Gerechtigkeit zwischen Generationen als sozialethische

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1
Joachim Wiemeyer
Gerechtigkeit zwischen Generationen als sozialethische Herausforderung
Einleitung
Seit der Antike sind in der philosophischen und theologischen Ethik immer wieder
Gerechtigkeitsfragen thematisiert worden.1 Dabei haben sich die Gerechtigkeitskategorien
angesichts geänderter gesellschaftlicher Verhältnisse und Herausforderungen gewandelt. In
den vormodernen europäischen Gesellschaften wurden drei zentrale Gerechtigkeitskategorien
herausgestellt: die Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa), die Gesetzesgerechtigkeit
(iustitia legalis) und die Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva).2 Während die
Tauschgerechtigkeit Anforderungen des gerechten Austausches auf der gleichgeordneten
Ebene, etwa im Handel zwischen zwei Akteuren, definierte, umfasst die legale Gerechtigkeit
die Beziehung des Einzelnen zum Gemeinwesen, nämlich die der Einhaltung der Gesetze,
etwa der Steuerpflicht. Die distributive Gerechtigkeit betrifft dann die Frage, wie ein
Gemeinwesen, der Staat, die einzelnen Bürger behandelt und ihnen nach Bedarf Leistungen
zukommen lässt.
Westeuropäische Gesellschaften haben sich durch die Aufklärung, die französische
Revolution und die industrielle Revolution seit etwa 1800 grundlegend gewandelt. Zunächst
versuchte die Ethik durch Weiterentwicklung der drei traditionellen Gerechtigkeitskategorien
auch den neuen Bedingungen gerecht zu werden. Es kam aber angesichts der sozialen
Herausforderungen im Gefolge der Industrialisierung mit der Forderung nach „sozialer
Gerechtigkeit“ eine neue Gerechtigkeitskategorie auf. Während die drei traditionellen
Gerechtigkeitskategorien von einer gegebenen Gesellschaftsordnung ausgehen und das
gerechte Verhalten innerhalb vorgegebener Strukturen thematisieren, bezieht sich die „soziale
Gerechtigkeit“ auf die gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen selbst. Sie fragt nach
der Teilhabe aller Bürger an den materiellen Möglichkeiten der Gesellschaft, an individuellen
Lebenschancen
und
am
gesellschaftlichen
Geschehen
einschließlich
der
Entscheidungsprozesse.
Von Kritikern wie dem liberalen Ökonomienobelpreisträger Friedrich August von Hayek3 ist
der Kategorie der „sozialen Gerechtigkeit“ vorgeworfen worden, sie sei ein Instrument im
politischen Meinungsstreit, das mit beliebigen Inhalten gefüllt werden kann, tatsächlich aber
dazu diene, die eigenen Interessen mit einem wohlklingenden Wort zu untermauern. In der
Christlichen Sozialethik hat man aber aufgrund solcher Kritik den Begriff nicht aufgegeben4,
weil man das dahinter stehende Anliegen für unverzichtbar hält. Man gebraucht „soziale
Gerechtigkeit“ aber eher als Oberbegriff und versucht, diesen durch verschiedene
Gerechtigkeitskategorien zu präzisieren. Die erste und grundlegende Gerechtigkeitskategorie
ist die Teilhabegerechtigkeit. Sie fragt danach, ob es in einer Gesellschaft Personen gibt, die
vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Ein Verstoß gegen Teilhabegerechtigkeit
war es etwa, als das Stimmrecht in westeuropäischen Staaten im 19. Jh. auf 10-20% der
steuerzahlenden männlichen Bürger beschränkt war und dort die besitzlosen Arbeiter
ausgeschlossen waren. Ebenso galt dies für Frauen, die z.B. in Deutschland erst 1919 das
1
Otfried Höffe, Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung, München 2001.
Vgl. Kardinal Joseph Höffner, Christliche Gesellschaftslehre. 4. Aufl. der Studienausgabe, Kevelaer 1983, S.
71ff.
3
Vgl. Friedrich A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit,
Landsberg a. L. 1981.
4
Vgl. Arnd Küppers, Soziale Gerechtigkeit im Verständnis der Katholischen Soziallehre, in: Anton Rauscher
(Hg.), Handbuch der Katholischen Soziallehre, Berlin 2008, S. 165-174.
2
2
aktive wie passive Wahlrecht erhielten. Solche Verstöße gegen die Teilhabegerechtigkeit
können sich auch auf nationale oder religiöse Minderheiten, Zuwanderer etc. beziehen. Wegen
der Verweigerung der Teilhabegerechtigkeit trennten sich 1776 die nordamerikanischen
Kolonien vom englischen Mutterland, weil sie nicht im Londoner Parlament vertreten waren,
aber trotzdem Steuern zahlen sollten. Sie forderten unter dem Motto „No taxation without
representation“ Teilhabegerechtigkeit ein und erklärten sich nach dessen Ablehnung für
unabhängig.
Die zweite Gerechtigkeitskategorie ist die Leistungsgerechtigkeit5, die eine
Weiterentwicklung der Tauschgerechtigkeit darstellt, indem sie nicht nur den einzelnen
Tausch, sondern ausdrücklich auch strukturelle Marktbedingungen, wie die Stärke von
Marktseiten (etwa Arbeitnehmer im Verhältnis zu Arbeitgebern), in den Blick nimmt. Die
dritte Gerechtigkeitskategorie ist dann die Chancengerechtigkeit. Wenn in modernen
Gesellschaften Einkommen, Vermögen und gesellschaftliche Positionen nach individueller
Leistung vergeben werden, sind gerechte Chancen in einem solchen Leistungswettbewerb
zentral. Unter den Bedingungen der heutigen Wissensgesellschaft kommt unter dem
Gesichtspunkt der Chancengerechtigkeit den Bildungschancen eine Schlüsselrolle zu.
Chancengerechtigkeit hat aber innerhalb des Unternehmenssektors in der Hinsicht Bedeutung,
ob sich Unternehmen neu gründen und am Markt etablieren können. Hier kann der Staat die
Chancengerechtigkeit fördern, indem er neuen Kleinunternehmen bei der
Unternehmensgründung durch Beratung und zinsgünstige Kredite hilft.
Die vierte Gerechtigkeitskategorie ist die Bedarfs- bzw. Bedürfnisgerechtigkeit. Alle
Menschen haben als Menschen unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistung und dem
erzielten Einkommen das Recht auf materielle Existenzsicherung. Dies betrifft die
Vermeidung von Einkommensarmut sowie den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die
europäische Union definiert dabei kein absolutes Existenzminimum, sondern ein relatives.
D.h. mit wachsendem Wohlstand der einzelnen Gesellschaft steigt dieses Existenzminimum
an. In der EU ist vor einiger Zeit die relative Armutsgrenze von 50 auf 60% des
Durchschnittseinkommens angehoben worden. Nach dem letzten Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2005 gelten im Sinne dieser Festlegung
etwa 13,2% der Bewohner Deutschland als relativ arm. Die Erstellung eines amtlichen
Armuts- und Reichtumsbericht geht auf eine Forderung des gemeinsamen Sozialworts beider
großer deutscher Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“6 (Nr. 219)
zurück.
Weniger gebräuchlich ist noch eine fünfte Gerechtigkeitskategorie als Konkretion der
„sozialen Gerechtigkeit“, die ich hier ausdrücklich anführen möchte. Dies ist die Steuer- bzw.
Finanzierungsgerechtigkeit. Sie betrifft die Frage, wie die materiellen Lasten des
Gemeinwesens gerecht auf alle Bürger zu verteilen sind, wobei die durch höhere Einkommen
bzw. Vermögen leistungsfähigeren Personen überproportional zur Finanzierung herangezogen
werden sollen. Eine progressive Einkommenssteuer ist ethisch geboten. Hingegen muss das
Existenzminimum für Einzelne wie für Familien steuerfrei bleiben. Fragen der
Finanzierungsgerechtigkeit können auch bei der Verteilung der Schuldenstreichungen für
Entwicklungsländer oder bei der Finanzierung europäischer Institutionen (EU) oder
internationaler Organisationen (Internationaler Währungsfonds, Weltbank) eine Rolle spielen.
5
Vgl. Joachim Wiemeyer, Europäische Union und weltwirtschaftliche Gerechtigkeit, Münster 1998, S. 76f.
Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und
der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Eingeleitet und
kommentiert von Marianne Heimbach-Steins und Andreas Lienkamp, München 1997.
6
3
Alle diese Gerechtigkeitsformen sind synchrone Gerechtigkeitskategorien, die die
Gerechtigkeit innerhalb eines Zeitraumes thematisieren. Neu ist die Gerechtigkeitsfrage, die
diachron ist, also die Gerechtigkeit zwischen zwei weiter auseinander liegenden Zeitpunkten
betrachtet und fragt, ob die gesellschaftlichen Verhältnisse eine Generation begünstigt, andere
Generationen aber benachteiligt haben.7 Hat eine Generation einer anderen nachfolgenden
Generation Lasten aufgebürdet und sich selbst begünstigt?
Solche Fragen der Generationengerechtigkeit sind vor allem durch die technischen
Möglichkeiten der Industriegesellschaft mit ihren weitreichenden Eingriffen in die Natur
aufgekommen: den Raubbau von Rohstoffen, der Umweltzerstörung, der Ablagerung von
Schadstoffen etc. Weil diese zeitlichen Gerechtigkeitsfragen in die bisherigen
Gerechtigkeitskategorien nicht mehr einordbar waren, wurde die Generationengerechtigkeit
als neue Gerechtigkeitskategorie formuliert. Man findet auch die Begriffe „intergenerationelle
Gerechtigkeit“ oder die „Zukunftsgerechtigkeit.“8
Im Folgenden wird gemäß dem in der Soziallehre der katholischen Kirche (Johannes XXIII.,
Enzyklika Mater et magistra, 1961, Nr. 236 u. Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima
adveniens, 1971, Nr. 4). verbreiteten Drei-Schritt „Sehen - Urteilen - Handeln“ vorgegangen.
Das bedeutet, dass in einem ersten Abschnitt Probleme der Generationengerechtigkeit
analysiert werden. Im zweiten Schritt erfolgt eine ethische Überlegung. Im dritten Schritt
werden Ansatzpunkte für mehr Generationengerechtigkeit aufgezeigt.
Zuvor sei noch kurz auf den Generationenbegriff eingegangen. Dieser ist in der
Mikroperspektive zunächst in Familien gebräuchlich, wenn zwischen Großeltern, Eltern und
Kindern als jeweils einer eigenen Generation unterschieden wird. In politischer Hinsicht wird
in einer gesellschaftlichen Makroperspektive von Generationen gesprochen, wenn sie durch
gemeinsame Erlebnisse geprägt wurden wie die Generation, die den 2. Weltkrieg bewusst
erlebt hat, oder die 68er Generation sowie die 89er Generation9. 20 Jahre nach dem Ende der
kommunistischen Herrschaft in Polen und dem Fall der Berliner Mauer ist eine Generation
herangewachsen, die den kalten Krieg, ein geteiltes Deutschland und die zentralgelenkten
Volkswirtschaften des Ostblocks nicht mehr erlebt hat. Bei den nachstehenden Überlegungen
steht aber ein dritter Generationenbegriff im Vordergrund, der eine Gesellschaft idealtypisch
in Generationen von ca. 30 Jahren aufteilt und jeweils fragt, ob gesellschaftliche
Entwicklungen und gesellschaftliche Institutionen bestimmte Generationen bevorzugen oder
benachteiligen. Dieser dritte Generationenbegriff ist vor allem in einer ökonomischen
Modelbetrachtung üblich.
I. Gerechtigkeitsfragen zwischen Generationen
Im Folgenden ist eine Reihe von Sachproblemen zu beschreiben, die mit wesentlichen
Gerechtigkeitsfragen zwischen Generationen zu tun hat: Fragen der Generationengerechtigkeit
sind zuerst und am intensivsten anhand der Umweltproblematik diskutiert worden.
Menschliches Wirtschaften ist immer und unvermeidbar mit Eingriffen in die Schöpfung
7
Vgl. zu dieser Unterscheidung auch die katholisch-sozialethische Dissertation: Werner Veith,
Intergenerationelle Gerechtigkeit. Ein Beitrag zur sozialethischen Theoriebildung, Stuttgart 2006. Weiterhin
generell zu der Thematik: Johannes Eurich, Peter Dabrock, Wolfgang Maaser (Hg.), Intergenerationalität
zwischen Solidarität und Gerechtigkeit, Heidelberg 2008 (Festgabe f. den evangelischen Ethiker Christopher
Frey). Aus der Sicht der philosophischen Ethik: Andrea Heubach, Generationengerechtigkeit - Herausforderung
für eine zeitgenössische Ethik, Göttingen 2008.
8
Vgl. Joachim Wiemeyer, Gerechtigkeit zwischen Generationen als wirtschaftsethisches Problem, in: Ethica 12.
Jg. (2004), 71-94.
9
Bernd Weisbrod, Generation und Generationalität in der Neuen Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte
8/ 2005 v. 21.2.2005, 3-9.
4
verbunden. Dabei wird die Natur als Rohstofflager wie als Medium der Ablagerung von
Schad- und Reststoffen benutzt. Umkippen von Flüssen, Seen oder Meeren sowie die
Schadstoffbelastung der Luft sind die Folge. Global gilt vor allem die C02-Anreicherung der
Atmosphäre als das schwerwiegendste Problem.10 Die Endlagerung von Abfallstoffen, vor
allem chemisch oder radioaktiv belasteten Stoffen, wirft weitere Fragen auf. Dabei gilt die
atomare Endlagerung wegen der zeitlich weit reichenden Folgen als besondere
Herausforderung.
Ein zweites Umweltproblem liegt darin, dass regenerative Ressourcen (Wälder, Tierbestände
wie Fische in den Weltmeeren etc.) über ihre natürliche Regenerationsfähigkeit hinaus genutzt
werden. Wenn Tier- und Pflanzenarten sogar ganz ausgerottet werden, werden nachfolgende
Generationen vollständig von deren Nutzung ausgeschlossen. Manche ausgerottete pflanzliche
Arten hätten sich in Zukunft, z. B. als Arzneimittel, noch als wertvoll erweisen können. Die
Nutzungsmöglichkeiten nachfolgender Generationen werden eingeschränkt.
Fossile Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle sind erdgeschichtlich in mehreren Millionen von
Jahren entstanden. Gegenwärtig werden sie in einer solchen Geschwindigkeit verbraucht, dass
zumindest Erdöl und Gas nur noch von einer oder zwei zukünftigen Generationen genutzt
werden können. Viele Länder, wie Russland, exportieren ihre fossilen Brennstoffe und
importieren dafür Konsumgüter. Damit wird ein Kapital des Landes von den gegenwärtigen
Generationen ohne Vorteile für zukünftige Generationen verbraucht. Hingegen sammelt
Norwegen seine Öleinnahmen in einem großen Staatsfonds an, der weltweit investiert und
damit das Vermögen nachfolgenden Generationen sichert. Lediglich die Gewinneinnahmen
werden dort für öffentliche Ausgaben genutzt.
Im ökonomischen Bereich ist eine Lastverschiebung auf kommende Generationen durch die
Aufnahme von Staatsschulden im Ausland möglich, die erst spätere Generationen abbezahlen
müssen. In der Periode der Schuldenaufnahme kann man mehr, in der Zeit der Abzahlung der
Schulden weniger Güter importieren. So kann die jetzige Generation Lasten in die Zukunft
verschieben. Bei Inlandsschulden ist die ethische Problematik geringer, weil nachfolgende
Generationen die Forderungen (z. B. Staatsanleihen) erben, als Staatsbürger aber für die
Schulden aufkommen müssen. Auf der Ebene der Generationen gleicht sich dies auf, nicht
jedoch als Verteilung innerhalb der Generationen, weil diejenigen, die Steuern für die
Staatsschulden zahlen nicht identisch mit denjenigen sein können, die die Zinsen für die
Staatsschulden erhalten.
Die wirtschaftliche Prosperität eines Landes hängt wesentlich auch von der Infrastruktur ab:
von Straßen, dem Schienen- und Kanalnetz, den Energieleitungen etc. Heutige Generationen
profitieren von der Errichtung der Infrastruktur, die teilweise - wie beim Schienenweg oder
beim Kanalbau, bei U-Bahn-Netzen - 100 und mehr Jahre zurückliegt. Eine gegenwärtige
Generation kann Investitionen in den Unterhalt und den Ausbau der Infrastruktur
vernachlässigen, um selbst mehr zu konsumieren. Um einen Zusammenbruch der Infrastruktur
zu verhindern, müssen nachfolgende Generationen dann erheblich investieren. In praktisch
allen ehemaligen sozialistischen Ländern ist die Infrastruktur stark vernachlässigt worden,
ebenso die Erhaltung des Wohnungsbestandes.
Fragen der Generationengerechtigkeit hängen auch mit der Bevölkerungsentwicklung und den
sozialen Sicherungssystemen zusammen. Deutschland wie Polen haben eine schrumpfende
inländische Bevölkerung, weil die Zahl der Sterbefälle die Zahl der Geburten übersteigt. In
10
Vgl. Die deutschen Bischöfe, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen, Kommission Weltkirche
Nr. 29,, Der Klimawandel: Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit. Ein
Expertentext zur Herausforderung des globalen Klimawandels, Bonn 2006. Vgl. auch Amosinternational Heft 1/
2009, Schwerpunktthema Klimawandel.
5
Deutschland sinkt die inländische Bevölkerung seit 1972. Bisher ist dies durch Zuwanderung auch aus Polen - aufgefangen worden. Mittlerweile ist die Geburtenziffer Polens mit 1,27
Kinder11 pro Frau unter die Ziffer Deutschlands mit 1,37 Kindern gesunken. Vermutlich
entspricht die Ziffer deutscher Frauen dem polnischen Wert. Die höhere Zahl ist durch die
höhere Geburtenziffer bei Migrantinnen zurückzuführen. Wenn man nicht mehr wie in den
vergangenen Jahrhunderten die Bevölkerungszahl danach betrachtet, ob dem Militär genug
Rekruten zur Verfügung stehen, stellt die Bevölkerungsentwicklung vor allem ein Problem
sozialer Sicherungssysteme, insbesondere der Renten-, der Kranken- und der
Pflegeversicherung, dar. Immer weniger Beitragszahler müssen immer mehr Rentner
versorgen. In Deutschland hat man deshalb die staatlichen Renten gleitend um 25-30%
gekürzt, um den Anstieg der Belastungen für die kommenden Generationen zu beschränken.
Die Probleme werden ab 2020 einsetzen und sich ab 2030 verschärfen. Diese Kürzung betrifft
Personen ohne Kinder praktisch genauso wie Familien mit Kindern, die ihre Leistung für die
Funktionsfähigkeit des Generationenvertrages erbracht haben.
Die letzte Dimension, die hier angeführt werden soll, betrifft Bildung und Erziehung. Wenn
eine junge Generation schon zahlenmäßig kleiner wird, sollte diese zumindest optimale
Bildungschancen erhalten. Das deutsche Bildungssystem weist aber erhebliche Mängel auf,
weil nicht alle Kinder (z. B. aus sozial schwächeren Schichten und Kinder mit
Migrationshintergrund) optimal gefördert werden.12 Die Zahl der Schulabbrecher ist hoch.
Auch Schüler mit abgeschlossener Schulausbildung erhalten keinen Ausbildungsplatz. Viele
Auszubildenden brechen die Ausbildung, viele Studierende ihr Studium ohne Abschluss ab.
Auch bei denjenigen, die Schule und Hochschule erfolgreich absolvieren, stellt sich die Frage,
ob sie nicht noch besser hätten gefördert werden können. Die Frage der Bildung darf aber
nicht auf beruflich-funktionelle Wissensvermittlung beschränkt werden. Gerade die
christlichen Kirchen haben in Deutschland immer wieder - auch im Sinne der humanistischen
Tradition - auf eine ganzheitliche Bildung hingewiesen. Diese umfasst dann im Sinne der
Persönlichkeitsbildung nicht nur Sport, Kunst und Kultur, Politik, sondern auch die Religion
und die Vermittlung von Werten. Daher ist der Religionsunterricht an staatlichen Schulen und
kirchlichen Privatschulen wichtig. Religionsunterricht ist dazu als gleichberechtigtes
Unterrichtsfach anzusehen, wenn er - wie in fast allen Teilen Deutschlands - von den Schülern
auch als Prüfungsfach im Abitur gewählt werden kann. Zwar muss jede neue Generation
letztlich freiwillig einen religiösen Glauben und bestimmte Werte annehmen. Es ist aber
Verpflichtung der älteren Generation dieser dafür hinreichende Chancen zu bieten. Im
Rahmen des 40-jährigen „Jubiläums“ der Studentenunruhen der 68er mit ihrer
neomarxistischen Welle gab es in Deutschland eine Debatte darüber, in welchem Umfang die
Weitergabe von Werten (auch religiösen Werten) durch die Verbreitung der Ideen der 68er
geschwächt wurde.
Mit diesen Sachverhalten ist deutlich geworden, dass es Fragen gibt, die das Verhältnis der
Gerechtigkeit zwischen Generationen betreffen. Dies kann faktisch immer nur
zukunftsgerichtet sein, weil innerweltliche Fragen der Gerechtigkeit zwischen Generationen
rückwärts nicht rückwirkend abgegolten werden können. So können wir, wenn wir heute von
Leistungen verstorbener Vorfahren profitieren, diesen es in dieser Welt nicht mehr entgelten,
genauso wenig wie uns möglicherweise zukünftige Generationen, die wir durch unser
Verhalten geschädigt haben, nicht mehr sanktionieren können. Das Christentum enthält aber
eine Perspektive, die über die Dauer des irdischen Lebens hinausgeht, rückwärts etwa in der
11
Stanislaw Fel, Sozialethik in Polen. Geschichte und aktuelle Bedeutung, in: Amosinternational 1/ 2009, S. 5861, hier 58.
12
Vgl. vbw-Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e.V. (Hg.), Bildungsgerechtigkeit, Jahresgutachten 2007,
Wiesbaden 2007.
6
Verehrung von Heiligen (dies gilt im gewissen Sinne auch im Protestantismus, wenn man an
die Rolle des im April 1945 von den Nationalsozialisten hingerichteten Theologen Dietrich
Bonhoeffer im deutschen Nachkriegsprotestantismus denkt), vorwärts im Sinne des schon
angebrochenen, aber noch nicht vollendeten Reiches Gottes. Das Christentum enthält die
Hoffnung, dass bei der Rückkehr Christi am Ende der Zeit den Opfern und ungerecht
Leidenden der Geschichte Gerechtigkeit widerfährt und das die nach rein innerweltlichen
Maßstäben vermeidlichen Sieger der Geschichte, die ihren Sieg auf Kosten anderer Menschen
errungen haben, zur Rechenschaft gezogen werden.
II. Ethische Überlegungen
Gegen
das
Bestreben,
„Generationengerechtigkeit“
als
eine
zentrale
Gerechtigkeitsherausforderung der Gegenwart anzusehen, könnte ein Einwand lauten: Warum
soll es überhaupt oder in größerer Zahl menschliches Leben auf dieser Erde geben? Warum
soll man die Umwelt nicht schädigen, die Natur verbrauchen. Der Mensch könnte wie
Dinosaurier und Millionen andere pflanzliche und tierische Arten der Erdgeschichte
aussterben.13
Gegen eine solche Position wird ein Christ den Einwand erheben, dass das Ende der
Menschheit auf der Erde bzw. der Erde insgesamt nicht von Menschen bewusst herbeigeführt
werden darf. Das Ende ist vielmehr in das göttliche Ermessen gestellt. Die Menschen haben
ihr Leben untereinander sowie ihr Verhältnis zur außermenschlichen Schöpfung so
einzurichten, dass dauerhaft menschliches Leben auf der Erde möglich ist. Selbst wenn man
den christlichen Glauben nicht teilt, müsste man sein eigenes Leben als sinnlos erfahren und
eigentlich wünschen, nicht geboren zu sein, wenn man gegenüber zukünftigem menschlichen
Leben auf der Erde gleichgültig wäre und sein Ende gar bewusst in Kauf nimmt. Wenn man
aber davon ausgeht, dass die Mehrzahl der Menschen ihr Leben als sinnvoll und lebenswert
erfährt, sollten sie auch für zukünftiges menschliches Leben auf der Erde eintreten.
Die Menschenrechtsidee der modernen Gesellschaft beruht auf der Anerkenntnis der gleichen
Würde aller Menschen. Eine solche gleiche Würde wird man auch zukünftigen Generationen
zugestehen. Die Anerkenntnis der gleichen Würde führt zu der Frage der Gerechtigkeit des
eigenen Verhaltens aus der Sicht zukünftiger Generationen. So könnte man versuchen, sich in
die Lage zukünftiger Generationen zu versetzen und zu fragen, ob diese in späterer Zeit das
eigene Verhalten als gerecht ansehen oder etwa als ungerecht, weil man viele Ressourcen
verbraucht oder Teile der Umwelt unwiderruflich geschädigt hat.
Wenn man so grundsätzlich die Berechtigung der Frage der Generationengerechtigkeit
anerkennt, stellt sich im christlichen Kontext zunächst die Frage nach biblischen
Anknüpfungspunkten. So ist das Generationenverhältnis bereits im vierten Gebot des Dekalog
behandelt worden: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebest in dem Land,
das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ (Ex 20,12 bzw. Dtn 5,21). Entgegen einer langen in der
christlichen Tradition vorherrschenden Interpretation des Gehorsams gegen Eltern und andere
Autoritäten, war es der ursprüngliche Sinn der Vorschrift, die aktive erwerbstätige Generation
aufzufordern, ihre alten und hilfsbedürftigen Eltern rücksichtsvoll zu behandeln. Darauf weist
Kardinal Lehmann mit Hinweis auf die überwiegende Auffassung der gegenwärtigen
Exegeten hin.14
13
Der utilitaristische Ethiker Dieter Birnbacher hält dies unter bestimmten Bedingungen für ethisch
wünschenswert. Vgl. dazu Heubach, a.a.O., S. 162.
14
Vgl. Kardinal Lehmann, Zusammenhalt und Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung zwischen den
Generationen, in: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 24, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz, Bonn 2003, S. 20f.
7
In der katholischen Sozialethik ist es Tradition, dass sie nach dem Motto des Apostel Paulus
„Prüft alles, und behaltet das Gute“ (1. Thess 5,21) philosophische Strömungen aufgreift und
überprüft, ob und wieweit sie rezipiert werden können. Dies hat z. B. Thomas von Aquin bei
der Rezeption der Schriften des Aristoteles getan. In der modernen philosophischen
Gerechtigkeitsdiskussion haben besonders die Schriften von John Rawls15 besondere
Resonanz gefunden. In seiner berühmten „Theorie der Gerechtigkeit“ thematisiert Rawls auch
Fragen der Generationengerechtigkeit.
Dabei bedient sich Rawls eines Gedankenexperiments. Menschen sollen Grundsätze der
Gerechtigkeit, also auch Grundsätze der Generationengerechtigkeit, in einem Urzustand
festlegen, ohne dass sie wissen, welche soziale Stellung sie in der Gesellschaft einnehmen, für
die sie die Gerechtigkeitsgrundsätze formulieren. Bei der Frage der Generationengerechtigkeit
kann man die rawls´sche Position so modifizieren, dass die Grundsätze der
Generationengerechtigkeit m Urzustand unter einem „Schleier des Nichtwissens“ und ohne
Kenntnis der Generation festgelegt werden, der man angehört. Man wird dann einen
Gerechtigkeitsgrundsatz festlegen, der weder im Rahmen der menschlichen
Kulturentwicklung frühere und sehr arme Generationen zwingt, zugunsten der Besserstellung
nachfolgender Generationen erheblichen Konsumverzicht zu leisten. Noch wird man früheren
Generationen einen Raubbau an Rohstoffen und der Natur erlauben, die nachfolgende
Generationen schädigt. Man wird vielmehr für eine Kapitalbildung und einen Umgang mit
Ressourcen plädieren, die zu einer schrittweisen Besserstellung kommender Generationen
führen.
Während in der ethischen Debatte manche Autoren16 dafür plädieren, dass wir kommenden
Generationen lediglich menschenwürdige Lebensbedingungen schulden, die materiell aber
erheblich unter dem jetzigen Wohlstand westlicher Industrienationen liegen dürfen, plädiere
ich im Sinne der Kulturentwicklung der Menschen dafür, auf eine tendenzielle Besserstellung
abzuzielen. Welche Generation sollte unter welcher Voraussetzung das Recht haben, aus der
Kulturentwicklung auszusteigen?17 Diejenigen, die lediglich für das Recht menschenwürdiger
Lebensbedingungen für zukünftige Generationen plädieren, können m. E. dafür kein
plausibles Kriterium benennen.
Im Kontext der ethischen Fragen der Generationengerechtigkeit gibt es noch zwei weitere
Probleme: Wieweit kann man überhaupt voraussehen, ob das eigene Verhalten kommende
Generationen schädigt oder gar begünstigt? Da die Entwicklung menschlicher Gesellschaften
gerade wegen der Innovationsfähigkeit und Kreativität der Menschen offen ist, ist eine
längerfristige Voraussicht nicht möglich. Die mangelnde Voraussicht spricht dafür, ein
Vorsichtsprinzip gelten zu lassen sowie zweitens keine irreversiblen Maßnahmen (z. B. die
vollständige Erschöpfung von Rohstoffen, vollständige Ausrottung ganzer Arten) zu treffen.
Es gilt das Gebot, möglichst eine Revisionsoffenheit anzustreben.
Ein zweites Problem ist, ob man bei der Bewertung zukünftiger Güter eine Diskontierung
(eine Abzinsung und damit Abwertung zukünftiger Ressourcen) vornehmen darf oder ob dies
der Gleichbehandlung kommender Generationen widerspricht. Hier wird für eine vorsichtige
Diskontierung argumentiert, weil technischer Fortschritt es kommenden Generationen
15
Vgl. John Rawls, Theory of justice, Cambridge / Mass. 1971. Dazu auch: Wolfgang Kersting, John Rawls zur
Einführung, Hamburg 1993, zur intergenerationellen Gerechtigkeit dort, S. 143-149. Andrea Heubach behandelt
neben Rawls auch Hans Jonas, Dieter Birnbacher und Felix Eckhardt als philosophische Ethiker, die sich mit
Fragen der Generationengerechtigkeit auseinandergesetzt haben.
16
Vgl. etwa Angelika Krebs, Wieviel Natur schulden wir der Zukunft? Eine Kritik am zukunftsethischen
Egalitarismus, in: Dieter Birnbacher / Gerd Brudermüller (Hrsg.) Zukunftsverantwortung und
Generationensolidarität, Würzburg 2001, S. 157-183.
17
Vgl. Joachim Wiemeyer, Gerechtigkeit zwischen Generationen als wirtschaftsethisches Problem, S. 71-94.
8
möglich macht, z. B. mit weniger Benzin als heute identische Mobilität zu erreichen. Man
darf entsprechend des Vorsichtsprinzips aber den technischen Fortschritt nicht zu optimistisch
ansetzen.18
Wenn man diese Überlegungen hinsichtlich der Umwelt- und Ressourcenproblematik
konkretisiert, weil bei diesen Fragen die Generationengerechtigkeit am intensivsten diskutiert
worden ist, lassen sich folgende Gesichtspunkte19 festhalten:
 Umweltmedien, wie Gewässer, die Luft etc., dürfen nicht so mit Schadstoffen belastet
werden, dass ihre Aufnahmefähigkeit und natürliche Selbstreinigungsfähigkeit überfordert
wird, so dass es etwa zum Umkippen von Flüssen oder Seen kommt.
 Bei regenerierbaren Rohstoffen (z. B. Fisch- und Wildbeständen, Wäldern) darf immer
jeweils nur so viel der Natur entnommen werden, wie nachwächst oder sich natürlich selbst
erneuert. Indem man nur von Zinsen aber nicht vom Kapital selbst lebt, wird der
Kapitalstock erhalten.
 Die Vielfalt der Natur (Landschaft, Arten) ist sowohl aus ästhetischen Gründen als auch
zukünftiges Nutzungspotential möglichst weitgehend zu bewahren.
 Ein Verbrauch nichtregenerierbarer Ressourcen, wie etwa Rohöl, ist nur zulässig, wenn die
nachfolgenden Generationen für den Verlust entschädigt werden. Durch die Entwicklung
von Ersatzstoffen / Substituten, neuem Wissen, Kapitalbildung usw. kann gewährleistet
werden, dass nachfolgende Generationen Lebensbedingungen vorfinden, die sie trotz des
unwiderruflichen Verbrauchs nichtregenerierbarer Ressourcen nicht schlechter stellen.
Wenn man diese Kriterien betrachtet, liegen gegenwärtig vielfältige Probleme vor. Beim
ersten Kriterium ist vor allem an die CO2-Anreicherung in der Atmosphäre zu denken, beim
zweiten Kriterium an die Abholzung von Regenwäldern und die Überfischung vieler
Weltmeere, beim dritten Kriterium ist an tiefgreifende und vermutlich irreversible
Natureingriffe, etwa das Austrocknenlassen des Aralsees zu denken. Bei dem vierten
Kriterium muss man davon ausgehen, dass noch keine hinreichenden Ersatztechnologien zur
Verfügung stehen, um z. B. Benzin als Antriebsstoff in Verkehrsmitteln (Autos, Flugzeuge,
Schiffe) zu ersetzen.
Auch für die übrigen Sachbereiche können ethische Kriterien näher präzisiert werden. So
sollten Staatsschulden nur für langfristige Investitionen aufgenommen werden, damit
diejenigen, die die Staatsschulden tragen müssen, auch von ihrer Verwendung profitieren. Die
Aufnahme von Schulden kann sogar generationengerecht sein, wenn ein langlebiges Projekt,
gemäß der Nutzung durch die einzelnen Generationen, finanziert wird. Insofern kann
international die Höhe der gegenwärtigen Schuldenaufnahme im Kontext der globalen
Wirtschaftskrise unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit problematisch sein,
weil hier für kurzfristige Maßnahmen langfristige Schulden aufgenommen werden.
Bei der Infrastruktur, im Wohnungsbestand und bei Produktionsanlagen müsste eine
Verpflichtung bestehen, dass zeitnah Abnutzungen durch Erhaltungs- und Ersatzinvestitionen
kompensiert werden und es nicht zu einer schleichenden Entwertung kommt.
Im Kontext der Bevölkerungsentwicklung und der sozialen Sicherung sollte der Grundsatz
gelten, dass jeder Bürger für seine Zukunft Vorsorge zu betreiben hat. Dies kann einmal durch
die Erziehung eigener Kinder erfolgen oder durch Kapitalbildung. Nicht geschehen darf es,
18
Eine Diskontierung wird in der philosophischen Ethik überwiegend abgelehnt. Vgl. dazu Andrea Heubach,
a.a.O.
19
Vgl. Markus Vogt, Das neue Sozialprinzip „Nachhaltigkeit“ als Antwort auf die ökologische Herausforderung,
in: Wilhelm Korff u.a. (Hrsg.) Handbuch der Wirtschaftsethik Bd. 1, Gütersloh 1999, S. 237-257.
9
dass Menschen in ihrer Alterssicherung darauf vertrauen können, dass andere Kinder erziehen,
und sie darauf setzen, dass die Kinder anderer Personen ihre Soziale Sicherung finanzieren
werden. Wegen der demographischen Probleme hat man in Deutschland die Renten für
Kinderlose wie für Eltern deutlich gekürzt und allen eine ergänzende kapitalbildende
Vorsorge empfohlen. Gerechter wäre es gewesen, wenn die Renten von Eltern mit wenigstens
zwei Kindern ungeschmälert geblieben wären, während notwendige Rentenkürzungen allein
Eltern mit nur einem Kind bzw. Kinderlose getroffen hätten, so dass diese eine ergänzende
kapitalbildende Vorsorge hätten treffen müssen.
In der Bildung wäre es wichtig, dass man sich für die Gesamtbevölkerung um gute
Bildungschancen kümmern würde. Dies hieße etwa, dass nicht Mittel aus dem
Bildungssystem bei zurückgehender Kinderzahl abgezogen, sondern gezielt zur Verbesserung
der Bildungsqualität genutzt werden. Außerdem sollte die Gesellschaft der nachfolgenden
Generation ermöglichen, grundlegende religiöse und ethische Werte kennenzulernen, die sich
in der Vergangenheit im Sinne des humanen Zusammenlebens als dienlich erwiesen haben.
Damit sind Bestrebungen entgegenzutreten, die unter rein ökonomisch-funktionalen
Gesichtspunkten etwa den Religionsunterricht im öffentlichen Schulwesen zurückdrängen
wollen.
III. Mehr Generationengerechtigkeit schaffen
Die Sicherstellung von Generationengerechtigkeit ist zunächst eine Frage der
gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen. In Deutschland hat man in einer Anpassung
der Verfassung solche Herausforderungen der Generationengerechtigkeit aufgriffen. So wurde
die Verfassung geändert und ausdrücklich der Umweltschutz als Staatsaufgabe in die
Verfassung
aufgenommen.
Gegenwärtig
wird
im
Rahmen einer weiteren
Verfassungsrevision20 (neuer Art 20 b GG „Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der
Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen zukünftiger Generationen zu schützen.“)21
darüber diskutiert, ob man nicht die Bestimmungen über die Staatsverschuldung verschärfen
sollte. Um das Zukunftsinteresse in der Gesellschaft zu stärken, ist auch der Vorschlag
unterbreitet worden, allen Deutschen ab der Geburt das Stimmrecht einzuräumen. Dieses
könnten die Eltern bis zur Volljährigkeit der Kinder ausüben. Mit diesem Instrument will man
das Stimmengewicht für eine bessere Bildungs- und Familienpolitik sowie für mehr
Gerechtigkeit in den Sozialen Sicherungssystemen stärken.
Für mehr Generationengerechtigkeit setzt sich auch eine zivilgesellschaftliche Initiative ein,
die diese Fragen der Generationengerechtigkeit gesellschaftlich thematisiert. Diese Initiative
ist die „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen“ 22. Die Stiftung wirbt mit Schriften,
wissenschaftlichen Publikationen, Kontakt zu Politikern und Medien für mehr
Generationengerechtigkeit in der deutschen Gesellschaft.
In Deutschland ist die Frage der Generationengerechtigkeit schon länger von den Kirchen
thematisiert worden. Bereits 1997 hatten die beiden großen deutschen Kirchen nach einem
langjährigen Konsultationsprozess in der deutschen Gesellschaft ein viel beachtetes
20
Vgl. Jörg Tremmel, Generationengerechtigkeit in der Verfassung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8/ 2005 v.
21.2.2005, S. 18-28 sowie Andreas Lienkamp, Nicht auf Kosten unserer Kinder. Generationengerechtigkeit als
neuer Maßstab der Politik, in: Herderkorrespondenz 57 (2003), S. 497-501 sowie ders., Ansprüche noch nicht
Gezeugter, Von der Generationengerechtigkeit zu den Rechten künftiger Menschen, in: Herderkorrespondenz 62
(2008), S. 204-208.
21
Zitiert nach Heubach, a.a.O., S. 209.
Vgl. etwa Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (Hrsg.) Handbuch Generationengerechtigkeit, 2.
Aufl. München 2003.
22
10
Dokument für eine „Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ vorgelegt. In diesem Wort wird
einleitend (Nr. 4) die Vorlage eines solchen gemeinsamen Wortes damit begründet, dass die
Kirchen vor allem Stimme der Stimmlosen, etwa der „kommenden Generationen“ sein
wollen. In verschiedenen Abschnitten greifen sie diese Problematik auf, für die sie
grundlegend in Nr. 122 die ethische Maxime vorgeben: „Solidarität bezieht sich nicht nur auf
die gegenwärtige Generation; sie schließt die Verantwortung für die kommende Generation
ein. Die gegenwärtige Generation darf nicht auf Kosten der Kinder und Kindeskinder
wirtschaften, die Ressourcen verbrauchen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der
Volkswirtschaft aushöhlen, Schulden machen und die Umwelt belasten. Auch die künftigen
Generationen haben das Recht, in einer intakten Umwelt zu leben und deren Ressourcen in
Anspruch zu nehmen. Diese Maxime versucht man neuerdings mit dem Prinzip der
Nachhaltigkeit und der Forderung nach einer nachhaltigen, d. h. einer dauerhaften und
zukunftsfähigen Entwicklung auszudrücken.“23
Die Kirchen nehmen sich bei den Fragen der Generationengerechtigkeit selbst in die Pflicht,
wenn sie etwa alternative Energien für Heizung und Stromversorgung kirchlicher Gebäude
nutzen und eigene Landflächen ökologisch bewirtschaften lassen. Sie versuchen in die
Gesellschaft hineinzuwirken, indem kirchliche Bildungseinrichtungen Fragen der
Generationengerechtigkeit thematisieren. Kirchliche Bildungshäuser selbst sollen in ihrem
Betrieb ökologisch vorbildlich sein (z. B. durch Wärmedämmung und Heizung mit
Solarenergie). Während der Staat für die Alterssicherung seiner Beamten nicht vorsorgt,
haben dies die Kirchen in der Regel durch Kapitalfonds getan. In den einzelnen Diözesen und
bei vielen Orden gibt es ausreichende kapitalgedeckte Fonds, um die Pensionen von
Kirchenbeamten und Priestern sowie die Alterssicherung von Ordensleuten zu sichern. Nur
sehr selten nehmen kirchliche Einrichtungen Kredite auf und dann auch nur für langfristige
Investitionen. Vor seiner Ernennung zum Bischof von Eichstätt war Gregor Hanke Abt des
Benediktinerklosters Planstetten, das ökologisch ausgerichtet und unter seiner Leitung zu
einer vorbildlichen ökologischen Einrichtung wurde.24
Der Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und sozialen Sicherungssystemen und die
daraus erwachsenden Fragen der Generationengerechtigkeit sind in Deutschland besonders in
den Jahren 2003 und 2004 diskutiert worden. Auch als Anwälte zukünftiger Generationen
haben sich die Kirchen aktiv in diese Debatte eingeschaltet. Der frühere Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Lehmann25 hat 2003 sein Eröffnungsreferat vor der
Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz diesem Thema gewidmet. In der Deutschen
Bischofskonferenz werden die sozialethischen Fragen vor allem von der Kommission VI
bearbeitet. Dieser Kommission unter der Leitung des Erzbischofs von München und Freising
Dr. Reinhard Marx, der selbst früher Prof. f. Christliche Gesellschaftslehre war, gehören
mehrere Bischöfe und Weihbischöfe sowie Berater an. Diese Berater sind zum einen
Wissenschaftler aus dem Bereich der Christlichen Sozialethik, der Wirtschafts-, Rechts- und
Sozialwissenschaften. Daneben gibt es aber auch (ehemalige) Politiker, Vorstandsmitglieder
von Gewerkschaften etc. Dies ermöglicht der Kommission nicht an den politischen Prozessen
vorbei zu arbeiten, sondern auch Anknüpfungspunkte zu finden, wie ihre Positionen Eingang
in die politische Willensbildung finden können. Diese Kommission für gesellschaftliche und
soziale Fragen ist für eine Reform sozialer Sicherungssysteme eingetreten und hat durch seine
ökologische Arbeitsgruppe eine Reihe von Studien zur Umweltproblematik herausgebracht.
Vor allem die Studie zum Klimawandel hat innerhalb der deutschen Gesellschaft wie auch in
der katholischen Kirche außerhalb Deutschlands hohe Aufmerksamkeit gefunden. Im Bereich
23
Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit a.a.O.
Vgl. zu solchen Initiativen in der deutschen Kirche, Die deutschen Bischöfe, Der Klimawandel a.a.O., S. 59ff.
25
Vgl. Karl Lehmann, a.a.O.
24
11
der „Sozialen Sicherung“ ist im Auftrag der Kommission VI ein Gutachten erstellt worden26,
das bessere Leistungen für Eltern mit Kindern im Rentenversicherungssystem fordert. In die
Sitzungen der Kommission werden auch Politiker eingeladen, so dass die Kirche mit diesen
wesentliche Anliegen diskutieren kann. So hat sich die jetzige Bundeskanzlerin Angela
Merkel damals noch als Oppositionsführerin vor einigen Jahren der Diskussion in der
Kommission gestellt, ebenso wie der ehemalige Vizekanzler und Vorsitzende der
Sozialdemokratischen Partei Franz Müntefering noch im März 2008.
Ebenso hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 2004 in Magdeburg
das Thema „Verhältnis der Generationen“ als Hauptthema behandelt und dazu einen
Beschluss gefasst. Der Ratsvorsitzende der EKD Bischof Huber von Berlin sowie andere
Bischöfe der evangelischen Kirche haben diese Thematik in vielen Reden angesprochen.27
Die Kirchen haben mit ihrem Engagement nicht direkt politisch gehandelt, sondern nach
ihrem Selbstverständnis „Politik möglich zu machen“, für politisches Handeln den Boden
bereitet. Ihre Aufgabe liegt dabei nicht in den technischen Details der Gesetzesgestaltung,
sondern in dem Aufzeigen der für die Politik relevanten ethischen Grundlagen der Thematik.
Für das Handeln der Politiker haben sie die Richtung im Sinne von Generationengerechtigkeit
als Anwalt kommender Generationen gewiesen.
Die Bemühungen der Kirche in Deutschland, Einfluss auf die Politik zu nehmen, laufen auf
vielen Ebenen. So sprechen etwa die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen mit den
Parteipräsidien der wichtigsten Parteien. Die beiden Vertretungen der Ev. und der Kath.
Kirche in Berlin verfolgen die laufende Gesetzgebungsarbeit und halten Kontakt zu
Abgeordneten und Beamten in den Ministerien. Die Katholischen Laien und ihre Verbände
haben sich im Zentralkomitee Deutscher Katholiken zusammengeschlossen und erheben ihre
Stimme, indem sie zu bestimmten politischen Fragen Stellungnahmen verabschieden. In das
Zentralkomitee fließen sowohl die Positionen der Verbände und Parteien ein, aus denen die
Mitglieder entstammen. Die Mitglieder des Zentralkomitees geben aber die Positionen des
Zentralkomitees auch in ihre Verbände und Parteien zurück. In der heutigen
Mediengesellschaft kommt es zudem darauf an, solche kirchlichen Positionen auch in den
Massenmedien Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Erfolgreicher gesellschaftlicher Einfluss der Kirchen setzt voraus:
- fundierte theologisch-ethische Reflexion.
- hoher Kenntnisstand in den Human- und Sozialwissenschaften bzw. ethisch relevante
Erkenntnisse anderer Wissenschaften (Ökologie).
- Anknüpfung an die Logik des politischen Entscheidungsprozesses (Frage des
geeigneten Ortes und Zeitpunktes) und der öffentlichen Meinungsbildung.
- Mittragen der kirchlichen Position durch die Gläubigen, die als Wähler ihr Stimmrecht
für solche Anliegen in die Waagschale legen können.
26
Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) Arbeitshilfen Nr. 214: Familiengerechte Rente.
Gutachten im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz
zu einer familiengerechten Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, Bonn 2008.
27
Kundgebung zum Schwerpunktthema „Keiner lebt für sich allein - Vom Miteinander der Generationen“;
Beschluss zu den Thesen als Anlage zu der Kundgebung zum Schwerpunktthema „Keiner lebt für sich allein Vom miteinander der Generationen“; Wolfgang Huber, „Reformen - notwendig, aber gerecht“ - Rede in
Gladbeck am 3.12. 2004 und Christoph Kähler, Du sollst Vater und Mutter ehren - Generationengerechtigkeit in
biblischer Perspektive - Vortrag bei der Jahrestagung des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer in
Deutschland, 30.4.2004 (Vgl. http.www.ekd.de letzter Zugriff 5.5.09)).
12
IV. Schlussbemerkung
Generationengerechtigkeit ist auf lange Sicht eine zentrale ethische Herausforderung, die nicht
nur Deutschland und Polen, sondern praktisch alle EU-Länder hinsichtlich der
Bevölkerungsentwicklung betrifft. Weltweit sind vor allem der ökologische Bereich sowie der
Umgang mit natürlichen Ressourcen besonders relevant. Es gibt aber auch länderspezifische
Fragen der Generationengerechtigkeit. Da im politischen Prozess zukünftige Generationen
noch kein Stimmrecht haben, droht die Gefahr, dass deren Interessen vernachlässigt werden
und sich heutige Generationen zu Lasten zukünftiger einen Vorteil verschaffen. Daher ist es
eine wichtige Aufgabe der Kirche, auf dieses wichtige ethische Anliegen hinzuweisen. Das
Christentum enthält ein unausgeschöpftes und unausschöpfbares Zukunfts- und
Hoffnungspotential. Dies befähigt es, ein berufener Anwalt der Generationengerechtigkeit zu
sein.
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