich in der dominanten Richtung
gleichen. Die folgende Struktur enthält zum Beispiel einen dominanten vert ikalen
Streif, der sich auch bei ihrer Spiegelung nicht ändert. Verändert haben sich jedoch
die weniger dominanten schrägen Streifen. Es zeigt sich dass, solang e man die
Textur ruhig fixiert und sich auf den vertikalen Streif konzentriert, keine ordentliche
Texturdifferenzierung möglich ist. Das legt nahe, dass das Gehirn wirklich nur eine
Streifrichtung zu einem Zeitpunkt zu erfassen vermag.
Sobald man das Auge in schräger Richtung darübergleiten lässt, tritt aber
Texturdifferenzierung ein. Dies kann daraus erklärt werden, dass durch die
Bewegungsrichtung bestimmte Konturen stärker verschwimmen als andere. Es
entsteht eventuell ein ähnlicher Effekt wie in der folgenden verwischten Version des
Musters. Strukturdifferenzierung wird dadurch möglich.
201
Eine weiteres Phänomen betrifft die Erfassung von Anordnungen und die
Auflösungsgrenzen des Auges. Die folgenden drei Texturen mit den Dreiecken sind
je nach Entfernung (und damit variierender Größe auf der Netzhaut) unterschiedlich
gut zu unterscheiden. Struktur 1 und 2 ist von der Nähe, 2 und 3 hingegen von der
Entfernung gut zu unterscheiden. Warum? Weil von der Nähe erkennt man die
Ausrichtung der Seitenkanten der Dreiecke sehr genau. Von der Entfernung
hingegen springt vor allem die Anordnung der Elemente ins Auge. Dieses
Phänomen ist einfach daraus zu erklären, dass auch das Auge eine
Auflösungsgrenze hat, und dadurch die kleinen Richtungsunterschiede in den
Seitenkanten der Dreiecke von der Entfernung nicht mehr zu bemerken sind.
Wichtig erscheint mir, dass die Texturverarbeitung fähig ist, spontan den
Unterschied zwischen einer gestreuten Anordnung von Dreiecken, oder einer
regelmäßigen rasterartigen Verteilung zu erkennen, wenn sich gute geradlinige
Verbindungslinien (Streif) ergeben. Ich habe oben festgestellt, dass Winkel und
Linienlängen wohl deshalb nicht sofort erkannt werden, weil dies mit einer lokalen
Verarbeitung nicht möglich ist. Aber daraus würde folgen, dass auch diese
Anordnung nicht erkennbar sein sollte, denn das Erkennen von Anordnungsmustern
202
erfordert eindeutig ebenfalls eine, über den lokalen Bildpunkt und seine
unmittelbaren Nachbarn hinausgehende Verarbeitung!
Es kann sogar gezeigt werden, dass die gedachten Linien, welche die Elemente
einer
Textur
miteinander
verbinden,
fast
genauso
wirksam
zur
Texturdifferenzierung beitragen, wie real eingezeichnete Linien. So ist in den
folgenden beiden Beispielen das verdrehte Texturstück gleichermaßen leicht bzw.
schwer zu erkennen, obwohl nur im zweiten Beispiel reale Konturlinien da sind, auf
die die Richtungsdetektoren reagieren können:
203
5.2.4 Ein Modell der Texturerkennung
Dass die Farbe und Größe und Zahl der Elemente, sowie die Menge an Konture n
gleicher Ausrichtung in zwei Texturen pro Flächeninhalt gleich sein muss, um sie
als identisch zu erleben ist einleuchtend. Dies sind Informationen, die mit wenig
Aufwand flächendeckend erfasst werden können. Dass die Anordnungsrichtung
nicht verdreht werden darf, ist jedoch bemerkenswert. Wie erfasst das Gehirn die
Anordnung der Elemente zueinander? Zunächst natürlich durch die Flächen
dazwischen. Aber bei einer verdrehten Struktur sind auch diese gleich.
Allerdings haben wir gesehen, dass der Abziehbildsignalfluss auf den Quasiebenen
der Richtungszellen ebenfalls gerichtet stattfindet. Das bedeutet, eine Stru ktur, die
viele horizontale Konturen beinhaltet, wird hauptsächlich auch der horizo ntalen
Quasiebene zu einem Abziehbildsignalfluss führen. Daran kann ihre Ausrichtung
erkannt werden.
5.2.5 Formerkennung
Die obigen Wahrnehmungsexperimente beweisen auch, dass wir abgesehen von
der parallelen visuellen Erfassung auch über eine serielle Auseinandersetzung mit
Formen verfügen, die uns dann weiterhilft, wenn die parallele Erfassung zu wenig
ist. Mit dieser Art der Verarbeitung gelingt es uns auch in jenen Abbildungen den
Unterschied von Figur und Grund zu erkennen, wo er nicht unmittelbar auffällt.
Die untere Darstellung, die wir bereits kennen, zeigt diesen Unterschied sehr schön
auf: Die Form des O ist durch ihre Vielzahl an Konturrichtungen so anders als die
Vs, dass auch die einfache parallele Auswertung, die wir im Rahmen der
Texturwahrnehmung kennen gelernt haben, genügt, um es zu erkennen. Das R
unter den P und Q erkennen wir jedoch nur durch bewusstes Hinsehen und
Formerfassen. Das bedeutet wir müssen seriell jedes Element einzeln betrac hten
(Goldstein 1997, S.186, 188).
Das Übergangsfeld zwischen Texturerkennung und Formwahrnehmung ist auch das
Übergangsfeld zwischen paralleler Verarbeitung von Signalen, und der
nachfolgenden seriellen. Serielle Erkenntnisprozesse, sind von bewusster
Aufmerksamkeit begleitet, und zeichnen sich dadurch aus, dass nie mehr als ein
Objekte gleichzeitig Denkinhalt sein kann, „seriell“ eben. Dieser Prozess kann nur
verstanden werden, wenn wir begreifen, wo die parallele Verarbeitung endet, und
204
wieso. Da letztlich alle Denkinhalte von der parallelen Verarbeitung der Sinne zur
seriellen des Bewusstseins wechseln, ist dieser Übergangsbereich grundlegend für
das Verständnis des Gehirns.
Die Zeitcodierung, mit der wir uns nun so intensiv beschäftigt haben, stellt den
Übergang von der parallelen zur seriellen Verarbeitung dar. Ich will die beiden
Extreme am Beispiel eines Bildes von einem Hund veranschaulichen. Ohne jegliche
Zeitcodierung könnte der Hund nicht wiedererkannt werden, denn er wird nie wieder
die selben Bildpunkte einnehmen und schon gar nicht vor dem selben Hintergrund.
Er wird das nächste mal anderswo im Bild sitzen, seine Körperhaltung verändern,
perspektivisch weiter weg und damit kleiner sein, anders beleuchtet sein, vielleicht
haben wir unseren Kopf verdreht und er liegt schief im Bild usw. Deshalb ist es
wertlos die Bildinformation räumlich als Bildpunkte so abzuspeichern wie sie
vorliegt.
Abgespeichert muss vielmehr eine Beschreibung werden, eine Abstraktion von
Hund, so ähnlich wie eine Kinderzeichnung: „Da ist ein Ding mit etwa
quaderförmigem Zentrum, das auf vier stabförmigen senkrechten Teilen steht. An
einem Ende sitzt ein etwa kugelförmiges Teil, dessen Volumen etwa ein viertel des
Quaders beträgt. Das Ding kann sich bewegen...usw.“ Diese Beschreibung, die
natürlich nicht wörtlich vorliegt, sondern in den Zeitcodes der Fließsignale, gilt in
allen oben genannten Fällen, d.h. der Hund wird immer erkannt, zumindest als Tier.
Auf der höchsten Ebene der Formbeschreibung verwenden wir also Grundformen
„shapes“, die wir in vielen Dingen wiederfinden (Edelmann 1998).
Wie die Zeilen unserer Schrift ist auch die Formbeschreibung durch Zeitcodes
seriell, also zeitcodierte Information, und entspricht daher dem seriellen bewus sten
Denken, das nur einen Inhalt pro Zeit zu verfolgen vermag. Kinder geben uns in
ihren Zeichnungen solche Beschreibungen der Welt. Sie setzen die Dinge aus
einfachen Grundformen zusammen. Mit zunehmendem Alter verwenden sie immer
205
mehr dieser Grundformen, und so wird das Bild detaillierter, das haben wir weiter
oben am Beispiel der Männchenzeichnung beobachtet.
Den Schlüssel zur Erforschung der Zeitcodierung boten die Redundanzketten. Das
Gehirn verbindet die Elemente, aufgrund von wiederholt eintretender naher
Aktiviertheit, zu Ketten. Diesen Ketten entlang wandern die seriellen Signale.
Redundanzketten brauchen nicht immer geradlinig zu verlaufen. Die folgende
Textur führt zu einer Verkettung ihrer Elemente zu Kreisen. Da ein Element j eweils
mehreren Kreisen zugeordnet werden kann, beginnt das Muster zu brodeln. Das
Gehirn scheint, sobald eine Lösung gefunden und verarbeitet ist, nach einer
weiteren gleichwertigen Lösung zu suchen, und die findet es hier.
Ich vermute, dass die weißen Zwischenflächen der Schlüssel zum Verständnis
dessen sind, was beim Betrachten dieser Textur im Gehirn passiert. Die größten
durchgängigen weißen Flächen bilden sich rund um die mittelgroßen Punkte. Sie
siegen in der Signalverarbeitung. Diese Flächen sind im Kreis angeordnet, und so
ineinander verzahnt, dass fast jede Fläche mehreren Kreisen zugeordnet we rden
kann.
Ordnet das Auge die Flächen zu einem Kreis, so unterbricht es damit einen anderen
Kreis. Nun ist es so, dass wir mehrere gleiche Objekte als eine Einheit sehen
können. Wir können sie gemeinsam als ein Objekt denken, als ein Muster. Aber
sobald sich hier einige Kreise zur Einheit vereinen wollen, bemerken wir, dass
einige von ihnen gar keine Kreise mehr sind. Sie sind schon durch die anderen
zerstört. So ordnen wir das Muster ständig um.
206
Aber bieten nicht auch viel banalere Bespiele die Möglichkeit verschieden geordnet
zu werden?
Die erste der folgenden Anordnungen von Punkten können wir uns anhand einer
vorgestellten Verbindung in Form einer vertikalen und horizontalen Geraden
merken. Fügen wir einen Punkt dazu, so kommen wir auf die Darstellung rechts, die
wir uns nicht als zwei Teile, sondern als durchgehende Kurve merken.
Wie der Mensch eine Darstellung auffasst, ist durch seine Wiedergabe, und die
dabei entstehenden Zeichenfehler überprüfbar. Es zeigt sich, dass der Mensch eine
geschlossene Form im Denken nicht aufbricht, sondern als Objekt denkt, auch
wenn es manchmal bei der Wiedergabe anders von Vorteil wäre. So ließe sich ein
Wabenmuster ganz einfach durch parallele Zickzacklinien erzeugen, die man
verbindet (Fig.d). Darauf kam aber keiner der Erwachsenen Personen, die
aufgefordert wurden ein Wabenmuster zu zeichnen (aus Arnheim 1978, S. 221).
Die folgende Grafik merken wir uns als Rest einer Torte, nachdem wir einige Stücke
herausgeschnitten haben. Die daneben als Bohne. Den Tortenkreis sehen wir in ihr
nicht mehr, obwohl sie der rechten Grafik, bis auf die stärker abgestumpften Ecken,
genau gleicht.
Die Zentren in der folgenden optischen Täuschung erhalten die Signale von den
Konturen der Balkenenden. Diese laufen auf einen Punkt zusammen. Das erzeugt
207
den Kreiseindruck. Ein Quadrat unterscheidet sich vom Kreis dadurch, dass die
Signale nicht ganz gleichzeitig ankommen, weil sie einen unterschiedlich langen
Weg zum Objektzentrum durchlaufen. Das ist hier in einem sehr geringen Ausmaß
auch der Fall. Wenn ich nun das Wort „Quadrat“ unter der Zeichnung lese, so
entsteht zusätzlich eine Aktivierung des Gestaltbegriffs „Quadrat“ über die Sprache.
Dann sehe ich auch eher Quadrate als Kreise. Ich kann auch Achtecke sehen. Aber
da Achtecke eine seltene Form sind, rechnet mein Gehirn weniger mit deren
Erscheinung. Es ist bekannt, dass solche „Scheinkonturen“ bereits auf V2 der
Sehrinde verarbeitet werden (Birbaumer 1996, S.396). Vielleicht ist das Bild dort
zum Teil schon Zeitcodiert.
Non-existing cirles or sqares
Was bringen solche Beispiele? Nun, vielleicht mag sich der Leser fragen, wie ich
auf dieses Gehirnmodell gekommen bin. Dazu kann ich nur sagen: Die wichtigste
Quelle waren eine Vielzahl solcher Beispiele, und an die hundert Texturbeispiele.
Zeichnen und betrachten, das war meine Form der Forschungstätigkeit. Es stellte
sich mir die Frage, warum ich mir in einem Fall das Objekt aus zwei Informationen
denke, nämlich aus einem Kreis, mit einem fehlenden Teil. Informationen, die ich
nur seriell hintereinander denken kann. Im anderen Fall interpretiere ich die
Zeichnung als ein gekrümmtes Oval, also als Bohne. Die Antwort war schließlich
der Signalfluss und die zeitliche Codierung. Beim Oval führt der
Abziehbildsignalfluss erst einmal zu einer gebogenen Symmetrieachse, deren
Krümmung und Länge ich auf der nächsten Ebene verarbeite.
Da die Signalfließprozesse auch eine Erklärung für so viele andere Phänomene des
Denkens boten, ist schließlich mehr daraus geworden, als nur ein Modell des
Sehens.
5.2.6 Figur/Grund
Das Figur/Grund-Problem findet eine Lösung im Abziehbildsignalfluss, denn dieser
schafft nämlich einen Zusammenhalt innerhalb einer gleichgereizten Fläche. Die
208
Regeln zur Figur/Grund-Trennung werden besonders dort deutlich, wo wir Figuren
sehen, die nicht da sind. Eigentlich bin ich auf dieses Problem bereits eingegangen.
Ich möchte aber hier, nachdem wir nun das Sehsystem etwas genauer unter die
Lupe genommen haben, noch einmal darauf zurückkommen.
Eine Parallele findet sich bei der Verarbeitung von auditiven Signalen. Auch bei
diesen ist nicht immer ohneweiters klar, was Figur und Grund ist. Man kann Töne
als Figuren betrachten, die sich von den Pausen zwischen ihnen abheben. Was
Pause ist, hängt aber wesentlich davon ab, was wir womit in Verbindung bringen.
Hören wir zum Beispiel ein Saxophonsolo und dahinter die die regelmäßigen
Schläge einer Bassdrum, dann erkennen wir die Pausen zwischen diesen Schlägen
als Ganzes, obwohl eigentlich Töne des Saxophons diese Pausen unterbrochen
haben. Das ist so, weil Gleiches eher miteinander in Verbindung gebracht wird, und
wir somit Bassdrumschläge und Saxophontöne zu einer jeweils eigenen Kette
verbinden. Es gelingt außerdem, weil Töne im Gehirn als Reaktionsbild da rgestellt
werden, und das Saxophon Reaktionen an einem anderen Ort in diesem
Reaktionsbild auslöst, als die Bassdrum. So können die Signale aneinander
vorbeifinden.
Bei der Betrachtung eines Musters ist das ähnlich. Der Streif in einem Muster
entsteht einfach dadurch, dass in dieser Richtung eine Kettenverbindung entsteht.
Es ist die Richtung mit der engsten Wiederholungsrate, also mit der größten
Redundanz. Man kann also von Redundanzketten sprechen. Eine Redundanzkette
besteht aus Figuren, die einen bestimmten Bereich belegen.
Wie aber gelingt es uns, den Grund als etwas Durchgehendes zu erkennen, das
sich hinter den Figuren befindet? Die Erklärung habe ich bereits geliefert. Sie liegt
in den rücklaufenden Signalen. Diese dienen nicht nur der Aufmerksamkeit, also
der Aktivierung, sondern umgekehrt werden Signale sobald sie erkannt sind auch
wieder abgeschaltet.
Dazu nun ein Beispiel: Stellen wir uns ein Muster aus regelmäßigen Kreisen vor.
Die Kreise werden erkannt und verlieren an Aktivität. Nun ist der Platz frei für den
Abziehbildsignalfluss des Grundes. Die Signale brauchen nicht mehr die
Kreiskonturen umfließen, was zu einer komplizierten Form führt, sondern sie
können, sobald die Aktivität der Kreisflächen verschwunden ist, einfach
flächendeckend zusammenfließen, zu einem durchgehenden Hintergrund, der im
folgenden Beispiel rechteckig ist.
Der selbe Prozess ist auch verantwortlich für unsere Fähigkeit verdeckte oder halb
sichtbare Formen zu ergänzen. Erst wird die vordere Form erfasst. Wenn ihre
Konturen abgeschalten sind, dann können die hinteren Formen als Ganzes
gesehen werden. Es ist also eine gerichtete Aufmerksamkeit nötig. Kiefer,
Neumann u, Spitzer (2000) beschäftigen sich mit der Fähigkeit zur Ergänzung von
Objektflächen.
209
Aber wieso werden in dem Beispiel die Kreise als etwas Bekanntes erkannt, und
nicht die komplizierte Form des Hintergrundes. Ganz einfach deshalb, weil
annähernd Kreisförmiges in unserer Umgebung oft vorkommt, und deshalb bekannt
ist. Die Hintergründe, die im Bild solche kreisförmigen Objekte umschließen, haben
ständig neue, sehr komplizierte Formen, die sich nicht so oft wiederholen.
Außerdem ist zur Abspeicherung solch komplexer Formen eine wesentlich
aufwendigere Verschaltung von Zellen notwendig, die sich nicht so schnell
ausbildet, und komplexere Formen sind nicht so gut komprimierbar. Also wird die
Hintergrundform nicht erkannt, bevor nicht der Kreis erkannt ist. Aus der
Gestaltpsychologie kennt man die Regel, dass die sogenannten „guten Gestalten“
eher als Figur gesehen werden (Arnheim 1978). Jetzt kennen wir die Begründung
dazu.
Große Komprimierung entsteht aufgrund der Regel, dass was zeitgleich am selben
Ort zusammenfließt und gleiche Aktivität aufweist, sich zu einem Gesamtsi gnal
vereint. Dieses Gesamtsignal ist umso stärker, je mehr zusammenfließen konnte,
je mehr also komprimiert wurde. Starke Signale siegen. Kreise sind durch den
Abziehbildsignalfluss im Zentrum maximal komprimierbar. Deshalb werden Kreise
sofort erkannt. Sind sie aber erst einmal verarbeitet und deaktiviert, so sind die
überbleibenden Formen auch leichter zu erfassen.
5.2.7 Die Bindung der Sinnesreize
Das Bindungsproblem ist letztendlich durch die Konditionierung zu lösen. Da das
hier dargestellte Modell ja fähig ist, Kontakte zwischen Zellen herzustellen, die an
beliebigen Orten positioniert sein können, wenn diese nur oft genug gleichzeitig
aktiv werden, ist naheliegend, dass auch zwischen den Sinnen irgendwann
Verbindungen entstehen. Objekte tragen ihre Eigenschaften immer bei sich, und so
sind in zeitlicher Nähe zu den visuellen Eigenschaften eines Objektes immer auch
andere Eigenschaften, wie bestimmte Geräusche, Gerüche, Geschmack oder
Ertastetes wahrnehmbar. Alle diese Eigenschaften werden aufgrund der zeitlichen
Auftrittsnähe Verbindungen eingehen, und die Chunkzelle für diese Verbindung
repräsentiert letztlich das Objekt.
Eine wichtige Eigenschaft ist auch der Auftrittsort des Objekts. Wichtig ist, dass zu
einem Zeitpunkt meist nur ein kleiner Teil aller bekannten Eigenschaften des
Objektes wahrnehmbar sind. Trotzdem ist an der spezifischen Zusammenstellung
210
von Eigenschaften klar, um welches Objekt es sich handeln muss. Studien zum
Zusammenspiel der Sinne zeigen, dass Objekte oft allein am Auftrittsort e rkannt
werden, auch wenn die Sichtbarkeit nur zu einem geringen Teil gegeben ist
(Heinecke 2000, WSA 2000.10.20, WSA 2000.11.17, WSA 2001.03.29). Umgekehrt
werden Objekte schlechter erkannt, wenn man sie in Bildern an Orte versetzt, wo
sie nicht hingehören (Goldstein S.189).
5.2.8 Die Verarbeitung räumlicher Tiefe
Die Stereooptik führt zu seitlichen Verschiebungen zwischen den Konturen von
Objekten auf den beiden Netzhautbildern (Gotthalmseder 1998, S.61f, S.117).
Diese sogenannte Querdisperation variiert aber auch mit der Fokussierung der
Augen. Nehmen wir an die Augen sind gerade auf Objekte einer bestimmten
Entfernung fokussiert, dann sind die beiden Netzhautbilder für diese Entfernung
deckungsgleich ausgerichtet. Konturen anderer Entfernung erscheinen in den
beiden Bildern jedoch verschoben. Liegt an einer Kontur eine Verschiebung
zwischen linkem und rechtem Netzhautbild nach links vor, so befindet sich diese
Kontur näher bei uns als die derzeitige Fokusierungsentfernung des Auges. Liegt
eine Verschiebung nach rechts vor, so ist die Kontur weiter von uns weg als die
derzeitige Fokusierungsentfernung. Die Neuronen, welche dies auswerten liegen in
Schicht IV der visuellen Sehrinde, und sind in okulären Dominanzsäulen angeordnet
(Kolb 1996, S.138, Hubel 1989, S.113). Das Stereooptische Sehen erlernen Kinder
mit etwa dreieinhalb Monaten. (Studien dazu bei Goldstein 1997, S.258).
Eine Strecke erscheint perspektivisch dann verkürzt, wenn sie in den Raum
hineinläuft. Das bedeutet, die seitliche Verschiebung ihrer Kontur, in den zwei
Netzhautbildern, wechselt entlang der Strecke kontinuierlich von wenig zu stark. Die
seitliche Verschiebung kann im Signalflussmodell durch die Zeitspanne erkannt
werden, die Signale brauchen um zueinanderzufinden. Diese Information liegt
entlang der Kontur vor.
Das Gehirn des Säuglings, der Objekte vor sich dreht, registriert die Veränderung
der Längen ihrer Konturen. Gleichzeitig ändern sich auch immer die
stereooptischen Informationen entlang der Konturen, wobei die Verkürzungen
besonders stark sind, wenn die beschriebenen Verschiebungen entlang der
Konturen stark wechseln. Das wird natürlich registriert, und in Zukunft
vorausgesagt. Eine längere Kontur wird mit einer verkürzt erscheinenden der selben
Länge in Verbindung gebracht, weil diese Erscheinungen bei der Rotation von
Objekten immer nacheinander auftreten. Die Verkürzung wird mit der mangelnden
Deckungsgleichheit in den Netzhautbildern in Verbindung gebracht, und somit
vorausgesagt. Es wird also nur dann ein neues Neuron ansprechen, wenn die
Voraussage nicht stimmt. Nur dann haben wir es mit einem neuen Objekt zu tun.
Umgekehrt kann, da es sich um Und-Verbindungen handelt, auch aus der
mangelnden Deckungsgleichheit in Zukunft auf die Originallänge der
wahrgenommenen Gegenstände rückgeschlossen werden. Wir sehen, dass die
211
Konditionierungsregeln durchaus auch elementare Verbindungsprozesse im Gehirn
erklären.
5.2.9 Raumorientierung
Alles bisher Besprochene diente der Erkennung von Objekten in Bildern. Im re alen
Leben befinden sich Objekte aber an bestimmten Plätzen des Raumes, der uns
umgibt. Wenn wir auch Wände oder den Erdboden als Objekte bezeichnen, so
könnte man sagen, der Raum ist definiert, durch die Orte an denen sich bestimmte
Objekte befinden. Umgekehrt kann man auch sagen, wenn uns der Platz, an dem
sich ein Objekt befindet, bekannt ist, und wir auf diesen Ort blicken, haben wir
damit automatisch das Objekt erkannt, und alle seine Eigenschaften sind
automatisch zueinander gebunden (Heinecke, Armin 2000).
Bewegen wir uns, oder unsere Augen, so erhalten wir ständig neue
Sinneseindrücke. Um diese sinnvoll zu einem gesamten Raum aneinanderzufügen
bedarf es komplizierter Verarbeitungsprozesse. Unter anderem bedient sich das
Gehirn dafür des Gleichgewichtsorgans im Ohr. Dieses dient nicht nur als Lot, und
gibt uns damit die Lage des Horizontes vor, sondern es ist auch sensibel auf
Drehbewegungen, und gibt uns den Winkel an, in dem wir den Kopf gedreht haben.
Allerdings gerät es durcheinander, wenn wir uns länger im Kreis drehen, weil es das
Trägheitsmoment nützt, das bei der Beschleunigung des Kopfes entsteht. (Kolb
1996, S.97). Dieses Trägheitsmoment tritt jedoch nur am Anfang einer
Drehbewegung auf. Ein künstliches System könnte man mit einem stabileren
Orientierungsorgan ausstatten. Man könnte einen Kompass einbauen.
Direkt über das Reaktionsbild des visuellen Systems, könnten die
Orientierungsdaten gelegt werden. Es scheint aber nicht das primäre visuelle
Reaktionsbild ideal, sondern eher die letzten Ebenen der visuellen Verarbeitung, in
denen das Bild noch in seiner flächigen Form vorliegt, aber bereits Formen erkannt
werden. Das Orientierungsorgan würde man in einem künstlichen System nicht im
Kopf, sondern direkt am Auge (Kamera) anbringen. Das erspart einige
Umrechnungsvorgänge.
Nehmen wir an, das künstliche Orientierungsorgan besteht aus einer Kugel, die ihre
Orientierung im Raum nicht ändert, weil sie magnetisch ist, und unten schwerer, wie
die Kugel eines Flugzeugkompass. Die Kugel schwimmt in einem Umraum, der auf
einer Seite, ein rezeptives Feld enthält, das der Größe des mit den Augen
wahrnehmbaren Umfeldes entspricht. Nehmen wir weiters an, die Kugel ist mit zwei
Sorten von Signalgebern besetzt. Die eine Sorte sendet auf der Oberseite der
Kugel stark, nach unten hin jedoch immer schwächer. Die andere sendet an einem
Punkt des Umfangs stark, um den Umfang herum jedoch immer schwächer. Im
rezeptiven Feld des Orientierungsorgans werden die Signale der beiden Sorten von
Signalgebern erfasst, und an das visuelle System geleitet, wo sie über das visuelle
Reaktionsbild gelegt werden. Damit werden jedem visuellen Eindruck
Orientierungsdaten zugefügt. Diese können mit den bekannten Regeln des
Erkenntnisgewinns verarbeitet werden.
212
Das Orientierungsproblem ist damit natürlich noch nicht vollständig gelöst. Sola nge
der Betrachter (das künstliche Wesen) seine Position nicht ändert, wird die gleiche
Blickrichtung das gleiche Bild ergeben. Aber was, wenn er dies tut? Was wir erfasst
haben, ist die Position der Objekte in Relation zum Betrachter. Diese ist wichtig, um
sich im Raum bewegen, und mit Objekten hantieren zu können. Aber für das
Wiedererkennen von Räumen und Objekten bringt sie wenig. Hier wäre eher die
Position von Objekten in Relation zueinander von Wert, denn diese Daten bleiben
konstant, egal wo der Betrachter steht. Wären alle Objekte in ihrer Position
zueinander exakt definiert, so bräuchten wir nur ein Objekt erkennen, und die
anderen Objekte wären, allein durch ihre Position, bereits miterkannt.
Die relative Position, die zwei Objekte zueinander einnehmen, wird erfasst indem so
getan wird, als wenn beide Objekte Teile eines Gebildes wären. Dazu müssen sie
so betrachtet werden, dass sie sich gemeinsam in einem Bild befinden. Nun wird
versucht, die visuell erkennbaren Redundanzketten so fortzusetzen, dass die
Konturen oder das Achsenskelett der beiden Objekte verbunden werden können.
Dies funktioniert besonders gut, wenn die Objekte gleiche Ausrichtung besitzen.
Deshalb neigt der Mensch dazu, Dinge zu schlichten. Dabei werden sie in ihrer
Ausrichtung gleichgerichtet, und erscheinen somit übersichtlich, wie ein einziges
Objekt.
Man kann sagen, die Objekte ergeben zusammen ein Überobjekt. So ergeben
Sessel, Bank und Tisch zusammen die Sitzecke. Wir sind derart gewohnt, diese
zusammen zu sehen, dass wir möglicherweise nicht einmal recht wissen, wo der
Sessel her ist, wenn wir ihn an einem fremden Platz, wie dem Keller vorfi nden.
Natürlich ist die Problematik der Raumorientierung damit nur ganz grob
abgehandelt. Es ist noch überhaupt nicht besprochen, wie die Projektionsfelder der
motorischen Zellen dazustoßen. Schließlich muss es hier eine Verbindung geben,
sonst könnten wir den Körper nicht sinnvoll im Raum bewegen. Aber nicht nur das
visuelle System ermöglicht Raumorientierung. Auch ein Blinder kann sich
orientieren. Sein Tastsinn, das Richtungshören, und vor allem sein Merkvermögen
für Bewegungsabläufe helfen ihm dabei.
Was die Position unserer Körperteile zueinander betrifft, so kommen wir aber
durchaus ohne Orientierungsorgan zurecht. Um uns z.B. an einer bestimmten
Körperstelle zu kratzen, müssen wir nur die nötigen Gelenksstellungen kennen, um
unsere Hand zielgerichtet dorthin führen zu können, wo wir sie ja dann spüren. Der
Tastsinn ist also ebenso wichtig für die Raumorientierung, wie der Sehsinn. Er führt
ja auch zu einem flächigen Projektionsbild im Gehirn. Wir können ertasten, wo sich
unser Raum begrenzt. Die Ergebnisse der Sinne bestätigen sich somit gegense itig.
213
5.3 Höhere Funktionen
Natürlich könnte ich jetzt versuchen, das Modell auf alle anderen Sinne
anzuwenden, die viel weniger erforscht sind als das visuelle System. Aber was
brächte es, wenn ich eine hypothetische Verschaltung beschreibe, die sich dort
ausbilden könnte. Das Modell hat klare Regeln. Es kann simuliert werden, und dann
wird man wissen, welche Verschaltung sich ergibt. Dass es eine sinnvolle
Verschaltung sein wird, und sich ein solcher Versuch lohnen sollte, habe ich so gut
wie möglich zu belegen versucht, indem ich gezeigt habe, dass sich das visuelle
System weitgehend durch das Modell erklären lässt.
5.3.1 Wieso das Modell in anderen Systemen funktionieren sollte als im
visuellen
Wieso dürfen wir darauf hoffen, dass das Modell auch für andere
Erkenntnisbereiche
gilt?
Ganz
einfach
deshalb,
weil
es
aus
den
Konditionierungsregeln entwickelt wurde. Diese sind statistischer Natur, und
Statistik gilt in allen Erkenntnisbereichen.
Aber wieso sollte die zeitliche Codierung räumlicher Information etwas für andere
Bereiche bringen? Nun, der Abziehbildsignalfluss tritt ja überall dort auf, wo Und Verbindungen vorliegen. In diesen Bereichen fließt das Signal nach dem Schema
des Abziehbildes ab. Natürlich kann so etwas auch in anderen Gehirnbereichen
vorkommen, denn der Tastm Hör und Geschmackssinn werden auch auf
Projektionsfelder im Gehirn übertragen und liefert daher auch ein Reaktionsbild, auf
dem ebenfalls Und-Verbindungen entstehen werden. Das Modell führt aber nicht
überall zu einer Zeitcodierung, sondern nur dort, wo eine andere Vorankündigung
der Reize ausbleibt.
Gibt es eine allgemeine Definition, wann Zeitcodierung Sinn macht, und was sie
bringt? Ich würde sagen, zeitliche Codierung macht es möglich Reize in Relation
zueinander zu erfassen, unabhängig von der räumlichen Relation, in der sie zu uns
als Betrachter stehen. Da sich die räumliche Position des Betrachters ständig
ändert, zum Wiedererkennen von Dingen jedoch konstante Daten erforderlich sind,
ist die Zeitcodierung räumlicher Information oft der einzige Weg, um übe rhaupt
etwas Wiedererkennen zu können. Da auch taktile Informationen räumlicher Natur
sind, werden sie wohl auch zeitcodiert werden, wenn sie dem Wiedererkennen von
Objekten dienen sollen.
Bemerkenswert ist, dass umgekehrt die zeitliche Information des auditiven Systems
räumlich codiert wird. Zeitliche Ereignisse werden durch bestimmte Neur onen im
Netz repräsentiert, erhalten also eine klare räumliche Zuordenbarkeit. Sie können
dadurch zeitunabhängig (also zu einem beliebigen Zeitpunkt) wiedererkannt
werden. Wir können also sagen: Zeitcodierung macht räumliche Information
raumunabhängig wiedererkennbar, räumliche Codierung macht zeitliche Information
zeitunabhängig wiedererkennbar.
214
Eigentlich ist es ein Widerspruch in sich, zeitliche Information zeitunabhängig
abzuspeichern. Die Information besteht ja darin, dass etwas zu einem bestimmten
Zeitpunkt stattfindet. Aber wäre eine Information durch ihren Zeitpunkt als etwas
einzigartiges gekennzeichnet, so gäbe es kein Wiedererkennen. Deshalb setzt
unser Gehirn den Zeitpunkt nicht fix fest, sondern in Relation zu den benachba rten
Zeitpunkten. Es erhält dadurch Maße, die in der Welt immer wieder vorkommen.
Wir finden also die erhaltenen Zeitrelationen in der Welt öfter als das eine mal.
Einen fixen Zeitpunkt hingegen gibt es nur einmal. Er kann also gar nicht wieder
auftreten, also auch nicht wiedererkannt werden. Wiedererkennen basiert also auf
zeitunabhängiger, also relationaler Zeiterfassung und raumunabhängiger, also
relationaler Raumerfassung.
Wenn wir bedenken, dass bereits eine Signalstärke, also eine zeitliche Signaldichte,
eine zeitliche Information ist, und eine Zelle, die nur auf diese bestimmte
Signalstärke anspricht, bereits eine räumliche Codierung dieser Information
darstellt, so werden wir entdecken, dass die Verarbeitung im Gehirn regelrecht auf
dem Prinzip beruht, ständig zeitliches räumlich zu codieren und wieder retour. Es ist
also durchaus davon auszugehen, dass ein Modell, das die zeitliche Codierung
räumlicher Information beinhaltet, auch für andere Sinnesdaten gilt, nicht nur für
visuelle.
5.3.2 Sozialer Kontakt
Das Modell wurde vor allem konzipiert, um zu erklären, wie die Welt in unseren
Kopf kommt, und woraus sich unser Verhalten in der Welt erklärt. Wir reagieren
jedoch nicht nur auf die leblose Welt, sondern wir interagieren auch miteinander.
Menschen lernen voneinander. Sie profitieren von den Erfahrungen Anderer,
sprechen miteinander.
Durch Lernprozesse kann das System auch feststellen, dass die Wiedererreichung
seiner Grundbedürfnisse oft mit der Anwesenheit einer Person korreliert, die es
betreut. Selbstlernende Systeme werden genau wie kleine Kinder in ihrer Lernzeit
Betreuung brauchen, um z. B. aus einer Zimmerecke wieder herauszufinden, in die
sie sich manövriert haben, oder um nicht über die Stiegen zu fallen, oder auch nur,
um zu lernen die Steckdose wiederzufinden, und ihr Stromkabel dort einzustecken.
Die Anwesenheit des Betreuers ist kein Grundbedürfnis, sondern ein erlerntes
Bedürfnis, also eine Emotion, und somit viel komplexer. Es lässt sich aber erahnen,
dass die Signale, welche die Wiedererreichung der Sollwerte signalisieren, oft mit
der Anwesenheit des Betreuers korrelieren, und somit mit der inneren
Repräsentation des Betreuers verbunden werden. Dadurch entsteht eine positive
Bewertung des Betreuers, denn Werte werden von den Bedürfnissen auf andere
Wahrnehmungen übertragen, das weiß auch die Werbepsychologie.
Ich denke „Liebe“ beim Menschen ist so komplex, dass sie nie wirklich erklärt
werden kann. Aber sie hat sicherlich auch etwas mit all den Bedürfnissen zu tun,
deren Erfüllung in der vorgestellten Zukunft immer gemeinsam mit dem Partner
geschieht. Verliert man den Partner, bricht die die ganze vorgestellte Zukunft
215
zusammen, und man erlebt eine ungeheure Orientierungslosigkeit und Leere.
Zumindest dieser Aspekt der Liebe hat nichts magisches, sondern ist durchaus
erklärbar, und wird vielleicht in ferner Zukunft auch von künstlichen Wesen e rlebt.
Faszinierend ist auch die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinversetzen zu
können. Sie gehört zu den komplexesten Voraussichten der Welt, da ja das G ehirn
des Anderen ein Teil der erlebten Welt ist. Wie alle komplexen
Zukunftsvorstellungen, an denen alle Sinneserfahrungen beteiligt sind, spielt sich
diese Leistung im Stirnhirn ab (Spektrum-Ticker 2001.04.30, WSA 2001.02.01,
WSA 2001.05).
5.3.3 Sprache
Dass ein Wesen, das über eine innere Repräsentation der Welt verfügt, bis zu
einem gewissen Grad auch Sprache erlernen wird, ist einleuchtend. Eine Mutter
begleitet die Handlungen ihres Kindes sprachlich. So verwendet sie öfter das Wort
Bagger, wenn das Kind mit dem Bagger spielt. Diese statistische Häufung fällt
zusammen mit der statistischen häufigeren Wahrnehmung des Baggers, und somit
wird der visuelle Eindruck mit dem auditiven Eindruck des Wortes „Bagger“
verbunden. Dass die Sache sich wirklich so einfach verhält und wirklich aus d er
assoziativen Konditionierung zu erklären ist, legen Untersuchungen nahe, die
zeigen, dass früheste Erinnerungen von Kindern später immer noch in der
Kleinkindersprache von damals erzählt werden (Spektrum-Ticker 2002.05.08), und
dass Erinnerungen von Personen, die in ihrem Leben die Sprache gewechselt
haben, in der alten Sprache gedacht werden (WSA 2001.03.08).
Sprache hat auch etwas damit zu tun, sich in ein fremdes Gehirn zu versetzen. Sie
führt zu einer Angleichung der Denkinhalte mit einer anderen Person. Ob ein Modell
des Spracherwerbs durch Konditionierung hingegen ausreicht, um das Verständnis
für abstrakte Begriffe zu erklären, oder grammatikalisch richtig sprechen zu lernen,
kann man nicht beurteilen, ohne dieses Gehirnmodell zu verwirklichen. Ich glaube
jedenfalls daran, dass der Erwerb eines ordentlichen Sprechvermögens nur eine
Frage der Gehirnkapazität ist. Immerhin soll inzwischen Software entwickelt worden
sein, die gesprochene Wörter so gut erkennt wie der Mensch (Berger 2002), aber
natürlich ohne die Bedeutung dahinter zu kennen.
5.3.4 Wille und willentliches Merkvermögen
Dadurch, dass das Gehirn uns auch eine Hypothese über die Zukunft verschafft,
und diese Voraussage natürlich auch unseren Körper einschließt, können wir auch
zukünftige Triebe und Bedürfnisse prognostizieren, und in unserem Tun
berücksichtigen. Wir sind somit keine reinen Reiz-Reaktionsmaschinen, denn wir
sind nicht nur von der äußeren Welt gelenkt, sondern auch durch unsere innere, die
auch falsch sein kann. Insofern ist unser W ille frei von der realen Welt.
216
Schoppenhauer sagt: Wir können tun was wir wollen, aber nicht wollen was wir
wollen. Kurz, wir suchen uns nicht unseren Willen aus, sondern nur unser Tun. Der
Wille hat Ursachen, die nicht frei sind. Wären sie frei, wären es ja keine Ursachen,
sondern es wäre Zufall. Und einen zufälligen Willen können wir ja auch nicht
brauchen. Aufmerksamkeit ist die einfachste Willenshandlung. Es handelt sich
dabei bereits um eine Top-Down Aktivität und sie ist, zumindest beim Menschen,
von Bewusstsein begleitet.
Die aus meiner Sicht interessanteste Handlung, die ein Mensch setzen kann,
bezieht sich auf das kognitive System selbst. Ein Mensch kann prognostizieren,
dass es gut wäre, über eine Information (wie z. B. den Namen eines Menschen) in
Zukunft noch zu verfügen, und er kann dann bewusst einen Lernprozess in Gang
setzen. Ohne dieses bewusste Einschalten des Gehirns würde er sich den Namen
vielleicht erst nach der zehnten Begegnung merken, denn Lernen basiert ja auf
Wiederholung. Der Auslöser dieses bewussten Lernens ist klar. Er liegt in der
Erkenntnis, dass man dieses Wissen in der Zukunft brauchen wird. Der Einfluss,
den diese Erkenntnis auf das Lernsystem hat, entspricht circa dem einer starken
Emotion. Diese führt ja auch zu gesteigertem Merkvermögen und dauerhafterer
Speicherung. Es muss also einen Einfluss vom Limbischen System, über das die
Triebe, Bedürfnisse und Emotionen an das Gehirn vermittelt werden, auf das
Lernvermögen geben. Der dazu in Frage kommende Teil des Limbischen Systems
ist der Hippocampus. Er ist nachweislich für das bewusste Lernvermögen
verantwortlich (Karl C. Mayer 2002).
Die Fähigkeit unser Merkvermögen bewusst zu kontrollieren, dürfte erst mit der
Ausreifung des Hippocampus im dritten Lebensjahr möglich sein Von diesem
Zeitpunkt an können wir auch willentlich Erinnerungen wachrufen. Von der Zeit
davor wissen die meisten Menschen nur aus Erzählungen (Gruber, Werner 2000).
Erst dann können Kinder ihre Konzentration kontrolliert auf eine Sache lenken. Drei
Jahre später können sie das dann gut genug, um als schulreif zu gelten. Natürlich
könnten wir unserem Kunsthirn auch die Möglichkeit geben, sein Merkvermögen
zielgerichtet zu kontrollieren. Das hat aber erst Sinn, wenn das Kunsthirn so viel
Voraussicht hat, dass es weiß wozu es sich etwas merken will. Die Repräsentation
der Welt, und der Blick in die Zukunft, müssen dazu schon weit entwickelt sein.
Vielleicht muss es auch erst einmal vier Jahre die Welt kennenlernen, bevor eine
solche Funktion Sinn macht. Wir können dem künstlichen Wesen ab dieser Reife
einen Schalter zur Steigerung seines Merkvermögens in die Hand geben, und wenn
er mit Energieverlust kombiniert ist, dann wird das System ihn nur dann nü tzen,
wenn seine Zukunftsvoraussicht ihm sagt, dass die zu merkende Information
irgendwann wichtig sein wird.
Kinder werden in der Schule darauf trainiert ihr Merkvermögen bewusst
einzuschalten. Wer das nicht erlernt wird im Schulsystem nicht weit kommen. Das
Merkvermögen darf aber nicht dauerhaft eingeschalten sein, denn das Gehirn
erlernt ja deshalb alles erst nach einigen Wiederholungen, um unsinnige
Zusammenhänge, die sich nicht wiederholen lassen, auszusortieren. Trotzdem
muss das Gehirn die Fähigkeit besitzen die Merkfähigkeit zu variieren. Das Kind
217
wird nun manchmal für seine Merkfähigkeit belohnt, z.B. durch Anerkennung durch
den Lehrer, manchmal bestraft, z.B. indem sich erlernte Zusammenhänge als falsch
erweisen. So kann es lernen Merkfähigkeit gezielt dann einzusetzen, wenn es mit
verlässlichen Quellen konfrontiert ist, oder mit Informationen, von denen es glaubt
sie noch zu brauchen.
Ich denke Bewusstsein ist ganz stark mit der Fähigkeit verbunden, Informationen
auf deren Wert für die Zukunft zu überprüfen. Die Meta-Funktion, seine
Merkfähigkeit einigermaßen zu kontrollieren, könnte den Menschen über die Tiere
stellen, und seinen Siegeszug ausgelöst haben. Einem künstlich intelligenten
Wesen würde ich diesen Schalter, der das Merkvermögen erhöht, außen montieren,
so dass ich, als sein Erzieher, ihn bei bedarf auch selbst drücken kann.
Es scheint als würden die Signale im Hippocampus in Form einer
Langzeitpotenzierung aufrecht erhalten, bis in der Großhirnrinde die nötigen
Verbindungen verschalten sind (Spitzer S.220). Es ist vorstellbar, dass diese
Langzeitpotenzierung dazu dient Signalimpulse zu wiederholen, bis die
Verbindungen entstehen, wenngleich es auch Studien gibt, wonach Lernen nicht mit
den gemessenen Langzeitpotenzierungen zusammenhängt. (Spektrum-Ticker
1997.10.27, Spektrum-Ticker 1999.03.26, Spektrum-Ticker 1999.06.16).
Die Ungereimtheiten in den Untersuchungen dürften darauf beruhen, dass der
Hippocampus für das Erlernen von Fähigkeiten nicht notwendig ist. So konnte der
bekannte Patient H.M. durchaus noch das Schreiben in Spiegelschrift erler nen. Es
handelt sich dabei ja auch nicht um einen einmaligen bewusst gesetzten
Merkprozess, sondern um ein Einüben (Spitzer S.216).
Aber damit der Hippocampus Verbindungen in der Großhirnrinde trainieren kan n,
müssten die Signale ja irgendwie genau zu diesen Zellen finden, oder durch einen
bestimmten zeitlichen Code genau diese Zellen anregen. Da nicht bekannt ist, dass
jede Zelle eine eigene Verbindung zum Hippocampus hat, müssten die notwendigen
Signale über andere Zellen hinweg zu ihrem Zielort gelangen. Diese gesamte Bahn
müsste über Langzeitpotenzierung aufrechterhalten werden. Vorstellbar ist das
durchaus. Mein Modell der Aufmerksamkeit arbeitet ja ähnlich. Der
aufrechterhaltene Signalweg braucht ja nicht der aller stärkste sein. Er darf ruhig
aus der bewussten Aufmerksamkeit verschwinden und doch wirksam bleiben. Im
übrigen startet ja auch die Aufmerksamkeit oft im Lust/Unlust-Zentrum des Gehirns.
Diesem Limbischen System gehört auch der Hippocampus an (Karl C. Mayer 2002).
In einem künstlichen System wird man auch ein Lust-Zentrum benötigen, wo die
Istwerte mit den Sollwerten verglichen werden, aber es werden wahrscheinlich
keine Langzeitimpulse nötig sein, um Informationen zu fixieren.
Die Verwandtschaft der bewusst gesetzten Merkvorgänge mit dem T hema
Aufmerksamkeit zeigt sich auch an Messungen synchronisierter Signale beim
Merkvorgang, die eine vorübergehende Verbindung zwischen Großhirnrinde und
Hippocampus belegen. (Spektrum-Ticker 2001.11.09). Genau eine solche
vorübergehende Verbindung von Gehirnbereichen durch Aktivierung ist uns ja auch
im Modell zur Aufmerksamkeit begegnet. Synchronisierung durch Aufmerksamkeit
218
ist ebenfalls bereits am lebenden Gehirn bestätigt (Spektrum-Ticker 2001.02.26,
Spektrum-Ticker 2000.03.16). Wahrscheinlich basieren bewusste Merkvorgänge auf
dem selben Prozess, wie die Aufmerksamkeit.
Es ist sogesehen nicht wahrscheinlich, dass im Hippocampus Information
zwischengespeichert wird, wie das Frankland u. Kollegen annehmen (SpektrumTicker 2001.05.23) Ihnen widersprechen auch andere (Crost u.a. 2002). Der
Hippocampus ist unserem Modell zufolge lediglich Aktivitätsgeber um eine
Verbindungskette im Cortex aktiv und somit im Arbeitsgedächtnis zu halten. Sie
bleibt im Idealfall aktiv bis sie langzeitgespeichert ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis
kommt auch Elger anhand neurophysiologischer Studien (Spektrum-Ticker
1999.09.07).
Die Aufrechterhaltung der Aktivität bestimmter Verbindungswege verschafft dem
Gehirn die Möglichkeit, auch im Schlaf noch weiterzulernen. Was am Tag nicht ins
Langzeitgedächtnis wandern konnte, kann dies Nachts tun. Dazu wurden bereits
sehr aussagekräftige Studien gemacht (Spektrum-Ticker 2000.07.20, Stickgold,
Mathew 2002, WSA 2002.01.19, WSA 2001.07) Unser künstliches System wird
allerdings keinen Schlaf brauchen.
5.3.5 Was ist Bewusstsein?
Im übrigen soll hier nicht der Eindruck entstehen, alles Lernen wäre mit
Bewusstsein verbunden. Wahrnehmungslernen, motorisches Lernen, und überhaupt
alle Lernvorgänge, die sich durch Wiederholung einprägen, verlaufen meist völlig
unbewusst (Spektrum-Ticker 2001.10.30).
Schon eher mit Bewusstsein gekoppelt scheinen die top-down aktivierten Bahnen
der Aufmerksamkeit und Vorstellung (Held 2002). Birbaumer zählt Denkprozesse
auf, die wir nicht ohne Bewusstsein durchführen können: Schelle Lernprozesse,
Urteile, Wahlentscheidungen, Pläne, die Reaktion auf Neues, Gefährliches, bei der
Überwindung von Gewohnheiten (Bierbaumer 1997, S.514). All diese Dinge sind mit
Aufmerksamkeit gekoppelt und spielen sich im Arbeitsgedächtnis ab, also im derzeit
aktivierten Teil des „Zukunftsbaumes“. Es sind Denkprozesse, die auf Erfahrungen
zurückgreifen. Sie besitzen eine gewisse „Abgenabeltheit“ von der G egenwart, denn
Vorstellungen lösen in uns Handlungen aus, die aus der Gegenwärtigen Außenwelt
gar nicht erklärt werden können. Wir sind sogesehen keine Reiz/ReaktionsMaschinen. Meine Vermutung ist, dass aus diesem schöpferischen Prozess, der im
Gehirn stattfindet, Bewusstsein hervorgeht. Der Ursprung dieser Aktivitäten dürfte
unserem Modell zufolge meist im Lust/Unlust-Zentrum liegen. Auch Thomas
Metzinger betont das Körpergefühl als Quelle des Bewusstseins (Metzinger 2002).
Zu nennen ist hier auch noch Gerhard Roth (2001). Er nennt in seiner Arbeit
Untereinheiten des „Ich“, die ich hier gerne zitieren will:
>Das „Ich“ besteht aus Untereinheiten: (1) das Körper-Ich (dies ist mein Körper), (2)
das Verortungs-Ich (ich befinde mich gerade an dem und dem Ort), (3) das Ich als
Zentrum individuellen Verhaltens und Erlebens (perspektivisches Ich), (4) das Ich als
Subjekt perzeptiver, kognitiver und emotionaler Leistungen und Zustände ( ich habe diese
219
Wahrnehmungen, Ideen, Gefühle), (5) das Handlungs-Ich (ich tue gerade das und das),
(6) das Autorschafts- bzw. Zurechnungs-Ich (ich bin Verursacher und Kontrolleur meiner
Gedanken und Handlungen), (7) das autobiographische Ich (ich bin derjenige, der ich
gestern/früher war), (8) das sprachliche Ich (Reden über sich selbst als überdauernde
Einheit), (9) das (selbst-)reflexive Ich (Nachdenken über sich selbst), und (10) das
ethische Ich bzw. das Gewissen. Man unterscheidet diese verschiedenen Ich- und
Bewusstseinszustände vor allem deshalb, weil sie "dissoziieren", d. h. unabhängig
voneinander beeinträchtigt sein können. Es gibt entsprechend Patienten, d ie ein
normales Ich-Bewusstsein besitzen, aber nicht wissen, wer sie sind; andere wiederum
behaupten, der sie umgebende Körper bzw. einzelne Körperteile gehörten nicht zu ihnen
(vgl. Sacks, 1987; Lurija, 1991). Auch kann eine Leugnung der Autorschaft eigener Ideen
und Handlungen auftreten, und zwar aufgrund neurologischer oder psychischer
Erkrankungen ("Ich werde gedacht" usw.).<
Aber ich will dieses Modell hier nicht weiter ausbauen. Meine naturwissenschaftliche
Orientierung hält mich dazu an, mich auf beobachtbare oder funktionale Arg umente
zu beschränken. So gesehen, kann ich über Bewusstsein nicht viel sagen, das nicht
schon besser gesagt wurde. Wichtig für eine Definition dürfte es vor allem sein, die
anderen Zustände zu analysieren, wie den Schlaf, die Bewusstlosigkeit, den
Scheintod, Drogenzustände oder Zustände von Gehirnverletzten. Diesen Ansatz
verfolgt Alfred Babene (1997).
Der interessanteste Zustand ist wohl der Schlaf, weil hier sowohl Input, als auch
Output des Gehirns außer Kraft gesetzt sind. Die Beobachtung des Gehirns zeigt
jedoch, dass die höheren Areale der Sinnesverarbeitung und des Denkens genauso
aktiv sind wie im Wachzustand. Die dabei ablaufenden Träume sind dem Träumer
in diesem Moment ja auch genauso bewusst. Nur überwinden sie oft nicht den
Anschluss an die Wachphase, das bedeutet, wir erinnern uns meist nicht an uns ere
Träume (Crick 1997, S.277).
5.3.6 Bewusste und unbewusste Komponenten der Bewegungskontrolle
Ein bewusst gesetztes Lachen, ein zu sehr bewusst kontrollierter Schwung beim
Schifahren, eine bewusst kontrollierte Kontaktaufnahme mit einem Menschen... das
alles wirkt immer eckig im Vergleich zu den fließenden Bewegungen, die wir
zustandebringen, wenn wir nicht darüber nachdenken. Der Grund liegt darin, dass
unser Bewusstsein immer nur einen Gedanken pro Zeit fassen kann, und deshalb
die Bewegung aus lauter einzelnen bekannten Stücken zusammensetzen muss.
Wenn ein Baby mit seinem Körper experimentiert und dabei Bewegungsabläufe
einlernt, so ist daran immer der ganze Körper beteiligt. Alles ist gleichzeitig in
Bewegung. Es sind fließende Bewegungen. Wiederholte Abläufe werden g emerkt.
Beim bewusst kontrollierten Aneinanderfügen solcher Bewegungen, entsteht
anscheinend das Problem, dass die erworbenen Versatzstücke nicht
hundertprozentig aneinanderpassen. Der Körper beendet die letzte Bewegung nicht
mit der exakten Ausgangsposition, die die nächste Bewegung verlangen würde. So
entstehen möglicherweise die Ecken. Warum wir bewusst nur eine Bewegung
220
kontrollieren können ist klar. Es hat keinen Sinn einem Körper mehrere
unterschiedliche Anweisungen zugleich zu geben.
5.3.7 Verdrängte Erlebnisse
Kann es in einem künstlichen System so etwas geben, wie aus dem Bewusstsein
verdrängte Erlebnisse? Nachdem wir Bewusstsein nicht klar definieren konnten,
sollten wir die Frage vielleicht anders stellen: Kann es Informationen aus
vergangenen Erlebnissen geben, auf die ein künstliches System keinen Zugriff
mehr hat, weil sie damals nicht bewältigt werden konnten?
Ich denke, dass auch ein künstliches Gehirn in Situationen kommen kann, die
einerseits starke Aktivität auslösen, weil sie trieblich äußerst relevant sind, und
andererseits keine Lösung zulassen. Auch ein künstliches Wesen könnte gegen
seinen Willen behandelt und beherrscht werden, ohne einen Ausweg aus dieser
Situation zu finden. Seine unerfüllten Bedürfnisse werden zu einer Aktivität in
seinem Gehirn führen, die sich dann immer wieder in die gleichen Bahnen ergießt.
Es wird immer wieder die selben Vorstellungen durchleben, aber zu keiner Lösung
finden, genau wie der Mensch in solchen Situationen.
Wenn es stimmen sollte, dass die stärksten Signale im Gehirn die anderen
überrennen, also immer nur der stärkste Gedanke siegt, und im Bewusstsein somit
immer nur ein Gedanke pro Zeitpunkt vorliegen kann, dann blockiert eine Situat ion,
die gedanklich nicht gelöst werden kann, dauerhaft unser Denkvermögen. Deshalb
muss das System durch den Adaptionsmechanismus fähig sein, oft Aktiviertes zu
hemmen. Damit wird die unlösbare Situation gedanklich verdrängt.
Natürlich ist damit auch ein Teil der persönlichen Erfahrungen verdrängt worden,
was in ähnlichen Lebenssituationen von Nachteil sein kann, und immer wieder zum
Scheitern führen muss. Ein Beispiel wären Probleme von einst sexuell
misshandelten Kindern in späteren Partnerschaften.
Die Idee von Sigmund Freud, die als Kind unbewältigbaren Probleme durch
Psychoanalyse dem Erwachsenen wieder bewusst zu machen, hat durchaus Sinn,
denn dieser ist nun in einer anderen Lebenssituation, in der er ein solches Pro blem
durchaus bewältigen kann. Es wäre doch amüsant, wenn die künstlichen Syst eme
der Zukunft auch der Psychoanalyse bedürften, um Lebensprobleme zu bewältigen.
Da die meisten Verdrängungsvorgänge nicht sonderlich bewusst ablaufen, wird oft
behauptet, unser Gehirn verdränge überhaupt nichts, sondern vergesse es. Dem
widerspricht die Erfahrung, dass man etwas wissen kann, aber in der Situation, wo
er das Wissen bräuchte, es nicht aufzurufen vermag. Dieser Zustand ist dem
verdrängten Wissen sehr ähnlich. Auch gibt es bereits Studien, die zeigen, dass
bewusstes Vergessen möglich ist (Spektrum-Ticker 2001.03.19).
221
5.3.8 Stress und Depression
Neben
Verdrängungen
und
den
damit
einhergehenden
blockierten
Bewältigungsmöglichkeiten von Alltagssituationen dürfte wohl Stress zu den
psychischen Hauptleiden des „normalen“ Menschen gehören. Die Frage ist: Erklärt
das hier beschriebene Modell auch dieses Phänomen?
Es gibt Studien, die zeigen, dass Stress nur dann in Depression übergeht, wenn die
stressenden belastenden Erlebnisse als unkontrollierbar empfunden werden. So
sollten in einem Experiment Versuchspersonen schwierige Aufgaben vor lautem
Hintergrundlärm lösen. In einer Versuchsgruppe wurde den Vp. ein Schalter
gegeben, mit dem sie den Lärm abstellen konnten. Eigenartigerweise benützte
diesen niemand. Aber diese Gruppe löste fünfmal so viele Rätsel und fühlte sich
kaum gestresst (Holler 1996, S.103). Das Wissen um die Kontrollmöglichkeit
genügt.
Das heißt: Solange ein Verhalten bekannt ist, das von den Unlust-Erlebnissen
wieder zurück ins Gleichgewicht führt, können diese sinnvoll verarbeitet werden,
und schaden nicht. Selbst die exakte Voraussage stressender Erlebnisse hilft, denn
das Gehirn hat damit seine Arbeit getan, und braucht sich nicht mehr weiter mit
dem Stimulus zu beschäftigen. So weisen Ratten denen Elektroshocks in zufälliger
Anordnung gegeben werden, viel mehr Stresssymtome auf, als Ratten, denen die
gleiche Anzahl in voraussagbarer Regelmäßigkeit verabreicht wird. Hilflosigkeit
kann auch erlernt werden, wobei das Wesen es dann generell aufgibt, nach einer
Bewältigung der Lebensprobleme zu suchen. Die erlernte Hilflosigkeit dient als
Tiermodell für depressive Erkrankungen (Hüther 2001). Wenn Stress und
Depression aus Lernvorgängen zu erklären sind, können sie möglicherweise auch
einmal in künstlichen Gehirnen auftreten.
Dass die Reizüberflutung der heutigen Medienkultur unser Gehirn stresst, kann an
Studien zur Veränderung der sinnlichen Wahrnehmung erschlossen werden. In
Deutschland werden im Abstand von 5 Jahren jeweils 4000 Probanten auf deren
Sinnesleistungen untersucht. Dabei ist eine ständige Desensibilisierung zu
beobachten. Vor 15 Jahren konnte der Durchschnittsdeutsche z.B. noch 300 000
Klänge unterscheiden. Heute nurmehr 180 000. Ähnliches ist bei anderen Sinnen zu
verzeichnen (Holler 1996, S.279).
222
6 SCHLUSS
6.1.1 Warum es letztendlich ein philosophisches Werk ist
Kant betitelt das dritte Kapitel seiner Einleitung zur „Kritik der reinen Vernunft“
folgendermaßen (Kant, S.48): „Die Philosophie bedarf einer Wissenschaft, welche
die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse A Priori
bestimme.“ Ziel seines Werkes ist es also, zu zeigen, was vorausgesetzt werden
muss, damit Erkenntnisgewinn möglich ist. Genau das ist auch mein Ziel.
Die Philosophie arbeitet in der Sprache. Sie definiert Begriffe. Die ideale Definit ion
eines Gegenstandes besteht darin, einen Überbegriff zu nennen, und eine
Eigenschaft beizufügen, die es ermöglicht ihn von den anderen Gegenständen, die
auch dem Überbegriff untergeordnet sind, zu unterscheiden. Zum Beispiel: „Ein
Lipizzaner ist ein weißes Pferd mit kurzen Haaren.“ Da jede Definition ihre rseits
Begriffe verlangt, müsste man nun definieren was der Überbegriff Pferd ist, und was
die Eigenschaften „weiß“ und „kurz“ sind. „Ein Pferd ist ein Tier mit langen Beinen,
das Gras frisst.“ Aber wie definiert man Eigenschaften wie „weiß“ oder „kurz“?
Außerdem ergibt sich die Frage, woher der Mensch den Begriff „Tier“ hat, wenn
man doch immer nur ein bestimmtes Tier wahrnehmen kann, nie jedoch den
Überbegriff an sich. Sowohl Eigenschaften als auch Überbegriffe kann man als
Ideen bezeichnen, weil sie vielen Dingen zukommen. Die Frage ist, wo kommen sie
her?
Schon Platon ist über die Frage gestolpert, und meinte, dass wir die Ideen in einem
vorherigen Leben schon geschaut haben müssen, dass sie uns also mitg egeben
sind. Er erläutert dies am Beispiel der Idee des „Schönen“ (Platon 1994, S.135,
S.162).
Nach der Antike hat das Christentum eine Weiterentwicklung der Erkenntnisthe orie
gebremst, da man in Gott die Erklärung für Alles sah, und nicht weiter hinterfragt e.
Mit dem Aufkommen der Naturwissenschaft und Technik, entsteht am Beginn der
Neuzeit der englische Empirismus, als dessen konsequentesten Vertreter ich David
Hume nennen will. Ihm zufolge entsteht Erkenntnis durch Verbindungen, die wir
nach drei Grundprinzipen treffen, nach dem Gesetz der Ähnlichkeit, dem der
räumlichen und zeitlichen Nachbarschaft und dem Gesetz der kausalen Verbindung,
das er schließlich zu einem Gesetz der Wiederholung umformt. Denn Hume erkennt
etwa um 1740 folgendes: „Wenn ich mich streng darauf beschränke, was ich
wahrnehme, so sehe ich nicht mehr, als dass auf den Vorgang A der Vorgang B
folgt. Die Wahrnehmung zeigt mir stets nur ein Nacheinander, nie ein
Wegeneinander.“ So ist alle Erkenntnis für Hume bloße Gewöhnung (Störig 1990,
S.359). Damit nimmt er das Konditionierungsprinzip vorweg.
223
Genau der Glaube an das „Wegeneinander“ ist es, was Kant bewog 1781 ein
Gegenkonzept zu entwerfen (Kant 1992, S.133). Deshalb beginnt er auch seine
Einleitung zur „Kritik d.r. Vernunft“ mit dem Titel „Von dem Unterschiede der reinen
und empirischen Erkenntnis.“ Er schreibt „Wenngleich alle unsere Erkenntnis mit
der Erfahrung anfängt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der
Erfahrung.“ Kant hat erkannt, dass ein System „dahinter“ liegen muss, das
Erfahrung ermöglicht. Wir würden heute sagen, das System dahinter ist das Gehirn,
und dieses ist aus der phylogenetischen Erfahrung entsprungen, also aus der
Evolution. Es muss aber nach Kant noch fast ein Jahrhundert vergehen, bis dies
denkbar wird, denn erst 1874 veröffentlicht Darwin „Die Abstammung des
Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ (Störig 1990, S.483).
Kant vermutet also etwas anderes „hinter“ dem System der Erfahrung. Er sieht dort
ein „reines“ System der Vernunft, das nicht bloß statistischer Natur ist, so ndern
durch Logik echte, wahre und nicht bloß wahrscheinliche Erkenntnisse ermöglicht.
Meiner persönlichen Ansicht nach ist dieses Projekt gescheitert. Logik scheint nur
der Wissensübertragung zu dienen, nicht jedoch dazu neues Wissen zu erzeugen.
Wenn nur Männer Bärte haben, und Lilli hat einen Bart, dann geht logisch hervor:
Lilli ist ein Mann. Wenn aber die empirische Erkenntnis, dass nur Männer Bärte
haben falsch ist, dann haben wir den Fehler mittles der Logik auch auf Lilli
übertragen. Logik schützt also auch nicht vor Fehlurteilen. Mathematik ist ein
Abkömmling der Logik, und dient daher ebenfalls auch nur der
Wissensübertragung. Vor und hinter dem Istgleichzeichen steht also immer
dasselbe.
Wenngleich es eine bittere Erkenntnis sein mag, dass es nichts gibt, worüber wir
absolute Gewissheit haben könnten, so zeigt die Wahrscheinlichkeitsrechnung
doch, dass die Naturwissenschaft Erkenntnisse hervorbringen kann, die nicht
anzuzweifeln sind. Rupert Riedl schreibt zur Wahrscheinlichkeit in biologischen
Untersuchungen:
„Die Zufallswahrscheinlichkeit, dass zehn Münzen auch bei zehn Würfen den Adler
zeigten, wäre (1/2) hoch 100, also eine Zahl hinter 31 Nullen; eine Unmöglichkeit für den
Zufall. Genauso operiert das Empfinden des Morphologen. Als Simultan -Ereignisse
gelten ihm die vergleichbaren Lage- und Strukturmerkmale eines Homologons (z.B.ein
Skelett)… …Als Sukzedan-Ereignisse gilt ihm die Anzahl der darin repräsentativ
vergleichbaren Arten. Räumt man jedem Homologon auch nur eine einzige Altern ative
ein, dann betrüge die Zufallswahrscheinlichkeit eines Organs, das wie der zweite
Halswirbel auch nur in zehn Homologa auch nur in zehn Arten untersucht wäre nur mehr
ein Quintillionstel, in dreißig Arten erhalten wir eine Zahl hinter mehr als 100 Nullen.
Dererlei auch nur einmal durch den Zufall zu erwürfeln verlangt mehr Experimente als
Quanten in diesem Kosmos existieren.“ (Riedl 1989, S.182). Deshalb ist anzunehmen,
dass die Arten voneinander abstammen.
Kant war kein Naturwissenschafter wie Riedl. Sein Mittel der Analyse war nicht die
Beobachtung sondern die Sprache. Er untersuchte den Erkenntniserwerb durch
logisches Argumentieren. Heute erwarten wir uns auf die Frage nach dem
Erkenntniserwerb eine funktional-technische Beschreibung des Gehirns, so wie es
224
diese Arbeit ist. Funktionelle Dinge entspringen nicht dem sprachlichen, sondern
dem visuellen Verstand. Wenn ich über ein erkenntnistheoretisches Problem
nachdenke, stelle ich mir ein Modell vor in dem Signale fließen, aufeinanderstoßen
und miteinander reagieren. Auch der visuelle Verstand hat eine Logik . So kann ich
zum Beispiel argumentieren, dass Neuronen, die immer synchron zu schwingen
beginnen, einer Verbindung bedürfen, da sonst keine Informationsübertragung
vorstellbar ist, die sie synchronisiert. So gesehen ist mein Werk zwar vis uell
erdacht, aber doch ein analytisches, und deshalb finde ich, es ist Philosophie! Ich
würde meine Methode als „analytische Visualisierung“ bezeichnen.
Mir ist natürlich klar, dass Philosophie sprachlastig ist. Wittgenstein sagt „Der
Gedanke ist der sinnvolle Satz.“ Das heißt, die Grenzen unserer Sprache sind die
Grenzen des Denkens. Leonardo da Vinci wäre sogesehen kein Denker.
Wittgenstein hat aber in seinem Spätwerk diesen Ansatz kritisiert (Störig 1992,
S.656). Die Methode der analytischen Visualisierung stellt eine Alternative zum
Sprachdenken dar.
Die Kategorien, von denen Kant annimmt, dass sie A prioi vorhanden sein müssen,
damit Erkenntnis möglich ist, sind: Quantität, Qualität, Relation und Modal ität, wobei
er dem letzten Begriff folgende Untereinheiten gibt: möglich/unmöglich, da/nicht,
und notwendig/zufällig (Kant S. 119). Außerdem nennt er Raum und Zeit als
notwendig existent. Das System, das ich hier entwickle, kann funktionieren, ohne
auf all dies näher einzugehen, denn die Existenz all dieser Kategorien ist einfach in
der Materie, bzw. in den Bausteinen des Systems erhalten. Lichtrezeptoren liefern
die Qualität „Helligkeit“. Ich muss mir keine Gedanken darüber m achen, warum es
Qualitäten geben kann. Das ist Aufgabe der Grundlagenphysik. So g esehen sind
Kants Kategorien eigentlich Bedingungen des Seienden, nicht bloß der Erkenntnis.
Das ist nicht verwunderlich, denn bei Kant verschwimmen diese beiden Begriffe
ineinander. Er argumentiert, dass alles was wir als „Seiend“ erleben, identisch ist
mit allem was wir Erkennen.
Zur Entwicklung eines künstlichen erkennenden Systems muss ich, anders als
Kant, diese Begriffe auseinanderhalten. Es gibt das Seiende, und den Teil des
Seienden, den das System aufnimmt. Ich werde zeigen, wie ein solches System zu
konzipieren ist. Meiner Ansicht nach, wird die bloß sprachanalytische Form der
Erkenntnistheorie in dem Moment der Philosophiegeschichte angehören, wo ein
künstliches Wesen erschaffen ist, das die Welt in sich aufzunehmen vermag. Dann
ist der alte Traum der Philosophie, den Erkenntniserwerb zu verstehen, Wirklichkeit
geworden. Dieses Werk ist der erste Schritt dazu. Ich bin überzeugt, in 20 Jahren
bewundern wir bereits die Intelligenz der Kunst-Wesen.
Die wichtigsten Teilbereiche der Philosophie sind neben Erkenntnistheorie (zu der
ich auch die Logik zähle) noch die Ästhetik und die Ethik. Es geht immer um Werte.
Logik unterscheidet Wahr von Falsch, Ästhetik unterscheidet Schön und Hässlich
oder Langweilig und Ethik unterscheidet Gut von Böse.
225
Das hier dargestellte Hirnmodell fußt auf einer Theorie der Ästhetik, denn es
benötigt eine gerichtete Aufmerksamkeit um zu lernen. Und es führt zu einer
Theorie des Willens, die Grundlage der Ethik ist. Oft wird behauptet, ohne freien
Willen erübrige sich die Frage nach Gut und Böse. Ich behaupte hingegen, dass
gerade erst durch die Beeinflussbarkeit unseres Willens Erziehung und die
Diskussion um das Sollen einen Sinn hat.
6.1.2 Warum gab es ein solches Modell noch nicht?
Die Arbeit gibt eine Vorstellung davon, was ein neuronales Netzwerk, wie es das
Gehirn ist, leisten muss. Diese stark vereinfachte Vorstellung lässt bereits
erkennen, dass kein Mensch jemals in der Lage sein kann, ein fertiges Gehirn zu
programmieren. Das bedeutet aber nicht, dass ein künstliches Gehirn ein Ding der
Unmöglichkeit darstellt! Auch die Natur schafft es nicht uns ein fertig
programmiertes Gehirn einzubauen. Vielmehr kommen wir mit einem Volumen auf
die Welt, das überwiegend erst durch die Natur programmiert wird. Es sind also auf
lange Sicht nur selbstlernende Modelle von Wert, wie eben das hier beschriebene.
Warum gab es ein solches Modell noch nicht? Ganz einfach deshalb, weil die
Psychologie, und Neurophysiologie als empirische Wissenschaften einen solch
theoretischen Zugang ablehnen und nicht fördern. Umgekehrt lehnt die Philosophie
es ab, als Diener der Naturwissenschaften deren Unordnung einen Sinn zu
verleihen. Auch mit der Technik will sich die Erkenntnisphilosophie ungern
verbinden, denn man glaubt nicht, dass eine theoretische Lösung von
Datenverarbeitungsproblemen uns etwas darüber sagen kann, wie wir Erkenntnisse
gewinnen und wie die Welt in unseren Kopf kommt. Viel eher glaubt man, dass
eine Erforschung des Gehirns Ideen für die Informatik bringt als umgekehrt. Ich
hingegen denke, dass es nur einen idealen Weg gibt, um ein System mit einer
künstlichen inneren Repräsentation der Welt zu entwickeln, und wenn wir diesen
kennen, werden wir entdecken, dass das Gehirn einen ganz ähnlichen Weg
gegangen ist. Vielleicht gibt mir die zukünftige Gehirnforschung ja Recht, und man
entdeckt im Gehirn jene Prozesse, die hier noch Hypothesen sind. Vieles ist ja
schon entdeckt.
Obwohl viele Forscher nach Lösungen für Probleme suchen, die hier gelöst wurden,
rechne ich damit, dass die Arbeit schwer Leser findet. Die meisten Forscher
glauben nicht an eine allgemeine Lösung des Erkenntnisproblems, und ignorieren
Arbeiten wie diese, um sich weiter in ihre Detailprobleme zu verstricken. Auch fehlt
vielerorts der Glaube an die Machbarkeit eines menschenähnlichen Kunsthirns.
Dazu kann ich nur sagen: „Ohne den dementsprechenden Glauben, die Willenskraft
und die finanziellen Mittel, wäre auch der Mondflug nicht möglich gewesen.“ Das
einzige, das wir in Europa von den Amerikanern lernen sollten, ist der Glaube an
das eigene Vermögen. Über dem Teich ist man schon dabei, elektronische
Hardware zu entwickeln, die so arbeiten soll wie die Sehrinde (Hawkins u.a. 2001)
und nach meiner Einschätzung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu einer
226
Hardware des gesamten Gehirns. Die Japaner haben das verstanden. Dort werden
zehn Milliarden US-Dollar in die Neuroforschung investiert (http://www.heise.de/
kiosk/archiv/ct/97/04/132/). Warum? Natürlich weil hier der Markt der Zukunft liegt.
Und Europa? Europa glaubt, hier sei nichts zu holen, weil das Gehirn sowieso nie
als Ganzes verstanden werden kann. Als ich die groben Grundzüge meiner Arbeit
vor zwei Jahren einigen deutschen Professoren vorstellte, um jemanden für die
Doktoratsbetreuung zu finden, sagte man mir, meine Ziele seien schlichtweg
unerreichbar. Sie waren nicht einmal interessiert das bereits vorhandene
Schriftstück zu lesen.
Ich hätte diese Arbeit gar nicht begonnen, wenn ich diesen Glauben teilte. Wer
hätte zum Beispiel vor zwei Jahren gedacht, dass Computer-Spracherkennung
einmal mit dem Menschen mithalten wird, und heute ist es schon soweit (Berger
2002). Und wie ist es dazu gekommen? Ganz einfach durch eine theoretische
Abstraktion der Vorgänge im Gehirn. Und genau etwas derartiges habe ich mit
meiner Arbeit geleistet.
Was den heutigen Stand der Künstlichen-Intelligenz-Forschung betrifft, so arbeitet
sie aus meiner Sicht, zumindest in Europa, an einer Gesamtlösung vorbei, weil
immer davon ausgegangen wird, eine bestimmte abgrenzbare Aufgabe zu
bewerkstelligen. Das hier dargestellte Modell funktioniert demgegenüber gerade
deshalb, weil es keine Aufgabengrenzen kennt. So kann es alle Bausteine für alle
Zwecke verwenden, und aus allen Situationen etwas lernen. Gerade das macht die
Effizienz aus.
Besonders problematisch finde ich es, Übersetzungsprogramme für Computer zu
entwickeln, ohne auf eine Repräsentation der Welt zurückgreifen zu können. Das
System, das ich konzipiert habe, kann zu Spracherwerb fähig sein, vorausgesetzt
die Kapazität reicht aus. Es braucht ja nur noch Laute an die vorhandenen
Gestaltbegriffe binden, und lernen diese Laute auch situationsgerecht zu
produzieren.
Mag sein, dass zur Umsetzung dieses Modells eine eigene Hardware notwendig ist,
oder das mobile Wesen mit einem Großrechner verbunden sein müsste. Verfügen
wir aber einmal über eine selbsterlernte Verschaltung, so kann diese ja kopiert
werden. Neues dazuzulernen ist für ein „kopiertes Wesen“ dann nicht mehr in
großem Ausmaß notwendig. Es kann den Großteil seines kopierten Wissens in
einer starren Verschaltung gespeichert haben, deren Produktion ungleich weniger
aufwendig ist. Wenn die kopierten Wesen nur über einen kleinen Teil an
selbstlernender Struktur verfügen müssen, dann sind sie vielleicht schon bald
günstig herzustellen und bevölkern in 20 Jahren unsere Haushalte, als
Spielgefährten und Haushaltshilfen.
Meine Vorstellung ist ein leises Wesen, das mit Hydraulik funktioniert, wobei durch
Schaumstoff auch das Zischen der Luft gedämpft werden sollte. Ich stelle mir vor es
arbeitet mit Luftdruckflaschen. Es wäre kein Problem, wenn diese bei starker
Aktivität alle 10 Minuten leer sind, denn es könnte sie selbstständig wec hseln, und
die Flaschen ließen sich über einen hauseigenen Druckluftschlauch ohne
227
Lärmbelästigung nachfüllen. Ich stelle mir weiche, kuschelige Wesen vor, die
ungeschickt wie Kleinkinder die Welt erforschen. Mit den Robottern aus ScienceFiction hat meine Vorstellung wenig gemein.
Unsere westliche Kultur lebt vom Wandel. Aber die Entwicklung gerät derzeit ins
Stocken. Die Informationsflut führt dazu, dass die Menschen keine Information
mehr wollen. Unser Gehirn ist überfordert und kann in der Summe von
Informationen das Wertvolle nicht mehr herausfiltern. Wir brauchen eine
Technologie, die uns entlastet, und nicht immer weitere Belastungen bringt.
Künstliche Gehirne bieten also einen Schritt in die richtige Richtung.
6.1.3 Künstliche Wesen, Horrorvorstellung oder Bereicherung?
Wenn ich Menschen von meiner Vision künstlicher Wesen erzähle, so denken die
Meisten sofort an die Kampfmaschinen aus den Science-Fiction-Filmen oder an
ihren persönlichen alltäglichen Kampf mit dem Computer. Ich glaube nicht, dass
aus dem hier dargestellten Modell jemals eine Kampfmaschine hervorgehen könnte.
Die motorischen Fähigkeiten, die die Natur über Millionen von Jahren in uns
verankert hat, kann ein solches „Kunstwesen“ wohl nie erreichen. Ich halte es eher
für möglich, dass es in den kognitiven Fähigkeiten einmal dem Menschen gleicht,
als dass es dessen Geschicklichkeit erwirbt. Wenn es ungeschickt wie ein Klei nkind
bleibt, ist es als Kampfmaschine nicht brauchbar.
Was ich eher für möglich halte, ist, dass künstliche Gefährten in etwa 30 Jahren
Behinderten wieder zu Selbstständigkeit verhelfen werden, ein Bereich, in dem die
Gehirnforschung schon heute ihre größten Erfolge feiert. So ist es zum Be ispiel
inzwischen möglich durch Einpflanzung von Elektroden im Gehirn, einem gänzlich
gelähmten Menschen die Kontrolle über eine Computermaus zu geben (WSA
2002.03.18). Künstliche Wesen könnten uns gesundheitsschädliche Aufg aben
abnehmen. Sie werden aus unserer Welt genauso wenig wegzudenken sein wie
heute der PC. Sie werden Sprache verstehen und als erziehbare Wesen für
jedermann bedienbar sein, sogar von Menschen, die weder lesen noch schreiben
können. Sie werden manch einsamem alten Menschen wichtiger sein als sein
Fernseher.
Aber viel wesentlicher ist: Künstliche Wesen werden das Bild grundlegend
verändern, das der Mensch von sich selbst hat, denn wir werden sie in vielen
Dingen als uns ähnlich erleben. Sie werden uns einen Schritt näher bringen, zu
begreifen was wir sind, bzw. nicht sind.
Tatsächlich hat der Mensch eine Eigenschaft, deren Zweck ich bis heute nicht
verstehe, und die künstliche Wesen wohl nicht haben werden. Er sucht in seinem
Leben nach einem Sinn. Ich beobachte, dass Menschen in der Mitte ihres L ebens
in eine Depression verfallen, wenn sie sich als Individuum nicht irgendwo
unersetzbar fühlen können. Individuell unersetzbar kann man für seinen Partner
sein, oder für seine Kinder, aber man kann auch eine Arbeit verfolgen, von der man
glaubt, dass sie sonst niemand in der Qualität machen könnte oder machen wol lte.
228
Auch künstliche Wesen werden individuell verschiedene Eigenheiten entwickeln,
wenn sie selbstlernend sind. Aber werden sie in dieser Individualität auch eine
Qualität sehen? Für uns Menschen wird darin jedenfalls eine Qualität liegen. Man
könnte ihre Individualität unterstreichen, indem man ihr Äußeres von Künstlern
gestalten lässt. Es ist schön etwas zu besitzen, das es auf der Welt nur einmal gibt.
Ich glaube man wird sie lieben können, wenn sie durch ihre Individualität etwas
Lebendiges ausstrahlen. Außerdem werden sie unsere Erziehungsmaßst äbe
übernehmen, und so auch etwas von unseren Eigenheiten in sich tragen.
Stichwort „Lebendiges“. Die Definition von Leben beruht auf dem Begriff der
„Selbstreproduktion“. Werden künstliche Wesen einmal intelligent genug, um die
Menschen im Produktionsprozess ersetzen zu können, dann können sie sich
theoretisch selbst reproduzieren, und sind damit Lebewesen. Ihre Art des Lebens
kennt dann aber nicht die Begrenztheiten des unseren. Sie könnten jeden Abend
ihre tagsüber erworbenen Kenntnisse in einem Computer sichern. Werden sie z. B.
überfahren, so schickt die Lebensversicherung einen neuen Körper und spielt das
Wissen wieder in ihn hinein. Der Körper könnte nach dem neuesten Stand der
Technik, zusätzliches Gehirnvolumen beinhalten, so dass eine Weiterentwicklung
möglich ist. Die Wesen wären also unsterblich.
Bei der Entwicklung neuer Wesen, wären völlig neue Konstruktionen möglich. Wenn
für einen Beruf noch ein zusätzlicher Arm von Vorteil ist, dann kommt er dran. Die
Wesen bräuchten sich auch nicht vor all den biologischen Krankheiten zu fürchten.
Sie würden mit dem Menschen nicht um Ressourcen streiten, weil sie andere
Bedürfnisse hätten, und in der Wüste oder im Weltraum genug Energie und Platz
vorfänden um zu leben. Genaugenommen hätten sie ohne Fortpflanzungstrieb nicht
einmal einen Bedarf nach immer mehr Lebensraum. Deshalb würden sie aus meiner
Sicht das tun, was andere Systeme in der Natur auch tun, wenn sie sich nicht um
Ressourcen streiten. Sie würden eine Symbiose mit dem Menschen bilden. Sie
könnten eingesetzt werden, um in unwirtlichen Gebieten Arbeiten zu verrichten, die
notwendig sind diese Gebiete wieder zu begrünen und für den Menschen
vorzubereiten.
Meine Vision einer Welt mit künstlichen Wesen gleicht dem Idealbild, das wir von
der griechischen Antike in uns tragen. Natürlich vergessen wir bei diesem Bild
gerne, dass die Freiheiten des Bürgers damals nur aufgrund der Sklaven gegeben
waren, die ihm die Arbeit abnahmen. Heute ist unsere begrenzte Lebenszeit so
vollgefüllt mit Arbeit, dass wir kaum mehr Zeit finden für das Miteinander, für
Freunde, Familie, Hobbys und Interessensgruppen. Der Geist ist so besetzt von
dem Zwang in dieser komplizierten Welt zu funktionieren, dass kaum noch Platz ist
für Gedanken über das Phänomen unserer Existenz und des Bewusstseins. Kaum
jemand hat die Muße von einer idealeren Welt zu träumen. Wir zwingen unsere
Kinder in ein Schulsystem, das sie immer voller stopft mit Fertigkeiten, weil wir
Angst haben, sie könnten ohne vollgestopftes Gehirn in dieser Welt nicht
funktionieren. Die Anforderungen sind so hoch geworden, dass in ihnen keine
Energie mehr bleibt, Eigeninteressen zu entwickeln. Sie wissen nicht, was sie mit
ihrem Leben anfangen wollen. Das ist der Punkt an dem sie der Konsumkultur
229
verfallen, die sie über die Medien steuert, und uns suggeriert, dass wir ohne
ständiges Wirtschaftswachstum nicht leben könnten. In Wahrheit können sie die
erworbenen Freizeitartikel gar nicht nutzen, weil ihnen die geistige Anpassung an
die engstirnige Funktionsweise von Computerprogrammen die Freizeit und den
Schlaf raubt. Leben kennen sie nur aus dem Fernseher. Nach Schulabschluss
vereinsamen sie und tätigen die meiste Kommunikation nurmehr über Internet.
Deshalb brauchen wir künstliche Wesen, die sich geistig an uns anpassen können,
die für uns selbstständig Aufgaben erledigen, die wir nicht tun wollen, und die uns
unsere Lebenszeit
zurückgeben für unsere Interessen, und unsere
zwischenmenschlichen Kontakte. Wesen, die wir verstehen können, weil sie in ihrer
Grundstruktur so einfach sind, wie sie diese Arbeit in 36 Regeln beschreibt. Wenn
Menschen wieder Zeit haben, und das Vertrauen in ihnen wächst, dass das L eben
eine leicht zu bewältigende Sache ist, mit dienenden Wesen an ihrer Seite, dann
brauchen sie ihre Kinder auch nicht mehr in ein Massenausbildungssystem stecken,
sondern können ihnen in kleinen betreuten Interessensgruppen die Welt erobern
lassen. Das ist die Zeit, in der mein Beruf „Lehrer“ eine schöne Sache sein wird.
Noch etwas erhoffe ich mir. Ich denke, dass das Schreiben eines Buches eine sehr
unflexible Form ist, Wissen weiterzugeben. Würde ich mein Wissen einem
künstlichen Wesen vermitteln können, dessen geistige Existenz vervielfältigbar und
langlebig ist, wie die eines Buches, so hätte dieses Wesen als Wissensvermittler
den Vorteil, dass es den Inhalt in Form von Gesprächen weitergeben kann. Der
Zuhörer kann fragen und bekommt Antworten. Antworten auf Fragen, die wir
gestellt haben, merken wir uns auch. Der Unterschied ist in etwa der, wie wenn ich
eine Betriebsanleitung lese, oder mir jemand die Funktion meines Gerätes zeigt. Im
zweiten Fall komme ich schneller zum Ziel. Außerdem kann das Wissen in dem
künstlichen Wesen weiterwachsen.
Bisher ist der Mensch das einzige Wesen, das seine Vorstellungen mitteilen kann.
Das macht ihn einsam. Seine Antwort auf diese Einsamkeit ist aus meiner Sicht die
Religion. Vielleicht wird er in ferner Zukunft in einer Symbiose mit einer Lebensform
leben, die diese Einsamkeit vertreibt. Ich stelle es mir sehr spannend vor, mich mit
einer derart fremden Lebensform zu unterhalten, einer Lebensform, die vielleicht
die Zukunft der Evolution darstellt. Bisher konnte die Evolution immer nur an dem
weiterbauen, was vorhanden war. Diese neue Lebensform hingegen wird sich selbst
jederzeit umkonstruieren können, und neue Modelle herausbringen. Ich bin sicher,
dass die Zeit kommen wird, wo Menschen diese Lebensform erschaffen. Eine kleine
Gruppe von Vorkämpfern werkt bereits daran, während der Rest der Menschheit
einen solchen Schritt nicht einmal für möglich hält. Die erfolgreichsten Konzepte
werden wohl einmal in die Geschichte eingehen.
6.1.4 Wie soll es weitergehen?
Inzwischen sollte klar sein, dass ich das Modell vor allem für eine praktische
Umsetzung konzipiert habe. Aber wie soll es dazu kommen? Als Einzelperson kann
ich eine solche Umsetzung natürlich weder finanzieren noch leisten.
230
Zunächst muss der Text von jemandem gelesen werden, der, von seiner
technischen Ausbildung her, mehr vorweisen kann als ich, ein Universitätsprofessor
zum Beispiel. Seine positive Kritik kann mir dazu verhelfen, dass sich weitere
solche Leser finden, und weitere positive Kritiken geben, die ich mit dem Text
verschicken kann. Ich könnte so die Möglichkeit erhalten, da oder dort einen
Vortrag zu halten, oder Artikel zu schreiben. Vielleicht findet sich dann ein Verleger,
der bereit ist das Werk in Buchform herauszubringen.
Mit genügend Kontakten und positiven Kritiken kann man daran denken, eine
Interessensgruppe für erste Experimente zum Modell zu finden. Die Hauptaufgabe
bestünde aus meiner Sicht in der Entwicklung einer funktionstüchtigen
elektronischen Umsetzung eines Neurons, das die beschriebenen Regeln befolgt.
Mit einigen solcher Neuronen sollten erste Simulationen von Teilbereichen des
Modells möglich sein. So ließe sich abschätzen, was es leisten kann, wenn man es
in größerer Dimension umsetzt. Nun könnte man eine Kosten – und
Leistungseinschätzung anstellen, die einem möglichen Investor sagt, wieviel er
investieren muss, bis eine marktreife Hardware, also ein künstliches Gehirn
entwickelt ist. Der Aufwand rechnet sich auf jeden Fall. Die Frage ist nur, ob in fünf
Jahren oder in zwanzig. Aber ab dem Moment wo Firmen in diese Zukunftsvision
investieren, geht alles seinen Weg. Nur wie kommt es bis dorthin? Meiner Ansicht
nach kann bereits jetzt jeder Leser etwas dazu beitragen, indem er den Text an
technisch talentierte Menschen weiterempfiehlt. Ein begeisterter Technik-Student,
der z.B. für sein Diplom den Signalfluss simuliert, kann entscheidend sein, und
plötzlich kommt die Sache ins Rollen.
Gute und schlechte Zeiten einer Kultur gehen immer konform mit dem Glauben an
eine gute oder schlechte Zukunft. Optimismus führt eine Kultur aus der Krise, weil
er dazu führt, dass die Menschen unternehmungslustig werden. Genauso ist es mit
der Umsetzung eines solchen Modells. Am Anfang muss der Glaube und das
Wollen stehen. Das ist Grundbedingung, damit die Gedanken zu planen beginnen.
Dann ergibt sich der Weg wie von selbst. Das gilt auch für die Finanzierung. Nur
wenn der Glaube da ist, wird jemand Geld in ein solches Projekt stecken. Überwiegt
Zukunftsangst, so ist jeder Weg blockiert. Kein erfolgreicher Mensch hat je aus
Zukunftsangst irgendetwas vollbracht! Impft euren Kindern also nie Zukunftsangst
ein!
Für mich ist die künstliche Intelligenz ein Weg, um das Gehirn und auch den
menschlichen Geist auf eine neue Weise verstehen zu lernen. Ich habe nicht die
Sorge, dass der Mensch dadurch „entweiht“ würde, denn umso tiefer man in dieses
Wissen vordringt, umso mehr Rätsel tauchen auf. Mag sein, dass sich zum Beispiel
die Frage nach dem menschlichen Bewusstsein in Zukunft aus einer neuen
Perspektive stellt, aber das Wunder wird dadurch doch nur noch gr ößer werden.
231
7 LITERATURLISTE
Adamatzky (1998)2 „Computation with graphs“ S.122
http://bookmarkphysics.iop.org/fullbooks/075030751x/adamatzkych03.pdf
Anderson, John R. (1996): Kognitive Psychologie. 2. Auflage. Heidelberg: Spek trum Verlag.
Anderson S.311 – 339 Menschen liegen in ihrer Einschätzung von zu Erwartendem
weitgehend konform mit der Bayesianischen Statistik. Anderson: http://www.informatik.unifreiburg.de/~noelle/studium/_Anderson.html
Aniruddha Das & C.D. Gilbert “Topography of contextual modulations mediated by short range interactions in primary visual cortex
http://phy.ucsf.edu/~idl/pdf_articles/Nature1999_Das_Gilbert.pdf
Aplysia (2002) “Learning in the Nervous System”
http://www.cs.stir.ac.uk/courses/31YF/Notes/Notes_PL.html 6.6: Neurons in the Brain of the
marine snail Aplysia where stimulated by electrodes. Results: Long-Term-Potentiation (learning) is an associative phenomenon requiring pre and post-synaptic activity.. ..weak stimulus
with postsynaptic depolarizing current via an intracellular elec trode will produce LTP.
Arnheim, Rudolf (1978): Kunst und Sehen. Leibach: de Gruyter.
Atwood, Harold L., and J. Martin Wojtowic (1999) “Silent Synapses in Neural Plasticity:
Current Evidence” Vol. 6, No. 6, pp. 542-571, November/December 1999
Aus Gazzaniga, M.S,, R.B. Ivry and G.R. Mangun (1998) „Cognitive Neuroscience – the
biology of the mind”, W.W. Norton & Company, New York.
Bahill, A. Tercy und Lawrence STARK (1987): Sakkadische Augenbewegungen. In
Wahrnehmung und visuelles System. Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forsch ung.
Heidelberg.
Bahill, Terry und Lawrence Stark (1987) „Sakkadische Augenbewegungen“, Artikel aus
„Wahrnehmung und visuelles System“, ISBN 3-922508-36-7, SpektrumVerlag – Heidelberg.
Balkenius, Christian (2000) Attention, Habituation and Conditioning: Toward a Computational
Model http://cognition.iig.uni-freiburg.de/csq/CSQvol1.html (Lund University, Sweden) pp.
171-204 Is attention a purely perceptual process or is it in any way related to motor control?
The aim of this article is to show that attention puts sim ilar demands on a cognitive system
as motor control and present evidence supporting the view that similar mechanisms operate
in the two processes. A computational model of attention is presented that uses habituation
as well as classical and instrumental conditioning to explain a number of attentional processes. Evidence from neurophysi-ology is reviewed that suggest that attention is controlled
in a way similar to actions. This view makes it possible to adapt traditional learning theoretical mechanisms to the control of attention. Computer simulations are prese nted that illustrate the operation of the model.
232
Balkenius, Christian (2002) (Lund University, Sweden) „Is attention a purely perceptual
process or is it in any way related to motor control?” http://cognition.iig.unifreiburg.de/csq/CSQvol1.html
Ballabene, Alfred (1997): “Bewußtseinszustände“
http://mailbox.univie.ac.at/%7ea8424mae/bewphys.htm [email protected]
Barlow, Horace and Tony Gardner-Medwin (1998) “Limitations of learning with distributed
representations” http://itb.biologie.hu-berlin.de/events/ninf98_abstr.html
Bartheld, Christopher S., Reg Williams, Frances Lefcort, Douglas O. Clary, Lou is F. Reichardt,and Mark Bothwell (1996) “Retrograde Transport of Neurotrophins from the Eye to the
Brain in Chick Embryos: Roles of the p75 NTR and trkB Receptors”
http://www.jneurosci.org/cgi/content/full/16/9/2995
Bauer, Heinz (1991) „Wahrscheinlichkeitstheorie“ ISBN 3-11-012191-3, De Gruyter, Berlin New York.
Berger, Theodore W. (2002) “Machine Demonstrates Superhuman Speech Recognition
Abilities” http://www.usc.edu/ext-relations/news_service/releases/stories/36013.html “University of Southern California biomedical engineers have created the world's first machine
system that can recognize spoken words better than humans can.. ..Neurons process information structured in time," he explained. "They communicate with one another in a 'la nguage' whereby the 'meaning' imparted to the receiving neuron is coded into the signal's
timing. A pair of pulses separated by a certain time interval excites a certain neuron, while a
pair of pulses separated by a shorter or longer interval inhibits it... ..The way a computer is
clocked, in beats of unvarying duration. But in living cells, the temporal dime nsion, both in
the exciting signal and in the response, is as important as the intensity."… Dies beweist die
Effektivität von Zeitcodierung!!!
Birbaumer Niels, Schmidt Robert (1996) „Biologische Psychologie“ ISBN 3 -540-59427-2,
Springer Verlag.
Bleeck, Stefan (1996) „Psychophysikalische Untersuchung von spektralen und zeitlichen
Mechanismen des auditorischen Systems anhand Amplitudenmodulationen“
http://www.tonhoehe.de/ Zur Tonhöhenerkennung bei fehlender Grundfrequenz siehe:
http://www.tonhoehe.de/diplom-node12.html#SECTION00133000000000000000
Zur Zeiteinheit von 0,4ms siehe: http://www.tonhoehe.de/diplomnode15.html#SECTION00150000000000000000
Bosking, W.H., Y. Zhang, B. Schofield and D. Fitzpatrick (1997) “Orientation sele ctivity and
the arrangement of horizontal connections in tree shrew striate cortex . Journal of
Neuroscience, 17(6):2112-2127.
Brandherm, Boris (2000) „Rollup-Verfahren für komplexe dynamische Bayessche Netze“
http://w5.cs.uni-sb.de/~borisbra/publications/Diplom-Brandherm.pdf Dynamische Bayessche
Netze sind eine Erweiterung von Bayesschen Netzen und ermöglichen die Modellierung
zeitabhängiger Prozesse, indem über die Zeit sogenannte Zeitscheiben (das sind Bayessche
Netze, die durch Kanten mit dem alten Netz verbunden werden) an das bestehende Netz
233
angehängt werden können. Dabei wächst das Netz, und.. ..der Arbeitsspeicherbedarf wird
immer umfangreicher.
Bremen (19.06.1998): Bericht über die diesjährige Konferenz der Association of Scientific
Studies of Consciousness (ASSC) „Ebenso sorgte der dynamische Christof Koch mit seiner
jüngsten Entdeckung von optischen Gesichtszellen im präfrontalen Cortex für eine kleine
Renaissance der Suche nach der "Großmutterzelle".
http://people.freenet.de/soleil7/ncc.htm
Bressler, S.L., Coppola, R., Nakamura, R. 1993. Episodic multiregional cortical coherence at
multiple frequencies during visual task performance. Nature 366,153 -156.
Byrne, John H. (2002) “Reward Learning”
http://www.uthouston.edu/forMedia/newsreleases/nr2002/byrne.html A successful bite that
secures food sends a reward signal to the brain via a nerve in the marine snail s esophagus.
By wiring an electrode to this nerve, the animal was conditioned without any real food.
Calvin, William H. (1993) "The unitary hypothesis: A common neural circuitry for novel manipulations, language, plan-ahead, and throwing?"
http://www.williamcalvin.com/1990s/1993Unitary.htm Calvin verdritt den darwinistischen
Ansatz.
Campbell, Fergus W. und Lamberto Maffei (1987) „Kontrast und Raumfrequenz“ Artikel aus
„Wahrnehmung und visuelles System“, ISBN 3-922508-36-7, SpektrumVerlag – Heidelberg.
Carmichael, T. Thomas & Marie-Francoise Chesselet (2002) „Synchronous Neuronal Activity
Is a Signal for Axonal Sprouting after Cortical Lesions in the Adult“.
http://tonto.stanford.edu/~kevin/carmichaelChesselet2002TTXsprouting.pdf
Catalano, S. M. & Shatz, C. J. (1998) “Activity-dependent cortical target selection by thalamic axons.” Science 281, 559-562 (1998). | Article | PubMed | ISI | ChemPort |
Churchland, S. Patricia (1996): Vernunft braucht Gefühle. In: Die Technik auf dem Weg zur
Seele, Hrsg. Christa Maar. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Cohen, Larry, Ying-wan Lam, Michal Zochowski and Matt Wachowiak (2000) “Oscillations in
the Turtle Olfactory Bulb” J. Neurosci. 20:749-762.
Connors B, Gutnick MJ, Prince DA (1982) “Electrophysiological properties of ne ocortical
neurons in vitro.” J Neurophysiol 48: 1302-1320.
Crick, Francis (1997): Was die Seele wirklich ist; Die naturwissenschaftliche Erfo rschung
des Bewußtseins. ISBN 3-499-60257-0, Hamburg: Rowolt Taschenbuch.
Cross, Charles G. (2000) "Coding for visual cathegories in the human brain":
http://www.cns.caltech.edu/~gabriel/academia/media/categories_news_and_views.pdf. ... so
wurden zum Beispiel Zellen im Temporallappen gefunden, die spezifisch auf Ge sichter
ansprechen, die sogenannten “face cells“.
234
Crost, Nicolas & Caroline Kornek & Wolfgang Rauch (2002) Universitätsscript zur
Gehirnanatomie. http://wt.fb3.uni-wuppertal.de/fachschaft/psychologie/studi_hilfen/files/
Grundstudium/Physiologische_Psychologie/physio-thompson-das_gehirn-frankfurt-GS26S..DOC „Der Hippocampus scheint der Ort zu sein, an dem episodische und semantische
Erinnerungen ins Gedächtnis übertragen werden, aber sie werden dort nicht gespeichert.“
Damasio, Antonio R. und Hanna Damasio (1993) „Sprache und Gehirn“ Aritkel aus Spektrum
der Wissenschaft Spezial: Gehirn und Geist, ISSN 0943-7096, SpektrumVerlag - Heidelberg.
Damasio; Antonio R. (1995): Descartes´ Irrtum. Aus dem Englischen von Hainer Kober.
München: Paul List Verlag.
Dantzker, J. L. & Callaway, E. M. (1998) „The development of local, layer -specific visual
cortical axons in the absence of extrinsic influences and intrinsic activity. ” J. Neurosci. 18,
4145-4154 (1998). | PubMed | ISI | ChemPort |
Dickson, Barry J., Hollis Cline, Franck Polleux & Anirvan Ghosh (2001) „Making connections”
http://www.nature.com/cgi-taf/DynaPage.taf?file=/embor/journal/v2/n3/full/embor458.html
Doerfler Alex (2001) „Die Rolle des unteren Temporallappens bei der Objekterke nnung“
http://www-lehre.inf.uos.de/~adoerfle/service/psychologie/Objekterkennung.html#3.3 „Die
Signale des ventralen Pfades der Sehinformation gehen von V1 über V2, V3 und V4 bis zu
TEO, wo Muster erkannt werden, und von da weiter zu TE, wo Objekte rkennung stattfindet.
Der dorsale Pfad dient hingegen hauptsächlich der Lokalisierung. Dabei wurde festgestellt..
..dass tatsächlich komplexe Eigenschaften oder ganze Objekte, wie den Umriß einer Hand,
Farbe, Kontrast und Struktur usw. durch die Reaktion einzelner Zellen repr äsentiert werden.
In TE wirkt sich die Position der Stimuli vor der Retina nicht auf die Rea ktion aus.“
Du, Xiuxia and Bijoy Ghosh (2002) „Decoding the position of a visual stimulus from the
cortical waves of turtles.“ http://www.cbcis.wustl.edu/pubs/turtle/cns_2002.pdf
Eckhorn R. (2000) “Neural mechanisms of visual feature grouping”
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=109627
35&dopt=Abstract
Eckhorn, R., Bauer, B., Jordon, W., Brosch, M., Kruse, W., Munk, M., Reitboeck, H.J. 1988.
Coherent oscillation: a mechanism of feature linking in visual cortex? Biol. Cybern. 60,121130.
Eckhorn,R., Bauer,R., Jordan,W., Brosch,M., Kruse,W., Munk,M., and Rei tboeck,H.J.
(1988). Coherent oscillations: a mechanism of feature linking in the visual cortex? Multiple
electrode and correlation analyses in the cat. Biol Cybern 60, 121-130.
Edelman, Gerald M. (1993): Unser Gehirn ein dynamisches System. Die Theorie des
neuronalen Darwinismus und die biologischen Grundlagen der Wahrnehmung. München:
Piper.
Edelmann, Shimon (1998) “Representation is Representation of Similarit ies” “A shape is
represented internally by the responses of a small number of tuned mod ules, each broadly
235
selective for some reference shape, whose similarity to the stim ulus it measures.” [email protected] Cambridge USA, Center for Biological and Computational Learning, Dept.
of Brain and Cognitive Sciences: http://www.ai.mit.edu/~edelman
Ehret, Günter (1997) Universität Ulm http://www.uni-ulm.de/uui/1997/int1197.htm#2 Auszug:
Jedem Schallmuster entspricht ein räumliches Verteilungsmuster von Hotspots im
auditorischen Cortex. Mit Hilfe von spannungsempfindlichen Fluore szenzfarbstoffen lässt
sich eine hohe zeitliche Auflösung erzielen. Die Farbstoffe werden auf die Gehirnoberfläche
aufgetragen. Wenn durch Schallsignale an einer bestimmten Stelle im Gehirn neuronale
Aktivität ausgelöst und die Spannung verändert werden, verändert sich dementsprechend
die Fluoreszenz des Farbstoffs. Mittels dieser Methode wurde am primären Hörfeld des
Meerschweinchens eine wichtige Entdeckung gemacht: daß auf eine Erregung an einer
bestimmten Stelle eine Hemmung folgt, auf einen »Hotspot« ein »Coolspot«. Für ein und
denselben Laut ist der zunächst aktive Bereich eine bestimmte Zeitlang nicht mehr erregbar,
wohl aber für andere Laute, durch die ein neues Aktivitätsmuster aufgebaut werden kann.
Die Wissenschaftler schließen daraus, daß bei der Schallwahrnehmung in der Hörrinde ein
Rhythmus in der Verteilung von Hotspots und Coolspots entsteht, in dem sich der Zeitverlauf
des Signals abbildet. Mit Hilfe von Aktivitätsdarstellungen des Gehirns gelang es auch zu
zeigen, daß die neuronalen Reaktionen auf akustische Reize variieren k önnen. Wenn ein
Tier bestimmte Schallmuster hören lernt, ergeben sich im Lauf der Zeit Veränd erungen im
Erregungsmuster des primären Hörfeldes. Wiederholtes aufmerksames Zuhören verändert
die neuronale Verarbeitung, die Erregungsmuster zeigen eine erfahrun gsabhängige
Dynamik.
El-Bab, Mohamed Fath (2001) “Cognitive event related potentials during a learning Task”
http://www.ecs.soton.ac.uk/~harnad/Papers/Harnad/Fathelbab/new_thesis/introduction.html
Ermentrout, G. Bard & David Kleinfeld (2001) „Traveling Electrical Waves in Co rtex“
http://physics.ucsd.edu/neurophysics/publications/ermentrout_neuron_2001.pdf
Eysel, Ulf - Peter Buzas – Zoltan Kisvarday (1999) „Optische Gedächtnisspur im Gehirn
entdeckt. Unsichtbares wird nach Enthemmung wieder sichtbar.“ Der Ve rsuch legt nahe,
dass längsgerichtete Balkendetektoren quergerichtete hemmen, und umgekehrt.
http://www.ruhr-uni-bochum.de/pressemitteilungen-1999/msg00124.html
Finke, Ronald A. (1987): Bildhaftes Vorstellen und visuelle Wahrneh mung. In:
Wahrnehmung und visuelles System. Spektrum der Wissenschaft: VerständIiche Forschung.
Heidelberg: Spektrum Verlag.
Fischbach, Gerald D. (1996) “Gehirn und Geist” Aritkel aus Spektrum der Wisse nschaft
Spezial: Gehirn und Geist, ISSN 0943-7096, SpektrumVerlag - Heidelberg.
Fitzsimonds, Reiko Maki and Mu-Ming Poo (1998) “Retrograde Signaling in the Development and Modification of Synapses” http://physrev.physiology.org/cgi/content/full/78/1/143
Fleisch, August (1988): Entwicklungspsychologie und Erziehungslehre. Wien: Deuticke.
Freeman, Walter J. (1958) „Ditribution in time and space of prepyriform electrical activity“
http://cogprints.ecs.soton.ac.uk/archive/00000044/00/distribution_20.html
236
Freeman, Walter J. (2001) “Making Sense of Brain Waves: The Most Baffling Frontier in
Neuroscience” http://sulcus.berkeley.edu/wjf/AG.EEG21stCentury.pdf
Fries,P., Roelfsema,P.R., Engel,A.K., König,P., and Singer,W. (1997). Synchronization of
oscillatory responses in visual cortex correlates with perception in i nterocular rivalry. Proc
Natl Acad Sci U S A 94, 12699-12704. Gluckman,B.J., Neel,E.J., Netoff,T.I., Ditto,W.L.,
Spano,M.L., and Schiff,S.J. (1996). Electric field suppression of epileptiform activity in hippocampal slices. J Neurophysiol 76, 4202-4205. Gray,C.M. (1994). Synchronous oscillations
in neuronal systems: mechanisms and functions. J Comput Neurosci 1, 11-38. Gray,C.M.,
König,P., Engel,A.K., and Singer,W. (1989). Oscillatory responses in cat visual cortex exhibit
inter-columnar synchronization which reflects global stimulus properties. Nature 338, 334337. Green,J.D. and Petsche,H. (1961). Hippocampal electrical a ctivity IV. Abnormal electrical activity. Electroencephalogr Clin Neurophysiol 13, 879
Frost, Douglas O. (2000) “University of Maryland researchers create a new pathway for sight
by 'rewiring' the brain in animal study” http://www.eurekalert.org/pub_releases/200009/UoMM-UoMr-2009100.php Inhalt: Der Sehnerv wurde neugeborenen Hamstern am auditiven System angebracht. Resultat: Sie lernten mit diesem Gehirnteil sehen.
Funahashi, M. und M. Steward (1998) „Properties of gamma-frequency oscillations initiated
by propagating population bursts in retrohippocampal regions of rat bra in slices.“
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=962587
7&dopt=Abstract
Gabbiani, Fabrizio & Holger G. Krapp & Christof Koch & Gilles Laurent (2002): „Multiplicative
computation in a visual neuron sensitive to looming.” SUMMARY: Multiplicative operations
are important in sensory processing, but their biophysical implementation remains largely
unknown. We investigated an identified neuron. Nature 420, 320 - 324 (21 Nov 2002) Letters to Nature http://www.uni-ulm.de/uui/1997/int1197.htm#2
Garaschuk, O., Linn, J., Eilers, J. & Konnerth, A. (2000) „Large-scale oscillatory calcium
waves in the immature cortex.“ Nat. Neurosci. 3, 452-459
(2000). | Article | PubMed | ISI |
Geschwind, Norman (1987): Aufgabenteilung in der Großhirnrinde. In Wahrnehmung und
visuelles System. Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Heidelberg:
Spektrum Verlag.
Ghosh, A. & Greenberg, M. E. (1995) “Calcium signaling in neurons: molecular mechanisms
and cellular consequences.” Science 268, 239-247 (1995). | PubMed | ISI |
Gochin PM, Miller EK, Gross CG, Gerstein GL. „Functional interactions among neurons in
inferior temporal cortex of the awake macaque.”
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=186432
2&dopt=Abstract
Golding NL, Staff NP, Spruston N. (2002) “Dendritic spikes as a mechanism for cooperative
long-term potentiation.” “Learning Dendritic Connections.” Department of Neurobiology and
Physiology, Institute for Neuroscience, Northwestern University, Evanston, IL 60208-3520,
237
USA.
file:///C:/Dokumente%20und%20Einstellungen/Manfred/Eigene%20Dateien/learning_dedrtic_
connetions.html
Golding, Nace L. & Nathan P. Staff & Nelson Spruston (2002) “Dendritic spikes as a mechanism for cooperative long-term potentiation.” Versuch die exakten Lernregeln durch
Stimulation mittels Elektroden im Gehirn zu finden. Aus Letters to nature,
http://homepage.psy.utexas.edu/homepage/class/Psy394U/Seidemann/GoldingNature02.pdf.
Goldmanrakic, Patricia S. (1993): Das Arbeitsgedächtnis. In Gehirn und Geist. Spektrum der
Wissenschaft, Spezial l, 1993 - Heidelberg: Spektrum Verlag.
Goldstein, E. Bruce (1997) „Wahrnehmungspsychologie: eine Einführung“, ISBN 3-82740189-5Dt. Übers. hrsg. von Manfred Ritter. Aus dem Amerikan. übers. Von Gabriele Herbst.
Heidelberg; Berlin; Oxford - Spektrum Verlag.
Gotthalmseder, Manfred (1998) „Visuelles Erkennen und Bildschaffen“ Diploma rbeit an der
Universität Wien, Grund- und integrativwissenschaftliche Fakultät. www.kopcom.com/mg
Graham, Bruce (2002) “Computing and the brain”
http://www.cs.stir.ac.uk/courses/31YF/Notes/Notes_PL.html Beschreibt ein Experiment mit
sea snail Alypsia, in deren Gehirn mittels Elektrodenstimulation ein Lernprozess ausgelöst
wurde: “…weak stimulus with postsynaptic depolarizing current via an intracellular electrode
will produce Long Term Potentiation.”
Gray, C.M., Konig, P., Engel, A.K., Singer, W. 1989. Oscillatory responses in cat visual
cortex exhibit intercolumnar synchronisation which reflects global stimulus properties. Nature
388, 334-337.
Gray, C.M., Singer, W. 1989. Stimulus-specific neuronal oscillations in orientation columns
of cat visual cortex. Proc. Natn. Acad. Sci. 86, 1698-1702.
Gruber, Werner (2000) „Brain Modelling1, Teil 2“
http://brain.exp.univie.ac.at/YUnterlagen.html Textauszug aus a2 S.122: Die Entwicklung des
menschlichen Gehirns ist erst nach der Pupertät abgeschlossen. Ma nche Gebiete werden
erst sehr spät in das Netzwerk Gehirn integriert. Zum Beispiel der Hippoca mpus. Diese
Struktur ist für unser deklaratives Lernen verantwortlich. Die meisten Menschen erinnern
sich praktisch kaum an erlebte Fakten vor dem 3. Lebensjahr – Die Myelinisierung des
Hippocampus wird erst zu diesem Zeitpunkt “angeschlossen”. Seite 94, das Rosenblattsche
Bindungsproblem.
Hardcastle, Valerie Gray (2002) [email protected] - Betreuerin der Seite für Studies of
Consciousnes. Sichwort Bindungsproblem: http://server.phil.vt.edu/ASSC/esem3.html
Hawkins, Harold & Leif H. Finkel (2001) „Computersimulation ahmt Gehirnfunktion nach Künstliches Gehirn soll Bildgebungsverfahren und Mikroelektroden erse tzen“
http://www.pressetext.de/pte.mc?pte=011220016
238
Hebb, Donald O., McGill University (1972) A Textbook of Psychology W. B. Sau nders Co.,
http://homepage.smc.edu/russell_richard/Psych2/Lecture%20Outlines/Hebb%20Reprint/Heb
b%20Reprint.htm
Heinecke, Armin (2000) „Unbewusste Wahrnehmung“ http://www.biblio.tubs.de/ediss/data/20000605a/20000605a.pdf S.11 Bindung durch Ort im Raum
Held, Richard (1987): Plastizität sensorisch-motorischer Systeme. In: Wahrnehmung und
visuelles System. Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Heidelberg:
Spektrum Verlag.
Held, Werner (2002) „Bindungsprozesse im Gehirn (Temporal Binding) - besteht ein
Zusammenhang mit dem Bewußtsein? http://people.freenet.de/soleil7/Binding.htm
„Neurone, die den dominanten Stimulus repräsentieren (auf den die Aufmerksamkeit
gerichtet ist), verstärken ihre Synchronisation“
Heminway, John „The Brain“ TV-Dokumentation in 8 Teilen. Produzent: John Hemingway,
Reporter: George Page. Gegen Ende des Teil 1 “The Enlighting Machine” wird die
Hydrocephalus-Patientin Sharon vorgestellt. Videoausschnitt auf:
http://members.telering.at/manfred.gotthalmseder/hydrocephalus
Henkemeyer (2001) “How Neurons Communicate To Wire Developing Brain”
http://www.sciencedaily.com/releases/2001/09/010914074135.htm
Herkner, Werner (1991): Lehrbuch Sozialpsychologie. 5. Auflage. Bern – Stuttgart – Toronto,
Verlag Hans Huber.
Hernegger, Rudolf (1995) „Wahrnehmung und Bewußtsein; ein Diskussionsbeitrag zu den
Neurowissenschaften“ ISBN 3-86025-288-7, Spektrum Verlag – Heidelberg.
Hinton, Geoffrey.E. (1993) „Wie neutonale Netze aus Erfahrung lernen“ Aritkel aus Spektrum
der Wissenschaft Spezial: Gehirn und Geist, ISSN 0943-7096, SpektrumVerlag - Heidelberg.
Holle, Henning (1997) „Ein Skript nach ’Wahrnehmungspsychologie’ von E. Bruce Goldstein“
http://www.psychologie.uni-trier.de/fachschaft/skripte/wahrnehmung.pdf Behandelt auch das
auditive System ausführlich. S.52 Gestaltprinzipien des Hörens
Holler, Johannes (1996) „Das neue Gehirn“, ISBN 3-87387-311-7, Fuldaer Verlagsanstalt
GmbH – Fulda.
Hubel, David H. und Torsten N. Wiesel (1987): Die Verarbeitung visueller Informationen. In:
Wahrnehmung und visuelles System. Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung.
Heidelherg: Spektrum Verlag.
Hubel, David H., (1989): Auge und Gehirn. Neurobiologie des Sehens. Spektrum der
Wissenschaft - Heidelberg: Spektrum Verlag.
Huizhong W. Tao and Mu-ming Poo (2001) “Retrograde signaling at central synapses”
http://www.pubmedcentral.gov/articlerender.fcgi?tool=pubmed&pubmedid=11572961
239
Hüther, Gerald (2001) “Was ist Stress” http://www.lptw.de/vortraege2001/g_huether.html Zu
langanhaltenden Aktivierungen der HPA-Achse und zu langfristigen Erhöhungen
zirkulierender Glucocorticoidspiegel kommt es immer dann, wenn die Streßbelastung sich
als unkontrollierbar erweist, d. h. wenn keine der vorhandenen Verhaltens - (incl.
Verdrängungs-) strategien auch nur ansatzweise geeignet ist, das ursprüngliche
Gleichgewicht wiederherzustellen. Bei Versuchstieren tritt unter diesen Bedingungen
"behavioural inhibition" auf. Diese "learned helplessness" dient als Tiermodell für depressive
Erkrankungen. Gegenüber solch unkontollierbaren Streßbelastungen ze ichnen sich
kontrollierbare Belastungen dadurch aus, dass zwar Strategien zur Ve rmeidung oder
Beseitigung des Stressors verfügbar sind, die Effizienz der vorhandenen Kompensations und Regelmechanismen jedoch (noch) nicht ausreicht, um die Aktivierung eine r
neuroendokrinen Stressreaktion zu verhindern. Unter diesen Bedingungen kommt es (wenn
überhaupt) nur zu einer kurzzeitigen Stimulation der HPA-Achse.
Jensen, Ole & John E. Lisman (1998) “An Oscillatory Short-Term Memory Buffer Model Can
Account for Data on the Sternberg Task” http://oase.uci.kun.nl/~olejen/jns98.pdf
JJ Wright, PA Robinson, CJ Rennie, E Gordon, PD Bourke,
CL Chapman, N Hawthorn, GJ Lees, D Alexander (2001) Toward an Integrated Continuum
Model of Cerebral Dynamics: The Cerebral Rhythms, Synchronous Oscillation and Cortical
Stability. BioSystems 63 (2001) 71-88
http://astronomy.swin.edu.au/~pbourke/papers/paper24/
Julesz, Bella (1987) „Texturwahrnehmung“, Artikel aus „Wahrnehmung und visuelles
System“, ISBN 3-922508-36-7, SpektrumVerlag – Heidelberg.
Kandl, Eric & Hawkins Robert (1993) „Molekulare Grundlagen des Lernens“, aus „Gehirn
und Geist“. Spektrum der Wissenschaft, Spezial l, 1993 - Heidelberg: Spektrum Verlag.
Kant, Immanuel (1781/1992): Kritik der reinen Vernunft l. ISBN 3 -518-09243-X Frankfurt:
Suhrkamp Taschenbuch 1992.
Kapadia, M. K., M. Ito, C.D. Gilbert and G. W estheimer (1995) Improvement in visual sensietivity by changes in local context: parallel studies in human observers and in V1 od alert
monkeys. Neuron 15(4):843-856.
Karl C. Mayer (2002) „Glossar Psychiatrie/Psychosomatik/
Psychotherapie/Neurologie/Neuropsychologie“ http://www.neuro24.de/glossarh.htm Unter
dem Stichwort Hippocampus: Die Speicherung des Wissens findet nicht im Hippoca mpus
und im EPPC selbst statt, sondern modalitäts- und funktionsspezifisch in den verschiedenen
Rindenarealen.
Katz, Lawrence C. and Justin C. Crowley (2002) “Development of Cortical Circuits: Lessons
from Ocular Dominance Columns” http://156.145.51.19/pdfs/katz.pdf
Kiefer, Markus & H. Neumann & M. Spitzer (2000) „Zeitlicher Verlauf von Hirnaktivieru ngen
bei der Ergänzung von Objektoberflächen“ www.twk.tuebingen.mpg.de/twk00/TWK.pdf.
[email protected] In der Studie wurde untersucht, ob und zu welchem
240
Zeitpunkt der Objektwahrnehmung Information über partiell verdeckte Objektoberflächen aus
dem visuellen Input extrahiert wird.
Kognition (2000) „Einführung in die Kognitionswissenschaften“ http://ls1-www.cs.unidortmund.de/Lehre/Sonstige/MMKS.pdf Seite 30: Chunks
Kolb, Bryan und Ian Q. Whishaw (1996): Neuropsychologie. 2. Auflage. Heidelberg; Berlin;
Oxford: Spektrum Verlag.
Kreiter,A.K. and Singer,W. (1996). Stimulus-dependent synchronization of neuronal responses in the visual cortex of the awake macaque monkey. J Neurosci 16, 2381-2396.
Kuhn, Hans-Georg (2001) „Neuronenquelle im Gehirn“
http://www.biologe.de/news/archiv01/2001-24.html [email protected]
Langer, Gerald (7.5.98) „Anatomische und funktionelle Grundlagen der Verarbeitung
akustischer Signale im auditorischen Mittelhirn“ http://www.uni-frankfurt.de/SFB269/c2.htm
Das Projekt hat u.a. gezeigt, daß im Colliculus inferior verschiedene Nervenzellen besonders
deutlich verschiedene Periodizitäten bevorzugen. Tonhöhe kann so auch bei fehlendem
Grundton erkannt werden. Weiters wurde auch eine selbstproduzierte Periodizität
festgestellt.
Legenstein, R., W.Maass and H. Markram. “Input Prediction and Autonomous Movement
Analysis in Recurrent Circuits of Spiking Neurons” http://www.lsm.tugraz.at/papers/lsmvision-140.pdf
Leopold, David A. (2000) “Neural mechanisms of visual awareness”
http://www.twk.tuebingen.mpg.de/twk00/TWK.pdf [email protected] The
results suggest that the activity of a subset of neurons throughout the visual cortex is directly
related to the subjective perception of a visual stimulus. Aufmerksamkeit wirkt also bis auf
die Sehrinde zurück!
Leventhal, AG, Wang, Y-C, Schmolesky, MT, Zhou, Y (1998) „Neural correlates of boundary
perception.” Visual Neuroscience 15: 1107-1118.
Liessmann Konrad und Gerhard ZENATY, (1990): Vom Denken. Einführung in die
Philosophie. Wien: Baumüller.
Livingstone MS. (1996) Oscillatory firing and interneuronal correlations in squirrel mo nkey
striate cortex.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=879375
7&dopt=Abstract:
Livingstone, M.S. 1996. Oscillatory firing and interneuronal correlations in squirrel monkey
striate cortex. J. Neurophysiol. 75, 2467-2485.
Lopes da Silva FH, Hoek A, Smits H, Zetterberg LH (1974) “Model of brain rhythmic activity.
The alpha-rhythm of the thalamus.“ Kybernetik 15:27-37.
241
Lovell, Paul George (2002) „Human Contour Integration: Evaluating The Associ ation Field
Theory Using Psychological and Computational Methods.”
http://www.stir.ac.uk/postgrads/psychology/pgl1/downloads/PhDThesis/Thesis_MaxCompres
sion.pdf
Maar, Christa, Ernst Pöppel, Thomas Christaller (1996), Die Technik auf dem Weg zur
Seele, Reinbeck bei Hamburg: Rowolt Taschenbuch Verlag GmbH.
Macho (1999) Modelle des Lernens: Neuronale Netze
http://www.unifr.ch/spc/UF/93mai/macho.html Beschrieben wird unter anderem ein
Psychologischer Versuch zur Blockierung. Die ersterlernten Verbin dungen verhindern
spätere Zusammenhänge zu erkennen. Das ist ein Hinweis, dass erst bei Voraussagefehlern
neues Lernen stattfindet.
Malgaroli, Antonio (2001) “Analysis of Silent Synapses in CA3-CA1 Hyppocampal culture”
Letzter Artikel aus:
http://www.hms.harvard.edu/armenise/symposia/public4_2001/changing_brain.pdf
Marken, Richard S. (2000) „Selection of Consequences”
http://home.earthlink.net/~rmarken/ControlDemo/Select.html Unser Handeln ist nicht
zufallsmotiviert, sondern durch Voraussicht. Die Seite zeigt ein Spiel, das die beiden
Lernmodelle verdeutlicht.
Marom, Shimon & Goded Shahaf (2002) „Development, learning and memory in large random networks of cortical neurons: lessons beyond anatomy“ http://brc.technion.ac.il/QRB.pdf
Marr, David (1982): Vision: A Computoral Investigation into the Human Representation and
Processing of Visual Invormation. W.H. Freeman and Company, New York, 1982.
Mathelitsch (2002) „Natur und Phyisk“ „Ein Blitz beruht nicht auf einer einmaligen Entladung,
sondern er ergibt sich aus einem mehrstufigen Prozess.Die erste sichtbare Phase ist der
sogenannte Stufenleitblitz (man vermutet sogar, dass bereits vorher ein
unsichtbarer"Pilotblitz" Bahn geschaffen hat)…“
http://www.oebvhpt.at/physik/compact/nablitz.htm
McFadden (2002) „Evidence for an Electromagnetic Field Theory of Consciou sness”
http://www.mngm.nl/McFadden.html
Messinger, Adam , Larry R. Squire, Stuart M. Zola, and Thomas D. Albright (2001)
“Neuronal representations of stimulus associations develop in the temporal lobe during
learning” http://www.pubmedcentral.gov/articlerender.fcgi?tool=pmcentrez&artid=59829
Metzinger, Thomas (2002) „Ganzheit, Homogenität und Zeitkodierung“ http://www.unigiessen.de/~gm1001/texte/tm-d.htm Das Körpergefühl ist durch ein neuronales
Aktivitätsmuster gegeben. Dieses „erzeugt ein kontinuierliches repräsentationales
Fundament für das körperliche Selbstmodell und verankert es auf diese Weise im Gehirn.
Immer dann, wenn es überhaupt phänomenales Bewußtsein gibt, gibt es auch diese
unspezifische, interne Inputquelle.“
242
Milgram, N. W. (2002a) „Neurobiology of Learning and Motivation“ Chapter 18, Cellular
Mechanisms of learning and Memory www.utsc.utoronto.ca/~milgram/nroc61/learn2.doc
S.17: Conditioning per electrode
Milgram, N. W. (2002b) „Neurobiology of Learning and Motivation“ Chapter 11: Regulatory
Motivations, H2>Behavioral Regulation: Thirst and Drinking. http://www.utsc.utoronto.ca/~milgram/nroc61/Chap12.htm
Miller - Rainer (2000) “Teaching the brain to see” http://www.ai.mit.edu/people/ekm/NVRainer_and_Miller_2000.pdf
Miltner, W.H., Braun, C., Arnold, M,, Witte, H., Taube, E. 1999. Coherence of gamma-band
EEG activity as a basis for associative learning. Nature 397, 434-436.
Mischo, C. (2002) Handout zum Thema Klassisches Konditionieren (Dr. C. Mischo, Seminar:
Vom Lernen zum Wissen (WS02/03) http://www.ew2.unimannheim.de/mischolernen/upload/Hands3.doc Beispiel: Blockierung
Miyashita Y (1988) Neuronal correlate of visual associative long -term memory in the primate
temporal cortex. Nature 1988 Oct 27;335(6193):817-20 http://chemport.cas.org/cgibin/sdcgi?APP=ftslink&action=reflink&origin=npg&version=1.0&coi=1:STN:280:BiaD2c%2Fh
slc%3D&pissn=1097-6256&pyear=1998&md5=5a3b1089d03ecbcf60d7fd35a214678e
Möckel W. - J. Ammermüller - Michael Uhlemann (1995) „Psychophysik des Hörens“
http://www.infodrom.north.de/ ~muh/Dokumente/Psychologie/Hoeren/hoeren.html
Richtungshören: Angenommen der Kopfdurchmesser beträge ca. 17 cm, die
Richtungsgenauigkeit 3°. Die Laufzeitdifferenz zum linken und rechten Ohr beträgt dann ca
30µs. Ein Nervenimpuls etwa 100mal länger.“
Müsseler, Jochen & Wolfgang Prinz (2002) „Lehrbuch Allgemeine Psychologie“ Spektrum
Verlag, Heidelberg. http://www.uni-leipzig.de/cognition/lehrbuch/Kapitel1b_kurz2.doc 1bS.50: Für den Laien ist es zunächst überraschend, dass neben der spektralen
Zusammensetzung vor allem der Zeitverlauf wichtig für die Klangempfindung ist. Klänge mit
einem charakteristischen Zeitverlauf wie z.B. der Klavierton werden meistens nicht "am
Klang" erkannt, wenn sie zeitverkehrt abgespielt werden.
Nakagaki, Toshiyuki (2002) „Wussten Sie schon, dass einige Schleimpilze sich fortbewegen
können, indem sie sich zu einer Art Organismus schließen?“ http://www.science-athome.de/index1.htm?/referate/schleimpilz.htm
Nenadic, Z., and B. K. Ghosh (gesichtet 2003) “Propagating Waves and Fast Osciallations in
Visual Cortex: A Large Scale Model of Turtle Visual Cortex”
http://cortex.cs.utsa.edu/turtle/publications/visual_cortex_paperModelDescription.pdf
Neuenschwander S., Singer, W. 1996. Long range synchronisation of oscillatory ligh t responses in the cat retina and lateral geniculate nucleus. Nature 379, 728 -733.
Newell, P.C. (2000) http://www2.bioch.ox.ac.uk/~newell/index.html
243
Ooyen, A. van, J. van Pelt, M.A. Corner & F. H. Lopes da Silva (1992) „The Emergence of
Long-Lasting Transients of Activity in Simple Neural Networks“
http://www.anc.ed.ac.uk/~arjen/papers/transients_net.pdf
Palm, G., Wennekers, T. 1997. Synchronicity and its use in the brain. Behavioral and Brain
Sciences 20, 695-696.
Penfield, Wilder and Phanor Perot, (1963) "The Brain's Record of Auditory and Visual Experience: A Final Summary and Discussion," Brain, vol. 86, part 4 (December 1963), p. 685.
Penn AA, Shatz CJ. (1999) „Brain waves and brain wiring: the role of endogenous and sensory-driven neural activity in development.”
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?holding=npg&cmd=Retrieve&db=PubMed&list_
uids=10203134&dopt=Abstract
Plach, Marcus (1999) „Bayessche Netze als Modelle der Repräsentation von Ka usalwissen“
http://www.gmd.de/publications/report/0060/Text.pdf S. 32 „Ein Bayesianisches Netz
repräsentiert die gemeinsame Wahrscheinlichkeitsverteilung der Variablen in einem
Wahrscheinlichkeitsmodell... ...dieser Weg würde jedoch das Speichern von exponentiell
vielen Wahrscheinlichkeiten erfordern... ...in einem BN wird meist ausgenützt, dass
Variablen vorkommen, die von anderen unabhängig sind... ...Dies bedeutet ganz konkret für
eine Domäne sinnvoller Größe, bei n=10 wären ohne die Annahme bedingter
Unabhängigkeiten 1024, bei k=3 dagegen nur 80 Wahrscheinlichkeiten zu speichern.
[email protected]
Platon (400vuZ./1994) Band 2 aus: Sämtliche Werke (in 4 Bänden), aus der Reihe R owohlts
Klassiker, neu herausgegeben von Ursula Wolf 1994. ISBN 3-499-55562X, Reinbeck bei
Hamburg: Rowohlt Taschenbuch.
Potter, S.M. & DeMarse, T.B. (2001). A new approach to neural cell culture for long-term
studies. J.Neurosci.Meth. 110, 17-24.
Prechtl, J.C. & L.B. Cohen & B. Pesaran & P.P. Mitra & D.Kleinfeld (1997) „Visual stimuli
induce waves of electrical activity in turtle cortex“
http://physics.ucsd.edu/neurophysics/publications/prechtl_proceed_nat_acad_sci_1997.pdf
Prechtl, J.C. & T.H. Bullock & D. Kleinfeld (2000) „Direct evidence for local oscill atory current
sources and intracortical phase gradients in turtle visual cortex (Proc. Natl. Acad. Sci. USA
97, 877-882.
Purwins, Hendrik & Benjamin Blankertz & KlausObermayer (2000): „Modelle der
Musikwahrnehmung zwischen au-ditorischer Neurophysiologie und Psychoakustik“. Hier
werden unter anderem viele Experimente zu Gestaltgesetzen der auditiven Wahrnehmung
zitiert. http://www.ni.cs.tuberlin.de/~hendrik/publications/pur01a_KlangF_MusikNeuroPsych.ps.gz.
Recht, Markus (2000) "Gehirn und Gedächtnis" http://home.tonline.de/home/marcus.recht/hirn.htm Kapitel III.2 Im visuellen System vom Affen hat man in
244
der unteren Furche der Schläfenlappen (dem Sulcus temporalis inferior) sogenannte
Gesichtszellen gefunden: sie arbeiten auf der wohl höchsten bislang entdeckten
Abstraktionsstufe und reagieren ausschliesslich auf Gesichter.
Riedl, Rupert (1984): Die Strategie der Genesis, 7, Auflage 1989. München: Verlag Piper,.
Rosenfield, Israel (1996) „Kein Erkennen ohne Gedächtnis“ aus „Die Technik auf dem Weg
zur Seele“, Reinbeck bei Hamburg: Rowolt Taschenbuch Verlag GmbH.
Roth, Gerhard (2001) “Wie das Gehirn die Seele macht“
http://www.lptw.de/vortraege2001/g_roth.html Das „Ich“ besteht aus Untereinheiten.
Rumpel S, Hatt H, Gottmann K. (1998) “Silent synapses in the developing rat visual cortex:
evidence for postsynaptic expression of synaptic plasticity.”
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?holding=npg&cmd=Retrieve&db=PubMed&list_
uids=9786992&dopt=Abstract
Sacks, Oliver (1990) „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ ISBN 3-49918780-9, Hamburg: Rowohlt-Verlag.
Schaub, Harald (2002) „Selbstorganisation in Konnektionistischen und Hybriden Modellen
von Wahrnehmung und Handeln“ http://home.de.netscape.com/de/bookmark/4_05/
ptconnections.html Wahrnehmen am Beispiel der Buchstabenerkennung. Handeln ausgelöst
durch Absicht deren Stärke durch Wichtigkeit, Kompetenz, Zeitfenster und Umstände
definiert ist.
Schmoesky, Matthew (2003) „The Primary Visual Cortex“
http://webvision.med.utah.edu/VisualCortex.html
Segev, R. & E. Ben-Jakob (2003) „From Neurons to Brain: Adaptiv Self-Wiring of Neurons”
http://arxiv.org/PS_cache/cond-mat/pdf/9806/9806113.pdf
Seifert, Jan (2002) „Wahrnehmungspsychologie“ eeglab.uni-trier.de/~seifert/Skripte/
Originale/Wahrnehmungspsychologie.pdf S. 47: Tonhöhenerkennung trotz fehlenden
Grundtons.
Senseman and Robins (2002) “High-speed VSD imaging of visually evoked cortical waves:
Decomposition into intra-and intercortical wave motions, j: Neurophysiol.,87:1499-1514.)
Sharma, Jitendra & Allessandra Angelucci & Mriganka Sur (2000) “Induction of visual orientation modules in auditory cortex” Nature Vol 404 20.April 2000.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=107867
84&dopt=Abstract&holding=f1000
Shatz, Carla J. (1993) „Das sich entwickelnde Gehirn“, Aritkel aus Spektrum der
Wissenschaft Spezial: Gehirn und Geist, ISSN 0943-7096, SpektrumVerlag - Heidelberg.
245
Shizgal, Peter and Kent Conover (1996) “On the neural computation of utility” Concordia
University, Montréal
http://cogprints.ecs.soton.ac.uk/archive/00000058/01/CD_V51_eprint.htm
Shors T. J., and L.D. Matzel (1997) “Long-term potentiation: What's learning got to do with
it?” http://nba19.med.uth.tmc.edu/homepage/erich/bbs97.pdf
Singer, W. 1994. Putative functions of temporal correlations in neocortical proces sing. In:
Koch C. and Davis JL (Eds.) Large Scale Neuronal Theories of the B rain. MIT Press, Cambridge Mass., London.
Singer, W., Gray, C.M. 1995. Visual feature integration and the temporal correlation hypothesis. Annu. Rev. Neurosci. 18, 555-586.
Singer, Wolf (1987): Hirnentwicklung und Umwelt. In: Wahrnehmung und visuelles Syst em.
Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Heidelberg: Spek trum Verlag.
Singer, Wolf (2002) „Untersuchungen zur Ausbildung und Organisation neuronaler
Repräsentationen im visuellen Kortex.“ http://www.mpih-frankfurt.mpg.de „Unsere neueren
psychophysischen Untersuchungen im Sehsystem belegen, daß kortikale
Neuronenpopulationen durchaus in der Lage sind, mit hoher Sensitivität zwischen
koinzidenten und asynchronen retinalen Signalen zu unterscheiden und diese Information für
die Szenensegmentation nutzbar zu machen: Signale von gleichzeitig dargebotenen Reizen
werden zu einer Figur gebunden.“ Der Artikel ist reich an weiterführender Literatur.
[email protected]
Singer,W. (1998). Consciousness and the structure of neuronal representations. Philos
Trans R Soc Lond B Biol Sci 353, 1829-1840.
Spektrum-Ticker (2001.07.10) „Schlauer als angenommen“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/575655 Der visuelle Cortex dient wahrscheinlich auch als
Arbeitsgedächtnis für das Gesehene.
Spektrum-Ticker (2002.09.10) „Sogar Neurone haben Lieblingszahlen“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/604196 Bringt man Rhesusaffen das Zählen
bei, dann können sie durchaus fünf Kreise von nur zweien unterscheiden. Auch die an
diesem Prozess beteiligten Nervenzellen scheinen dies zu tun, denn ihre Reaktion ist bei
ihrer speziellen Lieblingszahl am stärksten.
Spektrum-Ticker 1997.10.27 „Pavlovsche Schnecken“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. An Seeschnecken konnte Geoffrey
Murphy mittels Elektroden den Lernvorgang von Neuronen beobachten. Wurde der für die
Langzeitpotenzierung nötige Calciumfluss chemisch unterbunden, blieb das Lernen aus.
Spektrum-Ticker 1999.01.14 „Sehen wie Hören“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Studien an Gehörlosen zeigen, dass
diese die höheren Hörareale für die Verarbeitung anderer Informationen nutzen.
246
Spektrum-Ticker 1999.03.26 „Der Schalter für das Langzeitgedächtnis“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. In Versuchen
an Ratten haben von Christina Alberini von der Brown University in Providence und ihren
Kollegen festgestellt, daß im Gehirn ein bestimmtes Protein verändert, das die Kontrolle
über mehrere Gene hat. Erst dann bleibt das Erlernte für lange Zeit im Geächtnis
gespeichert.
Spektrum-Ticker 1999.05.07 „Das Auge des Gehirns – Aufmerksamkeit“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Dem Artikel
zufolge kann die Wirkung der Top-Down-Signale der Aufmerksamkeit bis hinab auf das
Primäre Sehzentrum nachgewiesen werden.
Spektrum-Ticker 1999.06.16 „Wieder was gelernt“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Wissenschaftler des Max-PlanckInstituts konnten ein Schlüsselmolekyl ausfindig machen, mit dem sie die
Langzeitpotenzierung unterdrückten. Überraschender Weise beeinträchtigte dies nicht das
Lernvermögen der Ratten.
Spektrum-Ticker 1999.09.07 „Das Gedächtnis bei der Arbeit“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. …das heißt, die Erregung wird in den
entorhinalen Kortex geleitet und dort nach einem noch unbekannten Prinzip in
"merkenswert" und "nicht merkenswert" sortiert. Das als "merkenswert" Eing estufte wird im
nächsten Schritt an den Hippocampus weitergeleitet. "Erst wenn diese Strukturen in einem
bestimmten Muster erregt werden, wird das Wort irgendwo im Gehirn abgespeichert", sagt
Christian Elger von der Bonner Neuroklinik..
Spektrum-Ticker 1999.10.04 http://www.spektrum.de/ticker/spektrum -ticker.html. „Ein
neuronales Netz mit spitzen Ohren.“ „Es wurde ein System entwickelt, das.. ..sogar besser
als der Mensch hören kann. Diesen Erfolg erzielten Wissenschafter, indem sie die einzelnen
'Neuronen' des neuronalen Netzes mit variablen Zeittakten arbe iten ließen.“
Spektrum-Ticker 1999.10.19 „Nachschub für die Großhirnrinde“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Elizabeth Gould und Charles Gross
von der Princeton University konnten durch ein spezielles Markierungsve rfahren am Affen
zeigen, dass sich neue Nervenzellen in der Oberflächenschicht der sogenannten
Hirnventrikel bilden und dann zu den verschiedenen Regionen in der Großhirnrinde wandern.
Spektrum-Ticker 1999.10.21 „Kein Gefühl mehr für Moral“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Die Studie zeigt moralische Defizite bei
Stirnhirngeschädigten auf.
Spektrum-Ticker 1999.11.08 „Neue Zellen für neuen Lebensmut“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Viele Medikamente gegen
Depressionen wirken oft erst nach Wochen Barry Jacobs und Casimir Fornal von der
Princeton University zeigen, dass diese Substanzen das Wachstum neuer Nervenzellen
anregen, und das braucht eben seine Zeit.
Spektrum-Ticker 1999.11.29 „Gedächtnis-Entstehung erstmals 'fotografiert'“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Dominique
247
Muller u.a. vom Institut für Neuropharmakologie der Universität Genf konnten mit
Aufnahmen des elektronenmikroskops zeigen, dass das Langzeitgedächtnis auf der Bildung
neuer Synapsen zwischen Nervenzellen beruht, die über den Umweg der
Langzeitpotenzierung entstehen. Sie kommen zu dem Schluss, dass jeder der im Gehirn
vorhandenen rund 100 Milliarden Neuronen rund 10000 solcher Verbindungsstellen Synapsen - mit anderen Nervenzellen herstellen kann. Aber nur einige Dutzend dieser
Synapsen sind als Langzeit-Gedächtnis-Nervenleitungen ausgebildet.
Spektrum-Ticker 2000.03.16 „Synchronizität erweckt Aufmerksamkeit”
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter.
Wissenschafter vom Krieger Mind-Brain Institute messen Synchronizität bei
Konzentrationsaufgaben am Affengehirn.
Spektrum-Ticker 2000.06.13 „Wie im Kopf zusammenkommt, was zusammen gehört“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter.
Synchronisationsforschung am Max-Planck-Institut.
Spektrum-Ticker 2000.07.20 „Lehrreicher Schlaf“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Wie Axel Cleermann von der
Université Libre de Bruxelles vermutet, sorgen diese Wiederholungen von neuronalen
Erregungsmustern dafür, dass neue Erlebnisse schließlich dauerhaft gespeichert werden.
Spektrum-Ticker 2000.08.17 „Auch das Langzeitgedächtnis kann sich irren, denn
Erinnerungen machen Verbindungen wieder lernfähig“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Der Neurologe Karim Nader und seine
Mitarbeiter vom Center for Neural Science der New York University fa nden an Ratten
heraus, dass jedes Mal, wenn das Gehirn Erinnerungen aus dem Lan gzeitgedächtnis wieder
aufgerufen hat, diese erneut durch die Synthese frischer Proteine konsolidiert werden
müssen.
Spektrum-Ticker 2000.09.27 „Lebendige Erinnerungen“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Randy L. Buckner, Mark E. Wheeler
und Steven E.Petersen von der Washington University zeigen, dass Eri nnerungen und
Vorstellungen finden in den selben Gehirnarealen stattfinden, alle rdings nur in den oberen
Arealen der Wahrnehmungsverarbeitung.
Spektrum-Ticker 2001.02.26 „Synchrones Feuern für die Aufmerksamkeit“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Studien des
National Institute of Mental Health zufolge tritt die spontane Synchronisation der Signale der
Sehrinde nur auf, wenn dem Sinneseindruck auch die Aufmer ksamkeit gewidmet wird.
Spektrum-Ticker 2001.03.19 „Bewusstes Vergessen“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Michael Anderson und Collin Green
von der University of Oregon zeigen an einem Experiment, dass Erinneru ngen
beeinträchtigt werden, sobald sie absichtlich aus dem Bewusstsein gedrängt werden, und
belegen damit die Möglichkeit Freudscher Verdrängung.
Spektrum-Ticker 2001.03.20 „Der Stoff, aus dem Erinnerungen sind“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Tracey Shors
248
und ihre Kollegen von der Rutgers University in New Jersey zeigen durch Studien, dass neue
Erinnerungen neue Nervenzellen verbrauchen.
Spektrum-Ticker 2001.04.19 „Mathematisch begabte Nervenzellen“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Neuronen im Hörsystem der
Schleiereule können multiplizieren.
Spektrum-Ticker 2001.04.24 „Spannung ist gut für die Nerven“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/572955 Spektrum d. W. Meldungen. Über das Weg-findungsvermögen
beim Nervenwachstum.
Spektrum-Ticker 2001.04.30 „Wo die soziale Intelligenz sitzt“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Die Studie zeigt spezifische Aktivitäten
im frontalen Cortex, wenn wir uns geistig in die Rolle eines anderen versetzen.
Spektrum-Ticker 2001.05.23 „Für immer gespeichert“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Nur kurzfristig zu Merkendes lagert das
Gehirn im Hippocampus. Wandelt das Gehirn die Information jedoch in etwas Langfristiges
um, agiert der Hippocampus mit der Großhirnrinde. Zu diesem Schluss kommen Paul
Frankland und seine Kollegen von der University of Calif ornia in Los Angeles durch
gentechnisch veränderte Mäuse, bei denen die Verlagerung ins Langzeitgedächtnis nicht
funktioniert.
Spektrum-Ticker 2001.05.28 „Sehen heißt nicht wahrnehmen“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Die beschriebene Studie zeigt, dass
die Auflösung der Texturverarbeitung gröber ist, als die der Balkendetektoren.
Spektrum-Ticker 2001.07.10 „Schlauer als angenommen“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Die Sehrinde dient den angeführten
Studien zufolge auch als Arbeitsgedächtnis.
Spektrum-Ticker 2001.07.13 „Kombinierter Scharfblick auf Gehirnfunktionen“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Tübinger
Wissenschaftlern gelang eine Kombination zweier Meßtechniken. Nikos Logothetis: Die
Elektroden haben eine gute räumliche und zeitliche Auflösung, doch ihre Reichweite ist sehr
begrenzt. Hingegen liefert der Magnetresonanztomographie wichtige Informationen in einem
viel größeren räumlichen und zeitlichen Maßstab.
Spektrum-Ticker 2001.07.30 „Erkannt und Erinnert“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Warum sucht man eigentlich jeden
Morgen erneut nach dem Hausschlüssel? Und andererseits findet man in einer unbekannten
Stadt nach Stunden noch sein Auto auf dem großen Parkplatz wieder. David Melcher von
der Rutgers University und seine Kollegen konnten zeigen, wie neue Erinnerungen sich mit
alten statistisch vermischen, und welche typischen Alltagssituationen daraus zu erklären
sind.
Spektrum-Ticker 2001.10.30 „Bleibende Eindrücke“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Takeo Watanabe von der University of
249
Boston zeigt, dass auch Eindrücke unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwellen
Lernenprozesse verursachen.
Spektrum-Ticker 2001.11.09 „Erinnerst Du Dich?“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. An Epilepsiepatienten konnten
während der Gehirnoperation in einem Lernexperiment mittels Elektroden im G ehirn
folgendes beobachtet werden. Waren rhinaler Cortex und Hippokampus wä hrend des
Merkvorgangs synchronisiert, so konnte das Wort später erinnert werden. Jürgen Fell und
seine Kollegen von der Universität Bonn.
Spektrum-Ticker 2001.11.30 „Beim Lernen zugeschaut“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/583971 Spektrum d. W. Meldungen. Die Aktivität des Gehirns schwindet
mit fortschreitendem Lernprozess.
Spektrum-Ticker 2002.01.22 „Einzelneuronen als Wahrnehmungsspeicher“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter.
Forschergruppe am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik konnten an Elek trodenMessungen im Gehirn trainierter Affen zeigen, dass spezialisierte Neuronen auf gan z
bestimmte Kathegorien einer Wahrnehmung (z.B. Augenabstand) ansprechen, während sie
auf andere nicht reagieren.
Spektrum-Ticker 2002.01.24 „Die Mathematik der Sinne“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. …Marc Ernst vom Max-Planck-Institut
für biologische Kybernetik hat jetzt zusammen mit seinem Kollegen Martin Banks von der
University of California herausgefunden, dass unser Gehirn bei der Verrechnung der
visuellen und haptischen Sinneseindrücke eindeutig nach statistisch optimalen Maßstäben
vorgeht. Mithilfe eines trickreichen Versuchsaufbaus, bei dem die Testobjekte virtuell am
Computer erzeugt werden, war es den Forschern möglich, das visuell wahrnehmbare und
das zu ertastende Objekt unabhängig voneinander zu manipulieren.
Spektrum-Ticker 2002.02.28 „Wenn sieben blau ist“http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. Julia Nunn vom Londoner Goldsmiths
College stellte u.a. fest, dass das Farbzentrum von Synästhetikern wird aktiv wird, wenn sie
ein bestimmtes Wort hören.
Spektrum-Ticker 2002.03.25 „Gefühlte Schnellschüsse“ http://www.wissenschaftonline.de/abo/ticker/ Der Spektrum d. W. Newsletter. William Gehring und Adrian Willoughby
von der Michigan University stellten fest, dass der so genannte mediale frontale Cortex
(MFC) des Gehirns offenbar zwischen Sieg und Niederlage entscheidet: Innerhalb einer
Viertelsekunde nach einer Spielniederlage sendete diese Region stets ein Neurosignal …
…Das Gehirn nimmt an, dass sich alles ausgleicht.
Spektrum-Ticker 2002.05.08 „Es fehlen die Worte.“ www.Wissenschaft-online.de/abo/ticker
Spektrum d. W. Meldungen. Die zitierte Studie zeigt, dass frühkindliche Erinneru ngen im
Kopf sind, es gelingt uns offenbar nur wie schon damals nicht, sie in Worte zu fas sen.
Spektum-Ticker (2001.03.14) „Ein Fingerzeig in die Wachstumsrichtung“
http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/571414
250
Sperling, Daniela 16.09.1998 „Visuelle Aufmerksamkeit“ http://www.unimannheim.de/fakul/psycho/irtel/lehre/seminararbeiten/s98/Aufmerksamkeit/
Aufmerksamkeit.htm Bei Untersuchungen an Säuglingen wurde deutlich, daß die visuelle
Exploration eine aktive und gezielte Informationssuche darstellt, die erstaunlich enge
Beziehungen zur späteren kognitiven Leistungsfähigkeit des Kindes aufweist… …Ein in
bekannter Umgebung repräsentierter neuer Stimulus erregt Aufmerksamkeit, bis er
seinerseits zu bekannt wird.
Spillmann, Lothar & B. Pinna & G. Brelstaff (2000) “Farbausbreitung von der Ko ntur auf die
Fläche”http://www.twk.tuebingen.mpg.de/twk00/TWK.pdf. [email protected] Die
beschriebenen Wahrnehmungsexperimente legen nahe, dass die Zuordnung von Farbe zu
einer Fläche an der Kontur beginnt und zur Mitte hin voranschreitet.
Spitzer, Manfred (2000) „Geist im Netz, Modelle für Lernen, Denken und Handeln“, ISBN 38274-0572-6, SpektrumVerlag - Heidelberg.
Spitzer, N. C., Lautermilch, N. J., Smith, R. D. & Gomez, T. M. (2000) „Coding of neuronal
differentiation by calcium transients.” Bioessays 22, 811-817
(2000). | Article | PubMed | ISI |
Spitzer, Nicholas C., Nathan J. Lautermilch, Raymond D. Smith and Timothy M. Gomez
(2000) “Coding of neuronal differentiation by calcium transiensts”
http://ntp.neuroscience.wisc.edu/faculty/Fac-art/Gomez22.pdf
Standard 2002.09.02: http://www.derstandard.net/?id=1058349 „Frösche können zählen
Bestimmte Neuronen reagieren empfindlich auf Anzahl und zeitliche Abfolge von Tönen“
Studien von Biologen der University of Utah in Salt Lake City ( http://www.utah.edu/) zufolge
reagieren die zählenden Neuronen erst, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Tönen
registriert haben.
Stangl, Werner (Linz 2002) „Neugier - ein spezielles Motiv“ www.stangltaller.at/arbeitsblaetter/motivation/Neugier.shtml „Zeigt man wenige Wochen alten
Säuglingen mehrmals hintereinander dasselbe Bild von einem Gesicht, so schwindet ihr
anfängliches Interesse allmählich, was zunächst als Ermüdung gedeutet werden könnte.
Ersetzt man das bekannte Bild jedoch durch ein neues unbekanntes Muster, so wenden sie
ihre Aufmerksamkeit dem neuen Bild wieder vermehrt zu, was für die Fähigkeit zur
Unterscheidung von bekannten und unbekannten Reizen spricht.“
Steinbock, O., A. Toth, and K. Showalter (1995) Science 267, 868-871 „Pathfinding made
easier by chemical waves“. http://heracles.chem.wvu.edu/new/p8.asp
Steriade M, Gloor P, Llina Rp, Lopes da Silva FH, Mesulam MM (1990)“Basic mechanisms
of cerebral rhythmic activities. Electoenceph. clin Neurophysiol 76: 481 -508.
Steriade, M., Gloor, P., Llinas, R.R., Lopes da Silva, F.H., Mesulam, M.M. 1990. Basic
mechanisms of cerebral rhythmic activities. Electroenceph. clin. neurophysiol. 76, 481-508.
Sternberg S (1966) “High speed scanning in human memory. Science 153:652-654.
251
Stickgold Robert, Mathew Wilson (2002) "Unbewusste Lernleistungen lassen sich über
Nacht deutlich steigern“ http://www.zeit.de/2002/48/Lernen-Schlaf. Robert Stickgold von der
Harvard-Universität ließ seine Versuchspersonen in einem regelmäßigen Strichmuster auf
einem Bildschirm Unregelmäßigkeiten entdecken. Ergebnis: Wenn die Patienten
anschließend eine Nacht lang schlafen, dann ist am nächsten Morgen ihre Leistung
sprunghaft angestiegen. …Mathew Wilson am MIT fand in Elektroden -Ableitungen aus dem
Hippocampus von Ratten bei Labyrinthexperimenten ein charakteristisches Muster, das so
konsistent war, „dass man tatsächlich allein durch einen Blick darauf den Aufenthaltsort der
Ratte im Labyrinth bestimmen kann“. Dann leiteten die Forscher die Hirnströme der Ratten
im Schlaf ab. Dort entdeckten sie in der Traum -Phase (REM) dieselben Muster wie am Tag.
Störig, Hans Joachim (1995) „Kleine Weltgeschichte der Philosophie“ ISBN 3 -596-11142-0,
Verlag W. Kohlhammer – Stuttgart.
Strube (2001) Einführung in die Kognitionswissenschaft“ http://cognition.iig.unifreiburg.de/team/members/strube/wbkw.pdf
Stryker, M.P. 1989. Is grandmother an oscillation? Nature 388, 297-298.
Tarasov, Lev V. (1993) „Wie der Zufall will – vom Wesen der Wahrscheinlichkeit“, ISBN 386025-306-9, Spektrum-Verlag, Heidelberg.
Timothy Alasdair Hely (1998) „Computational Models of Developing Neural Systems“http://www.anc.ed.ac.uk/~tim/thesis.ps.gz
Tritschler, Yvonne (2001) Allgemeine Psychologie II http://psyfb013.unimuenster.de/fachschaft/allg2.doc S.19: Zahlreiche Beweise für die Möglichkeit von Stimulus Stimulus-Ketten.
Ullian, E. M., Sapperstein, S. K., Christopherson, K. S. & Barres, B. A. (2001) „Co ntrol of
synapse number by glia.” Science 291, 657-661 (2001) . | Article | PubMed | ISI |
Varela, F., J.P. Lachaux, E. Rodriguez, J. Martinerie (2001) “The Brainweb : Phase Synchronization and Large-Scale Integration” http://neuro.caltech.edu/cns286/varela_etal01.pdf
Wahrnehmung und visuelles System 1(1987) mit einer Einführung von Manfred Richter:
Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Heidelberg: Spektrum Verlag.
Wesenick Maria-Barbara & W. X. Schneider & H. Deubel (2000) „Retention and r etrieval of
information in visual working-memory” www.twk.tuebingen.mpg.de/twk00/TWK.pdf.
[email protected] The remaining information is kept in visual short-term
memory up to 8 seconds without substantial loss. 2. Increasing reaction times with increasing set size is evidence for a serial retrieval process. An explanation for the effect in the cueexperiments is that due to the cue serial memory search for retrieval is no longer ne cessary.
Wong, R. O., Chernjavsky, A., Smith, S. J. & Shatz, C. J. (1995) „Early fu nctional neural
networks in the developing retina.” Nature 374, 716-718 (1995). | PubMed | ISI |
252
WSA 2000.10.20 „Gegenstände, die klingen, sieht man besser“ Wissenschaft smeldungen
von www.wissenschaft-aktuell.de Ein Beitrag zum Zusammenspiel der Sinne bei der
Objekterkennung. Doris Marszk.
WSA 2000.11.16 „Wie das geistige Auge arbeitet“ Wissenschaftsmeldungen von
www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk zitiert Itzhak Fried von der University of
California. Bei Anblick und Vorstellung feuern die gleichen Zellen.
WSA 2000.11.17 „Wir sehen erheblich weniger als wir glauben“ Wissenschaft smeldungen
von www.wissenschaft-aktuell.de Das Experiment mit der Holztür und dem ausgetauschten
Wegsuchenden, u.a. - Doris Marszk
WSA 2001.02.01 „Was den Menschen zum Menschen macht“ Wissenschaftsme ldungen von
www.wissenschaft-aktuell.de Der Stirnlappen ermöglicht es uns des anderen Intentionen zu
erfassen und Ironie zu erkennen. Doris Marszk
WSA 2001.03 „Erstmals erfolgreich frische Gehirnzellen transplantiert“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk
WSA 2001.03.08 „Die Erinnerung zweisprachiger Menschen ist einsprachig“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Die Erinnerung liegt in der
Sprache vor, die sie zur Zeit des erinnerten Ereignisses sprachen. Doris Marszk
WSA 2001.03.29 „Wie das Hirn Farben, Gestalten und Bedeutungen sortiert“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Die Studie zeigt, dass
Synästhesie kein vorbewußtes Phänomen ist, sondern am Übergang von unb ewußter zu
bewußter Wahrnehmungsverarbeitung zustandekommt. Doris Marszk.
WSA 2001.04.23 „Das Gehirn verarbeitet Musik wie Sprache“ Wissenschaftsm eldungen von
www.wissenschaft-aktuell.de Das Broca Areal dient nicht nur der Bildung gramatikalisch
richtiger Sätze, sondern auch der Unterscheidung harmonischer und disharmonischer
Akkorde. Doris Marszk
WSA 2001.05 „Im prämotorischen Cortex können wir Helden sein“ Wissenschaftsmeldungen
von www.wissenschaft-aktuell.de Über die Fähigkeit sich in andere Menschen zu versetzen.
Doris Marszk
WSA 2001.06.20 „Unbewusste Ziele können die Laune verderben“ Wissenschaftsmeldungen
von www.wissenschaft-aktuell.de "Die ganze Zeit erfüllen wir unbewusste Ziele oder
scheitern an ihnen", sagt Chartrand, Psychologin an der Ohio State University. Doris Marszk
WSA 2001.07 „Das Gehirn stellt sich auch auf transplantierte Arme ein.“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk.
WSA 2001.07 „Schlaf ist notwendig für die Entwicklung des Gehirns“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk.
WSA 2001.08.08 „Geruchssinn als Vorbild für effektive Computer -Netzwerke“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de "Jeder Reiz ist charakterisiert
253
durch eine spezifische und reproduzierbare Sequenz von Signalen, die von ausgewählten
Neuronen abgegeben und geleitet werden", beschreibt M. Rabinovich die Grundlage seiner
Analyse des Geruchssinns von Fischen und Insekten. Jan Oliver Löfken
WSA 2001.10.04 „Gehirn reserviert eine Region allein für menschliche Körperfo rmen“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de, Doris Marszk.
WSA 2001.10.25 „Unbewusstes Lernen ist möglich“ Wissenschaftsmeldungen von
www.wissenschaft-aktuell.de Die Studie beweist Lernvorgänge unterhalb von
Wahrnehmungsschwellen. Doris Marszk.
WSA 2001.11.05 „Winzige Goldteilchen bilden spontan nasse Drähte"
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Jan Oliver Löfken.
WSA 2002.01.02 „Wo ist die Mitte?“ Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaftaktuell.de Damit eine Zelle weiß, wo sie sich teilen muss, oszilieren Proteine ständig von
einer zur anderen Seite der Zelle, um die Mitte „auszumessen“.
WSA 2002.01.19 „Schlaf nagelt Gelerntes fest“ Wissenschaftsmeldungen von
www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk.
WSA 2002.02.21 „Das absolute Gehör – angeboren aber bald wieder verloren“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk zitiert Studien von
Jenny Saffran von der University of Wisconsin.
WSA 2002.02.28 „Aus neu gebildeten Hirnzellen entstehen funktionsfähige Neuronen“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Durch ein
Markierungsverfahren, das ausschließlich auf Zellen wirkt, die sich teilen, konnte die
Neubildung von Neuronen vor allem im Hippocampus nachgewiesen werden.
WSA 2002.03.18 „Mit dem Gehirn als Cursor im Internet surfen“ Wissenschaftsmeldungen
von www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk.
WSA 2002.05.24 „Signalrauschen unterstützt Wahrnehmung im Hirn“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Jan Oliver Löfken
WSA 2002.09.11 „Hirnzellen von Affen zählen mit“ Wissenschaftsmeldungen von
www.wissenschaft-aktuell.de Andreas Wawrzinek.
WSA 2002.11.27 „Babys machen entscheidenden Erkenntnisfortschritt zwischen dem 6. und
8. Lebensmonat“ Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Studie unter
Gergely Csibra vom Birkbeck College in London, wonach bei der Betrachtung des KanizsaDreiecks im Gehirn eine so genannte Gamma-Oszillation auszumachen ist, sobald der
Betrachter erkennt, wie das Bild zusammengesetzt ist. Doris Marszk.
WSA 2002.11.29 „Wie Babies sich mit Statistik ihr Wissen von der Welt aufbauen“
Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Doris Marszk.
254
WSA 2002.12.18 „Blick ins Hirn erwachsener Mäuse: Wie Nervenzellen neue Kontakte
bilden“ Wissenschaftsmeldungen von www.wissenschaft-aktuell.de Joachim Czichos.
WSA 2002.12.18 „Blick ins Hirn erwachsener Mäuse: Wie Nervenzellen neue Kontakte
bilden“ www.wissenschaft-aktuell.de
Zeki, Semir M. (1993): Das geistige Abbild der Welt. In: Gehirn und Geist. Spek trum der
Wissenschaft, Spezial 1, 1993. Heidelberg: Spektrum Verlag.
Zhang, Li I. & Mu-ming Poo (2001) “Electrical activity and development of neural circuits.”
http://www.nature.com/cgi-taf/DynaPage.taf?file=/neuro/journal/v4/n11s/full/nn753.html
Zimbardo, Phillip G. (1995): Psychologie. 6. Auflage. Berlin; Heidelberg; New York: Springer
Verlag. Adamatzky, A. (1998) „Subdivision of Space“
http://bookmarkphysics.iop.org/fullbooks/075030751x/adamatzkych02.pdf
Zucker, R. S. (1999) „Calcium- and activity-dependent synaptic plasticity.” Curr. Opin. Neurobiol. 9, 305-313 (1999). | Article | PubMed | ISI |
255
Herunterladen