Knut Hamsun (1859-1962)

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Knut Hamsun (1859-1962)
(Mitschrift von Gertraud Rothlauf, WS 2007/08)
Literatur-Empfehlungen zur Vorlesung:
Walter Baumgartner: Knut Hamsun- Biographie, rororo
Knut Hamsun: Sult/Hunger
Mysterier/Mysterien
Pan
Victoria
Markens Grøde /Segen der Erde
Einführung
1. Knut Hamsun hat die europäische und amerikanische Literatur des 20. Jh. entscheidend
beeinflusst.
Hamsun wurde gelesen von (laut Korrespondenz) u.a. Franz Kafka, Berthold Brecht, Robert
Musil, Maxim Gorki…
Ernest Hemingway: ahmt Hamsuns Stil nach
Henry Miller: „Hamsun = Dickens seiner Generation“
Thomas Mann „Nie ist der Nobelpreis jemandem verliehen worden, der ihn mehr verdient
hätte“
Boris Pasternak
André Gide: „Hamsun ist bedeutender als Dostojewski“
Rebecca West: „ Hamsun besaß das vollständige Wissen über die menschliche Natur“
Isaac Bashevis Singer: „Hamsun ist Vater der modernen Erzählform in jeder Hinsicht“:
 Subjektivität
 Hang zum Fragmentarischen
 Rückblenden
 Lyrik
Singer schreibt im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Hunger: „Die ganze moderne
Erzählweise des 20. Jh. geht auf Hamsun zurück.“
2. Warum wird Hamsun in Abhandlungen über die moderne Literatur kaum erwähnt?
 Hamsuns Ansehen war am höchsten nach seinem 70. Geburtstag 1929
 Hamsun war der einzige bedeutende Dichter, der Hitler und den Nationalsozialismus
bis zum Ende unterstützte- und auch bedauerte, dass er scheiterte
 Hamsun ist heute wieder im Aufwind
Der Versuch, ihn nach dem Krieg als senil zu bezeichnen, scheiterte an seinem letzten Werk
På gjengrodde Stier/Auf überwachsenen Pfaden.
Hamsun ist ein Rätsel, ein Paradoxon
Hauptlinien in Hamsuns Schaffensprozess
Hamsun ist der Architekt einer Erzählprosa, der den Weg der modernen Literatur vorbereitet
hat.
Hamsun ist Ausnahmegestalt im skandinavischen Kontext
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Die menschliche Natur, die psychischen Regungen, die individuelle Gefühlswelt sind
Gegenstand seiner Dichtung
z.B. Sult Hamsun beschreibt innere Erlebnisse des Individuums, lässt das soziale Umfeld fast
außer Acht- psychischer Realismus (Parallele zu Dostojewski, als dessen Schüler sich
Hamsun einmal bezeichnet hat. Hamsun sieht in D. den größten aller russischen Dichter)
Unterschied Dostojewski-Hamsun: Dostojewski: Symbolismus Hamsun: Realismus
Hamsun und der Naturalismus: Hamsun steht fern vom Naturalismus des 19. Jh. (Ibsen, Zola,
Dickens). Die Naturalisten wollten durch Aufzeigen von sozialen Missständen die Welt
ändern, Hamsun ist kein Weltverbesserer.
Hamsun ist tief im norwegischen Alltag verwurzelt, beschreibt die Welt der Bauern, Fischer,
Seeleute, Landarbeiter. Menschen mit breit gefächerter Herkunft, Interessen, Berufen usw
sind Hintergrund der Handlung.
Hamsun bringt in seinen Werken eine Analyse von menschlichen Konflikten und Krisen.
Hamsun bearbeitet nicht politische/soziale Themen oder gesellschaftliche Änderungen
sozialer/historischer Hintergrund: Ende 19.Jh: Umbruchszeit, große Spannungen
Industrialisierung, Urbanisierung (Trend vom Land zur Stadt ist besonders stark in
Norwegen), daraus entstehen politische Spannungen- aber für diese interessiert sich Hamsun
nicht in seiner Dichtung, sondern nur für die inneren, subjektiven Spannungen
Trennung von Mensch Hamsun und Werk: als Mensch beschäftigt er sich auch mit Politik:
Nationalsozialismus- aber nicht im Werk
Kann man Hamsun sehen als Hamsun als Symbolist? (frühe Werke- Ist die „Landschaft von
Oslo“ in Sult ein Symbol für die innere Topographie des Menschen?), als Romantiker? (Pan,
Victoria), als Realist?, als Modernist? (Sult = experimenteller Roman?)
allgemeine Thematik von Hamsuns Romanen ist der Gegensatz zwischen Freiheit und
Konformität:
Der Zusammenstoss zwischen freiem Individuum- kleinbürgerlicher Gesellschaft des 19. Jh.das Verhalten der Gesellschaft führt zu persönlichen Spannungen
(auch Ibsens Et Dukkehjem/Nora).
Hamsun und die norwegischen Naturalisten/Realisten des 19., Jh.
Hamsun unterscheidet sich von „ den großen Vier“ der norwegischen Dichtung. (Alexander
Kielland, Henrik, Ibsen, Jonas Lie, Børnstjerne Bjørnson). Diese sind Realisten/Naturalisten
des 19. Jh. Hamsun wurde in seiner Zeit mit ihnen verglichen. Auch sie behandeln den
Unterschied zwischen persönlicher Freiheit und Kleinbürgertum, aber unter sozialen
Aspekten.
 Børnstjerne Bjørnson: Innenpolitiker, politischer Debatteur- Hamsun hegt für ihn
Sympathie
 Henrik Ibsen: wird von Hamsun abgelehnt als altmodischer Naturalist
 Alexander Kielland : beschreibt beginnenden Kapitalismus im Gegensatz zum
idyllischen norwegischen bürgerlichen Leben, „Ausbeutung“
 Jonas Lie steht Hamsun am nächsten- ist der Realist unter den Naturalisten, der auch
innere Ereignisse beschreibt und das Verhältnis zwischen Mensch und Natur (2 Bände
mit Erzählungen aus dem Nordland, mystische Ereignisse Troll um 1890)
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Fatalismus und Natur bei Hamsun
In gesellschaftlicher Sicht ist Hamsun statisch, es gibt keine wandelbare gesellschaftliche
Situation, keine politischen Änderungen. Das Leben der Bauern, Fischer, Landarbeiter ist
stark verknüpft mit der Natur,
 Sehnsucht des Menschen nach Harmonie und Schönheit (Schönheitskult)
 Geschichte = ewiger Kreislauf, eine Kette von Wiederholungen „wenig Richtigkeit
und viele Irrtümer“
 Reflexion über historische Ereignisse/Gestalten ist bei Hamsun isoliert vom sozialen
Umfeld
 Huldigung des Ausnahmemenschen, des Übermenschen (Nietzsche!)
 Zivilisationsfeindlichkeit, antibürgerliche Motive
 oft wandernde Gestalten, ruhelos, einsam (selbst gewählt oder Schicksal)
 Gestalten oft zwiespältig- moderne Personen ( der moderne Mensch ist gespalten,
fragmentarisch)
 Rebellion nicht im sozialen Bereich, sondern auf romantische Weise : Mysterier
 tiefe Sympathie mit den Erniedrigten des Lebens (aber kein Streben für
gesellschaftliche Veränderung)
 Pantheismus (Verbindung mit Natur) Natur = Sicherheit, Geborgenheit, Harmonie
 Rückorientierung (zurück zur Natur), keine progressive Einstellung
Werte: Harmonie mit Natur, Zufriedenheit
Verurteilung der Industrialisierung, der Jagd nach Erfolg, des Großkapitalismus
(England, USA)
1928 Aufsatz: Festina lente / Beeile Dich langsam: Hamsun spricht sich hier in
reaktionärer Weise gegen Börsen, Banken usw aus, gegen den Fortschritt durch
Industrie. Er sieht Fortschritt in der Utopie des Wohlbefindens des Menschen durch
Rückwendung zur Natur
 keine Religiosität, fast nur Diesseits. Leben ist der tägliche Gang des Menschen
 nicht schwarz-weiß, sondern Grautöne
 Resignation, Angst, Verzweiflung, Bosheit, Hass sind Ursegmente des Lebens, Teile
des ewigen Kreislaufes der Natur (mystisch??)
 Sehnsucht nach Glück und Harmonie- Subjektivität
 Ideal Hamsuns ist der Patriarchismus (Herr- Knecht)- aber wenn das nicht
funktioniert, auch Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen (nur in diesem Fall!)
Biographie und Werk
Kindheit und Jugend
Geboren am 4. August 1859 in Lom / Südnorwegen als Knud Pedersen. Vater Peder Pedersen
ist Schneider, arm, Umzug 1862 nach Hamarøy im Nordland auf Hof Hamsund, Vater arbeitet
dort als Kleinbauer, unbeschwerte Kindheit.
Als Neunjähriger wegen Schulden des Vaters zu Onkel Hans Olsen (lebt auf Pfarrhof, kleine
Landwirtschaft und Handel), der ihn schwer arbeiten lässt - u.a. Buchhaltung wegen schöner
Handschrift- und körperlich misshandelt. Onkel hat Parkinson und stirbt 1890.
Hans Olsen ist Pietist und Anhänger der Bewegung von Hans Oftedal.
Hamsun hat als Kind Sehnsucht nach der Natur, nach Einsamkeit, nach Wärme.
1889 schreibt Hamsun einige Artikel über Oftedal.
1898 Erzählung: Ein Gespenst Schilderung des Elends der Zeit beim Onkel.
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Hamsun war schon in seiner Jugend eine Art Außenseiter
Der Aufenthalt bei Onkel, der die Gemeindebibliothek verwaltet, bietet ihm die Möglichkeit
zum Zugang zur Literatur.
 Grimms Volksmärchen
 Bauernerzählungen von Bjørnstjerne Bjørnson: Synnøve Solbakken, Arndt ( um 1858)
 Andreas Peter (A.P.) Munch: Spätromantiker, Dramen, nationalromantisch, Vorbild
für Ibsen
 Unterhaltungsliteratur, Kolportagezeitschriften
 wissenschaftliche Literatur: Geographie, Naturwissenschaften, Geschichten (EnglandAblehnung Hamsuns beruht auf Napoleonischen Kriegen: 1801/03 dänische Flotte
von England besiegt, 1807 englisches Terrorbombardement von Kopenhagen, um die
dänische Regierung daran zu hindern, sich mit Napoleon zu verbünden.
1868 Schule: Wanderschule, vorgesehen sind 69 Tage/Jahr, meistens deutlich weniger, erst ab
1872 regelmäßiger Schulbesuch, bis 1873 beste Note für Schönschreiben.
1873 Wanderschaft: Hamsun arbeitet als Gelegenheitsarbeiter: Händler, Kaufmannsgehilfe,
Schusterlehrling, Hofarbeiter…
Bjørnstjerne Bjørnson: (1832-1910)
Nobelpreisträger
außerhalb von Norwegen heute ziemlich unbekannt
Dramen, Gedichte (Nationalhymne!),Romane, Erzählungen
innenpolitisch aktiv, unermüdlicher Polemiker, extrovertiert, nationalistisch (Unabhängigkeit
Norwegens von Schweden), mischt sich in kulturelle und politische Debatten ein.
Bjørnstjerne Bjørnson ist Hamsuns Ideal
Bjørnstjerne Bjørnsons Bauerngeschichten sind wegweisend für die norwegische Prosa. Er ist
offensichtlich vom Sagastil inspiriert – kurze, knappe Sätze- beeinflusst Hamsun- der
seinerseits wieder Hemingway beeinflusst.
erste literarische Versuche
romantische Liebesgeschichten, literarisch nicht hoch stehend, bereits Grundmotive erkennbar
kurze Erzählungen
Den Gaadefulde (1877; Der Rätselhafte) Autor: Knud Pedersen Tromsø
8 kurze Kapitel auf etwas über 30 Seiten, Trivialliteratur
Rolf Andersen, Sohn eines husmann (Kleinbauern), taucht mit Vater, der bald stirbt, in Stadt
auf (Motiv: unbekannter Fremder), arbeitet bei Ole, dem reichsten Mann der Gegend,
verliebt sich in dessen 15jährige Tochter Rønnaug, deren Vater davon erst nicht begeistert ist.
Rolf scheint aber nicht das zu sein, was er vorgibt (Bokmål statt Dialekt, Handschrift)wirklicher Name ist Knud Sommerfeld, er hat vom Vater geerbt, Hochzeit, Umzug in Stadt,
Rolf wird erfolgreicher Geschäftsmann
Motive:
 Märchenmotiv: Aschenputtel
 unbekannter Fremder: als Motiv auch in Mysterier,
 Liebesgeschichte: auch in Victoria und Pan
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1878 Bjørger : Autor Knud Pedersen Hamsund, Bodø
deutlicher Einfluss von Bj. Bjørnsons Bauernerzählungen. Parallelen zu Victoria. Bjørger
bekommt Laura ebenso wenig wie Johannes Victoria, beide Male treten Rivalen auf: in
Bjørger ein Agronom, in Victoria ein Leutnant.
Bjørger ist armer verwaister Bauernjunge (Mutter stirbt, Vater Selbstmord). Sein älterer
Bruder Thor wird dadurch geistesverwirrt und zieht in die Natur als Einsiedler, um zu
gesunden, auch Bjørger liebt die Natur, kommt aber ins Haus des reichen Kaufmanns und
dessen Tochter Laura, in die er sich verliebt. Diese Liebe endet aber tragisch wegen Lauras
Koketterie.
Hamsun projiziert sich selbst in 2 Gestalten der Brüder.
Hamsun sieht in Liebe ein Ideal, etwas Höheres, eine ideale Sphäre- hat also eine ungeheuer
romantische Sicht dazu (s. auch Pan)
Problematik des sozialen Unterschieds
Victoria = reifere Neudarstellung von Bjørger
Im Vorwort zu einer neuen Ausgaben von Den Gaadefulde zitiert Harald Grieg, der
Verlagschef von (Norsk) Gyldendal, einen Brief Hamsuns, in dem dieser behauptet, er habe
diese Erzählungen in seiner Jugend nur deshalb veröffentlicht, um seiner Familie zu
beweisen, dass er schreiben könne.
Reisen 1879-1882
1879 Reise nach Südnorwegen (Besuch bei Bj. Bjørnson, Hamsun wird ziemlich
abgewimmelt)
und Dänemark (geplant: Besuch beim Verlag in Kopenhagen nicht erfolgreich)
Winter 1879/80 Kristiania: Hamsun hungert sich durch
bis 1882 Straßenarbeiter
Jänner 1882 1. Amerikareise (Freifahrt + Eisenbahnbillett-Geldanweisung von Norddeutscher
Lloyd, Hamburg gegen Presseartikel)
Hamsun und Amerika 1882-84
Hamsun empfindet New York als positiv und berichtet von den baulichen Wundern (Brücke,
Eisenbahn über Häusern…)
2 Gedichte werden in Zeitschrift Norden in Chicago (skand. Zentrum) veröffentlicht
Epoche der Auswanderung von Skandinavien (N, S, später DK) nach USA wegen
wirtschaftlicher Krise. In USA Land kostenlos, im Mittelwesten, aber schlechte Erde und
problematisches Klima.
Bild von Amerika als „El Dorado“, Märchenland wurde von Reedereien und
Immigrationsbüros bestärkt.
Weiterreise nach Madison /Wisconsin zu Prof. Rasmus Anderson (setzt sich für kulturelle
Leistungen Skandinaviens ein, besteht auf Entdeckung von Amerika durch Wikinger,
übersetzt Sagas, Bj. Bjørnson und A.P. Munch und auch Ibsen)
Der amerikanische Markt war neu und wegen der Abgaben für Übersetzungen wichtig für
Schriftsteller. Bj. Bjørnson hatte auf einer Vortragsreise 1880/81 10.000 Dollar Gewinn
gemacht- enorme Summe damals
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Hamsun hatte Empfehlungsschreiben von Bjørnstjerne Bjørnson für Anderson.
Die Begegnung wird von beiden ziemlich unterschiedlich geschildert- laut Hamsun (und in
erster Zeitschriftenveröffentlichung von Anderson) war sie ziemlich kühl und abweisend, in
späterer Biographie von 1915 laut Anderson sehr warmherzig- da war Hamsun schon
berühmt! Anderson behauptet, er habe den Namen Hamsun (nach väterlichem Hof)
vorgeschlagen- das ist falsch, dieser Name wurde schon vorher verwendet und Hamsuns
älterer Bruder Peder, der als 16jähriger 1968 nach Elroy ausgewandert war, nannte sich auch
so.
Hamsun verbrachte eine Nacht in einer Herberge in Madison und reiste dann weiter nach
Elroy zu seinem Bruder, der als Schneider arbeitete, in USA geheiratet hatte und dem Alkohol
verfallen war
Hamsun zog weiter, arbeitete bei einem Skandinavier auf einer Farm in der Nähe von Elroy,
wurde wegen Geldmangel seines Chefs entlassen, Hamsun war dann bei einem Deutschen
und zog weiter umher, arbeitete u.a. bei einer Witwe mit Tochter, die aber einen anderen
Farmarbeiter einstellte, da Hamsuns Leistungen mäßig waren.
Hamsun verarbeitete diese Episode in einer Erzählung in Vagabonds Dagar (1905,
Vagabundentage): Nut (Knut ohne k ausgesprochen) verliebt sich in Alice, sie zieht den
Deutschen Fred vor.
Herbst 1882 Rückkehr nach Elroy, Arbeit als Handlanger in einem Geschäft
Hamsun lernt Englisch, schreibt aber nie in dieser Sprache und hält Vorträge auf Norwegisch,
v.a. über Bj. Bjørnson, Nachfrage ist zwar groß, aber wegen Geldmangel der Veranstalter
keine finanziellen Erfolge.
Hamsun und Kristofer Janson
Kristofer Janson war Prediger, unitarischer Pfarrer, der Erzählungen schrieb, damals sehr
populär war, in Konflikt mit orthodoxen Kreisen kam und Hamsun als Sekretär anstelltezuerst in Madelia /Minnesota und nach Umzug in Minneapolis.
freundschaftliches Verhältnis, auch zu Frau Janson (platonisch!). Hamsun lebt im Haus und
erhält 50 Dollar Jahresgehalt.
Hamsun führt Korrespondenz im Sinn von Janson eigenverantwortlich, ist sozusagen ein
Puffer zwischen ihm und den orthodoxen Kreisen. Hamsun schreibt Aufsätze und entwickelt
ein journalistisches Talent, schreibt aber keine Fiktion in diesen Jahren.
Gespräche über Religion- aber Hamsun war kein religiöser Mensch
Bekanntschaft mit Sven Tveraas: später Briefwechsel (vor kurzem herausgegeben von Harald
Næss)- auch über Hamsuns Schulden bei Tveraas- Hamsun schreibt fast hysterisch nur über
sich selbst.
Hamsun erkrankt, spuckt Blut, Verdacht auf TBC (stellt sich später als Bronchitis heraus), die
Jansons sammeln Geld für Heimreise Hamsuns nach Norwegen wegen des besseren Klimas
1884 Rückreise: Zug nach New York, Schiff nach Belfast, Liverpool, Landweg durch
England nach Hull, Schiff nach Kristiania, Weiterreise nach Valdres.
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Genesung in Valdres 1884-1886
Valdres :Tal in Ostnorwegen. Hamsun wohnt kostenlos im Hotel der Eltern von Erik
Frydenlund (Freund, Postmeister)in Aurdal und heilt seine Bronchitis aus. Im Hotel trifft er
auf englische Touristen, die er als arrogant und gebieterisch empfindet, was zu seiner
ausgeprägten Anti-angloamerikanischen Einstellung beiträgt.
Hamsun macht lange Bergwanderungen.
Er kehrt auch später immer wieder nach Valdres zurück.
Roman-Pläne und erste 50 Seiten- Kristiania-Bohéme-Milieu, „Tragödie der Menschen, die
vor die Hunde gehen“ (wird nicht vollendet, nicht auffindbar)
Zum Geldverdienen Absprache mit Verleger Albert Cammermeyer für Rezensionen in
Zeitung Aftenposten.
Nach Weggang Eriks zum Militär (1885) übernimmt Hamsun kurze Zeit die Poststelle, leistet
katastrophale Arbeit und verliert sie. Er hält dann ohne viel Erfolg Vorträge über Bjørnstjerne
Bjørnson.
In Aftenposten erscheinen 1885 auch 3 Artikel über Amerika unter Pseudonym „Ego“:
weitschweifige Schilderung der Eindrücke (Industrie, Sitten, Literatur, Sprache), stoßen
wegen anhaltender Emigration auf Interesse. Hamsun hat hier noch eher positive Sicht über
die USA, aber man merkt beginnende Kritik, die sich im Buch Fra den moderne Amerikas
Aandsliv (1889, Vom Geistesleben des modernen Amerika), geschrieben nach dem 2. USAAufenthalt, deutlich verschärft.
in Valdres geschriebene Erzählungen:
Et Livsfragment (Ein Lebensfragment) erscheint 1884 in Zeitung Dagbladet. Todkranker
junger Mann schreibt Abschiedsbrief an heiß, -aber unerwidert- geliebte Schauspielerin.
Sentimental, unbedeutend.
In Aftenposten erscheinen weitere Artikel über Amerika. Thema: Zusammenstoss ZivilisationNatur/Indiander (Hamsun eindeutig auf Seite der Natur > Pan, Segen der Erde)
In Kopenhagener Zeitschrift erscheint ein Artikel über Mark Twain., den Hamsun positiv und
als sein Vorbild sieht (nicht im Hinblick auf Humor- Twain ist fast schon grotesk- sondern bei
Sprache: flashback-Technik= Unterbrechen des Handlungsverlaufs durch Rückblenden in
Vergangenheit). Autorangabe: Knut Hamsund, beim Setzen wird d vergessen – Hamsun
bleibt bei diesem Namen.
Hamsun in Kristiania 1885-1886
Ende 1885 zweiter Kristiania-Aufenthalt, hungert sich wieder durch bei vergeblichem
versuch, sich als Autor zu etablieren, kann nur vereinzelt Artikel bei Zeitungen unterbringen.
Vortragsreisen in kleine Städte , erstmals über August Strindberg, der damals noch vor
seinem literarischen Durchbruch stand.
Hamsun und Strindberg: kein persönliches Verhältnis, Strindberg ist für Hamsun zu dieser
Zeit ein verkanntes Genie. Hamsun interessiert sich für Strindbergs Autobiographie Sohn
einer Magd (1886) und solidarisiert sich mit ihm (Kampf gegen Umwelt, die nicht versteht,
soziales Minderwertigkeitsgefühl).
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3 Erzählungen mit teilweise autobiographischen Einschlägen, die alle in Dagbladet
erscheinen- der erste, Paa turné, erst nach Intervention von Arne Garborg, (damals noch in
radikaler Phase, literarische Kapazität) was Hamsuns Sicht über die Korruption in Kristiania
verstärkt
Paa turné (Auf Tournee)
Hamsun reist für Vortragsreise nach Drammen in der 3. Klasse Bahn, aber mit Koffer (voll
Schmutzwäsche und 500 Visitenkarten), Zigarre und französischem Roman- um wichtig zu
erscheinen. Großer Saal in Drammen ist bereits an Zauberer mit Affen vergeben,
Alternativsaal „Parkpavillon“ wäre zu haben, aber nach mehrtägigem Aufenthalt. Hamsun
kehrt umgehend nach Kristiania zurück.- gibt nicht zu, dass ihm Geld fehlt.
Erstmals der eigene Hamsun –Stil ohne Sentimentalitäten, gewisse Selbstironie, Distanz
zwischen Erzähler und Erzähltem – guter Text ( > Sult)
Synd (Sünde): Die Ich-Person stiehlt, um zu überleben
En Løgner (Ein Lügner) Lügen sind keine Sünde, sondern ein Talent, wenn sie dem
Überleben dienen.
In beiden Texten zeigt sich Hamsun amoralisch, Parallelen zu Nietzsches Übermensch, der
alles darf, sind erkennbar.
Da Geldverdienen in Kristiania schwierig ist und er neue Eindrücke für weitere USA-Artikel
benötigt, entschließt sich Hamsun zu.
2. Amerikareise 1886-1888
Hamsun reist mit Presseausweis von Dagbladet auf dem Schiff "Geisir" 3. Klasse nach New
York und gleich weiter nach Chicago, wo er erst einmal bleibt. Nach 14 Tagen vergeblicher
Stellensuche beginnt er bei der Straßenbahn, erst als Gleisbauarbeiter und dann als Schaffner,
insgesamt 9 Monate. Hamsun bewundert Technik (Kabel im Boden).
Kaum Quellen über Chicagoaufenthalt bis 1887.
Erzählung Kvindeseir (Frauensieg): schaurige Geschichte über einen Mann, den die
Kabelbahn den Kopf abreißt.
Artikel über Fahrt auf der "Geisir" in Dagbladet. Stil wie in Paa turné- etwas Neues in der
norwegischen Journalistik, die bisher reine Fakten beschrieben hat. Hier persönlicher
Einschlag.
Für die Weiterreise in den Westen braucht Hamsun Geld, das er sich durch Brief an FleischMillionär Philipp Armon beschafft. Hamsun selbst beschreibt dies. Er ist erfolgreich, obwohl
er keine Zusage für Rückzahlung macht. Armon findet, der Brief sei das Geld wert.
Hamsun reist nach Minneapolis zu Kristofer Janson, bei dem er gratis wohnen kann. er
schreibt wenig, schließt neue Freundschaften mit ausgewanderten Skandinaviern, v.a. mit
dem Journalisten Victor Nilsson, der für die kleine Zeitung Svenska Folkes Tidning schreibt.
(Nilsson = Quelle für Hamsun-Aufenthalt!).
Hamsun spricht er mit Nilsson u.a. Freunden über literarische Pläne („Autobiographie“)unklar, ob er Sult damit meint.
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Hamsun liest u.a. Strindberg, Hoinoré de Balzacs Großstadt-Romane und Jens Peter Jacobsen
(Niels Lyhne, 1880: Individualist, Denker, Scheiternder, der nie zum Schreiben kommt und
lebensuntüchtig ist- Parallele zu Dichter in Sult), auch Russen wie Tolstoi und Dostojewski
(Schuld und Sühne- 1892 Plagiatsvorwurf gegen Hamsun).
Im Juli 1888 ziehen die Jansons wie üblich im Sommer aufs Land. Hamsun heuert bei
Eisenbahngesellschaft ab, soll in Prärie arbeiten, sucht stattdessen Farmarbeit, zieht umher in
Nord- und Süddakota, mühsames Dasein.
Artikel über Farmarbeit in Dagbladet. 1200-1400 Arbeiter, 15 Stunden am Tag, Hitze- aber
Hamsun nimmt das fatalistisch hin, schildert nur leiden der Maultiere (Sonnestich)- kein
Ansatz von sozialer Kritik.
Erzählung Zachæus (1903, Zachäus) spielt auf Prärie in Dakota, Streit zwischen Koch Polly
und Zachäus wegen Zeitung, Koch serviert Zachäus seinen bei einem Arbeitsunfall
verlorenen Finger, daraufhin erschießt Zachäus später den Koch. Arbeiter lachen über beide
Ereignisse.
Paa Prærien (1903, Auf der Prärie). Der Ire Evans arbeitet tgl. 15 Stunden, verliert bei einer
art Erntedankfest alles verdiente Geld beim Spiel und benötigt Reisegeld. Da ihm sein
Landsmann O´Brien (stirbt später bei Versuch, auf Güterzug aufzuspringen) keines leiht,
bittet er Hamsun darum, missversteht ihn, nimmt dessen gesamtes Geld und spielt damit, hat
Glückssträhne, gibt Hamsun sein Geld zurück und legt den restlichen Betrag auf Bank.
Bankkassier geht damit durch, was Evans mit Gleichgültigkeit hinnimmt. Diese Gelassenheit
und Einstellung bewundert Hamsun.
Vagabunds Dagar ( 1905, Vagabundentage)
Hamsun schildert das raue Milieu, das eigene Gesetze hat, für die herkömmliche
Moralvorstellungen irrelevant sind- eher Amoral als Unmoral.
Rückkehr nach Minneapolis im Herbst 1888. Hamsun mietet Zimmer, will Geld verdienen
durch Artikel in Norwegen (Geldüberweisung dauert zu lange!) und Vorträge über diverse
literarische Themen. 11 Sonntagsvorträge in The Danish Hall, über die Victor Nilsson
berichtet. Hamsun ist kein begabter Rhetoriker, nervös, stotternd, dann wieder
„maschinengewehrartig“. Vorträge sind nicht erfolgreich.
Hamsun ist mit seinem Leben in USA unzufrieden und beschließt Rückreise nach Europa.
Abschiedsvortrag über das Leben in Minneapolis- scharfe Kritik an USA. „Ich werde mir kein
Blatt vorm Mund nehmen“. genauer Inhalt des Vortrags ist nicht bekannt, vermutlich Skizze
zum Buch Fra det moderne Amerikas Aandsliv. Das Publikum ist schockiert.
2 Wochen Arbeit als Schweinehirt sind ebenfalls nicht ausreichend für Reisegeld, Rückkehr
nach Minneapolis, wo Hamsun hält eine Rede zum 17. Mai (Nationalfeiertag Norwegens)
hält. Inhalt unklar, vermutlich antiamerikanisch.
Hamsun provoziert durch das Tragen eines schwarzen Trauerflors aus Sympathie für den
Aufstand von Anarchisten (Bomben auf Chicagos Heumarkt, Täter werden hingerichtet)
Freunde sammeln schließlich für Hamsun das Reisegeld.
Victor Nilsson rät ihm, nach Kopenhagen zu fahren, da diese Stadt das kulturelle und damit
literarische Zentrum Skandinaviens war: Durchbruch des Naturalismus, Verlage, Kritiker
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Georg Brandes, Redakteure Edvard Brandes: Politiken und Carl Behrens: Ny Jord (neue
literarische Zeitschrift, in der alles, was im modernen Durchbruch Rang und Namen hat,
veröffentlicht. (Strindberg, G. Brandes, Ola Hansson= Vorbild für Hamsun), dort erscheinen
auch erste Übersetzungen von Nietzsche.
Hamsun reist per Bahn nach Chicago, wo er einen Zeitschriftenaufsatz über Strindberg
veröffentlicht (15 Dollar).- weiter nach New York, erhält durch Vermittlung eines Freundes
eine Gratispassage 3. Klasse auf der „Thingvalla“ nach Kopenhagen. In 1. Klasse reist Prof.
Rasmus B. Anderson, inzwischen Legationssekretär an der amerikanischen Botschaft in
Kopenhagen.).
Anderssons Schilderung: 1908 in Zeitschrifteninterview, auch in Selbstbiographie 1915:
Bei Rundgang mit Kapitän trifft er Hamsun, verdreckt und verkommen, mit 3 anderen beim
Kartenspiel. Hamsun hat Manuskript bei sich, das er dem Prof. zu lesen gibt. Auf Frage, ob
Hamsun in Trauer sei, erklärt dieser ihm seine Solidaritätsbezeichnung für die Anarchisten.
Andersson zeigt Hamsun in Kopenhagen als gefährlichen Anarchisten an, woraufhin dieser
von der Geheimpolizei überwacht wird.
Hamsun darf amerikan. Botschaft nicht für Postnachsendung nutzen.
Hamsun reagiert umgehend. Am 01.01.1909 erscheint seine Gegendarstellung in Dagbladet:
Er sei 2. Klasse gereist, habe zuerst nur Frau Anderson, die Rundgang machte, getroffen,
nicht Karten gespielt und das Manuskript existiere nicht. Bei einer zufälligen späteren
Begegnung auf dem Deck sei er mit Anderson ins Gespräch gekommen. Die Sache mit der
Geheimpolizei in Kopenhagen stimme auch nicht.
Vermutung: Anderson war eifersüchtig, da er kommenden Erfolg Hamsuns ahnte, hasste ihn
offenbar (negative Bemerkungen in der Autobiographie). Typisches Beispiel dafür, dass
Menschen stark auf den Dichter reagierten- entweder sehr positiv oder sehr negativ.
Durchbruch mit Sult 1888-1890
Hamsun versetzt seinen Regenmantel in Kopenhagen, mietet billiges Zimmer und schreibt.
Artikel über Kristofer Janson wird von Carl Behrens für Ny Jord angenommen.
Hamsun schreibt 30 Seiten wie in Trance = 2. Abschnitt von Sult, geht damit zu Edvard
Brandes, von Hamsun so beeindruckt, dass er ihm spontan 5 Kronen gibt (Episode findet sich
in Sult wieder). Nach dem Durchlesen in 24 Std. hat E. Brandes Carl Behrens kontaktiert, da
Artikel zu lang ist für Politiken, und der auf Wunsch von Hamsun anynom abgedruckte Text
erscheint in Ny Jord im November 1888 und erzeugt enormes Aufsehen in den literarischen
Kreisen in Kopenhagen und Kristiania. Nach 3 Tagen ist gesamte Auflage vergriffen.
Hamsuns Spiel mit Anonymität und Pseudonymen
Grund ist unklar: Bescheidenheit? Angst vor Fiasko? Koketterie? bewusstes Ratespiel?
In Zeitungen wird darüber diskutiert. (s. auch Paa turné)
Von einer kurzen Schwedenreise im Nov. 1888 schickt Hamsun eine GemäldausstellungsRezension an Dagbladet „von einem norwegischen Verfasser“.
Ende November 1888: in Verdens Gang = VG: 5 Aufsätze, 4 davon anonym, der letzte von
„Knut Hamsun, der sich gegenwärtig in Amerika aufhält“ (Lüge)
In Briefen an Freunde erzählt Hamsun, dass er wieder an Sult schreibe, bittet sie aber um
Geheimhaltung seiner Autorenschaft. Obwohl schwedische Zeitungen bereits richtige
Vermutungen anstellen, leugnet Hamsun die Verfasserschaft.
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Hamsun wird nun von der literarischen Szene, an deren Spitze der dänische Dichter Erik
Skram, der mit der Norwegerin Amalie Skram verheiratet ist, akzeptiert. Beide Skrams stehen
zu ihm.
Norwegen ist damals „en vogue“: Ibsen, Bjørnson, Jonas Lie u.a. norweg. Dichter sind
europaweit bekannt.
Treffpunkt: „Cafe Bernina“
Hamsun wird zu Vortrag über einen amerikanischen Philosophen in der vornehmen
„Studenterforeningen“ eingeladen (15. 12. 1888 und 12.1.1889), hält aber Vortrag über seine
Sicht über Amerika. Amerika war ebenfalls „en vogue“: Auswanderungswelle, BjørnsonReise, Ibsen hält Amerika für Symbol der Freiheit, der Dynamik (In Stützen der Gesellschaft
deckt eine junge Frau, die alleine nach Amerika gefahren war, die Morschheit der norweg.
Gesellschaft auf).
Hamsuns antiamerikanischer Vortrag am 15.12.1888 sorgt für eine enorme Reaktion. Für
Hamsun ist Amerika das Land der Desillusionierung und Enttäuschung – harte Arbeit,
„survival of the fittest“. Hamsun ist der amerikanischen Demokratie gegenüber skeptisch.
(Europa: konservativ, Absolutismus. Auch Nietzsche ist antidemokratisch, hat großen
Einfluss auf Hamsun), Amerika ist Land ohne Kultur und Geschichte (diese Haltung teilen
auch andere skandinavische Autoren).
Hamsun wird dazu aufgefordert, rasche ein Buch über Amerika zu schreiben (Ny Jord- Leute
sehen Möglichkeit zum Geldverdienen), legt Arbeit an Sult beiseite und schreibt innerhalb
kurzer Zeit
Fra det moderne Amerikas Aandsliv (1889; Aus dem Geistesleben des modernen Amerika)
Motto Wahrhaftigkeit = Subjektivität
Hamsun ist Relativist, hat eine subjektive Wahrheit (Kierkegaard: Wahrheit = Gott, aber Weg
zur Wahrheit ist subjektiv). Das Buch ist daher auch ein Buch über Hamsun.
Ungenauigkeiten, Vorurteile, einseitige Kritik, Beurteilung von Amerika von Anfang an
negativ (stimmt so nicht!), Kritik an amerikanischer Politik, Sprache, Frauen (zu
selbstbewusst), Presse (zu sensationsgierig), Materialismus, Literatur, Malerei, Theater…
Hamsun unternimmt unkontrollierte Aussagen, regelrechte Ausfälle gegen den american way
of life. Beschimpfungsthemen sind u.a.: „die kompakte Demokratie“, „der demokratische
Pöbel“, „das nationale Stallneger-Wesen“, „Mangel an innerem Adel“, „Roheit der Sitten“,
„Verdummung“, „korrupte Justiz“, „ die moderne Technik“, „wo der Pöbel regiert“, „Geld ist
das Wichtigste“, „ Kunstwerke werden auf Geldwert reduziert“, „Frauen bestimmen.., machen
nichts Vernünftiges“ usw. Amerikanischer Bürgerkrieg = „Krieg gegen Aristokratie“
Hamsuns Sprache ist dabei oft von schlechter Qualität, er schreibt Quatsch, nur manche
Passagen sind recht gut, fast surrealistisch geschrieben.
Es sind zwar oberflächliche Bemerkungen, aber Hinweise in Richtung nationalsozialistisches
Gedankengut in Form der Herrenrasse. Hamsun ist reaktionär, gegen Fortschritt der Technik
eingestellt und gegen die Demokratie. (Widerspruch zur Anarchie- Sympathie?)
Hetze gegen Walt Whitman (homosexueller moderner Durchbruchslyriker, Leaves of Gress =
Prosagedichtsammlung, die mit jeder neuen Auflage erweitert wird).
Hamsun distanziert sich später von diesem Buch (er habe es aus Geldbedarf geschrieben). Das
Buch wird erst nach seinem Tod wieder aufgelegt.
12
In anderen Werken und Artikeln zeichnet Hamsun ein etwas anderes Bild von Amerika:
Paa Benkane (1891; Auf den Bänken von Neufundland). Sammlung von Artikeln und
Erzählungen. Schilderung des Alltags der Fischer, Hamsun ist hier objektiver.
Paa Prærien ( 1892 ??, Auf der Prärie) Sammlung von Erzählungen. Auch positivere
Ansätze. Schilderung der harten Farmarbeit, Fatalismus. Kein Anzeichen von sozialer Kritik.
Brief an Johannes W. Jensen (1908): Farmen im Osten der USA sind arme Bauern, im
Westen Aktiengesellschaften, riesige Farmen mit Arbeitern.
Festina lenta (1928): „Amerika lehrt die Welt, hart zu arbeiten“
Die Reaktionen auf Fra det moderne Amerikas Aandsliv reichen von begeisterter Zustimmung
bis zur Ablehnung:
Georg Brandes, der selbst Nietzsche-Fan und gegen Demokratie ist, zeigt gewisse
Sympathie.
Strindberg: begeisterte Zustimmung (Frauenhasser, schätzt zwar ebenfalls Mark
Twain, ist aber ansonsten antiamerikanisch)
Für Fra det moderne Amerikas Aandsliv erhält Hamsun ein gutes Honorar und fährt im
Frühjahr 1889 nach Norwegen, wo er im Zentrum von Oslo in der Nähe des Grand Cafes eine
Wohnung nimmt. Er ist nun ein bekannter norwegischer Dichter und schreibt für Dagbladet:
Artikel in Dagbladet über 3 Männer, die er darin angreift:
1. Frithjof Nansen, der 1888 Grönland auf Schiern überquert hat und nun als
Nationalheld gilt: Hamsun kritisiert Nansen-Hysterie und ist gegen Nansen.
2. Henrik Ibsen: Rezension von Gjengangere. Hamsun greift Ibsen an, v.a. die Dialoge
(Mutter, gib mir die Sonne)- Hamsun ist sarkastisch und ironisch. Er hält mehr von
Ibsens Versdramen Brandt und Peer Gynt. Alles danach ist prosaischer Realismus.
[Reflexion von Ibsen in Når vi døde våkner über sein Werk?].
3. Lars Ofterdal: fundamentalistischer Prediger, Politiker (Bauernpartei) und Redakteur.
Hamsun schreibt 11 Aufsätze gegen Oftedal im Oktober 1889.
Das Angebot der Leitung an Den Nationale Scenen in Bergen lehnt Hamsun, obwohl es
außerordentlich gut dotiert wäre, ab. Er habe zu wenig Ahnung vom Theater- und er will
Sult fertig schreiben, was er in Kopenhagen macht.
Sult (1890; Hunger)
erscheint am 5. Juni 1890 in einer Auflage von 2000 Exemplaren. das Buch verkauft sich
schlecht, begeistert aber größtenteils die Kritiker.
Sult ist Weltliteratur.
Sult berichtet über die Entfremdung des Menschen von der Stadt.
-
Fjodor M. Dostojewski: Aufzeichnungen aus dem Totenreich/Untergrund ( 1861-62)
Rilke: Aufzeichnungen des Malte Laurits Brigge (1910)
Franz Kafka: Das Schloss (1926)
Autobiographische Züge aus 2 Wintern in Kristiania 1880/81 und 1885/86 und evtl. aus
Winter 18886/87 in Chicago
Sult ist aber kein topographischer Roman, auch wenn Einzelheiten in Oslo auffindbar sind.
Die Frage von Victor Jansson nach Autobiographischem in Sult bejaht Hamsun.
13
Inhalt: Einige Monate im Leben eines jungen Mannes ohne Namen und Biographie (woherwohin?), der versucht, als Schriftsteller Fuß zu fassen Die von ihm dazu gewählten Themen
sind aber für eine Zeitung wenig geeignet (ital. Renaissance-Maler Corregia, dt. Philosoph
Kant, mittelalterliches Versdrama).
Hauptbeschäftigung des jungen Mannes ist das Überleben, sein Existenzkampf. Er hungert,
hat oft kein Quartier, trägt Lumpen, treibt sich auf Strasse herum, begegnet Menschen am
Rande der Existenz (Prostituierte, Stadtstreicher) und Polizisten.
Er will einerseits von der Gesellschaft als Dichter akzeptiert werden und sucht erfolglos
Kontakt, lebt aber andererseits außerhalb dieser halb hinter Schleiern verschwindenden
kleinbürgerlichen Gesellschaft und hält Abstand zu ihr und der restlichen Umwelt. Auch die
Episode mit der Bürgertochter Ylajali (orientalischer Name) ändert daran nichts.
Er lebt nach Augenblickseindrücken. Die Umwelt wird durch ihn gesehen, nicht realistisch
geschildert. Keine sozialen Anklagen!
[Gegensatz Künstler- bürgerliche Biedermeierwelt ist bereits in Frühromantik ein Thema der
Literatur. Dabei eindeutige Stellungnahme für Künstler.] Hamsun greift die bürgerliche Welt
nicht an. Sein namenloser Antiheld, der Ich-Erzähler, will sich nicht mit ihr identifizieren.
Hamsun zeichnet das Porträts eines Künstlers im Schaffensrausch, eines gestrandeter
Schwächling mit dem Willen zu schöpferischem Schaffen durch Intuition und Inspiration.
Nach dem Rausch kommen Zweifel über die Qualität des Geschriebenen (auch bei Hamsun
selbst). Der Ich-Erzähler ist beharrlich und will in seinem Schaffen weiterkommen.
Frage: genießt er womöglich das Elend??? Ist das ein Spiel mit dem Wahnsinn
(Halluzinationen), mit dem Tod?
Schließlich fährt der Künstler auf einem Schiff nach England [das Hamsun verabscheut] u.
zwar nach Leeds [das nicht am Wasser liegt- also unerreichbar ist?]
Held macht keine Entwicklung durch.
Hamsun schildert kaum Handlung, sondern innere Spannungen. Das Werk ist eine psychische
Analyse
Hamsun bezeichnet das Buch nicht als Roman (Brief an Georg Brandes: Hunger ist von
anderen, beispielsweise Kielland und Zola, in Romanen dargestellt worden. Er habe
geschrieben „ein Buch über die feinen Schwingungen einer empfindsamen Menschenseele,
über das seltsame, eigentümliche Gemütsleben, die Mysterien der Nerven in einem
ausgehungerten Körper“
Sult umfasst Monologe eines namenlosen Ich-Erzählers über körperliche, seelische und
geistige Existenznot, die ihn an den Rand des Wahnsinns treibt.
Radikale Ich-Bezogenheit: alles wird durch die Gefühle des Ich-Erzählers geschildert.
Hamsun klagt nicht die Gesellschaft an. Nicht die Zustände, die Hunger hervorrufen, sondern
die durch Hunger hervorgerufenen Zustände werden geschildert. Der Erzähler bleibt in den
Grenzen einer subjektiven Erlebniswelt.
Sult kann in keine Literaturrichtung eingeordnet werden, ist ein Hybrid.
Sult ist eine eigenartige Mischung aus Selbstanalyse, Halluzinationen und symbolistischen
Elementen.
Umwelt: eher im Stil des Impressionismus ( aber nicht Realismus)- Ich-Person mitunter im
Stil des Expressionismus.
keine politisch genaue Wiedergabe von Fakten keine soziale Dimension. Umwelt wird durch
die Augen des Ich-Erzählers gesehen
14
Einar Egge in Norsk Litterær Årbok 1966: Wiedergabe der Wirklichkeit mit minutiöser
Präzision [Rossel sieht das anders]- die erwartete Interpretation, Deutung kommt nicht.
Verbindung zwischen äußerer und innerer Wirklichkeit
Das Kristiania von 1890 ist ein Labyrinth ohne Ausgang.
Hamsun objektiviert die Gefühle eines Individuums nicht durch die Beschreibung äußerer
Faktoren, erklärt nichts auf diese Weise wie die frühere Literatur.
Hamsun wird zum Vorläufer des modernen, absurden, abstrakten Romans:
- Kafka
- Samuel Becket (Ire, schreibt auf Franz., zuerst Lektor für Englisch in Paris, dann für
Frz. in Dublin, Sekretär von James Joyce) Wir warten auf Godot (1952): zielloses
aneinander Vorbesprechen, Erzählung Das Ende (Fin de Partie, 1957):
Übereinstimmungen mit Sult: Stadtstreicher irrt ziellos durch unbekannte Stadt, hört
innere Stimme, zum Schluss auf Schiff.
Rezeption
fast uneingeschränktes Lob bei skandinavischen und deutschen Kritikern jeder Richtung.
Einordnung in die neuromantische Dichtung der 1890er Jahre
Auch Naturalisten wollen Sult für sich vereinnahmen (Überlebenskampf in Großstadt). Das
Buch ist eine „Anklage gegen die Gesellschaft, die das Edle, Hohe um sein Geburtsrecht
betrügen will…“ ( Deutschland 1890).
Hamsun war sehr stolz. 15 Jahre später sieht er allerdings gewisse Mängel in seinem Werk.
1890 schreibt Hamsun an G. Brandes: Im Vergleich zu anderen Werken der Weltliteratur- u.a.
Dostojevskis Raskolnikov- sei Sult zu langatmig. Es soll nicht als Roman angesehen werden.
Das Buch „schlägt nur eine Saite an, will dieser 1000 Töne entlocken“ – [Thema mit
Variationen]
Nur 2 wichtige Literaturpersönlichkeiten enttäuschen Hamsun in ihrer Kritik:
Georg Brandes ist nicht begeistert. 1890 ist er – unter dem Einfluss von Nietzsches Werkennicht mehr so naturalistisch wie früher eingestellt („Literatur lebt nur, wenn sie Probleme zur
Debatte stellt“). Jetzt hat er eher Vorstellung von Nietzsches Übermenschen: 1890 Aufsatz
Der aristokratische Radikalismus
August Strindberg, der Hamsun v.a. durchs ein Vorwort zu Fräulein Julie begeistert
(= Programm des naturalistischen Dramas: nicht-fertige Charaktere = zerrissene, moderne
Charaktere) äußert sich kaum.
Samuel Fischer in Berlin, dessen Verlag damals viele Skandinavier bekannt machte, bringt
bereits 1891 eine Übersetzung heraus, die ein durchschlagender finanzieller Erfolg wird (im
Gegensatz zu Norwegen).
Hamsun bezahlte seine Schulden, u.a. an Erik Frydenlund.
Er plant eine Weltreise, nach Konstantinopel über Antwerpen, Griechenland und Odessa
(wird er erst 10 Jahre später machen).
15
Honorar für Sult: 2100 Kronen
Ende Juni 1890 bezieht er ein Hotelzimmer in Lillesand in Südnorwegen, will Werbung für
Sult machen, und plant einen weiteren Roman (Brief an Erik Skram: „ die 4 norwegischen
Propheten“ [= Bjørnson, Ibsen, Lie, Kielland] ) und einen Erzählband. Diesen Plan gibt er auf
und schreibt stattdessen die Abhandlung Fra det ubevidste Sjæleliv (vom unbewussten
Seelenleben).
Fra det ubevidste Sjæleliv erscheint 1890 in Samtiden, einer bedeutenden Literaturzeitschrift.
Im Aufsatz zählt Hamsun alle möglichen seltsamen Seelen-und Gemütszustände auf und gibt
somit eine unwissenschaftliche Analyse der Hauptgestalt in Sult. Hamsun versucht, Literatur
zu schaffen, in der Normalität und Abnormalität beschrieben werden, in der das Gebiet des
Bewusstseins erweitert wird durch Einblick in das Seelenleben. Er beschreibt keine
alltäglichen Charaktere!
Hamsun attackiert in den 1890er Jahren in vielen Artikeln und Vorträgen (vor Osloer
Studenten und in norweg. Provinz) die realistischen Schriftsteller der Zeit, v.a. Ibsen, weil sie
soziale, ethische und aufklärerische Aspekte in ihrem Schaffen verfolgen. Nach Hamsuns
Meinung soll ein Dichter kein Volkserzieher oder Denker sein, er soll kein System
präsentieren.
Dichter sind Vagabundenseelen, wurzellose Landstreicher (für Hamsun typisches Motiv! Sie
kommen aus dem Nichts, verursachen Turbulenzen und verschwinden).
1897 fordert Hamsun zur Bücherverbrennung in einem Vortrag auf
Hamsun braucht Geld, das kommt von Hunger- Verkäufen aus Deutschland
In Deutschland damals großes Interesse für skandinavische, besonders norwegische, Literatur
und sonstige Kunst: (Ibsen, Grieg, Munch), Zentrum Berlin, wo u.a. auch Strindberg, Ola
Hansson (S) und Arne Garborg (N) waren.
Freie Bühne: einflussreichste Zeitschrift- darin Vorabdruck von Hunger
1891 schreibt Hamsun an Erik Skram begeistert über das positive Echo in Deutschland und
Interesse weiterer Länder wie Polen, Österreich, England an Sult.
Nach Bezahlung alter Schulden macht Hamsun neue- er hat zeitlebens Geldprobleme.
Er beschäftigt sich mit neuem Roman und der Forderung nach einer neuen Literatur
(psychologisch!)
Februar 1891 3 Vorträge in Bergen, die großes Aufsehen landesweit erregen:
1. Angriffe auf alte norweg. Literatur
2. neue psychologische Literatur
3. Angriff auf Establishment
Im Frühjahr 1891 Vortrag in Kristiania- Ibsen in 1. Reihe, erträgt mit steinerner Miene
Hamsuns Angriffe
VG- Redakteur und Kritiker Ola Thommesen: attackiert Hamsun, „Oberflächlichkeit,
Frechheit, Unwissenheit- er wolle die großen Dichter ebenso vernichten wie früher die USA!“
16
Mysterier 16. Sept. 1892
Darstellung zweier Seiten einer Person (?) in den Hauptfiguren Johan Nagel und Minutten
Manuskript in Uni-Bibliothek in Oslo: Kommentar von Hamsun (für Reklame??): „Der Held
ist ein Scharlatan, ein pathologisches Phänomen, halb auf der Grenze von Genie und
Wahnsinn, eine gespaltene Persönlichkeit, inkonsequent, voll Widersprüche. Die 19 anderen
Personen des Romans sind nur dazu da, Licht auf Nagel zu werfen“
Hauptmomente: Nagels Liebesverhältnis zu Dagny, einer vornehmen, gebildeten, koketten
Pastorstochter, die ihn enttäuscht, als sie seinen von ihr initiierten Verführungsversuchen
nicht nachgibt. Er fühlt sich zerrissen, hat Halluzinationen, Visionen und begeht Selbstmord
durch Sprung ins Meer.
wenig äußere, viel innere Handlung. Nagel wird über mehrere Monate hindurch geschildert.
Handlung: In eine norweg. Kleinstadt kommt eines Tages Johan Nagel „aus dem Nichts“,
erregt Interesse, wird in gehobene Kreise eingeladen, aber es stellt sich bald heraus, dass sein
Verhalten unangepasst, provozierend und unstetig ist und Anstoß erregt. Er schwankt
zwischen Charme und abstoßendem Benehmen.
Nagel etabliert 3 Beziehungen:
1. mit Dagny
2. mit Martha ( zurückhaltend, bescheiden, nicht mehr ganz jung, keine erotische
Ausstrahlung, lässt sich verführen, dient Nagel als Objekt für Eifersuchtserweckung
bei Dagny
3. Minutten: geheimnisvoller Beobachter, Stadt-Trottel, verkrüppelt, Ausnahmegestalt,
wird schikaniert, was er mit Demut hinnimmt und eine „Verkörperung aller christl.
Tugenden“ ist. Nagel will ihn demaskieren, scheitert daran aber.
Nach Nagels Selbstmord spazieren Dagny und Martha herum und erinnern sich an Nagel.
Andeutungen. Hat Minutten Martha vergewaltigt?
Nagels Charakter
Nagel ist unerklärlich- Minutten ist wie im Nebel- rätselhafte Vorgänge im Dunkeln
Nagel nennt sich selbst „ Ausländer des Daseins, Gottes fixe Idee“
Nagel hält endlose Monologe, Tiraden, in denen z.T. Text aus früheren HamsunAbhandlungen und von späteren werken zu finden sind.
Nagel ist Individualist, egozentrisch, attackiert: Bürgerlichkeit, die norweg. realistische
Literatur, humanistische Traditionen, verachtet zynisch die Demokratie (Das Volk ist Pack)
Nagel sucht das Genie, den Weltgeist, die Geistesaristokratie, den Herrenmenschen
(Nietzsche!).
Nagels Ideal ist „der große Terrorist“, er schätzt Menschen wie Kaiphas, Pilatus, den Kaiser.
Hinweise auf nationalsozialistisches Gedankengut???
Ist Nagel ein früher Nationalsozialist? ein Weltverneiner? Anarchist? Nihilist???
Nagels kurzfristiger Ausweg: Rückkehr zur Natur, Einsamkeit
Trotz „Blut und Boden“ –Hinweisen steht am Ende das Meer.
Nagels Stimmungsschwankungen sind unmotiviert.
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Nagel ist kein fester Charakter (> Strindberg!)
Dualismus:
 Trotz- Entsagung
 Selbsterhöhung- Selbsterniedrigung
 Hochmut-Demut
 Geniekult- Primitivismus (Natur)
 Reflexion- Resignation
 Spiel mit Zufall- Berechnung
Nagel ist ein Mysterium, ebenso Minutten, eventuell auch die Frauengestalten
Mysterier zeigt ein diffuses Nebeneinander von Stimmungen und Eindrücken. Fast
Identitätsverlust. Weiterführung des Menschenbildes aus Sult. Einige philosophische
Konklusionen.
Hamsun ist beim Erscheinen des Buches in Kopenhagen.
Honorar 3000 Kronen, er verschwendet Geld im Gesellschaftsleben.
Kritik
Kritiker sind negativ- was Hamsun nicht überrascht. Er rechnet damit, dass das Buch nicht
verstanden wird.
[Aus heutiger Sicht ist es eine Revolution im Schreiben!]
v.a. Hamsuns Attacken auf Ibsen und die anderen Autoren werden verurteilt. Nagel sagt über
Ibsens Werker, sie seien „pervers und widernatürlich.“ Hamsun bringt keine Begründung für
Nagels Benehmen.
In einem Brief an seine Übersetzerin Marie Hertzfeld, die gerade Erzählungen übersetzt,
greift Hamsun Ibsen persönlich als Lieferanten von Schund an. Bewusste Provokation, damit
ihn Ibsen verklagt ? (was dieser aber nicht tut).
Aftenposten: Kritiker sieht eine Verbindung von Mysterier mit einer Gemäldeausstellung
(Munch und J.F. Willumsen, Dk): „Munch und Hamsun sind Begründer einer neuen Kults der
Perversität und des Mystizismus“ „verrenkte Phantasie“, „fieberhafte Halluzinationen“- beide
werden von dem Kritiker für verrückt gehalten.
[Munchs Bild Abend auf der Karl Johans gate: eine einsame Gestalt- auf anderer Straßenseite
viele Menschen, die in anderer Richtung gehen- interpretierbar als Malerei der Hauptgestalt
von Sult]
Edvard Brandes: in Politikken: beklagt „die perverse Form“ des Romans.
[heute: Technik der langen Monologe = Stream of Counciousness-Technik durch Hamsun
begründet, wird oft erst James Joyce und Virginia Wolf zugeschrieben. bahnbrechende
Neuigkeit!]
Kritiker vermuten, dass Nagel die Personifizierung der Gedanken und Träume Hamsuns istwas dieser zurückweist, er hält Abstand zu seinen literarischen Gestalten. Das ist Kunst.
Hamsun an Erik Skram: „Nagels anderes Ich ist Minutten“ Im PS nochmals Hinweis darauf,
dass er nicht Nagel ist.
Minutten analysiert Nagel aus einer anderen Richtung
18
In Redakteur Lynge Anspielung auf Mysterier, (Nagel ist unsympathischer Zwerg- Hinweis
auf Verwechslung oder Absicht?)
Mysterier ist ein moderner Roman aus folgenden Gründen:
 Stream of Counciousness-Technik
 Persönlichkeitsspaltung
 existentialistische Gestalt
Versuche, den Namen Nagel als Anagram zu sehen: en gal, angel
Spekulationen über Einflüsse von anderen Dichtern:
 Nietzsche: Herrenmensch- aber dieser begeht nicht Selbstmord!
 Strindberg: Subjektivität, Antifeminismus, schockierende Äußerungen - teilweise
Einfluss bei der Auffassung von unfertigen Charakteren
 Dostojewski: Psychoanalyse, Erforschen des Irrationalen, Individualistisches
(Naturalisten beschreiben nur eine dominante Charaktereigenschaft). Hamsun hat
alles, was in norweg./dän. Übersetzung von Dostojewski erschienen ist, gekannt.
1892 Plagiatsvorwurf: Hamsuns Erzählung Hazard (1889 geschrieben, in VG, 1890
übersetzt, in Freie Bühne, Kritiker Felix Holländer entdeckt Übereinstimmungen mit
Dostojewskis Roman Der Spieler, den Hamsun angeblich erst nach dem Schreiben
seiner Erzählung gelesen haben will. Hamsun schreibt Erzählung später um, sie
erscheint unter dem Titel Vater und Sohn im Band Krattskog (Gestrüpp) 1903.
Unklare Situation.
Die 3000 Kronen Honorar bringt Hamsun in den Kopenhagener Lokalen (Cafe Bernina und
Aporta) durch.
Zieht sich auf Insel Samsø zum Schreiben zurück. Harter Winter, der Verbindung zum
Festland wegen Vereisung erschwert, begünstigt das. (11 Tage keine Post!)
Redakteur Lynge (1893)
polemischer Roman, gerichtet gegen VG Redakteur Ola Thommesen als Rache für dessen
Kritik an Hamsuns Vorträgen.
Hamsun greift das Verlagswesen, den Journalismus, das politische Leben in Norwegen im
Buch an.
Hamsun selbst bezeichnet in Verlagstext für Albert Langen den Roman als verschieden von
allem, was er bisher geschrieben hat – er habe bewiesen, dass er sehr wohl einen
herkömmlichen Roman mit Anfang, Ende und fest umrissenen Figuren schreiben könne.
Verlag Philipsen erhält 1893 Manuskript
Hamsun hält zum Geldverdienen wieder einmal einen provokativen Vortrag- im
Studentenverein von Kopenhagen- in dem er sich mit anderen Schriftstellern
auseinandersetzt.
Arne Gaborg wirft Hamsun in Artikel Ein Pfundkerl in VG (=Verdens Gang) mangelndes
Berufsethos vor. Garborgs Rezension, ebenfalls in VG, bezeichnet Redakteur Lynge als
„Buch für sensationsgierige Massen, Schmähschrift“.
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Die meisten Kritiker stimmen mit Garborg überein, der findet, dass das Buch unmoralische,
ungerechtfertigte Angriffe enthalte und dass Hamsun sein Talent vergeude.
Auch Amalie Skram wendet sich von Hamsun ab. Hamsun verscherzt es sich mit dem
Establishment.
Das Buch verkauft sich gut- nach 1 Monat bereits 2. Auflage.
Schlüsselroman mit zeitgenössischen Personen.
Honorar 2100 Kronen
Hamsun verjubelt es bei Zechtouren in Kopenhagen (Katharsis, Reinigungszeremonie für
neue Werke?)
Dramen
Dramen Trilogie mit Hauptperson Ivar Kareno
1. Ved Rigets Port ( An des Reiches Pforten) 1895
2. Livets Spil ( Das Spiel des Lebens) 1896
3. Aftenrøde (Abendröte) 1898
in 1.) Ivar Kareno vertritt die Philosophie des Übermenschen, des Herrenmenschen
(Nietzsche!)- dieser braucht Sklaven, die aber nach getaner Arbeit vernichtet werden können.
Der Herrenmensch ist „der große Terrorist“, der nicht gewählt wird (gegen Demokratie!),
sondern sich selbst zum Anführer über die Horden dieser Welt macht, wozu Krieg notwendig
sei.
in 2.) Kareno wird mit Liebe konfrontiert, die aber wegen seiner Aufgabe ohne Resonanz
bleibt
in 3) alter Kareno widerruft teilweise die Ideen seiner Jugend, sucht sich einen Platz unter den
bürgerlichen „Stützen der Gesellschaft, wird zum Spießbürger
Beweggründe für Hamsuns Dramatikversuche:
1. Beschäftigung mit Nietzsches Übermensch-Theorie
2. Geld
3. Behandlung der Thematik Angst vor dem Alter (pathologisch bei Hamsun)
Es handelt sich um schlechte und kaum aufführbare Werke. Sie wurden allerdings vom
Nationalteatret in Kristiania aufgeführt, jeweils im Erscheinungsjahr. Die Kritik war positivfreundlich.
Ende 19.Jh. bestand auch in Deutschland und Frankreich großes Interesse an skandinavischen
Dramen (Ibsen, Bjørnson, Strindberg).
Konstantin Stanislawski führte Teil 1 und 2 der Trilogie in Moskau auf und widmet ihm in
seiner Autobiographie „My life in art“ ein ganzes Kapitel.
1910 gibt Hamsun das Dramaschreiben endgültig auf- (äußert sich negativ dazu, bevorzugt
Gedichte- Warnung an Studenten, Literatur überzubewerten)
Hamsun in Paris (1893)
Paris war in den 1890er Jahren das kulturelle Zentrum Europas (ab 1910 Wien und dann auch
Berlin)
Skandinavische Kolonie: Alexander Kielland, Jonas Lie, Edvard Munch, August Strindberg,
Edvard Grieg, Herman Bang
Symbolismus, Impressionismus (frz. Maler)
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Hamsun reist zusammen mit dem dänischen Dramatiker und Kritiker Sven Lange (damals
sehr erfolgreich, heute vergessen), einem erfahrenen und kultivierten Mann
Willy Gretor: Dänischer Maler, erfolgreicher Kopist und Fälscher- daher reich, führt eine Art
Salon in Paris, Künstler und Mäzen, homosexuell (?)
Frank Wedekind (Dramen) porträtiert ihn in Der Erdgeist 1897, umgearbeitet > Lulu 1903
Albert Langen: reich, Möchtegern-Schriftsteller und Maler, gründet Verlag, fördert junge
Schriftsteller, † 1909, Verlag besteht aber weiter
Hamsun wird zum Spitzenautor des Albert-Langen-Verlags
Fischer-Verlag lehnt Mysterien ab, 1894 erscheint Buch auf Deutsch bei Langen
Hamsun schreibt in Paris einen Artikel für das Magazin Revue des Revues über die
norwegische Literatur ohne Namensnennung - Garborg, A. Skram und Bjørnson sind
beleidigt. Auch Edvard Brandes wird nun sein Feind
Nils Voigt: in Rezension von Mysterier in Morgenbladet persönliche Angriffe auf Hamsun
Hamsun fühlt sich verfolgt von einem „Hagel von Flüchen aus N, Dk, S“. In einem Brief an
Freundin Bolette Larsen schreibt er, er sei betrübt, völlig verzweifelt, überarbeitet und bittet
sie um Erklärung für die Angriffe auf sich. Dabei er wähnt er auch einen neuen Roman:
Ny Jord (30.11.1893)
bei Phillipsen in Kopenhagen
Schlüsselroman über Künstlermilieu. Kritiker zerreißen das Buch in ihren Rezensionen
Mit Redakteur Lynge hat Hamsun das alte Establishment verärgert, nun macht er sich das
junge zum Feind.
2 Gruppen: geistlose unbegabte Künstler, die in Cafes zechen und die bürgerliche Welt
verachten (Boheme) und Geschäftswelt (diesmal positiv beurteilt von Hamsun!)
Mehrere Liebesgeschichten zwischen den beiden Gruppen. Geld und Establishment siegen
schließlich: junge Künstlerin heiratet Geschäftsmann, will ihn und Kinder wegen Affäre zu
Künstler verlassen, da sich dieser aber als Schuft herausstellt, bleibt sie dann doch beim
Ehemann.
Also: anderes Ende als in Ibsens Et Dukkehjem (Nora)- gegen die feministischen Tendenzen
(Auch Strindberg hat ein „Puppenheim“ ohne Weggehen geschrieben)
Verkauf mäßig
Kritik, v.a. in Dänemark, sehr negativ
Pan (1894)
Hamsun beginnt im Januar 1894 mit diesem Buch, mit dem er sich schon länger beschäftigt
hat. In Paris Sehnsucht nach dem Nordland, das er seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hat?
Im Oktober 1893 schreibt Hamsun an Bolette Larsen „Es wird ein wunderbares Buch, keine
Polemik, eine Liebesgeschichte, im Nordland spielend“
21
März 1894 Brief an A. Langen – „schwere Arbeit“ und Bettelbrief. Langen finanziert Hamsun
immer wieder.
Hamsun kehrt im Juni 1894 nach Norwegen zurück, nach Kristiansand, wo er Pan fertig
schreibt.
In Brief an Langen sinniert er über den Titel, übers Nordland, die Lappen, die Natur, die
Mitternachtssonne…Hamsun vergleicht Glahn mit Rousseau.
Überlegung, ob Buch „Edvarda“ heißen soll- „Pan segne Sie“
Buch enthält laut Hamsun keine Dialoge, Symbolik, wenige Repliken
Handlung
Leutnant Thomas Glahn kommt als Fremder in ein nordnorwegisches Fischerdorf, lebt in
Hütte am Waldrand, ist begeisterter Jäger, hat Hund. Er kommt nur zum Einkaufen ins Dorf,
liebt die Freiheit seiner Isolation, fühlt sich pantheistisch mit der Natur verschmolzen, führt
lange philosophische Monologe (Stream of Councesness!)
Begegnung mit Edvarda, der Tochter des reichen Handelsherren Mack. Zuerst große
überwältigende spontane Liebe, gegenseitige Besuche, einige Wochen lang romantisches
Glück, dann beginnt ein Machtspiel, die ursprüngliche Erotik wird teilweise zu einem
grotesken Spiel (Glahn hält einen lahmen Arzt für seinen Rivalen und schießt sich durch den
Fuß, um auch lahm zu sein).
Edvarda flirtet herum und verlobt sich schließlich mit einem finnischen Baron, den sie nicht
liebt.- später heiratet sie ihn auch
Das Verhältnis Glahn-Edvarda geht auseinander, Glahn tröstet sich mit der mütterlichen Eva,
der Tochter des Schmiedes, die aber stirbt.
Glahn verlässt das Dorf und schickt Edvarda, die seinen Hund haben wollte, den
Hundekadaver (Glahn hat Hund erschossen).
Glahns Versuche, Edvarda mit Alkohol und Sex zu vergessen, funktionieren nicht. In Indien
beginnt er ein Verhältnis mit der Geliebten eines anderen Jägers- des Erzählers- der ihn
schließlich erschießt und danach seine Papiere findet, aus denen er die Edvarda-Geschichte
rekonstruiert.
Das Liebesverhältnis Glahn-Edvarda folgt den Jahreszeiten: kurzer (glücklicher) Frühling,
langer harmonischer Sommer, beginnender Verfall im Herbst, Ende im Winter.
Pan ist einer der erfolgreichsten kurzen Romane der Weltliteratur.
sentimentale, romantische Geschichte
einmalig schöner Stil: poetisch, knapp, exakt, die Natur im Hintergrund, einmalige Resonanz
formal ist Pan ein perfektes Kunstwerk.
erstes Beispiel für Hamsuns Prosakunst in lyrischer Richtung. Vieles ist nur angedeutet, man
muss „zwischen den Zeilen“ lesen.
Beispiel für Hamsuns Subjektivität und Stimmungskunst (auch in Victoria)
Pan ist aber kein üblicher Roman mit Anfang und Ende
Reaktionen auf Pan
großer Erfolg bei Kritikern und Publikum, 1. Auflage von 2000 St. schnell vergriffen,
Nachdruck von 500 ebenso. Rückwirkender positiver Effekt auf frühere Werke. Sogar
Bjørnstjerne Bjørnson ändert nun seine Haltung (auch bezügl. Mysterier = „Schneesturm von
unbändiger Kraft“). Bjørnson über Pan: „das Herrlichste, Großartigste in der norweg.
Literatur“
Europaweit steigt der Verkauf aller 5 Romane und der Dramen, alle auf Deutsch, Sult auch
auf Französisch und Russisch- nur England hinkt nach bis zum Nobelpreiserhalt 1920
22
Nach Pan ist Hamsuns literarischer Aufstieg beständig- er ist der wichtigste norwegische
Autor nach der Generation Ibsen- Bjørnson
Hamsun und Strindberg
Strindberg war eine Inspirationsquelle für Pan (2. Vorbild: Rousseau)
Schon 1883/84 ist Hamsun von ihm fasziniert, hält ihn für ein „überlegenes Talent“, das
eigene Wege geht- und sich selbst und Garborg dagegen für „winzige Puppen“. Strindberg sei
ein Vertreter der neuen psychologischen Literatur, das Gegenteil zum „langweiligen Ibsen“.
Hamsun hält Vorträge, schreibt Artikel über Strindberg.
Strindberg schätzt Hamsun seit seinem „Geistesleben des modernen Amerika“
Strindberg hält sich laut Hamsun für ein Tier, das sich in den Wald zurückzieht- Ablehnung
der Zivilisation zu Gunsten der Natur!
Persönliche Begegnung in Paris 1894. Beide sind arm- Überlegungen, als Straßenmusikanten
durch Europa zu ziehen (Gitarre: Strindberg, Gesang: Hamsun)
Hamsun an A. Langen: „Strindberg ist ein genialer, eigenartiger Mensch“
Infernozeit Strindbergs: Er ist geistig gestört, interessiert sich für Alchimie, Goldherstellung,
Mystik, Naturwissenschaften, schreibt Inferno(1897) und Das okkulte Tagebuch.
Ende der guten Beziehung durch Hamsuns Geldsammelaktion für Strindberg, der die
Annahme verweigert und sich nicht mehr sprechen lässt, ehe er im Frühjahr 1895 aus Paris
abreist.
1895
Hamsun ist ein disziplinierter Arbeiter, schreibt gerne nachts. Nach 5 Romanen ist er nun am
Ende seiner Kräfte, ausgebrannt (Brief an Langen). Fährt nach Norwegen nach Lillehammer,
bezieht Zimmer in Fåberg, um sich zu erholen und an seinem nächsten Projekt (Victoria) zu
arbeiten.
Verlage
Hamsun, der bisher bei Verlag von Philipsen in Kopenhagen war, wechselt nun- durch
Vermittlung seines Freundes Sven lange- zu Gyldendal.
In Deutschland (nach Fischer) bleibt er weiterhin bei Albert Langen /München
Langen bringt auch den Simplicissimus heraus, eine radikale satirische Zeitschrift, für die u.a.
Frank Wedekind und Thomas und Heinrich Mann schreiben. Maler/Zeichner Olav
Guldbransson .
Langens Plan, in Dänemark eine ähnliche Zeitschrift (Basta) herauszubringen, scheitert bald.
Albert Langen ist mit Dagny, einer Tochter Bjørnsons, verheiratet- daher intensive Beziehung
zu Norwegen.
Langen lädt Hamsun ein, er ist 1896 ca. 3 Monate lang in München
Hamsun veröffentlicht nur eine einzige Erzählung im Simplicissimus: Livets Stemmer
(Stimmen des Lebens): Junger Mann auf Suche nach Abenteuer trifft junge Frau, verbringt
Nacht mit ihr, sieht am nächsten Tag beim Weggehen aufgebahrte Leiche eines alten Mannes
und entnimmt einer Todesanzeige, dass seine Geliebte dessen Witwe ist. (Das wird bei
späterer Stipendienvergabe in Norwegen als unmoralisch und negativ gesehen)
23
Erste Ehe
Weihnachten 1896 Begegnung mit Bergljot Goepfert im Hotel (22 Jahre alt, Tochter eines
reichen Trondheimer Schiffskonstrukteurs und ehemaligen Kapitäns, mit dem österr.
Industriellen Eduard Goepfert seit 1893 verheiratet, Tochter Maria, aber Ehe ist schon
schlecht).
Liebe auf den ersten Blick
Hamsun schreibt Feverdikt (Fiebergedichte), in Det vilde kor (1904, Der wilde Chor): sehr
lyrisch, Metapher, Symbolismus > modern, aber traditionelle Form von Reimen und
Rhythmus
Hamsun bezieht kleine Wohnung, Bergljot zieht zu Vater, damit alles ohne Skandal abläuftaber es kommt trotzdem zu Skandal wegen anonymer Briefe der Dichterin Anna Munch, die ,
seit sie Hamsun 1891 bei einem Vortrag gesehen hat, in hoffnungsloser einseitiger Liebe zu
ihm entbrannt ist, ihn verfolgt, sogar nach Paris, sich in seine Hotelzimmer einschleicht… Sie
verleumdet ihn in diesen Briefen, die sie an alle möglichen Leute richtet, bezichtigt ihn
Verhältnisse zu diversen verheirateten Frauen. Schließlich erstattet Hamsun Anzeige. Ein
Polizeisachverständiger meint, er selbst habe diese Briefe verfasst. Schließlich glaubt man
ihm. Irgendwann gibt sie auf und verschwindet aus seiner Biographie.
Hamsun bezeichnet A. Munch in Brief an Bolette Larsen als „rotes altes Nilpferd“
1897 hat Hamsun wieder finanzielle Probleme. Ein staatliches Stipendium von 1200 Kronen,
für das er von einem Schriftsteller- Komitee empfohlen wird, erhält er nicht. (erst im
nächsten Jahr)
Langen setzt Spendenaufruf in Zeitung, Sammlung ergibt 1600 Mark (3x so viel wie
Stipendium)- Hamsun kann heiraten. Durch Edikt des Königs ist Bergljot im November 1897
geschieden worden und durch 2. Edikt erhält sie im März 1898 die Erlaubnis zur Heirat.
Hamsun dankt Langen, betont dabei seine positive Sicht zu Deutschland.
Das Paar zieht aufs Land. Hamsun schreibt Victoria zu Ende, wobei er Bergljot zurück nach
Kristiania schickt.
Victoria - Die Geschichte einer Liebe (1898)
Hamsun: „kleiner Roman“, „ hellrot- Pan = dunkelrot“ „2 verschiedene Bilder“
Victoria ist eher ein Requiem auf den Tod einer Liebe als eine in die Flitterwochen passende
Liebesgeschichte.
Handlung
Johannes, Sohn eines Müllers, liebt Victoria, Tochter eines reichen Gutsbesitzers- und
umgekehrt. Sie schätzt v.a. seine Phantasie und die Geschichten, die er ihr erzählt. kein
Problem in Kindheit, später Klassenunterschied merkbar. Johannes zieht in die Welt, um
Schriftsteller zu werden. Erneute Begegnungen: am Ort, an dem sie als Kinder gespielt habenaber Spontaneität ist verschwunden, eher formelles Verhalten. Bei späterem Treffen in
Kleinstadt ist Victoria abweisend, er zieht sich verletzt zurück.
Victoria hat sich, um ihren Vater vom finanziellen Ruin zu retten, mit dem reichen Otto
verlobt. Bei Verlobungsfest, zu dem sie auch Johannes einlädt, verkuppelt sie ihn mit
Camilla, die Johannes als Kind vor dem Ertrinken gerettet hat. Johannes ist gleichgültig, aber
Camilla verliebt sich in ihn, schließlich macht er ihr einen Heiratsantrag den sie annimmt.
24
Otto wird durch einen Jagdunfall getötet, aber Johannes ist nun gebunden. Der Vater begeht
Selbstmord, indem er Haus anzündet.
Johannes setzt die Hochzeit immer wieder aus. Schließlich verliebt sich Camilla in den
gleichaltrigen Engländer Richmont, hat Schuldgefühle. Johannes gibt sie frei- aber es ist zu
spät, Victoria stirbt an Schwindsucht und schreibt ihm letzten Brief.
Große Gefühle, trotzdem nicht sentimental-kitschig, sondern ergreifend. Abstand des
Künstlers
Victoria und Bjørger haben dasselbe Muster: Gegenseitige Annäherung- Probleme- Tod des
Mädchens.
Hamsuns Sicht zur Liebe: die erste Liebe ist die einzig wahre, aber hoffnungslos, kann nicht
in Erfüllung gehen- und wenn sich die beiden doch bekommen, dann stirbt sie und er muss
sich eine andere Frau suchen. Liebe ist nicht weit weg von Misserfolg, Verlust und
Niederlage.
Reaktionen:
Victoria kam beim norweg. Verleger Cammermeyer heraus
großer Erfolg bei Lesern und Kritikern, 1. Auflage von 6000 St. schnell vergriffen, bald
darauf 2. Auflage
einzige Ablehnung: Nils Voigt in Morgenbladet: (konservative Zeitung für Bürgerstand):
Hamsun sei untalentiert, schreibe über Bürgertum und „obere Schichten“, von denen er keine
Ahnung habe, denn er sei ein Emporkömmling ohne Ausbildung.
Hamsun ist stark verärgert, Bergljot persönlich beleidigt. In Brief an G. Brandes verteidigt
Hamsun sein Buch, schildert seine persönlichen Schwierigkeiten wegen seiner Herkunft
(Mangel an Schulbildung und „Kultur“, sieht sich als Opfer einer Verschwörung von Seite
des literarischen, klassenorientierten Establishments ( wohl kommen daher seine Angriffe
auf etablierte Literaten)
Mit Victoria beendet Hamsun seine Prosawerke mit lyrischem Einschlag und wendet
sich einem epischen und objektiveren Sujet zu
1898 -1906: Rastlosigkeit, mittleres Alter, Depression, Scheidung
3 Bände mit Erzählungen kommen heraus (Titel müssen nicht gekonnt werden)
Siesta 1897
Kratskog (Gestrüpp) 1903
Stridende Liv ( Kämpfende Kräfte) 1905
2 Reisebücher: I Æventyrlandet (Im Märchenland) 1903
Under Halvmaanen (Unter dem Halbmond) 1905
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Hamsun erhält nun das Stipendium von 1200 Kronen. Damit verbunden ist die Auflage, 1
Jahr ins Ausland zu reisen- das Paar geht nach Finnland, bezieht auf der Insel Råholmen bei
Helsinki ein altes, verfallenes Haus, Hamsun renoviert es, sie verbringen den Winter 1898/99
dort, was Bergljot nicht gefällt- offenbar Eheprobleme, da sie ein Großstadtmensch ist.
Kreis von Künstlern aus Helsinki, Bergljot „Alvilde“ (Fiebergedichte) steht im Mittelpunkt:
u.a. Schriftsteller, Jean Sibelius. Später kommt auch auf Einladung Hans Aanrud (norweg.
Dichter, Freund Hamsuns) zu Bsuch.
Ende Mai 1899 Umzug nach Helsinki, Bergljot reist alleine nach Wien, sie kommt zwar
zurück, aber immer wieder Trennungen
im Herbst 1899 reisen beide nach Russland (seit 1807- Niederlage S- war Finnland Teil
Russlands bis zum Bürgerkrieg 1917/18, in dem die „Weißen“ in Finnland siegten und es
unabhängig wurde).
I Æventyrlandet (1903):
sehr subjektive Schilderungen dieser Reise.
Bergljot wird wenig erwähnt, meist als „Reisekamerad“, Nadelstiche gegen sie
Buch zeigt Humor, Spott uns Selbstironie Hamsuns
Hamsun ist besessen von Angst einer Verfolgung durch einen Polizeioffizier (imaginär): als
Jude negativ dargestellt, antisemitisch
auch sonst Vorurteile- über Russen, ein Engländer
Stil: plötzliches Springen von Russland nach USA oder Norwegen ( erinnert an Mark Twain)
Bemerkungen über russ. Literatur (positiv: Dostojewski, negativ Tolstoi- und in diesem
Zusammenhang gleich wieder Ibsen: „pseudophilosophisch“ und Englische Literatur: zu
pragmatisch und naturalistisch, was Qualitätsverlust- nach Hamsun- bedeutet)
Under Halvmaanen (1905)
ist Beschreibung der Fortsetzung der Reise in Türkei. Insgesamt dauert die Reise nur 1
Monat!
geringer lit. Wert, aber ebenfalls eine Art Selbstportrait.
reaktionäre Tendenz- H. schreibt gegen technolog. Fortschritt = „ eine von Amerika
inspirierte Hölle“, als er Raffinerien in Baku sieht, preist dagegen die Zustände auf
Gebirgsbauernhöfen- und muss dort eine Petroleumlampe finden, die ihm schon zu
fortschrittlich ist
Hamsun lobt den Koran und den darin angeblich vertretenen Fatalismus
Er hat Sehnsucht nach Sicherheit, Geborgenheit, Gewissheit (immer soziale Unsicherheit)Weg zum Nationalsozialismus?
Rückreise über Kopenhagen, Weihnachten 1899 ist das Paar zurück in Kristiania
Im April 1900 fährt Hamsun ins Nordland und besucht nach 25 Jahren seine Eltern, bleibt
einen Monat, arbeitet auf Hof mit und schreibt. 11 Jahre später wird er sich in Hamarøy
niederlassen.
Hamsun ist sehr produktiv. Er braucht wieder einmal Geld und plant eine Trilogie, die sich
mit dem Verhältnis Mensch-Gott beschäftigen soll:
1. Rebellion
2. Resignation
3. Lebendiger Glaube (erscheint nicht)
Hamsun anerkennt nur 2 Werke von Ibsen, die beiden Versdramen Brand und Peer Gynt, und
nimmt sie nun als Vorbild für sein nächstes Werk
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Munken Vendt ( 1902)
ist erster Teil dieser Trilogie
8 Szenen/Akte, dazwischen Gedichte und Lieder (auch in Det vilde Koret 1904)
total misslungenes Werk
Dronning Tamara 1903
Drama, wird mit großer Ausstattung von Bjørn Bjørnson (Sohn von Bjørnstjerne Bj., zu dem
seit Pan gutes Verhältnis besteht) im Nationaltheater aufgeführt, trotzdem kein Erfolg, nach
12 schlecht besuchten Vorstellungen abgesetzt.
Dronning Tamara greift auf Skizzen vom Samsø- Aufenthalt zurück
Det vilde koret (1904)
einzige Gedichtsammlung Hamsuns- bunte Mischung
Feverdikt = Liebesgedichte
Huldigung an Bjørnstjerne Bjørnson zum 70. Geburtstag 1902 ( = nationaler Skald)
pantheistische Naturgedichte (u.a. Skjærgaardsøy)
aggressive Zeitgedichte mit Angriffen auf Gegenwartsliteratur
Huldigung Byrons (der aber falsch geschildert wird- in Wirklichkeit ist er Freiheitskämpfer
für Griechen gegen Türken- Hamsun ignoriert, dass er Engländer ist)
Verlag: Gyldendal in Kopenhagen, Leiter Peter Nansen (schreibt selbst), beauftragt Hamsun ,
einen kurzen Roman ohne Kontroverse zu schreiben für eine von Gyldendal vorgesehene
„nordische Bibliothek“, das ist gut bezahlt
1902 und 1903 erhält Hamsun von Gyldendal 2 Reisestipendien, die er zu Reisen in eine
Kleinstadt südl. von Kristiania und nach Nord-Seeland verwendet
Sværmere (Schwärmer) 1904
ist dieses Auftragswerk, das einen Übergang in Hamsuns Schaffen darstellt:
 Held ist kein mystischer Wanderer ohne Vergangenheit
 Ort der Handlung spielt wesentliche Rolle (ein wenig bereits in Pan: Sirilund)
 Dutzende von Figuren, die keine mystischen Gestalten, sondern aus dem Leben
gegriffen sind
 eindeutige Handlung mit Kulmination (also traditioneller naturalistischer Roman)
 Stil: kaum brütende Atmosphäre, nicht bizarr, keine verklemmten Leidenschaften,
keine Einsamkeit, kein mystischer Pantheismus, stattdessen: volkstümliche, ironische,
muntere, fröhliche Schilderungen(erinnert an Mark Twains Schilderungen von
Südstaaten-Kleinstädten)
Inhalt:
Telegrafist Ove Rolandsen verliebt sich in stolze Tochter eines reichen Großkaufmanns (=
Bruder von Edvardas Vater- für Hamsun typische Figurenwiederkehr!) Ove R. kämpft
erfolgreich darum, ihrer würdig zu werden, wird reich durch Patent auf neuartiges Verfahren
zur Herstellung von Fischleim (wesentlich pragmatischer als Johannes in Victoria), Happy
end. Ove ist zwar pragmatisch, aber auch ein Schwärmer und Träumer
Nicht subjektiv, sondern Darstellung des nordnorwegischen Volkslebens, wobei der Ort nicht
nur Kulisse, sondern wesentlicher Teil der Handlung ist.
Menschen aus Fleisch und Blut > erinnert an Hermann Bang: „stille eksistenser“: Menschen
in abgelegener Provinz, die ihr stilles Leben dort führen, aber trotzdem persönliche
Schicksale, humoristisch-tragisch geschildert.
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Privatleben- Scheidung
Trotz Eheprobleme am 15. August 1902 Geburt der Tochter Victoria, rettet aber Ehe nicht.
Hamsun geht eigene Wege, arbeitet in Isolation, säuft in Cafes (in Brief an Hans Aanrud
äußert er Entsetzen über sich selbst), vernachlässigt Bergljot.
Brief an A. Langen: Hamsun erinnert sich nicht an Jahr der Eheschließung.
Scheidung am 20.04.1906
Bergljot behält Victoria für 4 Jahre, Im Sommer soll sie bei Hamsun sein, 1910 soll er ganz
die Verantwortung für Tochter übernehmen
1906-1916 Marie und Hamarøy
Hamsun vermisst seine Tochter und stürzt sich in die Arbeit- Ergebnis:
Under Høststjernen (Unter Herbststernen) 1906
Rosa (1908)
Den sidste Glæde ( Beginn, erst 1912 fertig)
Under Høststjernen (1906)
In der Tradition der 1890er Jahre
melancholische Stimmung, wunderschöne Sprache
Fokus liegt auf kleinen Dingen, introspektiv, Gefühlsausbrüche, Grüblereien, Stimmungen
teilweise Selbstportrait
Ich- Erzähler Knut Pedersen ist gebildeter Mensch, was er verbergen will, verrät sich aber
immer wieder durch seine gebildete Sprache und durch Erröten.
Er zieht von Bauernhof zu Bauernhof, lebt von Gelegenheitsarbeit.
Er verliebt sich in Ida, Frau des Kapitän Falkenberg, sie reist ihm sogar nach, schreckt aber
im letzten Moment zurück und kehrt zu Ehemann zurück- unerfüllte Liebe, der Ich-Erzähler
ist einsam und alleine.
Gegensatz altes Norwegen (Bauerntum)- neues Norwegen (Technologie- wird von Hamsun
immer vehementer abgelehnt.)
1. Teil der Wanderertrilogie Fortsetzung. En Vandrer spiller med Sordin, 1909 und Den
siste Glæde 1912)
1907: Kongsberg- keine wesentlichen Veröffentlichungen, aber Arbeit an Fortsetzung von
Under Høststjernen: En vandrer spiller med Sodin (kommt erst 1909 heraus. Gedämpftes
Saitenspiel).
Vortragstätigkeit:
Im April 1907 vor Studenten „Ehrt die Jungen“ verursacht Aufruhr in Presse (v.a. Vertreter
der Kirche, Mütter). Hamsun dreht 4. Gebot um- die Alten sollen die Jungen ehren.
Vermutlich letzte bewusste Provokation Hamsuns.
Weitere Vorträge, u.a. in Bergen, sind wegen Geldbedarf geplant, finden nicht statt,
stattdessen schreibt er 2 kleine Romane Benoni und Rosa
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Benoni und Rosa (beide 1908)
Diese beiden Bücher sind ein weiterer Schritt Hamsuns zu konventionellen Romanen
Benoni ist ein Auftragswerk für russischen Verlag. Russland hat sich nicht der Berner
Konvention (Honorar für Dichter) angeschlossen, viele Raubkopien, Hamsuns Erfolg wirkt
sich nicht finanziell aus. Es gelingt ihm1908 ein Vertragsabschluss mit einem russischen
Verlag (Berater Maxim Gorki), was Geld bedeutet- Bedingung ist ein neuer Roman.
Benoni
schildert den Aufstieg des Titelhelden Benoni vom Briefträger zum wohlhabenden Kaufmann
(Thema des sozialen Aufstiegs kommt in den späteren Romanen immer wieder vor).
Stil ist volkstümlich, humoristisch
Handlungsort ist Nordnorwegen
viele Nebenfiguren (auch das ist für den späten Hamsun charakteristisch)
Das Problem Liebe = verhängnisvolle Macht fehlt eher, statt dem tragischen Prinzen tritt eine
clowneske und absurde Gestalt auf, alles ist nicht mehr so ernst.
Rosa
ist Benonis „Prinzessin“, die sich zu gut für ihn fühlt. Er zieht in Welt hinaus (altes
Märchenmotiv- Victoria), nach Rückkehr kommt Happy End mit Hochzeit.
Erzähler ist der in Rosa verliebte schüchterne Student Parelius, der eher halbkomisch als
tragisch wirkt.
Transfer von Gestalten aus früheren Werken:
In Rosa: Edvarda aus Pan, inzwischen vom Baron getrennt, lebt mit 2 Kindern beim Vater in
Sirilund und denkt sehnsüchtig an Glahn
Mysterier > Munken Vendt> Dramen über Kareno: z.B. Dagny- es stellt sich nun ihre starke
Verliebtheit in Nagel heraus ( auch in Redakteur Lynge)
Munken Vendt: tritt auch in Victoria und Rosa auf
Während Arbeit an Rosa Rückkehr nach Kristiania. Hamsun äußert in Brief ein „echtes
Gefühl der Wärme für Rosa“ – sein Privatleben spiegelt sich
Marie (Andersen)
geb. 1881, Vater Holzhändler, emanzipierte Frau, Lehrerin, Schauspielerin- opfert ihre
Karriere für Hamsun
25. Juni 1909 standesamtliche Trauung (kirchlich wegen Hamsuns Scheidung nicht möglich,
woraufhin er aus Staatskirche austritt)
bereits am 5. Juli schickt Hamsun Marie zu ihrer Schwester nach Drammen und geht aufs
Land, um ungestört an En Vandrer spiller med Sordin arbeiten zu können.
Im Herbst 1909 Kauf des elterlichen Hofes auf Hamarøy (Vater und Onkel sind bereits tot,
Mutter sehr alt), wo das Paar das alte Haus restauriert und insgesamt 6 Jahre bleibt. Alles
Geld geht für Hof drauf, er verschuldet sich mit 10.000 Gulden bei Gyldendal (Abzahlung
durch Bücher)
Marie wird zur Bäuerin und kümmert sich um Hof, während Hamsun jedes Jahr mindestens 3
Monate lang in irgendwelchen Pensionen schreibt, nachdem er genügend Notizen zu den
jeweiligen Romanpersonen gemacht hat.
4 Kinder: Tore (geb. 1912), Arild (geb. 1914), Ellinor (geb. 1915), Cecilia ( geb. 1917)
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En Vandrer spiller med Sordin (1909; Gedämpftes Saitenspiel)
ist zweiter Teil einer Trilogie mit Ich-Erzähler Knud Pedersen. Nach 6 Jahren kehrt er
unerkannt zu den Falkenbergs zurück, verrät sich aber öfter beinahe, arbeitet inkognito auf
ihrem Hof. In Wirklichkeit hat er sich sozial weiter entwickelt.
2 Motive von Hamsun selbst spiegeln sich in diesem Roman:
1. wiederkehrende Angst vor Alter
2. Einstellung als Nationalist- in Hamsuns Version: Rückblick auf „ideale Vergangenheit“,
Ablehnung der neuen sozialen Welt.(s. auch Markens Grøde 1917: Heroisierung und
Romantisierung des erfolgreich gegen die moderne technologisierte Welt kämpfenden
Menschen)
Den siste Glæde (1912; Die letzte Freude)
Abschluss der Wanderer-Trilogie. Die ersten 3 Kapitel, die bereits 1906 geschrieben wurden,
unterscheiden sich durch ihre melancholische Stimmung deutlich vom Rest des Buches.
Ich-Erzähler Knud Pedersen zieht sich zurück von der Welt in den Wald. Er ist inzwischen
„reich an Geld, aber schlaff vom Erfolg.“ (Buchanfang spielt an auf „Also sprach
Zarathustra“)
Gegensatz Land- Stadt, Natur- Kultur- Hamsuns Nationalismus.
Deutlich auch im Epilog, der sich an den „neuen Geist“ wendet und die neue Zeit als „Pest in
Norwegen“ bezeichnet. Hamsun sieht sich selbst als poeta laureatus, als Dichter/Stimme der
Nation.
Im Roman attackiert Hamsun alle Aspekte des modernen Lebens in Norwegen: Tourismus
( v.a. Engländer), sozialen Aufstieg, Frauenemanzipation, Verbesserung der Schulbildung.
Kinder dagegen sind „die letzte Freude, das reine Wunder“
Auch das Schicksal einer Frau Ingeborg Toresen (?) wird geschildert- aus Sicht des älteren
Mannes, der sich in sie verliebt, aber alles bleibt platonisch, denn Ingeborg verliebt sich in
den jungen Bauern Nikolai und zieht mit ihm aufs Land, bekommt Kinder..
Betrachtung aus Distanz, keine Leidenschaft- obwohl Parallelen zu Hamsuns Privatleben
deutlich erkennbar sind.
narrative flow (typisch für späten Hamsun)- aber die spätere epische Kraft fehlt, es ist ein
schwaches Buch.
Letzter Ich-Roman
Marie versucht, sich – zum Ärger Hamsuns- in den Schreibprozess einzumischen
Die Segelfoss-Romane
Børn av tiden (1913 Kinder ihrer Zeit) und Segelfoss By (1915- Die Stadt Segelfoss)
endgültiger Beginn der letzten Phase des Schriftstellers, umfasst 9 Romane in etwa 23 Jahren,
 alle in der 3. Person geschrieben
 große Anzahl von Figuren
 didaktisches Ziel (mehr oder weniger deutlich)
 naturalistische Romantik (hat Hamsun früher vehement angegriffen)
in gewisser Weise vergleichbar im Hinblick auf Gesellschaftskritik mit Werken von
Charles Dickens, allerdings ist dieser sozialer eingestellt
 veränderte Erzählhaltung: kein mysteriöser junger Mann, sondern ältere, leicht
ironische Erzähler (erinnert an Mark Twain)
 keine narrative Entwicklung der Handlung, sondern Abfolge von Episoden- narrative
flow
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 kein großer Held, sondern Hauptfigur hat mindestens einmal ein Problem, von dem er
sich aber irgendwie wieder erholt- hat also menschliche Schwächen- kein NietzscheHeld
 Stil ist leicht zugänglich (Geldverdienen!), keine modernistische Sprache
Die beiden Segelfoss-Bücher werden Bestseller, Interesse sogar in England
Hamsuns Verehrer: H.G. Wells, John Galsworthy, Thomas Mann, Franz Kafka (schon
früher), Ernest Hemingway, Maxim Gorki
Hamsun gilt nun als Meister des Romans in ganz Europa.
Zeit: kurz vor bzw. im 2. Weltkrieg, Skandinavien bleibt neutral, verdient aber an beiden
Seiten, was in der Literatur kritisiert/ behandelt wird.
Børn av tiden (1913 Kinder ihrer Zeit)
ist laut Hamsun ein Roman über das Problem Aristokratie gegen Bauer oder umgekehrt.
Segelfoss = „Stadt der Emporkömmlinge“
Zwei reiche Männer. 1. Aristokrat Willatz III Holmsen, Feudalherr, wird von allen
respektiert, auf Gut Segelfoss und Ort in Umgebung (Lage nahe Sirilund im Nordland), hat
junge Frau, ist pantheistisch eingestellt
2. Tobias Holmengraa. Bauer, ist nach Mexiko gezogen (erste Erwähnung dieses Staats in
norweg. Literatur), Emporkömmling, etwas mysteriös (> Nagel ), Rückkehr nach Norwegen
beide haben Sympathie Hamsuns und beide sind ihm irgendwie ähnlich.
Beginn: wunderbare Naturschilderung über Sonnenuntergang- neuer Tag, neues Zeitalter
beginnt nun (das alte verkörpert Holmsen, das neue Holmengraa).
Holmegraa kauft Land von Willatz Holmsen, baut dort eine neue Mühle, daher muss Korn
nicht mehr nach Bergen verschifft werden, es entstehen Arbeitsplätze, eine größere
Landungsbrücke, Post, Telegrafendienst, eine Bäckerei- der Beginn der industriellen
Gesellschaft. Holmengraa wird nun zum größten Arbeitgeber der Gegend (vorher Willatz III),
kann sich fast mit Holmsen messen, ist aber nicht adelig! Er respektiert W. Holmsen auchkeine Konkurrenzsituation
Willatz IV (Sohn von Willatz III) ist Künstler, sehr positiv gezeichnet, studiert Musik in
England und Deutschland, ist im Gegensatz zum passiven Vater, der alles geerbt hat,
schaffend, hat aristokratischen Lebensstil (kauft Klavier für verarmten Musiker zurück, ohne
selbst dafür Geld zu haben- sein Vater hat es auch nicht mehr, aber Holmengraa springt ein)
Willatz III ist wirtschaftlich am Ende, zieht sich- wie Sagahelden- zurück, ordnet alles- findet
aber plötzlich im Garten einen von seinem Vater Willatz II vergrabenen Schatz, womit er
seine Schulden bezahlen und die Zukunft seines Sohnes retten kann, ehe er zufrieden stirbt.
Happy End.
Hamsun beweint zwar etwas, dass nun die alte Zeitordnung zu Ende ist- aber im zweiten
Buch wird das noch deutlicher, bitterer und düster:
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Segelfoss By (1915- Die Stadt Segelfoss)
Die sozialen und ökonomischern Veränderungen gehen weiter, die Macht wird von anderen
Gesellschaftsschichten übernommen.
Aristokratie > Autokratie (Holmengraa, positiv gezeichnet) > Demokratie (Emporkömmling
Theodor)
Theodor ist einziger Kaufmann am Ort, verkauft „unnötige Dinge“ wie Gebisse,
Konfektionsschuhe und Konserven- ist sozusagen Parasit, wird reich
Es entsteht eine neue Arbeiterklasse, verkörpert von Aslag und Konrad, negativ gezeichnet,
faul, ungehobelt, sich dem Arbeitgeber (Holmengraa) nicht mehr verbunden fühlend.
Holmengraas Schicksal ähnelt dem von Willatz Holmsen, er verlässt schließlich die Stadt auf
einem von Südamerika her gekommenen Schiff mit unbekanntem Ziel.
Holmengraa hat aus Mexiko seine schöne Tochter Marianne mitgebracht, die sich in deninzwischen erfolgreichen Pianisten und Komponisten Willatz IV verliebt- und umgekehrtHappy End. Theodor, der auch in sie verliebt ist, hat das Nachsehen.
Theodor wird trotz allem ein bisschen von Hamsun bewundert, nicht nur negativ geschildert,
er wird immer reicher. Hamsun hat auch für die Arbeiter etwas Verständnis.
Telegrafist Baardsen: im 2. Teil, sehr positiv dargestellt, eine Art Künstler ( spielt Cello, soll
früher Dramen geschrieben haben), ist intelligent, stolz, sensibel, großmütig- geistiger
Aristokrat (Selbstportrait Hamsuns)- aber Alkoholiker. Als er stirbt, zeigt sich, dass er
vermögend gewesen ist, sein Erbe ist der durch die Konfektionsschuhe verarmte
Schuhmacher Nils. Von außen kann Baardsen zwar als Versager gesehen werden, aber
innerlich ist er vielleicht ein Held. Hamsun fühlt sich immer zu rätselhaften Versagern
gezogen, ist vom Extremen fasziniert.
Mit Baardsen ist die alte (sympathisch geschilderte) Welt der geistigen Aristokratie
gestorben.
Stil: viele episodische Begebenheiten, viele Gestalten im Umbruch.
Am wenigsten interessant ist die Mitte, das Kleinbürgertum.
Die Segelfoss-Romane sind finanzielle Erfolge, zumal Segelfoss By durch tiefen Preis ein
breites Lesepublikum erreicht.
journalistische Beiträge
In Debatte um 1. Weltkrieg äußert Hamsun Sympathie für Deutschland, während die große
Meinung für England und Frankreich ist. Er wird daher heftig bei Debatten in Presse kritisiert.
Hamsuns Antipathie ist v. a. gegen England gerichtet, weniger gegen Amerika (Hamsun
distanziert sich ja später von seinem Buch über das amerikanische Geistesleben).
In Deutschland ist er erfolgreich, aus Deutschland kommt Nietzsche!
Gründe für Hamsuns antienglische /pro-deutsche Haltung:
1. Hamsun hatte in Deutschland den ersten großen- auch finanziellen- Erfolg (in
Skandinavien erst richtig mit Segelfoss-Romanen)
2. Die erste kritische Arbeit über Hamsun wurde 1910 in Deutschland geschrieben
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3. Geschichtliche Gründe: Englands Bombardement von Kopenhagen 1807 im Rahmen
der Napoleonischen Kriege, nachdem Admiral Nelson bereits die dänische Flotte
erobert hatte ( Hamsun schätzte Ibsens Gedicht Terje Vigen)
4. negativer Eindruck, den englische Touristen in Valdres hinterließen (arrogant,
überheblich…
5. Episode in München 1896- geschildert in Im Märchenland: Ein Engländer blieb kalt
und unbeteiligt, als Kind beinahe von der Pferdestrassenbahn überfahren wurde, und
beklagte nur den Zeitverlust. Hamsun entwickelte Hass- und eventuell Eifersucht (?einerseits Bewunderung, andererseits Ablehnung) auf englische Kultur, Unnahbarkeit
und Aristokratie. Merkbar nicht in Sult (Schiff nach Leeds), in Mysterien, KarenoTrilogie, Edvarda (Pan, Benoni, Rosa) heiratet schließlich englischen Adeligen und
geht mit in sein Land – als Strafe gedacht.
Hamsuns Haltung zu USA
am Ende des 1. Weltkriegs negativ- kritisiert den amerikanischen Materialismus
(Waffenverkäufe an England), der Krieg verlängert habe.
Andererseits wurde 1914 Ny Jord in Übersetzung in USA herausgebracht, mit einseitiger
positiver Rezension im N.Y. Herold
Larvik 1916-1918
Umzug nach Larvik ( vornehme Stadt am Oslofjord) in Haus, das die Hamsuns selbst
restaurieren wollen. Hamsun ist nun ein gefeierter Autor, hat Verehrerinnen, u.a. eine
schwedische „ Gräfin“, was Maries Eifersucht weckt- obwohl sie 23 Jahre jünger als ihr
Mann ist.
Hamsun beendet das auf Hamarøy (bzw. in Pensionen) angefangene idyllische Buch
Markens Grøde und beginnt mit Konene ved Vandposten, das das absolute Gegenteil dazu
sein soll. Wie üblich hat er Probleme mit dem Anfang, kommt auch in einer von Marie
gemieteten Hütte nicht weiter.
Im Sommer 1918 verkaufen die Hamsuns das Haus in Larvik und kaufen das
heruntergekommene, von dän. Aristokraten gebaute Gutshaus und dazugehöriges Land
Nørholm bei Grimstad um 200.000 NOK. Der Besitzer musste erst zum Verkauf überredet
werden
Markens Grøde (1917,Segen der Erde)
ruhiger, idealisierender, das Landleben verherrlichender Roman, der mythologische Welt
zeigt und Stadtleben und Technologie verurteilt. Ideal ist der Mensch in der Natur, der die alte
norwegische Bauerntradition fortsetzt.
„Das herrliche Land“ wird von Isak Sellanraa besiedelt, der später Inger als Frau bekommt.
Beide kommen sozusagen aus dem Nichts ohne Vergangenheit. Der Hof gedeiht, wird größer,
es kommen Kinder und neue Ansiedler, von denen Axel Strøm ebenfalls erfolgreich ist, Brede
Olsen nicht (geht später in Stadt und baut Hotel).
Isaks Söhne sind unterschiedlich: Sivert folgt dem Vater in jeder Hinsicht nach und wird
Bauer, Eleusus pendelt zwischen Stadt und Land, ohne Erfolg, ist ein unzufriedener
Außenseiter und eine tragische Gestalt, ebenso wie Barbro, die Tochter von Brede Olson.
Auch Inger, die eine Hasenscharte /Lippenspalte hat, ist teilweise durch die Zivilisation
verdorben. Sie tötet die neugeborene Tochter mit demselben Makel (Nazisicht?!), verbringt 7
Jahre im Gefängnis, wo sie mit städtischer Lebenshaltung (Nähkenntnisse, Kleidung usw) in
Kontakt kommt und kehrt verändert nach Sellanraa zurück, passt sich schlussendlich aber
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dem Leben dort wieder an. Ihre Verwandte Oline kommt mit dem Zwiespalt Land- Stadt
besser zurecht.
Alle werden genesen, wenn sie ein Leben in der Natur führen.
Als Erzähler/Beobachter fungiert die zwielichtige Gestalt des Geßler, der ein rätselhafter
Außenseiter ist, auftaucht und verschwindet, arm und reich ist und in das Geschehen eingreift
(Geldunterstützung, z.B. für Isak und Brede Olsen). Auch Geßler predigt Naturverbundenheit,
Arbeitsamkeit und Bescheidenheit.
Der Roman ist breit episch angelegt, wenig dramatische Ereignisse, verkörpert Ruhe,
Symbolhaftigkeit, Mythisches.
Isak ist eine mythische Gestalt, unerschütterlich, steht für Harmonie, Frieden,
Ausgewogenheit.
nur Geißler ist der dynamische Kontrapunkt
Die bäuerliche Vergangenheit der norwegischen Nation wird auch zur idealen Gesellschaft
der Zukunft.
Hamsuns Botschaft ist reaktionär: Back to nature- zurück zum Bauernmilieu des alten
Norwegens anstatt des Milieus der Stadt und der Technologie
Am 1. Dezember 1817 wurden 18.000 Exemplare gedruckt, noch vor Weihnachten eine
ebenso große 2. Auflage- bis 1927 55.000 Exemplare – der größte Verkaufserfolg der
damaligen Zeit in Skandinavien
Die ruhigen Jahre 1918-1927
Hamsun spielt seine Rolle als Familienvater und schreibt weiter.
1920: Nobelpreis für Literatur
für Markens Grøde, wurde bereits in den Jahren davor vorgeschlagen, v.a. von den
schwedischen Dichtern Albert Engstrøm und Erik Axel Kalfeldt (beide in schwedischer
Akademie, Kalfeldt als Sekretär). Nach Meinung der Kritiker hätte Hamsun den Preis schon
früher und für ein anderes Werk erhalten sollen.
Damit bekommt Hamsun als zweiter Norweger nach Bjørnstjerne Bjørnson (1903) den
Nobelpreis, was ihn erfreut, auch wenn seine erste Reaktion nicht darauf hindeutet (Marie
Hamsun: Regnbuen, 1954, Der Regenbogen 1954).
136.000 NOK
Hamsun hat erste Anzeichen von Parkinson, schiebt das Zittern auf Überanstrengung durch
Schreiben mit Bleistift
Konene ved Vandposten (1920, Die Weiber am Brunnen)
16. Roman Hamsuns, Markens Grøde total entgegengesetzt
spielt in kleiner Küstenstadt in Nordnorwegen
Zentralfigur ist der Krüppel Oliver.
Hamsun ist von Krüppeln/Körperbehinderten irgendwie fasziniert. Als Kind war er davon
umgeben: Onkel ist teilweise gelähmt, eine Schwester hat lahmen Fuß, eine andere eine
lahme Hüfte (Rollstuhl), seine Mutter ist auf einem Auge blind und schwerhörig. Andere
literarische Gestalten: Inger in Markens Grøde, verkrüppelter Arzt in Pan.
Oliver ist durch einen mysteriösen Unfall auf See (offizielle Version: Sturz vom Mast bei
Sturm, spätere Version: Trantonne fiel um und auf ihn) impotent und hat dadurch ein Bein
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verloren. Er anerkennt die 5 Kinder, die seine Frau im Laufe der Zeit bekommt, erpresst aber
die jeweiligen Väter, außerdem verkuppelt er die Frau.
Oliver ist Krüppel, Lügner, Selbstbetrüger, Dieb, Zuhälter und schließlich auch Mörder.
Über Oliver wird gesagt: „Einmal war er ein Mensch“
Oliver hat auch einige wenige positive Erlebnisse: er birgt ein gestrandetes Schiff, findet
Papiergeld aus Postraub in Vogelnest und erhält Belohnung
Er gibt nicht auf, ist kämpferisch, findet sich nicht mit dem Schicksal ab, sondern will es
ändern.
2. Krüppel im Roman ist der Alkoholiker Olaus: Gesichtsschaden durch Dynamitexplosion,
Armverlust durch weiteren Unfall.
Diese Krüppel sind „Objekte des Grauens“, die eher Angst als Mitleid erwecken.
positive Gestalten, Idealisten: „der Postmeister“ und der Schmied Carlsen- die beide ihre
Illusionen durch Schicksalsschläge verlieren und zu gebrochenen Menschen werden.
3 Schichten der Gesellschaft:
 Oberschicht: Handelshäuser, Konsuln
 Mittelschicht: Postmeister, Arzt, Anwalt
 Unterschicht: Fischer, Schmied, Seeleute- aber keine Bauern!
viele Gestalten haben ein „Doppelleben“- ein mystisches Element
Polyphonie: mehrere Erzählstimmen
jäher Wechsel der Erzählperspektive ,Episoden ( > Mark Twain)
Stream of Conciousness-Technik ( unvermittelter Wechsel zwischen Außen- und Innenwelt)
Siste Kapitel (1923, Das letzte Kapitel)
Hamsuns Mutter starb 1919- das Buch spiegelt seine Gedanken und Grübeleien darüber
wieder und ist eines der nachdenklichsten und interessantesten der letzten Werke.
Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Existenzproblemen ( > Sult, Mysterier),
philosophische Atmosphäre
3 Hauptpersonen: Leo Magnus ( der große Löwe), Daniel und Julie- miteinander verknüpft.
Leo Magnus erinnert etwas an Johann Nagel, denkt dauernd über intellektuelle und
existentielle Probleme nach- u.a. darüber, ob seine Tochter Leonarda von ihm ist, da ihn seine
Frau dauernd betrügt. Nach seinem Auszug (ins Sanatorium, s.u.) zieht Liebhaber bei Frau
ein. Er will Selbstmord begehen, aber da das ärger ist als Mord, bleibt er vorerst am Leben.
Daniel ist Kleinbauer, lebt einsam aufs einem Hof in den Bergen, bis zwei Geschäftsleute aus
Stadt kommen, die auf seinem Gelände ein Sanatorium bauen wollen. Daniel verkauft nicht,
sie kaufen das Nachbargrundstück und bauen dort hässliche Sanatoriumshäuser, die von
grotesken Patientengestalten (Gauner, Schwindler, Betrüger, Mörder) bevölkert werden.
(> Thomas Mann: Der Zauberberg). Im Sanatorium gibt es seltsame Todesfälle, die alle
Besucher bzw. Angestellte betreffen (alte Frau wird von Bullen aufgespießt, Ingenieur von
Felsblock erschlagen, Zimmermädchen stirbt an Lebensmittelvergiftung, Arzt an Pneumonie
nach Einbruch im Eis). Die Patienten überleben alle!
Julie ist eine „Femme fatale“ aus der Stadt, hübsch, angeberisch, reitet mit Leo Magnus aus,
verliebt sich aber in finnischen Grafen, der verschwindet, sie ist schwanger, sucht Vater für
Kind, verführt Daniel, den sie von Spaziergängen in Umgebung kennt- da sie nach einem
Unfall im Gesicht eine Narbe hat, kann sie nicht wählerisch sein. Die Hochzeit ist geplant.
Julie hat Erfolg bei Männern, die Frauen hassen sie.
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Schließlich bricht ein Feuer im Sanatorium aus, dem alle zum Opfer fallen- nur Leo Magnus,
der immer über Selbstmord nachgedacht hat, überlebt.
Vergänglichkeit, Tod, Hoffnungslosigkeit- überall und immer ist der Tod in diesem Roman
gegenwärtig.
Letzte Werke 1927 - 1936
Die Landstreicher-Trilogie- letzter literarischer Höhepunkt
Landstrykere ( 1927; Landstreicher)
August (1930; August Weltumsegler)
Men Livet lever ( 1933; Nach Jahr und Tag)
Handlung zieht sich über einen längeren Zeitraum, vor und nach der Jahrhundertwende.
Landstrykere
Im nordnorwegischen kleinen Ort Polden tauchen zwei Fremde auf- dunkel, einer ist
halbblind, die Frauen und Kinder mit Drehorgelspiel (die Männer sind auf Lofotfischfang)
unterhalten. An Seite der Drehorgel aufklappbares Theater ( peotische Darstellung der Welt).
Streit (der sich später als inszeniert herausstellt), der 13jähtige Edevart greift ein, indem er
dem Angreifer ein Bein stellt, der daraufhin davonläuft. Das Publikum ist nun
spendierfreudig. Edevart folgt dem Halbblingen entgegen dessen Willen und sieht, dass die
bedien Männer zusammen arbeiten und auch die Halbblindheit nur vorgetäuscht ist- alles ist
ein Spiel zum Zweck des Geldverdienens.
Hamsun schreibt hier einen Mythos über die verlorene Unschuld.
August – extrovertierter, charmanter Schwindler, Lügner, Phantast, Betrüger… taucht auf und
schließt mit dem introvertierten Edevart, der von ihm fasziniert ist, Freundschaft. Beide
ziehen nun durch Nordnorwegen (u.a. als Händler) und erleben diverse Abenteuer
[ → Mark Twain: Huckleberry Finn und Tom Sawyers! ]
Sie gelangen auf einen kleinen Hof, auf dem die junge Frau Lovise Margarete mit 2 kleinen
Kindern lebt, deren Mann Håkon angeblich in Amerika- und in Wirklichkeit wegen eines
Gewaltverbrechens im Gefängnis in Trondheim- ist. Edevart verliebt sich in sie, kurzfristige
Idylle, aber Håkon wird vorzeitig entlassen und Edevart muss weiter ziehen. Das ist seine 2.
große Enttäuschung.
Bei einem späteren Treffen bittet ihn Lovise Margarete um Geld für die Auswanderung nach
Amerika, als Sicherheit bekommt er den Hof.
Edevart passt sich im Verhalten nun August an, lügt und betrügt selbst. Schliesslich will er
selbst nach Amerika gehen.
Landstrykere ist ein schönes Buch über den Schmerz des Verlusts der Unschuld. Die
Liebesgeschichte zeigt Parallelen zu Pan und Victoria.
Typische Hamsun-Motive darin:
 Tragische Liebe
 Zivilisationsverdruss
 Anti-amerikanische Einstellung
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August
Edevarts Abenteuer in USA- Hamsuns Angriffe auf Amerika verschärfen sich, nichts ist dort
in Ordnung ( Banken, Industrie, Technologie…)
Men Livet lever
Spielt 20 Jahre später. August ist nun in den Siebzigern und lässt sich in Segelfoss niedertypische Kleinstadt (Kino, Tourismus, Bank, Hotel, Industrie…). Gestalten aus der Holmsen–Familie, Nachfahren der Gestalten aus den Segelfoss-Büchern, tauchen auf.
Wenig handlung. Umständliche Schilderung der negativen Haltung zur modernen Welt.
Einer der schlechtesten Romane Hamsuns.
Viel Rassismus : Antisemitismus, gegen Juden, Zigeuner, Samen
Die Landstreicher-Trilogie war ein enormer Erfolg. Auflagen Band 1-3 in Norwegen:
30.000 / 25.000 / 28.000 Exemplare
Ringen sluttet (1936: Der Ring schließt sich)
Der unbekannte Wanderer Abel Brodersen ist Zyniker, asozial, verachtet die Welt von beginn
an (August versucht immerhin, das Beste daraus zu machen). Auch e r hat AmerikaErfahrung, lässt sich nach seiner Rückkehr in einer norwegischen Kleinstadt nieder, von der
er angewidert ist, will zurück nach Kentucky.
Die Nebenfiguren denken nur an Sex und Geld.
Flashback: Jugend, Liebesgeschichte- aber farblose Darstellung.
Grundeinstellung: Jugend = verlorenes Land. Vergangenheit ist Vergangenheit, die
Gegenwart ist schlecht.
Nordahl Grieg: „ blasse Erinnerung, ein verlorenes Land… Hoffnungslosigkeit, Bankrott auch
hier“
Buch hat keine Handlung.
Fast ein Ausdruck der Lost Generation- jemand, der sich in der Welt nicht zurecht findet.
Ab August verlässt Hamsun offensichtlich seine Inspiration. Sein früher bewunderter Stilknapp und präzise in Sult, poetisch in Pan, episch in späteren Büchern- ist nicht mehr
erkennbar. Man hat den Eindruck, der alte Hamsun (über 70) schreibe nur mehr aus
Pflichtgefühl und wegen Geld. Viele Wiederholungen, lange Abhandlungen über rhetorische
Fragen. Langweilig.
Ergebnis von 57 Jahren Autorenschaft (seit Børger) 22 Romane,5 Bühnendramen,
1 Versdrama, 2 Reisebücher, 3 Bände mit Erzählungen.
1936 wird Hamsun als der größte lebende Autor betrachtet, ist in fast allen Ländern
anerkannt.
Er könnte sich nun zur Ruhe setzen auf seinem Gut Norhølm. Die Kinder sind erwachsen, die
Ehe mit Marie wird immer schwieriger, es gibt Agressionen- auch körperliche Angriffe der
beiden gegeneinander.
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Marie an einen Freund 1928: Hamsun habe keine Freunde. Ihm seien alle Leute egal
geworden. Sein einziger Freund sei die Arbeit. Marie kann sein Verhalten nicht verstehen.
Sie müsse die meisten Briefe in seinem Namen schreiben.
Marie in Interview 1933: Die Hamsuns bekämen keinen Besuch, lebten in hermetischer
Abgeschlossenheit (auf Knuts Wunsch hin).
Marie ist deutlich verbittert. Sie ist immer eifersüchtig gewesen und vermutet Untreue mit
einer dänischen Schauspielerin (unklar, ob nur Einbildung oder ob etwas dran ist).
Gemeinsam haben sie nur die politische Einstellung: Beide befürworten den
Nationalsozialismus.
1933-1940
1945 behauptet Hamsun: „Von Politik verstehe ich nichts“- aber in den 30er Jahren und in der
okkupationszeit hat er viele politische Äußerungen, auch schriftlich, getätigt. Nach
Kriegsende versucht man, auf Anweisung des norweg. Staates, ihm durch ein psychiatrisches
Gutachten (Gabriel Langfeldtt und Ørnulf Ødegaard) Demenz nachzuweisen. Psychiatr.
Bericht: „nachhaltig geschwächte geistige Fähigkeiten“.
Hamsun bewundert den Nationalsozialismus und Hitler, der für ihn tapfer, bewegend,
faszinierend ist.
Thorkil Hansen: Processen mod Hamsun ( dän.1978; Der Hamsun-Prozess): Auswertung der
untersuchungsprotokolle. Kein Beweis für Demenz.
Hamsun äußert in mehreren seiner Bücher Antipathie gegen Amerika und besonders England
(es treten u.a. englische negativ gezeichnete Touristen auf- arrogant, egozentrisch…)
1934 Verleihung der Goethe-Medaille an Hamsun, die er annimmt, das damit verbundene
Geld ( 10 000 Reichsmark) aber an die deutsche Nation zurück gibt.
1935: Artikel im dt. Magazin Der Norden (= Organ der Nordischen Gesellschaft, Lübeck)
Hamsun schreibt zur Saarland-Frage (Saarland nach Versailles abgetrennt von Deutschland
und unter Verwaltung des Völkerbundes, Hitler will Rückführung) , ist für Rückgabe- manv.a. Frankreich und England- solle Deutschland nicht weiter demütigen.
Hamsun ist aber kein eindeutiger Nazi- Im Gegenstaz zu Marie und seinen Söhnen konnte nie
seine Mitgliedschaft in der NS = Nasjonal Samling ( norweg. Nationalsozialisten, 1933 von
Vidkun Quisling gegründet). Hamsun ist kein Opportunist, hält an seiner Meinung fest.
1935 Artikel zu Nobelpreisfrage für Ossietzky in Aftenposten: Hamsun dagegen, sieht in der
pazifistischen Einstellung Ossietzky Verrat an Deutschland.
Karl von Ossietzky (1889-1938): Soldat im 1. Weltkrieg, als Folge radikaler Pazifist, für
Abrüstung, wird nach Machtergreifung der Nazis 1933 sofort verhaftet und in KZ gebracht,
nach 3 ½ Jahren schwer krank entlassen und stirbt bald. 1934 und 1935 für
Friedensnobelpreis (wird in Oslo verliehen) vorgeschlagen, Politiker sind zu ängstlich, aber
1936 bekommt er den Preis rückwirkend für 1935 doch zuerkannt- woraufhin Hitler allen
Deutschen die Annahme von Nobelpreisen verbietet.
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1939: Hamsuns 80. Geburtstag, Glückwünsche u.a. von Alfred Rosenberg ( rassistischer
deutscher Ideologe) und Josef Goebbels, Telegramm von Hitler
1945 (Psych. Bericht): Hamsun meint, dass 98 % der Norweger die Deutschen hassen und die
Engländer lieben. Ihm selbst sei egal, was mit ihm geschehe- auch wenn sein leben verkürzt
werde.
Hamsuns rassistische Einstellung :
Kenntnis des Bestsellers von Julius Langbehn: Rembrandt als Erzieher (1890). Ideal ist
Gemeinschaft aller germanischer Künstler in allen Ländern, sind die Bauerngemälde von
Rembrandt, die als Anregung der neuen germanischen Blut- und Boden- Huldigung dienen
sollen. Langbehns Ideal ist der „Übereutsche“ des nordischen Typs.
Gewisse Parallele zu Nietzsches Herrenmoral.
100.000 Exemplare im 1. Jahr verkauft
Auch andere Dichter sind rassistisch: Ezra Pound ( im Krieg für Mussolini), Louis Ferdinand
Cèline ( flüchtet nach Kriegsende nach Dänemark, wo einflussreiche Freunde seine
Auslieferung an Frankreich wegen seines Künstlertums verzögern)
Hamsun zeichnet Karikaturen von Juden und macht rassistische Bemerkungen.
In Fra det moderne Amerikas Aandsliv: bezeichnet Hamsun Neger als schwarze Halbaffen
In Men livet lever (Nach Jahr und Ta) schreibt Hamsun: Homosexualität ist im 14. Jh. durch
jüdische Hansekaufleute nach Norwegen importiert worden.
In Norwegen kaum Stimmen gegen die „ angebliche Judenverfolgung in Deutschland (1933),
restriktive Maßnahmen gegen Flüchtlinge- nur wenige werden aufgenommen.
Hamsun interessiert sich- im Gegenteil zu marie- nicht für den Kriegsfortgang, sondern nur
für die Ideologie.
Okkupationszeit 1940-1945
Nach 1945 wird versucht, zwischen Hamsun als Künstler und als Nationalsozialist zu
trennen. Hamsun hat keinen einzigen nationalsozialistischen, keinen einzigen politischen
Roman veröffentlicht.
Stefan Zweig (Jude) war einer von Hamsuns Bewunderern.
Tom Kristensen (dänischer Autor) sagt nach 1945: Hamsun sprach das Unterbewusstsein der
damals jungen Dichter an, ihre Gefühle- und war daher gefährlich, er war ein Idealbild für
die, die einen helden suchten. Er ist der letzte große Künstler, der KlassengegensätzeAristokrat und Prolet, Fürst und Arbeiter- in sich vereinte.
Thomas Mann: Hamsuns frühe Dichtung sei das innigste literarische Erlebnis seiner Jugend
Gewesen. Im Hinblick auf Politik sei er aber gefährlich.
Hans Scherfing (dänischer Kommunist) bewundert das Schriftstellertum Hamsuns trotz
entgegen gesetzter Lebensanschauung.
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Am 9. April 1940 besetzte Deutschland Dänemark und Norwegen. Im Gegensatz zu
Dänemark, wo die Regierung mit den Besetzern zusammen arbeitete und der König im Land
blieb, kämpfte Norwegen gegen die Okkupation. Nordnorwegen war noch einige Zeit lang
frei, dann mussten aber die Königsfamilie und die Regierung unter C.J-. Hambro
(Stortingspresident = Parlamentspräsident) nach England flüchten, wo sie als Exilregierung
arbeiteten.
Hamsun äußert sich schriftlich sehr negativ über Hambro: Sohn einer Einwanderungsfamilie
(Hambro stammt aus einer jüdischen Familie), negativ zu den Engländern ( verweist auf
Hungerblockade von Beginn 19. Jh. Und Burenkriege- englische KZs, in denen angeblich
27.000 Frauen und Kinder verhungert sind).
Im April 1941 schreibt er aber an Fritt Folk (Organ der NS), dass er keine weiteren Beiträge
mehr schreiben werde.
Marie dagegen ist sehr aktiv: Ortsgruppenleiterin, Vortragsreisen ( über Hamsun, Lesungen
seiner Werke und ihrer eigenen Kinderbücher) bis 1943, in Norwegen und Deutschland
Februar 1942: Hamsun schreibt Aufsatz in Die Achse Berlin –Rom- Tokio (Monatszeitschrift
der deutschen Nationalsozialisten) und greift darin Kommunisten, Roosevelt ( Jude,
jüdisches Gold…) und die Aliierten an. Die Verbindung „Juden und Gold“ wiederholt er
mehrmals.
1942 bekommt Norwegen offiziell eine nationalsozialistische Regierung unter Vidkun
Quisling: Intellektueller, erfolgreicher Nationalsozialist, hat Probleme mit dem
Reichskommissar Terboven, der die eigentliche Macht im land verkörpert. Hamsun mag
Terboven nicht, schätzt aber Quisling.
Judenverfolgung beginnt in Norwegen ernsthaft 1942. Quisling setzt den Mitte des 19. Jh.
Aufgehobenen Paragraph 2 der Verfassung von Eidsvoll (= keine Juden in Norwegen) wieder
in Kraft. Juden müssen diverse Listen (über Vermögen) ausfüllen, rotes J im Pass. Im Oktober
1942 Verhaftung der meisten jüdischen Männer, die etwa 1 Monat lang in lagern kaserniert
werden. Am 26.10. Verhaftung der restlichen Juden, umgehende Deportation nach
Auschwitz, wo alle Frauen, Kinder und Alte sofort bei der Ankunft ermordet werden. Einige
werden später deportiert. Von etwa 800 deportierten Juden kommen etwa 30 zurück.
Ende 1942 Niederlagen Deutschlands bei Stalingrad und El Alamein.
Gesundheitliche Situation Hamsuns
Hamsun erleidet am 6.4. 1943 seinen ersten Schlaganfall (den zweiten im Winter 1944/45)
Folge: Probleme beim Sprechen und Schreiben. Er ist schon länger schwerhörig mit
progressivem Verlauf.
Politische Haltung Hamsuns
Widersprüchliche Persönlichkeit:
- Patriarch der norwegischen Literatur
- Aushängeschild der Nationalsozialisten- glaubt an Ideologie
- versucht, Opfern des Nationalsozialismus in Norwegen zu helfen ( schickt
Telegramme und Eingaben an Hitler, Goebbels, Terboven, Polizeichef Jonas Lie)
Hamsun äußert sich immer wieder positiv zum Nationalsozialismus:
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17.5.1943 in (norweg.Nazizeitung) Fritt Folk: Gruß an die NS „Ich finde, jetzt geht es
vorwärts. Die U-Boote arbeiten ja Tag und Nacht“
17.5.1943: Flug nach Berlin (Einladung von Goebbels 1941) Hamsun ist tief bewegt und
bezeichnet noch nach dem Krieg Goebbels als vornehmen Menschen, Persönlichkeit mit 6
hübschen Kindern. Hamsun sieht in ihm einen idealistischen Menschen.
Überall Huldigungen
Nahc Rückkehr sendet Hamsun Goebbels als Dank seine Nobel- Medaille
23. Juni 1943: Flug nach Wien als Ehrengast an 1. Kongress der Internationalen Presse in
Hofburg, an dem Journalisten aus Deutschland, Italien, Spanien und den von Deutschland
besetzten Ländern teilnehmen.
In seiner kurzen, auf Englisch gehaltenen Ansprache sagt Hamsun, er sei müde vom
Schreiben und zu alt zum Sprechen.
Hitlers Pressechef Dr. Otto Dietrich und Gauleiter Baldur von Schirach haben die Idee eines
Treffens Hamsun- Hitler.
Nach Erinnerungen von Hitlers Sekretärin Christa Schröder verlief dieses nicht gerade
positiv. Hamsun flog in Hitlers Privatflugzeug nach Berchtesgaden. Es gab mehrere
Dolmetscher, darunter einen, der hinter einem Vorhang verborgen alles mit stenographierte.
Hamsun will mit Hitler über Terboven (den er nicht mag) informieren, Hitler mag darüber
nicht sprechen, Unterhaltung wegen Hamsuns Schwerhörigkeit problematisch, beide
schreiben , reden aneinander vorbei, Hitler verlässt schließlich wütend den Raum. Hamsuns
letzte Worte an Hitler „Wir glauben an Sie“.
Das für den folgenden Tag angesetzte Treffen mit Goebbels wird ohne Erklärung abgesagt.
Am 29. Juni Rückflug nach Norwegen.
Hamsun schreibt an Dr. Dietrich, drückt sein Bedauern darüber aus, Hitler aufgebracht zu
haben
(keine Antwort).
Hamsun hegt für Hitler keine menschliche Sympathie, glaubt aber konsequent an seine
Ideologie.
Zum 4.Augsut 1944, Hamsuns 85. Geburtstag, kommen Glückwunschtelegramme von Hitler,
Goebbels (von beiden auch signierte Fotos), Quisling, Terboven.
Es erscheint trotz Papiermangel in Norwegen eine neue Ausgabe der gesammelten Werke
Hamsuns.
Hamsun lebt ein stilles Leben auf Nørholm.
2. Mai 1945: Hitlers Tod wird der Welt kundgetan „ gefallen im Kampf gegen den
Bolschewismus“. Hamsun verfasst unaufgefordert einen Nachruf auf Hitler (erscheint am 7.
Mai) und nennt ihn darin Krieger für die Menschheit, Verkünder des Evangeliums von recht
für alle Nationen.
Norwegen war entsetzt.
Am 8. Mai 1945 Kapitulation Deutschlands in Norwegen- Terboven begeht Selbstmord
(sprengt sich in die Luft)
9. Mai 1945 Verhaftung von Quisling und seinen Minister ( später Hinrichtungen)- offizielles
Kriegsende in Norwegen
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Nachkriegszeit
Alle 40.000 Mitglieder der NS werden verhaftet, als erste der Hamsuns Tore und Atild.
Am 11. Juni wird das Ehepaar unter Hausarrest gestellt.
12. Juni: Marie wird in Gewahrsam genommen, Knut wegen seines Alters ins Krankenhaus
nach Grimstad gebracht.
23. Juni: 1. gerichtliche Voruntersuchung, bei der Hamsun aussagt, nichts von den NaziGräueltaten gewusst zu haben- aber gleichzeitig zu dem steht, was er zum
Nationalsozialismus in Fritt Folk und Aftenposten veröffentlicht hat.
22. September 1945 erneute Vorladung Hamsuns, aber Vertagung.
Hamsun ist ein Problem für die Anklage- Nobelpreisträger und Nazi??? Anklage wegen 1.
Landesverrats 2. Anstiftung zu strafbaren Handlungen wird in Betracht gezogen, aber am
13.10. schaltet die Staatsanwaltschaft den Psychiater Dr. Gabriel Langfeldt als Gutachter ein,
um Hamsuns Geisteszustand zu beurteilen und seine Fähigkeit, den Prozess durchzustehen.
Hamsun kommt am 14. 10. in Langfeldts Klinik. Langfeldt äußert Zweifel, ob Hamsun
Prozess durchstehen kann, und empfiehlt ausgiebige Untersuchung (zusammen mit 2. Arzt
Ødegaard) was zu 4 Monaten Klinikaufenthalt führt. „Kampf“ zwischen den Psychiatern und
Hamsun
Bericht der Psychiater:
1. Hamsun ist nicht geisteskrank
2. Hamsuns geistige Fähigkeiten sind nachhaltig geschwächt. Es bestehe keine Gefahr
für eine Wiederholung seiner Handlungen
11. Februar 1946: Hamsun wird entlassen, geht aber nicht nach Nørholm, sondern in
Altersheim nach Landvik, wo ihn Marie besucht, was er ablehnt.
18. Februar: oberster Ankläger lässt Anklage gegen Hamsun fallen, da kein öffentliches
Interesse daran bestehe. Hamsun sei 87 Jahre alt, nachhaltig geistig geschwächt, so gut wie
taub.
Hamsun wird aber wegen Mitgliedschaft in NS angeklagt und zu Wiedergutmachung
verurteilt, obwohl Mitgliedschaft nicht nachweisbar ist (auch später nicht).
Der durch die NS angerichtete Schaden wird auf insgesamt 300 Millionen NOK beziffert, von
Hamsun könnte ½ Million gefordert werden.
Langfeldt schaltet sich ein, weist auf fehlende Zurechnungsfähigkeit hin.
Vorerst gab es keine definitive Entscheidung, schließlich Festsetzung der Geldstrafe auf
425.000 NOK.
Rückkehr nach Nørholm ( Marie erst 1950 auf Bitte Hamsuns)
Marie kam am 24. September 1945 vor Gericht, wurde unter Anrechnung der
Untersuchungshaft zu 3 Jahren Zwangsarbeit und einer Geldbuße von 75.000 NOK verurteilt
plus zu einer Entschädigung von 150.000 NOK.
Hamsun war zahlungsunfähig, seine Bücher wurden im Krieg und danach nicht verkauft.
(1947 in Norwegen: 50 Exemplare der gesammelten Werke, 64 von Markens Grøde, 38 von
Sult, 38 von Det vilde Kor, nichts im Ausland).
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Hamsun betont immer wieder in Briefen an Freunde und Bekannte, sein persönliches
Schicksal sei ihm egal, hat fatalistische Einstellung- sorgt sich aber um die Kinder, für die er
nichts tun kann.
Paa gjengrodde Stier (1949; Auf überwachsenen Pfaden)
Seit der Verlegung im Mai 1945 in das Krankenhaus in Grimstad bis zum
Berufungsverfahren im Juni 1948 – also 3 Jahre lang- führt Hamsun Tagebuch, z.T. in
Psychiatrie im Geheimen (schreibt zwischen Zeilen von Büchern) und verarbeitet das
Manuskript zu einem Buch. Harald Grieg, Chef von Norsk Gyldendal, erkannt die Qualität
und veröffentlicht es, verhindert aber erst einmal Weitergabe ins Ausland und terminiert das
Erscheinen so, dass es nicht am 4. Augsut zum 90. Geburtstags Hamsuns auf den markt
kommt, sondern erst am 28. September 1949.
Paa gjengrodde Stier ist ein Tagebuch (kein historischer Bericht!) subjektiv, Ich-Form
Stil ist flüssig, schlicht, humorvoll, selbstironisch – erinnert etwas an Wanderer-Trilogie
(1906-09). Beweist, dass Hamsun nicht geistig geschwächt war
Thema: persönliche Einsamkeit- tragisches Element (auch in Sult und Mysterier).
Das Buch ist ein enormer Erfolg, es muss immer wieder nachgedruckt werden, weil die
Auflagen ( 5000 Stück, dann 7000) schnell vergriffen sind.
1950 : eine schwedische Übersetzung und drei deutsche
Hamsuns letzte Jahre
Nach Maries Rückkehr kommentiert Hamsun, sie sei lange weg gewesen und er habe außer
Gott niemanden zum Reden gehabt. Sie pflegt ihn bis zum Tod.
Die finanzielle Lage bessert sich allmählich etwas.
Die Hmasuns haben kaum Kontakt nach außen, nur Hamuns Anwältin Sigrid Stray besucht
ihn auf Nørholm. Im März 1951 bringt sie ihm den Gyldendal- Katalog, in dem eine
Neuauflage seiner Werke angekündigt wird, was ihn sehr freut.
Hamsun hat einmal angegeben, das Schlimmste für ihn sei zu sterben (Umfrage von
Gyldendal).
Hamsun stirbt – ruhig einschlafen- am 19. Februar 1952.
Hamsuns Persönlichkeit
Zum Psychiater Langfeldt sagte Hamsun über sich selbst, er sei wie die Gestalten aus seinen
Werken: keine Person mit geradlinigen, dominierenden Eigenschaften, sondern gespalten und
zusammengesetzt… gut und böse gleichzeitig, wechselhaft in Wesen und Handlungen.
Hamsun ist ein Paradoxon, auch im Hinblick auf den Nationalsozialismus:
Nationalsozialismus
Kein Humor
Verachtung des Lebens
Gehorsam, Uniformität
Hamsun
Humor und Selbstironie
Zwar desillusioniert, aber ohne Hass
Glühender Individualist
Knut Hamsun war ein außergewöhnlicher, nicht klassifizierbarer Mensch.
Als Dichter steht er in der ersten Reihe der großen Autoren des 20. Jh.
Er war innovativ im Stil, beeinflusste fast alle europäischen und amerikanischen
Schriftsteller.
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Seine Werke sind nicht nationalsozialistisch trotz Antipathie gegen England und
Antisemitismus.
Seine Themen: Rätsel des menschlichen Lebens, Naturverbundenheit
Hinweise zur Prüfung:
Es müssen nicht alle Werke in chronologischer Reihenfolge gekonnt werden und nicht alle
Daten.
Wichtig:
Durchbruch mit Sult 1890
Myterier
Pan
Victoria
Markens Grøde (Nobelpreis 1920)
Wanderer-Romane
Segelfoss-Romane
Ringen sluttet
Paa gjengrodde stier
Etwas über frühe Romane
Daten: Lebensdaten
Ehen
Nobelpreis
Auslandsreisen ( v.a. USA- Fra det moderne Amerikas Aandsliv)
Themen: Liebe, Natur, menschliche Seele usw.
Hamsun und Nationalsozialismus
Hamsun und Okkupation
Hamsun und Antisemitismus
Hamsun und England
Hamsun und Marie bzw. Frauen generell
Personen wie Quisling, von Ossietzky, Dr. Lagerfeld
1. Prüfungstermin am 31. Jänner, die weiteren werden noch festgelegt und ins Internet gestellt
und sind dann auch bei Frau Ritter zu erfahren.
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