Entwurf für eine Rede des Präsident des Europäischen Parlaments,

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Rede des Präsidenten des Europäischen Parlaments,
Hans-Gert Pöttering,
beim Treffen hochrangiger religiöser Führer
[Entwurf]
Brüssel, 5. Mai 2007, Berlaymont
Sehr verehrte Vertreter der Kirchen und der Religionsgemeinschaften,
Sehr geehrter Herr Präsident des Europäischen Rates, Lieber Janez Janša,
Sehr geehrter Herr Präsident der Europäischen Kommission, Lieber José
Manuel Durão Barroso,
es ist mir ein besonderes Anliegen, heute unter Ihnen sein zu dürfen. Die
heutige Sitzung ist ein wichtiger weiterer Schritt auf dem Weg eines sich
stufenweise entwickelnden Dialogs zwischen der Europäischen Union
und den europäischen Kirchen und Religionsgemeinschaften.
VERSÖHNUNG - INTERKULTURELLER DIALOG
Dieses Thema zählte zu den Prioritäten, auf die ich in meiner
Programmrede im Februar vergangenen Jahres eingegangen bin, und es
ist auch ein immer wiederkehrender Leitgedanke meiner Amtszeit. Die
Fähigkeit religiöser Autoritäten, durch kluge Führung einen bedeutenden
Beitrag zur Bewältigung einiger der größten Herausforderungen der
heutigen Zeit zu leisten, sollte nicht unterschätzt werden. Im
europäischen Rahmen waren die Kirchen stets starke Verfechter der
europäischen Integration als eines Projekts, das zunächst zur französischdeutschen Aussöhnung geführt hat und dann im Laufe der Zeit unserem
Kontinent die Versöhnung gebracht hat. In den Teilen unseres
europäischen Kontinents, einschließlich des westlichen Balkans, in denen
die Wunden zwischen den Gemeinschaften noch verheilen müssen, ist es
wichtig, die religiösen Führer der Gemeinschaften an diesem Prozess zu
beteiligen.
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Dieses Jahr 2008 ist das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs,
und es ist daher sehr passend, dass der Beitrag, den die Religionen zur
Versöhnung
leisten
können,
eines
der
beiden
ausgewählten
Diskussionsthemen ist.
Ein echter Dialog bedeutet, dass jeder Teil der Gesellschaft die
Möglichkeit erhält, seinen Standpunkt mit Respekt für den anderen
darzulegen. Aus der Wahrheit über bestimmte Werte und Ziele kann sich
dann ein Konsens entwickeln.
Es ist meine feste Überzeugung, dass die Europäische Union ebenso wie
unsere Nachbarn großen Nutzen aus dem Dialog zwischen den
Religionen ziehen kann. Gläubige Menschen sind bereit, sich zum Wohl
der Allgemeinheit einzusetzen. Sie tragen eine große Verantwortung,
indem Sie sich darum bemühen, ein Glaubensverständnis zu vermitteln,
das auf einem friedlichen Zusammenleben und Versöhnung basiert. Sie
können dazu beitragen, eine Welt zu schaffen, die sich auf die Achtung
der Würde des Menschen gründet. Unser einzigartiges System
gegenseitig voneinander abhängiger Demokratien kann nur erfolgreich
sein, wenn es sich auf Grundwerte und -prinzipien stützen kann. In
unserer heutigen Zeit, in der der Relativismus häufig unsere Gesellschaft
zu untergraben droht, bin ich sicher, dass viele Menschen Rückhalt in
ihren religiösen Überzeugungen finden, wenn es für sie darum geht,
wohlbegründete Entscheidungen zu treffen.
In unserem gemeinsamen Streben nach gerechtem und dauerhaftem
Frieden müssen wir uns unermüdlich für die Menschenwürde einsetzen,
da dies das wirksamste Mittel ist, um Ungleichheiten zwischen den
Ländern und innerhalb der Länder zu beseitigen. Wir wissen, dass häufig
diejenigen, deren Menschenwürde verletzt wurde, zu verzweifelten
Maßnahmen greifen, wodurch letztlich die friedliche Harmonie unserer
Gesellschaften bedroht wird.
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KLIMAWANDEL
Lassen Sie mich kurz auf unser zweites Thema, den Klimawandel,
eingehen. Auch dieses Thema kommt zum richtigen Zeitpunkt, da wir uns
sowohl in der Europäischen Union als auch im Rahmen der
Parteienkonferenz der Vereinten Nationen in einer entscheidenden Phase
befinden, in der es darum geht, Fortschritte bei der Entwicklung echter
Lösungen für dieses Problem zu erzielen.
Der Klimawandel gehört ebenfalls zu den Prioritäten meiner Amtszeit,
und ich freue mich, dass wir die Gelegenheit haben, dieses Thema in
diesem Forum zu behandeln. Wenn wir uns mit dem Klimawandel
befassen, geht es auch hier um die Suche nach Frieden - in diesem Fall
um die Suche nach Frieden mit dem Planeten, auf dem wir leben.
Diejenigen, die gläubig sind, sprechen häufig vom Erhalt der Schöpfung.
Es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, dass wir nur die Hüter eines Guts
sind, das gleichzeitig schön und zerbrechlich ist. Es besteht eine
moralische Pflicht, dieses Gut für künftige Generationen zu bewahren. Es
ist eine Frage grundlegender natürlicher Gerechtigkeit.
Das Europäische Parlament ist bemüht, in dieser Frage eine Vorreiterrolle
zu übernehmen, indem wir insbesondere bei unseren eigenen Tätigkeiten,
Gebäuden und Transportmitteln auf Umweltfreundlichkeit achten. Wir
alle haben die Pflicht, darauf zu achten, dass unsere Lebensweisen mit
einer
nachhaltigen
Entwicklung
in
Einklang
stehen.
Eine
umweltschonendere Lebensweise steht im Zusammenhang mit unserer
persönlichen
Verantwortung
für
den
Schutz
der
ärmsten
Bevölkerungsgruppen auf diesem Planeten, die häufig als erste unter den
Auswirkungen des Klimawandels wie Überschwemmungen, Dürre und
Hungersnot zu leiden haben.
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Es steht außer Frage, dass ein instabiles Ökosystem Folgewirkungen für
das globale politische Gleichgewicht haben kann und Spannungen und
Konflikte auslösen kann.
SCHLUSSBEMERKUNGEN
Erlauben Sie mir, zum Abschluss jedem einzelnen der heute hier
anwesenden religiösen Führer als Vertreter der jüdischen, islamischen
oder christlichen Traditionen dafür zu danken, dass Sie unserer Einladung
gefolgt sind und den Institutionen der Europäischen Union die
Gelegenheit bieten, in sehr öffentlicher Form unser Engagement für den
Dialog der Kirchen und der Religionsgemeinschaften zu unterstreichen,
ein Dialog, der mit der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zu einer
rechtlichen Verpflichtung wird.
Ihre ständige Beschäftigung mit wichtigen Fragen unserer heutigen
Gesellschaft ist nicht nur willkommen, sondern notwendig. Wir können
nur dann auf Erfolg hoffen, wenn alle Teile unserer Gesellschaft
gemeinsam an einem Strang ziehen. Den Kirchen und den Religionen
kommt im öffentlichen Raum eine Aufgabe zu. Das ihnen eigene
Eintreten für gemeinsame universelle Werte stellt das eigentliche
Fundament für den Aufbau einer freien Gesellschaft dar - eine Freiheit,
die verlangt, dass wir persönlich die Verantwortung dafür übernehmen,
unseren Beitrag dazu zu leisten, das die Welt, in der wir leben und die wir
schätzen, lebenswerter wird, lebenswerter für alle.
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