Evolution des Menschen

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Evolution des Menschen
1
EINLEITUNG
Evolution des Menschen, die biologische und kulturelle Entwicklung der Spezies Homo sapiens.
Unsere Kenntnisse der Evolution beruhen auf zahlreichen fossilen Knochen- und Zahnresten, die an
verschiedenen Orten in Afrika, Europa und Asien gefunden wurden. Gezielte Grabungen haben zudem Stein, Knochen- und Holzwerkzeuge sowie Feuerstellen, Lagerplätze und Gräber zutage gefördert. Aufgrund
dieser Entdeckungen auf den Gebieten der Archäologie und Anthropologie ist allmählich ein Bild der
menschlichen Evolution der letzten vier bis fünf Millionen Jahre entstanden.
2
KÖRPERMERKMALE DES MENSCHEN
Der Mensch gehört biologisch gesehen zur Klasse der Säuger und zur Ordnung der Primaten; innerhalb
dieser Ordnung wird er aufgrund morphologischer bzw. genetischer Übereinstimmungen mit seinen
inzwischen ausgestorbenen Vorfahren sowie mit den afrikanischen Menschenaffen, seinen engsten noch
lebenden Verwandten, in die Familie der Hominiden (Hominidae) gestellt. Nach einer anderen Einteilung
werden alle Menschenaffen allerdings noch immer einer eigenen Familie zugeteilt: den Pongiden (Pongidae).
Stellt man auch die Menschenaffen in die Familie der Hominiden, dann wird die menschliche Linie der
Unterfamilie der Homininen (Homininae) zugeordnet. Diesem Artikel liegt letzteres Schema zugrunde. Aus
der Untersuchung fossiler Homininenreste gehen verschiedene Entwicklungstendenzen hinsichtlich
Körperbau und Verhalten hervor, die für die Unterfamilie der Homininen charakteristisch sind.
2.1
Bipedie
Der zweifüßige Gang, die Bipedie, scheint zu den frühesten und wichtigsten Merkmalen zu gehören, die sich
bei Homininen entwickelt haben. Diese Fortbewegungsart führte zu bestimmten anatomischen
Veränderungen der unteren Wirbelsäule, des Beckens und der Beine. Da sich diese anhand fossiler Knochen
dokumentieren lassen, gilt die Bipedie gewöhnlich als entscheidendes Merkmal der Unterfamilie. Allerdings
gab es nach 1997 publizierten Forschungsergebnissen spanischer Paläontologen bereits vor acht Millionen
Jahren einen aufrecht gehenden Primaten (Oreopithecus bambolii), der nicht in die Vorfahrenreihe des
Menschen gehört; Knochen dieses Affen hatte man bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in
der Toskana gefunden, doch wurden sie erst jetzt gründlich ausgewertet. Vermutlich gingen unsere Ahnen
zum aufrechten Gang über, weil das Klima trockener wurde, Steppen in zuvor bewaldete Regionen
vordrangen und Vormenschen die hohen Steppengräser bei aufrechter Körperhaltung besser überblicken
konnten, so dass sie leichter auf Feinde wie Raubtiere aufmerksam wurden. US-amerikanische Forscher
berichteten 2002 im Yearbook of Physical Anthropology, aufgrund der von ihnen untersuchten
biomechanischen Eigenschaften von Knochen und Gelenken sei diese Hypothese die wahrscheinlichste.
Anderen Hypothesen zufolge gingen Vormenschen zum aufrechten Gang über, um die Hände für den
Werkzeuggebrauch frei zu haben, um leichter Früchte von Bäumen pflücken zu können, um Beute leichter
transportieren zu können oder um in seichten Gewässern waten und nach Nahrung tasten zu können.
2.2
Gehirn- und Körpergröße
Die Fähigkeit des Menschen, Werkzeuge und andere Gegenstände herzustellen und zu benutzen, geht auf
die Größe und Komplexität des menschlichen Gehirns zurück. Das Gehirn der heute lebenden Menschen
weist ein durchschnittliches Volumen zwischen 1 300 und 1 500 Kubikzentimetern auf. Im Lauf der
menschlichen Evolution hat sich die Größe des Gehirns mehr als verdreifacht. Die Zunahme der Gehirngröße
lässt sich mit verschiedenen Verhaltensänderungen der Homininen in Verbindung bringen. Gefundene
Steinwerkzeuge und andere Artefakte werden um so vielfältiger und anspruchsvoller, je jünger sie sind.
Archäologische Grabungen beschäftigen sich vorwiegend mit späteren Phasen der menschlichen Geschichte.
Siehe auch Werkzeuggebrauch
Die ältesten Homininenfunde stammen aus Süd- und Ostafrika. Nach neuen Funden begann die
Menschenart Homo erectus bereits vor spätestens 1,75 Millionen Jahren, von Afrika nach Eurasien
einzuwandern. Aufgrund 2002 in Nature publizierten genetischen Untersuchungen an heutigen Menschen ist
anzunehmen, dass es in den letzten 800 000 Jahren mehrere weitere Auswanderungswellen von Homo
erectus nach Eurasien gab. Erst vor etwa 50 000 Jahren gelangten die ersten Homininen auf dem Seeweg
nach Australien: Wie britische und australische Forscher 2002 im Journal of Quaternary Science berichteten,
nahmen vor 45 000 bis 55 000 Jahren – offenbar durch menschlichen Einfluss – die Feuersbrünste im
Norden von Queensland zu, der Regenwald wurde zurückgedrängt und viele große Säugetier- und
Vogelarten starben aus. Die Neue Welt wurde vor etwa 20 000 Jahren besiedelt. Vermutlich ist die
Vergrößerung des menschlichen Gehirnvolumens auf ein komplexes Zusammenspiel zurückzuführen: Dazu
gehörten die zunehmende Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen und zu gebrauchen, sowie andere erlernte
Fertigkeiten, die unsere Vorfahren immer besser befähigten, unter den unterschiedlichsten
Umweltbedingungen zu überleben.
Die frühesten Homininenfossilien weisen auf ausgeprägte Unterschiede zwischen den Körpergrößen von
Frauen und Männern hin, was einen deutlichen sexuellen Dimorphismus bei unseren frühen Vorfahren
erkennen lässt. Die Skelettreste lassen bei Frauen auf eine Körpergröße von 90 bis 120 Zentimetern und ein
Gewicht zwischen etwa 27 und 32 Kilogramm schließen. Die Körpergröße der Männer dürfte bei über
150 Zentimetern gelegen, ihr Gewicht etwa 68 Kilogramm betragen haben. Die Ursachen für die
Unterschiede in der Körpergröße sind zwar umstritten, dürften aber mit speziellen Verhaltensmustern in den
Sozialgruppen früher Homininenpopulationen zusammenhängen. Seit etwa einer Million Jahren bildet sich
dieser extreme Dimorphismus allmählich zurück. Allerdings wurde 1997 in der Zeitschrift Science darüber
berichtet, dass der Heidelbergmensch (Homo erectus heidelbergensis) vor 200 000 bis 300 000 Jahren
bereits dasselbe Größenverhältnis zwischen Mann und Frau aufwies wie der Jetztmensch.
2.3
Gesicht und Zähne
Die dritte entscheidende Entwicklungsphase, welche die Homininen durchlaufen haben, betrifft den
allmählichen Rückgang der Größen von Gesichtsschädel und Zähnen. Sämtliche Menschenaffen haben
lange, dolchartige Eckzähne, die über die anderen Zähne hinausragen. Auch die frühesten Homininenfunde
weisen noch vergrößerte Eckzähne auf, die allerdings nur mehr leicht über die übrigen Zähne hinausragen –
bei allen jüngeren Homininen ist die Größe der Eckzähne beträchtlich zurückgegangen. Daneben reduzierten
sich mit der Zeit auch die Dimensionen der Backen- und Vorbackenzähne. Mit diesen Änderungen ging eine
allmähliche Verkleinerung des Gesichtsschädels und der Kieferknochen einher. Bei den frühen Homininen
war der Gesichtsschädel relativ groß und befand sich vor dem Hirnschädel. Als die Größe der Zähne ab- und
die des Gehirns zunahm, wurde der Gesichtsschädel immer kleiner und veränderte seine Lage, so dass das
relativ kleine Gesicht des Menschen heute unterhalb des Hirnschädels liegt.
3
DIE URSPRÜNGE DES MENSCHEN
Vor 7 bis 20 Millionen Jahren bevölkerten primitive, affenähnliche Tiere weite Gebiete des afrikanischen und
später des eurasischen Kontinents. Trotz zahlreicher Knochen- und Zahnfunde ist die Lebensweise dieser
Geschöpfe sowie ihre evolutionäre Beziehung zu den heute lebenden Menschen und Affen sehr umstritten.
Einer dieser fossilen Affen, der Sivapithecus, scheint große Ähnlichkeit mit dem heute lebenden asiatischen
Orang-Utan gehabt zu haben und könnte als dessen Ahne gelten. Keines der Fossilien weist jedoch
zwingend darauf hin, dass es sich dabei um Vorläufer der evolutionären Linie handelt, die sich schließlich
zur Familie Hominidae bzw. zur Unterfamilie Homininae weiterentwickelte. Die Stammeslinien von Menschen
und Schimpansen (der Zwergschimpanse oder Bonobo ist unser nächster lebender Verwandter) haben sich
vermutlich vor etwa sieben Millionen Jahren getrennt.
Mit einem Alter von sechs bis sieben Millionen Jahren soll der im Tschad entdeckte (mit dem Trivialnamen
Toumaï belegte) Sahelanthropus tschadensis, über den ein internationales Forscherteam 2002 in Nature
berichtete, die erste bekannte Spezies aus einer Zeit sein, als sich die Linien von Mensch und Schimpanse
bereits getrennt hatten. Sahelanthropus besaß nach Angaben der Forscher menschliche Merkmale wie
relativ kleine Zähne, hatte aber ein affenähnliches Schädeldach. Dennoch ist umstritten, ob Sahelanthropus
nicht lediglich ein Affe war. Ungefähr vor fünf bis sechs Millionen Jahren lebten die beiden Gattungen
Orrorin und Ardipithecus, die ebenfalls nahe dem Ursprung der menschlichen Linie stehen. Ein äthiopischer
Forscher berichtete 2001 in der Zeitschrift Nature über neue Funde der Vormenschenspezies Ardipithecus
ramidus, die heute auf ein Alter von 5,2 bis 5,8 Millionen Jahren datiert werden kann. Ebenso wie der 2000
beschriebene, rund sechs Millionen Jahre alte so genannte Millennium-Mensch (Orrorin tugensis) aus Kenia
ging Ardipithecus aufrecht und könnte daher ein früher Vorfahr des Homo sapiens sein. Bei Ardipithecus
lässt die Gestalt eines Zehenknochens auf aufrechten Gang schließen, bei Orrorin der Durchmesser des
Oberschenkels.
3.1
Australopithecus und Kenyanthropus
Die Ahnenreihe der modernen Menschen lässt sich heute bis zur Gattung Australopithecus zurückverfolgen.
Fossile Reste dieser Gattung wurden an zahlreichen Fundstellen im südlichen und östlichen Afrika freigelegt.
Die ältesten Funde haben ein Alter von mehr als vier Millionen Jahren; einige Fragmente weisen
möglicherweise sogar ein Alter von fünf oder sechs Millionen Jahren auf. So berichteten französische und
kenianische Paläoanthropologen 2000 über fossile Funde von vermutlich sechs Millionen Jahre alten
Vormenschen, die im selben Jahr im kenianischen Bergland 240 Kilometer nordöstlich von Nairobi entdeckt
worden waren. Die Skelettfragmente gehören zu mindestens fünf (männlichen und weiblichen) Individuen.
Die Gattung Australopithecus ist vermutlich vor etwa 1,5 Millionen Jahren ausgestorben. Sämtliche
Australopithecinen gingen aufrecht und waren damit zweifellos Homininen. Hinsichtlich ihrer Zähne, ihres
Kiefers und Gehirnvolumens unterschieden sie sich allerdings so stark voneinander, dass sie sich in
mindestens vier Arten einteilen lassen: Australopithecus afarensis (siehe Lucy), Australopithecus africanus,
Australopithecus robustus und Australopithecus boisei. Darüber hinaus wurden 1995 in Kenia Knochen
gefunden, die möglicherweise einer weiteren Spezies, Australopithecus anamensis, zuzuordnen sind, die vor
vier Millionen Jahren lebte und Vorfahr des Australopithecus afarensis gewesen sein könnte.
Australopithecus anamensis beherrschte nach einer 1998 veröffentlichten Auswertung des Fundmaterials
den aufrechten Gang. Über eine vermutlich sechste Australopithecus-Art wurde 1999 im
Wissenschaftsmagazin Science berichtet. Diese Australopithecus garhi (Letzteres bedeutet Überraschung)
genannte, 2,5 Millionen Jahre alte Art wurde in Äthiopien entdeckt, sie könnte das Bindeglied zur Gattung
Homo sein. Neben den Homininenfragmenten lagen mit Steinwerkzeugen bearbeitete Knochen von
Antilopen und Pferden.
Australopithecus afarensis lebte vor drei bis vier Millionen Jahren in Ostafrika. Die Funde aus der AfarRegion in Äthiopien und in Tansania deuten darauf hin, dass das Gehirnvolumen des Australopithecus
afarensis nur wenig größer war als das von Schimpansen (etwa 400 bis 500 Kubikzentimeter). Bei einigen
Individuen waren die Eckzähne etwas länger als bei späteren Homininen. Es wurden keinerlei Werkzeuge
gefunden.
Der vor etwa 2,5 bis drei Millionen Jahren auftauchende Australopithecus africanus war nach 1998
publizierten Forschungsergebnissen, die auf neuen Funden im südafrikanischen Sterkfontein basieren, kein
Nachfahr des Australopithecus afarensis, sondern beide Arten hatten einen gemeinsamen Vorfahren. Die
Funde des Little Foot genannten Individuums betreffen das vollständigste bislang gefundene
Australopithecus-Skelett. Sie lassen erkennen, dass Australopithecus africanus über ein etwas größeres
Gehirnvolumen verfügte als afarensis. Während seine Backenzähne immer noch relativ groß waren, ragten
die Eckzähne nicht mehr über die Länge der anderen Zähne hinaus. Wie beim Australopithecus afarensis
wurden auch beim Australopithecus africanus keinerlei Werkzeuge gefunden. Möglicherweise gehörte
Australopithecus africanus zu den unmittelbaren Vorfahren des heutigen Menschen.
Aus fossilen Funden, die etwa 2,6 Millionen Jahre alt sind, lässt sich auf die Existenz von mindestens zwei,
vielleicht sogar vier Homininenarten schließen. Es scheint eine Aufspaltung der Homininenlinie
stattgefunden zu haben, von der sich der eine Zweig zur Gattung Homo und schließlich zum modernen
Menschen, der andere zu australopithecinen Arten weiterentwickelte, die schließlich ausstarben. Zu
Letzteren gehören der auf Südafrika beschränkte Australopithecus robustus und der nur in Ostafrika
lebende Australopithecus boisei. Diese robusten Australopithecinen, die heute auch der Gattung
Paranthropus zugeordnet werden, unterscheiden sich von anderen Australopithecinen hinsichtlich der Größe
ihrer Backenzähne, Kiefer und Kiefermuskeln. Sie starben vor etwa 1,5 Millionen Jahren aus.
2001 berichteten Maeve Leaky, die Ehefrau des renommierten Paläontologen Richard Leakey, und ihre
Mitarbeiter in Nature über eine bislang unbekannte Vormenschengattung. Am Westufer des Turkanasees in
Kenia war Ende der neunziger Jahre der weitgehend vollständige Schädel eines drei bis dreieinhalb Millionen
Jahre alten Hominiden gefunden worden. Dieser Schädel wurde jetzt der neuen Art und Gattung
Kenyanthropus platyops zugeordnet („flachgesichtiger Keniamensch”): Auffallend sind außer den flachen
Gesichtsknochen auch die kleinen Zähne. Die für die Wissenschaft neue Gattung, die nicht in die
Vorfahrenreihe des modernen Menschen gehört, lebte zeitgleich mit Australopithecus. Der neuen Gattung
wird von manchen Wissenschaftlern auch ein ursprünglich als Homo rudolfensis bezeichneter kenianischer
Schädelfund aus den siebziger Jahren zugeordnet (als Kenyanthropus rudolfensis): Diese Spezies ist etwa
zwei Millionen Jahre alt.
3.2
Die Gattung Homo
Obgleich hinsichtlich dieser Frage letztlich keine Einigkeit besteht, sind die meisten Forscher doch davon
überzeugt, dass sich nach der evolutionären Trennung, die zur Entwicklung der robusten Australopithecinen
führte, der Australopithecus africanus (oder vielleicht der neu entdeckte Australopithecus garhi) zur Gattung
Homo weiterentwickelte. Falls dies zutreffen sollte, so hätte diese evolutionäre Übergangsphase vor etwa
zwei Millionen Jahren stattgefunden. Die aus dieser Zeit stammenden Fossilienfunde weisen eine seltsame
Mischung von Merkmalen auf. Einige haben ein relativ großes Gehirnvolumen von fast
800 Kubikzentimetern, aber gleichzeitig große Zähne, die denen der Australopithecinen ähneln. Andere
besitzen Homo-ähnliche kleine Zähne, gleichzeitig jedoch ein kleines Gehirnvolumen, das dem von
Australopithecinen entspricht. Eine Reihe von fossilen Schädel- und Kieferknochen aus dieser Zeit, die man
im ostafrikanischen Tansania und Kenia fand, werden als Homo habilis („geschickter Mensch”) klassifiziert,
da neben den Fossilien auch Steinwerkzeuge entdeckt wurden. Der Homo habilis weist zahlreiche
gemeinsame Züge mit den früheren Australopithecinen und den späteren Angehörigen der Gattung Homo
auf. Vermutlich ist diese Spezies eine evolutionäre Zwischenstufe zwischen den Australopithecinen und den
späteren Homininen.
Die frühesten Hinweise auf die Verwendung von Steinwerkzeugen wurden in Afrika gefunden und stammen
aus der Zeit vor über 2,5 Millionen Jahren. Allerdings ist ungewiss, ob sie einer bestimmten Homininenart
zugeordnet werden können. Die Technik, mit der Werkzeuge hergestellt werden, hat sich im Verlauf von
einer Million Jahren kaum verändert. In verschiedenen Teilen Ostafrikas wurden nicht nur zahlreiche
Steinwerkzeuge entdeckt, deren Alter etwa 1,5 bis zwei Millionen Jahre beträgt, sondern auch Tierknochen
mit Kratzspuren, die – wie in Experimenten nachgewiesen wurde – nur von menschlichen
Schneidewerkzeugen stammen können. Diese Funde bezeugen, dass die damals lebenden Homininen
bereits Fleisch aßen; ob sie allerdings auf die Jagd gingen oder sich von Aas ernährten, ist nicht bekannt.
Unklar ist bislang auch, wie groß der Anteil tierischer Nahrung im Vergleich zu dem gesammelter Früchte
und Insekten war und ob es sich bei den Fundstellen um Lagerplätze von Homininen handelte, die sich
später zur Gattung Homo weiterentwickelten. Denkbar wäre, dass auch die robusten Australopithecinen
bereits Werkzeuge herstellten und sich von Fleisch ernährten.
Fossilienfunde von Homininen mit großem Gehirnvolumen und kleinen Zähnen fand man zuerst in
Nordkenia; sie sind 1,5 bis 1,6 Millionen Jahre alt und werden der Spezies Homo erectus („aufrecht
gehender Mensch”) zugeordnet (auch der 1994 beschriebene Homo ergaster gehört aus heutiger Sicht zu
dieser Spezies). Noch ältere Fossilien dieser Art stammen überraschenderweise aus dem Kaukasus. Wie
1999 berichtet wurde, entdeckte ein deutsch-georgisches Archäologenteam (unter Beteiligung des RömischGermanischen Zentralmuseums Mainz) bei Dmanisi nahe Tiflis zwei Schädel von Hominiden, deren Alter auf
rund 1,75 Millionen Jahre geschätzt wird. Damit ist belegt, dass Homo erectus offenbar erheblich früher
nach Europa wanderte, als bisher angenommen. Chinesische Forscher berichteten 2001 in Nature, sie
hätten in Nordchina 1,36 Millionen Jahre alte Werkzeuge gefunden, die belegten, dass Homo erectus bereits
zu dieser Zeit die klimatisch raue Region des 40. Breitengrades besiedelt habe. Archäologische Funde aus
der Zeit vor etwa 700 000 bis einer Million Jahren zeigen, dass Homininen dieser Zeit im Gegensatz zu
solchen früherer Epochen bereits geschickter bei der Anfertigung von Werkzeugen waren; zudem wurden
Knochen von größeren, offensichtlich erlegten Tieren wie Elefanten gefunden. Fraglich ist heute, ob der
Fundort des Pekingmenschen (Homo erectus pekinensis) in einer Höhle in Nordchina bereits auf die
Verwendung von Feuer schließen lässt: Nach einem 1998 in der Zeitschrift Science erschienenen Bericht
könnte es sich bei den dort gefundenen, rund 500 000 Jahre alten verkohlten Holz- und Knochenresten
durchaus um die Überreste eines natürlichen Feuers gehandelt haben. Homo erectus hätte demzufolge noch
kein Feuer genutzt; der Zeitpunkt der frühesten Nutzung von Feuer verschiebt sich damit möglicherweise
um 200 000 Jahre. Nach einer 2000 in der Zeitschrift New Scientist veröffentlichten Publikation japanischer
Forscher wurden nördlich von Tokyo Pfahllöcher einer 500 000 Jahre alten, von Homo erectus angelegten
Hütte gefunden. Dies ist der älteste Hinweis auf eine von menschlichen Vorfahren errichtete Behausung.
In der Zeit des Homo erectus vollzogen sich weitere wichtige Schritte innerhalb der menschlichen Evolution.
Während das Gehirnvolumen der frühen Vertreter dieser Art mit etwa 750 und 800 Kubikzentimetern nicht
größer war als bei vorangegangenen Homininenarten, lag es bei späteren Vertretern mit zwischen 1 100
und 1 300 Kubikzentimetern bereits in der Variationsbreite des Homo sapiens.
1997 berichteten spanische Paläontologen im Wissenschaftsmagazin Science über rund 800 000 Jahre alte,
in Nordspanien gefundene Homininenknochen. Auf der Grundlage dieses Materials wurde Homo antecessor
beschrieben, den die Forscher als unmittelbaren Vorfahren des Homo sapiens ansehen. Es bestehen jedoch
Zweifel, ob der Fund wirklich einer bislang unbekannten Spezies zuzuordnen ist, die eine Schlüsselposition
in der Evolution zum Homo sapiens einnimmt. Da viele Wissenschaftler seinerzeit davon ausgingen, dass die
Gattung Homo Europa vor frühestens 500 000 Jahren besiedelte, wurden zunächst Zweifel an der Datierung
laut. Eine erneute Datierung, die 1998 publiziert wurde, ergab ein Alter von 780 000 Jahren.
3.3
Der frühe Homo sapiens
Nach einer verbreiteten Hypothese entwickelte sich der Homo erectus vor 300 000 bis 200 000 Jahren zum
Homo sapiens weiter. Aufgrund der allmählichen Fortschritte der menschlichen Evolution in dieser Zeit ist es
schwierig, diesen evolutionären Durchbruch exakt zu datieren. So bringen einige Wissenschaftler bestimmte
Fossilienfunde noch mit späten Vertretern des Homo erectus in Verbindung, während sie von anderen
bereits frühen Vertretern des Homo sapiens zugeordnet werden. 1997 wurden in Äthiopien die mit 154 000
bis 160 000 Jahren ältesten Skelettfragmente gefunden, die eindeutig zu Homo sapiens gehören; anhand
dieser Knochen wurde 2003 in Science die Unterart idaltu beschrieben.
Obwohl die frühen Vertreter des Homo sapiens bereits zur selben Gattung und Art wie der moderne Mensch
gehören, weisen sie doch deutlich andere Körpermerkmale auf. Neueste prähistorische Funde weisen darauf
hin, dass der moderne Mensch, der Homo sapiens sapiens, erstmals vor mehr als 90 000 Jahren auftrat.
Der Platz des als Subspezies Homo sapiens neanderthalensis oder als Spezies Homo neanderthalensis
bezeichneten Neandertalers in der Kette der menschlichen Evolution war lange Zeit umstritten. Der
Neandertaler erhielt seinen Namen nach einem im Neandertal bei Düsseldorf geborgenen fossilen Skelett
und bevölkerte während eines Zeitraumes, der vor 100 000 Jahren begann und frühestens vor
30 000 Jahren endete, Teile Europas und des Nahen Ostens. Danach verschwand er aus der menschlichen
Ahnenreihe. In anderen Teilen der Alten Welt wurden Fossilien weiterer Varianten des frühen Homo sapiens
gefunden.
Die Züge des Neandertalers – flache, niedrige Stirn, Überaugenwülste sowie ein großer Gesichtsschädel mit
fliehendem Kinn – gelten als zu primitiv, um den Neandertaler als Ahnen des heutigen Menschen einordnen
zu können. Man sieht den Neandertaler nun auf einem ausgestorbenen Seitenzweig der menschlichen
Evolution. Aus heutiger Sicht trat der moderne Mensch vor etwa 140 000 bis 70 000 Jahren in Afrika auf
und verbreitete sich dann über die ganze Welt, wobei er in Europa den Neandertaler und in Asien den Homo
erectus verdrängte.
1997 wurden Untersuchungsergebnisse über mitochondriale DNA publiziert, die aus dem Oberarmknochen
(Humerus) eines Neandertalers gewonnen wurde. Diese erste DNA-Analyse an einem prähistorischen
Menschen wurde von Forschern der Universität München durchgeführt. Der Oberarmknochen, aus dem das
genetische Material extrahiert wurde, war 1856 in der Feldhofer Grotte bei Düsseldorf gefunden worden; er
wird im Rheinischen Landesmuseum in Bonn aufbewahrt. Ein Vergleich mit der DNA heute lebender
Menschen ergab keine Hinweise darauf, dass sich diese beiden Linien genetisch vermischten (französische
Funde von Werkzeugen und Schmuckgegenständen lassen jedoch darauf schließen, dass zwischen beiden
Gruppen vor 34 000 Jahren ein kultureller Austausch stattfand; siehe Cro-Magnon-Typus). Damit wird die
Annahme bestätigt, dass der Neandertaler nicht zu den Vorfahren des modernen Menschen gehört. Wie
2001 in der Zeitschrift New Scientist berichtet wurde, bestand ein möglicherweise entscheidender
Unterschied zwischen modernem Menschen und Neandertaler in der Anatomie der Hand. Während der
Neandertaler sehr muskulöse Hände besaß, waren die Hände des Jetztmenschen besser an das geschickte
Führen von Werkzeug angepasst. Möglicherweise war mangelndes manuelles Geschick ein wichtiger Grund
für das Aussterben des Neandertalers.
Die frühen Gruppen des Homo sapiens wussten zweifellos die mitunter harten klimatischen Bedingungen im
Europa der Eiszeit äußerst effizient zu nutzen. Zudem begannen die Homininen in dieser Phase zum ersten
Mal im Lauf der menschlichen Evolution, ihre Toten zu bestatten; den Verstorbenen wurden teilweise
Steinwerkzeuge und Tierknochen beigegeben. Eine schwedisch-deutsche Arbeitsgruppe unter Beteiligung
von Svante Pääbo am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig stellte 2000 in Nature
Forschungsergebnisse vor, die auf der vollständigen Analyse von Mitochondrien-DNA basierten. Danach
verließen die unmittelbaren Vorfahren des heutigen Menschen vor rund 100 000 Jahren Afrika und breiteten
sich weltweit aus. Frühere Menschenformen, die bereits vor dieser Zeit Afrika verlassen hatten und fossil in
verschiedenen Teilen der Welt nachgewiesen wurden, starben wieder aus, ohne ihre Erbanlagen bis in die
heutige Zeit weitergeben zu können. Die genetisch einheitliche Gruppe, die den modernen Menschen
repräsentiert, breitete sich in kurzer Zeit aus: Vor 67 000 Jahren erreichte sie Asien und Südostasien
einschließlich Australien, vor 40 000 Jahren Europa, über die Beringstraße vor 20 000 Jahren Nordamerika
und erst vor etwa 13 000 Jahren Südamerika. Vor etwa 10 000 Jahren begannen die Menschen erstmals,
Pflanzen und später auch Tiere zu domestizieren.
3.4
Moderner Mensch
Obwohl sich mit dem evolutionären Auftreten des modernen Menschen das Grundmuster der Anpassung,
das die früheren Stufen der Menschheitsgeschichte kennzeichnete, nicht drastisch änderte, fanden doch
wichtige Neuerungen statt. Neben den ersten Äußerungen paläolithischer Kunst in Frankreich und Spanien,
die von Höhlenbewohnern hinterlassen wurden, hat sich nach Ansicht vieler Wissenschaftler in dieser
Epoche auch die Sprache entwickelt. Dies hatte tief greifenden Einfluss auf sämtliche Lebensbereiche des
Menschen. Nach der 2001 in Science veröffentlichten Hypothese eines US-amerikanischen
Paläoanthropologen könnte die Händigkeit (die Bevorzugung einer Hand) bei der Bearbeitung von
Werkzeugen eine Voraussetzung für die Entstehung von Sprache gewesen sein: Dadurch sei möglicherweise
die Lateralisierung des Gehirns (die Spezialisierung der beiden Gehirnhälften) angestoßen worden. Eine
weitere Voraussetzung für die Sprachentwicklung war nach einem anderen, im selben Jahr in derselben
Zeitschrift erschienenen Bericht der aufrechte Gang: Ein US-amerikanischer Neurobiologe stellte fest, dass
Affen für jede Lautäußerung und für jeden Schritt separat Luft holen müssen. Erst der aufrechte Gang habe
die zum Sprechen erforderliche Umstellung der Atmung ermöglicht.
Unsere Kenntnisse der Evolution des Menschen beruhen auf den bekannten Fossilienfunden, doch das Bild
ist noch längst nicht vollständig. Erst zukünftigen Funden wird es vorbehalten bleiben, viele der Fragen zu
beantworten, die sich der Wissenschaft heute noch stellen. Durch den Einsatz hochmoderner Techniken,
besonders bei der Analyse geologischer Schichten, vermögen Anthropologen heute wesentlich exaktere
Voraussagen über Erfolg versprechende Grabungsstellen zu treffen, die in den kommenden Jahren zu einer
enormen Erweiterung unseres Wissens über die Vorgeschichte der Menschheit führen werden.
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