The William and Karen Tell Foundation

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Ist die Anwendung von Gewalt moralisch gerechtfertigt?
Eine Antwort von Amerikanern an ihre Kollegen in Deutschland
08. August 2002
Wir haben Ihren Brief „A world of peace and justice would be different“ (Eine Welt der
Gerechtigkeit und des Friedens sieht anders aus) erhalten, den 103 Persönlichkeiten aus
Deutschland öffentlich im Mai diesen Jahres verbreitet haben. Sie antworteten damit auf den
Brief von 60 Amerikanern „What We’re Fighing For“ (Wofür wir kämpfen), den wir im
Februar diesen Jahres in Washington D.C. veröffentlicht haben. Wir sind dankbar, dass Sie
sich die Zeit genommen haben, uns zu schreiben, und wir möchten diesen Dialog fortführen.
Ihre Feststellung, dass es „keine moralische Rechtfertigung für den entsetzlichen Massenmord
am 11. September gibt“, schätzen und teilen wir. Ebenso stimmen wir Ihrer Überzeugung zu,
dass die besondere Würde, die jedem Menschen „unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und
Religion“ inhärent ist, die notwendige Grundlage bietet für eine ernsthafte moralische
Reflektion über das Thema.
Dennoch enttäuscht uns Ihre Reaktion. Sie bezeichnen Ihren Brief zwar als eine „Antwort“,
gehen jedoch nur indirekt auf unser zentrales Argument ein. In unserem Manifest „What
We’re Fighting For“ knüpfen wir an die Tradition des gerechten Krieges an. Auf der
Grundlage dieser Theorie sind wir davon überzeugt, dass der Gebrauch von militärischer
Gewalt gegen die Mörder des 11. September und gegen diejenigen, die sie unterstützen, nicht
nur moralisch gerechtfertigt, sondern sogar moralisch geboten ist. Mit dieser
Schlussfolgerung stimmen Sie offenbar nicht überein. Aber abgesehen davon, dass Sie die
Tradition des gerechten Krieges als einen „unglückseligen historischen Begriff“ bezeichnen,
entfalten Sie an keiner Stelle irgendeine schlüssige moralische Position zur Frage des
Gebrauchs von Waffengewalt.
Lassen Sie uns wiederholen: Moralische und intellektuelle Einstellungen zum Thema Krieg
teilen sich in vier grundlegende Kategorien. Dem Pazifismus zufolge ist jeder Krieg moralisch
verwerflich. Der Realist sagt, dass es in Kriegen nur um Macht und Eigennutz geht, weshalb
moralische Analysen darüber unerheblich sind. Die Anhänger von Heiligen Kriegen oder
Kreuzzügen sind davon überzeugt, dass Gott - oder eine säkulare Ideologie, die ein oberstes
Ziel verfolgt – die Tötung von Nicht-Gläubigen autorisieren kann. Von diesen drei Positionen
unterscheidet sich die Theorie des gerechten Krieges fundamental. Ihr zufolge gelten auch im
Krieg universelle moralische Prinzipien, die festlegen, ob und wann der Einsatz von Gewalt
moralisch gerechtfertigt ist.
Welche dieser vier Positionen ist Ihre? Das verschweigen sie uns. Falls Sie Pazifisten sind,
sollten Sie dies sagen. Der Pazifismus ist eine ehrenhafte Einstellung, die wir allerdings - bei
allem Respekt - nicht teilen. Wie es scheint, sind Sie vom Grundgefühl her stark pazifistisch
geprägt. Darauf jedenfalls deuten viele Ihrer Aussagen hin, die sie zum Einsatz von
Waffengewalt in Afghanistan nach dem 11. September machen. Andererseits würdigen Sie
die Teilnahme der USA am Zweiten Weltkrieg als „hervorragenden Beitrag“.
Falls Sie Realisten sind, die moralische Argumente über den Krieg generell verachten, dann
sollten Sie dies ebenfalls zugeben, obwohl wir diesbezüglich unsere Zweifel haben, denn Ihr
Brief strotzt nur so vor moralisierenden Behauptungen. Außerdem nehmen wir an, dass Sie
das Prinzip des Heiligen Krieges ablehnen. Was Ihnen also als einzige moralische und
intellektuelle Position bleibt, ist die Theorie des gerechten Krieges. Bitte denken Sie daran:
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Diese Tradition strebt in erster Linie danach, die Anwendung von Waffengewalt zu begrenzen
und nicht zu preisen. Überdies hat sie nachhaltig Einfluss ausgeübt auf die internationale
Gesetzgebung und die Einrichtung internationaler Institutionen, wie zum Beispiel die
Gründung der Vereinten Nationen. Das alles zählt für Sie offenbar nicht. Die gesamte
Tradition des gerechten Krieges kanzeln Sie in einem einzigen Nebensatz ab, gewissermaßen
als Vorspiel zu Ihrer harschen Attacke auf die Entscheidung der Vereinigten Staaten und ihrer
Alliierten, Deutschland inbegriffen, gegen die Al-Qaida- und Taliban-Kämpfer in Afghanistan
zu den Waffen zu greifen.
Wo also stehen Sie? Ist der Einsatz von Waffengewalt für Sie jemals moralisch gerechtfertigt?
Falls nein, warum nicht? Falls ja: Nach welchen moralischen Kriterien sollte diese Frage
entschieden werden? Und wie sollte man diese Kriterien, so wie Sie sie verstehen, auf die
gegenwärtige Krise anwenden? Es ist einfach und zweifellos ihr gutes Recht, die Vereinigten
Staaten für so ziemlich alles anzuprangern, was sie in der Welt seit 1945 getan haben. Das
aber befreit Sie nicht von der Verantwortung, eine klare und in sich schlüssige Position zu den
moralischen Grundfragen zu beziehen. Wir erwarten Ihre Antwort.
Ihr Ton klingt alarmistisch. Sie beklagen den „wachsenden Einfluss fundamentalistischer
Kräfte“ in den USA, die auch „vor dem Weißen Haus nicht Halt“ machen. Wir wollen diese
Feststellung nicht bewerten, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Sie an keiner Stelle in
Ihrem Brief Alarm schlagen über die Tatsache, dass „fundamentalistische Kräfte“ in vielen
muslimischen Ländern an Boden gewinnen. Doch damit nicht genug: In Ihrem Brief
empfehlen Sie den USA sogar, ihr gesamtes militärisches Personal aus Saudi-Arabien
abzuziehen, weil offenbar bereits die bloße Präsenz dieser Truppen von vielen Muslimen „als
ein Stachel im eigenen Fleisch betrachtet und als Angriff auf die eigene Kultur und das
Selbstwertgefühl empfunden wird“.
Was erklärt diese Diskrepanz? Haben Sie ausschließlich etwas gegen den
„Fundamentalismus“ in den USA? Glauben Sie, dass die „fundamentalistischen Kräfte“ in der
muslimischen Welt – bei jenen Gruppen also, die das US-Militär nicht mögen, den Frauen das
Wahlrecht und den Führerschein verweigern, die zur Ermordung von Schriftstellern aufrufen,
deren Werke ihnen nicht passt, und die in regelmäßigen Abständen allen Fremden und
Ungläubigen den Krieg erklären – dass diese Kräfte eine geringere Bedrohung für die Welt
darstellen als jene „fundamentalistischen Kräfte“, von denen Sie fürchten, dass sie in den
Vereinigten Staaten an Boden gewinnen?
An vielen Stellen Ihres Briefes schwingt Gleichgültigkeit gegenüber den Gefahren mit, die
von muslimischen Extremisten ausgeht. Das ist auch in Ihrem Ratschlag ersichtlich, wie
unsere Regierung auf die Ereignisse vom 11. September hätte reagieren sollen. Sie empfehlen
uns, die rechtsstaatlichen Mittel, mit denen Verbrechen auf nationaler Ebene geahndet
werden, „global zu erweitern“. Diese Idee ist nicht nur vage, sie verwischt auch die
Unterschiede zwischen einem individuellen kriminellen Akt und einer kriegerischen
Handlung. Leider versäumen Sie es, uns mitzuteilen, wie Menschen, die angegriffen werden,
sich aktuell verteidigen können.
Den Anstieg der islamistischen Gewalt beschreiben Sie als „eine Folge der Instabilität der
Machtbalance in der gegenwärtig unipolaren Weltordnung“. Sollten wir diese Analyse richtig
verstehen, so ergibt sich daraus eine seltsame Konsequenz: Falls die USA und ihre
Verbündeten, das deuten Sie in Ihrem Brief zumindest an, weniger Macht und Einfluss und
Staaten wie Saudi-Arabien, Irak, Iran sowie andere Länder im Nahen Osten mehr Macht und
Einfluss hätten, würde die Welt sichererer und friedlicher. Wenn man bedenkt, dass viele
dieser Staaten (obwohl nicht alle), die Sie als zu wenig mächtig und einflussreich empfinden,
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von Despoten regiert werden, die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken und jenen Terror
exportieren, der gegenwärtig die Welt bedroht – inklusive der islamischen Welt -, dann
können wir uns Ihrer Empfehlung nicht anschließen.
Ihr Brief befasst sich auch mit den zivilen Toten im Afghanistan-Krieg. Das ist ein überaus
ernstes Thema, das uns ebenfalls sehr besorgt. Allerdings behandeln Sie das Problem nicht
seriös. Ihre Behauptung über die Zahl der Ziviltoten ist im besten Falle unbewiesen.
Begrifflich indes bezeichnen Sie die Ziviltoten als Beispiel für einen amerikanischen
„Massenmord“. Damit setzen sie die zivilen Opfer im Afghanistan-Krieg mit jenen Menschen
moralisch auf eine Stufe, die bei den Terroranschlägen vom 11. September in New York,
Washington, D.C. und Pennsylvania ums Leben kamen. Sie sagen uns, dass keine moralische
Kalkulation „einen Massenmord mit einem weiteren Massenmord rechtfertigen“ kann. Solche
Bemerkungen machen uns traurig. Es ist moralische Blindheit, wenn Sie die unbeabsichtigte
Tötung von Zivilisten in einem Krieg, dessen Grund gerechtfertigt ist, und in dem es das Ziel
des Soldaten ist, den Verlust von zivilem Leben zu minimieren, mit der beabsichtigten
Ermordung von Zivilisten, die sich in einem Bürogebäude befinden, durch Terroristen
vergleichen, deren oberstes Ziel es ist, die Zahl der Ziviltoten zu maximieren.
Gegen Ende Ihres Briefes schreiben Sie: „Nur wenn weltweit und bei den ökonomisch und
militärisch schwächeren Nationen und Kulturkreisen die Auffassung einkehrt, dass der
Westen als der ökonomisch und militärisch mächtigste Kulturkreis es mit der Universalität
der Menschenwürde ernst meint, dass diese nicht bloß eine Floskel ist, von der je nach Bedarf
Gebrauch gemacht wird, nur dann erhöht sich die Chance, dass terroristische
Selbstmordattentate nicht die beabsichtigte Resonanz erfahren, sondern in allen Ländern auf
vehemente Ablehnung stoßen.“
Ungeachtet dessen, dass wir mit Ihnen in anderen Bereichen nicht übereinstimmen, finden wir
in dieser Festellung doch wichtige Elemente einer Einsicht. Sie könnte als Grundlage für
einen künftigen Dialog dienen.
Nochmals vielen Dank für Ihre Antwort.
unterzeichnerlnnen,
John Atlas
President, National Housing Institute; Executive Director, Passaic County Legal Aid Society
Jay Belsky
Professor and Director, Institute for the Study of Children, Families and Social Issues,
Birkbeck University of London
David Blankenhorn
President, Institute for American Values
David Bosworth
University of Washington
R. Maurice Boyd
Minister, The City Church, New York
Gerard V. Bradley
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Professor of Law, University of Notre Dame
Allan Carlson
President, The Howard Center for Family, Religion, and Society
Lawrence A. Cunningham
Professor of Law, Boston College
Paul Ekman
Professor of Psychology, University of California, San Francisco
Jean Bethke Elshtain
Laura Spelman Rockefeller Professor of Social and Political Ethics, University of Chicago
Divinity School
Amitai Etzioni
University Professor, The George Washington University
Hillel Fradkin
President, Ethics and Public Policy Center
Samuel G. Freedman
Professor at the Columbia University Graduate School of Journalism
Francis Fukuyama
Bernard Schwartz Professor of International Political Economy, Johns Hopkins University
Maggie Gallagher
Institute for American Values
William A. Galston
Professor at the School of Public Affairs, University of Maryland; Director, Institute for
Philosophy and Public Policy
Claire Gaudiani
Senior research scholar, Yale Law School, and former president, Connecticut College
Elizabeth Fox Genovese
Eleonore Raoul Professor of the Humanities, Emory University
Robert P. George
McCormick Professor of Jurisprudence and Professor of Politics, Princeton University
Carl Gershman
President, National Endowment for Democracy
Neil Gilbert
Professor at the School of Social Welfare, University of California, Berkeley
Mary Ann Glendon
Learned Hand Professor of Law, Harvard University Law School
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Norval D. Glenn
Ashbel Smith Professor of Sociology and Stiles Professor of American Studies, University of
Texas at Austin
Os Guinness
Senior Fellow, Trinity Forum
David Gutmann
Professor Emeritus of Psychiatry and Education, Northwestern University
Charles Harper
Executive Director, John Templeton Foundation
Sylvia Ann Hewlett
Chair, National Parenting Association
The Right Reverend John W. Howe
Episcopal Bishop of Central Florida
James Davison Hunter
William R. Kenan, Jr., Professor of Sociology and Religious Studies and Executive Director,
Center on Religion and Democracy, University of Virginia
Samuel Huntington
Albert J. Weatherhead, III, University Professor, Harvard University
Byron Johnson
Director and Distinguished Senior Fellow, Center for Research on Religion and Urban Civil
Society, University of Pennsylvania
James Turner Johnson
Professor, Department of Religion, Rutgers University
John Kelsay
Richard L. Rubenstein Professor of Religion, Florida State University
Judith Kleinfeld
Professor of Psychology, University of Alaska, Fairbanks
Diane Knippers
President, Institute on Religion and Democracy
Thomas C. Kohler
Professor of Law, Boston College Law School
Robert C. Koons
Professor of Philosophy, University of Texas at Austin
Glenn C. Loury
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Professor of Economics and Director, Institute on Race and Social Division, Boston
University
Harvey C. Mansfield
William R. Kenan, Jr., Professor of Government, Harvard University
Will Marshall
President, Progressive Policy Institute
Jerry L. Martin
President, American Council of Trustees and Alumni
Richard J. Mouw
President, Fuller Theological Seminary
Daniel Patrick Moynihan
University Professor, Maxwell School of Citizenship and Public Affairs, Syracuse University
John E. Murray, Jr.
Chancellor and Professor of Law, Duquesne University
Anne D. Neal
Executive Director, American Council of Trustees and Alumni
Virgil Nemoianu
WJ Byron Distinguished Professor of Literature, Catholic University of America
Michael Novak
George Frederick Jewett Chair in Religion and Public Policy, American Enterprise Institute
Rev. Val J. Peter
Executive Director, Boys and Girls Town
David Popenoe
Professor of Sociology and Co-Director of the National Marriage Project, Rutgers University
Gloria G. Rodriguez
Founder and President, AVANCE, Inc.
Robert Royal
President, Faith & Reason Institute
Nina Shea
Director, Freedom’s House’s Center for Religious Freedom
Fred Siegel
Professor of History, The Cooper Union
Max L. Stackhouse
Professor of Christian Ethics and Director, Project on Public Theology, Princeton
Theological Seminary
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William Tell, Jr.
The William and Karen Tell Foundation
Maris A. Vinovskis
Bentley Professor of History and Professor of Public Policy, University of Michigan
Paul C. Vitz
Professor of Psychology, New York University
Michael Walzer
Professor at the School of Social Science, Institute for Advanced Study
George Weigel
Senior Fellow, Ethics and Public Policy Center
Roger Williams
Mount Hermon Association, Inc.
Charles Wilson
Director, Center for the Study of Southern Culture, University of Mississippi
James Q. Wilson
Collins Professor of Management and Public Policy Emeritus, UCLA
John Witte, Jr.
Jonas Robitscher Professor of Law and Ethics and Director, Law and Religion Program,
Emory University Law School
Christopher Wolfe
Professor of Political Science, Marquette University
George Worgul
Executive Director, Family Institute, Duquesne University
Daniel Yankelovich
President, Public Agenda
Die Angliederungen der Unterzeichner sind nur für Identifikation.
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