Asist. univ. dr. Andreea Ghiţă

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Programa analitică
Denumirea disciplinei
Codul disciplinei
Literatura germană, Anul II
Semestrul
Facultatea
Litere
Profilul
Filologie
Specializarea
Română - Italiană
I, II
Numărul de credite
Numărul orelor pe
an / activităţi
Total
SI TC AT
Categoria formativă a disciplinei: DF - fundamentală, DG - generală,
DS - de specialitate, DE - economică/managerială, DU - umanistă
Categoria de opţionalitate a disciplinei: DI - impusă, DO - opţională,
DL - liber aleasă (facultativă)
Discipline
anterioare
Obiective
Conţinut
(descriptori)
Obligatorii
(condiţionate)
Recomandate
AA
DF
DI
-
1. Intelegerea si aprofundarea fenomenelor istorice, sociale, politice,
culturale si literare specifice diferitelor perioade si epoci din evolutia
limbii si literaturii germane.
2. Insusirea conceptelor si a terminologiei literare specifice fiecarei epoci
istorice si literare.
3. Cunoasterea celor mai importante creatii literare si a celor mai
importanti autori ai epocii.
Die Epoche der deutschen Klassik (1780-1830)
1. Begriff und historischer Hintergrund.
2. Johann Wolfgang von Goethe. Weimarer Lyrik. „Iphigenie auf Tauris“,
„Egmont“, „Torquato Tasso“. „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, „Wilhelm
Meisters
Wanderjahre“.
„Hermann
und
Dorothea“.
„Die
Wahlverwandschaften“. „Faust I und II“.
3. Friedrich Schiller. „Don Carlos“, „Wallenstein“, „Maria Stuart“. Zu den
ästhetischen Schriften. „Die Jungfrau von Orleans“. „Die Braut von
Messina“. „Wilhelm Tell“.
Zwischen Klassik und Romantik ( 1793 – 1811 )
1. Jean Paul.
2. Friedrich Hölderlin. Lyrik. „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“.
3. Heinrich von Kleist. Kleist als Dramatiker. Kleist als Erzähler. Kleist als
Lyriker
Die Epoche der deutschen Romantik (1795 – 1830 )
1. Was heißt Romantik?
2. Die frühe Romantik. Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Ludwig
Tiek. Novalis.
3. Die Hochromantik. Clemens Brentano. Achim von Arnim. Jakob und
Wilhelm Grimm.
4. Die Spätromantik. Adalbert von Chamisso. E.T.A. Hoffmann,
Eichendorff.
Forma de evaluare (E - examen, C - colocviu / test final, LP - lucrări de control)
E
Stalibirea
- răspunsurile la examen / colocviu / lucrări practice
50%
notei
- activităţi aplicative atestate / laborator / lucrări practice/ proiect etc.
finale
- teste pe parcursul semestrului
25%
(procentaje)
- teme de control
25%
Bibliografia
1.
Grosse, W./ Grenzmann, L. : Klassik/Romantik, E. Klett SchulbuchVerlag, 1993
2.
Hinderer W. : Geschichte der deutschen Lyrik. Von Mittelalter bis zur
Gegenwart, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1983
3.
Hoffmeister, G.: Deutsche und europäische Romantik, J.B.
Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1989
4.
Müller- Seidel, W.: Die Geschichtlichkeit der deutschen Klassik, 1983
5.
Schutte, J.: Einfuhrung in die Literaturinterpretation, 1993
6.
Wellek, R./ Warren, A.: Theorie der Literatur, 1959
7.
Kluges, H. – Geschichte der deutschen Literatur, Carl Hauser Verlag,
Berlin 1992
8.
Baumann, B. / Oberle, B.: Deutsche Literatur in Epochen, Verlag C.H.
Beck, 1997
9.
Rötzer, H.G.: Geschichte der deutschen Literatur, Bamberg, 1977
10. Van Rinsum: Eine Geschichte der deutschen Literatur in Beispielen,
Verlag C.H.Beck, München, 1992
Lista materialelor
didactice
necesare
Suport de curs ID
Coordonator de disciplină
Gradul didactic, titlul
Andreea Ghiţă
Asist. univ. dr.
Semnătura
Legenda: SI - studiu individual, TC - teme de control, AT - activităţi tutoriale, AA - activităţi
aplicative aplicate
SUPORT DE CURS
Disciplina: LITERATURA GERMANĂ
(Secolele al 18-lea – al 19-lea)
Anul II ID, Semestrul I
Titularul disciplinei:
Asist. univ. dr. Andreea Ghiţă
Prezentul suport de curs este realizat pe baza volumelor: Grosse, W./
Grenzmann, L. : Klassik/Romantik, E. Klett Schulbuch- Verlag, 1993, Hinderer W. :
Geschichte der deutschen Lyrik. Von Mittelalter bis zur Gegenwart, Philipp Reclam jun.
Stuttgart, 1983, Hoffmeister, G.: Deutsche und europäische Romantik, J.B. Metzlersche
Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1989, Müller- Seidel, W.: Die Geschichtlichkeit der
deutschen Klassik, 1983, Schutte, J.: Einfuhrung in die Literaturinterpretation, 1993,
Kluges, H. – Geschichte der deutschen Literatur, Carl Hauser Verlag, Berlin 1992,
Baumann, B. / Oberle, B.: Deutsche Literatur in Epochen, Verlag C.H. Beck, 1997,
Rötzer, H.G.: Geschichte der deutschen Literatur, Bamberg, 1977, Van Rinsum: Eine
Geschichte der deutschen Literatur in Beispielen, Verlag C.H.Beck, München, 1992, şi a
materialelor accesibile online.
I. Klassik
I. Begriff
Das Wort klassisch stammt vom lateinischen classicus mit dem man
Angehörige der höchsten Steuerklasse bezeichnete. In der Bedeutung erstrangig wurde
dieses Wort bald auf andere Bereiche übertragen. Heute meint man mit klassisch etwas
zeitlos gültiges, überragendes und vorbildhaftes. Im schöpferischen Sinne bedeutet es die
Orientierung an antiken Stil- und Formmustern. Mit Klassik verbindet man allgemein die
Epoche des kulturellen Höhepunktes eines Landes. In Deutschland spricht man speziell
von der Weimarer Klassik, da in Weimar der Höhepunkt im Schaffensprozeß Goethes und
Schillers lag. Das Jahr 1786 sieht man mit Goethes Italienreise als den Beginn der Epoche
an, das Jahr 1832 mit dem Tod Goethes als das Ende.
II. Personelle und gesellschaftliche Basis
Die Ideen der Klassik wurden hauptsächlich von zwei Dichtern entwickelt
und verbreitet: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Friedrich von Schiller
(1759-1805). Ort deren Zusammenarbeit war Weimar. Dort residierte Herzog Karl August
(1775-1828) über das kleine Fürstentum Sachsen Weimar und Eisenach (ca. 100.000
Einwohner). Der Fürst war "aufgeklärt", d.h. er war bestrebt, für das Wohl seiner
Untertanen zu regieren, obwohl er ein absolutistischer Fürst war. (So gab er 1816 als erster
deutscher Landesherr seinem Land eine Verfassung). Sein besonderes Interesse galt der
Kunst und Wissenschaft. Karl August lud 1775 den 26-jährigen Goethe, den er ein Jahr
zuvor kennen gelernt hatte, nach Weimar ein. Goethe war damals v.a. als Autor des 1774
erschienenen Romans "Die Leiden des jungen Werthers" bekannt. Am Hof zu Weimar
wurde Goethe Vertrauter und Ratgeber des Herzogs, bald Minister. Neben seiner
politischen Tätigkeit fand er viel Zeit zum Dichten und Forschen, er leitete das Hoftheater
und unternahm zahlreiche Reisen. Einige davon führten ihn nach Italien (1786, 1788,
1790). Die Italienreise gehörte damals zum Bildungsprogramm junger Adliger und reicher
Bürgersöhne. Goethe lernte in Italien die Antike (bzw. deren Überreste) mit eigenen
Augen kennen, sie wurde von da an zu seinem entscheidenden Vorbild. (Aus diesem
Grunde setzt man auch den Beginn der deutschen Klassik 1786 an.)
Schiller, der aufgrund häufiger Krankheiten, politischer Verfolgung (wegen
seines Stückes "Die Räuber") und ständiger Geldsorgen ein weniger geordnetes Leben als
Goethe führen musste, wurde 1788 auf Betreiben Goethes als Professor für Geschichte
nach Jena berufen. 1794 begannen Freundschaft und Zusammenarbeit mit Goethe. 1799
siedelte Schiller nach Weimar um.
Weimar stellte neben Leipzig und Hamburg eines jener geistigen Zentren im
damals aus vielen Einzelstaaten bestehenden Deutschland dar. Reiche Bürger oder
kunstbeflissene Fürsten ermöglichten es Künstlern, ohne materielle Sorgen und ohne
Rücksicht auf den Massengeschmack ihre Ideen zu verfolgen. Der geistige Austausch in
diesen Zentren blieb unbehindert, Deutschlands provinzieller Charakter hatte wenig zu
bieten, so nahmen die Gebildeten an den kulturellen und auch politischen Ereignissen der
ganzen Welt teil, über die man in Zeitschriften und Büchern berichtete. Dies führte zu
einer geistigen Weite, für die man den Begriff "Weltbürgertum" prägte.
III. Grundideen
Wie die Aufklärung ging die Klassik von der Erziehbarkeit des Menschen
zum Guten aus. Ihr Ziel war die Humanität, die wahre Menschlichkeit (das Schöne, Gute,
Wahre). Doch der Mensch sollte nicht nur einzelne Tugenden (z.B. Toleranz,
Nächstenliebe) besitzen, sondern einem Ideal zustreben, das mit den Begriffen
"Harmonie" und "Totalität" umschrieben wurde. Dies bedeutete, dass alle menschlichen
Kräfte und Fertigkeiten ausgebildet werden sollten: Gefühl und Verstand, künstlerisches
Empfinden und wissenschaftliches Denken, theoretisches Erfassen und praktische
Umsetzung (Totalität). Dabei sollten diese Eigenschaften aber nicht im Widerspruch
zueinander stehen, eine auf Kosten der anderen bevorzugt werden, sondern eine
ausgewogene Einheit bilden (Harmonie).
Verwirklicht sah man dieses Ideal in der griechischen Antike; die Griechen
des klassischen Altertums hätten - jeder Einzelne und die gesamte Gesellschaft - ihre
Kräfte allseitig und harmonisch entfaltet wie kein Volk zuvor oder danach. Das
Klassikverständnis ging dementsprechend auf die Betrachtung antiker Bildkunst zurück..
Von ihr wurde z.B. durch Winkelmann abgeleitet, was das Schönheitsideal ausmachte. Für
Winkelmann war das Menschenbild geprägt durch "edle Einfalt und stille Größe". Edle
Einfalt meint die Simplizität des behandelten Stoffes, stille Größe eine große
Geisteshaltung. Das Verständnis der Tragödie ging auf Sokrates, der Epik auf Homer und
der Politik auf die polis zurück..
Die Wirklichkeit betrachteten die Klassiker gegenüber ihrem Ideal als
unzureichend. Sie verstanden sie als geprägt durch die Arbeitsteilung der Gesellschaft, die
den Einzelnen nur auf bestimmte, seinem Beruf zugeordnete Tätigkeiten und Fähigkeiten
festlegte (Spezialisierung). Entsprechend herrsche im Menschen selbst ein Zwiespalt
zwischen Gefühl und Verstand, Pflicht und Neigung, Denken und Handeln. Deutschland
galt als rückständig, provinziell, spießbürgerlich. Große Hoffnungen setzte man zunächst
auf die Französische Revolution (1789), war aber dann von deren Verlauf, v.a. der
Schreckensherrschaft enttäuscht.
Eine Änderung dieses Zustandes in Richtung auf das Ideals sei daher nicht
durch eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft zu erreichen (wie es die
Französische Revolution versuchte), sondern durch die Veränderung des Einzelnen. Wie
in der Aufklärung hielt man die Kunst für ein geeignetes Mittel, dies zu erreichen. Die
Kunst sollte aber nicht nur die "Verzuckerung" der Pille sein, die unangenehme Lehren auf
angenehme Weise nahe brachte. Die Kunst - so v.a. Schiller - veranschauliche das Ideal,
sei ein "Vorschein" des Idealzustandes, seine Vorwegnahme im schönen Schein der Kunst.
Durch die Beschäftigung mit dieser Kunst sollten die Menschen allmählich diesem
Idealzustand angenähert werden. Dabei nahm man in Kauf, dass dieses Unternehmen sich
zunächst auf einen kleinen Kreis von Gebildeten beschränkte, einen Kreis, der sich mit der
Zeit vergrößern würde.
IV. Dichtungstheoretische Schriften
Einführung in die Propyläen (Goethe)
Die Zeitschrift "Die Propyläen" wurde nach dem Eingangstor der Akropolis
benannt. Sie vollzieht den Übergang von Naturwirklichkeit zur Kunstwahrheit. Sie wendet
sich an Künstler, um diese zu bilden Stil zu erreichen. Handwerk ist nur ein Teil der
Kunst, hinzu kommen geistiges Wissen und Empfindungen. Bezieht der Künstler sich nur
auf sein Talent, kommt es zum Problem der Vereinseitigung. Mit der Darstellung der
Schönheit des Menschen soll Vollkommenheit des Rezipienten erreicht werden. Das
Stilkunstwerk stellt eine Möglichkeit dar, den schönen Menschen hervorzubringen und
Harmonie zu schaffen.
Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795, Schiller)
Die Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen stellen den Versuch
dar, das Schöne zu bestimmen und die Frage nach der Funktion der Kunst innerhalb der
Kulturentwicklung des Menschen zu klären, besonders in der Zeit nach der Französischen
Revolution. Für Schiller ist eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, wie die
Französische Revolution, zum Scheitern verurteilt. Politische Veränderungen können erst
erreicht werden, wenn der Mensch seine Harmonie wiedergefunden hat. Schiller fordert
eine Erziehung hin zur Wahrnehmung der Kunst, die aus Phantasie und Vernunft das Ideal
des selbstbestimmenden Menschen hervorbringt, der immer auch die Sache der
Gesellschaft befördert.
Über naive und sentimentale Dichtung (1795/96, Schiller)
Schiller versucht in dieser Schrift Voraussetzungen und Merkmale moderner
Kunst zu zeigen. Der moderne Dichter befindet sich in einer Welt, die ihm fremd ist:
Trennung zwischen Mensch und Natur, Sinnlichkeit und Vernunft stehen der
harmonischen Einheit der Antike gegenüber. Für den Dichter der Antike zeigte sich das
Ganze seiner Natur in der Wirklichkeit, deshalb konnte der diese Wirklichkeit "naiv"
nachahmen. Der moderne Dichter hingegen muß das durch Kultur und Zivilisation
verlorene, ursprüngliche Ideal darstellen - sentimentalisch.
5. Wirkung
Im 19. Jh. entfaltete die deutsche Klassik im Bildungsbürgertum eine
ungeheure Wirkung. Zitate aus den Werken Goethes und Schillers wurden zu
volkstümlichen Sprichwörtern. Die Lektüre der Klassiker wurde Pflichtpensum in den
höheren Schulen, Schillers Dramen beherrschten die Spielpläne der Theater.
6. Literarische Formen

Bildungsroman

Ideendrama

Charakterdrama
bevorzugte Formen der Lyrik:

Ode

Hymne

Sonett

Distichon

Stanze

Ballade
Ode: (griech. Lied, Gesang) = feierliches Gedicht, aber gedämpfter als
Hymne; reimlos; festgelegte Strophenformen, geprägt von Erhabenheit und Würde
Hymne: (griech. Festgesang) = feierlicher Lob- und Preisgesang; meist freie
Rhythmen
Sonett: Festgelegt sind: Versmaß, Reim, Strophenform und Länge. Ein
Sonett besteht aus 14 Verse und hat als Versform den Alexandriner. Unterschieden wird
zwischen Italienischem Sonett (Petrarca Sonett), das sich aus 2 Quartetten und 2 Terzetten
zusammensetzt, und dem Elisabethanischem Sonett (Shakespeare Sonett), bestehend aus 3
Quartetten und einem abschließendem Reimpaar.
Distichon: Kombination von Hexameter und Pentameter; meist reimlos
Stanze: Strophenform zu acht Versen, mit fünfhebigem Jambus und
weiblicher Kadenz; Reimschema: ab ab ab cc
7. Wichtige Werke
Goethe
Dramen

Romane
Iphigenie

auf
Tauris (1787)
Wilhelm Meisters
Lehrjahre (1796)

Egmont (1787)

Torquato

Tasso
Die
Wahlverwandtschaften (1809)

(1790)

Faust
I
(1808),
Wilhelm Meisters
Wanderjahre (1829)
Faust II (1832)
Lyrik

Römische Elegien (1790), Balladen
Schiller
Dram
Schriften
en


D
Menschen (1793)

on Carlos (1787)

W
Dichtung (1797)
allenstein (1799)

M
aria Stuart (1800)

W
ilhelm Tell (1804)
Lyrik

Über die ästhetische Erziehung des
Balladen
Goethe: Iphigenie auf Tauris
Über
naive
und
sentimentalische
Der Tantalidenfluch - die Vorgeschichte
Der Mensch Tantalus war einst als Gast beim Gott Jupiter eingeladen. Er feierte zunächst
zusammen mit den anderen Göttern, wurde jedoch schnell übermütig und prahlte. Die
Götter bemerkten, dass er als Mensch einfach nicht in ihre Welt passte und Tantalus sich
negativ entwickelt hatte, sodass sie ihn daraufhin stürzten und ihn und seine Familie
verfluchten. Hier entstand und begann der Tantalidenfluch. Seither werden Tantalus'
Nachkommen meist zu Mördern an ihrer eigenen Familie oder/und selbst von
Familienangehörigen
aus
Rache
und
Hass
getötet.
So opfert Agamemnon, ein Heerführer und Nachkomme des Tantalus, der Göttin Diana
seine älteste Tochter Iphigenie, um seinen Krieg gegen Troja gewinnen zu können. Im
Glauben, Iphigenie sei tatsächlich tot, ermordet ihre Mutter Klytaimnestra ihren Ehemann
Agamemnon, welcher ihr gemeinsames Kind augenscheinlich töten ließ. Die verbliebenen
Geschwister Iphigenies Orest und Elektra hingegen, hegen wegen des Mordes an ihrem
Vater einen Groll gegen ihre Mutter und schließlich ermordet Orest mit Hilfe Elektras
seine eigene Mutter. Somit ist auch er unrein geworden und dem Fluch verfallen. Er
flüchtet vor seinem Schicksal, nun selber wohl von Familienangehörigen oder anderen
wegen seiner Untat aus Rache getötet zu werden. Sein Ziel liegt darin, zur einzigen
Möglichkeit zur Lösung des Fluches, eine beschriebene Götterstatue zu finden. So landet
er auf seiner Flucht zusammen mit einem alten Freund an der Küste der Insel Tauris...
Handlung
des
Stücks
Iphigenie wurde von der Göttin Diana verschont. Sie wurde nicht getötet, sondern in einer
„Wolke“ von der Göttin nach Tauris gerettet, wo Iphigenie ihr nun aus Dankbarkeit als
Priesterin ihres Tempels dient. Iphigenie hält Thoas, welcher König von Tauris ist und sie
heiraten will, durch ihre kluge und liebevolle Art davon ab, Menschen zu opfern. Bevor
sie nämlich auf Tauris ankam, war es Brauch, alle fremden Gestrandeten der Göttin Diana
zu weihen. Iphigenie kann sich dennoch nicht an Tauris gewöhnen und hat heimweh, auch
obwohl Thoas sie ihrer Ansicht nach großzügig wie ein Vater behandelt. Dieser jedoch ist
an Iphigenie als Ehefrau interessiert. Da sie sich ihm jedoch verweigert, will er die
Menschenopfer wieder einführen. Dennoch liegt die Lösung Iphigenies Einsamkeit
greifbar nah, als ihr Bruder Orest mit seinem Freund Pylades an der Küste Tauris'
auftaucht
und
geopfert
werden
soll.
Der tragische Konflikt für Iphigenie: Durch ihre Rückkehr könnte sie den Tantalidenfluch
beenden, müsste sich dazu jedoch selber unrein machen, indem sie Thoas hintergeht.
Außerdem würden die Menschenopferungen auf Tauris wieder fortgeführt werden.
Lügt sie Arkas, den Diener Thoas', und Thoas selbst nicht an, so bleibt sie selbst rein, kann
aber
nicht
nach
Hause
zurückkehren.
Lügt sie, kann sie zwar Pylades und Orest retten und nach Hause segeln, jedoch wäre sie
selber
dadurch
unrein
geworden
und
der
Fluch
bliebe
somit
bestehen.
Sie entscheidet sich schließlich dafür, die Wahrheit zu sagen und auf das zu hören, was die
Seele im Inneren ihr eingibt. Iphigenie wird zum humanistischen Menschen, der gute und
humanistische Götter zum Vorbild hat, sich aber nicht von ihnen abhängig macht und
selber handelt.
Goethes Idee von der Humanität
- Iphigenie verweigert die Opferung für die Göttin Diana. Sie versucht die Menschenopfer
zu verhindern und ließe niemals einen Menschen durch ihren eigene Hand sterben.
- Thoas führt die Menschenopfer letzten Endes doch nicht wieder ein, obwohl Iphigenie
ihn
-
verlässt.
Iphigenie
zeigt
tiefe
Aufrichtigkeit
und
Ehrlichtkeit.
- Der Fluch wird nicht durch eine List aufgehoben, sondern durch Humanität, Wahrheit
und
Nächstenliebe.
-
Mitgefühl
- Die Menschen sollen erkennen, dass sie eigenständig aktiv werden müssen und jeder sein
Schicksal selber in die Hand nehmen kann. Man soll nicht blind auf die Götter vertrauen
und an die Menschen glauben.
Die klassische Ballade
Um den Abstand zwischen Bildungselite und Volksmassen zu verringern,
benötigt es nach Schiller nach einer "Idealisierkunst", die richtige Stoffwahl und höchste
Simplizität der Darstellung vereint. Schillers Balladen sind der Versuch, den Abstand
zwischen Bildungs- und Massenpublikum durch Rückgang aufs allgemein-menschliche,
Klarheit
und
Einfachheit
zu
überbrücken.
Die Balladenproduktion der Klassiker im Jahr 1797 waren Werkstatterfindungen. Die
klassische Ballade beschränkt sich auf die Arbeiten Schillers und Goethe in den Jahren
1797 und 1798, die in den "Musenalmanach für das Jahr 1798" und "Musenalmanach für
das Jahr 1799" veröffentlicht wurden. Im sog. "Balladenjahr" 1797 machten Schiller und
Goethe die Ballade zum Gegenstand eines "bewußten Kunstwillens und ästhetischen
Experiments". Im "Musenalmanach für das Jahr 1798" erschienen Goethes Der
Zauberlehrling, Die Braut von Korinth, Der Gott und die Bajadere sowie Schillers Der
Ring des Polykrates, Der Handschuh, Ritter Toggenburg , Der Taucher und die Kraniche
des Ibykus. Im "Musenalmanach für das Jahr 1799" erschienen Schillers Der Kampf mit
dem
Drachen
und
Die
Bürgschaft.
Schillers Balladenproduktion fällt ganz in die klassische Phase, während sich Goethes
Balladenproduktion über seine gesamte Schaffensperiode erstreckt. Die klassische Ballade
hält
Distanz
zur
volkstümlichen-germanischen,
antik-klassischen,
christlich-
mittelalterlichen und orientalischen Welt.
Schiller - Die Kraniche des Ibykus
In dem Gedicht "Die Kraniche des Ibykus" von Friedrich Schiller geht es um
einen sehr beliebten griechischen Sänger, der auf dem Weg zu einem musikalischen
Wettstreit überfallen und ermordet wird. Die Täter können anschließend gefasst und
verurteilt werden, weil einer von ihnen plötzlich einen Zug Kraniche wieder erkennt, der
auch bei der Mordtat anwesend war, und laut seinen Kumpanen darauf hinweist.
Der erste Teil des Gedichts umfasst die Strophen 1 bis 3 und stellt eine Art
Einleitung dar, in der die Ausgangssituation geschildert wird. Die nächsten drei Strophen
(4-6) gehören zusammen, weil dort die Mordtat geschildert wird. Die Kraniche bilden
dabei eine Art Klammer zwischen den ersten drei und den darauf folgen-den drei
Strophen. In der ersten Gruppe stellt der Sänger eine freundliche Beziehung zu den
Vögeln her, vergleicht sich mit ihnen, in der zweiten Gruppe wendet er sich in seiner
Verzweiflung an sie als die Einzigen, die ihn rächen können. Die Strophe 7 kann
zusammen mit den Strophen 8 bis 12 gesehen werden, weil es hier um das Auffinden der
Leiche und die Reaktion der Leute darauf geht. Die Strophen 13 bis 18 handeln nur vom
Chor und verzögern die weitere Entwicklung: In gewisser Weise könnten sie auch
wegfallen, sie sind aber wichtig, um der ganzen Ballade in diesem Teil eine düsterdrohende Rache- und Strafstimmung zu verleihen.
Ein erstes Element des Dramatischen liegt im Aufbau und in der
entsprechenden Spannungskurve: Das Ganze beginnt mit einer Exposition, in der die
Ausgangssituation geschildert wird, es folgt eine dramatische Zuspitzung hin zu einem
ersten Höhepunkt, dem Mord und der Wendung des sterbenden Sängers an die Kraniche.
Anschließend fällt die Spannungskurve ein wenig ab, wenn die Trauer der Freunde und
Festteilnehmer geschildert wird. Der geheimnisvolle Chor-Teil lässt dann die
Spannungskurve bis ins Quälende hinein wieder steigen, bevor es zu einem zweiten
Höhepunkt, der Selbstoffenbarung der Mörder, kommt. Die Spannung bleibt ab dann bis
zum Schluss erhalten, ja steigert sich vielleicht sogar noch, weil ja aus einer einfachen
Äußerung eine immer strengere Untersuchung und schließlich eine Gerichtsszene wird.
Funktion und Wirkung des Chores

Chor verbreitet Schrecken bei Zuschauern

Chor verbreitet hohe Macht

durch Chor wird Straftat künstlerisch dargestellt
o
beeindruckt Zuschauer

Theateraufführung appeliert an das Gute im Menschen
o
Kunst aktiviert den Menschen und drängt ihn das Richtige zu tun

Kunst vermittelt Ideale
Goethe: Faust
Das Leben des wirklichen Johann Faust wird von Johann Spies in Historia
von D. Johann Fausten (1587) geschildert. Sie handelt von einem jungen Mann namens
Johann Faust, Sohn eines Bauern, der nach dem Besuch der Schule in Wittenberg
Theologie studiert und den Doktorgrad erwirbt. Später studiert er auch „Medizin,
Astrologie und was sonst mit der Magie zusammenhing.“ Er ererbt ein Vermögen von
seinem Vetter, gibt dies aber schnell aus. „Sein unbegrenzter Durst nach Erkenntnis“ führt
dazu, dass er in einem Wald bei Wittenberg den Teufel beschwört, der „in der Gestalt
eines grauen Mönches“ erscheint und am nächsten Tag wiederkommen will. Dies
geschieht, wobei der Teufel „zunächst als Schatten hinter dem Ofen und dann als zottige
Bärengestalt mit einem Menschenkopf“ auftritt. Faust schließt einen Bund mit dem Teufel
ab. Der Teufel soll ihm 24 Jahre lang dienen, dafür soll er Fausts Seele bekommen. Der
Vertrag wird mit Fausts Blut unterzeichnet. Der Teufel „solle ihn nach 24 Jahren holen
dürfen; wenn bis dahin alle seine Wünsche erfüllt würden.“ Der Teufel nennt sich
Mephistopheles und dient Faust gemäß dem Vertrag. „Er verschafft ihm auch einen
Famulus, Christoph Wagner mit Namen, und den wunderbar gelehrigen Pudel Prästigiar.“
Faust frönt fortan dem Genuss. Er beginnt zu reisen und „seine magischen Künste“ zu
zeigen. In Leipzig reitet er auf einem Weinfass aus Auerbachs Keller, in Erfurt zapft er
Wein aus einer Tischplatte, er besucht den Hof des Papstes in Rom, den Sultan in
Konstantinopel, den Kaiser in Innsbruck und den Grafen von Anhalt. Nach 16 Jahren
bereut er den Vertrag und will ihn aufheben, doch der Teufel schließt einen erneuten Pakt
mit ihm. Er verschafft ihm Helena aus Griechenland, mit der Faust einen Sohn namens
Justus zeugt, unter der Auflage, dass beide mit Faust sterben müssten. Darum bestimmt
Faust seinen Famulus zu seinem Erben. Am letzten Tag der 24 Jahre erscheint „Satan, der
Oberste der Teufel“ ihm in furchterregender Gestalt und kündigt ihm für die kommende
Nacht den Tod an. Zweimal verhindert Mephistopheles den Suizid des Verzweifelten. Den
letzten Abend verbringt er im Dorf Rimlich in der Gesellschaft seiner Freunde. Er bewirtet
sie, „ermahnt sie zur Buße und Frömmigkeit“ und nimmt Abschied von ihnen. Zwischen
Mitternacht und ein Uhr zieht ein starker Sturm auf. In Fausts Zimmer entsteht „ein
Höllenlärm“. Am nächsten Morgen finden die Freunde die Wände im Zimmer mit Blut
und Hirnmasse bespritzt, Fausts Augen liegen auf dem Boden, sein Leichnam im Hof „auf
dem Miste“. Er wird „in aller Stille“ begraben.
Auch das genaue Geburtsjahr ist
umstritten. Es wird entweder mit 1480 oder 1481, aber auch mit 1466 angegeben.
Faust 1: Inhalt
Mephisto wettet mit Gott um Fausts Seele, dass es ihm gelingen wird, Faust
dem Bösen verfallen zu lassen. Faust verzweifelt über die Beschränktheit der Menschen
und findet keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Nach den
Naturwissenschaften versucht er sich in Magie, doch auch damit kommt er nicht weiter
und wird nur durch das Erklingen der Osterglocken vom Selbstmord abgehalten. Am Tag
darauf bietet Mephisto Faust übermenschliche Kräfte an, falls Faust ihm dafür die Seele
verspricht und im Jenseits dient. Mephisto soll die Seele erhalten, sobald Faust sein Ziel
erreicht hat und sagt: „Verweile doch! Du bist so schön!“. Mephisto möchte Faust zum
Glück bringen durch Erfahrung/Leben und nicht durch Erkenntnis. Es folgt ein Rundgang
durch die Welt der sinnlichen Freuden im Auerbachs Keller, was Faust jedoch abstossend
findet. So wird Faust verjüngt (Hexenküche) und macht sich mit Gretchen bekannt, in
welches er sich verliebt. Faust kann Gretchen für sich gewinnen. Um sie ungestört
besuchen zu können, besorgt Mephisto einen Schlaftrunk für ihre Mutter, welcher sie
jedoch tötet. Gretchen wird schwanger. Ihr Bruder Valentin will sich rächen, er wird
jedoch von Faust mit Hilfe Mephistos erstochen. Faust wird von Mephisto in die
Walpurgisnacht zum Hexensabbat mitgenommen. In der Zwischenzeit hat Gretchen, um
der Schande zu entgehen, ihr Kind ertränkt und wird deswegen als Kindesmörderin zum
Tode verurteilt. Faust will mit Mephistos Hilfe Gretchen vor der Hinrichtung befreien.
Gretchen lehnt Fausts Hilfe ab. Sie akzeptiert den Tod als Strafe für ihr Vergehen und
übergibt sich dem Gericht Gottes. Somit gewinnt Gott gegen Mephisto.
Personen
Faust: Wissenschaftler, betont wohlwollend, redet gerne, sowohl
schweigsamer wie auch neugieriger Gast/Zuschauer (Auerbachs Keller,
Hexenküche). Ziel: absolute Erkenntnis, möchte ganze Welt verstehen.
Mephisto: Teufel, Teil des göttlichen Werkes, will das Böse aber schafft
immer das Gute, Narrenrolle ermöglicht Kritik (an Uni, Kirche),
Verwandlungskünstler, hat verbindende Funktion (zieht im Hintergrund die Fäden).
Wichtig: Teufel = Knecht Gottes, ist nicht wirklich frei!
Gretchen: Kleinbürgerlich, Idealistische Frauengestalt (Reinheit,
absolute Liebe, Gläubigkeit, stark Eindringlich), realistische Eigenschaften (Lästern,
träumt von Schmuck etc.), Entwicklung vom Mädchen zur Frau (leidenschaftliche
Hingabe führt zu Sünde, ist aber bereit Konsequenzen zu tragen), wird zu
gleichwertigen Gegnerin von Mephisto durch ihre Ideale selbst in Extremsituationen
wie im Kerker.
Wagner: wissbegierig, hat wenig Gespür, Karikatur (Gelehrter ist etwas
besseres als das Volk)
Schüler, Gretchens Bruder, Marthe
Goethes dramatisches Hauptwerk, die zweiteilige Tragödie Faust (1. Teil
erschienen 1808, 2. Teil 1833), war bestimmt von einer sechs Jahrzehnte dauernden,
wechselvollen Entstehungsgeschichte. Mit dem Stoff des historischen Faust wurde er
vermutlich in Form des Volksbuches von Johann Nikolaus Pfitzer (1674) und der
Straßburger Version des Puppenspiels bekannt, die auf dem Drama Christopher Marlowes
(1587) fußte. Ferner dürfte er bereits in seiner Jugend Lessings dramatisches FaustFragment (1759) gelesen haben, der die im Mittelalter nur als warnendes Exempel
vorgeführte Gestalt erstmals mit positiven Zügen versah. Der Prozess gegen die 1772 in
Frankfurt hingerichtete Kindesmörderin Susanna Margarete Brand regte wiederum die
Gretchen-Handlung des ersten Teils an. Goethes erster, zwischen 1772 und 1775
entstandener Entwurf zu Faust eignete sich die im Sturm und Drang gängige "titanische"
Auffassung der Figur an. Diesem nur als Abschrift erhaltenen so genannten Urfaust folgte
1790 die überarbeitete Fassung Faust. Ein Fragment. Erst auf Drängen und unter
intensiver Beteiligung Schillers nahm Goethe 1797 die Arbeit wieder auf, die nunmehr im
ästhetisch-philosophischen Vorzeichen der Weimarer Klassik stand. Der 1808
abgeschlossene erste Teil wurde erstmals 1829 in Braunschweig vollständig aufgeführt
(unter der Direktion von Ernst August Friedrich Klingemann), als Goethe nach langer
Pause bereits mit der Vollendung des zweiten Teils beschäftigt war (1825-31). Dieser
wurde seiner Weisung gemäß erst posthum veröffentlicht (1833). Die erste vollständige
Aufführung beider Teile erfolgte 1876 am Großherzoglichen Hoftheater in Weimar.
Die der eigentlichen Handlung des ersten Teils vorangestellten Szenen
"Zueignung", "Vorspiel auf dem Theater" und "Prolog im Himmel" führen zentrale
Motive der Tragödie ein und schaffen die Ausgangskonstellation der Wette um Fausts
Seele zwischen Gott und Teufel (Mephistopheles: "Was wettet ihr - den sollt ihr noch
verlieren"). Die Anfangsszene im Studierzimmer Fausts rekapituliert dessen gescheiterte
Versuche, dem Weltgeheimnis mit Hilfe von Wissenschaft und Magie auf die Spur zu
kommen, und endet mit dem verzweifelten Entschluss zum Suizid, der im letzten
Augenblick unter dem Eindruck der das Osterfest einläutenden Glocken wieder revidiert
wird. Bei dem anschließenden Osterspaziergang wird Faust seines gespaltenen, zwischen
Geistigkeit und Sinnlichkeit schwankenden Wesens gewahr ("Zwei Seelen wohnen, ach!
in meiner Brust"). Diesen Konflikt verspricht der - in seiner teuflischen Provenienz von
Faust bald erkannte - Mephisto in der folgenden Studierzimmer-Szene zu lösen, fordert
aber Fausts Seele als Pfand. Der mit Blut besiegelte Pakt erhält durch die von Faust
geforderte Zusatzklausel wiederum den Charakter einer Wette: "Werd' ich zum
Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln
schlagen, / Dann will ich gern zu Grunde gehen!".
Die zentrale Handlungseinheit, die Liebestragödie um Gretchen, wird
vorbereitet in den teils witzig-satirischen, teils pittoresk-unheimlichen Szenen in
Auerbachs Keller und der künstlichen Verjüngung Fausts in der Hexenküche. In der
Gestalt Gretchens begegnet Faust das lebendige Idealbild der Frau, die ihm Mephisto
zuvor in einem Zauberspiegel gezeigt hatte. Zur Erfüllung seiner leidenschaftlichen
Begierde nimmt er dessen Hilfe in Anspruch, was sich als fataler Fehler erweist: Das
Gretchens Mutter zugedachte Betäubungsmittel wirkt tödlich, ihr Bruder fällt im Duell mit
Faust, sie tötet in Verzweiflung das gemeinsame Kind und endet im Kerker. Insofern
scheint sich das Böse als beherrschendes Prinzip durchzusetzen, scheitert jedoch an der
von Gretchen verkörperten Gegenmacht der göttlichen Liebe, über die Mephisto "keine
Gewalt" besitzt. Die rein lustbetonte, letztlich egoistische Liebe Fausts demonstrierte
Goethe in den eingestreuten Walpurgisnacht-Szenen, deren sexuell freizügige Teile er mit
Rücksicht auf die moralischen Konventionen seiner Zeit vor der Veröffentlichung des
Dramas tilgte. Die im Konflikt beider Liebeskonzeptionen aufscheinende Einsicht in die
prinzipielle Unvereinbarkeit von Ehe und Erotik berührte die seinerzeit kontrovers
geführte Diskussion um den Stellenwert der bürgerlichen Zweierbeziehung und belegte
zugleich innerhalb des Dramas die offenkundige Unlösbarkeit des von Faust als
schmerzlich empfundenen Grundwiderspruchs von geistiger und sinnlicher Existenz. Der
erste Teil des Faust, der bei den Zeitgenossen teils enthusiastischen Zuspruch fand,
vereinte das im Genie-Ideal des Sturm und Drang wurzelnde Faustbild mit der
Ideendiskussion der Hochklassik und der nachklassischen Ästhetik Goethes, die besonders
in der romantischen Ausmalung der Hexenszenen zutage trat. Die Einlösung der Wette
blieb dem zweiten Teil der Tragödie überlassen, der aus der Sicht des alternden Dichters
kaleidoskopartig die Summe seines eigenen jahrzehntelangen Ringens um Welterkenntnis
und Lebenserfüllung zog. Die sogar nach Goethes Einsicht "inkommensurable"
Gedanken- und Ereignisfülle, in der Mythen der deutschen Geschichte ebenso ihren Platz
fanden wie diejenigen der Antike (Klassische Walpurgisnacht), ergibt im ganzen gesehen
eher einen facettenreichen weltanschaulichen Essay als ein bühnengerechtes Schauspiel.
Am Ende steht, ähnlich wie in Wilhelm Meisters Wanderjahren, die Einsicht in den
absoluten Wert der in sich selbst vollendeten, auf kein konkretes Ziel gerichteten
Tätigkeit: "Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen." Die Macht der
unter dieser Voraussetzung wirksamen göttlichen Gnade besiegt letzten Endes den "Geist,
der stets verneint" und macht Mephisto zum Verlierer der Wette.
Im Gegensatz zum positiven Echo des ersten Teils stieß der zweite bei seiner
Veröffentlichung weitgehend auf Unverständnis, was der enormen Nachwirkung, die die
Tragödie insgesamt entfaltete, jedoch keinen Abbruch tat. Die Gestalt des Faust unterlag
dabei unterschiedlichen, oft missverständlichen Interpretationen, wie der schließlich von
der nationalsozialistischen Ideologie usurpierten Umwertung zum Ideal des deutschen
Geistes. Als exemplarisches Menschheitsdrama hat Goethes Dichtung, die u. a. Charles
Gounod (Margarethe, 1858) zu einer Vertonung anregte, gleichwohl ihren Platz unter den
ersten Werken der Weltliteratur behauptet. Filmfassungen schufen Friedrich Wilhelm
Murnau (1926) und Gustav Gründgens (1960).
Faust 2
Der erste Teil des Faust ist ohne den zweiten gar nicht denkbar. Ein großer
Aufwand wäre schmählich vertan, wenn sich Vor- und Nachteile von Fausts Teufelspakt
auf die Verführung eines jungen Mädchens und dessen unseliges Ende beschränken
würden. Das wäre ein bürgerliches Trauerspiel, nichts weiter. Daß der Faust zum
Menschheitsdrama wird, verdankt er erst dem zweiten Teil, der vor allem in der
klassischen Walpurgisnacht und der Helena-Handlung Raum und Zeit transzendiert, aber
die Ur-Polarität von Trieb und Geist eben auch um die Polarität von nordisch-christlich
und südlich-antik erweitert und differenziert, deren Synthese in der Gestalt des
hochfliegenden aber in seiner Maßlosigkeit lebensunfähigen Euphorion letztlich scheitert.
(In Euphorion hat Goethe übrigens ein Bild des griechenlandbegeisterten romantischen
Dichters Lord Byron gegeben, der als Teilnehmer am hellenischen Freiheitskampf starb).
War der Faust des ersten Teils ursprünglich bestimmt vom Streben nach
Erkenntnis, also geistigem Durchdringen der Welt, so ist er vom Auftreten Mephistos an
bis zum Ende der Helena-Geschichte auf verschiedenen Stufen dem Lebensgenuß
ergeben: »Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß, / [...] Mein Busen,
der vom Wissensdrang geheilt ist, / Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen« –
dessen Eignung zu dauerhaftem Glück er freilich von Anfang an mißtraut: »Kannst du
mich mit Genuß betrügen – / Das sei für mich der letzte Tag! /[...] Werd ich zum
Augenblicke sagen: / Verweile doch, du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln
schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn.«
Genuß aber ist an die Sinne gebunden, damit an die Sinnlichkeit, die den
Eros ebenso umfaßt wie die Kunst. Nach der Erfahrung der im christlichen Norden
schuldbeladenen Sinnlichkeit führt der Weg Fausts in die Welt der Antike. Hier entfaltet
sich ein Kaleidoskop von Trugbildern, deren 'Realitätsgehalt' gar nicht bestimmbar ist,
eine »klassich-romantische Phantasmagorie«, wie Goethe selbst den zweiten Akt der
Helena-Handlung benennt. Es ist die Welt der Kunst: im doppelten Sinne von künstlich
und künstlerisch, damit gleichzeitig die Welt des schönen Scheins, der Ästhetik in ihrem
Verzicht auf Erkenntnis der Wahrheit: »Am farbigen Abglanz haben wir die Welt«.
Vom geistigen Durchdringenwollen der Welt zu ihrer sinnlichen Erfahrung,
von der Metaphysik zur Ästhetik geht also zunächst Fausts Weg, auf dem er – über die
Sinne Eindrücke empfangend – notwendigerweise passiv geblieben ist. In einem nächsten
Wandlungsschritt wird Faust erstmalig aktiv: Er will die Welt verändern. Die Tat ist es
nunmehr – bereits zu Anfang des ersten Teils in seinen Übersetzungsversuchen vorgeahnt
– der er sein weiteres Leben widmen will. Daß aus dem Himmelsstürmer und
Helenabeschwörer zum Schluß ein Deichbau-Ingenieur wird, mag auf den ersten Blick
enttäuschen.
Man
neigt
vielleicht
dazu,
Goethe
einen
bürgerlichen
Nützlichkeitsoptimismus vorzuwerfen, oder – je nach Standpunkt – erleichtert
aufzuatmen: Endlich ist Faust vernünftig geworden
II. Zwischen Klassik und Romantik
Friedrich Hölderlin (1770-1843)
Friedrich Hölderlins lyrisches Werk ist ein Höhepunkt deutscher Dichtkunst.
Dennoch erschienen zu Lebzeiten seine Hymnen, Oden und Elegien, abgesehen von einem
schmalen, 1826 von Gustav Schwab und Ludwig Uhland zusammengestellten
Gedichtband, nur vereinzelt in Zeitschriften und Almanachen. Erst nach seinem Tode
wurde versucht, aus den handschriftlichen Manuskripten gültige Fassungen zu
transkribieren und in Buchform zu publizieren.
Die frühesten Gedichte Hölderlins, entstanden während der Schulzeit im
pietistischen Maulbronner Kloster (1786-1788), sind geprägt vom religiös-emphatischen
Ton der Hymnen Klopstocks. In seinen Studienjahren am Tübinger Stift (1788-1793)
verfaßt er politisch-religiöse Hymnen, in denen er die Französische Revolution als eine
Offenbarung des Göttlichen feiert. Formal orientiert Hölderlin seine in achtzeiligen
Reimstrophen verfaßten "Hymnen an die Ideale der Menschheit" an Schillers idealistischer
Lyrik (Die Götter Griechenlands, 1788). In der Tübinger Zeit setzt Hölderlins intensive
Beschäftigung mit der griechischen Antike ein. Griechenland wird im folgenden zum
zentralen Topos seines gesamten Werkes, zur geschichtsphilosophischen Utopie, denn
nicht das reale Griechenland, das Hölderlin nie besucht hat, ist gemeint. Griechenland
steht vielmehr für die Sehnsucht nach einem von Harmonie, Freiheit und Schönheit
bestimmten ganzheitlichen Leben ohne die moderne Vereinzelung des Individuums. In
seinen ab 1797 entstandenen Oden und Elegien orientiert sich Hölderlin auch formal an
der Antike: Seine Oden dichtet er nach den strengen asklepiadischen und alkäischen
Odenmaßen, in seinen Elegien benützt er das Distichon, das klassische elegische Versmaß.
Inhaltlich evoziert er ein Spannungsverhältnis zwischen einem harmonischen griechischen
Weltzustand und der von Göttern verlassenen Gegenwart. In der Elegie Brot und Wein
(entstanden um 1800) heißt es: "Aber Freund! Wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter,
/ Aber über dem Haupt droben in anderer Welt." (VII, 1-2) In den Jahren um die
Jahrhundertwende kreist nicht nur sein lyrisches, sondern auch sein dramatisches (das
1797-1800 entstandene Fragment Der Tod des Empedokles) und episches Werk (der
Briefroman Hyperion oder der Eremit in Griechenland, 1797-1799) in zunehmend
verschlüsselterer Sprache um die Polarität von Griechenland und Gegenwart. Dabei
mischen sich in seine Texte immer stärker Enttäuschung über die eigene Dichtung und
Zweifel an seiner Rolle als 'Verkünder': "Und sag ich gleich, / Ich sei genaht, die
Himmlischen zu schauen / Sie selbst, sie werfen mich tief unter die Lebenden / Den
falschen Priester, ins Dunkel, daß ich / Das warnende Lied den Gelehrigen singe. Dort"
(Ende des Gedichtes Wie wenn am Feiertage). In den Vaterländischen Gesängen seines
sogenannten Spätwerks (bis 1806) verortet Hölderlin die ersehnte Erneuerung der Welt
nicht länger in Griechenland, sondern in konkreten historischen und antiken Gestalten, vor
allem aber in Christus als Botengestalt des Abendlandes. 1806 wurde Hölderlin als
Geisteskranker in die Klinik Tübingens eingewiesen und im Jahr darauf als unheilbar
entlassen; bis zu seinem Tode im Jahr 1843 lebte Hölderlin in einem umgebauten
Stadtturm, gepflegt vom Tischler Zimmer. Die während dieser Zeit entstandenen Gedichte
wurden lange als Werke eines geistig Umnachteten abgetan. Auffällig an ihnen ist
Hölderlins Abkehr von den komplizierten Formen hin zu einer formelhaften Einfachheit
(z.B. An Zimmern, 1812). Hölderlins Werk wurde von der zweiten Generation der
Romantiker (Brentano, Schwab, Uhland) hoch geschätzt, geriet im weiteren Verlauf des
19. Jahrhunderts aber mehr und mehr in Vergessenheit. Erst um die Jahrhundertwende
besann man sich im Umkreis Stefan Georges - freilich in mystifizierender Weise - auf den
"großen Seher für sein volk" (George).
Wichtige Schriften:
o
Hymnen, Oden und Elegien (1788-1806)
o
Der Tod des Empedokles (entstanden 1797-1800)
o
Hyperion oder der Eremit in Griechenland (1797-1799)
Heinrich von Kleist
Heinrich von Kleist gehört zu den großen deutschen Dramatikern. Er
bedeutet das Bindeglied zwischen Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Schiller und
Johann Wolfgang Goethe einerseits und Franz Grillparzer, Friedrich Hebbel, Gerhard
Hauptmann andererseits. Sein Leben und sein Werk sind vor allem durch sein Streben
nach unbedingter Wahrheit, nach sicheren Grundlagen für ein sinnvolles Leben, durch
glühende
Vaterlandsliebe
und
seinen
leidenschaftlichen
dichterischen
Ehrgeiz
gekennzeichnet.Trotz aller Berührungen mit der Romantik ist er durch sein vor nichts
zurückschreckendes Wahrheitsstreben, seine psychologischen Realismus, der ähnlich der
späteren Psychoanalyse eines Sigmund Freud in die unterbewußten seelischen Gebieten
vorstößt, ein Vorläufer der modernen Dramatik des 19. Und 20. Jahrhunderts. Innerhalb
der Romantik nimmt er auch dadurch eine Sonderstellung ein, daß er nicht wie diese von
der Klassik, sondern von der in seiner Zeit im allgemeinen bereits überwundenen
Aufklärung ausgeht.
Heinrich von Kleist vereint in seinem Werk Realistisches und RomantischMärchenhaftes,
Tragik
und
Humor,
klassische
Harmonie
und
maßlose
Leidenschaftlichkeit, die mitunter an das Pathologische grenzt. Er erlebt keine Aufführung
seiner Dramen. Nach langer Verkennung wird er erst nach dem Ersten Weltkrieg als einer
der genialsten Dichter der Weltliteratur und als größte Dichter Preußens erkannt. Sein
erstes Drama ist ,,Die Familie Schroffenstein". Ein Trauerspiel in 5 Aufzügen (1802).
Wichtige
_
,,Der
zerbrochene
_
_
Dramen:
Krug",
,,Penthesilea",
,,Das
_
Käthchen
,,Die
Lustspiel
(1806)
Trauerspiel
von
Heilbronn",
(1808)
Ritterschauspiel
Hermannsschlacht",
Drama
(1808)
(1808)
_ ,,Prinz Friedrich von Homburg" (1810)
Das
Käthchen
von
Heilbronn
Käthchen, die Tochter eines Kaisers, wird von dem Heilbronner Waffenschmied Theobald
Friedeborn
erzogen
und
für
seine
Tochter
gehalten.
Eines Nachts erscheint ihr im Traum eine Gestalt, die ihr vom Grafen Friedrich von Strahl
erzählt. Sie verliebt sich in den Grafen vom Strahl, erzählt es jedoch niemanden.
Als sie den Grafen eines Tages trifft, fällt sie vor ihm auf die Knie und kann nicht glauben,
daß er wirklich vor ihr steht. Sie zieht wie ein Schatten hinter dem Grafen her. Der Graf
will aber nichts von ihr wissen und so schläft sie bei seinen Pferden im Stall. Der Einzige,
der sich um sie kümmert ist Gottschalk der Knecht des Grafen. Auf seiner Burg
angekommen beschließt der Graf ihren Vater Theobald zu benachrichtigen. Käthchen
weigert sich jedoch nach Hause zurückzukehren. Theobald Friedeborn zeigt den Grafen an,
weil er glaubt, daß dieser sein Kind entführt hat. Der Graf beteuert seine Unschuld und
Käthchen
muß
mit
ihrem
Vater
nach
Hause
zurückkehren.
Graf Friedrich zieht mit Ritter Flammberg weiter und befreit Kunigunde von Thurneck,
aus den Händen des Burggrafen von Freiburg. Kunigunde ist überglücklich und will ihn
heiraten, sie folgt ihm auf seine Burg. Der Graf glaubt daß sie die Tochter des Kaisers ist
und daß sie diejenige ist, die er vor Wochen in seinem Fiebertraum gesehen hat.
Er bereitet alles für die Hochzeit vor und verspricht ihr am Tag der Hochzeit die Papiere
über
den
Landsitz
Stauffen.
Der Rheingraf von Stein, Kunigundes Verlobter erfährt von der Hochzeit und will das
Schloß vernichten. Er sendet einen Brief an einen Verbrüderten der innerhalb des
Schlosses wohnt. Durch Zufall gelangt Käthchen, die von ihrem Vater und ihrem
Bräutigam ins Kloster geführt werden soll, von diesen Brief und kann den Grafen warnen.
Trotzdem
gelingt
es
dem
Rheinsgrafen,
das
Schloß
in
Brand
zu
setzen.
Käthchen gerät durch eine falsche Bitte Kunigundes in Lebensgefahr, wird aber gerettet.
Sie erzählt dem Grafen von ihrem Traum und der Graf merkt, daß sie das Mädchen ist,
daß er im Traum gesehen hat und daß sie die Tochter des Kaisers ist. Sie darf auf dem
Schloß wohnen und findet heraus, daß Kunigunde nur durch ihre Maske ein so schönes
Gesicht hat. Kunigunde ist wütend und will Käthchen vergiften, diese wird aber von
Gottschalk
gerettet.
Endlich erkennt der Kaiser in Käthchen seine Tochter. Der Graf entdeckt die Liebe zu
Käthchen und bittet sie seine Frau zu werden.
Wichtige Novellen:
-
"Das Erdbeben in Chili" (1807);
-
"Die Marquise von O." (1808);
-
"Michael Kohlhaas" (Teildruck 1808)
Die Novelle Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik beruht auf realen
Ereignissen, die in einer Chronik aus dem 16. Jahrhundert überliefert sind. Als dem
Pferdehändler Michael Kohlhaas von einem Adligen zwei Pferde zugrunde gerichtet
werden, zieht er vor Gericht, doch vergeblich. Nun greift er zur Gewalt und zettelt einen
Aufruhr an. Kohlhaas wird gefangen genommen und zum Tod verurteilt. Kurz vor seiner
Hinrichtung erhält er Genugtuung: Ihm werden zwei gesunde Pferde zurückgegeben; der
Adlige kommt ins Gefängnis.
Der Inhalt war damals subversiv: Ein einfacher Bürger, von einem Adligen
betrogen, stellt durch einen Gesetzesbruch das Recht wieder her. Erst 100 Jahre nach
ihrem Erscheinen erlangte die Novelle Weltruhm. Kleist bedient sich langer,
verschachtelter Sätze, die die Bedingungen, Ursachen und Folgen jedes Sachverhaltes aufs
Genaueste festlegen. Nicht zufällig erinnert der Satzbau an die Sprache von
Gesetzestexten und Gerichtsurteilen.
In Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" geht es um
Gerechtigkeit, Korruption und Selbstjustiz: Ein aufgebrachter Mann, dem Unrecht
widerfahren ist, ruft die Gerichte an. Als er begreift, dass sein Widersacher von korrupten
und einflussreichen Leuten geschützt wird, versucht er sein Recht gewaltsam zu
erzwingen. Seine Angriff wächst sich rasch zu einer Rebellion aus, die vielen Menschen
das Leben kostet und andere ins Unglück stürzt. So wird aus dem rechtschaffenen
Pferdehändler ein Verbrecher, den ein kaiserliches Gericht schließlich zum Tod verurteilt.
Aber Michael Kohlhaas (Michael wie der Erzengel?) schätzt den Wert der Gerechtigkeit
höher als sein eigenes Leben ein.
III. Romantik
I. Einleitung
1. Zur Wortgeschichte
Die Wörter “romantisch” und “Romantik” gehen auf das altfranzösische
Wort romanz zurück. Seit dem 15. Jahrhundert wird das Wort romance für die erzählende
Versdichtung in Frankreich verwendet. Die Variante romantisch erscheint zum ersten Mal
in Deutschland im 17. Jahrhundert und bezieht sich auf die barbarischen Stilmerkmale der
mittelalterlichen Romane. Die erste Bedeutung des Wortes ist also buchstäblich “wie im
Roman” oder “im Roman vorkommend”, und bezeichnet abwertend alles “Phantastische”,
“Fabelhafte”, “Unwirkliche” oder “Erfundene”. Auch als romantisch wird eine bestimmte
Landschaft beschrieben, die wild, erhaben, gewaltig und malerisch ist und ein
entsprechendes Naturgefühl beim Menschen auslöst.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kommt eine neue, in England geprägte
Bedeutung des Begriffs nach Deutschland: romantisch wird nicht nur für die
mittelalterliche Literatur, sondern für jede Art von Dichtung (Shakespeare, Tasso,
Cervantes u.a.) gebraucht, die im Gegensatz zur klassisch-antiken Tradition steht. Diese
Umwertung des Romanhaften in einen positiven Sinn erklärt die weitere Entwicklung des
Wortes zum literaturhistorischen Begriff. “Phantasievoll”, “poetisch”, “erfinderisch” sind
die Merkmale, die die literarische Epoche der Romantik ins Zentrum setzt.
2. Historische Situation
Die europäische und somit deutsche Romantik steht in engster Verbindung
mit den geschichtlichen Ereignissen und politischen Strömungen am Anfang des 19.
Jahrhunderts.
Das epochale Ereignis, das nicht nur die deutsche Romantik als
Zeitbewegung sondern auch den Lebenslauf ihrer Vertreter markierte, ist zweifelsohne die
französische Revolution. In direkter Auseinandersetzung mit deren Prinzipen entwickelte
sich das ästhetische und geschichtliche Programm der Frühromantik, das später auch vom
Scheitern der revolutionären Ideen aufs Tiefste beeinflusst wurde.
1. Die Frühromantik (1795/98-1804)
Die Frühromantik als erste Phase der romantische Bewegung hat ihren
Hauptsitz in Jena (daher wird sie auch als Jenaer Romantik bekannt). Sie hat einen stark
philosophischen und kritisch-wissenschaftlichen Charakter; in der Zeitschrift Athenäum
werden die Grundlagen des frühromantischen Programms dargelegt, dessen Stichworte
u.a. progressive Universalpoesie, Selbstreflexivität, transzendentale Ironie, Witz, neue
Mythologien sind. Den Jenaer Freundes- und Schaffenskreis bilden die Brüder August
Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, Friedrich Schelling und
Friedrich von Hardenberg (Novalis). Dazu gehören auch Dorothea Veit, die später
Friedrich Schlegel heiraten wird, und Caroline Böhmer, die spätere Frau von Schelling.
Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798)
Das Werk, das als Geburtsstunde der Frühromantik gilt, gehört einem jungen
Studenten, der mit 25 Jahren einen frühen Tod erlebt, noch bevor sich die führende
Gruppe in Jena gebildet hatte. Es handelt sich um das von seinem Freund Ludwig Tieck
ergänzte und herausgegebene kunsttheoretische Essay Herzensergießungen eines
kunstliebenden Klosterbruders (1796). Indem sich Wackenroder mit der bildenden Kunst,
Malerei und Musik des Mittelalters und der Renaissance am Beispiel berühmter Künstler
wie Raffael und Michelangelo, Piero di Cosimo und Albrecht Dürer beschäftigt,
entwickelt er eine romantische Kunstphilosophie, die in der Kunst (vor allem der Musik,
der vornehmsten aller Künste) die Vollendung des menschlichen Geistes und die
Offenbarung einer überirdischen göttlichen Harmonie sieht:
Kunst ist die Blume menschlicher Empfindung zu nennen. In ewig
wechselnder Gestalt erhebt sie sich unter den mannigfaltigen Zonen der Erde zum Himmel
empor, und dem allgemeinen Vater, der den Erdball mit allem, was daran ist, in seiner
Hand hält, duftet auch von dieser Saat nur ein vereinigter Wohlgeruch. Er erblickt in
jeglichem Werke der Kunst, unter allen Zonen der Erde, die Spur von dem himmlischen
Funken, der, von ihm ausgegangen, durch die Brust des Menschen hindurch, in dessen
kleine Schöpfungen überging, aus denen er dem großen Schöpfer wieder entgegenglimmt.
Charakteristisch für die romantische Auffassung des Künstlers ist die
Betonung seines souveränen, von allen tradierten Normen befreiten Schöpfertums, das
keiner Anerkennung seitens des bürgerlichen Publikums bedarf. Die einzig passende
Rezeptionshaltung ist diejenige, die Kunst mit Religion gleichsetzt und - anders als in der
Aufklärung - dem Herzen entspringt. Miteinbezogen ist die Erzählung Das merkwürdige
musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berlinger, eine autobiographische
Darstellung eines im absoluten Subjektivismus geführten Kunstlebens. Der „in ätherischen
Träumen“ lebende Junge, der „ganz berauscht von dem Genuß einer herrlichen Musik“
dem bürgerlichen Alltag entfliehen konnte, muss die Erfahrung einer bitteren Wirklichkeit
durchmachen, die den „reinen idealischen Enthusiasmus seiner Knabenzeit“ als Illusion
entlarvt.
Ludwig Tieck (1773-1853)
Seine literarischen Anfänge stehen unter dem Einfluss der Aufklärung und
des
Sturm
und
Drang.
In
seinem
dreibändigen
Brief-Roman
mit
starken
autobiographischen Zügen Geschichte des Herrn William Lovell (1795/96) verkörpert ein
sehr begabter, schwärmerischer junger Mann das Genie-Ideal des Sturm und Drang.
Lovell geht allerdings an seinem Hedonismus zugrunde. 1797 wendet er sich der
Volksdichtung zu. Seine Sammlung Volksmärchen (herausgegeben von Peter Lebrecht)
enthält Bearbeitungen alter Volkssagen, aber auch selbsterfundene Märchen, wie Der
blonde Eckbert. Diese Märchennovelle zählt zu den berühmtesten Meisterwerken der
deutschen Romantik und ist typisch für die Festlegung dieser Gattung, die schnell sehr
populär unter den Dichtern der Epoche wurde, und des romantischen Motivs der
„Waldeinsamkeit“. Die Mischung von Märchen-Elementen (das Wunderbare) und
Novelle-Eigenschaften (der starke Akzent auf Psychologisch-Subjektivem) eignet sich
vortrefflich zum romantischen Versuch, das gegenseitige Spiel von Alltäglichem und
Wunderbarem, von Natur und Seele darzustellen. Anders als im Volksmärchen dient das
Wunderbare dazu, die Natur zu dämonisieren: der Mensch unterliegt dunklen Mächten, die
sowohl von außen (über- oder unterirdische Erscheinungen) als auch von innen (Drang zur
Selbstzerstörung) kommen. Die äußere Landschaft und die Seelenlandschaft spiegeln
einander wieder, wie Novalis es in seiner Bestimmung des Märchens als Maß aller Poesie
forderte: In einem echten Märchen muß alles wunderbar – geheimnisvoll und
unzusammenhängend sein – alles belebt. [...] Die ganze Natur muß auf eine wunderliche
Art mit der ganzen Geisterwelt vermischt sein.
Die Hauptfiguren, der blonde Eckbert und seine Frau Bertha, leben in
völliger Isolation von der Gesellschaft und genießen eine scheinbare Idylle inmitten der
Natur, die dann in Alptraum und Horror umschlägt. Eine grundlegende Ambivalenz prägt
Tiecks Bearbeitung der Inzest- und Mord-Motive und erzeugt eine unaussprechlich
schauerhafte Stimmung der seelischen Ferne. Für den allmählich in Wahnsinn versinkende
Eckbert verwischen sich die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit: Jetzt war es um
das Bewußtsein, um die Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus dem Rätsel
herausfinden, ob er jetzt träume, oder ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe;
das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war
verzaubert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig.
Der gestiefelte Kater ist ein anderes Beispiel dafür, wie Tiecks originale
Bearbeitungen von anderen Märchen (in diesem Fall Le chat botté von Charles Perrault)
romantische Anschauungen wiedergeben. In dieser Komödie, die kein Kindermärchen ist,
werden Witz und Ironie dazu benutzt, die zeitgenössische Literatur und das phantasielose
Publikum zu kritisieren. Die Satire verspottet auch die aufklärerische Theaterauffassung
und stellt die künstlerische Freiheit und das freie Spiel der Einbildungskraft dem Verstand
und den Regeln des „guten Geschmacks“ gegenüber.
Mit dem unvollendeten Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen. Eine
altdeutsche Geschichte (1798), der unter dem Einfluss seines früh verstorbenen Freundes
Wackenroder steht, schlägt Tieck eine weitere typische Thematik an: Darstellung einer
poetischen Künstlerexistenz am Rande der Gesellschaft, die vom aufsteigenden
Kapitalismus geprägt wird. Auch wenn der junge Maler Sternbald Schüler von Albrecht
Dürer ist, hat er wenig mit der Renaissance zu tun, die sich nur als ein farbiger
Hintergrund zur eigentlichen romantischen Problematik erweist. Er verkörpert den
romantischen Künstler, dessen Größe nicht nach dem wirklich Vollbrachten sondern nach
seinen geistigen Eigenschaften und seiner heiligen Begeisterung ermessen werden soll.
August Wilhelm Schlegel (1767-1845)
Der ältere der Brüder Schlegel, die als Initiatoren der Frühromantik den
Jenaer Kreis um sich bildeten, ist weniger für seine eigenen Werke bekannt als für seine
Tätigkeit als Literaturhistoriker und –kritiker und Übersetzer. Seine Übersetzungen aus
Calderón, Cervantes, Petrarca u.a. zeigen eine außerordentliche Begabung, und seine
Ausgabe von Shakespeare-Werken gilt bis heute als die deutsche Standardübersetzung für
deutsche Sprache.
In seinen Vorlesungen Über schöne Literatur und Kunst (1804) und Über
dramatische Kunst und Literatur (1809-1811) tritt er für eine geschichtstheoretische
Literaturkritik ein, die die Werke ganz im romantischen Sinne nicht kritisch beurteilen,
sondern verstehen und von innen erfassen soll. Er legt die Prinzipien der romantischen
Kunst dar, indem er eine klare Scheidung des Klassischen und Romantischen vornimmt.
Er gilt auch als Mitbegründer (neben Humboldt und Franz Bopp) der
Indologie und der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft.
Friedrich Schlegel (1772-1821)
Mit seinem Bruder August gibt er die kritisch-poetologische Zeitschrift
Athenäum als „Sprachorgan“ der romantischen Strömung heraus. Besonders in den
berühmten Fragmenten arbeitet er das ästhetische Programm der Frühromantik aus. Durch
die Entwicklung seiner „Ästhetik des Hässlichen“ wird er zu einem wichtigen Vorläufer
der literarischen Moderne.
Sein Briefroman Lucinde (1799) stellt das berühmteste Zeugnis der
romantischen Liebesauffassung dar. Das gewagte ästhetische Experiment, die Theorie des
romantischen Romans als „Mischung aller Dichtarten“ in die Praxis umzusetzen, löste bei
seiner Erscheinung einen riesigen Skandal aus. Das geschah allerdings nicht wegen den
modernen poetologischen Prämissen, sondern wegen der Kühnheit, mit der Schlegel mit
den gesellschaftlichen Konventionen brach. Besonders die unverschleierte Darstellung der
Sinnlichkeit in der Liebe schockierte die Zeitgenossen des Dichters.
Zentral in diesem Zusammenhang ist der Mythos der Androgynie: am
Anfang der Zeit waren die Geschlechter eins. Nach dem Fall, der zur Trennung in
männliche und weibliche Prinzipien führte, befindet sich der Mensch, von einem ständigen
Gefühl von „Mangel“ geplagt, auf der Suche nach der ursprünglichen Einheit. Die Liebe
wird also als religiöses Ritual gefeiert, durch das die verlorene Ganzheit der Menschheit
wieder hergestellt werden kann. Es geht um eine wunderbare sinnreich bedeutende
Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen
Menschheit. Wenn Julius dieses Bekenntnis macht, unterstreicht er damit auch das
Auserwähltsein der beiden Liebenden. Nur Lucinde kann das androgyne Paar ergänzen,
weil sie allein, unter allen Frauen, das romantische Ideal der Frau als Doppelbild der
männlichen Seele verkörpert: In dir habe ich es alles gefunden und mehr als ich zu
wünschen vermochte: aber du bist auch nicht wie die andern. Am Beispiel von Lucinde
findet man die beste Illustration der Schlegelschen theoretischen Überlegung, im Roman
solle eine Vereinigung von Universalität und Individualität stattfinden. Sie ist zugleich
Julius’ Geliebte, die am Ende einen individuellen Tod stirbt, und das ewige Sinnbild eines
universalen Archetyps, der alle möglichen Formen des Weiblichen in sich kondensiert:
„kindliches Mädchen“, Geschlechtsgefährtin, „Seelenfreundin“, Schwester, Ehefrau,
„würdige Mutter“.
Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis (1772-1801)
Novalis gilt als emblematische Figur der deutschen und europäischen
Romantik: „Novalis ist der einzig wahrhafte Dichter der romantischen Schule, nur in ihm
ist die ganze Seele der Romantik Lied geworden“ (Georg Lukács).
Der Tod seiner 15-jährigen Verlobten Sophie von Kühn (1797) rief beim
Dichter tiefe Bestürzung hervor. Die 1800 erschienen Hymnen an die Nacht wurzeln in
einem mystischen Erlebnis: am Grab seiner jungen Braut hat er die Vision der
Überwindung des Todes durch ewige Liebe (aufblitzende Enthusiasmus Momente – Das
Grab blies ich wie Staub, vor mir hin - Jahrhunderte waren wie Momente - ihre Nähe war
fühlbar). Durch die Mystik Jakob Böhmes beeinflusst, stellen die Hymnen die
bedeutendste lyrische Leistung der Romantik dar und geben eine Reihe von Themen und
Motive vor, die für die ganze romantische Schule paradigmatisch werden. Als Reich einer
unendlichen Fülle des Seins kommt der Nacht eine wesentliche metaphysische Funktion
zu: sie erschliesst die Tore zum Jenseits, zu jenem überirdischen geistigen Land, in dem
ewiges Leben und die mystische Verschmelzung mit der Geliebten möglich sind. Die
Nacht steht hier als Metapher für den Tod, und der Tod verweist wiederum auf die
absolute Erfüllung im Gott. Die Steigerung des religiösen Gefühls in den sechs Hymnen
mündet in die Entfaltung einer persönlichen Mythologie, die in den letzten zwei Hymnen
allerdings mit der christlichen Religion zusammen fällt.
Novalis hat auch zwei berühmte, Fragment gebliebene Romane hinterlassen.
Heinrich von Ofterdingen (1802) ist entscheidend für die Konstituierung der romantischen
Bewegung um einen festen Kern symbolischer Konstanten. Dem Dichter ist gelungen,
sowohl die romantische Theorie über die Roman-Gattung exemplarisch zu illustrieren, als
auch das Vorbild des romantischen Helden zu schaffen. Der Plan zu dieser phantastischen
Märchendichtung wurde ursprünglich als Gegenstück zu Goethes Wilhelm Meister
entworfen, über das Novalis abwertend sprach: Gegen Wilhelm Meisters Lehrjahre. Es ist
im Grunde ein fatales und albernes Buch – so pretentiös und pretiös – undichterisch im
höchsten Grade, was den Geist betrift – so poëtisch auch die Darstellung ist.
Der Roman stellt den Entwicklungsweg des jungen Heinrich zur
Selbstverwirklichung als Dichter dar. Das Vorbild für den Helden liefert der sagenhafte
Minnesänger Heinrich von Ofterdingen, der vermutlich am Hof des Kaisers Friedrich II.
im 13. Jahrhundert gelebt hat. Die Verlegung ins Mittelalter ermöglicht Novalis, eine
vergangene Welt darzustellen, in der sich Menschen und Natur im Einklang befanden und
die in einer utopischen Zukunft durch die magische Kraft der Poesie zurückkehren wird.
Der Roman ist allerdings kein historischer, das Mittelalter bleibt nur ein fabelhafter
Hintergrund, vor dem sich das eigentliche Thema des Romans, die „Apotheose der
Poesie“, entfalten kann.
Im ersten Teil „Die Erwartung“ wird die Reise des jungen Heinrich mit
seiner Mutter von Eisenach nach Augsburg beschrieben, die dem symbolischen Weg des
Ich nach unendlicher Selbstverwirklichung entspricht. Auslöser der Sehnsucht nach der
Ferne ist ein prophetischer Traum, mit dem der Roman ansetzt, und der entscheidend für
die Poetik der Romantik ist: der Traum von der blauen Blume. Auf dem Weg lernt
Heinrich unterschiedliche Figuren aus wichtigen Erfahrungsbereichen kennen, die ihm
Schlüssel zur poetischen Erschließung der Welt liefern (Kaufleute, Kreuzritter,
Kriegsmann, Bergsmann, Einsiedler). Die jeweiligen Gespräche werden zu selbständigen
jedoch eng miteinander kommunizierenden Schwerpunkten des Textes, der keinen
realistischen, kausalen Handlungsverlauf aufweist sondern wie ein harmonischmelodisches Ganzes vor sich hinfließt.
Die Aufgabe der Kunst ist es, die Wiederkehr jenes Goldenen Zeitalters in
die Welt vorzubereiten, anzumelden und letztendlich zu bewirken. Heinrich von
Ofterdingen ist die Geschichte dieser verwirklichten Utopie, die die Erlösung der Welt
durch die poetische Kraft voraussetzt. Im zweiten Teil des Romans, der unbeendet
geblieben ist und „Die Erfüllung“ heisst, soll Heinrich am Ende die blaue Blume pflücken
und das Reich der Poesie begründen. In den hinterbliebenen Aufzeichnungen verweist
Novalis mehrmals auf die Modalität dieser Erfüllung: durch die Poetisierung der Welt ist
die neue goldene Zeit angebrochen, die aber nicht einfach eine Rückkehr zur magischen
Urzeit bedeutet, sondern gerade deren Übernahme und Transzendierung in einer neuen
vollkommenen Existenzform. Die Bedingung dafür ist die universelle Verschmelzung, die
Versöhnung aller Antinomien:
Noch eine weitere, dem mechanistischen Weltbild der Aufklärung
entgegengesetzte Auffassung ist das Thema des zweiten unvollendeten Romans von
Novalis, Die Lehrlinge zu Sais (1798-1799 verfasst und 1802 nach dem Tod des Dichters
erschienen). Es handelt sich um das naturphilosophische Verständnis der Welt als ein
dynamisches Spannungsfeld von Geist und Natur, in dem Selbsterkenntnis und
Naturerkenntnis einander in einem unendlichen Entwicklungsprozess wiederspiegeln und
potenzieren. Der Roman besteht aus Bruchstücken, in denen eine Vielfalt verschiedener
Stimmen und Perspektiven über dasselbe Thema zum Ausdruck kommt.
2. Die Hochromantik (1804-1816)
Mit der Hochromantik rückte ein neues literarisches Zentrum in den
Vordergrund: Heidelberg (daher auch die Bezeichnung „Heidelberger Romantik“). Die
auch in der Frühromantik existierende Beschäftigung mit dem Volkstümlichen stand jetzt
im Mittelpunkt. Die Perspektive war allerdings eine neue, insofern die Literaten für die
Werte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation eintraten und versuchten, auf die
entmutigenden Umstände der französischen Besatzung mit der Erweckung eines neuen
nationalen Gefühls durch Literatur und Kunst zu antworten. Volksmärchen und
Volkssagen, Volkslieder und Volksbücher wurden neu entdeckt, wieder belebt und dienten
als Inspirationsquelle für selbständige literarische Produktion.
Clemens Brentano (1778-1842)
Die Auswirkungen der Frühromantik auf den jungen Studenten, der in Jena
im Kreis von Schlegel, Fichte und Tieck verkehrte, lassen sich in seinem 1801
veröffentlichten Bildungsroman Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter in der
Nachfolge von Wilhelm Meisters Lehrjahre erkennen. In diese lyrische Prosa, die
allerdings
durch
überraschende
Wendungen
und
häufigen
Stimmungswechsel
gekennzeichnet wird, streut er Gespräche und Reflexionen ein, die das romantische
Programm erläutern. Das Romantische wird aus der Sicht des subjektivistischen
Individualismus definiert: Das Romantische ist also ein Perspectiv oder vielmehr die
Farbe des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes durch die Form des Glases. Das
innere Licht des betrachtenden Auges verklärt die Wirklichkeit und gibt ihr „etwas von
dem Seinigen“ mit. Durch die antiillusionistischen Verfahren im 2. Teil wird die
Romanhandlung als Fiktion entblößt und das moderne Thema des Identitätsverlustes
angeschlagen. Hier befindet sich auch die Ballade Zu Bacharach am Rheine, in der zum
ersten Mal der Mythos der geheimnisvollen Lore Lay bearbeitet wird.
Zusammen mit Achim von Arnim gab Brentano in Heidelberg die Zeitung für
Einsiedler und die Volksliedsammlung in drei Bänden Des Knaben Wunderhorn (18061808) heraus, die die beiden Dichter zu Hauptvertretern der Hochromantik werden ließen.
Die Volkslieder vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert spiegeln nach der Meinung der
Autoren den ewigen reinen Geist des Volks und können also auch für die Gebildeten als
Inspirationsquelle dienen.
Die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (1817) zählt zu
den hervorragendsten Novellen der deutschen Literatur. In dieser Rahmenerzählung
beweist Brentano seine narrative Virtuosität, indem er aus der Perspektive von zwei IchErzählern über das doppelte tragische Dorfschicksal von Kasperl und Annerl berichtet,
denen wegen Selbstmord bzw. Hinrichtung das Recht auf ein ehrliches Grab verweigert
wird. Um das Grundthema der Ehre entfaltet Brentano eine heftige Kritik an der
verlogenen Moral und den gesellschaftlichen Umständen der Zeit. An der kunstvollen
Darstellung der blutigen Ereignisse lässt sich die Vorliebe der Romantik für Horrormotive
erkennen.
Sehr berühmt ist auch das Märchen Gockel, Hinkel und Gackeleia, 1838
veröffentlicht.
Achim von Arnim (1781-1831)
Achim von Arnim hat ein umfangreiches Werk, das alle literarischen
Gattungen umfasst, hinterlassen. Bekannt sind allerdings am meisten die Novellen und ein
Roman, Die Kronenwächter (1817), der das Genre des historischen Romans in
Deutschland
begründete.
Gemäß
dem
Prinzip
des
Fragmentarischen
in
der
frühromantischen Ästhetik ist er unvollendet geblieben.
Die drei Meisternovellen sind Isabella von Ägypten. Kaiser Karl des Fünften
erste Jugendliebe (1812), Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau (1818) und Die
Majoratsherren (1820).
Die Brüder Grimm
Jakob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) veröffentlichten
gemeinsam die Kinder- und Hausmärchen (1812-1815). Die Sammlung gilt, neben Des
Knaben Wunderhorn und den Sagen von Görres, als maßgebend für die Bemühungen der
Romantiker, das Volkstümliche neu zu entdecken und zu beleben. Der romantischen
Auffassung treu, die in der Volksdichtung den reinsten Ausdruck des nationalen
Volksgeistes sieht, bieten die Märchen „echte Poesie“ dar, mit der die Kunst der
Gebildeten kaum verglichen werden kann. Die Welt der Märchen ist die ersehnte
romantische Welt der Naturverbundenheit, Einfachheit und Harmonie.
Ein anderes gemeinsames Werk der Brüder ist das Deutsche Wörterbuch
(1852-1859), das in vier Bänden erschienen ist.
Jakob Grimm gilt als einer der Begründer der neueren deutschen
Sprachwissenschaft. In seiner Deutschen Grammatik (1819) beschäftigte er sich mit der
Entwicklung und den phonetischen Gesetzen der indogermanischen Sprachen. Die
deutsche Mythologie (1844) hat der Mythen-Forschung rege Impulse gegeben.
3. Die Spätromantik (1816-1830)
Wichtige Zentren der Spätromantik sind Berlin und Schwaben. Eine genaue
Einteilung ist jedoch schwer, da manche Schriftsteller wie Tieck, Brentano oder Arnim,
deren Werk größtenteils in die früh- oder hochromantischen Phasen fällt, noch literarisch
tätig sind und ihre Schriften neben jüngeren Autoren wie Hoffmann oder Chamisso
veröffentlichen. Die Kennzeichen der Epoche sind die Wendung zum Katholizismus, die
Unzufriedenheit und die Enttäuschung über das Scheitern der revolutionären Projekte der
Frühromantik, die in skeptische Melancholie und schwarzen Humor umschlagen.
Diejenigen, die mit zügelloser Begeisterung auf eine dramatische Umwälzung auf
gesellschaftlicher Ebene und bedingungslose Erfüllung des Geistes auf metaphysischer
Ebene gezielt hatten, mussten bald entdecken, dass unendliche Sehnsucht und
künstlerisches Leben sich schlecht mit dem durch die Konventionen des Philistertums
bestimmten Alltag vereinbaren lassen. Mangelnde Tatkraft und die zunehmende Neigung,
sich in einer kompensatorischen Welt der Vorstellungen zu isolieren, die Wirklichkeit zu
fliehen statt sie verändern zu wollen, treten immer häufiger auf.
3.1. Die Spätromantik in Berlin
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
Eichendorff ist einer der berühmtesten Autoren der Spätromantik, dessen
Lyrik und Prosa sehr inspirierend auf viele Generationen wirkten. Seine Gedichte
kennzeichnen sich durch den volksliedhaften Charakter, der ihnen eine absichtliche
Einfachheit und ausgeprägte Musikalität durch die Wiederholung derselben Formeln und
Motive verleiht. Daher waren sie für Vertonungen geeignet, die sehr populär wurden und
bis heute bekannt und beliebt.
Eichendorff teilt mit allen Romantikern den Glauben an die magische Kraft
des Dichters, der hinter der Oberfläche der Dinge den wahren Sinn des Daseins entdecken
kann. Es geht ihm im Wesentlichen um die Verklärung der Welt durch das poetische
Wort, wie es sein berühmtes Gedicht Wünschelrute, das als ars poetica der gesamten
Romantik betrachtet werden kann, in der knappen Form eines Vierzeilers zusammenfasst:
Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu
singen, Triffst du nur das Zauberwort.
Zentral für die romantische Poetik ist hier nicht nur der Topos der natura
loquitur, der wunderbaren Sprache der Natur, die gleich mit der ursprünglichen Dichtung
der Welt ist, sondern auch die Schlaf- und Traum-Metaphorik und die Vorstellung der
heiligen Aufgabe des Dichters, die Natur aus ihrem bewusstlosen Schlaf zu erwecken und
zu befreien. Durch das „Zauberwort“ der Poesie wird sie zu ihrem ewigen Sein zurück
geführt.
Charakteristisch für die Spätromantik ist aber auch die melancholische
Gewissheit, poetisches Dasein und nüchterne Wirklichkeit seien unvereinbar. Die Flucht
in die Ferne gelingt nie ganz, das lyrische Ich bleibt in der banalen Alltags-Realität
gefangen.
Das Sänger- und Wanderleben, das auch im Gedicht Der frohe Wandersmann
im Mittelpunkt steht, wird zum Thema des berühmtesten Werks Eichendorffs, der Novelle
Aus dem Leben eines Taugenichts (1826 veröffentlicht).
Das erzählerische Ich verkörpert das Sinnbild des romantischen Wanderers,
der durch die ganze Welt mit seiner Geige zieht und die Schönheiten der Natur in einem
freien, ungebundenen Leben zu genießen weiß. Das zentrale Anliegen des Werks ist der
Gegensatz zwischen Künstler- und Philisterleben, so wie er schon am Anfang der Novelle
in einem vom Taugenichts gesungenen Lied dargestellt wird.
Dem Künstler gehören also die Poesie und die heiligen Wunder der Welt,
dem Bürger, der in der romantischen Epoche als Philister karikiert wird, der banale Alltag.
Um diesen Zwiespalt am besten zu verdeutlichen, legt Eichendorff seine Novelle als
Märchen mit phantastischen und komischen Zügen an. Von seinem Vater, der zu den
tüchtigen „Trägen“ mit festem Beruf (Mühler) und den gesellschaftlichen Normen
angepassten Vorstellungen gehört, wird der Knabe wegen „Faulheit“ von zu Hause weg
getrieben, damit er sein Brot endlich erwerben lernt. Was als ein gewöhnlicher Wanderund Bildungsroman anfängt, entwickelt sich jedoch mehr und mehr zu einer realitätsfernen
Phantasie. Das ist in erster Linie der Figur des Taugenichts selbst zu verdanken, und
seinem eigenartigen Blick auf die Welt: das erzählerische Ich nimmt die Wirklichkeit nie
als solche wahr, sondern immer verklärt zu einem Idealbild. Fröhlich und gutherzig, naiv
und enthusiastisch, völlig unfähig, die Umstände des Lebens richtig einzuschätzen und
folgendermaßen in komischen Situationen aller Art ständig verwickelt, erlebt der
Taugenichts alles, was auf ihn zukommt, wie einen beseligenden Traum. Die feindlichen
Eingriffe der Realität in seine Vorstellungswelt verursachen zwar Melancholie-Anfälle,
die werden aber schnell mit Hilfe des Geige-Spielens überwunden, so dass das Reich der
Phantasie andauernd in seiner Reinheit erhalten wird.
Den Worten des Lieds entsprechend, erweist ihm Gott seine „rechte Gunst“
indem die Vorfälle seiner Reise wirklich märchenhaft sind und zu einer Apotheose des
absoluten Glücks führen. Das Ende der Novelle widerspricht somit dem Vorbild des
Bildungsroman: der Taugenichts erfährt keine psychologische Entwicklung, keine
äußerlichen Einflüsse oder Begebenheiten können auf sein Wesen wirken, da die Kunst
die magische Kraft hat sich über die Realität hinweg zu setzen, und trotzdem (oder
deswegen) fällt ihm alles zum Glück aus.
Die Eigenschaften des Protagonisten: Naturverbundenheit, künstlerische
Veranlagung mit Ausklammerung der rational-pragmatischen Fähigkeiten, die ihm einen
ordentlichen Gelderwerb sichern würden, kindische seelische Verfassung, die ihm hilft,
trotz allen Hindernissen die Harmonie der Welt und das Glück in der Phantasie immer
wieder zu finden, machen aus ihm eine typische Figur der Romantik, die große Popularität
genossen hat.
Adelbert von Chamisso (1781-1838)
Chamisso war der Sohn eines französischen Grafen, der infolge der
Revolution nach Süddeutschland und dann Berlin floh. Seine Muttersprache war also
Französisch, und doch gelang es dem Dichter und Naturforscher als bedeutendste
Leistung, eine der bekanntesten und in mehreren Ländern volkstümlich gewordenen
Erzählungen der Romantik zu verfassen: Peter Schlemihls wundersame Geschichte
(1814).
Diese Novelle hat auch märchenhafte Züge (daher die Bezeichnung
„Märchennovelle“), denn ihr zentrales Motiv ist der Schatten-Verkauf an den Teufel,
wodurch der Held, Peter Schlemihl, dessen Familienname auf einen unglücklichen
Menschen, dem nichts geschieht, verweist, sich das Glück durch Geld zu erobern versucht.
Bald muss er aber feststellen, dass der Handel ihn zum ewigen Außenseitertum verurteilt:
in den Augen der Menschen hat er mit seinem Schatten auch das Recht verloren, ein
Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein.
Ständig auf der Flucht, erlebt er eine unglückliche Liebe für die schöne Mina,
die er aber nur unter der Bedingung heiraten darf, dass er seinen Schatten zurück
bekommt, was ihm nicht gelingt. Statt den Kaufvertrag rückgängig zu machen, bietet ihm
der Teufel bei einem zweiten Treffen die Möglichkeit, an Stelle des Schattens seine Seele
zu bekommen. Schlemihl weigert sich diesmal darauf einzugehen und verbringt den Rest
seines Lebens als Naturforscher, in enger Naturverbundenheit. Dank einem Paar alter
Stiefel, die er mit seinem letzten Geld gekauft hat und in Wirklichkeit Siebenmeilenstiefel
waren, kann er auf der Erde nach seiner Herzenslust umherstreifen.
Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843)
Der Schriftsteller französischer Abstammung ist am besten für seine
Erzählung Undine (1811) bekannt, die eine weltweite Wirkung genossen hat (auch dank
der Vertonung als Oper: Undine von E.T.A. Hoffmann und Ondine von Jean Giraudoux).
Es ist ein Märchen, in dessen Mittelpunkt der Konflikt zwischen
Elementargeistern und menschlicher Welt steht. Die Elementargeister sind übernatürliche
Wesen, die über die vier Grundelemente herrschen und die Urgewalt der Natur
symbolisieren. Inspiriert wurde de la Motte Fouqué durch die Vorstellung des Paracelsus,
die Elementargeister als eine Mischung von Geist und Mensch zu sehen, die Gott als Hüter
der Naturbereiche bestimmt hat. Für seine Erzählung wählt der Dichter die
Elementargeister des Wassers, die in der Gestalt von Sirenen oder Nixen oder Nymphen
die Romantiker schon immer fasziniert haben, als Verkörperung einer zauberhaften,
jedoch wild-irrationalen und daher höchst gefährlichen Weiblichkeit, an der der Mann
zugrunde geht. Der Ritter Huldbrand muss die bittere Erfahrung der Unmöglichkeit
machen, die zwei verschiedene Bereiche der Menschenwelt und Geisterwelt zusammen zu
führen. Auch wenn er die Nixe Undine, die durch die Heirat mit einem Sterblichen eine
Seele zu erwerben sucht, liebt, wird er immer mehr vom gewaltigen Unterschied, den er in
ihrer fremden Natur entdeckt, weg getrieben und wendet sich zu einer menschlichen Frau.
Undine muss ins Wasserreich zurückkehren und das unabwendbare Gesetz der
Elementargeister verurteilt ihren untreuen Mann zum Tode.
E. T . A. Hoffmann (1776-1822)
E. T. A. Hoffmann ist zweifelsohne die berühmteste Künstlerpersönlichkeit
der Spätromantik, dessen Werk eine erstaunliche Vielseitigkeit aufweist: nicht nur im
literarischen Bereich war er außerordentlich begabt, sondern zeichnete sich auch durch
seine Tätigkeit als Komponist, Kapellmeister und Zeichner aus. Sein Ruhm verbreitete
sich rasch nach Frankreich, Russland und sogar Amerika, und viele Autoren (u.a.
Baudelaire, Maupassant, Puschkin, Dostojewski und Poe) lassen seinen Einfluss erkennen.
Die Surrealisten waren von seiner Behandlung des phantastischen Grauens begeistert und
zählten ihn zu ihren Ahnen.
Bei keinem anderen Vertreter der Spätromantik wird mit solcher Prägnanz
den schmerzhaften Konflikt zwischen dem bürgerlichen Alltag und der Phantasiewelt
ausgelebt und zum Thema der ganzen Dichtkunst gemacht. Der (meist schwarze) Humor
und die Ironie sind die zwei Waffen, die Hoffmann meisterhaft handhabt um über den
inneren Zwiespalt hinweg zu kommen und das fragile Gleichgewicht eines Lebens zu
bewahren, das von Armut, Trinksucht, Krankheit, Geistervisionen und Zusammenstoßen
mit der Obrigkeit geplagt wurde (daher die Benennung „Gespenster-Hoffmann“). Seine
Werke spiegeln die Zerrissenheit dieser Existenz wieder und zeigen, wie die unmittelbar
gegebene Wirklichkeit mit der dunklen Welt des Dämonischen kollidiert.
Das Thema, das sich wie ein roter Faden durch seine Schriften zieht, ist das
ambivalente Verhältnis zwischen Traum und Wirklichkeit. Die zwei Welten fließen oft
unbemerkbar ineinander um dann unerwartet und mit schauerlichen Folgen auseinander zu
brechen, was zu komplizierten und schockartigen Verwirrungen führt und bei seinen
Gestalten psychische Krankheiten und seelische Störungen, die an Wahnsinn grenzen,
verursacht. In seiner Beschäftigung mit den Nachtseiten des Daseins schöpft Hoffmann
aus dem umfangreichen Repertoire der Zeit viele Themen und Motive, wobei er sich in
bester romantischer Tradition auch die naturwissenschaftlichen Vorstellungen und
medizinischen Kenntnisse zu Nutze macht. Daher erweist seine Novelistik eine enge
Verwandtschaft mit der romantischen Schicksalstragödie: das Gespenstische und
Unberechenbare walten im menschlichen Leben, die Gestalten sind dem Dämonischen
hilflos ausgesetzt, von dem man nie wissen kann, ob es eine Erscheinung dunkler Mächte,
die in Wirklichkeit existieren und hinter der Oberfläche des banalen Alltags lauern oder
nur die Wahnvorstellung einer überspannten Psyche ist. Schicksalsschläge, Verirrungen
des Geistes, grauenhafte Zufälle und Unglücksfälle, Rachedämonen, Doppelgängertum
und Auseinandersetzung mit den unheimlichen Folgen der faszinierenden aber auch
befürchteten Entwicklung der Technik (Automaten) stehen im Zentrum seiner Werke und
werden durch eine eigenartige Erzählweise virtuos gestaltet.
Hoffmann beginnt seine literarische Tätigkeit im Jahre 1814 mit einer
vierbändigen Sammlung von Erzählungen, die, an den französischen Zeichner und
Kupfersticher Jacques Callot anknüpfend, Phantasiestücke in Callots Manier. Blätter aus
dem Tagebuch eines reichen Enthusiasten heißt. Wie der Dichter selbst in der Einleitung
unterstreicht, will der Titel auf das Phantastisch-Humoristische seiner Schreibart die
Aufmerksamkeit lenken, denn die Zeichnungen Callots sind „Reflexe aller der
phantastischen wunderlichen Erscheinungen, die der Zauber seiner überregen Phantasie
hervorrief“. Inspiriert von der Kunst des barocken Meisters, der sogar Figuren und
Geschehnissen des Alltags eine „gewisse romantische Originalität“ zu verleihen fähig war,
erstrebt Hoffmann für sich dieselbe Leistung und sieht im von den Romantikern
bevorzugten Mittel der Ironie den Angelpunkt seines Stils.
Der goldne Topf, vom Autor selbst „Ein Märchen aus der neuen Zeit“
bezeichnet, wurde als dritter Band der Sammlung veröffentlicht und gilt als ein
unumstrittenes Meisterwerk Hoffmanns, das zu den berühmtesten Erzählungen deutscher
Literatur gehört. Es ist die Geschichte des armen ungeschickten Studenten Anselmus, der
mühsam versucht, sich den bürgerlichen Konventionen anzupassen, während in seiner
Seele das ganze Reich der Poesie lebendig ist. Durch eine Reihe von Zufällen verliebt er
sich in eine Schlange, lernt den Archivarius Lindhorst kennen, der in Wirklichkeit ein
Elementargeist aus Atlantis ist und dessen Tochter Serpentina ihm früher in der Form der
Schlange erschienen war, und dringt immer tiefer in die Geheimnisse der phantastischen
Welt hinein, die sich, anderen Augen verborgen, mitten des banales Alltags entfaltet.
Wie das in vielen seiner Arbeiten der Fall ist, liegt dem Text eine
unaufhebbare Spannung zwischen Wirklichkeit und Phantasie zugrunde, die sich auch im
Aufbau widerspiegelt: die zwei Ebenen, der realen Stadt Dresden, wo sich Hoffmann zum
Zeitpunkt des Schreibens befindet, mit ihrer realistisch dargestellten Topographie (dem
Schwarzen Tor, der Elbe, dem Linkischen Bade, dem Pirnaer Tor, der Kreuzkirche usw.)
und der phantastischen Welt verschlingen sich und entsprechen einander wie in einem
Spiegel. Sogar die Figuren-Konstellationen wiederholen sich: dem Konrektor Paulmann
entspricht der geheimnisvolle Archivarius Lindhorst, deren Tochter, die an bürgerlichen
Werten orientierte Veronika und die zauberhafte Serpentina zwei parallele Möglichkeiten
der Liebeserfüllung darstellen. Durch die Heirat mit Veronika, die ihn mit Hilfe der bösen
Hexe für sich selbst gewinnen will, könnte Anselmus Zugang zur bürgerlichen Idylle eines
stabilen und reizvollen Haushalts in der oberen Schicht der Stadt finden, wofür er aber die
poetische Fülle seines inneren Wesens aufopfern müsste. Die Liebe Serpentinas eröffnet
ihm aber den Weg zur magischen Selbsterfüllung im unendlichen Reich der Poesie. Das
Schmerzhafte am menschlichen Schicksal ist, eine Vereinigung beider Lebensbereiche ist
nicht möglich. Wenn Veronika den neulich zum Hofrat genannten Heerbrand heiratet,
verliert sie jeden Kontakt zur übernatürlichen Sphäre; das Liebesglück mit Serpentina im
entfernten Atlantis-Land muss der zum Dichter gewordene Anselmus durch Verzicht auf
ein Leben unter Menschen, also Vereinsamung und Weltentfremdung, einbüßen.
In einer anderen möglichen Interpretation ist die wirkliche Welt nur eine
minderwertige Spiegelung des wahren Seins im Reich der Poesie: der ursprüngliche
Zustand der Menschheit ist derjenige des Atlantis-Mythos, und wurde durch den
Sündenfall verloren. So wie Anselmus die Befreiung von den Zwängen des verfallenen
Lebens gelingt, das man wegen Ignoranz für das wirkliche hält, gilt es für alle Menschen
durch Phantasie und Poesie erlöst zu werden. Der goldene Topf, in dem sich das Reich
Atlantis spiegelt, fungiert somit als Symbol für die romantische Poesie, genau wie die
blaue Blume bei Novalis.
Aber die hervorragendste Leistung Hoffmanns ist in diesem Märchen die
raffinierte
Erzählkunst:
er
bedient
sich
eines
fiktionalen
Erzählers
um
die
entgegengesetzten Ebenen der Handlung zusammenzufügen, die Grenzen des Erzählten
immer wieder durch Ironie zu springen und dem Leser durch direkte Anrede die
Erkenntnis beizubringen, er kann sich auch mit Hilfe der Phantasie aus der Enge der
Wirklichkeit loslösen. Als am Ende des Märchens der Erzähler klagt, er kann Anselmus
nach Atlantis nicht folgen und muss zu seinem „Dachstübchen“ und zu den
„Armseligkeiten des bedürftigen Lebens“ zurückkehren, erklärt ihm der Archivarius, dass
Anselmus’ Seligkeit für alle möglich ist, denn sie bedeutet nichts anderes als „das Leben
in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur
offenbaret“.
Weitere Werke Hoffmanns sind der schwarze Roman Die Elixiere des
Teufels
(1815-1816),
in
dem
Motive
der
Schauerliteratur
erscheinen
wie
Doppelgängertum, Fluch und Mord, Wahnsinn und Walten dunkler Mächte, die den
Menschen in ihren Bann ziehen und zur Zerstörung bringen, das Märchen Nussknacker
und Mausekönig (1816), das als Vorlage für Tschaikowskis Ballets Der Nussknacker
diente,
Die
Nachtstücke
(1817),
eine
Sammlung
von
dämonisch-fatalistischen
Erzählungen.
In der Erzählung mit märchenhaft-phantastischen Zügen Klein Zaches,
genannt Zinnober (1819) schildert Hoffmann die gesellschaftlichen Verhältnisse an dem
fiktiven Hof des Fürsten Paphnutius, der die Aufklärung per Dekret einführen will und die
Poesie aus dem Lande bannt. Der böswillige Zauberer Zinnober, ein hässlicher Zwerg,
erwerbt sich durch Magie die höchste Anerkennung, Belohnungen und Auszeichnungen,
die ehrlichen Menschen wie dem Studenten Balthasar und dem Beamten Adrian für reale
Verdienste verweigert werden. Ebenfalls als beißende Satire erweist sich auch der Roman
Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters
Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern (2 Bd., 1819-1821), der zwei
entgegengesetzte Lebensgeschichten gegenüberstellt: die Biographie des Katers Murr als
Literaten, eine Parodie bürgerlicher Vorstellungen über Bildung und Kunst, und der nur
teilweise geschilderte, gebrochene Lebenslauf des Künstlers Kreisler, den die nur an
Anschein orientierten gesellschaftlichen Normen zum Scheitern verurteilen. Damit liefert
Hoffmann eine fesselnde Mischung des romantischen Künstlerromans und gleichzeitig der
Parodie desselben vor dem Hintergrund einer scharfen Gesellschaftskritik.
3.2. Die Spätromantik in Schwaben
Die schwäbische Gruppe der Romantiker bildete sich um Ludwig Uhland,
entwickelte sich jedoch nicht zu einer regelrechten „Dichterschule“. Die Liebe für die
Natur aber auch für das Vaterländisch-Volkstümliche, das Interesse für das Mittelalter
sowie
die
Miteinbeziehung
realistischer
Elemente,
die
den
Übergang
zur
wirklichkeitsnahen Poetik des Realismus machen, sind charakteristische Merkmale.
Ludwig Uhland (1782-1862)
Seine erste Sammlung Gedichte, 1815 veröffentlicht, gibt den Ton für sein
ganzes dichterisches Werk an: das Volksliedhafte steht im Mittelpunkt und die Thematik
ist romantisch, jedoch fehlt in der Verarbeitung der typisch romantische Hang zum
Subjektivismus, und die Lyrik entwickelt sich nie zur Erlebnisdichtung. Die einfache
Schönheit seiner Verse erinnert oft an Eichendorff, auch wenn Uhland das Zwielichtige
und Ambivalente völlig ausklammert und wenig auf die Nachtseite der Natur verweist.
Dank der Schlichtheit und Musikalität seiner Lyrik wurden viele Gedichte von Schubert,
Liszt, Schumann usw. vertont. Seine Frühlingslieder sind besonders beliebt. Er verarbeitet
in seinen Balladen, Romanzen und Rhapsodien viele mittelalterliche Themen (Bertran de
Born, die Nibelungen usw.). Seine berühmteste Ballade ist Des Sängers Fluch, in der der
Dichter das humanistische Thema des Konflikts zwischen Kunst und Tyrannei gestaltet.
Eduard Mörike (1804-1875)
Mörike gilt als einer der bekanntesten Lyriker der Spätromantik, der zu
einem Klassiker der deutschen Literatur geworden ist. Biedermeier-Züge in seinen
Werken sind die Vereinigung von Phantasie und Wirklichkeit in schwermütiger Stimmung
und der Rückzug in die Innerlichkeit. Es gibt jedoch bei Mörike eine subtile Ironie, mit der
die scheinbare Idylle immer wieder als abgründig und brüchig entblößt wird. Am meisten
hat sich Mörike der Lyrik gewidmet, die er als reinen Ausdruck des Gemüts versteht.
Was Mörikes Gedichte aber am besten auszeichnet, ist seine hervorragendste
Leistung in Bezug auf die musikalischen Eigenschaften der poetischen Sprache. Auch in
unserem Beispiel beeindruckt die Virtuosität, mit der die Herbststimmung durch das
Zusammenspiel von Klängen, die Einfachheit der poetischen Ausdrücke, die
Ausgeglichenheit des Rhythmus und die gewählten Alliterationen wiedergegeben wird.
Die Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1856), in der Mörike seine
Verehrung für den genialen Komponisten in literarischer Form verschlüsselt, wurde sehr
berühmt. Das Thema ist eine erfundene Begebenheit aus dem Leben Mozarts, seine Reise
mit Ehefrau Konstanze nach Prag und ihren kurzen Aufenthalt auf einem Schlösschen, wo
der Graf die Verlobung seiner Nichte feiert. In diesem Erzählwerk erstaunlicher
Modernität kommt es gar nicht auf die äußeren Vorgänge an, die auch keine steigende
Handlung bilden.
Andere Schriftsteller aus der schwäbischen Romantik sind Justinus Kerner
(1786-1862), von dem ein paar sehr berühmte Gedichte stammen (Wanderlied, Der
Wanderer in der Sägmühle) und Wilhelm Hauff (1802-1827), bis heute für seine Märchen
(Kalif Storch, Der kleine Muck) bekannt.
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