Kollektive Friedenssicherung und Schutz der Menschenrechte

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Professor Dr. Udo Fink
Kollektive Friedenssicherung und Schutz der
Menschenrechte
Literatur:
-
Simma, Charter of the United Nations, 3. Aufl, 2002
-
Fink, Kollektive Friedenssicherung, 2 Bde., 1998
-
Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 3.
Aufl. 2004
-
Fischer,
Friedenssicherung
und
friedliche
Streitbeilegung,
in:
Ipsen,
Völkerrecht, 5. Aufl., 2004
Kapitel 1: Die Geschichte der kollektiven Friedenssicherung
A. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg
Das klassische Völkerrecht, das mit dem Ende der mittelalterlichen Rechtsordnung
entsteht, kennt keine kollektiven Friedenssicherungssysteme. Bis zum Ende des
dreißigjährigen Krieges durch den Frieden von Münster und Osnabrück im Jahr 1648
gibt es ein Verbot des ungerechten Krieges. Das Dogma vom Bellum Iustum wird
rechtlich durch den theologisch begründeten Vorrang des Kirchenrechts vor dem
weltlichen Recht begründet. Der Krieg ist nur aus gerechtem Grund, etwa zur
Vergeltung bei Verletzung eigener Rechte, zur Durchsetzung des Glaubens und zur
Selbstverteidigung zulässig. Verfahrensrechtlich soll es durch den Anspruch des
heiligen römischen Reiches auf Suprematie über die Fürsten Europas durchgesetzt
werden. Der Kaiser wird vom Papst gekrönt und erhält damit den Auftrag zur
Verteidigung der Kirche und der von ihr bestimmten Rechtsordnung, er ist der
Verteidiger der Einheit der Christenheit.
Dieser Anspruch wird
durch die Reformation theologisch in Frage gestellt. Im
dreißigjährigen Krieg (1618-1648) verliert der Kaiser auch rechtlich die bereits zuvor
faktisch verlorengegangene Souveränität über die Reichsfürsten und Reichsstände
und muss ausländische Fürsten als gleichberechtigte Partner anerkennen. Die
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außerhalb
Des Reiches entstandenen Nationalstaaten werden endgültig zu unabhängigen
Rechtssubjekten Die Staaten sind nunmehr souverän und entscheiden selbst über
Krieg und Frieden. Das "freie Recht zum Krieg" bedeutet, dass souveräne Staaten
keiner übergeordneten Instanz mehr unterliegen. Theoretisch untermauert wird das
Souveränitätsprinzip durch Denker wie Jean Bodin, der in seinem Werk Six Livres
de la République im Jahr 1576 den Fürsten als keiner anderen Hoheit unterworfenen
absoluten Herrscher beschreibt. Damit mein Souveränität im klassischen Sinne,
dass der Fürst und der durch ihn repräsentierte Staat keinen anderen Bindungen als
denen unterliegt, die er freiwillig auf völkerrechtlicher Ebene eingeht. Souveränität ist
damit das Prinzip der Völkerrechtsunmittelbarkeit.
B. Der Völkerbund
Nach dem Ersten Weltkriege und als Ergebnis dieses Krieges wird der Völkerbund
gegründet. Dies ist die erste Internationale Organisation mit dem Ziel der Sicherung
des Weltfriedens. Die Rechtsgrundlage des Völkerbundes waren die in den Pariser
Vorortverträgen mit den Kriegsgegnern 1919/1920 geschlossenen Friedensverträge.
Vertrag von Versailles (1919) mit dem Deutschen Reich, Vertrag von Neuilly (1919)
mit Bulgarien, Saint Germain mit Österreich (1919), Trianon (1920) mit Ungarn. Die
Satzung des Völkerbundes war Bestandteil dieser Friedensverträge, wobei die
Feindstaaten zunächst aber nicht Mitglied des Völkerbundes werden konnten. Die
Satzung trat mit Ratifikation des Friedens von Versailles am 10. Januar 1920 in
Kraft.
Ziel des Völkerbundes war ausweislich der Präambel die Förderung der
internationalen Zusammenarbeit und die Herstellung des internationalen Friedens
und der Sicherheit. Der Urheber des Völkerbundes war der amerikanische Präsident
Woodrow Wilson, der in seinen 1916 als Kriegsziele proklamierten 14 Punkten als
letzten Punkt die Schaffung einer internationalen Völkergemeinschaft zum Ziel
seiner Politik machte.
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Ursprüngliche Mitglieder der Vereinten Nationen waren die 32 Signatarmächte der
Friedensverträge sowie 13 weitere in der Anlage aufgeführte Mächte. Zwischen 1920
und 1937 kamen 21 weitere Staaten hinzu, darunter das Deutsche Reich (1926) und
die Sowjetunion (1934). Zwischen 1920 und 1942 traten aber auch zwanzig
Mitglieder wieder aus. Darunter das Deutsche Reich und Japan im Jahr 1933. Die
Sowjetunion wurde 1939 ausgeschlossen.
Kernstück des Völkerbundes waren das System der Friedlichen Streitbeilegung und
der Kriegsverhütungsmechanismus.
-
Friedliche
Streitbeilegung:
Gemäß
Art.12
und
13
VBS
waren
die
Mitgliedstaaten verpflichtet, jeden Streit untereinander einem Schiedsgericht
oder dem ständigen Internationalen Gerichtshof, der gemäß Art.14 VBS als
eigene Einrichtung mit Sitz im Haag geschaffen worden war, zu unterbreiten.
Die Staaten verpflichteten sich, den Spruch des Schiedsgerichts oder des st.
IGH zu achten und zu befolgen.
-
Kriegsverhütung: Gemäß Art.10 VBS verpflichteten sich die Mitglieder die
territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit jedes Mitgliedes zu
achten und gegen jeden äußeren Angriff zu schützen. Nach Art. 11 VBS war
jeder Krieg gegen ein Mitglied des Bundes eine Angelegenheit des Bundes
insgesamt. Gemäß Art.16 VBS war jeder Angriff eines Mitgliedes gegen ein
anderes Mitglied zugleich auch ein Angriff auf alle anderen Mitglieder.
Schwächen des Systems: Gemäß Art.10 und Art.15 VBS konnte der Rat, das
wichtigste Organ des Völkerbundes keine verbindlichen Entscheidungen treffen
sondern nur Vorschläge zur Konfliktbeendigung machen. Die Staaten waren zwar
gemäß Art.16 VBS zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet. Deren konkrete
Ausgestaltung war ihnen mit Ausnahme der in Art.16 Abs.1 VBS genannten Wirtschaftssanktionen jedoch nicht vorgeschrieben.
Außerdem gab es kein materielles Gewaltverbot. Zwar war durch den BriandKellogg-Pakt im Jahr 1928 zwischen den wichtigsten Staaten mit Ausnahme der
UdSSR ein materielles Kriegsverbot vereinbart worden. Dieser Vertrag ist jedoch
nicht ausdrücklich in die Satzung des Völkerbundes integriert werden. Deshalb war
bis zum Ende des Völkerbundes streitig, ob eine Verletzung des Briand-KelloggPaktes den Rat des Völkerbundes und dessen Mitglieder zu Sanktionen berechtigen.
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Kriege standen deshalb nicht in Widerspruch zur Satzung, wenn entsprechend dem
Verfahren des Art.15 VBS nach drei Monaten kein Schiedsspruch zustande kam oder
der Rat nicht innerhalb von sechs Monaten einen Bericht mit Vorschlägen zur
Konfliktverhütung erstattet hatte. Folgte eine Partei einem Schiedsspruch nicht,
konnte gemäß Art.13 Abs. 4 VBS auch gegen diesen Staat Krieg geführt werden.
Dasselbe galt, falls eine Partei einem Vorschlag des Rates nicht Folge leistete
(Art.15 Abs. 6), oder falls der Rat nicht in der Lage war, einstimmig einen solchen
Vorschlag zu machen (Art.15 Abs. 7 VBS).
Die zweite Schwäche lag darin, dass einige der wichtigsten Staaten nicht
ausreichend integriert waren. Der Völkerbund war deshalb keine universelle
Organisation. Die Vereinigten Staaten wurden nicht Mitglied, weil der amerikanische
Kongress die Zustimmung zum Vertragsschluss verweigerte, die Sowjetunion wurde
wegen des innenpolitischen Umsturzes in der Oktoberrevolution bis 1936 in der
Staatengemeinschaft als Outlaw behandelt (Nichtanerkennung der Regierung). Das
deutsche Reich war ebenfalls nur fünf Jahre Mitglied und belastet mit den
Reparationsansprüchen der Siegermächte.
In den wichtigsten Krisen der Zwischenkriegszeit erwies sich dieses System als
untauglich. Japan intervenierte 1932 in der zu China gehörenden Mandschurei und
erklärte diese als eigenständigen Staat (Mandschukuo) für unabhängig. China rief
den Völkerbundsrat an, der gemäß Art.15 (4) VBS einen Bericht verfasste, in dem
Japan des Verstoßes gegen Art.10 VBS und des Briand-Kelogg-Paktes geziehen
wurde. Daraufhin trat Japan als ständiges Mitglied des Rates 1933 aus dem Bund
aus.
Die größte Krise wurde durch den Einmarsch Italiens in Äthiopien ausgelöst. Mit der
Eröffnung des Suezkanals 1869 wurde die Küste des Roten Meeres auch für
europäische Mächte als Kolonialgebiet zunehmend interessant. Italien konzentrierte
seine Aufmerksamkeit auf Äthiopien. 1895 brach ein Krieg zwischen den beiden
Ländern aus, und die italienischen Truppen wurden im folgenden Jahr bei Adua
entscheidend besiegt. Italien wurde gezwungen, die Unabhängigkeit Äthiopiens
sowie die Reichsgrenzen Kaiser Meneliks, die den Grenzen des heutigen Äthiopiens
entsprachen, anzuerkennen. 1930 wurde Haile Selassie I. Kaiser von Äthiopien. Im
gleichen Jahr wurde Äthiopien Mitglied des Völkerbundes.
Mit dem Aufstieg des Diktators Benito Mussolini erwachte das italienische Interesse
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an Äthiopien erneut, und im Oktober 1935 marschierten italienische Truppen in
Äthiopien ein. Ihr Ziel war die Erweiterung der bestehenden italienischen Kolonien
Eritrea und Somalia zum Kolonialstaat Italienisch-Ostafrika. Daraufhin wandte sich
der äthiopische Kaiser Haile Selassie Anfang 1936 an den Völkerbund um Hilfe
gegen die italienische Übermacht; der Völkerbund verurteilte die italienische
Aggression und verhängte Sanktionen – u. a. ein Waffen- und Rohstoffembargo auf
der Grundlage von Art.16 VBS gegen Italien, die allerdings vollkommen wirkungslos
blieben und nach dem Ende der Kampfhandlungen weitgehend aufgehoben wurden.
Addis Abeba fiel in die Hände der Invasoren, und im Mai 1936 rief Mussolini Italiens
König Viktor Emanuel III. zum Kaiser von Äthiopien aus. Haile Selassie wurde
gezwungen, das Land zu verlassen und nach England ins Exil zu gehen; er kam
jedoch 1941 mit Hilfe britischer und äthiopischer Streitkräfte erneut an die Macht. Im
November 1937 trat Italien zudem aus dem Völkerbund aus.
Der dritte große Konflikt in der Endzeit des Völkerbundes wurde durch den
Einmarsch sowjetischer Truppen in Finnland ausgelöst. Nach der Oktoberrevolution
proklamierte der finnische Landtag am 6. Dezember 1917 die Souveränität Finnland.
Am
31.
Dezember
1917
anerkannte
die
bolschewistische
Regierung
in
Sowjetrussland unter Lenin entsprechend ihrem Beschluss vom 15. November 1917,
der allen Nationen innerhalb des ehemaligen Zarenreiches das Recht auf nationale
Selbstbestimmung zugestand, die Unabhängigkeit Finnlands an.
Am 14. Oktober 1920 schlossen Finnland und Sowjetrussland den Frieden von
Dorpat. In ihm erkannte Sowjetrussland nochmals formell die Unabhängigkeit
Finnlands an, gestand Finnland einen Zugang zur Barentssee mit dem eisfreien
Hafen Petschenga zu. Finnland auf der anderen Seite verzichtete auf Ostkarelien. Im
Dezember 1920 trat Finnland dem neu gegründeten Völkerbund bei. 1932 schloss
Finnland mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt.
Trotz des Nichtangriffspaktes löste die Sowjetunion am 30. November 1939, in der
Anfangsphase des 2. Weltkrieges, den Finnisch-Sowjetischen Winterkrieg aus.
Vorausgegangen war die ultimative Forderung der Sowjetunion an Finnland,
strategisch wichtige Gebiete nördlich von Leningrad im Austausch gegen karelisches
Territorium an die UdSSR abzutreten. Finnland war der Forderung nicht
nachgekommen. Nach überraschenden Anfangserfolgen der Finnen unter General
von Mannerheim gegen die sowjetische Übermacht gewannen die sowjetischen
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Truppen mit gewaltigem Materialeinsatz rasch die Oberhand; im Frieden von Moskau
vom 12. März 1940 musste Finnland u. a. die Karelische Landenge (das Land
zwischen dem Finnischen Meerbusen und dem Ladogasee) mit Wyborg sowie das
Nordufer des Ladogasees an die Sowjetunion abtreten und Hanko am nördlichen
Ausgang des Finnischen Meerbusens als Militärstützpunkt an die Sowjetunion
verpachten. Der Rat des Völkerbundes verurteilte die Sowjetunion gemäß Art.16
Abs.4 VBS wegen gröblichen Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus der Satzung
und wegen Verletzung des Briand Kellogg Paktes und schloss sie aus dem
Völkerbund aus.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte der Völkerbund seine Tätigkeit ein.
Der Völkerbundversammlung trat am 18. April 1946 noch einmal zusammen und
wickelte die Organisation offiziell ab. Ihr Nachfolger werden nach dem Zweiten
Weltkrieg die Vereinten Nationen, die vor dem Hintergrund der negativen
Erfahrungen des Völkerbundes einen neuen Versuch zur Gewährleistung des
internationalen Friedens und der Sicherheit durch eine universelle internationale
Organisation unternehmen.
C. Die Gründung der Vereinten Nationen
Die Vereinten Nationen sind wie der Völkerbund aus dem gegen Deutschland und
seine Verbündeten gegründeten Militärbündnis entstanden. Die ursprünglichen
Mitglieder sind deshalb die Kriegsgegner von Deutschland, Italien und Japan (DreiParteien-Pakt).
Erste Ansätze finden sich in der sog. Atlantikcharta, einer Erklärung, die der
amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister
Winston Churchill am 14. August 1941 abgegeben haben. Dort ist im achten
Grundsatz von einem "wider and permanent system of international security" die
Rede.
Es folgt die Erklärung der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942. Diese
Erklärung wird von den sechsundvierzig Kriegsgegnern des Drei-Parteien-Paktes
abgegeben. Darin bekräftigen diese Staaten ihre Absicht, ihre Anstrengungen zu
koordinieren und keinen Separatfrieden mit den Kriegsgegnern zu schließen.
Ein wichtiger Schritt ist die Moskauer Erklärung der Regierungen der Vereinigten
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Staaten, des Vereinigten Königreichs, der Sowjetunion und Chinas vom 30.10.1943.
Darin erkennen die Parteien unter 4. die Notwendigkeit an, so schnell wie möglich
eine allgemeine internationale Organisation zu schaffen, die auf der souveränen
Gleichheit aller friedliebenden Staaten gründet. Die Moskauer Erklärung lebte heute
noch im Tatbestand des Art.106 UN-Charta fort.
Auf der Konferenz von Teheran bekräftigen Roosevelt, Churchill und Stalin am 1.
Dezember 1943 ihren Willen, alle gegen die Tyrannei und Unterdrückung
eingestellten Staaten in
einer weltweiten
Familie
demokratischer Nationen
aufzunehmen.
Auf der Konferenz von Dumbarton Oaks in Washington schließlich wird in separaten
Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich, den USA und der UDSSR
einerseits sowie zwischen dem Vereinigten Königreich, den USA und China
andererseits im August und September 1944 der Entwurf für eine Charta der
Vereinten Nationen erarbeitet.
Auf der Konferenz von Yalta kündigen Roosevelt, Churchill und Stalin am 11.
Februar 1945 die schnellstmöglich Gründung der Vereinten Nationen auf der
Grundlage der Dumbarton Oaks Proposals an.
Die Charta der Vereinten Nationen wird schließlich auf der zwischen dem 25. April
und dem 26. Juni 1945 in San Francisco tagenden Gründungskonferenz der
Vereinten Nationen ausgearbeitet und verabschiedet.
Der Sitz ist heute in New York, Genf und Wien.
Kapitel 2: Die Organisationsstruktur der Vereinten Nationen
A. Die Mitgliedschaft:
I. Die Gründungsmitglieder (Art.3 UN-Charta)
Die Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation ist die Grundlage für die
korporationsrechtliche Stellung innerhalb der Organisation. Die Ausübung der Rechte
aus der Satzung steht grundsätzlich nur den Mitgliedern zu. Dies gilt zum einen für
das Recht, Mitglied in den Organen der UNO zu sein. So besteht etwa die
Generalversammlung gemäß Art.9 (1) aus allen Mitgliedern der UNO und auch der
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Sicherheitsrat besteht gemäß Art.23 (1) aus fünfzehn Mitgliedern der Organisation.
Aber auch bestimmte Verfahrensrechte solcher Staaten, die nicht Mitglied eines
Organs sind, die aber von den Beschlüssen dieses Organs betroffen sein können,
stehen grundsätzlich nur Mitgliedern zu. So haben Mitgliedstaaten etwa gemäß
Art.31
UN-Charta
das Recht, ohne
Stimmrecht
an
den Beratungen
des
Sicherheitsrates teilzunehmen. Ist der jeweilige Staat aber Streitpartei, dann hat er
gemäß Art.32 UN-Charta auch als Nichtmitglied das Recht zur Teilnahme an den
Beratungen des Rates. Diese Regel zeigt, dass sich die UNO als eine universelle
Organisation der Friedenssicherung versteht.
Die Vereinten Nationen haben 51 Gründungsmitglieder. Das sind alle an der
Konferenz von San Francisco zwischen dem 25. April und dem 26. Juni 1945
Beteiligten. Allerdings hat Polen die Charta erst am 15. Oktober 1945 unterzeichnet,
weil bis dahin zwischen den Westmächten und der Sowjetunion ein Streit darüber
bestand, ob die Exilregierung in London oder die in Warschau gebildete
kommunistische
Regierung
für
diesen
Staat
handeln
durfte.
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dieser
Gründungsmitglieder waren bei der Unterzeichnung zweifelsfrei Staaten im Sinne
des Völkerrechts. Die weißrussische und die ukrainische Sowjetrepublik erfüllten
diese Voraussetzung auf jeden Fall nicht. Sie sind erst nach dem Zerfall der
Sowjetunion Ende 1991 unabhängig wurden. Auch die Philippinen und Indien
wurden erst 1946 bzw. 1947 unabhängig. Zweifelhaft war die Unabhängigkeit in
Bezug auf Syrien und den Libanon zwei ehemalige französische Mandate. Sie
hatten sich 1941 für unabhängig erklärt und Frankreich hatte sich de facto seit 1944
aus diesen Gebieten zurückgezogen. Allerdings hatte es die Unabhängigkeit dieser
Gebiete de jure zum Zeitpunkt der Gründungskonferenz noch nicht anerkannt. Da
das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten aber zu diesem Zeitpunkt
aber schon anerkannt hatten, spricht vieles dafür, dass Syrien und der Libanon in
San Francisco bereits als Staaten behandelt wurden. Auch im Völkerbund gab es
Mitglieder, die nicht Staaten im Sinne des Völkerrechts waren. Dies galt
insbesondere für die britischen Dominions, den Irish Free State, Kanada, Südafrika,
Australien und Neuseeland.
Mit der Stellung als Gründungsmitglied ist der Vorzug verbunden, nicht das
Aufnahmeverfahren gemäß Art. 4 UN-Charta durchlaufen zu müssen. Darüber
hinaus sind damit keine weiteren Vorzugsrechte verbunden. Auch die Stellung als
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ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist rechtlich nicht davon abhängig. Sie wird in
Art.23 UN-Charta gesondert geregelt. Allerdings ist faktisch dieser Status bisher nur
Gründungsmitgliedern vorbehalten gewesen, weil dies eine Änderung der Charta in
einem ganz zentralen Punkt bedeuten würde. Dies zeigt die aktuelle Diskussion um
die Versuche Deutschlands und Japans ständige Mitglieder zu werden. Zeitweise
war sowohl die Mitgliedschaft Chinas wie auch der Russischen Föderation umstritten.
Einzelheiten später.
Dismembration und Sezession können die Eigenschaft als Gründungsmitglied
betreffen. Dies gilt etwa für Jugoslawien, dass als sozialistische Bundesrepublik
Jugoslawien durch Dismembration im Jahr 1992 untergegangen ist und dessen
Nachfolgestaat Bundesrepublik Jugoslawien erst im Herbst 2000 in die UNO
aufgenommen worden ist.
II. Der Beitritt zu den Vereinten Nationen (Art.4 UN-Charta)
Wie Art.4 (1) UN-Charta zeigt, stehen die Vereinten Nationen grundsätzlich allen
Staaten offen. Dies demonstriert den Willen der Gründer, eine universelle
Organisation zu schaffen, in der idealerweise alle Staaten Mitglieder sein sollen. Die
Vereinten Nationen haben heute 191 Mitglieder, dies sind alle von der
überwiegenden Mehrzahl der Staatengemeinschaft anerkannten Staaten auf der
Welt.
Dennoch knüpft die Charta materielle Bedingungen an die Aufnahme neuer Mitglieder.
1. Die Staatlichkeit
Jedes neue Mitglied muss Staat im Sinne des Völkerrechts sein. Im Gegensatz zu
den Gründungsmitgliedern müssen alle danach Aufgenommen Staaten sein. Das
heißt, sie müssen die tatsächlichen Voraussetzungen der Staatlichkeit im Völkerrecht
erfüllen und sie müssen von der Völkergemeinschaft als Staaten anerkannt werden.
Diese Anerkennung kann bereits vor der Aufnahme geschehen sein. Dieses
Kriterium erfüllten bei ihrer Aufnahme insbesondere die sogenannten Feindstaaten
der Gründungsmitglieder, also Japan, Italien und Deutschland, wobei Deutschland
10
nach
dem
Zweiten
Weltkrieg
seine
Souveränität
erst
wieder
durch
den
Generalvertrag im Jahr 1955 erreichte.
Sind solche Kandidaten vor ihrer Aufnahme bereits von allen Mitgliedstaaten als
Staaten anerkannt worden, so können die Mitglieder in den entscheidungsbefugten
Organen Sicherheitsrat und Generalversammlung keine abweichende Haltung
einnehmen. Sind die Kandidaten dagegen nur teilweise oder vor der Aufnahme noch
gar nicht anerkannt worden, so entscheiden die Organe der Vereinten Nationen
selbst über das Vorliegen der Staatlichkeit des Aufnahmekandidaten.
Dabei sind der Sicherheitsrat und die Generalversammlung nicht im Sinne der
Theorie von der deklaratorischen Wirkung der Anerkennung an die objektiven
Kriterien Staatsvolk, Staatsgebiet und effektive Staatsgewalt gebunden. Die
Organe der Vereinten Nationen entscheiden vielmehr nach eigenem Ermessen, ob
die Voraussetzungen für Staatlichkeit vorliegen.
Zusätzliche Kriterien sind in einer 1946 gegründeten Kommission des Sicherheitsrats
betreffend die Aufnahme neuer Mitglieder entwickelt worden. Es sind, wie im
völkerrechtlichen
Verkehr
allgemein,
der
Wille
und
die
Befähigung,
die
Verpflichtungen aus der Charta zu erfüllen. Mit der Befähigung ist die Frage angesprochen, ob das betreffende Gebilde effektive Herrschaftsgewalt besitzt, um
die eingegangenen völkerrechtlichen Pflichten zu erfüllen.
Dies war z.B.
umstritten
im
Falle
Israels,
das unmittelbar nach
seiner
Staatsgründung im Jahr 1948 von seinen arabischen Nachbarn militärisch
angegriffen wurde. Damals hat das Vereinigte Königreich die Aufnahme Israels in die
Vereinten Nationen mit dem Argument abgelehnt, dass wegen des militärischen
Konflikts nicht sicher sei, ob Israel effektive Herrschaftsgewalt über das von ihm
beanspruchte Gebiet erlangten werde. Erst nach dem Sieg in diesem Krieg, der mit
Waffenstillstandsvereinbarungen Israels mit den arabischen Nachbarn endete, wurde
Israel als effektive Herrschaftsgewalt in die Vereinten Nationen aufgenommen.
Vor diesem Hintergrund war die Aufnahme von Kroatien und von BosnienHerzegowina im Jahr 1992 problematisch, weil diese beiden ehemaligen
jugoslawischen Teilrepubliken zum Zeitpunkt ihres Beitritts im Jahr 1992 noch keine
unbestrittene und effektive Herrschaftsgewalt auf dem gesamten von ihnen beanspruchten Gebiet ausgeübt haben. Für die Republik Bosnien-Herzegowina gilt dies
11
auch heute noch. Sie hat zwar seit dem Vertrag von Dayton im Jahr 1995 eine
Verfassung. Die Staatsorgane können jedoch gegen den Willen der beiden
Teilgebiete , der sogenannten Entities, dies sind die Republica Sprska und die
Föderation Bosnien-Herzegowina bestehend aus dem muslimischen und dem
kroatischen Teil weder Gesetze noch Verwaltungsmaßnahmen durchsetzen.
Hinzu kommen muss der Wille, sich völkerrechtskonform zu verhalten, also bezogen
auf die Aufnahme in die Vereinten Nationen die damit entstehenden Pflichten aus der
Charta zu erfüllen. Dies nehmen die Vereinten Nationen dann an, wenn der Kandidat
keine Konflikte mit Mitgliedstaaten unterhält, wenn er im Gegenteil mit den
Mitgliedern
freundschaftlich
Verpflichtungen
erfüllt
verbunden
und
sich
ist,
zur
wenn
er
seine
Unterwerfung
unter
internationalen
vertragliche
Streitbeilegungsverfahren bereit zeigt.
Ein Beispiel für die Nichtaufnahme aus diesem Grund ist Südrhodesien. Dieses
Gebiet, das heute Zimbabwe heißt, hat sich 1965 für unabhängig erklärt. Obwohl
das Regime unter Ian Smith faktisch unbestrittene Herrschaftsgewalt ausübte,
haben die Vereinten Nationen die Aufnahme abgelehnt, weil dieses Regime auf den
Grundsätzen
der
Apartheid
basierte
und
deshalb
gegen
das
Selbstbestimmungsrecht kolonialer Völker verstieß. Sie haben darüber hinaus allen
Mitgliedern verbindlich aufgegeben, Südrhodesien nicht als Staat anzuerkennen. Erst
nach dem Machtwechsel zugunsten der schwarzen Bevölkerung im Jahr 1980 wurde
Südrhodesien aufgenommen.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Entscheidung der UNO über das Vorliegen des
subjektiven Staatsmerkmals Wille zur Erfüllung aller völkerrechtlichen Verpflichtungen mit der Vorstellung von einer nur deklaratorischen Wirkung der Anerkennung
als Staat nicht zu vereinbaren ist. Solche materiellen Kriterien wie die Beachtung des
Selbstbestimmungsrechts sind nur mit einer konstitutiven Wirkung der Anerkennung
zu
erklären,
wobei
die
Staatengemeinschaft
verbindlich
festlegt,
welche
völkerrechtlichen Pflichten für die Aufnahme in die Staatengemeinschaft unabdingbar
sind.
2. „Friedliebende“ Staaten
Darüber hinaus verlangt Art.4 (1) UN-Charta, dass alle Kandidaten friedliebende
12
Staaten sind. Die Abgrenzung zu dem Kriterium Wille zur Erfüllung der
Verpflichtungen aus der Charta gelingt nur historisch. Bei der Entstehung der Charta
war man sich einig, dass alle Feindstaaten der Vereinten Nationen und solche
Regime, die mit Hilfe der Feindstaaten an die Macht gekommen waren nicht
friedliebend seien. Dies spielte insbesondere eine Rolle, als Spanien unter dem
Regime Franco 1945 die Aufnahme in die Vereinten Nationen beantragte.
II. Die Organe
1. Die Generalversammlung
a. Zusammensetzung
Die Generalversammlung besteht gemäss Art.9 UN-Charta aus allen Mitgliedern der
UNO. Jedes Mitglied darf höchstens fünf Vertreter entsenden. Mitglieder sind sowohl
die Gründungsmitglieder wie auch alle später aufgenommenen Staaten. Die
Mitgliedschaft wird wirksam zu dem Zeitpunkt zu dem die Generalversammlung die
Aufnahme gemäss Art.4 (2) UN-Charta beschließt. In der Praxis wird dieser
Beschluss grundsätzlich vor Beginn einer Session vor Annahme der Tagesordnung
getroffen, damit das neuaufgenommene Mitglied an den Beratungen in vollem
Umfang teilnehmen kann.
b. Aufgaben
Die
Generalversammlung
hat
gemäss Art.10
UN-Charta
ein
umfassendes
Erörterungsrecht. Sie kann alle Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der UNO
fallen, diskutieren und diesbezüglich Empfehlungen an die Mitglieder richten. Um
dieses Recht ausüben zu können, steht der GA auch die Befugnis zu, diese
Angelegenheiten
zu
untersuchen.
Dazu
kann
sie
Beobachter
oder
Untersuchungskommissionen entsenden. So hat die Generalversammlung etwa
1946 das United Nations Special Committee on Palestine (UNSCOP) zur
Untersuchung der Verhältnisse in Palästina eingesetzt, 1958 wurde die United
Nations Oberserver Group in Lebanon (UNOGIL) eingesetzt.
Der Aufgabenkreis der UNO ist in Art.1 und 2 definiert, was der GA praktisch das
13
Recht gibt, sich mit allen internationalen Angelegenheiten zu beschäftigen. Die
Grenze sind die inneren Angelegenheiten der Staaten im Sinne von Art.2 Abs. 7 UNCharta.
Bezüglich der Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit enthalten
Art.11 und Art.12 einige Einschränkungen der Zuständigkeit der GA, die sich aus der
vorrangigen Kompetenz des Sicherheitsrat auf diesem Gebiet ergeben. Gemäss
Art.11
hat
die
GA
die
Kompetenz,
die
grundsätzlichen
Prinzipien
der
Zusammenarbeit zur Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der
Sicherheit zu erörtern und diesbezüglich Empfehlungen abzugeben. Insoweit besteht
eine enge Verbindung zu Art.13, wonach die GA Untersuchungen veranlassen kann
und Empfehlungen abgeben kann, um die internationale Zusammenarbeit auf
politischem aber auch auf wirtschaftlichem Gebiet zu fördern.
Gemäss Art.11 kann sich die GA auch mit der Abrüstung und der Rüstungsregelung
befassen. Dazu hat die GA bereits 1946 eine internationale Atomenergiekommission
(AEC) eingesetzt, welche die Herstellung und Verwendung von Atomwaffen
kontrollieren sollte. Wegen der Konflikte der Supermächte stelle diese Kommission
jedoch 1960 ihre Tätigkeit ein. An seine Stelle ist ein Abrüstungskomitee getreten,
welches aus 40 Staaten besteht und sich mit Fragen der Abrüstung auf allen
Gebieten der Waffentechnik beschäftigt. Diese Kommission hat jedoch keine großen
Erfolge erzielt.
Die Abrüstung wurde statt dessen durch die USA und die UdSSR/Russische
Föderation etwa durch die SALT (Strategic Arms Limitation Talks) in den siebziger
Jahren und START (Strategic Arms Reduction Talks) Verträge in den neunziger
Jahren (Start II ist nach der Ratifikation der Russischen Föderation im Jahr 2000 in
kraft getreten) auf dem Gebiet strategischer Waffen und durch den INF Vertrag
(Treaty on the Elemination of the Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles)
aus dem Jahr 1987 auf dem Gebiet von Mittelstreckenwaffen in Europa
vorangetrieben.
Gemäss Art.11 (2) kann die GA jede die Wahrung des Friedens und der Sicherheit
betreffende Frage diskutieren, die ihr ein Mitglied der UNO oder der SR vorlegt. Sie
kann zu diesen Fragen Empfehlungen an die Mitglieder oder den SR richten. Die
Resolutionen der GA sind also nicht verbindlich. Die GA kann gemäss Art.11 (3)
auch den SR mit Angelegenheiten des Friedens befassen, wenn sie der Auffassung
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ist, dass dieser ggf. rechtlich verbindliche Maßnahmen zur Friedenssicherung treffen
sollte. Die Fokussierung auf die Friedenssicherung schränkt gemäss Art.11 (4) die
allgemeinen Kompetenzen der GA gemäss Art.10 nicht ein.
Wohl aber enthält Art.12 UN-Charta eine solche Beschränkung. Solange nämlich der
SR sich mit einer Angelegenheit beschäftigt, die in seine Zuständigkeit fällt, darf
diese nicht in der GA diskutiert werden. Dies zeigt die Vorrangstellung des SR im
System der Friedenssicherung durch die UNO, was auch durch Art.24 (1) bestätigt
wird, der dem SR die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens zuweist.
Der SR hat also das Recht jede Angelegenheit, die in seine Kompetenzen fällt, an
sich zu ziehen und damit von der Tagesordnung der GA zu setzen. Nur wenn er dies
nicht tut oder gemäss Art.11 (2) die Angelegenheit an die GA zurückverweist, darf
diese sich wieder damit befassen. Damit diese Nachrangigkeit der GA gegenüber
dem SR in der Praxis gewahrt wird, informiert der Generalsekretär die GA gemäss
Art.12 (2) über alle Angelegenheiten, die der SR zur Zeit behandelt.
Schließlich steht der GA gemäss Art.17 das Haushaltsrecht zu. Dies gilt nicht nur für
die UNO selbst. Die GA prüft und genehmigt gemäss Art.17 (3) auch den Haushalt
aller Sonderorganisationen, die gemäss Art.57 und Art.63 in Beziehung zur UNO
stehen.
c. Verbindlichkeit der Entscheidungen
Die Beschlüsse der GA werden in die Form von Resolutionen, Deklarationen oder
Entscheidungen gekleidet. Da es sich nur um Empfehlungen handelt, sind diese
Akte
rechtlich
unverbindlich.
Dies
ergibt
sich
auch
eindeutig
aus
der
Entstehungsgeschichte. In San Francisco ist der Vorschlag gemacht worden, der GA
die Kompetenz zu geben, verbindliche Rechtsregeln für die Mitgliedstaaten zu
schaffen. Dieser Vorschlag ist jedoch ausdrücklich verworfen worden.
Verbindlichkeit können Empfehlungen der GA als authentische Interpretation der
UN-Charta durch die Mitgliedstaaten erhalten oder wenn die Resolution als Vertrag
der Mitgliedstaaten untereinander gedeutet werden kann. Eine authentische
Interpretation ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn grundsätzlich alle Mitglieder
zustimmen. Dafür genügt allerdings auch eine Entscheidung im Konsensusverfahren.
Außerdem muss die Resolution mit dem Willen gefasst worden sein, eine rechtlich
15
verbindliche Interpretation der Charta vorzunehmen.
Dies gilt etwa für die friendly relations declaration (GA Res 2625 vom 24.10.1970
und für die definition of aggression (GA Res 3314 vom 14.12.1974), in denen die
Mitgliedstaten in der Form einer Resolution der Generalsversammlung zentrale
Prinzipien der UN-Charta, wie das Gewaltverbot, das Interventionsverbot, das
Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Prinzip der souveränen Gleichheit näher
umschreiben. Dies ist eine verbindliche nachfolgende Praxis gemäß Art. 31 Abs. 3 lit.
b Wiener Vertragsrechtskonvention, die für die Anwendung der Charta durch die
Organe der Vereinten Nationen verbindlich ist.
Als Vertrag kann eine Resolution nur gedeutet werden, falls der Wille zu
Vertragsverhandlungen und zum Vertragsschluss erkennbar ist. Probleme macht hier
meist der Rechtsbindungswille. Resolutionen der GA können jedoch zur Vorbereitung
von Verträgen Bedeutung erlangen. So ist die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte (GA/Res217 III/1948) in die beiden UN-Pakte über bürgerliche und
politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem
Jahr 1966 eingegangen.
Eine wichtige Aufgabe bei der Schaffung von Völkervertragsrecht hat auch die
International Law Commission (ILC). Die ILC ist ein Unterorgan der UNGeneralversammlung. Ihr gehören 34 unabhängige Völkerrechtler an. Die ILC
erstattet Berichte über den Bestand des geltenden Gewohnheitsrechts. Die ILC
verfasst dann auf der Grundlage ihrer Berichte Entwürfe über die Kodifizierung von
Gewohnheitsrecht.
Diese
haben
etwa
zum
Abschluss
der
Wiener
Vertragsrechtskonvention, dem Wiener Diplomaten- und Konsularrecht und zur UN
Seerechtskonvention geführt.
d. Abstimmungsregeln in der Generalversammlung
Die Abstimmung in der GA erfolgt gemäss Art.18 (1) nach dem Prinzip one state
one vote. In wichtigen Angelegenheiten, die in Art.18 (2) im einzelnen aufgeführt
sind, bedürfen Beschlüsse der Mehrheit von Zwei-Dritteln der anwesenden und
abstimmenden Mitglieder, relative qualifizierte Mehrheit. Im übrigen kommen gemäss
Art.18
(3) Beschlüsse
mit der einfachen
abstimmenden Mitglieder zustande.
Mehrheit der anwesenden und
16
Hat ein Mitglied seine Beiträge für die letzten zwei Jahr nicht bezahlt, verliert es sein
Beschlussrecht.
II. Der Sicherheitsrat
1. Zusammensetzung
Der Sicherheitsrat besteht aus fünfzehn Mitglieder. Fünf davon sind ständige
Mitglieder. Dies sind China, Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten
Staaten von Amerika und die russische Föderation. Die Bestimmung über die
ständigen Mitglieder ist die Frucht des Zweiten Weltkrieges. Es sind dies zum einen
die sogenannten großen Drei, also das UK, die USA und die UdSSR, welche seit der
Atlantikcharta 1941 die Hauptlast des Krieges trugen. Hinzu kam auf der Moskauer
Konferenz vom Oktober 1943 China und schließlich Frankreich, das 1945 in Potsdam
in den Kreis der Hauptsiegermächte und damit auch in den Kreis der in besonderer
Weise für die UNO verantwortlichen Mächte aufgenommen wurde. Dies drückt sich
auch in Art.106 aus.
Die Mitgliedschaft der Republik China war seit 1946 insoweit umstritten, als zwei
Regierungen das Vertretungsrecht für sich in Anspruch nahmen. Das sogenannte
Kuomintang Regime unter Chiang kai Tchek, das nach dem Sturz des Kaisers
(1912) nach inneren Unruhen 1927 endgültig die Herrschaftsgewalt übernommen
hatte, musste 1949 das chinesische Festland verlassen und übte von da an nur noch
Herrschaftsgewalt über Taiwan aus. Es nahm für sich jedoch weiter in Anspruch, für
China als Ganzes zu sprechen. Dies wurde von den Westmächten auch bis 1971
akzeptiert. Dagegen vertraten die UdSSR und ihre Verbündeten seit 1949 den
Standpunkt, dass China von dem auf dem Festland an die Macht gekommenen
kommunistischen Regime unter Mao tse Tung vertreten werden müsse. Zur
Durchsetzung ihres Standpunkts verfolgte die UdSSR im Jahr 1950 im SR die Politik
des leeren Stuhls, die es jedoch wegen der Korea Krise nicht durchhalten konnte.
Nach dem Bruch zwischen der UdSSR und der Volksrepublik China in den späten
fünfziger Jahren und der Annäherung an die USA Anfang der siebziger Jahre
beschloss die GA am 25.10 1951 in der GA/Res 2758 (XXVI), das China nunmehr
von dem kommunistischen Regime vertreten werde. Taiwan zog unter Protest aus
dem SR aus. Wichtig ist, dass es dabei nicht um eine Wechsel in der Mitgliedschaft
17
sondern nur um die Frage ging, welche Regierung das nach wie vor als ungeteilt
behandelte China vertreten dürfe.
Problematisch ist auch die Mitgliedschaft von Russland im SR. Ursprünglich war dies
die UdSSR, die jedoch 1991 in viele Einzelstaaten zerfiel. Russland, Weißrussland
und die Ukraine begründen in Minsk die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS),
auf dem Gipfel in Alma Ata am 21.12.1991 schließen sich Aserbaidschan, Armenien,
Kasachstan, Kirgistan, Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, und Usbekistan an
(Georgien tritt der GUS im Oktober 1993 bei). Im Innenverhältnis dieser Staaten
untereinander wird eine Auflösung der UdSSR verbunden mit der Gründung neuer
Staaten angenommen. Dies hätte an sich den Verlust der Mitgliedschaft verbunden
mit einem Neuaufnahmeantrag aller Staaten einschließlich der Russischen
Föderation nach sich gezogen. Russland hat jedoch gegenüber allen Staaten und
der UNO erklärt, dass es der Fortsetzerstaat der UdSSR sei und damit alle Rechte
und Pflichten auch bzgl. des ständigen Sitzes im SR wahrnehme. Dies wurde von der
UNO kommentarlos zur Kenntnis genommen.
Daneben treten zehn nichtständige Mitglieder. Ursprünglich waren es nur sechs.
Nachdem durch die Entkolonialisierung die Zahl der Mitglieder in den fünfziger
Jahren drastisch anstieg, wurde die Erhöhung jedoch 1965 beschlossen. Die
nichtständigen Mitglieder werden von der GA für zwei Jahr gewählt. Dabei sollen
gemäss Art.23 (1) der Beitrag der Staaten für den Frieden und eine angemessene
geographische Verteilung eine Rolle spielen. In der Praxis wird jedoch nur der zweite
Aspekt berücksichtigt. Gemäss einer Resolution der GA von 1963 sollen drei
Mitglieder aus Afrika, zwei aus Asien, zwei aus Lateinamerika, zwei aus Westeuropa
und anderen Staaten (Australien, Kanada, Israel, Neuseeland und Südafrika) und
eines aus Mittel- und Osteuropa kommen.
Seit den sechziger Jahren gibt es eine ständige Reformdiskussion um die
Zusammensetzung des SR. Die Staaten Afrikas und Asiens verlangen eine
Aufstockung auf 16 nichtständige Mitglieder mit einem höheren Kontingent aus
diesen Kontinenten. Begründet wird dies damit, dass 1963 die UNO nur 50 Mitglieder
hatte, während dies heute 191 sind, wobei der Anstieg vor allem aus diesen
Regionen herrührt. Außerdem drängen Deutschland und Japan auf eine ständige
Mitgliedschaft. Durch beides würde jedoch die Balance zwischen den ständigen und
den nichtständigen Mitgliedern im Rat entscheidend verändert, zur Zeit müssen einer
18
Resolution gemäss Art.27 (3) alle ständigen und vier nichtständige Mitglieder
zustimmen. Nach der Reform müssten neun nichtständige Mitglieder zustimmen.
Deshalb sträuben sich die ständigen Mitglieder bisher gegen alle Reformversuche.
2. Aufgaben
Dem Sicherheitsrat obliegt gemäss Art.24 (1) UN-Charta die Hauptverantwortung für
die Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit. Damit genießt der
Sicherheitsrat auf dem Gebiet der Friedenssicherung eine Vorrangstellung vor allen
anderen UN-Organen. Das heißt, er kann jede friedensrelevante Angelegenheit an
sich ziehen, unabhängig davon, ob ein anderes Organ zuvor mit ihr befasst war oder
nicht. Im Verhältnis zum Internationalen Gerichtshof ist jedoch weniger von einem
Vorrangverhältnis als vielmehr von einem Nebeneinander verschiedener Aufgaben
beider Organe auszugehen. Während der SR als politisch orientiertes Organ
Friedenssicherung durch praktische Maßnahmen betreibt, ist es die Aufgabe des IGH
streng am Maßstab des geltenden Völkerrechts rechtliche Streitigkeiten zu
entscheiden. Dabei ist der IGH durch eine vorherige Befassung durch den SR nicht
daran gehindert im Rahmen seiner Kompetenzen einen Fall zu entscheiden und er
ist dabei auch nicht an die Rechtsauffassung des SR gebunden.
Art.24 (2) beschreibt mit dem Verweis auf Kapitel VI, VII, VIII und XII die
Kompetenzen, die dem Rat im einzelnen zur Friedenssicherung eingeräumt sind.
Dabei ist diese Aufzählung jedoch nicht abschließend. So steht dem SR etwa nach
Art.26 im Rahmen von Kapitel V das Recht zu, Pläne auszuarbeiten, um eine
allgemeine Rüstungsregelung durch die Mitglieder zu befördern. Im Rahmen von
Kapitel IX hat er nach Art.94 (2) die Kompetenz, Entscheidungen des IGH im Falle
der Nichtbefolgung mit Zwangsmassnahmen durchzusetzen.
3. Das Recht zur authentischen Interpretation der Charta
Art.24 (2) bindet den SR mit der Wendung „im Einklang mit den Zielen und
Grundsätzen der Vereinten Nationen“ materiellrechtlich an die UN-Charta. Eine
vergleichbare Formulierung enthält Art.25, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die
Beschlüsse des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und
19
durchzuführen. Diese rechtliche Bindung lässt es fraglich erscheinen, ob dem Rat
damit zugleich neben oder anstelle der Mitgliedstaaten ein Recht zur authentischen
Interpretation der Charta übertragen worden ist. Dieses Ergebnis klingt in dem von
ROBERT LILLICH geprägten Satz an: "The international community is bound by the UN
Charter, but the Charter is what (in this case) the Security Council says it is".
Der Wortlaut von Art. 24 UN-Charta sowie die Entstehungsgeschichte der Charta
machen aber deutlich, dass die Kompetenzen des Sicherheitsrats nicht so weit
reichen. Die Wendung im Einklang mit der Charta ist bereits in San Fancisco als
eine materiellrechtliche Bindung des SR verstanden worden. Dies ergibt sich aus
dem
"Summary
Report
of
Thirteeth
Meeting
of
Committee
III/"
der
Gründungskonferenz in San Francisco. Dort wird über einen Ergänzungsantrag
Norwegens berichtet, der zum Ziel hat, die Befugnisse des Sicherheitsrats bei der
Friedenswahrung inhaltlich zu beschränken. Dieser Antrag findet zwar keine
Mehrheit unter den Konferenzteilnehmern. Der Vertreter der Vereinigten Staaten
räumt aber ein:
"Furthermore, the Charter had to be considered in its entirety and if the Security
Council violated its principles and purposes it would be acting ultra vires."
Ein ultra vires-Handeln ist aber nur dann denkbar, wenn der Rat nicht kraft eigener
Befugnis den Inhalt der Charta durch authentische Interpretation selbst festlegen
kann. Er ist vielmehr materiellrechtlich an die "purposes and principles" der Charta,
so wie sie von den Staaten als den Herren der Verträge interpretiert werden,
gebunden.
Wegen
des
inneren
Zusammenhangs
mit
den
Aufgaben
des
Sicherheitsrats gemäß Art. 24 UN-Charta muss auch die in Art. 25 UN-Charta
enthaltene Wendung: "in accordance with the present Charter" so verstanden
werden, dass die Mitgliedstaaten nur zur Befolgung solcher Resolutionen verpflichtet
sind, die materiell im Einklang mit der Charta stehen.
Dies bestätigt auch der "Report of the Rapporteur of Committee IV/". In diesem
Bericht, der sich unter Punkt 7 mit der Interpretation der Charta auseinandersetzt
heißt es:
"It is understood, of course, that if an interpretation made by any organ of the Organization or by a committee of jurists is not generally acceptable it is without binding
force. In such circumstances, or in cases where it is desired to establish an authorita-
20
tive interpretation as a precedent for the future, it may be necessary to embody the
interpretation in an amendment to the Charter."
Der Rat als Organ der Vereinten Nationen ist also bei seiner Auslegung der Charta
an den Konsens der Vertragsparteien gebunden. Findet er deren Zustimmung nicht,
so betreibt er Vertragsänderung, die grundsätzlich nur durch Vertragsergänzung
sanktioniert werden kann, die ihrerseits in den Händen der Vertragsparteien liegt.
Weicht der Rat in seiner Anwendung der Charta vom Willen der Vertragsparteien ab,
dann handelt er deshalb ultra vires. Seine Beschlüsse sind in diesem Fall
materiellrechtlich unwirksam, sie werden als von Anfang an null und nichtig
behandelt.
Allerdings gibt es nach der Charta kein Verfahren, in dem die Nichtigkeit von den
betroffenen Staaten geltend gemacht werden kann. W ENGLER misst deshalb den
Feststellungen des Sicherheitsrats vergleichbar einer nicht mehr mit Rechtsmitteln
angreifbaren Entscheidung eines internationalen Gerichts Rechtskraft zu. Beschränkt
man den oben zitierten Satz von LILLICH auf dieses Problem, so vertritt auch er die
Auffassung, dass der Rat verfahrensrechtlich die Herrschaft über die Interpretation
der einschlägigen Vorschriften der Charta hat, weil die Entscheidung, ob seine
eigenen Beschlüsse ultra vires sind oder nicht, wegen Art. 24 und 25 UN-Charta
alleine bei ihm liegt.
Dagegen ist SCHILLING der Meinung, dass jeder von einer Maßnahme des Rates
betroffene Staat befugt sei, deren Rechtmäßigkeit zu prüfen und, falls er sie für
nichtig hält, nicht zu beachten. SCHILLING beruft sich auf die "allgemeinen
völkerrechtlichen Grundsätze" und verweist damit auf eine rechtliche Ebene
außerhalb der Charta. Er geht dabei davon aus, dass der Konflikt zwischen Rat und
Mitgliedstaat wie ein Konflikt zwischen zwei Staaten um die Auslegung eines
zwischen ihnen geschlossenen Vertrags zu behandeln ist. Für solche Konflikte gibt
es keine verbindlichen verfahrensrechtlichen Regeln der Streitbeilegung, so dass
jeder
Vertragspartner
seinen
Rechtsstandpunkt
vertreten
kann,
ohne
an
Entscheidungen Dritter gebunden zu sein.
Für das Verhältnis der Mitgliedstaaten zum Sicherheitsrat gilt dies jedoch wegen
Art. 24 und 25 UN-Charta nicht. Dies belegt die Entstehungsgeschichte der Charta.
Wegen der Bedeutung des Interventionsverbots als Schranke der Kompetenzen der
Organe der Vereinten Nationen macht Griechenland auf der Konferenz von San
21
Francisco den Vorschlag, Streitigkeiten über die Anwendung dieser Vorschrift auf
Antrag
einer
Partei
der
verbindlichen
Gerichtsbarkeit
des
Internationalen
Gerichtshofs zu unterwerfen. In dem Antrag heißt es:
"It should be left to the International Court of Justice at the request of a party to decide whether or not such situation or dispute arises out of matters that under international law, fall within the domestic jurisdiction of the State concerned."
Dieser Antrag muss vor dem Hintergrund des durch Art. 24 und 25 UN-Charta dem
Rat eingeräumten Anwendungsmonopols mit Verbindlichkeitsanspruch gesehen
werden. Er stellt den Versuch dar, die von den Bindungen an die Vereinten Nationen
freibleibenden
Sphären
staatlicher
Beliebigkeit
vor
dem
verfahrensrechtlich
unkontrollierten Zugriff des Sicherheitsrats zu schützen.
In San Francisco setzt sich aber die Auffassung der Großmächte durch, dass der Rat
in dieser Frage keiner Kontrolle unterliegen soll. Der amerikanische Delegierte
DULLES vergleicht das Verhältnis des Sicherheitsrats zu den Mitgliedstaaten insoweit
mit dem Verhältnis zwischen der amerikanischen Bundesregierung und den
Bundesstaaten.
In
einem
solchen
bundesstaatlichen
Verhältnis
liegt
die
verfahrensrechtliche Herrschaft zur Bestimmung von Umfang und Grenzen der
Bundeskompetenzen bei der Zentralgewalt. Übertragen auf die Charta bedeutet dies,
dass der Satzungsgeber in voller Kenntnis des Problems die Verfahrensherrschaft
auf den Rat übertragen hat. Der materiellrechtlichen Bindung des Rates an die
Charta korrespondiert also kein Recht der Staaten, diese Bindungen im Rahmen der
Charta geltend zu machen. Dies deutet auch der Internationale Gerichtshof in seinem
Gutachten betreffend "Certain Expenses of the United Nations" (ICJ-Reports 1962,
S.151 (168) an, wo er sagt: "Therefore, each organ must, in the first place, determine
its own jurisdiction."
Wenn allerdings der Sicherheitsrat beharrlich und schwerwiegend die Grenzen seiner
Kompetenzen aus der Charta überschreitet, dann hat jedes davon betroffene Mitglied
das Recht zum Austritt aus der UNO. Da ein solches Austrittsrecht nicht in der
Charta vorgesehen ist, wird es in der Literatur zwar häufig vor allem mit dem Hinweis
auf die angestrebte Universalität der UNO abgelehnt. Wie die Entstehungsgeschichte
der Charta zeigt, sollte jedoch eine Kündigung entsprechend der clausula rebus sic
stantibus-Regel auf jeden Fall möglich sein. Die in San Francisco als zur Kündigung
berechtigende exceptional circumstances bezeichneten Umstände sollten etwa
22
dann der vorliegen, wenn
(1)
die
Charta
mit
der
erforderlichen
Zwei-Drittel-Mehrheit
in
der
Generalversammlung gemäß Art.108 UN-Charta gegen den Willen des Austretenden
geändert wurde, wenn
(2) die Organisation sich nach Auffassung des Betroffenen als unfähig erweist, den
Frieden und die Sicherheit zu wahren und wenn
(3) der Sicherheitsrat ein Mitglied mit Sanktionsmaßnahmen überzieht, die dieses
Mitglied für ultra vires hält.
5. Die Bindungswirkung der Entscheidungen
Die in Art.25 angesprochene Bindungswirkung ist zudem nur deklaratorischer Natur.
Resolutionen gemäss Kapitel VI UN-Charta, die ausweislich des Wortlauts und der
Entstehungsgeschichte rechtlich unverbindlich sein sollen, werden nicht über Art.25
UN-Charta verbindlich. Für die Zwangsmassnahmen gemäss Kapitel VII gilt deshalb
etwas anderes, weil Art.48 UN-Charta im Rahmen dieses Kapitels dies so regelt.
6. Die Abstimmung
Gemäss Art.27 Abs.1 hat jedes Mitglied im SR eine Stimme. Es gilt also auch hier
grundsätzlich der Satz one state one vote. Beschlüsse in Verfahrensfragen bedürfen
gemäss Art.27 (2) einer zwei Drittel Mehrheit von neun Mitgliedern im Rat. Damit
haben zwar die fünf ständigen Mitglieder zusammen zahlenmäßig die Majorität, sie
können jedoch einzeln eine Entscheidung in solchen Fragen nicht blockieren. Zu den
Verfahrensfragen gehören alle in den Art.28 bis 32 genannten Aufgaben, also die
Vorkehrungen zur ständigen Wahrnehmung der Aufgaben des Rates (Art.28), die
Bildung von Nebenorganen (Art.29), die Geschäftsordnung (Art.30 und die
Regelungen über die Teilnahme an Sitzungen des Rates (Art.31 und 32). Ist unter
den Mitgliedern im Rat streitig, ob es sich bei einer Angelegenheit um eine
Verfahrensfrage handelt oder nicht, so greift Art.27 (3) ein.
Gemäß
Art. 27
(3)
UN-Charta
a.
F.
bedürfen
alle
Entscheidungen
des
Sicherheitsrates, die nicht Verfahrensfragen betreffen, der Zustimmung von neun
23
Mitgliedern einschließlich des "concurring vote of the permanent members". Der
Wortlaut von Art. 27 (3) UN-Charta spricht auf den ersten Blick dafür, dass eine
Resolution nur dann zustande kommt, wenn alle fünf ständigen Mitglieder
zustimmen. Diese Deutung entspricht auch der Entstehungsgeschichte der
Vorschrift. Zu der in Jalta gefundenen Abstimmungsformel erklären die späteren
ständigen Mitglieder in einer gemeinsamen Erklärung in San Francisco, dass
angesichts der vorrangigen Verantwortung der ständigen Mitglieder für den
internationalen Frieden und die Sicherheit nicht erwartet werden könne, dass in einer
so ernsten Angelegenheit wie der Aufrechterhaltung des internationalen Friedens
und der Sicherheit die Verpflichtung zur Befolgung einer Entscheidung vorausgesetzt
werden könne, wenn diese nicht übereinstimmten.
Die hervorgehobene Bedeutung einer gemeinsamen Haltung der ständigen
Mitglieder für das System der Friedenssicherung der Charta wird auch in Art. 106
UN-Charta deutlich. Nach dieser Vorschrift, die als Übergangsregelung bis zum
Inkrafttreten von Sonderabkommen nach Art. 43 UN-Charta gilt, können die
ständigen Mitglieder, wenn sie sich einig sind, anstelle des Sicherheitsrates
Maßnahmen durchführen, die sie für notwendig halten, um den internationalen
Frieden und die Sicherheit aufrechtzuerhalten.
In der Praxis des Sicherheitsrates hat sich jedoch von Anfang an eine großzügigere
Handhabung von Art. 27 (3) UN-Charta durchgesetzt. Bereits im Jahr 1950 zur Zeit
des Koreakrieges, in dem als einzigem Konflikt die Interpretation von Art.27 (3)
wirklich umstritten war, zählte man mindestens neunundzwanzig Fälle, in denen
Resolutionen als wirksam zustande gekommen behandelt wurden, obwohl ein
ständiges Mitglied sich der Stimme enthalten hatte.
Nimmt ein betroffenes ständiges Mitglied eine Resolution hin, so liegt zumindest kein
ausdrückliches Veto vor. Zudem kann man die Zustimmung für den Fall, dass ein
ständiges Mitglied nicht anwesend ist, auch dahingehend deuten, dass das
betroffene Mitglied auf das Erfordernis der Anwesenheit aller ständigen Mitglieder
verzichtet. Dafür spricht auch, dass Art. 27 UN-Charta über die Regel, dass
mindestens neun Mitglieder des Rates für einen Antrag gestimmt haben müssen,
hinaus keine Regeln über ein Mindestquorum für die Beschlussfassung im
Sicherheitsrat enthält.
Im Korea-Konflikt hatte die Sowjetunion, die wegen des Dissenses über die
24
Vertretung Chinas im Rat nicht anwesend war, jedoch gegen das Zustandekommen
der Resolutionen 83 und 84 (1950) ausdrücklich protestiert. In einem solchen Fall
kann eine Zustimmung zum Verfahren nicht unterstellt werden. Hier liegt es vielmehr
näher, die Abwesenheit wie ein Veto zu behandeln. Fraglich ist nur, ob dieses Veto
beachtlich ist. Eine Auffassung verneint dies, indem sie auf Art. 28 (1) UN-Charta
verweist. Nach dieser Vorschrift ist der Sicherheitsrat so zu organisieren, dass er
seine Aufgaben ständig wahrnehmen kann. Deshalb ist jedes seiner Mitglieder
gehalten, am Sitz der Organisation vertreten zu sein. Zweck der Vorschrift ist es zu
erreichen, dass durch eine Politik des leeren Stuhls der Sicherheitsrat nicht
handlungsunfähig gemacht werden kann. Ist ein Mitglied nicht anwesend, verstößt
es, die Fälle einer unverschuldeten Abwesenheit einmal ausgeklammert, gegen
seine Präsenzpflicht.
Ein solcher Verstoß soll dazu führen, dass das abwesende ständige Mitglied nicht die
Rechte ausüben darf, die ihm zugestanden hätten, wenn es anwesend gewesen
wäre. Seine Abwesenheit wird also als Nichtausübung des Stimmrechts und damit
wie eine Stimmenthaltung behandelt. Eine nachträgliche Ausübung des Stimmrechts
soll ausgeschlossen sein. Nach dieser Auffassung kann eine Resolution bei
Abwesenheit eines ständigen Mitglieds gemäß der anerkannten Praxis über die
Stimmenthaltung zustande kommen.
Die Gegenansicht hält diese Auslegung für nicht mehr mit dem Wortlaut des Art. 27
(3) UN-Charta vereinbar. Sie leitet aus dem Erfordernis des "concurring vote" ab,
dass eine Resolution nur dann zustande kommen kann, wenn ein abwesendes
ständiges Mitglied zumindest im nachhinein die ergangene Entscheidung billigt,
wobei es aber genügen soll, dass dieses Mitglied nicht ausdrücklich gegen die
Rechtsgültigkeit der Resolution protestiert. Die Haltung der Sowjetunion zu den
Resolutionen bezüglich Korea muss sie jedoch als beachtliches Veto bewerten.
Die Behandlung der Koreakrise im Sicherheitsrat, die zugleich den einzig wichtigen
Fall für dieses Problem darstellt, vermag keinen Aufschluss über die Lösung dieses
Problems zu geben. Eine aussagefähige Praxis des Sicherheitsrates zu der Frage,
ob eine Resolution den Verfahrensvorschriften der Charta entspricht, kann nur dann
entstehen, wenn der Meinungsstreit für diese Verfahrensfrage rechtlich irrelevant ist.
Weil man aber im vorliegenden Fall auf der Grundlage der abweichenden Meinung
der Sowjetunion zu einem anderen Ergebnis kommen muss, ist eine solche Praxis
25
nicht entstanden. Die formale Rechtmäßigkeit der Resolutionen 83 und 84 (1950)
muss deshalb als nicht endgültig geklärt angesehen werden.
III. Der Wirtschafts- und Sozialrat
1. Zusammensetzung
Der Wirtschafts- und Sozialrat besteht gemäss Art.61 aus vierundfünfzig von der
Generalversammlung gewählten Mitgliedern. Die Wahl erfolgt entsprechend dem
Prinzip der gleichmäßigen geographischen Verteilung. Vierzehn Mitglieder kommen
aus Afrika, elf aus Asien, zehn aus Lateinamerika, dreizehn aus Westeuropa und
verwandten Staaten und sechs aus Mittel- und Osteuropa.
2. Aufgaben
Der ECOSOC ist im Wesentlichen ein Organ zur Lenkung, Überwachung und
Koordination. Er kann im Rahmen seines weit gespannten Aufgabenkreises
Untersuchungen durchführen, Berichte abgeben und Empfehlungen an die GA oder
an Mitgliedstaaten abgeben. Verbindliche Beschlüsse kann er jedoch nicht treffen.
Die wesentlichen Aufgaben des ECOSOC liegen gemäss Art.62 auf den Gebieten:
Menschenrechte, wirtschaftliche Entwicklung, Kultur, Erziehung und Gesundheit. Die
Befassung mit Menschenrechtsfragen ergibt sich unmittelbar aus dem UN-Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem Jahr 1966. Dieser sieht in den
Art.16 ff. vor, dass die Mitglieder regelmäßig Berichte an den ECOSOC schicken, die
diesen befähigen, über die Achtung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten und
deren Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte sich ein Bild zu verschaffen.
Der ECSOC seinerseits kann über das Ergebnis seiner Untersuchungen der GA
berichten und dabei Empfehlungen abgeben.
Um die vielfältigen Aufgaben auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes zu
koordinieren hat der ECOSOC 1970 in der Resolution 1503 (XLVIII) eine
Kommission eingesetzt, an welche Berichte über Menschenrechtsverletzungen
gerichtet werden können. Zu dieser Kommission können insbesondere auch sog non
governmental organisations (NGO´s) wie Amnesty International u.a. Berichte senden
26
und auch mündlich Stellungnahmen abgeben. Auch nach diesem Verfahren kann der
ECOSOC nach Feststellung einer Menschenrechtsverletzung lediglich seinerseits
der GA berichten und Empfehlungen abgeben. Rechtlich verbindlich sind diese
Empfehlungen nicht.
Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit des ECOSOC liegt auf dem Gebiet der
wirtschaftlichen Entwicklung. Dabei steht insbesondere die Betätigung großer
multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern in Vordergrund des Interesses.
Hierzu hat der ECOSOC 1975 eine Kommission für transnationale Unternehmen
eingesetzt, welche einen Verhaltenskodex für solche Unternehmen erarbeitet hat.
Auch im Umweltschutz ist der ECOSOC aktiv, der das United Nations Environmental
Program koordiniert.
Schließlich
schließt
der
ECOSOC
gemäss
Art.63
Abkommen
mit
den
Sonderorganisationen der UNO auf den Gebieten Wirtschaft, Kultur, Erziehung,
Gesundheit und andere verwandte Gebiete.
3. Die Abstimmung
Jedes Mitglied des Wirtschafts- und Sozialrats hat gemäss Art.67 (1) eine Stimme.
Beschlüsse bedürfen gemäss Art.67 (2) der Mehrheit aller anwesenden und
abstimmenden Mitglieder.
IV. Der Generalsekretär
1. Wahl
Der Generalsekretär steht der Verwaltung der UNO vor. Er wird gemäss Art.97 S.2
i.V.m. Art.18 Abs.3 von der Generalversammlung auf Empfehlung des SR gewählt.
Dabei hat im SR jedes ständige Mitglied gemäss Art.27 (3) ein Veto-Recht. Auf der
Grundlage eines Beschlusses der GA aus dem Jahr 1946 beträgt die Amtszeit fünf
Jahre mit der Möglichkeit zur Wiederwahl.
27
2. Aufgaben
Der Generalsekretär leitet das Personal der UN-Verwaltung (ca. 9.000 Bedienstete).
Dabei spielen bei der Einstellung des Personals zum einen Leistungsgesichtspunkte
und zum anderen eine angemessene geographische Verteilung eine Rolle, die zu
dem ersten Kriterium häufig kontraproduktiv ist. Der Generalsekretär und seine
Mitarbeiter sind internationale Beamte, d.h. sie sind den Mitgliedstaaten gegenüber
nicht an Weisungen gebunden (Art.100) und genießen in den Mitgliedstaaten
Immunität und alle sonst zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Vorrechte
(Art.105 Abs.2).
Der Generalsekretär ist gemäß Art.98 bei allen Sitzungen der anderen Organe
anwesend und nimmt alle ihm von diesen Organen zugewiesenen Aufgaben wahr.
Der Generalsekretär erstattet gemäss Art.98 S.2 jährlich der GA Bericht über die
Tätigkeit der Organisation. Gemäss Art.99 hat der GS das Recht, den Sicherheitsrat
auf jede nach seinem Dafürhalten friedensgefährdende Lage hinzuweisen. Von
dieser Kompetenz haben insbesondere die GS Dag Hammarskjöld (1953-61) und
Boutros Ghali (1992-96) regen Gebrauch gemacht, was auch zu Konflikten mit dem
SR geführt hat. Gemäss Art.102 registriert und veröffentlicht der GS alle von den
Mitgliedstaaten abgeschlossenen Verträge.
V. Der Internationale Gerichtshof
1. Zusammensetzung des Gerichts
Der IGH besteht gemäß Art.2 und 3 des Statuts aus 15 unabhängigen Richtern, die
alle aus anderen Staaten stammen müssen und die entweder die Voraussetzungen
für die höchsten Richterämter in einem Staat erfüllen oder anerkannte Lehrer des
Völkerrechts sind. Gemäß Art.9 soll sich das Gericht aus Angehörigen der
wichtigsten Kultur- und Rechtskreise zusammensetzen. Zur Auswahl der Richter
kann die Liste des ständigen Schiedsgerichtshofs im Haag herangezogen werden.
Die Wahl erfolgt gemäß Art.10 durch Generalversammlung und Sicherheitsrat, wobei
die ständigen Mitglieder gemäss Art.10 (2) kein Vorzugsrecht haben. Die Richter
werden gemäß Art.13 auf neun Jahre gewählt, wobei alle drei Jahre fünf Richter neu
gewählt werden. Üblicherweise tagt der IGH im Plenum. Er hat aber gemäß Art.26
auch die Möglichkeit, Kammern von drei oder mehr Richtern zu bilden.
28
2. Zuständigkeit
Der IGH ist gemäß Art.92 UN-Charta das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten
Nationen. Alle Mitglieder der Vereinten Nationen sind gemäß Art.93 (1) UN-Charta
Parteien des Statuts über den IGH. Das heißt, alle Mitgliedstaaten können sich des
IGH zur Beilegung ihrer Streitigkeiten bedienen. Nichtmitglieder können ebenfalls
Partei des Statuts werden, allerdings nur dann, wenn sie gemäß Art.93 (2) die dafür
von der Generalversammlung vorgesehenen Bedingungen akzeptieren. Gemäß
Art.34(1) IGH-Statut kann der IGH allerdings nur von Staaten angerufen werden.
Dabei verpflichten sich die beteiligten Staaten gemäß Art.94 UN-Charta die
Entscheidungen des IGH in solchen Fällen, in denen sie Partei sind, zu befolgen.
Wird eine Urteilsspruch des IGH von einer Partei nicht befolgt, kann die andere
Partei gemäß Art.94 (2) UN-Charta den Sicherheitsrat anrufen, der ggf. sogar
Sanktionen zur Durchsetzung der Entscheidung anordnen kann. Die Zuständigkeit
des IGH ist gemäß Art.36 IGH-Statut gegeben, für
-
jede Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages,
-
jede Frage des Völkerrechts,
-
das Bestehen einer Tatsache, die wäre sie bewiesen, die Verletzung einer
internationalen Verpflichtung darstellte,
-
Art und Umfang der wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung
geschuldeten Wiedergutmachung.
Solche Rechtsstreitigkeiten können jedoch nur dann dem IGH vorgelegt werden,
wenn
-
entweder im konkreten Streitfall eine Einigung dahingehend getroffen wird,
sog. ad-hoc Vereinbarung (Art.36 Abs.1)
-
wenn nach Anrufung des IGH durch eine Partei, die andere Partei sich der
Gerichtsbarkeit des IGH unterwirft, Art.36 Abs.1
-
wenn die Zuständigkeit des IGH für diesen Fall bereits vorher vertraglich
vereinbart worden ist (Art.36 Abs.1). Ein praktisch wichtiger Fall hierfür ist
Art.IX
der
Völkermordkonvention,
der
für
alle
zwischenstaatlichen
Streitigkeiten aus der Konvention die Zuständigkeit des IGH festschreibt.
Problem. So hat etwa
1993 Bosnien-Herzegowina Klage gegen die
Bundesrepublik Jugoslawien wegen Verletzung der Konvention erhoben. Die
29
Zuständigkeit des IGH war in diesem Fall aber nur gegeben, wenn die
Bundesrepublik
Jugoslawien
identisch
ist
mit
der
sozialistischen
Bundesrepublik Jugoslawien war, da nur diese Konventionsmitglied war. Der
IGH hat im Juli 1996 in einer Vorabentscheidung zur Zulässigkeit festgestellt,
dass die Bundesrepublik Jugoslawien sich selbst für identisch hält, was
damals zutreffend war und darauf gestützt die Zulässigkeit bejaht. Zur Zeit
muss er über einen neuen Antrag Jugoslawiens entscheiden, dass, da es
nunmehr die Identitätsthese aufgegeben hat und dies durch Neuaufnahme in
die UNO bestätigt worden ist, die Zuständigkeit des IGH in dieser Sache
verneint.
-
oder wenn sich die Parteien generell der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen
haben (Art.36 Abs.2). Eine solche generelle Unterwerfungserklärung kann
zudem gemäß Art.36 (3) mit Vorbehalten versehen werden, welche bestimmte
Arten von Streitigkeiten ausnehmen, wie etwa der von vielen Staaten erklärte Conally-Vorbehalt, der Streitigkeiten, die wesensmäßig zu den inneren
Angelegenheiten gehören, ausnimmt. Dabei liegt die Entscheidung darüber,
was wesensmäßig zu den inneren Angelegenheiten gehört, allein in der
Zuständigkeit der Staaten. Ein zweiter praktisch wichtiger Vorbehalt ist der
Vandenberg-Vorbehalt, der ebenfalls auf die USA zurückgeht. Er lässt die
Zuständigkeit des IGH bei multilateralen Verträgen nur dann eingreifen, wenn
(1) alle Beteiligten eine entsprechende Unterwerfungserklärung abgegeben
haben oder (2) die USA in solchen Fällen ausdrücklich zustimmen.
Da also im Ergebnis der IGH nur dann zuständig wird, wenn beide Parteien dem
zustimmen, hat er im internationalen Rechtsverkehr bisher nur eine untergeordneten
Bedeutung gehabt. Die Staaten üben nach wie vor große Zurückhaltung in der
Anrufung des IGH, weil sie dann die Verfahrensherrschaft aus der Hand geben und
die Berufung auf einseitig vertretene Rechtsstandpunkte an Wirksamkeit verliert.
3. Nichterscheinen einer Partei
Erscheint eine Partei nicht zum Verfahren, wie im Teheraner Geiselfall (Iran) und im
Nicaragua Case (USA), kann gemäß Art.53 ein Urteil in Abwesenheit ergehen. Dabei
muss der IGH jedoch den vorgetragenen Sachverhalt und die rechtliche
Argumentation auf ihre Schlüssigkeit hin überprüfen.
30
4 Vorsorgliche Maßnahmen
Der IGH kann gemäss Art.41 vorsorgliche Maßnahmen treffen, wenn dies zur
Sicherung der Rechte einer Partei geboten ist. So hat er etwa 1979 auf Antrag der
USA im Teheraner Geiselfall angeordnet, dass der Iran die in der amerikanischen
Botschaft festgehaltenen Geiseln freilassen müsse. Dabei erlässt er solche
einstweiligen Maßnahmen jedoch nur dann, wenn seine Zuständigkeit in der
Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Der Iran hatte an dem Verfahren zwar
nicht teilgenommen, die Zuständigkeit des IGH ergab sich jedoch aus Art.13 der
Diplomatenschutzkonvention. In der Praxis werden einstweilige Maßnahmen des IGH
so
gut
wie
nie
befolgt.
5 Urteil
Das Verfahren endet nach obligatorischer mündlicher Verhandlung mit einem Urteil.
Dabei gibt die Mehrheit der Richter den Ausschlag (Art.55). Abweichende Richter
können ihr Votum gesondert veröffentlichen (Art.57). Diese Sondervoten haben
gelegentlich eine größere Bedeutung für die Fortentwicklung des Völkerrechts als die
Meinung der Mehrheit. Das Urteil wirkt gemäß Art.59 nur inter partes. Es dient jedoch
gemäss Art.38 d) IGH-Statut als Hilfsquelle zur Ermittlung des Inhalts von
Völkerrecht. Ein Rechtsmittel gibt es gemäß Art.60 nicht. Bestehen zwischen den
Parteien Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Entscheidung, kann
der IGH angerufen werden mit dem Antrag, die Entscheidung auszulegen.
6. Gutachten
Neben dieser Streitentscheidung kann der IGH auch von der Generalversammlung
oder vom Sicherheitsrat zur Erstattung von Rechtsgutachten aufgefordert werden.
Dabei ist der IGH nicht zur Erstattung solcher Gutachten verpflichtet, er leistet den
Anträgen jedoch durchweg Folge. Umgekehrt sind die ersuchenden Organe und die
davon betroffenen Staaten nicht an die Empfehlungen des IGH in dem Gutachten
gebunden. Ein berühmtes Gutachten hat der IGH 1950 auf Antrag der
Generalversammlung im Jahr 1950 erstattet. Es betraf den rechtlichen Status von
Südwestafrika (ICJ-Reports 1950, S.127 ff). Südwestafrika wurde gemäß Art. 22 (6)
31
der Satzung des Völkerbundes als sogenanntes C - Mandat im Namen der britischen
Krone durch die südafrikanische Union als Mandatar verwaltet. Fraglich war, ob
dieses Mandat nach dem Untergang des Völkerbundes weiter fortbestand. Der IGH
nahm in seinem Gutachten an, dass dieses Mandat nicht mit einer Beauftragung
nach nationalem Recht, die durch den Fortfall des Auftraggebers automatisch
erlischt, verglichen werden könne. Durch das Mandat sei ein internationales Regime
errichtet worden, das im Interesse der Einwohner des Mandatsgebietes und der
Menschlichkeit ganz allgemein bestehe und das von allen Mitgliedstaaten des
Völkerbundes
einschließlich
des
Mandatars
anerkannt
worden
sei.
Dieser
internationale Status des Mandatsgebiets erzeuge Rechte und Pflichten, die
unabhängig vom Fortbestehen des Völkerbundes seien.
C. Das Verhältnis der UNO zu Nichtmitgliedern
I. Die Praxis der UNO
Der Sicherheitsrat befasst sich nicht nur mit solchen Konflikten, an denen
ausschließlich Mitglieder beteiligt sind, sondern er bezieht auch das Verhalten von
Nichtmitgliedern in seine Aktivitäten mit ein. Im Spanienkonflikt 1946 und in
Grenzkonflikt zwischen Griechenland und seinen nördlichen Nachbarn 1947 wird die
Frage diskutiert, ob die Regeln von Kapitel VII UN-Charta auch auf Nichtmitglieder
anwendbar sind. Im Koreakonflikt 1950 bis 1953 erlässt der Rat dann erstmals
Zwangsmaßnahmen
gegen
ein
Nichtmitglied
(Nordkorea),
was
er
im
Jugoslawienkonflikt ab 1992 wiederholt, wo er die Bundesrepublik Jugoslawien
(Serbien und Montenegro) in Anspruch nimmt, die gemäß einer von ihm selbst
erlassenen Resolution bis zum Jahr 200 nicht Mitglied der UNO war.
Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Rat berechtigt ist, Nichtmitglieder
insoweit
in
Anspruch
zu
nehmen,
als
sie
zur
Beachtung
verbindlicher
Zwangsmaßnahmen gegen dritte Staaten verpflichtet werden. Diese Frage spielt
insbesondere bei wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gestützt auf Art. 41 UNCharta eine Rolle. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 25 i.V.m. Art. 48 (1) UNCharta verpflichtet, diese Embargomaßnahmen zu befolgen, das heißt, sie dürfen in
dem von der jeweiligen Resolution beschriebenen Umfang keinen wirtschaftlichen
32
Kontakt mehr mit dem von der Sanktion betroffenen Staat pflegen.
Im Verhältnis zu Nichtmitgliedern hat die Praxis sich insoweit geändert. In der ersten
Embargoresolution 232 (1966) im Falle Süd-Rhodesiens werden die Staaten noch
rechtlich unverbindlich ersucht, in Einklang mit dieser Resolution zu handeln. Ein
entsprechendes Ersuchen findet sich auch in der Resolution 253 (1968), in der das
gegen Südrhodesien verhängte Embargo ausgeweitet wird.
Der Wandel in der Auffassung des Sicherheitsrats erfolgt in der Resolution 418
(1977) betreffend Südafrika. Dort fordert der Rat auch solche Staaten, die nicht
Mitglieder der Vereinten Nationen sind, auf, in Übereinstimmung mit den
Bestimmungen dieser Resolution zu handeln. Diese Aufforderung versteht der Rat
als rechtlich verbindliche Verpflichtung und nicht nur als moralischen Appell. Diese
Praxis führt der Rat in den Resolutionen 661 (1990) zum Irak-Kuwait-Konflikt und in
vielen weiteren Resolutionen fort.
II. Rechtsgrundlagen
Im Verhältnis des Sicherheitsrates zu Nichtmitgliedern der Vereinten Nationen kommt
Art. 2 (6) UN-Charta eine zentrale Bedeutung zu. Nach dieser Vorschrift stellt die
Organisation sicher, dass Nichtmitglieder in Übereinstimmung mit den Prinzipien der
Charta handeln, soweit dies für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens
und der Sicherheit notwendig ist. Ob diese Bestimmung es rechtfertigt, dass
Resolutionen
gegen
Nichtmitglieder
erlassen
werden
können,
die
diesen
Verpflichtungen auferlegen oder sie gar zum Adressaten von Zwangsmaßnahmen
machen, ist jedoch zweifelhaft.
Aus der Charta selbst sind bereits einige Erkenntnisse zu gewinnen, welche diese
Praxis in Frage stellen. Dabei muss man zwischen der Bindung an die
Verfahrensherrschaft des Sicherheitsrats gemäß Kapitel VII UN-Charta einerseits
und der materiellrechtlichen Bindung an die in Art. 2 (6) UN-Charta angesprochenen
Prinzipien andererseits unterscheiden. Eine Verfahrensherrschaft des Sicherheitsrats
gegenüber Nichtmitgliedern lässt sich unabhängig davon, ob diese Adressat einer
Zwangsmaßnahme sind oder ob sie nur zu deren Beachtung verpflichtet werden
sollen, aus dem Wortlaut der Charta schlicht nicht ableiten. Sowohl Art. 25 wie auch
Art. 48 UN-Charta wenden sich ausdrücklich nur an Mitglieder der Vereinten
Nationen. Der gegenteilige Schluss ergibt sich auch nicht aus Art. 2 (6) UN-Charta.
33
Danach ist nur die Organisation verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass
Nichtmitglieder sich an die dort genannten materiellrechtlichen Prinzipien halten. Von
einer Bindung der Nichtmitglieder ist dort nicht die Rede.
Vielmehr lässt sich aus Art. 35 (2) UN-Charta in bezug auf die Verfahrensherrschaft
des Sicherheitsrats der gegenteilige Schluss ziehen. Nach dieser Vorschrift hat ein
Nichtmitglied die Möglichkeit, Konflikte, an denen es beteiligt ist, dem Rat zu
unterbreiten. Voraussetzung dafür ist aber:
"if it accepts in advance for the purpose of the dispute the obligations of pacific
settlement provided in the present Charter".
Die Verfahrensherrschaft des Sicherheitsrats gemäß Kapitel VI UN-Charta erstreckt
sich also nur dann auf Nichtmitglieder, wenn diese ausdrücklich zustimmen. Sie sind
damit nicht aus Art. 2 (6) i.V.m. Art. 2 (3) UN-Charta von vornherein an ein solches
Verfahren gebunden. Wenn diese Respektierung des Willens von Nichtmitgliedern
schon für das Verfahren der friedlichen Streitbeilegung gilt, dann muss es erst recht
für Kapitel VII UN-Charta gelten, da dort die Inanspruchnahme von Nichtmitgliedern
noch weit intensiver ist.
Schließlich lässt auch das in San Francisco unbestrittene Recht zum Rückzug aus
der Organisation nur den Schluss zu, dass damit die Bindung an die
Verfahrensherrschaft endet. Wenn ein Mitgliedstaat sich aus der Organisation
zurückziehen kann, weil die damit einhergehenden Verpflichtungen wegen des
Eingreifens von "exceptional circumstances" für ihn nicht mehr akzeptabel sind, dann
würde dieses Recht ins Leere laufen, wenn dieselben Bindungen den Staat über
Art. 2 (6) UN-Charta auch als Nichtmitglied treffen würden.
Die
Bindungen
aus
Art. 2
(6)
UN-Charta
können
deshalb
allenfalls
materiellrechtlicher Natur sein. Die Nichtmitglieder könnten unter Umständen an die
in Art.2 genannten materiellen Rechtsprinzipien gebunden sein. Aber auch insoweit
bestehen bereits entsprechend dem Wortlaut der Charta Grenzen, die der
Sicherheitsrat
nicht
immer
beachtet.
Das
beste
Beispiel
dafür
ist
der
Jugoslawienkonflikt. Dort wird in der Resolution 827 (1993) ein internationales
Tribunal für die Aburteilung solcher Personen eingerichtet, die gegen sogenanntes
Völkerstrafrecht verstoßen. Dieses Tribunal erstreckt sich als Zwangsmaßnahme des
Sicherheitsrats auf das Territorium des ehemaligen Jugoslawien und richtet sich
34
damit auch gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), die
kein Mitglied der Organisation ist.
Der Art. 2 (6) UN-Charta erfasst Nichtmitglieder aber nur insoweit, als es um die
Beachtung der in Art. 2 UN-Charta aufgeführten Prinzipien geht. Dazu gehören die
Menschenrechte, die in Art. 1 (2) und Art. 55 UN-Charta genannt sind, nicht. Deshalb
kann der Sicherheitsrat die Bundesrepublik Jugoslawien nicht auf die Beachtung der
Menschenrechte verpflichten.
Dagegen kann man auch nicht mit DOEHRING einwenden, dass gewaltsame Verstöße
gegen die Menschenrechte den Tatbestand des Art. 2 (4) UN-Charta erfüllen, weil
darin auch auf die Ziele der Charta Bezug genommen wird. Die Nichtmitglieder sind,
wie GRAF VITZTHUM gezeigt hat, nicht an die Prinzipien des Art. 2 UN-Charta, sondern
nur an das allgemeine Völkerrecht gebunden. Nur soweit dieses mit den Prinzipien
des Art. 2 UN-Charta übereinstimmt, müssen sie Maßnahmen des Sicherheitsrats
dulden. Nichtmitglieder sind also nicht an Art. 2 (4) UN-Charta, sondern nur an das
gewohnheitsrechtliche Gewaltverbot gebunden.
Diese Unterscheidung ist nicht von rein akademischem Interesse. Immerhin stellt der
Internationale Gerichtshof in dem "Case concerning Military and Paramilitary
Activities
in
an
against
Nicaragua"
zu
dem
Verhältnis
zwischen
dem
gewohnheitsrechtlichen und dem vertraglichen Gewaltverbot fest:
"On a number of points, the areas governed by the two sources of law do not exactly overlap, and the substantive rules in which they are framed are not identical
in context."
Insbesondere weist das gewohnheitsrechtliche Gewaltverbot keinen ausdrücklichen
Bezug zu den Zielen der Charta der Vereinten Nationen auf. Deshalb bedürfte es des
Nachweises, dass auch gewohnheitsrechtlich jeder gewaltsame Verstoß gegen die
Menschenrechte den Tatbestand des Gewaltverbots auslöst. Ob sich das
gewohnheitsrechtliche Gewaltverbot parallel zum satzungsrechtlichen Gewaltverbot
so weit entwickelt hat, ist so gut wie nicht festzustellen, weil die Praxis der Staaten
unter der Geltung der Charta sich durchgängig auf Art. 2 (4) UN-Charta bezieht.
III. Die pacta tertiis-Regel
35
Bei der materiellrechtlichen Anwendung von Art. 2 (6) UN-Charta ist zudem zu
beachten, dass weder der Rekurs auf den Willen des Satzungsgebers noch die
nachfolgende
Praxis
des
Sicherheitsrats
die
damit
aufgeworfenen
Fragen
abschließend lösen kann. Das Verhältnis der Vereinten Nationen zu Drittstaaten lässt
sich wegen der Beschränkung der Wirkungen des Vertrags auf seine Mitglieder nicht
mit dem Willen der Vertragsparteien begründen. Art. 2 (6) UN-Charta muss insoweit
an dem Rechtssatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt gemessen werden. Diese
Regel besagt, dass völkerrechtliche Verträge als solche für einen Drittstaat ohne
dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte erzeugen können und deshalb "res
inter alios acta" sind.
Die pacta tertiis-Regel ist ein konstituierendes Element der Unterscheidung von
Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht, indem sie für das Vertragsrecht die
Geltung auf die Vertragsparteien beschränkt. Sie ist zugleich eine Folge der
Anerkennung der Souveränität der Staaten, da die Geltung völkervertraglicher
Regeln alleine von dem durch den Vertragsschluß bekundeten Willen der Staaten
abhängig gemacht wird. Die pacta tertiis-Regel gilt nach einhelliger Auffassung als
Satz des Völkergewohnheitsrechts und hat zudem Eingang in Art. 34 des Wiener
Übereinkommens über das Recht der Verträge gefunden, der bestimmt, dass ein
Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte
begründen kann. Allerdings ist die Wiener Vertragsrechtskonvention ratione temporis
nicht auf die Charta anwendbar.
Wie diese Regel auf die Auslegung von Art. 2 (6) UN-Charta einwirkt, hängt
insbesondere davon ab, welche Rechtsnatur man für die Charta der Vereinten
Nationen annimmt. Die Charta ist ihrem Entstehungsgrund nach ein mehrseitiger
völkerrechtlicher Vertrag. Deshalb scheint es zwingend zu sein, die pacta tertiisRegel anzuwenden und die Rechtswirkungen von Art. 2 (6) UN-Charta auf die
Mitglieder der Vereinten Nationen zu beschränken.
Eine Gegenmeinung hebt dagegen im Vollzug der Organisation auf ihren Charakter
als Satzung oder gar Verfassung einer Organisation mit weltumspannendem
Anspruch ab und gewinnt dadurch einen Anknüpfungspunkt dafür, die pacta tertiisRegel zu umgehen. Mit dieser Begründung behauptet KELSEN, dass wegen Art. 2 (6)
UN-Charta den Regeln der UN-Charta eine Rechstwirkung erga omnes zukomme
und dass der Sicherheitsrat deshalb ermächtigt sei, bindende Beschlüsse gegen
36
Nichtmitglieder auf der Grundlage der Charta zu erlassen.
Die von KELSEN vertretene Auffassung ist bereits in ihrem theoretischen
Ausgangspunkt fragwürdig, weil sie im geltenden Völkergewohnheitsrecht keine
Grundlage findet. KELSEN gibt dies selbst zu, wenn er feststellt, dass seine
Auffassung gemessen am geltenden Völkerrecht revolutionär ist. Sie bereitet für die
Befugnisse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Charta besondere Probleme,
weil darin einigen Staaten dieser Organisation die Kompetenz zur Verhängung von
Zwangsmaßnahmen übertragen worden ist, was ohne Akzept des jeweils
Betroffenen dessen Souveränität empfindlich berührt.
Wendet man wegen dieser Bedenken die pacta tertiis-Regel auf die Charta der
Vereinten Nationen an, muss man für die Geltung gegenüber Nichtmitgliedern eine
Begründung auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts finden. Nach einer weit
verbreiteten Ansicht sollen die Prinzipien der Charta nicht nur als Vertragsrecht auf
der Grundlage der Charta, sondern auch als Gewohnheitsrecht gelten und deshalb
auch für Nichtmitglieder verbindlich sein. Das bedeutet, dass die Beschlüsse des
Sicherheitsrates für Nichtmitglieder nicht deshalb völkerrechtlich beachtlich sein
sollen, weil die Charta etwa in Art. 25 deren Verbindlichkeit anordnet, sondern weil
die Vereinten Nationen dabei Rechte in Anspruch nehmen, die ihnen nach
allgemeinem Völkerrecht zustehen.
Beschränkt man somit das Verhältnis der Vereinten Nationen zu Drittstaaten auf die
Ebene des Völkergewohnheitsrechts, kann man, wie dies GRAF VITZTHUM tut, den
Art. 2 (6) UN-Charta als eine gegen Drittstaaten gerichtete Bündnisklausel der
Vereinten
Nationen
verstehen,
deren
vertragliche Wirkungen
sich
nur
im
Innenverhältnis zu den Mitgliedstaaten entfalten. Nur die Mitgliedstaaten werden aus
Art. 2 (6) UN-Charta vertraglich verpflichtet, die Einhaltung der Prinzipien der Charta
sicherzustellen. Diese Konzeption ist aber nicht auf alle in Art. 2 UN-Charta
genannten Prinzipien gleichermaßen anwendbar. Die in Art. 2 (3) und (4) genannten
Prinzipien der friedlichen Streitbeilegung und des Gewaltverbots können sicherlich
den Anspruch auf gewohnheitsrechtliche Geltung erheben. Dagegen ist die aus
Art. 2 (5) UN-Charta den Mitgliedstaaten erwachsende Pflicht zur Unterstützung des
Sicherheitsrates wegen ihres spezifischen Bezuges zur Charta nicht als Satz des
Völkergewohnheitsrecht auf Nichtmitglieder anwendbar.
Wenn man die Nichtmitglieder nur an die im Völkergewohnheitsrecht verankerten
37
Prinzipien der Charta bindet, ist es zudem denkbar, dass der Umfang der aus dem
VII. Kapitel folgenden Verpflichtungen für diese Staaten ein anderer ist als der
Umfang der Pflichten von Mitgliedstaaten. Dies gilt zum einem bezüglich des Inhalts
dieser
Prinzipien.
So
ist
es
denkbar,
dass
das
Gewaltverbot
völkergewohnheitsrechtlich einen anderen Inhalt als gemäß Art. 2 (4) UN-Charta hat.
Dieser unterschiedliche Inhalt kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die
Charta als eine Gesamtheit von Regelungen bei systematischer Auslegung unter
Umständen dem Art. 2 (4) UN-Charta Aspekte hinzuzufügen vermag, die dem
lediglich
fragmentarischen
und
an
der
Einzelfallpraxis
orientierten
Völkergewohnheitsrecht fremd sind.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Rat bei seiner Entscheidung, gemäß
Kapitel VII UN-Charta tätig zu werden, das Vorliegen der Voraussetzungen von
Art. 39 UN-Charta und nicht einen Verstoß gegen die in Art. 2 UN-Charta genannten
Prinzipien feststellen muss. Probleme können daraus insbesondere bei der
Beurteilung innerer Vorgänge von Staaten entstehen, die zwar keine Verletzung des
zwischenstaatlichen Gewaltverbots wohl aber eine Bedrohung des internationalen
Friedens und der Sicherheit darstellen können. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
dass innerstaatliche Vorgänge auch der Idee von der Bündnisklausel keinen Raum
geben.
Wenn eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens gemäß Art. 39 UN-Charta nur im
Zusammenhang mit zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten diskutiert wird, ist
völkergewohnheitsrechtlich der Rückgriff auf Art. 2 (4) UN-Charta eröffnet. Wenn
man aber, wie dies etwa im Kosovo der Fall war, aus einer Verletzung der
Menschenrechte eine solche Bedrohung ableiten will, kann der Sicherheitsrat nicht
geltend machen, dass er die Belange seiner Mitglieder gegen eine Bedrohung durch
ein Nichtmitglied schützt. Er muss sich dann ganz allgemein zum Anwalt des
Schutzes der Menschenrechte überall auf der Welt machen.
Ob insoweit der Praxis des Sicherheitsrates gewohnheitsbildende Kraft auch für
Drittstaaten zukommt, kann nur im einzelnen Fall unter Berücksichtigung der Haltung
der betroffenen Nichtmitglieder beantwortet werden. Diese Haltung kann nach der
von
KLEIN
entwickelten
Vorstellung
von
der
besonderen
Wirkung
von
Statusverträgen bedeutsam werden. Unter Statusverträgen versteht KLEIN solche
Verträge, welche Zuständigkeiten von Staaten oder internationalen Organisationen
38
erzeugen, die den Anspruch erheben, eine gemeinwohlorientierte und deshalb
allgemeinverbindliche Ordnungsfunktion wahrzunehmen. KLEIN lehnt zwar auch im
Hinblick auf Art. 2 (6) UN-Charta eine Wirkung erga omnes solcher vertraglich
begründeten Zuständigkeiten ab, er vertritt aber die These, dass durch Konsens,
nämlich durch unter Umständen auch nur stillschweigend zum Ausdruck gebrachte
Zuerkennung einer Zuständigkeit, eine Bindungswirkung eintreten kann.
Für die Mitgliedstaaten erfolgt die Zustimmung bereits durch den Beitritt zur Charta,
wodurch sie die Kompetenz des Sicherheitsrates, im Rahmen der ihm nach der
Charta übertragenen Befugnisse Maßnahmen zu erlassen, anerkannt und sich zu
deren Befolgung verpflichtet haben. Für sie entsteht nur die Frage, ob der Rat
innerhalb dieser von der Charta vorgesehenen Kompetenzen oder ob er ultra vires
handelt.
Für Nichtmitglieder sieht Art. 32 UN-Charta lediglich das auch jedem Mitglied gemäß
Art. 31 UN-Charta zustehende Recht vor, zu solchen Verhandlungen, bei denen sie
Streitpartei sind, eingeladen zu werden. Dabei haben Nichtmitglieder jedoch kein
Stimmrecht. Das bedeutet, dass sie sich einer vertraglich nicht konsentierten und im
Verfahren
nicht
beeinflussbaren
Entscheidung
unterwerfen
müssen.
Für
Nichtmitglieder kann deshalb im Sinne KLEINS über den strengen Maßstab der
Bindung an die völkergewohnheitsrechtlich gesicherten Prinzipien hinaus eine
Verpflichtung zur Befolgung von Beschlüssen des Rates allenfalls dann eingreifen,
wenn ihr Verhalten eindeutig den Schluss darauf zulässt, dass sie der vom Rat
reklamierten rechtlichen Verbindlichkeit ausdrücklich zustimmen. Dies ist allerdings
schon deshalb häufig zu beobachten, weil die betroffenen Neustaaten ein Interesse
an späterer Mitgliedschaft in der UNO haben.
C. Die Feindstaatenklausel
Gemäss Art.107 soll die UN-Charta keine Maßnahmen behindern oder ausschließen,
die als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges von den dafür zuständigen Staaten gegen
die Feindstaaten der Signatarmächte der UN-Charta durchgeführt werden. Gemäss
Art.53 gilt dies auch für entsprechende Maßnahmen von regionalen Systemen
kollektiver Sicherheit.
39
I. Anwendungsbereich:
Feindstaaten waren gemäß Art.53 (2) alle Staaten, die Feinde der Signatarmächte
der UN-Charta waren. Dies galt insbesondere für Deutschland, Japan und Italien,
aber auch für Bulgarien, Finnland, Rumänien und Ungarn. Korea gehörte zwar 1945
noch zum Feindstaat Japan, nach der Befreiung durch die Siegermächte im Sommer
1945 war dieser Status jedoch beendet und die Feindstaatenklausel fand keine
Anwendung mehr. Dasselbe gilt für Österreich, das 1939 vom Deutschen Reich
annektiert worden war und nach seiner Befreiung durch die Alliierten ebenfalls nicht
mehr zu den Feindstaaten gehörte. Thailand erklärte zwar 1942 dem Vereinigten
Königreich den Krieg, widerrief im August 1946 diese Erklärung jedoch diese
Erklärung, was zur formellen Beendigung des Kriegszustandes im Januar 1946
führte.
II. Dauer des Status als Feindstaat
Fraglich war, ob der Status als Feindstaat mit der Aufnahme in die Vereinten
Nationen endete. Dafür spricht, dass alle Mitglieder ein Recht darauf haben sollten,
nur nach den Regeln der UN-Charta behandelt zu werden. Die weitere Anwendung
der Feindstaatenklausel hätte dazu geführt, dass Mitgliedschaften mit verschiedener
rechtlicher Reichweite entstanden wären. Insbesondere Art.2 (1) wäre auf diese
Staaten dann nur unvollständig anwendbar gewesen. Dafür spricht auch, dass
gemäss Art.4 (1) nur friedliebende Staaten in die UNO aufgenommen werden
können, was gegen die Behandlung als aggressiver Feindstaat spricht. Insbesondere
Japan und Deutschland haben diesen Standpunkt nach ihrer Aufnahme in die UNO
vertreten. Auch Vertreter der Siegermächte haben diese Haltung bei Entstehung der
UN-Charta geäußert.
Dagegen spricht, dass die Rechte der Alliierten Hauptsiegermächte in Bezug auf
Deutschland und Japan nach der Aufnahme dieser Staaten in die UNO nicht
erloschen sind. Vor dem Beitritt beider deutscher Staaten haben die Siegermächte
dies in einer Erklärung vom 9.11.1972 ausdrücklich bestätigt. Die Rechte in Bezug
auf Deutschland sind erst durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag im Jahr 1990 beendet
worden. Ab diesem Zeitpunkt ist der Status in Bezug auf Deutschland endgültig
weggefallen.
40
III. Rechtsfolge der Feindstaatenklauseln
Die Siegermächte und ihre regionalen Sicherheitssysteme waren durch Art.53 und
107 nicht gehindert, Gewalt gegen die Feindstaaten zu üben, um ihre Rechte
durchzusetzen. Art.2 (4) fand insoweit keine Anwendung. Konflikte zwischen den
Siegermächten und den Feindstaaten konnten nicht nach den Kapiteln VI bis VIII
UN-Charta behandelt werden. Dies hat eine Rolle gespielt, als die Sowjetunion 1948
die Landverbindungen nach Berlin unterbrach, um die Westsektoren der Stadt, die
von den USA, UK und Frankreich verwaltet wurden, in ihre Gewalt zu bringen. Der
Konflikt hatte grob gesprochen folgenden Hintergrund.
IV. Berlin-Krise
Grob skizziert kann man sagen, dass der Status des Deutschen Reiches nach 1945
durch das Besatzungsrecht der Alliierten Siegermächte geprägt ist. Deutschland wird
durch die militärische Niederwerfung und anschließende Besetzung nach dem
ausdrücklich erklärten Willen der Alliierten nicht annektiert, sondern besteht als Staat
fort. Die auf seinem Staatsgebiet wirksame Hoheitsgewalt wird von den Alliierten
Hauptsiegermächten Vereinigte Staaten, Vereinigtes Königreich, Sowjetunion und
Frankreich ausgeübt, die ihren Rechtsanspruch zur Verwaltung Deutschlands auf ein
unmittelbar aus der militärischen Besetzung abgeleitetes Besatzungsrecht stützten.
Grundlage für das Besatzungsrecht ist das in der "Advisory Commission for Europe"
erarbeitete "Protocoll between the Governments of the United States of America, the
United Kingdom, and the Union of the Soviet Socialist Republics on the zones of occupation in Germany and the administration of Greater Berlin", das am 12.
September 1944 verabschiedet wird und das am 6. Februar 1945 in Kraft tritt. Darin
vereinbaren die Vertragsparteien, dass Deutschland in drei Zonen eingeteilt werden
soll, die jeweils von einem der Alliierten besetzt werden soll. Dagegen soll die
Besetzung Groß-Berlins durch alle drei Mächte gemeinsam erfolgen.
Nach der militärischen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945
übernehmen die Alliierten Hauptsiegermächte, zu denen nun auch Frankreich gehört,
durch eine gemeinsame Erklärung am 5. Juni 1945 die oberste Regierungsgewalt
41
("supreme authority") in Deutschland. In einer weiteren Erklärung vom 5. Juni 1945
legen die Hauptsiegermächte fest, wer die oberste Regierungsgewalt ausüben soll.
In den einzelnen Zonen steht sie der jeweiligen Besatzungsmacht zu, in allen
Deutschland
als
Ganzes
betreffenden
Angelegenheiten
soll
die
oberste
Regierungsgewalt von den vier Alliierten Hauptsiegermächten gemeinsam ausgeübt
werden. Groß-Berlin soll von einer Interalliierten Behörde ("Inter-Allied Governing
Authority")
verwaltet
werden,
die
unter
der
Leitung
des
von
den
vier
Oberbefehlshabern gebildeten Kontrollrates ("Control Council") arbeiten und aus vier
sich im Vorsitz abwechselnden Kommandanten bestehen soll.
Die Ziele des Besatzungsstatuts werden im Protokoll über die Potsdamer Konferenz
vom 2. August 1945 festgelegt. Die Vertreter des Vereinigten Königreichs, der
Vereinigten Staaten und der Sowjetunion kommen darin überein, einen Rat der
Außenminister einzurichten, dem auch die Außenminister Frankreichs und Chinas
angehören
sollen.
Dieser
Rat
der
Außenminister
soll
insbesondere
eine
Friedensregelung für Deutschland vorbereiten. Für die bis dahin auszuübende
Verwaltung Deutschlands durch den Kontrollrat werden in dem Protokoll politische
und wirtschaftliche Grundsätze festgelegt.
Die Gründe, die zum Streit der Alliierten um Berlin und schließlich zur Blockade
führen, haben ihren Ursprung bereits in der Begründung des Besatzungsstatuts.
Berlin wird im April 1945 zunächst nur von den Truppen der Sowjetunion besetzt. Die
Truppen der Westmächte folgen erst im Juli 1945 nach, und Berlin wird daraufhin in
vier Sektoren aufgeteilt, die jeweils von einer der Siegermächte verwaltet werden.
Die nach dem Einzug der Westmächte errichtete Interalliierte Behörde, die sog.
Kommandatura, erweist sich für die weitere Verwaltung der Stadt sehr schnell als
wirkungslos, weil sie ihre Beschlüsse nur einstimmig fassen kann. Insbesondere ist
sie nicht in der Lage, die von der sowjetischen Verwaltung zuvor bereits
angeordneten Maßnahmen wieder außer Kraft zu setzen.
Der sachliche Grund hierfür ist ein ab Mitte 1946 ständig sich vertiefender Dissens in
der Deutschlandpolitik der Alliierten. Um den wirtschaftlichen Aufschwung in ihren
Zonen zu beschleunigen, vereinigen die Westmächte auf dem Gebiet der späteren
Bundesrepublik zunächst die amerikanische und die britische Zone zur sogenannten
Bizone und später mit der französisch besetzten Zone zur sogenannten Trizone.
Kernpunkt der wirtschaftlichen Maßnahmen ist eine Währungsreform, die im Juni
42
1948 auch in den Westsektoren Berlins durchgeführt wird. Die Sowjetunion
widersetzt
sich
dieser
Politik
und
beharrt
insbesondere
auf
ihren
Reparationsforderungen, die sie in der Ostzone rigoros durchsetzt.
Gleichzeitig beginnt sie mit einer tiefgreifenden politischen und ökonomischen
Umgestaltung ihrer Zone, die auf die Schaffung einer zentral gelenkten, marxistisch
orientierten Einheitsverwaltung zielt. Auf der Londoner Außenministerkonferenz vom
21. November bis zum 15. Dezember 1947 kommt es zum endgültigen Bruch
zwischen den Alliierten Hauptsiegermächten. Am 20. März 1948 tritt die UdSSR aus
dem bedeutungslos gewordenen Alliierten Kontrollrat aus.
Parallel zu dieser Entwicklung unternimmt die UdSSR seit 1947 den Versuch, ganz
Berlin unter ihren Einfluss zu bringen und der von ihr verwalteten Ostzone
anzugliedern. Sie erlässt am 30. März 1948 verschärfte Bestimmungen für den
Verkehr durch die sowjetisch besetzte Zone und schließt am 24. Juni 1948 die
Strecke Berlin-Helmstedt, wodurch die Landverbindung Berlins zu den Westzonen
Deutschlands vollständig unterbrochen wird. Außerdem wird die Strom- und
Kohlelieferung nach West-Berlin eingestellt. Bereits zuvor hat der sowjetischen
Vertreter am 16. Juni 1948 die alliierte Kommandatura verlassen.
Die Vereinigten Staaten reagieren mit der Errichtung einer Luftbrücke nach Berlin,
auf der ab dem 25. Juni 1948 insbesondere Lebensmittel in die Stadt transportiert
werden. In einer Note vom 6. Juli 1948 protestieren die Westmächte gegen die
Blockademaßnahmen. Sie bezeichnen die dadurch entstandene Situation als
äußerst ernste internationale Lage. Die Sowjetunion verstoße damit gegen die
Rechte der Westalliierten, welche als Folge der totalen Niederlage und der
unbedingten Kapitulation Deutschlands die Verwaltung der ihnen unterstellten
Sektoren Berlins und den freien Zugang dorthin beinhalteten.
Die USA haben die Angelegenheit vor den Sicherheitsrat gebracht mit dem
Argument, in der Berlin-Krise ginge es nicht um Rechte der Siegermächte gegen
Deutschland sondern um Recht der Alliierten untereinander auf Einhaltung der
festgelegten
Verwaltungsgrenzen.
Die
UdSSR
behauptete
dagegen,
diese
Verwaltungsrechte seien eine Folge des Zweiten Weltkrieges und deshalb sei der
Streit wegen Art.107 aus der Zuständigkeit des Sicherheitsrats ausgenommen. Ein
Resolutionsantrag der USA scheiterte am Veto der UdSSR.
43
Die Unterbrechung der Verkehrswege von und nach Berlin und die daraufhin
errichtete Luftbrücke der Westalliierten dauern noch bis ins Jahr 1949 an. Im Februar
1949 nehmen die Delegierten der UdSSR und der Vereinigten Staaten MALIK und
JESSUP Verhandlungen auf, die zu einer Annäherung der Streitparteien führen. Am 4.
Mai 1949 verabschieden die vier Besatzungsmächte dann ein Kommuniqué, in
welchem geregelt wird, dass alle Verkehrsbeschränkungen zwischen Berlin und den
übrigen Besatzungszonen am 12. Mai 1949 enden sollen. Allerdings bleibt bis zum
Abschluss des Viermächte-Abkommens vom 3. September 1971 zwischen den
Westmächten und der Sowjetunion umstritten, ob das in diesem Kommuniqué
vereinbarte Zugangsrecht sich nur auf den militärischen oder auch auf den
nichtmilitärischen Verkehr von und nach Berlin erstreckt.
Kapitel 3: Die Friedenssicherung
A. Das Verfahren der friedlichen Streitbeilegung
I. Die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung (Art.2 Ziff.3)
Die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung hat eine Doppelnatur.
Zum einen gilt sie im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Die Staaten sind
gehalten, in ihrem Verhältnis untereinander Konflikte nur mit friedlichen Mitteln
beizulegen. Das bedeutet auf jeden Fall, dass eine Rechtspflicht besteht, keine
Gewalt in den internationalen Beziehungen anzuwenden, um die eigenen Interessen
durchzusetzen.
Insoweit
überschneiden
sich
das
Gebot
der
friedlichen
Streitbeilegung gemäß Art.2 (3) und das Gewaltverbot gemäß Art.2 (4) UN-Charta.
Einzelheiten zum Gewaltverbot.
Dies gilt auch, wenn die Staaten auf völkerrechtswidrige Akte anderer Staaten
reagieren. Bleiben diese unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs, der das
Selbstverteidigungsrecht gemäß Art.51 UN-Charta auslöst, sind als zulässige
Reaktionen nur die Retorsion und die Repressalie zulässig. Unter Retorsion
versteht man eine Maßnahme, die nicht in Rechte anderer Staaten eingreift, deren
Wirkungen als sog. unfreundlicher Akt" im politischen Bereich liegen. Beispiele für
Retorsionsakte sind der diplomatische Protest, der Abbruch der diplomatischen
Beziehungen, falls diese nicht einseitig oder vertraglich zugesagt sind und der
44
Abbruch von Wirtschaftsbeziehungen außerhalb vertraglicher Verpflichtungen.
Die Repressalie ist eine wegen des Eingriffs in Rechte anderer Staaten an sich
rechtswidriger Akt, der aber durch die zuvor begangenen Rechtsverletzung des
Adressaten gerechtfertigt wird, falls das Ziel der Repressalie die Veranlassung des
Adressaten zu rechtmäßigen Verhalten ist. Beispiele sind die Nichterfüllung
vertraglicher Verpflichtungen, das Einfrieren von Inlandskonten des Adressaten oder
seiner Bürger und die Sperrung der Hoheitsgewässer und des Luftraums für
Fahrzeuge des Adressaten.
Darüber hinaus besteht eine Verpflichtung der Staaten, ihre Konflikte durch
Mechanismen der friedlichen Streiterledigung beizulegen. Dies gilt neben bilateralen
Verhandlungen
etwa
für
die
Nutzung
von
Schiedsverfahren
oder
des
Internationalen Gerichtshofs, wie sich aus Art.36 (3) ergibt. Die einseitigen Mittel
der Retorsion und der Repressalie sollen nur zur Anwendung kommen, wenn der
Gegner sich auf diese Mechanismen nicht einlässt oder wenn sie unzumutbar sind.
Bei der Nutzung dieser Mechanismen besteht allerdings keine Pflicht, ein bestimmtes
Ergebnis zu erzielen. Insbesondere sind die Staaten nicht verpflichtet, einen
Rechtsstandpunkt aufzugeben, um eine friedliche Konfliktlösung zu erzielen.
Beispiel: Argentinien und das Vereinigte Königreich sind verpflichtet, ihren Streit um
die territoriale Zuordnung der Falkland-Inseln oder Malvinen) friedlich auszutragen.
Dabei ist jedoch keine Seite verpflichtet, ihre territorialen Ansprüche aufzugeben.
Neben den bilateralen Pflichten besteht gemäß Art.2 (3) UN-Charta auch eine Pflicht
gegenüber der UNO. Die Staaten sind verpflichtet, sich an dem Verfahren der
friedlichen Streitbeilegung, dass der Sicherheitsrat gemäß den Regeln von Kapitel VI
UN-Charta betreiben kann, zu beteiligen. Der Sicherheitsrat und auch die
Generalversammlung können nach diesen Regeln bestimmte Konflikt an sich ziehen
und Maßnahmen zu deren Beilegung ergreifen.
II. Die kollektive Durchsetzung
Voraussetzung für die Zuständigkeit des Sicherheitsrates ist gemäß Art.33 (1), dass
die Fortdauer der Streitigkeit geeignet ist, die Wahrung des internationalen
Friedens und der Sicherheit zu gefährden. Wann dies der Fall ist, ist im Einzelnen
schwer zu beantworten. Nach der ursprünglichen Konzeption der Charta handelt es
45
sich nur um internationale Streitigkeiten, so dass innere Konflikte in einem Staat
davon grundsätzlich ausgenommen sind. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der
interne Konflikt nicht Auswirkungen auf andere Staaten hat oder möglicherweise
haben kann. Solche Auswirkungen können Flüchtlingsströme, Handelshemmnisse
oder auch rein politische Reibungen sein, die geeignet sind, Konflikte mit den
Nachbarstaaten hervorzurufen.
Diese Auffassung ist in der Praxis der UNO jedoch für Kapitel VI sehr rasch in Frage
gestellt worden. Insbesondere die Praxis zu den sog Blauhelmaktionen zeigt, dass
auch Bürgerkriege gemäss Kapitel VI behandelt worden sind. Dabei haben auch die
humanitären Aspekte solcher Bürgerkriege von Anfang an eine Rolle gespielt. So
bietet der SR etwa seine Hilfe an, um Medikamente oder Nahrungsmittel zu verteilen,
um sichere Zonen etwa für Minderheiten zu schaffen oder um direkt medizinische
und sonstige Versorgung zu organisieren.
Die Streitigkeiten müssen geeignet sein, in bewaffnete Konflikte umzuschlagen und
dann zu einer Bedrohung des internationalen Friedens im Sinne von Art.39 UNCharta zu werden. Es besteht also eine Stufenfolge in der Eskalation von Konflikten,
die je nach Schwere zunächst zu Maßnahmen nach Kapitel VI und dann zu
Maßnahmen nach Kapitel VII berechtigen. Dabei können die Streitigkeiten auch
schon gewaltsame Formen angenommen haben, wenn dies unterhalb einer
gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen. Also zum Beispiel Grenzscharmützel,
bewaffnete Banden, die mit Unterstützung oder Duldung eines Staates in einem
anderen Staat operieren etc. Wo diese Erheblichkeitsschwelle zum Übergang ins VII.
Kapitel liegt, ist theoretisch nicht zu beantworten. Die Charta legt die Beurteilung
dieser Frage alleine in die Hand des Sicherheitsrats. Dieser hat das Interpretationsund Anwendungsmonopol für Kapitel VII UN-Charta. Einzelheiten dort.
In
der
Praxis
des Sicherheitsrats
sind
auch
ausgewachsene
Kriege
mit
hunderttausenden von Toten wie etwa der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak,
der von 1980 bis 1988 andauerte, als bloße Gefahr und nicht als Bedrohung des
internationalen Friedens behandelt worden. Dies hat hauptsächlich politische und
systembedingte Gründe, auf die im Zusammenhang mit Kapitel VII eingegangenen
werden soll.
Die Mechanismen zur Konfliktlösung sind:
46
(1) Vorrang der Konflikterledigung durch die Streitparteien:
Besteht ein solcher Streit, sind in erster Linie gemäß Art.33 (1) die Parteien selbst zur
Streiterledigung verpflichtet. Der Sicherheitsrat kann aber gemäß Art.33 (2) die
Parteien zu solchen Bemühungen auffordern. Diese Aufforderung ist jedoch
rechtlich unverbindlich. Gelingt es den Parteien nicht, den Streit selbst beizulegen,
so legen sie gemäß Art.37 (1) UN-Charta den Streit dem Sicherheitsrat vor. Dies ist
eine Rechtspflicht der Parteien, wobei jedoch zu beachten ist, dass die Feststellung
des Nichtgelingens eigener Streiterledigung im Ermessen der Parteien liegt. Die
Pflicht trifft jede Streitpartei unabhängig vom Verhalten der anderen Seite.
(2) Recht zur Anrufung des SR
Dieser Pflicht korrespondiert gemäß Art.35 UN-Charta ein Recht jedes Mitglieds und
auch jedes Nichtmitglieds auch vor dem Feststellen des Scheiterns eigener
Bemühungen um die Lösung des Konflikts, den Streit dem Sicherheitsrat oder der
Generalversammlung vorzulegen. Damit können der Sicherheitsrat und die
Generalversammlung parallel zu den Parteien in das Verfahren eingeschaltet
werden. In der Praxis genießt dabei der Sicherheitsrat eindeutige Priorität. Dieses
Recht besteht, wie der Vergleich mit Art.38 zeigt, auch dann, wenn nur eine Partei
den Antrag beim Sicherheitsrat stellt, die andere Partei aber dagegen ist. Sind beide
Parteien mit der Streitschlichtung durch den Rat einverstanden, kann dieser gemäß
Art.38 Empfehlungen abgeben.
Wird der Sicherheitsrat entweder nach Art.37 oder nach Art.35 von einer Partei mit
dem Fall befasst, und ist er der Auffassung, dass die Fortdauer des Streits
tatsächlich geeignet ist, die Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit
zu gefährden, dann kann er gemäß Art.37 (2) UN-Charta die in Art.36 vorgesehen
Maßnahmen ergreifen.
(3) Untersuchungsmaßnahmen des SR
Um diese Feststellung treffen zu können, kann der Sicherheitsrat gemäß Art.34 UN-
47
Charta jede Streitigkeit untersuchen. Beschließt der Rat, einen Konflikt zu
untersuchen, dann sind die Parteien verpflichtet, die Untersuchung zu gestatten.
Damit sind Untersuchungsanordnungen rechtlich verbindlich im Sinne von Art.25
UN-Charta. Der Sicherheitsrat kann diese Untersuchungen selbst durchführen,
indem er Beweise durch Parteivernahme oder Dokumenteneinsicht erhebt. Er kann
eine
Kommission
bilden,
die
den
Konflikt
untersucht,
er
kann
einen
Sonderbevollmächtigten ernennen, er kann auch eine Beobachtermission entsenden.
Dies sind "Blauhelme", also Militär von Mitgliedstaaten unter dem Kommando der
UNO, das einen Beobachtungs- und Untersuchungsauftrag hat.
Beispiele
sind
die 1949
eingesetzte
United
Nations
Truce
Supervision
Organisation (UNTSO), welche die Einhaltung der zwischen Israel und seinen
arabischen Nachbarn geschlossenen Waffenstillstandsabkommen überwachen soll.
Sie besteht heute noch. Die United Nations Military Observer Group in India and
Pakistan (UNMOGIP), die als Reaktion auf den auch heute noch bestehenden
Kashmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan 1949 eingesetzt wurde und die bis
heute existiert, die United Nations Observer Group in Lebanon (UNIGIL), die 1958
den Libanonkonflikt beobachtete und aus neuerer Zeit die United Nations Observer
Mission Uganda-Rwanda (UNOMUR), die den Auftrag hatte aufzuklären, ob die
damals rebellischen Tutsis in Ruanda durch Uganda unterstützt wurden. Zu den
Einzelheiten solcher Friedenstruppen oder peace keeping forces im Folgenden im
Zusammenhang mit Art.36 und 38 UN-Charta.
(4) Maßnahmen zur Streiterledigung
Kommt der Sicherheitsrat zum Ergebnis, dass der Konflikt den Fortbestand des
internationalen Friedens gefährdet, dann handelt er nach Art.36. Er empfiehlt den
Streitparteien geeignete Verfahren oder Methoden der Streitbeilegung. Solche
Verfahren oder Methoden können die Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen, die Anrufung des IGH (Art.36 [3]) oder falls bereits geschehen der
Einstellung von Feindseligkeiten umfassen. Der Sicherheitsrat kann die Einschaltung
von Regionalorganisationen empfehlen. Er kann auch einseitig das Verhalten einer
Partei oder das Verhalten beider Parteien verurteilen. Es gibt keinen abschließenden
Maßnahmenkatalog.
48
Diese Empfehlungen des Rates sind rechtlich unverbindlich. Allerdings hat der
Sicherheitsrat bereits in einigen Resolutionen Konfliktparteien damit gedroht, dass,
falls sie solchen Empfehlungen nicht Folge leisten, er verbindliche Maßnahmen nach
Kapitel VII verhängen wird. So etwa im Irak-Iran-Konflikt. Dies bedeutet nicht, dass
die Empfehlung damit rechtlich verbindlich wird. Der Rat deutet damit nur an, dass
nach seiner Einschätzung der Lage bei Nichtbefolgung der Empfehlungen der
Konflikt eine Eskalationsstufe erreicht, die als Bedrohung des Friedens im Sinne von
Art.39 UN-Charta zur Verhängung von Zwangsmaßnahmen berechtigt.
III. Die Peace keeping forces
Als eine besondere Form solcher Maßnahmen hat sich in der Praxis die Einsetzung
sogenannter peace keeping forces eingebürgert. Die Rechtsgrundlagen für solche
Friedenstruppen sind umstritten, da die Charta ihre Aufstellung ausdrücklich nicht
vorsieht. Allerdings geht die Literatur heute in Anlehnung an die Praxis der Vereinten
Nationen davon aus, dass die Aufstellung solcher Friedenstruppen zulässig ist. Dafür
bieten sich verschiedene Rechtsgrundlagen an, die dann auch den Inhalt und die
rechtliche Tragweite des Mandats der jeweiligen Friedenstruppe bestimmen.
Zum einen kann die Friedenstruppe auf einem Beschluss der Generalversammlung
beruhen, wie dies etwa bei der United Nations Emergency Force (UNEF I), die
zwischen 1956 und 1967 die Aufgabe hatte, den Rückzug der britischen und
französischen Truppen aus dem Gebiet um den Suez-Kanal zu überwachen und
einen Puffer zwischen Israel und Ägypten zu bilden, der Fall war. Die Rechtsgrundlage dafür ist in materieller Hinsicht Art.11 (2) und/oder Art.14 UN-Charta.
Danach kann die Generalversammlung in jedem Streitfall, der ihr gemäß Art.35 (2)
unterbreitet wird, den Parteien Empfehlungen zur Streitbeilegung geben.
Solche
Empfehlungen
sind
rechtlich
unverbindlich,
d.h.
stellt
die
Generalversammlung eine Friedenstruppe auf, so sind die Parteien nicht verpflichtet,
ihre Stationierung im eigenen Land zu akzeptieren. Die Entsendung bedarf deshalb
der Zustimmung der Konfliktparteien, was in der Form eines Entsendevertrages
der betroffenen Staaten mit der Generalversammlung geschehen kann. Dieser
Konsens der Parteien bildet dann im eigentlichen Sinne die Rechtsgrundlage für die
Entsendung der Friedenstruppen.
Die Kompetenz der Generalversammlung zur Aufstellung von Friedenstruppen ist
49
aber im Verhältnis zum Sicherheitsrat problematisch. Gemäß Art.11 (2) Satz 2 ist die
Generalversammlung nämlich verpflichtet, Konflikte, bei denen Maßnahmen (action)
erforderlich sind, dem Sicherheitsrat vorzulegen. Dies entspricht Art.24 (1) UnCharta, der die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des internationalen
Friedens und der Sicherheit dem Sicherheitsrat zuweist. Allerdings wird man wohl
unter Maßnahmen (action) nicht die unverbindliche Aufstellung von Friedenstruppen
sondern nur die Verhängung verbindlicher (Zwangs-) Maßnahmen gemäß Kapitel VII
UN-Charta verstehen. Dies entspricht der Praxis des Sicherheitsrats, der in allen
Kapitel VII betreffenden Angelegenheiten eine konkurrierende Kompetenz der
Generalversammlung nicht akzeptiert, der aber gegen die Entsendung von
Friedenstruppen durch die Generalversammlung bisher keine Einwendungen geltend
gemacht hat.
Formal ist die Friedenstruppe ein temporäres Unterorgan der Generalversammlung,
das nach Art.22 UN-Charta eingesetzt werden kann. Die Friedenstruppen sind
wegen ihrer häufig zu beobachtenden Verklammerung mit dem Generalsekretär, der
etwa Aufstellung und Vollzug zu überwachen hat, organisatorisch auch ein Teil des
Sekretariats.
Die meisten Friedenstruppen werden aber wegen der Vorrangsstellung durch
Beschluss des Sicherheitsrats aufgestellt. Rechtsgrundlage dieser Friedenstruppen
ist, wenn alle Konfliktparteien dies so wünschen, Art.38 UN-Charta. Wünscht nur eine
Konfliktpartei die Entsendung einer Friedenstruppe und kommt es auf die
Zustimmung der anderen Seite nicht an, dann ist Rechtsgrundlage in der Regel
Art.36 (1) UN-Charta. In beiden Fällen ist der Beschluss des Sicherheitsrats für die
Parteien rechtlich unverbindlich, das heißt genauso wie bei der Entsendung durch
die Generalversammlung bedarf es der Zustimmung der Konfliktparteien.
Dies ist das erste und wichtigst Kriterium für die Abgrenzung solcher Friedenstruppen
von militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.42 UN-Charta. Wegen dieser
eindeutigen Abgrenzung zu Art.42 ist es auch nicht hilfreich, wie dies teilweise getan
wird, von einem sog. Kapitel VI 1/2 zu sprechen. Als Argument für diese Verortung
zwischen den unverbindlichen Verfahren der friedlichen Streitbeilegung und den
Zwangsmassnahmen wird die Kompetenz des SR genannt, sich beider Instrumente
nach freiem Ermessen zu bedienen, weshalb eine exakte Abgrenzung und die
Nennung einer konkreten Rechtsgrundlage nicht erforderlich sei.
50
Dagegen sprechen mehrere Argumente. Diese Argumentation ist nicht auf
Blauhelmeinsätze der GV anwendbar. Die Voraussetzungen für Maßnahmen nach
Kapitel VII sind weit enger als die nach Kapitel VI. In der Praxis wird sorgfältig
zwischen freiwilligen Blauhelmeinsätzen und militärischen Zwangsmassnahmen
unterschieden. Deshalb ist es richtig, die Rechtsgrundlage für Blauhelme in Kapitel
VI zu suchen. Dies gilt auch, wenn solche Blauhelme etwa mit der Zustimmung der
Regierung entsandt werden, darüber hinaus aber auch gegen deren Willen handeln
dürfen. Dies ist etwa im Falle der Afghanistan Friedenstruppe anzunehmen, die
durch die Resolution 1386 (2001) eingerichtet worden ist. Dort wird der afghanischen
Regierung nur ein Recht zur Konsultation eingeräumt. Auf ihre Zustimmung kommt
es dagegen nicht an. Vielmehr ist Ziel der Resolution die unbedingte Durchsetzung
des Mandats der Friedenstruppe. Sie ist deshalb auf der Grundlage von Kapitel VII
ergangen, wie sich auch eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt.
Fraglich ist dabei aber, wessen Zustimmung für die Entsendung erforderlich ist. Soll
die Friedenstruppe in einem zwischenstaatlichen Konflikt nur auf dem Gebiet eines
Staates stationiert werden, dann ist nur die Zustimmung der Regierung dieses
Staates erforderlich. Der andere Staat muss nicht gefragt werden, weil er keine
Rechte auf diesem Territorium hat. In einem innerstaatlichen Konflikt hat der
Sicherheitsrat lange Zeit nur auf die Zustimmung der Regierung abgestellt.
Berühmtes Beispiel ist die Operations des Nations Unis pour le Congo (ONUC),
die anlässlich des Versuchs der Abspaltung der Provinz Katanga von der Republik
Kongo von1960 bis 1964 mit Zustimmung der Regierung des Kongo in Katanga
militärisch aktiv wurde und die Abspaltung Katangas unter massivem Militäreinsatz
letztlich verhindert hat. Dies entspricht der lange Zeit im Völkerrecht vorherrschenden
Auffassung, dass Interventionen in innerstaatliche Konflikte auf Einladung der
anerkannten Regierung zulässig sind. In neuerer Zeit entsendet der Sicherheitsrat
jedoch nur noch dann Friedenstruppen, wenn alle Konfliktparteien der Entsendung
zustimmen. So beruhte etwa das Mandat der United Nations Protection Force
(UNPROFOR) in Bosnien-Herzegowina, genauso wie seiner Nachfolger IFOR und
SFOR auf der Zustimmung aller dort am Konflikt beteiligten Parteien. Dies entspricht
der modernen Auffassung, dass eine einseitige Intervention auf Einladung der
Regierung unzulässig sei, weil dies in das Recht auf Selbstbestimmung des
Bevölkerungsteils
eingreife,
der
sezessionswilligen Teil identifiziere.
sich
mit
den
Aufständischen
oder
dem
51
Will
der
Sicherheitsrat
trotz
fehlender
Zustimmung
eines
oder
mehrerer
Konfliktbeteiligter militärisch aktiv werden, muss er militärischem Zwang gemäß
Art.42 UN-Charta verhängen. Ein Beispiel aus neuerer Zeit sind die Militäraktionen in
Ruanda, wo der Rat trotz Zustimmung der damaligen Hutu-Regierung wegen des
Widerstands der Tutsi-Rebellen auf der Grundlage von Kapitel VII UN-Charta
handelte.
Darüber hinaus dürfen solche Friedenstruppen nicht einseitig in einem solchen
Konflikt Partei ergreifen, da sie nicht mit Zwang gegen Beteiligte vorgehen dürfen.
Sie müssen sich deshalb neutral verhalten und dürfen militärische Gewalt nur zur
Selbstverteidigung anwenden. Dies begrenzt ihren Einfluss auf Bürgerkriege
entscheidend, wie die Aktionen der UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina gezeigt
haben. Ihre Aufgaben können außerhalb der Beobachtung gemäss Art.34 darin
bestehen, einen militärischen Puffer zwischen Konfliktparteien zu bilden, um die
Fortsetzung des Konflikts einzudämmen, sie können darüber hinaus die Aufgabe
haben, Recht und Ordnung in einem Staat wiederherzustellen, also etwa beim
Aufbau von ziviler und militärischer Verwaltung mitzuwirken, und sie können
humanitäre Aufgaben wahrnehmen, also Krankenhäuser oder Plätze zur Verteilung
von Medikamenten oder Nahrungsmitteln schützen. Bei solch weitgehenden
Aufträgen erweist sich die
Beschränkung auf das Selbstverteidigungsrecht als
hinderlich, Deshalb umfassen Entsendeabkommen in neuerer Zeit auch das Recht,
etwa mit Gewalt gegen Zivilpersonen vorzugehen, welche die Truppen an der freien
Bewegung im Stationierungsgebiet oder an der Erfüllung ihrer Aufgaben hindern
wollen.
Organisatorisch sind sie wie die Friedenstruppen der Generalversammlung zu
behandeln. Auch der Sicherheitsrat hat gemäß Art.29 die Möglichkeit, zur Erfüllung
seiner Aufgaben Unterorgane zu schaffen.
Die Staaten, die sich an den Friedenstruppen beteiligen, tun dies freiwillig. Es gibt
nach der Charta keine Rechtspflicht zur Beteiligung an solchen Militäraktionen. Eine
solche Pflicht ist nur in Art.43 UN-Charta vorgesehen. Diese Vorschrift bezieht sich
aber zum einen nur auf Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta und zum
anderen bedarf es dazu des Abschlusses von Sonderabkommen. Einzelheiten
später. Die Truppen der Mitgliedstaaten werden in der Regel in einem gemeinsamem
Oberkommando zusammen gefasst. Dieses Oberkommando untersteht in der Regel
52
der Kontrolle des Generalsekretärs und/oder des Sicherheitsrats. Es muss
Weisungen dieser Organe befolgen und unterliegt einer Berichtspflicht.
Deshalb handelt es sich im Rechtssinne um Truppen der Vereinten Nationen
(Blauhelme). Die Staaten können ihre Truppen jedoch jederzeit ohne Angabe von
Gründen aus der Friedenstruppen zurückziehen. Weil es sich um Maßnahmen der
Vereinten Nationen handelt, werden die Truppen aus Mitteln der Vereinten Nationen
finanziert. Hierin liegt angesichts der Vielzahl von Friedenstruppen ein erhebliches
Finanzierungsproblem für die UNO. Zwar kann die Generalversammlung die Kosten
solcher Friedenstruppen durch Budgeterhöhung gemäß Art.17 UN-Charta auf die
Mitgliedstaaten umlegen. Allerdings weigern sich viele Staaten, ihre Beiträge in
dieser Höhe pünktlich oder überhaupt zu bezahlen. Deshalb hat sich seit einiger Zeit
eingebürgert, besonders kostspielige Friedenstruppen durch freiwillige Beiträge von
Mitgliedstaaten zu finanzieren. Auch hier bestehen jedoch in der Praxis erhebliche
Zahlungsrückstände. Außerdem haftet die UNO für solche Schäden, welche durch
die Blauhelme in dem Entsendestaat verursacht werden und die nicht durch das
Entsendestatut gedeckt sind.
B. Das Verfahren der Friedenserzwingung
I. Die Feststellung gemäß Art.39 UN-Charta
Die Schlüsselvorschrift von Kapitel VII ist Art.39 UN-Charta. Gemäß dessen Satz 1
stellt der Sicherheitsrat eine Bedrohung oder einen Bruch des internationalen
Friedens und der Sicherheit oder einen Akt der Aggression fest. Dieser Satz
impliziert Folgendes.
Zum einen ist für eine solche Feststellung nur der Sicherheitsrat zuständig. Die
Generalversammlung oder der Generalsekretär haben keine Zuständigkeit zur
Verhängung von Zwangsmaßnahmen. Dies entspricht Art.24 (2) UN-Charta, der die
Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens dem Sicherheitsrat zuweist und
Art.25 UN-Charta, der die Mitgliedstaaten nur an Beschlüsse des Sicherheitsrats
bindet.
Diese exklusive Zuständigkeit des Sicherheitsrats ist von der Generalversammlung
anlässlich der Koreakrise in Frage gestellt worden. In der als uniting for peace
53
bekannt gewordenen Resolution 377 (V) vom 3. November 1950 hat die
Generalversammlung für sich die Zuständigkeit bei Friedensbedrohungen oder
Friedensbrüchen für den Fall in Anspruch genommen, dass der Sicherheitsrat wegen
der Uneinigkeit seiner Mitglieder nicht in der Lage ist, seiner Hauptverantwortung
gerecht zu werden. Der Sicherheitsrat hat in der Koreakrise wegen permanenter
Beschlussunfähigkeit (Veto der UDSSR) die Sache an die Generalversammlung
verwiesen. Dies war möglich, weil die Verweisung eine Verfahrensangelegenheit ist
und deshalb gemäß Art.27 (2) nicht der Zustimmung aller ständigen Mitglieder
bedarf. Die Generalversammlung hat in den Resolutionen 498 (V) und 500 (V)
Anfang 1951 die Mitglieder aufgefordert, Südkorea weiterhin jede Unterstützung zu
gewähren und mit Nordkorea keinen wirtschaftlichen Verkehr mehr zu unterhalten.
Diese Praxis der Generalversammlung hat sich in der Folgzeit nicht durchgesetzt.
Der Sicherheitsrat hat außer in der Koreakrise nur noch im Suez-Kanal-Konflikt im
Jahr 1956 die Generalversammlung mit der Konfliktbewältigung betraut. In der Folgezeit hat er jede Verweisung an die Generalversammlung abgelehnt. Die
Generalversammlung selbst ist davon ausgegangen, dass ihre Beschlüsse rechtlich
unverbindlich sind. Deshalb können sie kein Ersatz für rechtlich verbindliche
Maßnahmen
des
Sicherheitsrats
sein.
Die
Embargobeschlüsse
der
Generalversammlung müssen nicht befolgt werden und die Empfehlung militärischer
Zwangsmaßnahmen gibt den Mitglieder keine eigene Legitimation. Ihre daraufhin
durchgeführten Militäraktionen sind nur dann rechtmäßig, wenn dafür nach
allgemeinem Völkerrecht eine Rechtsgrundlage besteht, also insbesondere im
Falle der kollektiven Nothilfe.
Die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art.39 UN-Charta ist die
notwendige Voraussetzung dafür, dass Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII
verhängt werden können. Nur wenn ein Konflikt nach der Einschätzung des
Sicherheitsrats mindestens die Qualität einer Bedrohung des Friedens angenommen
hat, hat der Sicherheitsrat die Kompetenz, mit Zwang gegen eines oder mehrere
Mitglieder vorzugehen. Dabei muss der Rat zwar nicht ausdrücklich den Tatbestand
von Art.39 UN-Charta zitieren. Zumindest muss aber, wie in neuerer üblich, ein
Verweis auf Kapitel VII UN-Charta vorliegen. Hat der Rat dies einmal festgestellt,
genügt es, wenn er sich in auf denselben Konflikt bezogenen nachfolgenden
Resolutionen auf diese Feststellung oder auch nur auf die erste Resolution, die diese
54
Feststellung enthält, beruft.
Die Feststellung des Tatbestandes von Art.39 ist nach dessen Wortlaut nur dann
erforderlich, wenn der Rat Maßnahmen gemäß Art.41 oder Art.42 verhängt.
Dagegen werden die sogenannten vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 in dieser
Vorschrift nicht genannt. In der Literatur wird häufig behauptet, dass wegen der
Stellung von Art.40 in Kapitel VII auch für solche Maßnahmen die Feststellung des
Tatbestandes von Art.39 erforderlich ist. In der Praxis des Sicherheitsrats hat sich die
Regel herausgebildet, dass Maßnahmen gemäß Art.40 auch ohne Feststellung
gemäß Art.39 möglich sind. Allerdings sind die dann an die Konfliktparteien
gerichteten Aufforderungen rechtlich unverbindlich. Sie unterscheiden sich deshalb
nicht wesentlich von den Maßnahmen des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VI UNCharta. Wenn der Sicherheitsrat aber den Tatbestand von Art.39 feststellt, dann
misst er seinen vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 rechtliche Verbindlichkeit bei.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Res 660 (1990), wo der Rat gestützt auf die
Feststellung, dass der Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait einen Bruch des
internationalen Friedens und der Sicherheit darstellt, den Irak zum Rückzug aller
Truppen auffordert. Diese Aufforderung ist verbindlich und zu ihrer Durchsetzung
verhängt der Rat in der Folgezeit Zwangsmaßnahmen gemäß Art.41 und 42 UNCharta.
Der Tatbestand von Art.39 UN-Charta selbst ist in Literatur und Praxis umstritten.
Einig ist man sich noch weitgehend darüber, dass die Frage, ob ein Konflikt die
Intensität einer Gefährdung für den Fortbestand des Friedens oder einer Bedrohung
oder eines Bruchs des Friedens hat, in dem nicht näher umschriebenen
Beurteilungsspielraum
des
Sicherheitsrates
liegt.
Dies
entspricht
auch
der
Entstehungsgeschichte der Charta aus der eindeutig hervorgeht, dass die im Rat
versammelten Staaten in dieser Frage nicht präjudiziert sein sollen. Die
Einschätzung des Rates ist dabei vornehmlich politisch motiviert und wegen der
Zusammensetzung
aus
15
Mitgliedstaaten
unterschiedlichen
innerstaatlichen
Zuschnitts und unterschiedlicher internationaler Einbindungen und Interessen häufig
von
ganz
unterschiedlichen
Beweggründen
getragen.
Die
verabschiedeten
Resolutionen sind häufig Ausdruck von Kompromissen und spiegeln meist
unausgesprochen ganz unterschiedliche Auffassungen ihrer Autoren wider. Dies
macht ihre Interpretation schwierig und verbietet es auf jeden Fall, jenseits des
55
Wortlauts eine von den Motiven der Ratsmitglieder abgehobene, "objektive"
Interpretation vorzunehmen.
Bezüglich der Einschätzung der Intensität eines Konflikts ist für den Rat vor allem
ausschlaggebend, ob er gewillt ist, Zwangsmaßnahmen zu verhängen oder nicht. In
der Zeit des kalten Krieges scheiterte die Feststellung einer Friedensbedrohung
häufig daran, dass im Rat keine Einigkeit über die Verhängung von Zwang zu
erzielen war. Meist gehörte der Aggressor einem politischen Bündnis unter der
Führung einer der beiden Supermächte USA und UDSSR an oder stand einem
solchen Bündnis zumindest nahe, was die Schutzmacht im Rat immer dann zur
Ausübung des Vetorechts veranlasste, wenn der Schützling mit Zwang überzogen
werden sollte. Dagegen konnte man sich auf unverbindliche Resolutionen auch in
solchen Fällen in der Regel einigen.
Darüber hinaus hat der Sicherheitsrat aber in der Vergangenheit auch deshalb häufig
Zurückhaltung in Bezug auf Art.39 geübt, weil er die Anforderungen an diese Norm
hoch angesetzt hat. Die ihm übertragene Befugnis zur Verhängung von Zwang wollte
er nur dann gebrauchen, wenn ein Konflikt von erheblicher Bedeutung war. Bloße
Grenzzwischenfälle oder auch begrenzte militärische Konflikte mit der Aussicht auf
ein rasches Ende hat er deshalb meist nur mit Maßnahmen gemäß Kapitel VI
begleitet.
Es gibt auch keine einheitlichen Maßstäbe dafür, wann der Rat eine Bedrohung des
Friedens, einen Bruch des Friedens oder einen Akt der Aggression annimmt. Eine
Bedrohung des Friedens liegt an sich wegen der parallelen Formulierung zu Art.2 (4)
nahe, wenn in einem Konflikt die Anwendung von Gewalt angedroht worden ist oder
wenn ein Konflikt in absehbarer Zeit auch ohne konkrete Androhung in die
Anwendung von Gewalt umzuschlagen droht. Der Rat hat aber insbesondere in
humanitären Konflikten häufig eine Bedrohung angenommen, wenn schon Gewalt
ausgeübt worden ist.
Einen Bruch des Friedens sollte der Rat nur in solchen Konflikten annehmen, in
denen es in erheblichen Umfang zur Anwendung von Gewalt gekommen ist.
Akte der Aggression hat der Rat bisher noch nie angenommen. Das Problem liegt
hier darin, dass der Rat in diesem Fall einen Aggressor frühzeitig bestimmen muss,
der dann notwendig einseitig Adressat der Sanktionen wird. Diese Festlegung scheut
56
der Rat, um sich nicht politische Optionen zu verbauen. Insbesondere hat der Rat es
immer abgelehnt, die Definition der Generalversammlung aus der Definition of
Aggression Resolution anzuwenden. Diskutiert wurde es ernsthaft im Irak-Kuwait
Konflikt, wo der Tatbestand der Aggression eigentlich offen lag. Dort konnte aber die
damalige UdSSR eine Vorverurteilung ihres langjährigen Verbündeten Irak
vermeiden.
Bei
der
Abgrenzung
Friedensgefährdungen
von
Friedensbrüchen
weist
die
Praxis
zu
des
Friedensbedrohungen
Sicherheitsrates
und
erhebliche
Diskrepanzen auf. Der Überfall argentinischer Truppen auf die Falklandinseln im Jahr
1982 wurde sofort als Bruch des internationalen Friedens eingestuft. Dabei wurde
nur knapp drei Stunden gekämpft, bis die britische Besatzung von weniger als
hundert Mann von überlegenen argentinischen Einheiten besiegt worden war. Tote
gab es kaum und Gegenstand des Streits war eine abgelegene Inselgruppe im
Südatlantik. Dagegen hat der Rat den Krieg zwischen dem Iran und dem Irak
zwischen 1980 und 1987 sieben Jahre lang nur als Gefahr für den Fortbestand des
Friedens bewertet, obwohl auf beiden Seiten in die Millionen zählende Armeen
eingesetzt wurden und mehrere hunderttausend Mann starben. Als Friedensbruch
wurde etwa auch der Einmarsch nordkoreanischer Truppen in Südkorea im Jahr
1950 und der Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait im Jahr 1990 gewertet.
Friedensbedrohungen
sollten
etwa
die
Unterstützung
des
weißen
Minderheitenregimes in Südrhodesien, die Konflikte des Regimes in Südafrika mit
seinen Nachbarstaaten, der Krieg in Jugoslawien, die Ausbildung und Entsendung
von Terroristen durch Libyen und die humanitären Konflikte in Afrika und
Mittelamerika sein.
II. Das Schutzgut internationaler Friede und internationale Sicherheit:
Höchst umstritten ist in Schrifttum und Praxis, was Schutzgut von Art.39 UN-Charta
ist, also insbesondere welcher Friedensbegriff dieser Norm zugrunde liegt. Insoweit
ist man sich nur einig, dass Verstöße gegen das Gewaltverbot gemäß Art.2 (4)
immer eine Bedrohung des Friedens darstellen können. Das heißt, dass jede
Ausübung von Gewalt, die von einem Staat gegen einen anderen Staat, also in
seinen internationalen Beziehungen ausgeübt wird, den Tatbestand von Art.39
erfüllen kann.
57
Internationale Einwirkungen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt sollen
dagegen
auch
wenn
sie
eine
völkerrechtswidrige
Intervention
darstellen,
grundsätzlich für Art.39 irrelevant sein. Von diesem Grundsatz hat der Sicherheitsrat
allerdings in einem berühmt gewordenen Fall eine Ausnahme gemacht. Im Südrhodesienkonflikt hat er auch anderweitige Interventionen für die Feststellung einer
Friedensbedrohung und für die Verhängung nichtmilitärischen Zwangs gemäß Art.41
UN-Charta und sogar von militärischem Zwang gemäß Art.42 genügen lassen. Dabei
ging es um die einseitige Unabhängigkeitserklärung der Regierung Ian Smith, die
Südrhodesien, das britische Kolonie war, im Jahr 1965 zu einem unabhängigen Staat
machen wollten. Der Sicherheitsrat hat diese Erklärung nicht akzeptiert, so dass der
Konflikt an sich eine innere Angelegenheit des Vereinigten Königreichs blieb. Allerdings hat er auf dessen Wunsch hin, die wirtschaftliche Versorgung Südrhodesiens
durch
die
portugiesische
Kolonie
Mozambique
und
durch
Südafrika
als
Friedensbedrohung qualifiziert und hat Zwang zur Unterbindung dieser Versorgung
angeordnet. Diese Praxis ist bis heute umstritten und wird in der Literatur häufig
fälschlich als Fall der Erweiterung des Friedensbegriffs um die Menschenrechte und
das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewertet.
Zu neueren Praxis vgl. Kapitel 4
III. Die Empfehlungen gemäss Art.39 UN-Charta
Bevor der Sicherheitsrat Zwangsmassnahmen verhängt, kann er gemäss Art.39
Empfehlungen an die Streitparteien richten. Diese Empfehlungen sind rechtlich
unverbindlich. Damit entsteht das Problem der Abgrenzung zu Maßnahmen nach
Kapitel VI UN-Charta. Rein formal erfolgt diese Abgrenzung danach, ob der Rat den
Tatbestand von Art.39 festgestellt hat oder nicht. Dann kann der Rat auf der
Grundlage dieser Feststellung bei Nichtbefolgung der Empfehlung ohne weiteres zu
Zwangsmassnahmen übergehen, während bei Nichtbefolgung von Empfehlungen
gemäss Kapitel VI erst eine neue Qualität des Konflikts festgestellt werden muss.
Ob es Praxis für solche Empfehlungen gibt, ist umstritten. In der Literatur wird
vielfach behauptet, die Resolution 83 (1950) zum Koreakonflikt habe eine solche
Empfehlung enthalten. Dort hatte der Rat nach dem Einmarsch der Nordkoreaner in
Südkorea empfohlen, dass die Mitglieder der UNO der Republik Korea alle
58
notwendige Hilfe gewähren, um den bewaffneten Angriff zurückzuweisen und um
den internationalen Frieden und die Sicherheit wiederherzustellen. Dabei soll es sich
um die Empfehlung handeln, zugunsten von Südkorea bewaffnete Nothilfe gemäss
Art.51 auszuüben. Bei genauer Betrachtung handelt es sich jedoch um die
Empfehlung, militärischen Zwang im Namen der Vereinten Nationen zu üben, was
aus den nachfolgenden Resolutionen deutlich wird, in denen die Truppen ermächtigt
werden, die Fahne der UNO zu führen und in denen das präzise Ziel der
Operationen angegeben wird. In dieser Resolution 84 (1950) heißt es:
"The Security Council,
5.
Authorizes the unified command at its discretion to use the United Nations flag
in the course of operations against North Korean forces concurrently with the flags of
the various nations participating..."
Diese Empfehlung ist vergleichbar mit der Ermächtigungstechnik seit der Resolution
678 (1990) und weist auf Art.42 als Rechtsgrundlage hin. Einzelheiten dort.
IV. Die vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 UN-Charta
Vorläufige Maßnahmen enthalten in der Regel Handlungsanweisungen an die
Streitparteien, deren Befolgung nach der Auffassung des Sicherheitsrates zur
Beilegung des Streits dienen können. Solche Handlungsanweisungen können
Aufforderungen zur Einstellung von Kampfhandlungen verbunden mit dem
Rückzug von Truppen sein, es kann der
Abschluss von Waffenstillstandsverträgen oder die
Einrichtung von Demarkationslinien verlangt werden, so in der Resolution 598
(1987), die zur Beilegung des ersten Golfkrieges zwischen dem Iran und dem Irak
maßgeblich beigetragen hat.
Damit rücken die vorläufigen Maßnahmen in die Nähe der Maßnahmen zur
friedlichen Streitbeilegung, die sich ebenfalls ausschließlich an die Konfliktparteien
wenden. Allerdings sind die vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 unter den oben
genannten Voraussetzungen für die Konfliktparteien rechtlich verbindlich. Die
Bindungswirkung bei solchen Anordnungen, die wie der Abschluss eines
59
Waffenstillstandsabkommens von der Mitwirkung beider Parteien abhängig ist,
setzt jedoch für jeden Konfliktparteien die Bereitschaft der anderen Seite voraus.
Zudem bleiben sie nach dem Wortlaut von Art.40 ohne Auswirkungen auf die Rechte,
die Ansprüche und die Stellung der Konfliktparteien. Das heißt, dass die getroffenen
Anordnungen nicht die Rechtsansprüche der Parteien präjudizieren dürfen. Sie sind
vielmehr nur vorläufiger Natur, das heißt sie dienen nur der Beilegung des Konflikts
nicht der endgültigen Klärung der völkerrechtlichen Lage.
Beispiel: Wenn eine Streitpartei zur Beachtung einer bestimmten Grenze und zum
Rückzug ihrer Truppen aus den jenseits dieser Grenze liegenden Gebieten
aufgefordert wird, ist damit nicht festgestellt, dass etwaige Ansprüche des
betroffenen Staates auf diese Gebiete nicht bestehen. Dies deckt sich auch mit dem
Inhalt des Gewaltverbots, das den Einsatz militärischer Gewalt zur Verfolgung von
Gebietsansprüchen verbietet, wenn dieses Gebiet von einem anderen Staat
beherrscht wird und diese Beherrschung für eine gewisse Zeit in einem befriedeten
Zustand bestanden hat. Sog de facto Regime.
Wegen des vorläufigen Charakters können deshalb Konfliktparteien nicht dazu
gezwungen werden, ihren Gegner anzuerkennen, da die Anerkennung ein
grundsätzlich nicht widerrufbarer Akt ist, der den Status des Anerkannten im
Verhältnis zum Anerkennenden endgültig regelt.
V. Die nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.41 UN-Charta
Dabei handelt es sich um echte Zwangsmaßnahmen, das heißt sie sind für die
Adressaten rechtlich verbindlich. Ihre Verhängung ist nach dem Wortlaut des
Art.39
auf
jeden
Fall
von
der
vorherigen
Feststellung
mindestens
einer
Friedensbedrohung abhängig. Als Zwangsmaßnahmen dienen sie der Durchsetzung
von Anordnungen des Sicherheitsrates. Dabei ist die Anordnung und Anwendung
von Zwang nur gerechtfertigt, wenn die durchzusetzenden Anordnungen rechtlich
verbindlich sind. Deshalb kann es sich bei diesen Anordnungen nur um verbindliche
Aufforderungen an die Konfliktparteien auf der Grundlage von Art.40 UN-Charta
handeln.
Für die Zwangsmaßnahmen gemäß Art.41 UN-Charta gibt es keinen abschließenden
Katalog. Art.41 selbst nennt einige Beispiele, ohne dass diese Aufzählung
abschließend wäre. Die einzige Beschränkung besteht darin, dass gemäß Art.41 UN-
60
Charta keine Maßnahmen verhängt werden können, welche die Anwendung militärischer Gewalt implizieren. Dies ist nur gemäß Art.42 UN-Charta möglich.
In der Praxis haben sich als häufige Form nichtmilitärischen Zwangs sogenannte
wirtschaftliche Boykottmaßnahmen herauskristallisiert. Diese Maßnahmen haben
in der Regel eine doppelte Zielrichtung. Zum einen können sie sich an eine oder
mehrere Konfliktparteien richten und diesen verbieten wirtschaftlichen Handel zu
treiben. Mit diesem wirtschaftlichen Druck sollen die Konfliktparteien dazu veranlasst
werden, Anordnungen des Sicherheitsrats Folge zu leisten.
Beispiel: In der Resolution 661 (1990) verbietet der Sicherheitsrat jeden Handel mit
dem Irak und Kuwait insbesondere wird dem Irak verboten, Öl auszuführen. Die
Resolution 661 (1990) dient ihrem Wortlaut nach zur Durchsetzung der Resolution
660 (1990), in welcher der Irak verbindlich zum Rückzug seiner Truppen aus Kuwait
aufgefordert wird. Mit dem Embargo soll dem Irak die wichtigste Einnahmequelle
genommen werden. Dadurch soll politischer und ökonomischer Druck ausgeübt
werden und seine Fähigkeit zur Unterhaltung eines schlagkräftigen Militärs und damit
seinem Aggressionspotential soll damit geschmälert werden. Die Resolution enthält
also indirekte und direkte Zwangselemente.
Daneben richten sich solche Resolutionen aber auch an die übrigen Mitglieder der
Vereinten
Nationen,
die
nicht
Adressat
verbindlicher
Anordnungen
des
Sicherheitsrates sind. Ihnen wird ebenfalls rechtlich verbindlich verboten, mit dem
Aggressor Handel zu treiben. Die Befugnis des Sicherheitsrates zur Inanspruchnahme nicht konfliktbeteiligter Mitglieder ergibt sich ausdrücklich aus dem
Wortlaut von Art.41 UN-Charta. Die rechtliche Verbindlichkeit ergibt sich aus Art.48
(1) UN-Charta. Sie stellt eine weitreichende Selbstbeschränkung der Staaten in
solchen Konflikten dar.
Da auf diese, am Konflikt unbeteiligten Staaten kein ökonomischer Druck ausgeübt
werden
darf,
dürfen
die
Boykottmaßnahmen
ihnen
keinen
erheblichen
wirtschaftlichen Schaden zufügen. Deshalb eröffnet Art.50 UN-Charta wirtschaftlich
schwachen Staaten die Möglichkeit, sich an den Sicherheitsrat mit der Bitte zu
wenden, Kompensationen für die Mitwirkung am Boykott zu erhalten oder von der
Teilnahme am Boykott ausgenommen zu werden. Dabei ist der Sicherheitsrat
allerdings nicht verpflichtet, diesem Ansinnen Folge zu leisten, er kann aber gemäß
Art.48 (1) einzelne Mitglieder von der Mitwirkung befreien und er kann empfehlen,
61
solchen Staaten wirtschaftliche Unterstützung zu gewähren. In der Resolution 661
(1990) hat der Sicherheitsrat erstmals ein Komitee eingesetzt, um die Anträge
betroffener Staaten zu überprüfen. Wie in den Fällen zuvor, ist jedoch kein Mitglied
vom Vollzug ausgenommen worden, allerdings sind Empfehlungen zur Unterstützung
einiger Mitglieder ausgesprochen worden. Diese Empfehlungen sind jedoch rechtlich
unverbindlich.
Der Sicherheitsrat kann solche Boykottmaßnahmen auch nur an die Drittstaaten
richten. Dies setzt voraus, dass der vom Boykott betroffene Staat damit
einverstanden ist. Dies war so bei den Wirtschaftssanktionen in Bezug auf
Südrhodesien beginnend mit der Resolution 232 (1966), die alle auf Antrag des
Vereinigten Königreichs zustande kamen, und bei der Resolution 713 (1991), mit der
bei ausdrücklicher Billigung durch den Außenminister ein Waffenembargo in Bezug
auf die damals noch bestehende Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien
verhängt wurde. Solche nur an Drittstaaten gerichteten Boykottmaßnahmen
rechtfertigen sich damit, dass das Handeltreiben gegen den Willen der Regierung
des betroffenen Staates eine Intervention in dessen innere Angelegenheiten und bei
der Lieferung von Waffen unter Umständen sogar einen Verstoß gegen das
Gewaltverbot darstellt.
Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen können umfänglich sein, wie im Falle des Irak
oder später der neu entstandenen Bundesrepublik Jugoslawien, wo bis auf die
Lieferung von Medikamenten und einigen Nahrungsmitteln jeglicher Handel verboten
worden ist. Sie können sich aber auch auf einige wenige Produkte in der Regel
häufig auf Waffen, wie im Falle Südafrikas (Res 477 (1977)) und Jugoslawiens oder
auf Öl, wie etwa im Falle Süd-Rhodesiens beziehen. Neben wirtschaftlichem Zwang
nennt Art.41 auch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen und die
Unterbrechung der Kommunikationswege. Dies hat bei dem bisher umfassensten
Boykott gegen Jugoslawien in der Res 757 (1992) eine Rolle gespielt.
Neben diesen in Art.41 genannten Maßnahmen hat in der Praxis einmal die
verbindliche Aufforderung an die Mitglieder zur Nichtanerkennung eines Staates,
nämlich Südrhodesiens in der Res 216 (1965) und zur Nichtanerkennung einer
Annexion eines Staates, nämlich Kuwaits in der Res 662 (1990) eine Rolle gespielt.
Dies sind Maßnahmen gemäss Art.41 und nicht vorläufige Maßnahmen gemäss
Art.40, weil sie sich auf die Rechtslage verbindlich auswirken wollen.
62
VI. Die militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.42 UN-Charta
Die militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.42 UN-Charta unterscheiden sich
von den nichtmilitärischen dadurch, dass sie den Einsatz militärischer Streitkräfte
implizieren. Dies können nach der Aufzählung in Art.42 See-, Luft- oder
Landstreitkräfte sein. Den Einsatz dieser Streitkräfte kann der Sicherheitsrat ausdrücklich benennen oder kann mit Formulierungen wie "all necessary means" in der
Resolution 678 (1990) neben anderen Maßnahmen auch diese meinen. In einem
solchen Fall ist als Rechtsgrundlage immer Art.42 zu prüfen.
Militärische Zwangsmaßnahmen kann der Sicherheitsrat nur anordnen, wenn er der
Meinung ist, dass nichtmilitärische Maßnahmen gemäß Art.41 nicht ausreichen, um
den
Frieden
und
die
Sicherheit
wiederherzustellen.
Die
nichtmilitärischen
Maßnahmen sind also ultima ratio, sie unterliegen dem
Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Das bedeutet aber nicht, dass der Sicherheitsrat, bevor er
nach Art.42 handelt, zuvor nichtmilitärische Maßnahmen verhängt haben muss. Er
kann direkt solche militärischen Maßnahmen verhängen, wenn er der Auffassung ist,
dass nur diese den Konflikt beenden können.
Militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates unterscheiden sich von sogenannten
Friedenstruppen (Blauhelmen) dadurch, dass ihre Entsendung gegen den Willen
des betroffenen Staates erfolgt. Es sind damit Zwangsmaßnahmen.
Genauso wie die nichtmilitärischen Maßnahmen dienen sie häufig der Durchsetzung
verbindlicher Anordnungen des Sicherheitsrates gemäß Art.40 UN-Charta, wenn der
betroffene Staat diesen Anordnungen nicht Folge leistet. Dies war etwa bei der
Resolution 678 (1990) im Kuwait-Konflikt der Fall, wo der Rat militärischen Zwang
zur Durchsetzung der in der Res. 660 (1990) an den Irak gerichteten Aufforderung
zum Rückzug aller Truppen aus Kuwait anordnete.
Militärische Maßnahmen können auch der Durchsetzung nichtmilitärischen Zwangs
gemäß Art.41 dienen. Verhängt der Sicherheitsrat etwa ein Wirtschaftsembargo
und wird diesem nicht Folge geleistet, dann verhängt er gelegentlich militärischen
Zwang, um diesem Embargo Wirksamkeit zu verleihen. Ein Beispiel dafür ist die
Resolution 665 (1990), in welcher der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten auffordert,
zur Durchsetzung des in der Resolution 661 (1990) gegen den Irak verhängen
63
Embargos, mit den im Persischen Golf stationierten Seestreitkräften alle ein- und
auslaufenden Schiffe anzuhalten und ihre Ladung zu überprüfen.
Ein weiterer Fall ist die Resolution 787 (1992) zum Jugoslawienkonflikt, in welcher
der Sicherheitsrat zur Durchsetzung seiner in den Resolutionen 713 (1991) und 757
(1992) getroffenen Embargomaßnahmen die Mitgliedstaaten zur Anwendung von
Gewalt mittels ihrer Marinestreitkräfte in der Adria auffordert. Obwohl vom Wortlaut
vergleichbar ist die Resolution 221 (1966) im Rhodesienkonflikt damit nicht
vergleichbar, da in diesem Fall zuvor vom Rat kein bindendes Wirtschaftsembargo
verhängt wurde. Dies geschah erst ein halbes Jahr später in der Resolution 232
(1966).
Diese Vorgehensweise ist im Verhältnis zu den Konfliktparteien unproblematisch.
Diesen gegenüber hat der Sicherheitsrat zuvor eine bindende Anweisung gemäß
Art.40 UN-Charta erteilt und diese haben in der Regel auch zuvor einen Akt der
Aggression oder zumindest eine Verletzung des Gewaltverbots begangen.
Gegenüber den übrigen Mitgliedern, die wegen der Doppelwirkung von Embargomaßnahmen ebenfalls von solchem militärischen Zwang erfasst werden, ist
dieses Vorgehen jedoch problematisch. Diese verstoßen, wenn sie das Embargo
verletzen, nicht gegen das Gewaltverbot, sie verletzen lediglich ihre Pflichten aus
Art.48 (1) und Art.41 zur Befolgung bindender Anordnungen des Sicherheitsrates.
Damit wird militärischer Zwang nicht nur gegen diejenigen verhängt, die gemäß
Art.39 für die Friedensbedrohung oder den Friedensbruch verantwortlich sind,
sondern auch gegenüber denjenigen, die durch ihr Verhalten die Bemühungen des
Sicherheitsrates zur Wiederherstellung des Friedens vereiteln wollen. Da sich weder
aus Art.48 noch aus Art.25 eine solche Kompetenz des Sicherheitsrats ergibt, spricht
vieles dafür, dass der Sicherheitsrat nur dann militärische Zwangsmaßnahmen
gegen nicht konfliktbeteiligte Staaten verhängen kann, wenn diese durch den
Verstoß gegen das Embargo ihrerseits für die Friedensbedrohung oder den
Friedensbruch gemäß Art.39 verantwortlich gemacht werden können.
In der Praxis ist festzustellen, dass in beiden Fällen die meisten Mitgliedstaaten diese
Anordnungen als rechtmäßig akzeptiert haben. Bezüglich den Resolutionen zum
Jugoslawienkonflikt trifft dies allerdings nicht für Bosnien-Herzegowina zu. Diesem
seit Anfang 1992 als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommenen Staat
gegenüber war die Verhängung militärischen Zwangs zur Durchsetzung des in der
64
Res.713 (1991) für das gesamte Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verhängten
Waffenembargos rechtswidrig. Zum einen ist nicht nachzuvollziehen, warum das mit
der Zustimmung der damaligen jugoslawischen Regierung verhängte Embargo ohne
weiteres auch für Bosnien-Herzegowina galt, da die Zustimmung der jugoslawischen
Regierung die neu entstandene Republik Bosnien-Herzegowina nicht binden konnte
und eine Rechtsnachfolge in Embargomaßnahmen ohne weiteres nicht möglich ist.
Zum anderen wurde Bosnien-Herzegowina nicht für die Bedrohung des Friedens
verantwortlich gemacht, vielmehr sah der Sicherheitsrat diesen Staat als Opfer von
Gewaltmaßnahmen der neu entstandenen Bundesrepublik Jugoslawien. Bosnien hat
deshalb zur Recht gegen die Anwendung des Embargos auf sein Staatsgebiet und
gegen die Verhängung militärischen Zwangs zu seiner Durchsetzung protestiert.
VII. Die Sonderabkommen gemäss Art.43 UN-Charta
Nach der Konzeption des Art.42 soll der militärische Zwang vom Sicherheitsrat selbst
ergriffen werden. Dies kann er aber nur dann, wenn ihm selbst militärische
Streitkräfte zur Verfügung stehen. Gemäß Art.43 verschafft er sich diese Streitkräfte,
indem er mit einigen oder allen Mitgliedern Sonderabkommen abschließt, in denen
die Mitglieder sich verpflichten, dem Sicherheitsrat solche Streitkräfte zur Verfügung
zu stellen, wenn er sie anfordert. Diese Mitglieder sind gemäß Art.45 verpflichtet,
einen in dem Abkommen bestimmten Teil ihrer Streitkräfte für einen solchen Einsatz
bereit zu halten. Die Koordinierung des Einsatzes der Streitkräfte erfolgt durch den
nach Art.47 zu bildenden Generalstabsausschuss, der aus den Generalstabschefs
der zur Stellung von Streitkräften bestimmten Mitglieder.
Die Mitgliedstaaten sind allerdings nicht verpflichtet, solche Sonderabkommen zu
schließen. Gemäß Art.43 (3) sind sie nur verpflichtet, auf Aufforderung des
Sicherheitsrates über den Abschluss solcher Abkommen ernsthaft zu verhandeln.
Art.43 enthält also ein sog. pactum de negotiando. Wegen des bald nach Gründung
der UNO ausbrechenden sog. kalten Krieges sind trotz Vorarbeiten im Sicherheitsrat
keine Sonderabkommen geschlossen worden. Dies hat sich auch nach der
Überwindung des Ost-West-Konflikts 1989/90 nicht geändert. Deshalb kann der
Sicherheitsrat bis heute solche militärischen Zwangsmaßnahmen nicht selbst
durchführen.
65
Er hat sich deshalb in der Praxis anderer Techniken bedient. In mehreren Fällen hat
er Mitglieder ermächtigt, selbst militärischen Zwang anzuwenden. Bei diesen
militärischen Zwangsmaßnahmen kann man wiederum unterscheiden zwischen dem
Vollzug eines Embargos und davon unabhängigen Militäraktionen. In den
Resolutionen 221 (1966), 665 (1990) und 785 (1992) ordnet der Rat militärischen
Zwang an, um ein jeweils zuvor verhängtes Embargo durchzusetzen. In diesem Fall
hat der bewaffnete Zwang Doppelwirkung. Er wendet sich zum einen gegen den
Staat, der durch das Embargo sanktioniert wird, er trifft aber zugleich auch diejenigen
Staaten, die durch den militärischen Zwang dazu angehalten werden sollen, ihrer
Verpflichtung zur Befolgung des Embargos gemäß Art. 25 i.V.m. Art. 48 (1) UNCharta nachzukommen. Bemerkenswert ist, dass der Rat in diesen Resolutionen die
Wendung "calls upon" verwendet, die anzudeuten scheint, dass die Staaten
verpflichtet sind, den militärischen Zwang anzuwenden. Die Diskussion zu diesen
Resolutionen zeigt jedoch, dass der Rat mit der Aufforderung zur Gewaltanwendung
der Sache nach eine Ermächtigung meint, deren Vollzug ins Belieben der
Mitgliedstaaten gestellt bleibt. Diese Auffassung des Sicherheitsrats steht in Einklang
mit Art. 43 UN-Charta, der eine Verpflichtung der Staaten zur Durchführung
bewaffneter Zwangsmaßnahmen nur auf der Grundlage von Sonderabkommen
vorsieht.
Dies
gilt
auch
für
die
zwangsweise
Durchsetzung
von
Embargomaßnahmen, da eine entsprechende Verpflichtung der Mitgliedstaaten in
der Charta nicht enthalten ist.
Die zweite Fallgruppe liegt außerhalb der Durchsetzung von Embargomaßnahmen.
Der erste Fall waren die Resolutionen 83 und 84 (1950) im Koreakonflikt. Dort hat
der Rat den Mitgliedern zunächst empfohlen, Südkorea militärisch zu helfen (S/res
83) und hat sie dann ermächtigt, dabei die Flagge der UNO zu führen (S/Res 84).
Später hat er in der Resolution 221 (1966) das Vereinigte Königreich ermächtigt,
zwei Schiffe aufzubringen, die Öl in dem Hafen Beira in Mozambique löschen
wollten. In der Res.678 (1990) hat er alle Mitglieder ermächtigt, alle notwendigen
Maßnahmen zur Entsetzung Kuwaits zu ergreifen.
In der Literatur ist bis heute umstritten, ob diese Praxis rechtmäßig ist. Teilweise wird
immer noch behauptet, der Sicherheitsrat könne solange keinen militärischen Zwang
anordnen, wie keine Sonderabkommen gemäß Art.43 geschlossen seien. Ermächtige er Mitglieder, dann fehle die genügende Bindung des militärischen Zwangs an
66
die Vereinten Nationen. Deshalb deuten manche Autoren die beschriebenen Fälle
als kollektive Nothilfe zugunsten der angegriffenen Staaten.
Diese Lösung ist jedoch für die entsprechenden Resolutionen zu Jugoslawien (S/Res
770 (1992) um Hilfsgüter in Bosnien-Herzegowina zu verteilen, S/Res 787 zur
Durchsetzung des Embargos in der Adria, S/Res 816 (1993) zur Durchsetzung des
Flugverbots über Bosnien und S/Res 836 (1993) zur Sicherung der Schutzzonen)
Somalia (S/Res 794 (1992) Aktion restore hope und S/Res 814 (1993) zur
Einsetzung von UNOSOM II, Rwanda S/Res 929 (1994) operation turquoise und
Haiti S/Res 940 (1994) nicht anwendbar. In diesen Fällen wird nicht kollektive
Nothilfe für einen angegriffenen Staat geleistet, sondern es werden humanitäre
Aktionen in einem Staat gesichert oder es wird ein Regime in einem Staat durch ein
anderes ersetzt. Dies ist allenfalls als genuine Zwangsmaßnahme der UNO und nicht
als kollektive Nothilfe vorstellbar. Aber auch in den anderen Fällen zeigen die
Beratungen im Sicherheitsrat, dass dieser die Resolutionen als militärischen Zwang
gemäß Kap.VII aufgefasst hat.
Viele halten die Praxis des Rates aber für rechtmäßig. Sie verweisen entweder auf
Art.48 (1), der den Vollzug von Zwangsmaßnahmen durch die Mitglieder vorsieht
oder auf Art.42 S.2, der sagt, dass solche bewaffneten Maßnahmen auch in
Militäraktionen von Mitgliedstaaten bestehen können. Durch die Ermächtigung
werden die Mitglieder berechtigt, außerhalb des Rechts der kollektiven Nothilfe auf
der Grundlage von Art.42 bewaffnete Gewalt anzuwenden. Dies ist für den Umfang
der Aktionen maßgeblich, die sich nicht nach Art.51 sondern nach der in der
jeweiligen Resolutionen erteilten Ermächtigung richten müssen. So mussten die
Mitglieder im Kuwait-Konflikt ihre Aktionen nach der Befreiung Kuwaits abbrechen,
weil sie nur zur Durchsetzung der Res.660 (1990) ermächtigt wurden.
Diese mittlerweile gefestigte Praxis des Sicherheitsrats verstößt nicht gegen Art. 43
UN-Charta. Aus der Entstehungsgeschichte der Charta lässt sich insoweit nur
ableiten, dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung solcher Abkommen nicht
verpflichtet sind, vom Rat angeordneten militärischen Zwang durchzuführen. Der
Art. 43 UN-Charta entfaltet also Schutzwirkungen nur zugunsten solcher Staaten, die
vom Sicherheitsrat zur Durchführung von militärischem Zwang in Anspruch
genommen werden. Dagegen kann aus dieser Regel nicht gefolgert werden, dass
diejenigen Staaten, die die Adressaten des militärischen Zwangs sind, auch in den
67
Schutzbereich des Art. 43 UN-Charta fallen sollen. Insoweit ist die Handlungsfreiheit
des Sicherheitsrats also nicht eingeschränkt.
In der Literatur ist darüber hinaus vor allem im Zusammenhang mit der Resolution
678 (1990) eingewandt worden, Art. 42 UN-Charta setze voraus, dass der Rat auch
im Vollzug des militärischen Zwangs die Verfahrensherrschaft innehaben müsse.
Dies lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der Charta nicht belegen. Deshalb
genügt es meines Erachtens, dass die Staaten ihre Legitimation zur Anwendung
militärischen Zwangs auf die Anordnung durch den Rat stützen, weil damit die
materiellrechtliche Legitimation alleine auf den Rat zurückzuführen ist.
Nach dem Irak-Kuwait-Konflikt wird aber von einigen Mitgliedern des Sicherheitsrats
Kritik an dieser Praxis geübt, die jedoch von dem politischen Interesse an einer
stärkeren Kontrolle der vollziehenden Staaten geprägt ist, die aber nicht als
rechtliche Kritik gedeutet werden kann. Zumindest ist von keinem Staatenvertreter
behauptet worden, die Resolution 678 (1990) sei nichtig, die geltend gemachten
Bedenken bezogen sich ausschließlich auf die zukünftige Praxis. Die spätere Praxis
trägt diesem Bedenken häufig dadurch Rechnung, dass entweder der Rat selbst
oder der Generalsekretär in den Vollzug der Maßnahmen eingeschaltet werden. Im
Afghanistan Konflikt ist diese Praxis jedoch wieder aufgeweicht worden. In S/Res
1386 vom Dezember 2001 ist eine Friedenstruppe mit Zwangsbefugnissen
eingerichtet worden, die zunächst keine Rückbindung an die UNO hatte. Erst in S/res
1413 vom Mai 2002 ist eine Berichtspflicht an den Generalsekretär vorgesehen.
Diese Bindung an die Vereinten Nationen geht in Paragraph 10 der Resolution 836
(1993) zu Jugoslawien und der Resolution 814 (1993) sogar so weit, dass der
Vollzug in die Hand solcher Truppen gegeben wird, die unter dem direkten
Kommando der Vereinten Nationen stehen. Damit vollzieht der Rat allerdings immer
noch außerhalb von Art. 43 UN-Charta den Wechsel von Art. 42 Satz 2 zu Satz 1
dieses Artikels und ordnet militärischen Zwang an, der unmittelbar der Organisation
zuzurechnen ist. Die Fortführung dieser bisher letzten Stufe in der Anwendung des
Instrumentariums des VII. Kapitels ist jedoch wegen der knappen Ressourcen der
Organisation in jüngster Zeit wieder in Frage gestellt, weshalb es abzuwarten bleibt,
ob diese Praxis in der Zukunft fortgesetzt wird. In der Resolution 1386 (2001) zu
Afghanistan wird ausdrücklich festgestellt, dass die Ausgaben von den Mitgliedern zu
tragen
sind,
dass
aber
ein
gemeinsamer
Fonds
unter
Verwaltung
des
68
Generalsekretärs geschaffen wird, der aus Beiträgen der Mitgliedern gespeist wird
und die Kosten ärmerer Mitglieder der Friedenstruppe teilweise bestreiten soll.
In zwei Fällen hat der Sicherheitsrat zudem selbst das Kommando über die
Militäraktionen übernommen. Das waren die Res.814 (1993), in welcher die in
Somalia aufgestellte UNOSOM, zu militärischen Zwangsmaßnahmen ermächtigt
wurden (UNOSOM II) und die Res.836 (1993), in welcher die in Jugoslawien tätige
UNPROFOR zur militärischen Verteidigung der zuvor eingerichteten Schutzzonen in
Bosnien-Herzegowina ermächtigt wurde. In beiden Fällen handelte es sich um
zunächst mit dem Willen der Betroffenen entsandte Friedenstruppen Blauhelme, die
dann zu militärischen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Betroffenen
ermächtigt
wurden.
Diese
Friedenstruppen
standen
unter
dem
direkten
Weisungsrecht des Sicherheitsrates und des Generalsekretärs und haben ein
gemeinsames Oberkommando. Allerdings waren die Mitglieder auch in diesem Fall
nicht verpflichtet, sich an dem militärischen Zwang zu beteiligen. Sie können ihre
Truppen jederzeit abziehen, wenn sie dies wollen.
C. Die Zusammenarbeit mit den Regionalorganisationen
I. Die Entstehungsgeschichte von Kapitel VIII UN-Charta
Kapitel VIII UN-Charta hat seine Wurzeln in der Organisation kollektiver Sicherheit
der Staaten Nord- und Südamerikas. Erste Ansätze eines Systems regionaler
Sicherheit in Amerika entstehen durch die Monroe-Doktrin. Diese Doktrin gründet
auf eine Erklärung des amerikanischen Präsidenten Monroe vom 2. Dezember 1823.
Darin wird den außeramerikanischen Staaten, vor allem dem europäischen
Kolonialmächten, das Recht abgesprochen, in Amerika zu intervenieren. Die OAS ist
Nachfolger der 1890 gegründeten Internationalen Union Amerikanischer Staaten. Sie
wird am 30. April 1948 auf der IX. Internationalen Konferenz Amerikanischer Staaten
in Bogota/Kolumbien gegründet. Die letzte Änderung der Satzung der OAS geschah
durch das Protokoll von Managua vom 10.3.1993.
Wichtigste Rechtsgrundlage ist neben der Satzung der OAS der 1947 unterzeichnete
Interamerikanische Vertrag über gegenseitigen Beistand, der sogenannte Rio-Pakt,
der maßgeblich das System der kollektiven Sicherheit und der kollektiven
Selbstverteidigung
der
OAS
konzipiert.
Daneben
existiert
noch
der
1948
69
geschlossene Amerikanische Vertrag über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten,
der Bogota-Pakt, der die Methoden der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten unter
den Vertragsparteien regeln soll. Diesem Pakt sind aber bisher nur 14 Mitglieder mit
weitreichenden Vorbehalten beigetreten.
Die OAS hat heute 35 Mitglieder. Sie vereinigt damit alle unabhängigen
amerikanischen Staaten mit Ausnahme Kubas, das 1962 ausgeschlossen wurde.
Ziel der OAS ist vor allem die Stärkung des Friedens und der Sicherheit sowie die
Verteidigung der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit seiner
Mitglieder. Außerdem fördert sie die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit ihrer Mitglieder.
Für Konflikte innerhalb ihrer Mitglieder gilt das "try OAS first" Prinzip. Das heißt, die
Mitglieder sind verpflichtet, eine Lösung des Konflikts zuerst innerhalb der OAS und
dann erst durch andere Mechanismen (UNO etc.) zu suchen. Die OAS ist die einzige
Regionalorganisation mit einem eigenen Zwangsmaßnahmenmechanismus. Danach
können
sowohl
wirtschaftliche
wie
auch
militärische
Zwangsmaßnahmen
beschlossen werden.
Neben
der
Friedenssicherung
widmet
sich
die
OAS
auch
dem
Menschenrechtsschutz. Materiellrechtliche Grundlage hierfür ist die Amerikanische
Deklaration über die Rechte und Pflichten der Menschen aus dem Jahr 1948, die
Parallelen zur EMRK aufweist, im aber darüber hinaus auch eine Reihe politischer
Gestaltungsrechte kennt. Organe zur Durchsetzung dieser Konvention sind die 1960
gegründete Kommission für Menschenrechte und der 1979 eingesetzte InterAmerikanische
Gerichtshof
für
Menschenrechte.
Die
Amerikanische
Menschenrechtskonvention kennt genauso wie die EMRK eine Staatenbeschwerde
und eine Individualbeschwerde, die vergleichbar dem alten Verfahren der EMRK zur
Kommission erhoben wird. Die Individualbeschwerde ist für alle Mitglieder der OAS
obligatorisch.
Wegen der Existenz eines regionalen kollektiven Friedenssicherungssystems
bestanden die Staaten Amerikas in San Francisco darauf, dass ihr Sicherheitssystem
durch die Gründung der UNO nicht in Frage gestellt wird. Diesem Anliegen ist in
Art.52 (1) UN-Charta Rechnung getragen worden. Dies war notwendig, weil sonst der
in Art.103 UN-Charta statuierte Vorrang der UN-Charta solche Systeme unter
70
Umständen chartawidrig gemacht hätte.
II. Regionale Einrichtungen und Abmachungen
Regionale
Einrichtungen
sind
internationale
Organisationen
mit
eigener
Rechtsfähigkeit im Völkerrecht. Beispiele sind neben der OAS, die OAU, die
Arabische Liga, aber auch die NATO und die WEU. Abmachungen sind Absprachen
zwischen Völkerrechtssubjekten, in der Regel Staaten in der Regel auf vertraglicher
Grundlage, die keine Organisation zu ihrer Durchsetzung gegründet haben. Ein
Beispiel hierfür ist die EU. Die Absprache muss noch nicht einmal rechtsverbindlich
sein, wie die OSZE zeigt. Das Kriterium regional ist nicht so eng gefasst, dass es
sich nur auf einen Kontinent oder einen Kulturkreis bezieht. Jede Einrichtung ist
regional, die nicht wie die UNO den Anspruch auf weltweite Geltung erhebt, sondern
den Kreis ihrer Mitglieder nach bestimmbaren Kriterien begrenzt.
III. Strukturgleichheit mit der UNO
Die regionalen Einrichtungen oder Abmachungen müssen Systeme gegenseitiger
kollektiver Sicherheit sein. Das bedeutet nicht, dass dies ihr ausschließlicher Zweck
sein muss. So ist etwa die OAS sowohl ein System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit wie auch ein kollektives Selbstverteidigungssystem. Die NATO ist nach
wie vor in erster Linie ein System kollektiver Selbstverteidigung, sie wandelt jedoch
zunehmend ihren Charakter zu einem System kollektiver Friedenssicherung.
Insbesondere hat sie es sich auf der Grundlage mehrerer Beschlüsse des NATORates zur Aufgabe gemacht, militärische Zwangsmassnahmen der UNO zu
vollziehen. Sie betrachtet es aber auch unabhängig von einem Mandat des
Sicherheitsrats als ihre Aufgabe, den internationalen Frieden zu sichern, vgl. KosovoKonflikt. Dazu gleich. Die Regeln von Kapitel VIII UN-Charta sind auf solche
mehrpoligen Einrichtungen jedoch nur insoweit anwendbar, als deren Aufgabe der
kollektiven
Friedenssicherung
betroffen
ist.
Soweit
sie
Selbstverteidigungssysteme sind, werden sie von Art.51 UN-Charta erfasst.
IV. Die Eignung zur Lösung regionaler Streitigkeiten
kollektive
71
Diese Eignung ergibt sich ohne weiteres aus der Begrenzung der Zuständigkeit auf
die
Norme
der
Einrichtung,
die
ihren
Charakter
als
System
kollektiver
Friedenssicherung ausmachen. Deshalb erfasst Kapitel VIII nach allerdings nicht
unumstrittener Auffassung nur solche Konflikte, die zwischen den Mitgliedern der
regionalen Einrichtung entstehen und die nach deren Satzungsrecht behandelt
werden. Hat der Konflikt dagegen Auswirkungen auf dritte Staaten, dann ist das
System kollektiver Sicherheit als solches nicht in der Lage, auf der Grundlage seiner
Satzung den Konflikt zu lösen.
V. Das try OAS first-Prinzip
Art. 52 (2) UN-Charta greift das für die OAS entwickelte try OAS first-Prinzip auf. Die
Mitglieder der UNO sind danach gehalten, einen Konflikt vorrangig in der regionalen
Einrichtung, der sie gleichfalls angehören müssen, zu lösen. Dies gilt aber nur,
soweit es sich um eine friedliche Streitbeilegung handelt und soweit die Satzung der
Organisation dafür geeignete Verfahren vorsieht. Das Bedeutet, dass der
Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VI UN-Charta nur subsidiär zu bestehenden
regionalen Einrichtungen zum Zuge kommt.
Wird der SR trotzdem sofort von Mitgliedern einer regionalen Einrichtung angerufen,
so ist die gemäß Art.52 (4) UN-Charta möglich. Allerdings soll der Rat in diesem Fall
gemäß Art.52 (3) UN-Charta eine vorrangige Lösung in der regionalen Einrichtung
anstreben und diese fördern. Erscheint eine Lösung in der regionalen Einrichtung
erfolgversprechend, so hat sich der Rat zunächst eigener Maßnahmen zu enthalten.
Für die Frage, wann eine solche regionale Konfliktlösung erfolgversprechend
erscheint, hat sich eine pragmatische Lösung eingebürgert. Ruft eine Konfliktpartei
den Rat an, und trägt sie dabei vor, dass sie die Konfliktlösung in der regionalen
Einrichtung für nicht erfolgversprechend hält, so kann der Rat die Sache selbst an
sich ziehen. Allerdings bemüht er sich zunächst um eine Stellungnahme der
regionalen Einrichtung, die er zur Grundlage seiner Entscheidung macht.
VI. Zwangsmassnahmen durch Regionalorganisationen
Der Sicherheitsrat kann, wenn er dies für angebracht hält, gemäß Art.53 (1)
72
regionaler Einrichtungen zur Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen bedienen. Dabei
dürfen die regionalen Einrichtungen grundsätzlich solche Zwangsmaßnahmen nur
dann durchführen, wenn sie vom Rat hierzu ermächtigt werden. Diese Regelung hat
zwei rechtlich voneinander zu trennende Aspekte.
1. Die Wirkung der Zustimmung des SR
Dies bedeutet zum einen, dass Regionalorganisationen, deren Satzung die
Verhängung von Zwangsmassnahmen vorsieht, diese nur mit Zustimmung des Rates
anordnen dürfen. Damit liegt das Monopol für solche Zwangsmassnahmen beim Rat.
Dieses Monopol gilt aber nur für echte Zwangsmassnahmen im Sinne von Kapitel VII
UN-Charta. Und innerhalb von Kapitel VII hat sich in der Praxis der Streit darüber, ob
entsprechend
dem
Wortlaut
sowohl
militärische
wie
auch
nichtmilitärische
Zwangsmassnahmen erfasst werden, dahingehend gelöst, dass nur Art.42 vom
Zustimmungserfordernis des Rates erfasst wird. Dagegen sind insbesondere
mehrere Embargomaßnahmen der OAS auch ohne Genehmigung des Rates
durchgeführt worden. So hat die OAS am 8.10.1991 ein Handelsembargo gegen
Haiti verhängt, welches sich der Rat am 16.06.1993 in S/Res 841 (1993) zu eigen
gemacht und für alle Mitglieder der UNO verbindlich gemacht hat. Dies zeigt, dass er
damit das Embargo der OAS inzident gebilligt hat. Die Beschränkung des
Zustimmungserfordernisses auf militärische Maßnahmen entspricht auch dem
allgemeinen Völkerrecht. Während das Gewaltverbot gemäss Art.2 (4) nur durch die
davon zulässigen Ausnahmen gemäß Art.51 und Art.42 außer kraft gesetzt werden
kann, ist es den Staaten nach allgemeinem Völkerrecht unbenommen, andere
Staaten wirtschaftlich zu boykottieren.
2. Die Wirkung der Ermächtigung des SR
Zum zweiten kann der Rat regionale Einrichtungen ermächtigen, sowohl militärische
wie auch nichtmilitärische Massnahmen durchzuführen. Dabei ist aber zwischen der
Rechtslage nach der Charta und der Rechtslage gemäß der Satzung der regionalen
Einrichtung zu unterscheiden. Chartagemäß kann eine solche Ermächtigung auch
dann sein, wenn die regionale Einrichtung nach ihrer Satzung hierzu keine
Kompetenz hat. Allerdings ist die Maßnahmen dann trotzdem bezogen auf die
73
regionale Einrichtung ultra vires und damit nichtig. Mit dem Tatbestandsmerkmal
„where appropriate“ in Art.53 (1) kann die satzungsmäßige Zuständigkeit der
Regionalorganisation nicht erweitert werden. Nur die Mitgliedstaaten sind gemäß
Art.48 (1) verpflichtet, Zwangsmaßnahmen durchzuführen, wobei sich diese Pflicht
aber wegen Art.43 nur auf nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen bezieht. Eine
Ermächtigung
zum
Vollzug
militärischer
Zwangsmaßnahmen,
die
von
den
Mitgliedstaaten in regionalen Einrichtungen durchgeführt wird, setzt gemäß Art.48 (2)
voraus, dass diese Einrichtung dazu geeignet ist. Die Eignung bedeutet aber, dass
sie im Rechtssinne kraft ihrer Satzung dazu in der Lage ist.
D. Die kollektive Selbstverteidigung
I. Der bewaffnete Angriff
Ausgelöst wird dieses Recht durch einen bewaffneten Angriff (armed attack) bzw.
eine bewaffnete Aggression (aggression armée). Darunter wird häufig nur der mit
Waffengewalt geführte Angriff auf das Staatsgebiet eines anderen Staates
verstanden. Das dies unsinnig ist, zeigt das Beispiel des Angriffs auf eigenen
Kriegsschiffe oder Flugzeuge. Auch dies muss als bewaffneter Angriff gewertet
werden. Darüber hinaus wird man alle Maßnahmen im internationalen Verkehr, die
das Gewaltverbot verletzen als bewaffneten Angriff ansehen müssen. Es kann nicht
davon ausgegangen werden, dass die Staaten sich das Recht der Selbstverteidigung
gegen Verletzungen des Gewaltverbots nehmen wollten. Dafür spricht auch Art.1 der
Aggressionsdefinition, der die Anwendung jeder Form von Gewalt, die gegen die
territoriale Integrität die politische Unabhängigkeit oder die Souveränität eines
anderen Staates oder die sonstwie gegen die Ziele der Vereinten Nationen gerichtet
ist, verbietet.
II. Das den Staaten eigenen Recht der Selbstverteidigung
Dafür spricht insbesondere, dass Art.51 auf das den Staaten inhärente oder eigene
Recht
der
Selbstverteidigung
abhebt.
Damit
ist
gemeint,
dass
das
Selbstverteidigungsrecht untrennbar mit der Souveränität der Staaten verbunden ist,
also nicht einer ausdrücklichen Gewährleistung im Völkerrecht bedarf. Mit Art.51
haben die Staaten dieses Recht in das System der kollektiven Friedenssicherung der
74
Vereinten Nationen eingebracht. Sie haben sich dabei aber nur soweit im Recht auf
Selbstverteidigung zurückgenommen, wie die UNO an ihrer Stellt kollektiven Schutz
gegen Verletzungen des Gewaltverbots organisieren kann. Dies ist eine rein
verfahrensrechtliche Frage. Materiellrechtlich wollten sie keine Grauzonen schaffen,
in denen allenfalls die UNO nicht aber daneben auch die Staaten Selbstverteidigung
üben dürfen.
III. Die indirekte Aggression
1. Die Regelungen der Aggressionsdefinition
Die Gleichstellung von bewaffnetem Angriff und Verstoß gegen das Gewaltverbot
zeigt sich auch in der Diskussion um die sogenannte indirekte Aggression.
Darunter sind insbesondere die in Art.3 g der Aggressionsdefinition genannten Fälle
zu verstehen. Der IGH hat im Nicaragua Case, ICJ Reports 1986, S.104 ausdrücklich
bestätigt, dass auch solche Akte bewaffnete Angriffe sein können, die das Recht der
Selbstverteidigung auslösen. Dabei hat die Mehrheit der Richter aber angenommen,
dass solche Akte nur dann zur Selbstverteidigung berechtigen, wenn sie eine
gewissen Erheblichkeit haben. Sogenannte low intensity conflicts wie bloße
Grenzzwischenfälle seien keine bewaffneten Angriffe. Begründet wird dies mit der
Klausel in Art.3 g, dass indirekte Aggression nur bei einer bestimmten Erheblichkeit
mit den anderen Formen der Aggression gleich gestellt werden kann. Dies wird von
den Richtern Schwebel und Jennings mit breiter Zustimmung in der Literatur kritisiert,
weil es zur Folge hat, dass es bewaffnete Maßnahmen gibt, auf die der Staat
allenfalls mit Entschädigungsansprüchen nicht aber mit militärischer Verteidigung
reagieren kann. Umgekehrt kann der Aggressor bis zu einer bestimmten Schwelle
nahezu ungestraft Gewalt ausüben.
2. Die Ausweitung durch den 11. September 2001
Eine solche erheblich indirekte Aggression stellt auf jeden Fall der Angriff von
Terroristen auf Ziele in New York und Washington am 11. September 2001 dar.
a. Zum Tatbestand:
Ab Mai 1996 brachten innerhalb kurzer Zeit die Taliban weite Teile Afghanistans
unter ihre Kontrolle, nahmen im September 1996 Kabul ein und stürzten die
75
Regierung Rabbani/Hekmatyar, die sich in den noch nicht von den Taliban eroberten
Norden
Afghanistans
flüchtete.
Die
Taliban
bildeten
eine
sechsköpfige
Übergangsregierung unter der Führung von Mullah Mohammad Rabbani und
errichteten einen islamistischen „Gottesstaat”, der jedoch nur von Pakistan sowie
Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt wurde. Die
verbliebenen Mudschaheddin-Gruppierungen schlossen sich gegen das TalibanRegime zur so genannten Nordallianz zusammen, geführt von Burhanuddin
Rabbani, der sich weiterhin als legitimer Präsident Afghanistans verstand, General
Dostum sowie Ahmed Schah Massud. Die Nordallianz kontrollierte den Nordosten
und unternahm wiederholt Offensiven gegen die Taliban, die wiederum mit
Gegenangriffen antworteten. Keine der beiden Seiten konnte im weiteren Verlauf
nennenswerte Erfolge erringen, die Front zwischen Taliban und Nordallianz
stagnierte.
Die verheerenden Terrorangriffe auf das World Trade Center in New York und das
Pentagon in Washington vom 11. September 2001 leiteten den Sturz des TalibanRegimes ein. Als Hauptverantwortlicher wurde bereits kurz nach den Anschlägen
Osama bin Laden identifiziert, der sich weiterhin unter dem Schutz der Taliban in
Afghanistan aufhielt. US-Präsident George W. Bush forderte das Taliban-Regime
wiederholt auf, bin Laden auszuliefern, und drohte zugleich mit militärischer
Vergeltung. Die Taliban wiesen alle Auslieferungsforderungen zurück; die Angst vor
möglichen Angriffen der USA trieb weitere Zehntausende Afghanen in die Flucht, von
denen sich ein Großteil an der inzwischen offiziell geschlossenen Grenze zu
Pakistan staute.
Unterdessen formierten die USA eine weltweite Antiterrorkoalition, die NATO stellte
den Bündnisfall fest, die Nordallianz wurde von den USA und anderen Staaten der
Antiterrorkoalition mit Waffen und Finanzmitteln ausgerüstet, in den nördlichen
Nachbarländern Afghanistans wurden erste US-amerikanische Truppen stationiert.
Dennoch weigerten sich die Taliban weiterhin, bin Laden auszuliefern, kündigten
vielmehr massiven Widerstand an. Am 7. Oktober 2001 begannen die USA,
unterstützt von Großbritannien, mit Luftangriffen auf Stellungen der Taliban sowie auf
Ausbildungslager der al Kaida in Afghanistan ihren angekündigten und international
gebilligten Krieg gegen das Taliban-Regime. Parallel zu den amerikanisch-britischen
Luftangriffen agierte die Nordallianz am Boden, zunächst ohne größeren Erfolg; im
November gelang jedoch der entscheidende Durchbruch: Am 11. November 2001
76
eroberte die Nordallianz die strategisch wichtige Stadt Mazar-i-Sharif, und zwei Tage
später zog sie in der Hauptstadt Kabul ein, die zuvor von den Taliban kampflos
aufgegeben worden war. Am 7. Dezember kapitulierten die Taliban-Kämpfer in ihrer
letzten Hochburg Kandahar, und wenig später gab die al Kaida ihre wichtige
Bergfestung Tora Bora im Osten des Landes auf. Taliban und al Kaida waren damit
militärisch weitgehend besiegt, wenngleich es noch über Monate hinweg immer
wieder zu vereinzelten Gefechten zwischen US-Truppen und Taliban- sowie al
Kaida-Kämpfern kam.
Bereits am 27. November 2001 war auf dem Petersberg bei Bonn auf Vermittlung
der
Vereinten
Nationen
die
so
genannte
Afghanistan-Konferenz
zusammengetreten, um über die politische Neuordnung und Zukunft Afghanistans zu
beraten. An der Konferenz nahmen vier afghanische Gruppierungen teil: Die
Nordallianz, die vor allem Tadschiken, Turkmenen und Usbeken aus dem Norden
des Landes repräsentierte; die so genannte Zypern-Gruppe, die die Hazara aus dem
Zentrum Afghanistans vertrat; die Rom-Gruppe, die sich aus Anhängern des im Exil
in Rom lebenden Exkönigs Sahir Schah zusammensetzte; und die PeschawarGruppe, die wie die Rom-Gruppe die Paschtunen vertrat. Als wichtiges Zeichen für
die Zukunft wurde die Tatsache interpretiert, dass unter den insgesamt 34
afghanischen Delegierten immerhin vier Frauen waren.
Am 5. Dezember 2001 unterzeichneten die Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz
ein Abkommen, in dem sie den Rahmen für die politische Reorganisation und eine
künftige Regierungsbildung feststeckten. Am Beginn der Neuordnung soll nach dem
Abkommen die Bildung einer Interimsregierung stehen. Nach sechs Monaten soll die
Interimsregierung durch eine Übergangsregierung abgelöst werden, die von einer
außerordentlichen Loya Jirga, der traditionellen afghanischen Ratsversammlung,
gewählt werden soll. Nach weiteren 18 Monaten soll sich laut dem Petersberger
Abkommen eine reguläre, aus freien Wahlen hervorgegangene Regierung
konstituieren; die dafür notwendige neue Verfassung soll eine verfassunggebende
Loya Jirga ausarbeiten.
Am 22. Dezember 2001 nahm die 29-köpfige Interimsregierung unter dem
Paschtunenführer Hamid Karsai als Ministerpräsidenten ihre Arbeit auf.
b. Bewertung
77
Entscheidend bei der indirekten Aggression ist immer, ob die Aktionen solcher
Terroristen einem Staat zugerechnet werden können. Im Falle der Al Quaida
Aktionen geschah dies zumindest mit Billigung des Taliban Regimes. Dieses war zu
dieser Zeit das zwar nicht internationale anerkannte (mit Ausnahme von Pakistan
und Saudi Arabian) aber de facto verantwortliche Regime in Afghanistan. Eine bloße
Billigung genügt zwar nach Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition nicht, weil dort von
einem Aussenden also einem aktiven Handeln die Rede ist. Das Völkerrecht scheint
sich jedoch seit dem 11. September 2001 insoweit verschärft zu haben, da alle
Staaten den USA in diesem Fall das Recht zur Selbstverteidigung gegen das Taliban
Regime und gegen die Al Quaida Kämpfer zugestanden haben.
IV. Die präventive Selbstverteidigung
Umstritten ist bis heute, ob es auch eine präventive Selbstverteidigung geben kann.
Dies ist mit Hinweis darauf begründet worden, dass Art.2 (4) auch die Androhung von
Gewalt verbiete und deshalb bei einer konkret drohenden Gewaltanwendung auch
Selbstverteidigung zulässig sein soll. Kein Staat müsse es in Kauf nehmen, dass ein
Gegner durch einen Erstschlag in die Lage versetzt werde, alle zur Verteidigung
notwendigen Waffen sofort zu vernichten. Historisch geht das Recht auf präventive
Selbstverteidigung auf den berühmten Caroline Fall aus dem Jahr 1837 zurück, als
Kanada das Schiff Caroline versenkte, das zur militärischen Unterstützung von
Aufständischen dienen sollte. Die USA, auf deren Gebiet das Schiff versenkt wurde,
erkannten das Recht der präventiven Selbsthilfe an unter der Voraussetzung, dass
die Gefahr
-
gegenwärtig (Instant)
-
überwältigend (overwhelming) ist
-
keine Wahl der Mittel (leaving no choice of means)
-
und keine Zeit zum überlegen läßt (and no moment for deliberation).
Dieses Recht ist jedoch auch immer wieder in Zweifel gezogen worden. So ist der
Angriff israelischer Jagdflugzeuge auf den irakischen Atomreaktor Tamuz I im Jahr
1981 vom Sicherheitsrat in der Resolution 487 (1981) verurteilt worden. Israel hatte
geltend gemacht, der Reaktor diene der Herstellung von Atomwaffen, die gegen
Israel gerichtet seien. Dieser Fall spricht jedoch nicht zwingend gegen das Recht der
78
präventiven Selbstverteidigung, denn hier fehlt im Sinne der Caroline Formel das
Kriterium der Konkretheit des Verstoßes gegen das Gewaltverbot und das
Zeitmoment. Für die Großmächte hat diese Frage seit der Entwicklung der atomaren
Zweitschlagfähigkeit keine große Rolle mehr gespielt.
Im Zusammenhang mit der Bedrohung durch atomare Waffen, ist jedoch von den
Großmächten die These entwickelt worden, dass wegen der alles vernichtenden
Wirkung solcher Angriffe auf keinen Fall abgewartet werden müsse, bis ein solcher
Angriff erfolge oder auch nur unmittelbar bevorstehe.
Diese Argumentation wird auch auf biologische und chemische Waffen ausgedehnt
(Irak) und wird noch um die Problematik erweitert, dass solche Waffen auch durch
Terroristen ins Land geschleust werden können, deren Angriff so gut wie nicht
vorherzusehen ist. Ob allerdings die These der Amerikaner sich durchsetzt, jede
Produktion von Waffen berge unter bestimmten politischen Konstellationen eine
genügende Gefahr für eine präventive Selbstverteidigung in sich, bleibt abzuwarten.
Deshalb wird man die militärischen Aktionen der USA und des Vereinigten
Königreichs gegen den Irak wohl als völkerrechtswidrig ansehen müssen.
V. Die Intervention auf Einladung
Damit ist die Anwendung von Waffengewalt gegen einen Staat mit Zustimmung
seiner Regierung oder die Einmischung in einen Bürgerkrieg mit Zustimmung der
Parteien gemeint. Wendet ein Staat auf dem Gebiet eines anderen Staates Gewalt
an, dann ist dies grundsätzlich dann zulässig, wenn die Regierung des anderen
Staates dem zustimmt. So etwa in Mogadischu bei der Befreiung deutscher Geiseln
aus der Lufthansa Maschine Landshut im Jahr 1977. Geschieht dies jedoch in einem
Bürgerkrieg, dann kollidiert diese Intervention mit dem Selbstbestimmungsrecht des
betroffenen Volkes. Traditionell stellt das Völkerrecht darauf ab, daß die international
anerkannte Regierung Unterstützung erbitten kann. Die einseitige Parteinahme
zugunsten einer diktatorische Regierung gegen Aufständische, welche die
Demokratie einführen wollen, würde die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts
des betroffenen Volkes vereiteln. Fraglich ist, ob umgekehrt ein Recht zur
Unterstützung einer demokratisch gewählten Regierung gegen einen Militärputsch
besteht. Hier wird teilweise ein Interventionsrecht behauptet, dies ist bisher jedoch
noch hoch umstritten (vgl. Haiti).
79
VI. Die kollektive Selbstverteidigung
Art.51 UN-Charta berechtigt nicht nur zur Verteidigung eigener Rechte durch einen
einzelnen Staat sondern auch zur kollektiven Selbstverteidigung, indem mehrere
Staaten sich zu einem Bündnis zusammenschließen, das im Falle eines Angriffes auf
ein Bündnismitglied eine gemeinsame Verteidigung organisiert. Solche Bündnisse
sind etwa die NATO (Art.5 des Nordatlantikvertrages), die WEU (Art.5 WEU-Vertrag),
die OAS, die aufbauend auf der Monroe-Doktrin jeden Angriff auf einen
amerikanischen Staat zum Bündnisfall macht und die Arabische Liga, die
insbesondere gegen Israel gerichtet ist. Außerdem berechtigt Art.51 UN-Charta auch
zur individuellen oder kollektiven Nothilfe, das heißt ein oder mehrere Staaten
können, ohne daß ihre eigenen Interessen in einem Konflikt betroffen sind, einem
anderen Staat zu Hilfe eilen. So etwa im Irak-Kuwait-Konflikt, wo die USA, einige
europäische Staaten und einige arabische Staaten Kuwait geholfen haben, die
Annexion durch den Irak abzuwehren.
VII. Sonstige Voraussetzungen
Die Selbstverteidigung ist nur zulässig, wenn sie unmittelbar auf den bewaffneten
Angriff folgt. Dabei können aber aus faktischen Gründen der militärischen
Vorbereitung (Mobilmachung) auch einige Monate zwischen dem Angriff und er
Verteidigung verstreichen. Ein praktischer Fall ist der Angriff Argentiniens auf die
Falkland Inseln, Malvinen, die erst nach der Sammlung und dem Aufmarsch der
Flotte beantwortet werden konnte. Dagegen war der Anspruch Argentiniens auf die
Besetzung der Inseln durch das Vereinigte Königreich im Jahr 1832 mit der
Selbstverteidigung zu reagieren, verwirkt.
Die Selbstverteidigung muss verhältnismäßig sein. Die Geltung dieses Prinzips ist
zwar unbestritten, aussagefähige Praxis existiert jedoch nicht. Insbesondere haben
die NATO Staaten während des kalten Krieges die an sich sehr problematische
Doktrin entwickelt, auf einen konventionellen Angriff des Warschauer Paktes sofort
mit Nuklearwaffen zu reagieren. Teilweise wird vertreten, daß der Einsatz atomarer
Waffen generell unzulässig sei, da die Folgen eines solchen Einsatzes nicht
beherrschbar
seien
und
auch
nicht
unmittelbar
am
Konflikt
Beteiligte
in
Mitleidenschaft gezogen werden können. Diese Auffassung hat sich in der
80
Staatenpraxis aber nicht durchgesetzt. Nur diejenigen Staaten dürfen keine
Atomwaffen
einsetzen,
die
den
Vertrag über
die
den
Vertrag
über die
Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1.7.1968 unterzeichnet haben. (1998: 187
Vertragsstaaten)
Kapitel 4: Der Schutz der Menschenrechte
A. Humanitäre Interventionen der Vereinten Nationen
I. Der Tatbestand von Art. 39 UN-Charta
Wegen der beschriebenen Verengung des Tatbestands von Art. 39 UN-Charta auf
zwischenstaatliche Konflikte war es lange Zeit nicht möglich, das Instrumentarium
von Kapitel VII UN-Charta zum Schutz der Menschenrechte fruchtbar gemacht. Das
hat sich jedoch seit der Somalia Krise Anfang der neunziger Jahre geändert.
Bis zum Jahr 1992 gibt es keine entsprechende Praxis des Sicherheitsrates. Alle
zuvor angeführten Fälle, insbesondere Südrhodesien, Südafrika (1977) und die
Kurdenverfolgung (1991) belegen diese These nicht. Im Falle Südafrikas stand bei
der
Verhängung
des
Waffenembargos
die
aggressive
Politik
gegen
die
Nachbarstaaten im Vordergrund, während die Apartheidpolitik im Lande selbst,
erkennbar nicht für die Feststellung des Tatbestandes von Art.39 ausreichen sollte.
Im Falle der Kurdenverfolgung waren es die Flüchtlingsströme in den Iran und vor
allem in die Türkei, die für diese Staaten politisch hoch brisant waren und deshalb die
Gefahr militärischer Konflikte mit dem Irak heraufbeschworen.
In der Somaliakrise hat der Sicherheitsrat 1992 seine bisherige zurückhaltende
Praxis aber erkennbar aufgegeben. Es waren dort in erster Linie und wohl für die
meisten Ratsmitglieder ausschließlich die Gräueltaten und das Elend der Menschen
im Lande, die zur Feststellung einer Friedensbedrohung führten. Die internationalen
Aspekte auch die Flüchtlingsströme in die Nachbarländer spielten demgegenüber
keine entscheidende Rolle. Ähnlich verfuhr der Sicherheitsrat im Falle Ruandas und
im Falle Haitis, wo ebenfalls die Konflikte im Lande ausschlaggebend für das
Handeln gemäß Kapitel VII waren. Aus neuerer Zeit sind etwa die Resolutionen 1199
(1998), 1203 (1998) und 1244 (1999) zum Kosovokonflikt und die Resolutionen 1267
(1999), 1333 (2000) und 1363 (2001) zur Situation in Afghanistan zu nennen, in
81
denen der Sicherheitsrat zwar keinen militärischen Zwang angeordnet hat, wohl aber
Wirtschaftsembargen verhängt hat. Nicht darunter fallen die Resolutionen aus dem
Jahr 2001 zu Afghanistan (1337, 1378, 1386 und 1413), weil seit dem 11. September
2001 ein zwischenstaatlicher Konflikt vorliegt.
Hier zeigt sich die zunehmende Bereitschaft des Rates, die Menschenrechte und
das Selbstbestimmungsrecht der Völker neben der vom Gewaltverbot geschützten
Souveränität der Staaten als Schutzgüter in Art.39 UN-Charta aufzunehmen. Ob das
immer der Fall sein soll oder nur unter zusätzlichen Voraussetzungen, ist allerdings
noch nicht geklärt. Im Rat selbst und unter den Mitgliedern im übrigen haben sich in
diesen Fällen durchaus auch kritische Stimmen erhoben, die diese Praxis für
unzulässig halten. Manche wollen sie auf ganz extreme Fälle der Ausrottung ganzer
Bevölkerungsteile einhergehend mit dem vollständigen Zusammenbruch der
Staatsgewalt, sog. failed state Doktrin beschränken. In diesen Fällen solle der Rat
zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung zum Schutz der Bevölkerung
intervenieren dürfen. Er wird dann quasi wie ein Treuhänder in einem nicht selbst
handlungsfähigen
Treuhandgebiet
tätig,
um
die
grundlegenden
staatlichen
Funktionen wiederherzustellen. Dies sei deshalb rechtlich unbedenklich, weil der
betroffene failed state sich gegenüber dem Sicherheitsrat nicht auf das Interventionsund das Gewaltverbot berufen könne, solange es keine effektive Herrschaftsgewalt
gebe.
In dieses Schema passt dann aber der Haitikonflikt nicht, wo bei aller Schärfe der
Maßnahmen des Regimes Cedras von einer Ausrottung des Volks nicht die Rede
sein konnte und der Staat eher zu stark als zu schwach war. Dort sollen die
Flüchtlingsströme einen internationalen Bezug hergestellt haben, der jedoch in Praxi
viel zu schwach war, um die Qualität einer Friedensbedrohung zu erreichen.
Die
neue
Praxis
des
Rates
lässt
sich
nach
dem
Wortlaut
und
der
Entstehungsgeschichte der Charta nicht ohne weiteres rechtfertigen. Wie gesehen
wird der Friedensbegriff in Art.1 Nr.1 ausdrücklich von den Menschenrechten und
dem Selbstbestimmungsrecht abgeschichtet. Dafür spricht auch das Verbot der
Intervention in die inneren Angelegenheiten der Mitglieder Art.2 (7), dass als einzig
wirksame Schranke gegen Zwangsmaßnahmen des Rates wirkt und deshalb nicht
ohne weiteres zugunsten der zwangsweisen Einwirkung in innerstaatliche Konflikte
aufgeweicht werden kann. Die failed state Doktrin ist abzulehnen. Solange ein Staat
82
Mitglied der UNO ist, genießt er alle Rechte aus der Charta. Ist er kein Staat mehr,
muss er ausgeschlossen oder in Treuhand überführt werden. Außerdem könnte
diese Doktrin dazu führen, dass auch dritte Staaten aus eigennützigen Gründen
intervenieren ohne an das Gewaltverbot gebunden zu sein.
Die Praxis des SR ist deshalb nur als ungeschriebene Fortentwicklung der Charta zu
rechtfertigen. Dafür fehlt dem Sicherheitsrat als Organ jedoch die Kompetenz. Er ist
bei allem Beurteilungsspielraum auf jeden Fall an Art.2 (7) gebunden und seine
Beschlüsse sind, wie Art.25 in accordance with the present Charter zeigt, auch
nur dann verbindlich, wenn sie dieses Prinzip beachten.
Deshalb bedarf es des Konsenses aller Mitglieder, als der Herren der Verträge. Ob
dieser Konsens allgemein besteht, ist nach wie vor nicht endgültig geklärt.
Insbesondere die Haltung Chinas als ständigem Mitglied aber auch vieler kleinerer
Staaten Lateinamerikas und Afrikas, die ähnliche Probleme wie die Betroffenen
haben, zeigt, dass es noch erhebliche Vorbehalte gegen diese Praxis gibt. Die Zahl
derjenigen
Staaten,
welche
humanitäre
Interventionen
des
Sicherheitsrates
befürworten, nimmt jedoch ständig zu. Insbesondere in der westlichen Welt aber
auch in Russland und in vielen Staaten Asiens und Afrikas wächst die Bereitschaft
zur Akzeptanz dieser Praxis. Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen hält
sie für akzeptiert. Bei strenger Betrachtung müsste die subsequent practice jedoch
von allen Mitgliedern getragen werden. Deshalb bleiben immer noch gewissen
Zweifel.
II. Nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen zum Schutz der Menschenrechte
In den neunziger Jahren sind im Jugoslawienkonflikt (Res 808 (1993) und 827 (1993)
und im Ruandakonflikt Res 955 (1994) die Einsetzung von Strafgerichtshöfen zur
Aburteilung von Kriegsverbrechern hinzugekommen. Dabei handelt es sich um
Zwangsmaßnahmen, die sich sowohl an die Konfliktparteien aber auch an alle
anderen Mitglieder wenden, die verpflichtet werden, Personen, denen bestimmte
Straftaten vorgeworfen werden, an ein Internationales Tribunal zu überstellen, um
diesem die Ausübung eigener Gerichtsbarkeit zu ermöglichen.
Das im Anhang befindlich "Statute of the International Tribunal" (Abgedruckt in, ILM
1993, S.1192 ff.) enthält in den Artikeln 2 bis 5 die Straftatbestände, die unter die in
83
Artikel 1 umschriebene Jurisdiktion des Gerichtshofs fallen sollen. Dabei handelt es
sich um schwere Verstöße gegen die Genfer Konvention von 1949 (Art. 2),
Verletzungen der Vorschriften oder Gewohnheiten der Kriegsführung (Art. 3),
Völkermord (Art. 4) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 5).
Das Gericht ist gemäss Art.8 zuständig für alle Verstöße gegen diese Tatbestände,
die seit dem 1. Januar 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen
wurden. Dabei ist es gemäss Art.7 des Statuts unerheblich, ob ein Angeklagter als
Staatsoberhaupt, Mitglied einer Regierung oder ob er auf Weisung eines solchen
Organs gehandelt hat.
Der Gerichtshof besteht in der durch die Resolution 1329 (2000) am 30.11.2000
geänderten Fassung des Statuts aus Kammern, denen gemäss Art.12 des Statuts
jeweils 16 Richter aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten angehören. Die Richter
müssen gemäss Art.13 die Befähigung zu den höchsten Richterämtern in den
Mitgliedstaaten, die sie entsenden, haben.
Die
Kammern
gliedern
sich
in
Spruchkörper
erster
Instanz
und
eine
Appellationskammer. Bei der Appellation handelt es sich gemäss Art.25 um ein
Berufungsverfahren, da nicht nur Rechtsfehler sondern auch eine fehlerhafte
Tatsachermittlung
gerügt
werden
kann.
Die
Appellationskammer
des
Jugoslawientribunals ist gemäss Art.13 Abs.4 in der geänderten Fassung auch für
Berufungen gegen Entscheidungen des Ruandatribunals zuständig. Gemäss Art.16
wird eine Anklagebehörde eingerichtet, die als eigenständige und unabhängige
Behörde für die Untersuchung und die Anklage der Kriegsverbrechen vor dem
Tribunal verantwortlich ist. Der Ankläger wird vom Sicherheitsrat auf Antrag des
Generalsekretärs bestellt.
Als Strafe sieht Art.24 nur die Freiheitsstrafe vor. Daneben kann die Rückgabe durch
Straftaten erworbenen Vermögens angeordnet werden. Die Freiheitsstrafe wird
gemäss Art.27 in einem Staat vollzogen, der sich dazu bereit erklärt hat. Dies sind
die Niederlande. Die Staaten sind nach Art. 29 (2) verpflichtet, jeder Bitte des
Gerichtshofs um Unterstützung bei seiner Tätigkeit unverzüglich Folge zu leisten.
Darunter fällt insbesondere die Verhaftung und Überstellung von Angeklagten.
Die zentrale Vorschrift für das Verhältnis zur nationalen Strafgerichtsbarkeit ist Art.9.
Der Gerichtshof nimmt für sich nach Art. 9 (1) des Statuts über den internationalen
84
Gerichtshof eine neben den nationalen Gerichtshöfen bestehende Gerichtsbarkeit in
Anspruch. Diese Gerichtsbarkeit ist gemäß Art. 9 (2) Satz 1 der Gerichtsbarkeit der
nationalen Gerichten übergeordnet. Gemäß Art. 9 (2) Satz 2 des Statuts sind die
nationalen Gerichte verpflichtet, ihre Gerichtsbarkeit auf den internationalen
Strafgerichtshof zu übertragen. In Art. 9 (2) wird die Stellung des Gerichtshofs
gegenüber den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten beschrieben. Darin heißt es:
"2. The international Tribunal shall have primacy over national courts. At any
stage of the procedure, the International Tribunal may formally request national courts to defer to the competence of the International Tribunal in accordance with the present Statute and the Rules of Procedure and Evidence
of the international Tribunal."
Damit begründet das Statut eine doppelte Zuständigkeit des Gerichtshof einmal als
eigene und zum anderen als eine von den Zuständigkeiten der nationalen Gerichte
abgeleitete Gerichtsbarkeit. Soweit das Statut eine eigene Zuständigkeit des
Gerichtshofs begründet, ist dies nur möglich, wenn die in dem Statut aufgeführten
Straftatbestände unmittelbare Anwendung auf Individuen finden. Dagegen basiert die
von den nationalen Gerichten abgeleitete Gerichtsbarkeit auf den jeweiligen
innerstaatlichen Normen des materiellen Strafrechts und des Verfahrensrechts, die in
Vollzug der völkerrechtlichen Verpflichtungen aus den Verträgen über das
internationale Strafrecht geschaffen worden sind.
Mit dem Wesen des Völkerrechts ohne weiteres vereinbar ist nur die zweite
Konstruktion. Da die völkervertraglichen Verpflichtungen sich grundsätzlich nur an
die Staaten als deren Subjekte wenden können, vermag erst der innerstaatliche
Vollzugsakt eine strafrechtliche Bindung von Individuen zu erzeugen. Diesen
staatlichen Strafanspruch gegenüber den auf seinem Territorium befindlichen
Bürgern muss der Mitgliedstaat, der eine Person wegen Taten im Zusammenhang
mit dem Jugoslawienkonflikt vor Gericht gestellt hat, auf den internationalen
Strafgerichtshof übertragen. Insoweit handelt es sich bei der Einrichtung des
internationalen Strafgerichtshofs um eine nichtmilitärische Zwangsmaßnahme, für die
als Rechtsgrundlage Art. 41 UN-Charta in Betracht kommt.
Soweit der internationale Strafgerichtshof eigene Gerichtsbarkeit in Anspruch nimmt,
entsteht völkerstrafrechtlich das Problem, ob bestimmte Tatbestände auch ohne
Vollzugsakt unmittelbar auf das Verhalten von Individuen anwendbar sind. Er gilt
ohne weiteres nicht für die Genfer Abkommen. Diese enthalten etwa in Art. 129 III.
85
GK die Verpflichtung der Staaten, in ihrem nationalen Recht Straftatbestände zu
schaffen. Sie begründen aber keine völkerrechtliche Strafbarkeit. Darüber hinaus
enthalten die Genfer Konventionen genauso wie die Haager LKO nur Verpflichtungen
der Staaten nicht aber der Individuen. Die Völkermordkonvention sieht eine
individuelle Verantwortlichkeit vor, diese muss jedoch im innerstaatlichen Recht
geltend gemacht werden oder dem einzurichtenden internationalen Gerichtshof
vorgelegt werden. Dieser ist bisher nicht eingerichtet worden. Immerhin zeigt diese
Regel zusammen mit Art. VIII, der eine Zuständigkeit der UNO zur Verfolgung von
Völkermord festschreibt, dass es sich hier um einen international crime handelt.
Der Gedanke völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit hat sich praktisch vor allem in
den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio Bahn gebrochen, auf
welche der Rat nach der Äußerung der amerikanischen Delegierten ALBRIGHT mit
dem Erlass der Resolutionen 808 und 827 (1993) Bezug nehmen will. Dort hat er
insbesondere zu dem Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit
geführt. Dieser Tatbestand war jedoch, weil es sich um einseitig festgesetztes
Siegerrecht handelte, immer umstritten. Daran anzuknüpfen, war deshalb nicht
unproblematisch.
Wenn
man
der
allerdings
umstrittenen
These
folgt,
dass
dadurch
gewohnheitsrechtlich unmittelbar anwendbares Völkerstrafrecht geschaffen worden
ist, so stellt die Inanspruchnahme von Strafgewalt für sich genommen keinen Eingriff
in eine innerstaatliche Zuständigkeit und deshalb keine Zwangsmaßnahme dar. Wohl
nicht in diesem Zusammenhang relevant ist die Konvention von Rom aus dem Jahr
1998 über die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs, die im April 2002 in
kraft getreten ist (zur Zeit 66 Ratifikationen). Zwar enthält auch diese Konvention
entsprechende Straftatbestände. Sie ist jedoch ratione temporis nicht auf die Taten in
Jugoslawien und Ruanda anwendbar. Zudem gilt hier der Satz „nulla poena sine
lege“, den man entgegen der im Zusammenhang mit den Tribunalen von Nürnberg
und Tokio geäußerten und auf die Geltung von Naturrecht gegründeten Auffassung
nicht ohne weiteres außer Kraft setzen kann. Ob zukünftige Straftribunale auf der
Grundlage von Art.41 UN-Charta hierauf zurück greifen können, ist ebenfalls fraglich.
Die Konvention ist nicht Teil des Systems der UN. Da einige wichtige Staaten, wie
etwa die USA sich standhaft weigern, sie zu ratifizieren, ist zudem ihre Geltung als
Gewohnheitsrecht in Frage zu stellen. In den USA ist im Juni 2002 ein Gesetz zum
86
Schutz amerikanischer Soldaten im Kongress verabschiedet worden, dass allen US
Behörden jegliche Zusammenarbeit mit dem Straftribunal verbietet und sogar eine
militärische Intervention der Streitkräfte im Haag für den Fall vorsieht, dass
amerikanische Soldaten vor dem internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung
gezogen werden.
Der Charakter als Zwangsmaßnahme ergibt sich für die Straftribunale der UNO
daraus, dass die Staaten gemäß Artikel 29 des Statuts verpflichtet sind, dem
Gerichtshof jede von diesem gewünschte Hilfe, insbesondere die Festnahme und
Überstellung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern zu leisten.
Voraussetzung für die Verhängung jeglichen Zwangs auf der Grundlage von Art.41
UN-Charta ist gemäß dem Wortlaut von Art.39 aber, dass dieser Zwang geeignet ist,
den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Das
bedeutet, dass die jeweilige Maßnahme einen unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Konflikt haben muss, den der Sicherheitsrat als Friedenbedrohung oder -bruch
einstuft. Dabei können solche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Friedens auch
über die Beendigung eines Konflikts hinaus andauern, wenn ohne ihre Durchführung
ein erneuter Ausbruch zu befürchten ist.
Diese Eignung lässt sich auch für die Internationalen Straftribunale unterstellen, da
die Aburteilung von Kriegsverbrechern geeignet ist, einen Konflikt einzudämmen und
einen erneuten Ausbruch zu verhindern. Allerdings kann das Tribunal auf der
Grundlage von Kapitel VII nur solange tätig sein, wie dies zur Befriedung des
ehemaligen Jugoslawien notwendig ist. Eine davon abgehobene justizförmige
Aufarbeitung des begangenen Unrechts ist nicht möglich.
III. Militärische Zwangsmaßnahmen
Militärische Zwangsmaßnahmen zum Schutz der Menschenrechte durch die
Vereinten Nationen sind heute von der Staatengemeinschaft akzeptiert.
1. Der Fall Somalia
Der erste und wichtigste Fall einer humanitären Intervention des Sicherheitsrats ist
der Fall Somalia, der sich in mehrere Phasen gliedert.
a. Die Operation restore Hope
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Die erste militärische Zwangsmaßnahme ist die Operation Restore Hope auf der
Grundlage der Resolution 794 (1992). Darin heißt es:
"The Security Council...
 Recognizing the unique character of the present situation in Somalia and mindful
of its deteriorating, complex and extraordinary nature, requiring an immediate and
exceptional response,
 Determining that the magnitude of the human tragedy caused by the conflict in
Somalia, further exacerbated by the obstacles being created to the distribution of
humanitarian assistance, constitutes a threat to international peace and security...
10. Acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, authorizes the
Secretary-General and Member States cooperating to implement the offer referred to in paragaph 8 above to use all necessary means to establish as soon
as possible a secure environment for humanitarian relief operations in Somalia;
11. Calls on Member States which are in a position to do so to provide military
forces and to make additional contributions, in cash or kind, in accordance
with paragraph 10 above and requests the Secretary-General to establish a
fund through which the contributions, where appropriate, could be challenged
to the States or operations concerned;
Am 9. Dezember 1992 landen amerikanische Marineinfanteristen in der Nähe von
Mogadischu. An der Operation "Restore Hope" beteiligen sich neben den
Streitkräften der Vereinigten Staaten, die mit 21.000 Mann das Hauptkontingent
stellen, Verbände aus zwanzig Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, darunter
auch Truppen der ehemaligen Kolonialmächte Vereinigtes Königreich und Italien.
Das Ziel der United Nations Task Force (UNITAF) ist es zunächst, in drei Phasen die
Kontrolle über Mogadischu zu übernehmen, was am 16. Dezember erreicht wird, die
acht wichtigsten Plätze für die Verteilung von Hilfsgütern zu kontrollieren, was am 28.
Dezember erreicht wird, und die Zufahrtswege für die Hilfstransporte zu sichern.
Der UN-Generalsekretär versteht den Auftrag an die UNITAF jedoch deutlich weiter.
In seinem ersten Bericht zur Resolution 794 (1992) nennt er als Aufgaben der
UNITAF über die Sicherstellung der humanitären Hilfslieferungen hinaus die
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Überwachung
der
getroffenen
Waffenstillstandsvereinbarungen,
die
notfalls
gewaltsame Verhinderung des Ausbruchs neuer Gewalttätigkeiten und die
Entwaffnung der organisierten Konfliktparteien.
b. Die Einrichtung von UNOSOM II
Auf der Grundlage der Resolution 814 (1993) werden dann die Aufgaben der
UNITAF auf die UNOSOM II übertragen.
Die in der UNITAF zusammengeführten Mitgliedstaaten unterstellen am 4. Mai 1993
ihre Truppen den Vereinten Nationen. Das Oberkommando über diese Streitkräfte,
das zuvor der amerikanischen Gerneral JOHNSTON innehatte, geht auf den türkischen
General BIR über, die Hoheitszeichen der Mitgliedstaaten werden durch die Zeichen
der Vereinten Nationen (Blauhelme) ersetzt. Am 5. Juni werden Soldaten der
UNOSOM II, die ein Waffenlager inspizieren wollen, von Einheiten General AIDID'S
angegriffen und dreiundzwanzig pakistanische Angehörige der UNOSOM II werden
getötet.
Am 18. November 1993 verlängert der Rat in der Resolution 886 (1993) das Mandat
von UNOSOM II bis zum 31. Mai 1994 und kündigt für den 1. Februar 1994 eine
grundlegende Überprüfung des Mandats von UNOSOM II an. Am 4. Februar 1994
finden diesbezüglich Beratungen im Sicherheitsrat statt, die zum einstimmigen Erlaß
der Resolution 897 (1994 ) führen.
Im März 1994 ziehen viele europäische Staaten und die Vereinigten Staaten von
Amerika den größten Teil ihrer Blauhelmsoldaten aus Somalia ab. Am 24. März 1994
vereinbaren
die
Waffenstillstand
Parteien
und
des
die
Somaliakonflikts
Einberufung
in
einer
Nairobi
einen
weiteren
erneuten
nationalen
Versöhnungskonferenz nach Mogadischu. Im Mai 1994 brechen in Mogdischu erneut
Kämpfe zwischen den Anhängern von General AIDID und von Präsident ALI
MOHAMMED aus. Mehrere Angehörige von UNOSOM II werden dabei getötet, und
deren Stützpunkt Belet Huen wird von Somalis besetzt.
 Am 4. November 1994 erläßt der Sicherheitsrat die Resolution 954 (1994), in der
das Mandat der UNOSOM bis zum Jahr 1995 und stellt dabei fest, „dass das
Ausbleiben von Fortschritten im somalischen Friedensprozess und bei der
nationalen Aussöhnung, insbesondere das Ausbleiben einer entsprechenden
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Zusammenarbeit von Seiten der somalischen Parteien in Sicherheitsfragen, die
Ziele der Vereinten Nationen in Somalia grundlegend in Frage gestellt hat und
dass unter diesen Umständen die Beibehaltung der UNOSOM II über März 1995
hinaus nicht gerechtfertigt werden kann...
Ende März 1995 werden die letzten Soldaten von UNOSOM II aus Somalia
abgezogen. Die Kämpfe zwischen den Stammesgruppen, vor allem zwischen den
Anhängern von General AIDID und Präsident ALI MOHAMMED werden danach
unvermindert fortgesetzt. Somalia hat nach wie vor keine zentrale Regierung, und
das Schicksal der von der Staatengemeinschaft nicht anerkannten Republik
Somaliland, in der MOHAMMED EGAL den vormaligen Präsidenten AHMED ALI abgelöst
hat, bleibt ungeklärt.
In diesem Fall hat der Sicherheitsrat militärischen Zwang verhängt, ohne vorher
gegenüber der Regierung eines Mitglieds eine verbindliche Anordnung gemäß Art.40
getroffen zu haben. In der Res.794 (1992) hat zur Schaffung eines sicheren Umfelds
für die Verteilung von Hilfsgütern in Somalia militärischen Zwang angeordnet. Dabei
stützte er sich nur auf zuvor an die in Somalia kämpfenden Konfliktparteien
gerichtete Aufforderung zur Feuereinstellung. Da diese Konfliktparteien aber nicht
anerkannt waren, hatten sie keinen völkerrechtlichen Status und konnten deshalb
auch nicht für Verletzungen der Charta verantwortlich gemacht werden. Die
Verpflichtungen aus dem Gewaltverbot oder zur Beachtung der Menschenrechte
können nur die Regierungen von Staaten oder sonstige völkerrechtlich anerkannte
Gruppierungen erfassen. Der militärische Zwang hatte in diesem Fall eher den
Charakter einer zwangsweisen Fremdverwaltung durch die Vereinten Nationen.
Vergleichbares gilt etwa für die operation turquoise in Ruanda S/Res 929 (1994).
B. Humanitäre Interventionen der Mitgliedstaaten
I. Die humanitäre Intervention zugunsten eigener Staatsbürger
Besonders deutlich wird dies am Recht zur humanitären Intervention zugunsten
eigener Staatsbürger. Diese wird insbesondere in zwei Fallkonstellationen akut. Zum
einen können Bürgerkriege auf Gefahren von Leib oder Leben von Ausländern
erzeugen, wie etwa die Kongo Krise von 1960 bis 1963 und der Ruanda Konflikt von
1993 bis1994 zeigen. Zum anderen können Terroristen mit Billigung einer Regierung
90
Geiseln nehmen, um politischen Ziele zu erreichen. Dies geschah etwa in Entebbe
im Jahr 1976 oder in der US Botschaft in Teheran im Jahr 1980. Dieses Recht zur
humanitären Intervention ist in all diesen Fällen von den betroffenen Staaten geltend
gemacht worden. Dies hat etwa in der Kongokrise auch die Zustimmung des
Sicherheitsrates gefunden, es haben aber auch immer wieder Staaten dagegen
protestiert. Die Geltung als Satz des Völkergewohnheitsrechts ist deshalb nicht
unumstritten, kann aber mit guten Gründen vertreten werden.
II. Die humanitäre Intervention zugunsten fremder Staatsbürger
Die humanitäre Intervention zugunsten fremder Staatsbürger: Darunter versteht man
den Einsatz von Waffengewalt zum Schutz von Menschen in einem anderen Staat
vor massiven Verletzungen ihrer Rechte insbesondere auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Ein solches Recht zur humanitären Intervention ist etwa bei der
Invasion Vietnams in Kambodscha im Jahr 1979, bei der Invasion Tansanias in
Uganda im Jahr 1979, bei der Intervention von Truppen der Wirtschaftsgemeinschaft
westafrikanischer Staaten (ECOWAS) im August 1990 in Liberia und bei der
Einrichtung der Flugverbotszone im Norden des Irak und zugunsten der dort
lebenden Kurden behauptet worden. Die humanitäre Intervention soll dann zulässig
sein, wenn
fundamentale Menschenrechte massiv verletzt werden
alle friedlichen Mittel erfolglos erschöpft worden sind,
das Sanktionensystem der UNO erfolglos blieb und
der Waffeneinsatz verhältnismäßig ist.
Bei genauer Betrachtung der beschriebenen Praxis wird jedoch deutlich, dass die
Staaten ein solches Recht zur humanitären Intervention nicht in Anspruch
genommen haben. Die Aktionen erfolgten durchweg vor dem Hintergrund sich
anbahnender zwischenstaatlicher Konflikte. Deshalb ging man bisher davon aus,
dass es ein Recht zur humanitären Intervention für die Staaten nicht geben kann.
Ernsthaft behauptet wird ein solches Recht nur für den UN-Sicherheitsrat, der in den
Fällen Somalia, Ruanda, Haiti und ehemaliges Jugoslawien Zwangsmaßnahmen
zum Schutz von Menschenrechten verhängt hat.
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In neuerer Zeit ist ein solches Recht jedoch von den Mitgliedstaaten der NATO
behauptet worden, als der NATO-Rat im Herbst 1998 beschlossen hat, der
Bundesrepublik Jugoslawien für den Fall mit der Anwendung von Waffengewalt zu
drohen, dass die Militäraktionen im Kosovo nicht eingestellt werden. Zur Begründung
hat sich der NATO Rat wesentlich auf die massive Verletzung der Menschenrechte
der Kosovo Albaner berufen. Dogmatisch wird hier teilweise eine Ausweitung des
Selbstverteidigungsrechts behauptet mit der Begründung, dass die Menschenrechte
erga omnes wirken und deshalb jeder Staat durch ihrer Verletzung in eigenen
Rechten betroffen sei und notfalls auch das Recht zur bewaffneten Intervention
daraus ableiten könne. Teilweise wird eine tatbestandliche Reduktion des
Gewaltverbots behauptet, die wenn man Art.51 UN-Charta als Rechtfertigungsgrund
ansieht, nur in Art.2 (4) UN-Charta wirksam werden kann.
Diese Auffassung ist aber insbesondere von der Russischen Föderation, der
Volksrepublik China, Südafrika und Indien abgelehnt worden. Wegen der
universellen Geltung des Gewaltverbots und des Selbstverteidigungsrechts muss
eine tatbestandliche Begrenzung des Gewaltverbots oder eine tatbestandliche
Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts ebenfalls universell anerkannt sein.
Davon kann wegen der Haltung dieser Staaten nicht die Rede sein, da sie
maßgebliche Repräsentanten verschiedener Rechts- und Kulturkreise sind. Deshalb
kann ein solches weites Recht der Staaten zur humanitären Intervention nicht
angenommen werden.
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