doc - GUE/NGL

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EUROPÄISCHES PARLAMENT
2009 – 2014
Plenarsitzungsdokument
10.6.2013
B7-0284/2013
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der
Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
zu dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Afghanistan
(2013/2665(RSP))
Willy Meyer, Marie-Christine Vergiat, Jacky Hénin, Marisa Matias,
Alda Sousa, Patrick Le Hyaric, Younous Omarjee, Inês Cristina Zuber,
Sabine Lösing
im Namen der GUE/NGL-Fraktion
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DE
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In Vielfalt geeint
DE
B7-0284/2013
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen mit Afghanistan
(2013/2665(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Afghanistan, insbesondere seine
Entschließung vom 8. Juli 2008 zur Stabilisierung Afghanistans1, vom 15. Januar 2009 zur
Kontrolle der Ausführung von EU-Mitteln in Afghanistan2, vom 24. April 2009 zu
Frauenrechten in Afghanistan3 und vom 16. Dezember 2010 zu einer neuen Strategie für
Afghanistan4,
– unter Hinweis auf das Länderstrategiepapier 2007-2013, in dem die Verpflichtungen der
Kommission gegenüber Afghanistan bis zum Jahr 2013 festgelegt sind,
– unter Hinweis auf die Verhandlungen über das Kooperationsabkommen zwischen der
Europäischen Union und Afghanistan über Partnerschaft und Entwicklung, die im
März 2012 in Kabul aufgenommen wurden,
– unter Hinweis auf die Afghanistan-Konferenz vom Januar 2010 in London, auf der die
Grundlage für einen internationalen Konsens über eine Strategie zur nichtmilitärischen
Lösung der Krise in Afghanistan geschaffen und vereinbart wurde, dass die
Verantwortung für die Sicherheit im Land ab 2011 allmählich und bis 2014 größtenteils
an afghanische Kräfte übertragen werden soll,
– in Kenntnis der Entscheidung des Rates vom 27. Mai 2010, die Polizeimission der
Europäischen Union in Afghanistan (EUPOL Afghanistan) bis zum 31. Dezember 2014
zu verlängern,
– in Kenntnis des Berichts über die menschliche Entwicklung 2013 der Vereinten Nationen,
in dem Afghanistan unter 182 Ländern an 175. Stelle eingestuft wird,
– unter Hinweis auf den im Februar 2013 veröffentlichten Jahresbericht 2012 der
Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan betreffend den Schutz von
Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten,
– in Kenntnis des strategischen Partnerschaftsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten
und Afghanistan, das im Mai 2012 unterzeichnet wurde,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Barack Obama,
mit dem Aufruf, zur Frage des Truppenabzugs aus Afghanistan 2014 einen Gipfel
einzuberufen,
1
ABl. C 294 E vom 3.12.2009, S. 11.
ABl. C 46 E vom 24.2.2010, S. 87.
3
ABl. C 184 E vom 8.7.2010, S. 57.
4
ABl. C 169 E vom 15.6.2012, S. 108.
2
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– unter Hinweis auf die Arbeit des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und
Verbrechensbekämpfung (UNODC),
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Krieg in Afghanistan gegen das Völkerrecht verstößt; in der
Erwägung, dass die internationale Gemeinschaft implizit anerkannt hat, dass fast 12 Jahre
Krieg und internationaler Einsatz weder dem Aufstand der Taliban ein Ende gesetzt noch
dem Land Frieden und Stabilität gebracht, sondern vielmehr das Gegenteil bewirkt haben;
B. in der Erwägung, dass trotz mehrfacher Ankündigungen, die ausländischen Truppen
würden abgezogen, nach wie vor 100 000 Soldaten in Afghanistan stationiert sind, von
denen 66 000 aus den Vereinigten Staaten stammen;
C. in der Erwägung, dass laut dem Bericht der Unterstützungsmission der Vereinten
Nationen in Afghanistan vom Februar 2013 im Jahr 2012 in Afghanistan 2 759 Zivilisten
ums Leben kamen und 4 805 Personen verletzt wurden; in der Erwägung, dass der Krieg
in Afghanistan seit seinem Ausbruch im Jahr 2001 mehr als 14 000 Zivilisten das Leben
gekostet hat; in der Erwägung, dass Zehntausende afghanische Zivilisten durch die
mittelbaren Folgen des Krieges – Vertreibung, Hunger, fehlende medizinische
Versorgung, Krankheit und Verbrechen infolge des Krieges – ums Leben kamen;
D. in der Erwägung, dass die Sicherheit und die Lebensbedingungen sich seit Beginn des
Krieges verschlechtert haben, und dass die Koalition von der Bevölkerung zunehmend als
Besatzungsmacht wahrgenommen wird; in der Erwägung, dass eine neue und weiter
gefasste Partnerschaft mit dem afghanischen Volk erforderlich ist, in deren Rahmen nicht
repräsentierte Gruppen und die Bürgergesellschaft in die Bemühungen um Frieden und
Versöhnung einbezogen werden;
E. in der Erwägung, dass die Verhandlungen über das Kooperationsabkommen zwischen der
Europäischen Union und Afghanistan über Partnerschaft und Entwicklung voraussichtlich
bald abgeschlossen werden; in der Erwägung, dass dieses Abkommen sich über eine
Vielzahl von Bereichen, einschließlich Handel, Entwicklung und Justiz/Innenpolitik
erstrecken wird; in der Erwägung, dass dieses Abkommen als rechtliche Grundlage für die
verstärkte Zusammenarbeit der EU mit Afghanistan dienen wird; in der Erwägung, dass in
dem Abkommen auch die Umsetzung der Empfehlungen des IWF vorgesehen ist;
F. in der Erwägung, dass die Zahl der US-Drohnenangriffe in Afghanistan 2012 um
72 Prozent gestiegen ist und dabei mindestens 16 Zivilisten ums Leben kamen; in der
Erwägung, dass das Vereinigte Königreich unlängst mit dem Einsatz ferngesteuerter
bewaffneter Drohnen begonnen hat;
G. in der Erwägung, dass nach der Entdeckung verstümmelter Leichen in der Nähe des
ehemaligen Spezialeinheitenstützpunkts der Vereinigten Staaten in Wardak Hunderte
gegen die Anwesenheit der US-Streitkräfte protestiert haben; in der Erwägung, dass die
Opfer nach Aussagen ihrer Angehörigen gefoltert und getötet wurden; in der Erwägung,
dass bei den Protesten zwei weitere Menschen ums Leben kamen und eine Person schwer
verletzt wurde, nachdem die Polizei Schüsse auf die Menschenmenge gefeuert hatte;
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H. in der Erwägung, dass am 7. Juni in der ostafghanischen Provinz Paktika drei
amerikanische Militärausbilder von einem Mitglied der afghanischen Armee getötet
wurden, und dass am selben Tag ein italienischer Soldat ums Leben kam, als ein
bewaffnetes Fahrzeug in der Provinz Farah von einer Granate getroffen wurde;
I. in der Erwägung, dass die Todesstrafe in Afghanistan gesetzlich zugelassen ist und bei
einer Reihe von Tatbeständen, wie Mord, Apostasie, Homosexualität, Vergewaltigung,
Terrorismus, Drogenhandel und Ehebruch, zur Anwendung kommt;
J. in der Erwägung, dass die Lage der Frauen im Land nach wie vor Anlass zu großer
Besorgnis gibt; in der Erwägung, dass Berichten der Vereinten Nationen zufolge die
Müttersterblichkeit in Afghanistan mit 25 000 Todesfällen im Jahr weltweit die
zweithöchste ist, dass nur 12,6 % der über 15-jährigen Frauen lesen und schreiben können
und 57 % der Mädchen verheiratet werden, bevor sie das dafür gesetzlich festgelegte
Mindestalter von 16 Jahren erreicht haben; in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen
nach wie vor weit verbreitet ist; in der Erwägung, dass das diskriminierende schiitische
Personenstandsgesetz weiter in Kraft ist und darin unter anderem vorgesehen ist, dass
Frauen sich strafbar machen, wenn sie sich weigern, mit ihrem Ehemann
Geschlechtsverkehr zu haben, und dass sie ohne Einwilligung ihres Ehemanns nicht das
Haus verlassen dürfen; in der Erwägung, dass ein Gesetz über das Verbot von Gewalt
gegen Frauen, Kinderehen und Zwangsheirat am Widerstand des afghanischen Parlaments
gescheitert ist; in der Erwägung, dass die Zahl der Frauen und Mädchen, die für
„moralische Vergehen“ inhaftiert werden, in den letzten 18 Monaten um 50 % gestiegen
ist; in der Erwägung, dass die afghanische Polizei ohne jegliche medizinische Grundlage,
unter Missachtung des Völkerrechts, Jungfräulichkeitstests vornimmt;
K. in der Erwägung, dass Afghanistan Vertragspartei mehrerer internationaler
Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Frauen und Kindern ist, insbesondere des
VN-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen aus
dem Jahr 1979 und des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes aus dem Jahr
1989; in der Erwägung, dass die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer,
nach Artikel 22 der afghanischen Verfassung vor dem Gesetz gleiche Rechte und
Pflichten haben;
L. in der Erwägung, dass der afghanische Finanzminister Omar Sachilwal die
Vertragsvergabeverfahren der der NATO unterstehenden Internationalen Schutztruppe für
Afghanistan (ISAF) kritisierte, weil die afghanische Wirtschaft vor Ort bei der
Auftragsvergabe nicht begünstigt, sondern der größte Teil der von der ISAF finanzierten
Aufträge an ausländische Partner vergeben wird, was einen ständigen Abfluss von Mitteln
aus dem Land bewirkt;
M. in der Erwägung, dass offensichtlich geworden ist, dass es für Afghanistan keine
militärische Lösung gibt; in der Erwägung, dass die Vereinigten Staaten ursprünglich
angekündigt hatten, sie würden im Sommer 2011 mit dem Abzug ihrer Truppen aus
Afghanistan beginnen; in der Erwägung, dass es nicht nur nicht dazu gekommen ist,
sondern dass der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, einen NATO-Gipfel
angekündigt hat, auf dem es um den Truppenabzug aus Afghanistan gehen soll, der jedoch
erst 2014 stattfinden soll;
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N. in der Erwägung, dass die EU einer der wichtigsten Geber von Entwicklungshilfe und
humanitärer Hilfe für Afghanistan ist; in der Erwägung, dass im Zeitraum 2011-2013 zwar
jährlich Beträge in Höhe von etwa 200 Mio. Euro bereitgestellt werden, dass die
Wirksamkeit der Hilfeleistungen der EU an Afghanistan jedoch unter der mangelhaften
Abstimmung leidet; in der Erwägung, dass Korruption in Afghanistan nach wie vor ein
großes Problem ist, das die Entwicklung des Landes behindert; in der Erwägung, dass
Afghanistan im Korruptionswahrnehmungsindex 2012 von Transparency International
zusammen mit Somalia und Nordkorea die letzten Plätze belegt;
O. in der Erwägung, dass laut der Statistik der Weltbank von 2012 36 % der afghanischen
Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben; in der Erwägung, dass das monatliche
Durchschnittseinkommen in Afghanistan bei 40 US-Dollar liegt, während die Regierung
des Landes und ausländische Organisationen Regierungsbeamten Monatsgehälter in einer
Größenordnung von 30 000-50 000 US-Dollar zahlen;
P. in der Erwägung, dass Afghanistan nicht nur der weltgrößte Opiumproduzent und
Hauptlieferant der Heroinmärkte in der EU und der Russischen Föderation ist, sondern
nach einem aktuellen Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und
Verbrechensbekämpfung (UNODC) auch einer der weltweit größten
Cannabisproduzenten;
Q. in der Erwägung, dass dem Bericht des UNODC zufolge die Zahl der afghanischen
Bürger, die drogenabhängig sind, in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist, und
dass diese Entwicklung schwere gesellschaftliche Folgen für die Zukunft des Landes
haben wird;
R. in der Erwägung, dass die EU bei der Drogenbekämpfung aktive Unterstützung geleistet
hat, dass damit im Kampf gegen die Durchdringung der Volkswirtschaft, des politischen
Systems, der staatlichen Institutionen und der Gesellschaft durch die Drogenindustrie
bisher jedoch keine nennenswerten Forschritte erzielt wurden;
S. in der Erwägung, dass einige Mohnplantagen in Afghanistan mit chemischen
Pflanzenvernichtungsmitteln zerstört wurden, dass die damit verbundene Boden- und
Gewässerbelastung jedoch eine große Gefahr für Mensch und Umwelt ist; ferner in der
Erwägung, dass inzwischen Konsens darüber besteht, dass repressive Maßnahmen nicht
gegen die Bauern gerichtet sein dürfen, sondern auf den Drogenhandel und die Labors
ausgerichtet sein müssen, in denen Heroin hergestellt wird; in der Erwägung, dass die
Bemühungen sich nun vor allem auf die Schaffung alternativer Lebensgrundlagen für die
Bauern konzentrieren;
T. in der Erwägung, dass Afghanistan sehr reich an natürlichen Rohstoffen, auch an
Bodenschätzen wie Erdöl und Erdgas, ist, und dass der Wert dieser Vorkommen auf
3 Billionen US-Dollar geschätzt wird;
1. verurteilt nochmals den Krieg in Afghanistan und die Besatzung des Landes durch die
Koalitionsstreitkräfte, die das Land zerstört haben und – im Vergleich zu den Jahren vor
der Besatzung – zu einer Zunahme der Armut und Verschlechterung der
Lebensbedingungen für die afghanische Bevölkerung geführt haben; verurteilt die
außergerichtlichen Hinrichtungen und die Drohnenangriffe; bekräftigt seine Forderung,
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die ausländischen Streitkräfte umgehend aus Afghanistan abzuziehen und unter
Einbeziehung aller afghanischen Akteure eine politische Lösung herbeizuführen;
2. missbilligt die Tatsache, dass seit Kriegsbeginn 2001 mindestens 14 000 afghanische
Zivilisten infolge des Krieges gestorben sind; spricht den Angehörigen dieser
unschuldigen afghanischen Opfer sein Beileid aus;
3. missbilligt den Umstand, dass die EU-Politik gegenüber Afghanistan der Strategie der
Vereinigten Staaten folgt, die in erster Linie auf eine militärische Lösung ausgerichtet ist;
vertritt aus diesem Grund die Ansicht, dass die EU-Strategie für Afghanistan bei der
Anerkennung der Tatsache ansetzen muss, dass die weitere Verschlechterung der
Sicherheitslage – und der sozioökonomischen Lage – in Afghanistan ein Ergebnis der
zwölfjährigen internationalen Besatzung ist;
4. weist darauf hin, dass in Afghanistan weder Stabilität noch Frieden erreichbar sind,
solange Krieg, und damit Hunger und Armut, andauern; ist der Auffassung, dass in dieser
Situation eine neue, weiter gefasste Partnerschaft mit dem afghanischen Volk erforderlich
ist, in deren Rahmen nicht repräsentierte Gruppen und die Bürgergesellschaft in die
Bemühungen um Frieden und Versöhnung einbezogen werden;
5. bedauert, dass die Vereinigten Staaten ihren Zusagen, die Truppen bis zum Sommer 2011
aus Afghanistan abzuziehen, nicht nachgekommen sind, und dass der von Präsident
Obama geforderte NATO-Gipfel, auf dem es um den Truppenabzug aus Afghanistan
gehen soll, erst 2014 stattfinden soll;
6. weist noch einmal darauf hin, dass die militärische Strategie für Afghanistan
fehlgeschlagen ist, und spricht sich aus diesem Grund nachdrücklich für einen zivilen
Ansatz aus; weist darauf hin, dass der Konflikt nur auf politischem Wege gelöst werden
kann, und dass dabei auch Verhandlungen mit den Taliban und anderen bewaffneten
Gruppen sowie mit anderen politischen Akteuren im Land stattfinden sollten;
7. weist nachdrücklich darauf hin, dass Afghanistan Stabilität benötigt, die jedoch nicht mit
militärischen Mitteln, sondern nur auf dem Weg des politischen Dialogs, der
Entwicklungshilfe und durch Achtung seiner territorialen und politischen Souveränität zu
erreichen ist; hebt hervor, dass jegliche langfristige Lösung der Afghanistan-Krise von
den Interessen der afghanischen Bürger im Hinblick auf innere Sicherheit, Zivilschutz
sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ausgehen und konkrete
Maßnahmen umfassen muss, die auf die Bekämpfung der Armut, der Unterentwicklung
und der Diskriminierung von Frauen sowie auf eine bessere Achtung der Menschenrechte
und der Rechtsstaatlichkeit, die Stärkung von Schlichtungsmechanismen und die
endgültige Einstellung der Opiumproduktion ausgerichtet sind;
8. hebt hervor, dass die Rohstoffvorkommen im afghanischen Hoheitsgebiet allein dem
afghanischen Volk gehören und dass der „Schutz“ dieser Reichtümer nicht als Vorwand
für eine dauerhafte Präsenz ausländischer Truppen auf afghanischem Boden dienen darf;
9. hebt nochmals hervor, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die Entscheidungen achten
sollten, die Afghanistan beim Wiederaufbau des Staates – mit gestärkten demokratischen
Institutionen, der in der Lage ist, die nationale Souveränität sicherzustellen und auf der
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Grundlage einer Armee und einer Polizei, die in demokratischer Weise
rechenschaftspflichtig sind, sowie einer kompetenten und unabhängigen Justiz für
Sicherheit, staatliche Einheit, territoriale Integrität, die Gleichstellung von Mann und
Frau, Medienfreiheit, die Schwerpunktsetzung auf Bildung und Gesundheit, eine
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung sowie den Wohlstand des afghanischen Volkes
zu sorgen – trifft, dass sie jedoch nicht außer Acht lassen dürfen, dass sich das Verhältnis
zu Frauen grundlegend ändern muss;
10. weist auf die tragende Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen hin, wenn es darum
geht, die Einbeziehung der afghanischen Bevölkerung im Demokratisierungs- und
Wiederaufbauprozess sicherzustellen und der Korruptionsgefahr zu begegnen;
11 ist nach wie vor äußerst besorgt über die allgemeine Lage der Menschenrechte in
Afghanistan, vor allem, was die Beschneidung der grundlegenden politischen,
bürgerlichen und sozialen Rechte von Frauen in den letzten Jahren betrifft, und ist besorgt
über diesbezügliche negative Entwicklungen, wie die Tatsache, dass es sich bei der
Mehrheit der Inhaftierten in afghanischen Gefängnissen um Frauen handelt, die vor der
Unterdrückung durch Familienangehörige geflohen sind;
12. ist überzeugt, dass die Frauenrechte Teil der Lösung sein müssen und in Afghanistan
keine stabilen Verhältnisse erreicht werden können, wenn nicht dafür gesorgt wird, dass
die Frauen ihre Rechte im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben
uneingeschränkt wahrnehmen können; fordert die afghanischen Behörden und die
Vertreter der internationalen Gemeinschaft daher auf, im Einklang mit der
Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen dafür zu sorgen, dass Frauen
in jede Phase der Friedensgespräche und der Bemühungen um Versöhnung und ihre
Wiedereingliederung in die Gesellschaft einbezogen werden; fordert, dass Frauen, die im
öffentlichen Leben oder politisch aktiv und aus diesem Grund einer besonderen
Bedrohung durch Fundamentalisten ausgesetzt sind, in besonderem Maße geschützt
werden; weist darauf hin, dass die Fortschritte bei den Friedensgesprächen auf keinen Fall
auf Kosten der Rechte gehen dürfen, die die Frauen in den letzten Jahren errungen haben;
fordert die afghanische Regierung auf, die Rechte der Frauen stärker zu schützen, indem
geltende Rechtsvorschriften wie das Strafgesetzbuch so überarbeitet werden, dass
diskriminierende Praktiken ausgeschlossen sind;
13. fordert die Kommission, den Rat und die einzelnen Mitgliedstaaten auf, die
Diskriminierung von Frauen und Kindern sowie die Menschenrechte im Allgemeinen in
den bilateralen Beziehungen zu Afghanistan auch weiterhin zu thematisieren;
14. stellt fest, dass sich die Lage in Bezug auf die freie Meinungsäußerung und die
Pressefreiheit trotz der Verbesserungen, die nach dem Sturz des Taliban-Regimes
eingetreten sind, in den letzten Jahren verschlechtert hat; hebt hervor, dass die
Medienfreiheit und die Bürgergesellschaft in Afghanistan im Interesse der Bemühungen
um die Demokratisierung des Landes gestärkt werden müssen; fordert, dass entsprechende
Maßnahmen getroffen werden;
15. bekräftigt nochmals, dass es die Todesstrafe in jeder Hinsicht ablehnt; fordert die
afghanische Regierung auf, im Einklang mit der Resolution 62/149 der VN von 2007
umgehend ein Moratorium für die Todesstrafe zu unterbreiten, damit diese schließlich
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abgeschafft wird;
16. stellt fest, dass die Lage in Afghanistan trotz der gewaltigen ausländischen Finanzspritzen
nach wie vor entmutigend ist und humanitäre und medizinische Hilfsgüter die am meisten
gefährdeten Bevölkerungsgruppen gar nicht erreichen, dass mehr Afghanen an den Folgen
der Armut sterben als in direkter Folge des bewaffneten Konflikts, dass die
Säuglingssterblichkeit erschreckenderweise seit 2002 zugenommen hat, während die
Lebenserwartung bei der Geburt und der Alphabetisierungsgrad deutlich zurückgegangen
sind und dass die Zahl der Menschen, die ihr Dasein unterhalb der Armutsgrenze fristen,
seit 2004 um 130 % gestiegen ist;
17. bedauert, dass Afghanistan im Bericht über die menschliche Entwicklung 2013 der
Vereinten Nationen unter 182 Ländern nur an 175. Stelle erscheint und die Sterblichkeit
von Kindern unter fünf Jahren sowie die Müttersterblichkeit in Afghanistan zu den
höchsten der Welt gehört; ist der Auffassung, dass die Millennium-Entwicklungsziele nur
erreicht werden können, wenn entsprechende konkrete Ziele aufgestellt werden und für
einen besseren Zugang zur medizinischen Versorgung und zu Bildungsangeboten (vor
allem für Frauen) gesorgt wird;
18. weist mit Nachdruck auf die Ergebnisse des UNODC hin, wonach sich die
Heroinproduktion in Afghanistan seit dem Beginn der Besatzung 2001 vervierzigfacht
hat; weist darauf hin, dass 90 % des illegal angebauten Heroins aus Afghanistan stammen;
19. weist darauf hin, dass der Krieg in Afghanistan enorme Kosten verursacht, die sich den
Schätzungen einer Harvard-Studie zufolge auf bis zu 6 Billionen US-Dollar belaufen
können, während das BIP Afghanistans 33 Mrd. US-Dollar beträgt;
20. vertritt die Auffassung, dass die Korruptionsbekämpfung in Afghanistan im Mittelpunkt
der friedensbildenden Maßnahmen stehen sollte, weil die Bestechung dazu führt, dass
Mittel zweckentfremdet werden und verloren gehen, der Zugang zu grundlegenden
öffentlichen Diensten, wie medizinischer Versorgung und Bildung, erschwert wird und
die sozioökonomische Entwicklung des Landes sich stark verzögert; hebt hervor, dass
Korruption das Vertrauen in den öffentlichen Sektor und die Regierung beschädigt und
demzufolge eine große Gefahr für die nationale Stabilität darstellt; fordert die EU daher
dringend auf, der Korruptionsbekämpfung im Zusammenhang mit der Bereitstellung von
Hilfeleistungen für Afghanistan besondere Beachtung zu schenken;
21. weist darauf hin, dass durch zahlreiche Pressemeldungen sowie den Bericht des USRepräsentantenhauses mit dem Titel „Warlord, Inc.“ bekannt geworden ist, dass das USMilitär in Afghanistan den größten Teil seiner Logistik an private Auftragnehmer
ausgelagert hat, die ihrerseits einheimische afghanische Sicherheitsfirmen mit dem Schutz
von Militärkonvois beauftragen, und dass dies katastrophale Folgen hatte; stellt fest, dass
die Entscheidung, die Versorgung des US-Militärs in private Hände zu geben, ohne
anhand entsprechender zuverlässiger Kriterien für Rechenschaftspflicht, Transparenz und
Rechtmäßigkeit zu sorgen, den Nährboden für einen rasanten Anstieg von Erpressung und
Korruption bereitet hat, weil Kriegsherren, einheimische Mafiabosse und schließlich auch
Kommandeure der Taliban sich auf diese Weise einen bedeutenden Anteil des 2,2 bis
3 Mrd. US-Dollar schweren Geschäfts mit Militärlogistik in Afghanistan sichern konnten;
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22. ist bestürzt über die Feststellungen der ehemaligen US-Außenministerin Hillary Clinton,
wonach die Aufrührer sich hauptsächlich über Schutzgeldforderungen und Erpressung
finanzieren, die auf allen Ebenen der militärischen Versorgungskette Realität sind;
23. stellt fest, dass durch die Zusicherung der Straffreiheit für Erzeuger und Händler das
Anbauniveau von vor 2001 erreicht wurde, wobei eine Handvoll einflussreicher
Kriegsherren ein riesiges Kartell betreibt;
24. weist auf die Ergebnisse eines Berichts des UNODC hin, wonach nur 4 % der
Jahreseinnahmen aus dem Drogengeschäft an die Taliban und 21 % an die einheimischen
Bauern gehen, während an den übrigen 75 % Regierungsbeamte, Polizei, lokale und
regionale Mittelsmänner und Schmuggler verdienen; stellt somit fest, dass der
Löwenanteil der Einnahmen aus dem Drogenhandel an die afghanischen Verbündeten der
NATO geht; erinnert an die Worte des US-Sonderbeauftragten für Afghanistan und
Pakistan, Richard Holbrooke, der die Maßnahmen der Vereinigten Staaten zur
Bekämpfung des Drogenhandels in Afghanistan als das kostspieligste und nutzloseste
aller staatlichen und nichtstaatlichen Programme beschrieb, die er je gesehen hätte;
25. weist darauf hin, dass es nur gelingen wird, Sicherheit und Stabilität in der Region
wiederherzustellen, wenn der Abhängigkeit der afghanischen Wirtschaft vom
Drogenhandel ein für alle Mal ein Ende gesetzt und ein tragfähiges alternatives Modell
zur Belebung des Wirtschaftswachstums gefunden wird;
26. hebt hervor, wie wichtig die bisher kaum erfolgversprechenden Bemühungen um die
allmähliche Einstellung des Opiumanbaus in Afghanistan sind, und weist in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass der Lebensunterhalt von 3,4 Millionen Afghanen vom
Opiumhandel abhängig ist, und es gilt, diesen Menschen eine alternative Lebensgrundlage
zu bieten sowie die Lage der übrigen Landbevölkerung Afghanistans zu verbessern;
27. hebt hervor, dass der Frieden in Afghanistan nur Fuß fassen kann, wenn die wichtigsten
Regionalmächte, wozu auch Indien, Pakistan, der Iran und die zentralasiatischen Staaten,
Russland, China und die Türkei gehören, politische Vereinbarungen schließen und sich
auf eine gemeinsame Strategie der Nichteinmischung und der Unterstützung eines
unabhängigen Afghanistans einigen; fordert eine Normalisierung der Beziehungen
zwischen Afghanistan und Pakistan, vor allem, was die endgültige Klärung des
Grenzkonflikts der beiden Länder betrifft;
28. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, dem
Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Generalsekretär der NATO sowie den
Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der Islamischen Republik
Afghanistan zu übermitteln.
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