5. 1 Anmerkungen zur Lerngruppe

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Planung einer Unterrichtsreihe zum Thema ‚Literaturgeschichte‘
Inhalt
1
Einleitung ............................................................................................................................ 2
2
Allgemeines Bedingungsfeld der Praktikumsschule........................................................... 2
3
Kurzüberblick meines Blockpraktikums ............................................................................. 3
4
Planung einer Stoffeinheit zum Thema ‚Literaturgeschichte‘ ............................................ 5
4. 1
Einordnung der Stoffeinheit in den Lehrplan .................................................................. 6
4. 2
Verlaufsplan der Stoffeinheit .......................................................................................... 7
5
Unterrichtsentwurf zur Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘ .............................. 9
5. 1
Anmerkungen zur Lerngruppe ........................................................................................ 9
5. 2
Unterrichtszusammenhang ............................................................................................ 10
5. 2. 1
Grobüberblick über die Vorstunde ‚Literatur der Aufklärung‘ ................................. 11
5. 2. 2
Relevantes für den Kontext des Sturm und Drang .................................................... 12
5. 3
Sachanalyse ................................................................................................................... 14
5. 3. 1
Veränderungen im 17. und 18. Jahrhundert .............................................................. 14
5. 3. 2
Entstehung des ‚Sturm und Drang‘ ........................................................................... 16
5. 3. 3
Individualität im Sturm und Drang ............................................................................ 17
5. 3. 4
Die Literatur des Sturm und Drang – Sprengen der literarischen Regeln ................. 20
5. 3. 4
Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther ...................................... 21
5. 3. 4. 1
Inhalt ...................................................................................................................... 21
5. 3. 4. 2
Deutung .................................................................................................................. 22
5. 3. 5
5.4
Fazit ........................................................................................................................... 27
Didaktische Reflexion ................................................................................................... 29
5. 4. 1
Begründung der Themenauswahl .............................................................................. 29
5. 4. 3
Didaktische Reduktion .............................................................................................. 30
5. 4. 4
Lernziele .................................................................................................................... 31
5. 5
Methodische Reflexion und Verlaufsplanung ............................................................... 32
5. 6
Literaturverzeichnis und Anlage der Unterrichtsmaterialien ........................................ 34
5. 6. 1
Literaturverzeichnis ................................................................................................... 34
5. 6. 2
Anlage ........................................................................................................................ 36
5. 7
6
Reflexion der Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘ ....................................... 53
Gesamteinschätzung und Abschlussreflexion ................................................................... 54
Anhang ..................................................................................................................................... 57
1
1
Einleitung
„Was man erfindet, tut man mit Liebe, was man gelernt hat, mit Sicherheit.“
JOHANN WOLFGANG GOETHE
Mein Blockpraktikum im Fach Deutsch war eine Zeit des Lernens für mich, was sich
schließlich – genau wie Goethe es in seinem Zitat beschreibt – in zunehmender Sicherheit in
Bezug auf die beruflichen Tätigkeiten und Aufgaben eines Lehrers ausdrückte.
Die Schule, die ich im Zeitraum vom 30.08.2010 bis zum 24.09.2010 als Praktikant besuchte,
ist das das Martin-Luther-Gymnasium in Hartha. In den folgenden Ausarbeitungen möchte
ich zunächst einen Gesamtüberblick über das Bedingungsfeld dieses Gymnasiums skizzieren
und anschließend eine allgemeine Beschreibung meines Praktikums vorstellen, um so zu den
Einzelheiten hinsichtlich meiner Planungs-, Hospitations- und Lehrtätigkeiten überzuleiten.
Ich werde eine Stoffeinheitsplanung aus meinem Praktikum präsentieren, aus der ich danach
eine ausgewählte Blockstunde im Zusammenhang mit der vorhergehenden Unterrichtseinheit
detailliert darstellen möchte. Am Ende dieses Belegs soll schließlich eine Abschlussreflexion
in Form einer Gesamteinschätzung des Blockpraktikums Auskunft über meinen persönlichen
Lern- und Erfahrungsgewinn ermöglichen.
2
Allgemeines Bedingungsfeld der Praktikumsschule
Das Martin-Luther-Gymnasium Hartha ist eine fortschrittliche Bildungseinrichtung im
Herzen Sachsens mit dem Motto „Schule mit Idee“. Die Unterrichtsbedingungen dieses
Gymnasiums sind hervorragend. Es ist renoviert und mit moderner Technologie ausgestattet.
Neben den PC-Pools, Medienkabinetten, mobilen Laptops und Beamern ist die Schule seit
kurzem in Besitz von zwei PCs mit großen LCD-Screens, sogenannten „Blackboards“, die an
zentralen Stellen im Schulhaus angebracht sind und Vertretungspläne, Fotos von
Schulaktivitäten sowie allerart Neuigkeiten ausstrahlen.
Die Bildungseinrichtung unterrichtet derzeit 542 SchülerInnen, von denen ca. 25 Prozent in
der Stadt Hartha und der Rest in ländlichen Gebieten der Landkreise Döbeln, Mittweida und
Muldental leben, und wird von 53 Lehrern betreut. Seit dem Schuljahr 2009/2010 bietet das
2
Gymnasium neben seinen sprachlichen und naturwissenschaftlichen Profilen auch ein
künstlerisches Profil an, an dem die Schülerinnen und Schüler mit Begeisterung teilnehmen.
Die Einrichtung versucht jedes Jahr Fortschritte auf einem neuen Gebiet zu erreichen und hat
es sich in diesem Schuljahr zum Ziel gesetzt, den Unterricht stärker fachübergreifend und
fächerverbindend zu gestalten, um die Schüler so auf die wachsenden Anforderungen der
Gesellschaft vorzubereiten. Dies wird beispielsweise durch „Team-Teaching“ oder bilinguale
Unterrichtssequenzen praktiziert. Ein weiterer Schwerpunkt des Gymnasiums liegt in der
Förderung von Kooperations- und Teamfähigkeit, um Schülern die zweckdienlichen Vorteile
von Zusammenarbeit für Problemlösungen zu übermitteln. Dazu gehören auch Werte und
Normen, die an die Kinder und Jugendlichen weitergegeben werden, z. B. gegenseitiges
Ermutigen und Wertschätzen, Übernahme und Forderung von Verantwortung, Üben und
Annehmen von Kritik sowie das Fördern von Leistungsbereitschaft. Das Martin-LutherGymnasium Hartha legt zudem großen Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern
der Schüler, um so gegenseitig über Erziehungsziele und Lernleistungen informiert zu sein.
Als sehr demokratisch erweisen sich auch die Initiativen von Seiten der Schülerinnen und
Schüler, denen großes Vertrauen und ein beträchtliches Maß an Verantwortung für die
Gestaltung eines angenehmen und interessanten Schullebens zugesprochen wird, was sich
beispielsweise in selbstverantwortlicher Organisation von Schulveranstaltungen und
Beiträgen zur sinnvollen Pausengestaltung äußert. Die Schule bietet außerdem über 30
Ganztagsangebote für die Lernenden an, die von interessanten Experimenten im Physiklabor
über Sport- und Freizeitaktivitäten bis hin zu einer international anerkannten und berühmten
Musical-Company reichen.
3
Kurzüberblick meines Blockpraktikums
Mein Blockpraktikum zeichnete sich insgesamt durch gute Kooperationsbereitschaft seitens
der Lehrerinnen und Lehrer aus. Auffällig war für mich von Anfang an das freundliche,
herzliche Schulklima. Der Schulleiter Herr Weisheit, ein sehr engagierter, charismatischer
Naturwissenschaftler, hieß mich im Martin-Luther-Gymnasium willkommen und gab mir in
einem Einführungsgespräch in mein Praktikum einen sehr hilfreichen Gesamtüberblick über
alles Wissenswerte rund um die Schule und zeigte sich sehr unterstützend in Bezug auf meine
Praktikumstätigkeiten. Zudem lud er mich ein, mich in den anstehenden Aktivitäten der
Schule (z.B. Sportfest und Schulball) einzubringen und die Zeit vielseitig zu nutzen, um mit
3
vielen praktischen Eindrücken in die Universität zurückkehren zu können. Ebenso freundlich
und offen empfing mich mein Mentor Herr Kittler, der mich auf ähnliche Weise zu vielerlei
Erfahrungen des Schulalltags einlud. So nutze ich diese Einladungen sofort und entschied
mich dazu, meinen Mentor Herrn Kittler noch vor Beginn meines eigentlichen Praktikums
vom 27. bis 30. August als Betreuer bei einem Literaturcamp zu begleiten, das er mit einer
neunten Klasse durchführte. Dies erwies sich als äußerst sinnvoll, da diese neunte Klasse eine
der Klassen war, die ich während meines Praktikums unterrichten sollte. Obwohl das Wetter
es alles andere als gut mit uns meinte, hatten sowohl die Schüler als auch wir als deren
Betreuer ein sehr schönes, bildungsreiches und auch lustiges Wochenende, das noch lange in
Erinnerung bleiben wird. An diesem Wochenende lasen wir gemeinsam mit den SchülerInnen
zwei Bücher (Michail Schocholow: Ein Menschschicksal und Morton Rhue: Die Welle).
Weiterhin wohnten die Lernenden einer Buchvorstellung Herrn Kittlers bei, in der er Erich
Maria Remarques Der Weg zurück präsentierte, da die Schüler im regulären Unterricht gerade
Im Westen nichts Neues behandelt hatten. Außerdem schauten die Schülerinnen und Schüler
im Literaturcamp einen Spielfilm zum Thema Literatur (Der Club der toten Dichter) sowie
Verfilmungen zweier Werke (Die Abendteuer des Werner Holt und Die Welle). All das ging
einher mit tiefgründigen Auswertungen und Diskussion der Lernenden. Im abschließenden
Evaluationsgespräch zeigten sich die Schüler glücklich und dankbar für die Erfahrungen (und
auch den vielen Spaß) während des Literaturcamps.
Am Morgen der Abreise vom Literaturcamp fuhren mein Mentor und ich direkt in die Schule.
Mein Blockpraktikum konnte nun offiziell mit dem ersten Tag beginnen. Ich wurde überall
vorgestellt
oder
bekam
Gelegenheit,
mich
selbst
vorzustellen.
Nach
einem
Einführungsgespräch mit dem Schulleiter verbrachte ich die ersten Tage hauptsächlich mit
Hospitationen – besonders in den Klassen, die ich später selbst unterrichten sollte. Dabei
bekam ich einen Überblick über den Stoff, auf den ich in meinem Unterricht aufbauen sollte,
sodass ich in den folgenden Wochen meine persönliche Planung dazu verwirklichen und
durchführen konnte. Mein Mentor stand mir dabei immer mit Ratschlägen und Feedback zur
Seite und überließ mir die freie Gestaltung der Stunden.
Neben meinen Hospitations- und Unterrichtsstunden bestand meine Praktikumszeit auch aus
Versammlungen des Fachzirkels Deutsch, wo ich auch selbst eine kurze Fortbildung für die
Kollegen in Bezug auf moderne Systeme für Zitiertechnik und Literaturangaben beim
wissenschaftlichen Arbeiten gestalten durfte. Weiterhin wurde mir die Möglichkeit gegeben,
meine DaZ-Kenntnisse aus dem DaZ-Modul, das ich gerade abgeschlossen hatte, anzuwenden
4
und einen amerikanischen Schüler unter der Aufsicht meines Mentors zu fördern, sodass sein
Übergang in den Regelunterricht erleichtert werden konnte. Ferner wurde ich – wegen der
positiven Ergebnisse der DaZ-Förderung – gebeten, an einer „Bilingualen Team-Teaching“Stunde mitzuwirken, in der SHAKESPEARE und seine Zeit im Fokus des Interesses standen.
Hier konnte ich Kenntnisse und Fähigkeiten aus meinem Zweitfach Englisch einbringen.
Shakespeare war auch das zentrale Thema im künstlerischen Profil der Schule, an dem ich
mitwirken durfte, indem ich verschiedene Szenen aus Romeo und Julia mit den Schülerinnen
und Schülern in Vorbereitung auf ihr Theaterstück am Ende des Schuljahrs gestaltete.
Außerdem durfte ich der Schulleitung hinsichtlich der Medienkompetenz behilflich sein. So
installierte ich beispielsweise die neu angebrachten digitalen „Blackboards“ und gestaltete
dafür vereinfachte Bedienungsanleitungen für die Verantwortlichen im LehrerInnenKollegium, da sich die Nutzen der Systeme und Programme der „Blackboards“ als relativ
kompliziert erwies. Zusätzlich wurde ich auch gebeten, Pausen- und Hofaufsichten zu
übernehmen. Außerdem nahm ich an einer Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in
Chemnitz teil, die von Prof. Stockinger von der Universität Leipzig geleitet wurde.
Alle Verpflichtungen und Aktivitäten, die zu meinem Blockpraktikum gehörten, ermöglichten
mir insgesamt einen tiefen und realistischen Einblick in den Alltag eines Lehrers.
4
Planung einer Stoffeinheit zum Thema ‚Literaturgeschichte‘
In meinem Blockpraktikum unterrichtete ich insgesamt 21 Stunden. Zehn Unterrichtsstunden
davon führte ich zum Thema ‚Literaturgeschichte‘ in einem Deutsch-Leistungskurs der elften
Klasse durch. Drei weitere Stunden unterrichtete ich in der neunten Klasse, bei welcher ich
als deren Betreuer im erwähnten Literaturcamp fungiert hatte. Hier bestand meine Aufgabe
darin, die Unterrichtseinheit ‚Im Westen nichts Neues‘ abzuschließen. Weiterhin unterrichtete
ich in einem Grundkurs der Jahrgangsstufe 12 eine Sequenz zum Gegenstand ‚Stoff, Thema,
Motiv‘ am Beispiel von Sophokles‘ Antigone. Vier weitere Unterrichtsstunden widmete ich –
unter der Aufsicht meines interessierten Mentors – der DaZ-Förderung des amerikanischen
Austauschschülers Samuel, der mir anvertraut worden war. Abschließend galt meine letzte
Unterrichtsstunde
am
Martin-Luther-Gymnasium
der
Behandlung
verschiedener
Dramenszenen aus SHAKESPEARES Romeo und Julia im künstlerischen Profil der Schule.
5
Eine Stoffeinheit, die ich – wie bereits erwähnt – während meines Blockpraktikums anteilig in
der
elften
Klasse
im
Leistungskurs
unterrichten
durfte,
war
die
Stoffeinheit
‚Literaturgeschichte‘, die sich auf den ‚Lernbereich 1‘ im Lehrplan der Jahrgangsstufe 11
(Leistungskurs) bezieht.
Diese Stoffeinheit soll in den folgenden Ausführungen überblicksartig dargestellt werden. Im
Anschluss daran soll ein Block (zwei zusammenhängende Unterrichtsstunden) daraus
detailliert erläutert werden sowie ein zweiter im Zusammenhang mit dem ersten Block grob
skizziert werden, um die Verbindung der beiden im Gesamtkontext der Stoffeinheit zu
verdeutlichen.
4. 1
Einordnung der Stoffeinheit in den Lehrplan
In den Zielen des Sächsischen Lehrplans für die Klassenstufen 11/12 im Leistungskurs heißt
es: „Die Schüler positionieren sich zu repräsentativen, schwierigen und umfangreichen Texten
aus vergangenen Epochen und aus der Gegenwart. Texte der internationalen Literatur
beziehen sie ein. Dabei erweitern sie ihr Wissen über Poetologie, Literaturtheorie und
Sprachtheorie. Sie vergleichen literarische Texte bezüglich Stoff und Motiv, Textsorte und
Gattung, geschichtlichem und biographischem Hintergrund und hinsichtlich künstlerischer
Gestaltungsmerkmale und ihrer Wirkung. Sie erfassen stoffliche, motivische und
gestalterische Entwicklungslinien und erwerben anwendungsbereites Orientierungswissen
über Epochen der deutschen Literatur, über wichtige Vertreter und wesentliche Werke“
(SÄCHSISCHER LEHRPLAN GYMNASIUM DEUTSCH 2004/2009, S. 47). Zur Erfüllung dieser
Zielsetzung sieht der Lehrplan im ‚Lernbereich 1: Literaturgeschichte‘ der Jahrgangstufe 11
25 Unterrichtstunden für die Behandlung der Literaturepochen Mittelalter, Barock,
Aufklärung, Sturm und Drang, Weimarer Klassik, Romantik, Realismus des 19. Jahrhunderts,
Literatur der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert und Expressionismus vor.
Dadurch sollen die Schüler einen Gesamtüberblick über die Entwicklung von Geistes- und
Sozialgeschichte bekommen, der ihnen ein tiefgründigeres Verstehen über die Literatur als
Spiegel der Gesellschaft ihrer Zeit ermöglicht.
Aufgrund der vorgegebenen 25 Unterrichtsstunden empfiehlt es sich in der Planung, im
Allgemeinen je zwei Stunden für die Erarbeitung einer Epoche zu verwenden. Die übrigen
Stunden können als „Puffer“ für Vertiefungen, Fragen, Übungen, Interpretationen,
Wiederholungen, zusätzliche Textarbeit oder eine Klausur genutzt werden.
6
4. 2
Verlaufsplan der Stoffeinheit
Im folgenden Verlaufsplan soll ein Überblick über die Planung der aus 25 Unterrichtsstunden
bestehenden Stoffeinheit zum Thema Literaturgeschichte vorgestellt werden. Dabei wurde
jeder Epoche eine Doppelstunde zugewiesen – außer der Epoche des Realismus, für dessen
verschiedene Strömungen und zugehörige Text- und Gruppenarbeit ich eine zusätzliche
Stunde für notwendig erachtete. In der Planung wurde jeder Stunde ein Thema gegeben und
Ideen und Methoden für eine mögliche Durchführung fixiert, wie die folgende tabellarische
Darstellung zeigt:
Stunde
Literaturepoche
Thema der Stunde
Ideen und Methoden
1
Mittelalter I
Literatur des Mittelalters: Sprachent-
- Minnekonzept, Religion und
wicklung, Autoren, Merkmale und
Themen
Rittertum – „triuwe“, „staete“,
„minne“, „saelde“
- schematische Übersicht zur
Entwicklung der deutschen
Sprache
2
Mittelalters II
Mhd. Texte lesen und verstehen lernen
- Hörspiel Ahd. & Mhd. Gedichte
- Walter von der Vogelweide,
Wolfram von Eschenbach
→ Gruppenarbeit mit Mhd.
Wörterbüchern
3
Barock I
Der Dreißigjährige Krieg und seine
- Musik: Bach
Auswirkungen auf Kunst und Literatur
- Architektur: Dresdner Zwinger,
Versailles, Augustusburg
der Zeit
- Malerei: Vanitas-Stillleben
- Gruppenarbeit Erarbeitung
Literarische Leitmotive
4
Barock II
Das Sonett im Barock
Gryphius: „Es ist alles eitel“
- Methoden der Gedichtanalyse
5
Aufklärung I
Das 18. Jahrhundert und seine
- Kant: „Was ist Aufklärung?“
Veränderungen: vom mittelalterlichen
- Veränderungen im 18. Jh.:
Differenzschema ‚Heil vs.
→ Wissenschaft
→ Religion
Verdammnis‘ zu ‚Rationalismus vs.
→ Philosophie
Emotionalismus‘
→ Gesellschaft
→ INDIVIDUALITÄT
6
Aufklärung II
Literatur der Aufklärung: Merkmale
- Didaktische Literatur (Fabeln)
und Autoren
- 17. Literaturbrief Lessing
(Schnipseltext, Überschriften
zuweisen)
7
Sturm und Drang I
Die „Goethesekte“ und ihre „Original-
7
- Wiederh. Aufklärung →
genies“ – die erste literarische Jugend-
radikalisierte Fortführung best.
bewegung
Elemente
- Geniekult und Wertherfieber (→
BILDER)
- Literatur als autonome Kunst
(Vergl. m. Aufkl.)
8
Sturm und Drang II
Sturm-und-Drang-Texte als
Emanzipation der Leidenschaften:
Emotionalismus, Geisteskrankheit, Tod
9
Weimarer Klassik I
Das Menschenbild in der Klassik
anhand verschiedener lyrischer Texte
- Wertherbriefe im Vergleich
→ STANDBILDER?
→ Die Toten Hosen: „Alles aus
Liebe“
Gedichtvergleich „Prometheus“
(St. & Drang); „Grenzen der
Menschheit“; „Das Göttliche“
10
Weimarer Klassik II
Erziehungskonzept der Klassik
Theoretische Texte von Schiller
11
Romantik I
Romantische Universalpoesie –
- Partnerarbeit Internetrecherche
Merkmale und Autoren der
im Medienkabinett: Liebe, Natur
und weitere romantische Motive
romantischen Strömung
12
13
Romantik II
Realismus des 19. Jh. I
Sehnsucht als Leitmotiv der Romantik
- Einstiegsmeditation
am Beispiel Eichendorffs
- Gedichte Eichendorffs
Realistische Strömungen im Überblick
- Kurzreferate als HA vorbereitet
→ Gruppenarbeit
– Unterschiede und Gemeinsamkeiten
14
Realismus des 19. Jh. II
Exemplarische Texte des Realismus
- Gruppenarbeit: Auszüge aus
„Deutschland – ein
Wintermärchen“; „Effi Briest“;
„Vor Sonnenaufgang“
15
Realismus des 19. Jh. III
Präsentation der Gruppenarbeit
Gesamtzusammenfassung!
16
Literatur der
Einheit durch Vielfalt – die Strömungen
Lehrervortrag
Jahrhundertwende vom
der Literatur der Jahrhundertwende im
19. zum 20. Jh. I
Überblick
Literatur der
Sprachkunst in der Lyrik – Gedichte
1. Bezug zu Prüfungsschwer-
Jahrhundertwende vom
Rainer Maria Rilkes
punkten
Expressionismus – „welch Leidenschaft
Jakob von Hoddis: „Weltende“
17
19. zum 20. Jh. II
18
Expressionismus I
des Hasses und der Menschlichkeit“ (H.
Mayer)
19
Expressionismus II
20
Klausur
Das Großstadtmotiv in der Lyrik
Puffer
(5 Std.)
8
Gedichtvergleiche
Die von mir durchgeführten Unterrichtsstunden erstreckten sich von der literarischen Epoche
des Barock bis hin zum Sturm und Drang. Für den Barock nutzte ich allerdings eine der
Pufferstunden für eine Leistungskontrolle und für Text- und Interpretationsarbeit anhand
einiger Sonette. Folglich unterrichtete ich letztendlich sieben Stunden aus meiner geplanten
Stoffeinheit zum Thema Literaturgeschichte. Die Behandlung der weiteren Epochen musste
zugunsten einer bilingualen Unterrichtssequenz über SHAKESPEARE und seine Zeit sowie einer
Einführung zu Hamlet verschoben werden. Diese Stunden durfte ich trotzdem mitgestalten
und unterrichten – sowohl in Bezug auf die Kenntnisse in meinem Erstfach Deutsch als auch
meines Zweitfaches Englisch.
Eine Gesamtzusammenfassung der Stoffeinheit Literaturgeschichte sollte durch die Schüler in
Form eines zu Hause zu erstellenden Literaturkalenders gewährleistet werden. Dabei sollten
am Ende alle neun behandelten Literaturepochen von der Literatur des Mittelalters bis hin
zum Expressionismus berücksichtigt werden; die Schülerinnen und Schüler hatten je einen
Monat im Literaturkalender mit der Angabe der Epoche, der zeitlichen Einordung sowie
einem Beispielwerk mit seinem Autor zu füllen. Die übrigen drei Monate konnten die Schüler
gemäß ihrer eigenen literarischen Interessen und den Kalender insgesamt nach eigenen
kreativen Ideen gestalten.
5
Unterrichtsentwurf zur Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘
An dieser Stelle soll eine Doppel- bzw. Blockstunde aus der Gesamtplanung im Zentrum des
Interesses stehen, die detailliert vorgestellt wird. Die anschließenden Ausarbeitungen
beziehen sich auf den Unterrichtsentwurf und die Durchführung meiner Blockstunde zur
Literatur des Sturm und Drang.
5. 1
Anmerkungen zur Lerngruppe
Die Lerngruppe ist ein Deutsch-Leistungskurs der Jahrgangsstufe 11 und besteht aus acht
Schülerinnen und sieben Schülern. Die Lernatmosphäre ist sehr angenehm, da die Lerngruppe
untereinander einen freundlichen, respektvollen und mit Humor gefüllten Umgang pflegt.
Niemand wird ausgeschlossen. Einer der Schüler ist homosexuell und hat sich vor kurzer Zeit
9
„geoutet“. Auch er wird wie alle anderen Mitglieder der Lerngruppe behandelt und integriert
und scheint sich sehr wohl im Kursverband zu fühlen.
Leistungsvermögen und Leistungsbereitschaft der Lerngruppe sind als heterogen einzustufen.
Einer der Schüler sticht durch seine sehr guten Leistungen in allen Fächern hervor. Eine
Schülerin weist überall mangelhafte Leistungen auf. Im Allgemeinen kann man kollektiv
jedoch von durchschnittlichen bis guten Leistungen sprechen.
Die Lernenden zeigten sich sehr interessiert in Bezug auf Zeit, Gesellschaft und Literatur der
Aufklärung sowie des Sturm und Drang und arbeiteten rege mit. Auch in den anderen
Epochen der Literaturgeschichte war deutliche Wissbegierde spürbar, die sich durch
Diskussionen und Mitarbeit ausdrückte. Generell scheint die Lerngruppe mit Vorliebe an
historischen Entwicklungen interessiert zu sein, da die meisten Schülerinnen und Schüler der
Gruppe Geschichte als zweites Leistungskursfach belegen.
Ich unterrichtete die Blockstunde zur Literatur des Sturm und Drang am Freitag, den
10.09.2010 in der dritten und vierten Unterrichtsstunde, beginnend um 09.25 Uhr. Die Schüler
waren ausgeruht, konzentriert und kamen gerade aus ihrer Frühstückspause.
5. 2
Unterrichtszusammenhang
Die Blockstunde über die Literatur des Sturm und Drang stellt die vierte von neun geplanten
Einheiten zur Literaturgeschichte dar. Die vorhergehenden Unterrichtsstunden beschäftigten
sich mit folgenden Themen:
 Block 1:
Literatur des Mittelalters (700 – 1500)
 Block 2:
Literatur des Barock (1600 – 1720)
 Block 3:
Literatur der Aufklärung (1720 – 1785)
Alle weiteren Blöcke der Stoffeinheit Literaturgeschichte können der bereits dargestellten
Planung unter 4. 2 entnommen werden.
Da der vierte Block (Literatur des Sturm und Drang) eng im Zusammenhang mit den Inhalten
des dritten Blocks (Literatur der Aufklärung) steht, soll dieser hier kurz skizziert werden.
10
5. 2. 1 Grobüberblick über die Vorstunde ‚Literatur der Aufklärung‘
Dem Unterrichtsentwurf zur Blockstunde ‚Literatur der Aufklärung‘ soll hier überblicksartig
in Form eines tabellarischen Verlaufsplanes genüge getan werden, da er nicht im Zentrum des
Interesses dieser Arbeit steht, sondern nur eine sekundäre – jedoch nicht unwichtige –
Bedeutung für die Blockstunde über die Literatur des Sturm und Drang hat.
Stunde 1:
Zeit
09:25
Lehreraktivität / Unterrichtsverl.
Schüleraktivität / Sozialformen
Medien
- Begrüßung
- Motivation: Begriff „Aufklärung“
- Mind Map, Begriff diskutieren
(engl.: Enlightenment; frz.: Siècle
und Ideen & Fakten sammeln →
des Lumières) → LICHT
GUG
Tafel
- ZO: Überbl. über die Literatur der
Aufklärung
09:35
TZO 1:
I. Kant: „Was ist Aufklärung?“
- Stillarbeit
-AB 1
Lest den Text und beantwortet die Titel-
-Fremdwör-
frage „Was ist Aufklärung?“ in euren
terbücher
Worten! Geht dabei auf die Begriffe
„Unmündigkeit“,
„Verstand“
und
„Freiheit“ ein!
09:45
TZF 1:
- Ergebnissicherung und Vergleich
GUG
- Tafel
Warum stehen in der Zeit der Aufklärung
Einteilung Gruppenarbeit:
-Folien für jede
Gefühl und Verstand im Mittelpunkt von
- Gruppe 1: Geistige Befreiung
Gruppe zur
allem?
der Aufgabe
09:50
TZO 2:
- Gruppe 2: Emotionale Befreiung
Ergebnis-
→ These: Das 18. Jahrhundert stellt
- Gruppe 3: Sexuelle Befreiung
sicherung
eine grundlegende geistige, emo-
- Gruppe 4: Künstlerische Befr.
tionale , sexuelle, künstlerische
Befreiung dar. (A. Košenina)
09:55-
Gruppenarbeit
11
(Vergleich
und Texte:
10:10
Auswertung
in
der
zweiten Arbeitsblätter,
Blockhälfte)
Bücher,
Internet
Stunde 2:
Zeit
10:20
Lehreraktivität / Unterrichtsverl.
Schüleraktivität / Sozialformen
Medien
TZF 2:
Auswertung Gruppenarbeit,Ergebnis-
Schüler präsentieren ihre Folien
OHP
Stillarbeit
AB 2
GUG
Tafel
sicherung
10:35
TZO 3:
Künstlerische Befreiung auch in der
Literatur: Auszug aus
dem 17.
Literaturbrief Lessings
Lest den Auszug aus dem 17.
Literaturbrief Lessings und ordnet die
zusammenfassenden Überschriften den
einzelnen Absätzen zu! Untersucht, was
Lessing an Gottsched kritisiert!
10:45
TZF 3:
Ergebnissicherung: Vernunftsgedanke in der Literatur
→ Didaktische Literatur, lehrhafte
Literatur
10:50
TZO 4:
Autoren
und
Gattungen
in
der Lehrervortrag, Schüler schreiben
Literatur der Aufklärung
10:55
Textbeispiel:
mit
3 Aphorismen von GUG
Georg Christoph Lichtenberg
Wo steckt der Vernunftsgedanke / das
Lehrhafte in den Aphorismen?
11:00
GZF
11:04
Verabschiedung
HA: LB, S. 162 (Fabel: Der Wolf
und das Schaf)
5. 2. 2 Relevantes für den Kontext des Sturm und Drang
12
Folie OHP
Für die im Fokus dieser Arbeit stehende Blockstunde über die Literatur des Sturm und Drang
gibt es einige Gesichtspunkte, die auf das Wissen über die Epoche der Aufklärung aufbauen
und somit von zentraler Bedeutung sind.
Dazu gehört vor allem, dass sich die Strömung des Sturm und Drang während der Aufklärung
als eine Bewegung entwickelte, die sich schließlich gegen die Aufklärung wendete, um
derselben ihr Scheitern vor Augen zu führen. Somit ist die Entstehungszeit ein wichtiger
Faktor.
Ferner
sind
sozialgeschichtliche,
wissenschaftliche
und
anthropologische
Veränderungen während des 18. Jahrhunderts, die die Schülerinnen und Schüler in der
Gruppenarbeit zur Aufklärung als eine „geistige, emotionale, sexuelle und künstlerische
Befreiung“ (KOŠENINA 2008, S. 10) zusammentrugen, Grundpfeiler für die Entstehung der
literarischen Jugendbewegung des Sturm und Drang, da sie das tiefe Interesse der Zeit an dem
Begriffspaar ‚Gefühl und Verstand‘ erklären, das das mittelalterliche Differenzschema von
‚Heil und Verdammnis‘ ablöst.
Weiterhin sind verschiedene Merkmale des Sturm und Drang nur durch die Hintergründe der
aufgeklärten Gesellschaft verstehbar, von deren Ideen sich die Stürmer und Dränger bewusst
abzugrenzen versuchten. Dies geschah zum einen dadurch, dass verschiedene Elemente der
aufgeklärten Ideen sowie der Charakteristika ihrer Literatur in radikalisierter Form fortgeführt
wurden. Beispielsweise erweiterte man die „Aufwertung der Sinnlichkeit“, die im 17. und 18.
Jahrhundert entstanden war, zu einer Forderung nach der Emanzipation der Leidenschaften.
Weiterhin übernahm man die zentralen Themen der aufgeklärten Literatur und radikalisierte
den Vernunftsgedanken darin zu einer Geisteskrankheit, die aus ständig rationalem Handeln
erwächst. Die durch die Umstrukturierung der Gesellschaft entstandene Individualität seit der
Reformation und dem Zerfall des mittelalterlichen Ständesystems wird im Sturm und Drang
zu einer Forderung nach absoluter Autonomie übersteigert. Zum anderen zeigte sich die
Ideologie des Sturm und Drang im Sprengen der literarischen Regeln der Aufklärung. Die
Literatur sollte frei von gesellschaftlichen Zwecken sein und die Totalität des Lebens in
Sprache und Form darstellen.
Diese Gesichtspunkte, die an späterer Stelle ausführlicher dargestellt werden sollen und im
Kontext der Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘ eine bedeutende Grundlage für das
Verstehen der Strömung ermöglichen, machen einen direkten Zusammenhang des Sturm und
Drang mit der Epoche der Aufklärung deutlich.
13
5. 3
Sachanalyse
Im Folgenden möchte ich die fachlichen Hintergründe über die Zeit der Aufklärung, die
Entstehung des Sturm und Drang sowie die Merkmale und Autoren seiner Literatur detailliert
darstellen.
5. 3. 1 Veränderungen im 17. und 18. Jahrhundert
Das 17. und 18. Jahrhundert war eine Zeit der sozialgeschichtlichen Umgestaltungen. Diese
Veränderungen während der Aufklärung bezeichnet KOŠENINA (2008, S. 10) als eine
„grundlegende geistige, emotionale, sexuelle, künstlerische Befreiung“.
Das ehemalige Grundgerüst von allem, die Religion, hat seit der Reformation ihren
Absolutheitsanspruch den Einzelnen zu lenken verloren. Mit diesem Funktionsverlust der
Kirche verliert auch das mittelalterliche Differenzschema von Heil und Verdammnis
zunehmend an Bedeutung. Empfindsamkeit und Rationalismus etablieren sich stärker als
neues Orientierungsgerüst. Die Moral wird in der Aufklärung in erster Linie nicht mehr von
der Kirche bestimmt, sondern von Philosophen definiert. Der Blick der Gesellschaft richtet
sich mehr und mehr vom Jenseits auf das Diesseits und damit auch auf den individuellen
Menschen. KOŠENINA (2008, S. 10) spricht von einer „Neubestimmung des Menschen als
Mensch“, was somit bedeutet, dass sich die Betrachtungsweise des Menschen in der
europäischen Aufklärung ändert: „Der Mensch rückt […] ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Im Barock stand er noch im Schatten der Sonnenkönige – Gefühle und Affekte waren
verpönt, Individualität und Subjektivität kannte man noch nicht. Den Menschen wünschte
man sich zurechtgestutzt wie einen französischen Garten. Geordnet und diszipliniert sollte er
funktionieren – ständisch als Untertan, strategisch als Höfling, statisch als Schauspieler,
stoisch als Held. Gegen diese Marionettenkultur machte die Aufklärung Front.“ Diese
Neubestimmung des Menschen als Mensch manifestierte sich in der Entstehung der
Anthropologie als „Wissenschaft vom Menschen“, die sich in vielen Forschungsbereichen,
z. B. Philosophie, Medizin und Psychologie, mit großem Interesse und viel Neugierde
äußerte.
14
Das 18. Jahrhundert ist eine Zeit, in der der „ganze Mensch“ (vgl. KOŠENINA 2008, S. 10) im
Mittelpunkt steht. Das bedeutet folglich auch, dass sich Körper und Seele mit ihren
wechselseitigen Beziehungen im Interesse der Wissenschaft befinden. (Vgl. PLATNER 1772,
S. XVII) Die Seele gilt dabei als die religiöse Bestimmung des Menschen – sie ist das Gute
und Höhere. Der Körper hingegen stellt die biologische Bestimmung des Menschen dar, was
Sinnlichkeit und Triebe einschließt. Diese niederen Kräfte wiederum, die dabei als legitime
Erkenntnisinstrumente des Einzelnen gelten, weisen den Menschen als Teil der Natur aus.
Das Gefühl wird dabei als das Medium betrachtet, das zwischen Natur und Vernunft
vermittelt. Der Mensch wird also von Natur, Gefühl und Vernunft bestimmt.
Mit dem Verlust des mittelalterlichen Differenzschemas von Heil und Verdammnis seit der
Reformation basiert das Moralkonzept der Menschen nicht mehr hauptsächlich auf religiösen
Werten, wie es im Mittelalter der Fall war, als die Kirche noch ihren Absolutheitsanspruch
inne hatte – ohne mögliche Strafe im Jenseits ändern sich nun Motivation und Einstellung zu
„gutem“ Handeln. Das Gefühl wird dabei biologisiert, d. h. der körperlichen Bestimmung des
Menschen zugeordnet. KOŠENINA (2008, S. 17) erklärt, dass in diesem „Zeitalter der
Menschenforschung Gefühle ihre poetische Unschuld verloren haben. Sie werden gemessen,
beobachtet, seziert, experimentell stimuliert, in Krankengeschichten protokolliert, schließlich
analysiert – kühl medizinisch, aber auch durch beredte Metaphern in der Literatur; durch neue
Ausdrucksformen in der Bildkunst, durch eine psychologisch naturwahre Körpersprache auf
dem Theater.“
Diese Biologisierung des Gefühls hat die sogenannte ‚Aufwertung der Sinnlichkeit‘ im 18.
Jahrhundert zur Folge. In einer Zeit, in der durch den Funktionsverlust der Kirche die
mittelalterliche Ständepyramide ihre Spitze verloren hat und somit das gesamte
gesellschaftliche Gefüge langfristig einem sozialen Anpassungsprozess ausgesetzt ist, werden
Gefühl und Sinnlichkeit nicht als religiöse Medien oder Erfahrungen betrachtet, sondern als
Ausdruck der menschlichen Natur erforscht und als Erkenntniskräfte des Individuums
aufgewertet.
Dabei muss der Hintergrund der Vermögenspsychologie der LEIBNIZ-WOLFFschen Schule
betrachtet werden, denn nach der Definition von LEIBNIZ wird die Erkenntnisfähigkeit in zwei
verschiedene Modi unterteilt: Auf der einen Seite steht die symbolische, wissenschaftliche
Erkenntnis, welche durch Zahlen, Zeichen usw. die Logik und Rationalität des Menschen
anspricht. Auf der anderen Seite steht die intuitive, unmittelbare und totale Erkenntnis, welche
allein Gott vorbehalten ist. Zusätzlich zergliedert LEIBNIZ die Erkenntnis in eine dunkle und
eine klare Abstufung, und unterscheidet innerhalb der klaren noch zwischen einer
15
verworrenen und einer deutlichen Erkenntnisstufe. Die deutliche Stufe wiederum wurde in
eine adäquate und eine inadäquate unterteilt. (Vgl. RECTOR 1991, S. 97) Dieses Stufenschema
wird von einem Schüler LEIBNIZ, CHRISTIAN WOLFF, weiterhin hierarchisiert, indem er die
dunkle sowie die klare, aber verworrene Erkenntnis dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen
zuordnet, hingegen die klare und deutliche Erkenntnisstufe dem logischen, rationalen
Erkenntnisvermögen überordnet. WOLFF spricht infolgedessen wertend von einem sinnlichen
unteren und einem rationalen oberen Seelenvermögen. Durch ALEXANDER GOTTLIEB
BAUMGARTEN wird jedoch die sinnliche Wahrnehmung, das Erkennen der Wahrheit, mit der
logischen, der Erkenntnis der Schönheit, auf eine Stufe gestellt. Aufgrund dieser Aufwertung
der sinnlichen Erkenntnis durch BAUMGARTEN vollzieht sich im Verlaufe des 18.
Jahrhunderts eine Neubewertung der symbolischen und der intuitiven Erkenntnis, indem die
symbolische mit der logischen, die intuitive mit der sinnlichen verbunden wird. Somit wird
die niedere sinnliche Erkenntnis zur intuitiven erhöht und dem göttlichen Genie nach der
Theorie LEIBNIZ zugeschrieben. Als Theorie der Sinnlichkeit kann sich in der Aufklärung die
Ästhetik zur Wissenschaft von Kunst und Kunstwahrnehmung entwickeln.
Das 18. Jahrhundert betrachtet den Menschen insgesamt also von einer neuen Perspektive.
„Für lange Zeit zum ersten mal steht […] der ganze Mensch zur Disposition – als untrennbare
Einheit von Empfinden und Erkennen, Leib und Seele, Sinnlichkeit und Vernunft, Natur und
Kultur, Determination und Freiheit.“ (KOŠENINA 2008, S. 10) Die hier genannten
Oppositionen drücken zusammenfassend die Veränderungen und Diskrepanzen hinsichtlich
des Menschenbildes im 18. Jahrhundert aus und widerspiegeln sich in verschiedenen
Themenkreisen der aufgeklärten Literatur dieser Zeit. Menschheitsthemen wie Liebe,
Sexualität, Traum, Verbrechen, Wahnsinn usw. erobern wie nie zuvor die Literatur, nicht nur
als Motive, sondern auch als Erkenntnisfelder analytischer Neugierde, die auch Verfahren der
Darstellung beeinflussen (vgl. KOŠENINA 2008, S. 8).
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und sozialen Veränderungen des 18. Jahrhunderts
beeinflussen den Inhalt der Literatur der Aufklärung – und folglich auch die des Sturm und
Drang – somit maßgeblich und werden mit ihren Themenkreisen zu deren Gegenstand.
5. 3. 2 Entstehung des ‚Sturm und Drang‘
16
Zwischen 1770 und 1780 entstehen Texte – unter ihnen Goethes Werther –, die das Ziel
haben, anders als die Literatur der Aufklärung zu sein. Im Jahre 1776, als die Bewegung
schon wieder langsam ausklingt, gibt Friedrich Maximilian Klinger ihr mit seinem
Dramentitel den Namen: Sturm und Drang.
Einer der führenden Literaturwissenschaftler in Bezug auf die Literatur des 17. Und 18.
Jahrhunderts, MATHIAS LUSERKE (1997, S. 10ff.), definiert die Strömung folgendermaßen:
„Sturm und Drang ist Literatur, die sich bewußt formal wie inhaltlich von den bewährten
Mustern der aufgeklärten Literatur der 1760er Jahre absetzt, sich der Fortschreibung dieser
Literatur verweigert. […] [Es handelt sich um] Literatur, die philosophisch, theologisch und
ästhetisch im Geist der Aufklärung gebildet ist und diesen Geist kritisch gegen die eigene
Gegenwart wendet. […] Sturm und Drang ist der erste Versuch, ein Mißlingen der
Aufklärung
zu
denken,
den
Vollkommenheitsanspruch
der
Aufklärung
mit
den
Unzulänglichkeiten der gesellschaftlich-historischen Wirklichkeit zu konfrontieren.“ Damit
wird der Sturm und Drang zu einer Rebellion gegen die Vaterinstanz der Aufklärung.
5. 3. 3 Individualität im Sturm und Drang
LUSERKE erklärt weiterhin, dass Sturm und Drang die Literatur ist, „welche die Entdeckung
des Individuellen als authentisches Erlebnis beschreibt, sich über Rollenzuweisungen in
Drama und Lyrik hinwegsetzt und das je eigene Erlebnis und die je eigene Pein zum
Gegenstand der Beschreibung macht, […] die das freie Individuelle höher schätzt als die
Pflichten
des
Subjekts
und
die
der
Literatur
damit
einen
unvergleichlichen
Individualisierungsschub verleiht und die Literatur als Medium der Ichfindung begreift.“
Sturm und Drang thematisiert folglich die Individualität, die im 18. Jahrhundert entdeckt bzw.
erfunden wurde (vgl. JANNIDIS 1996, S. 43). WILLEMS (1995, S. 85) beschreibt die Ursache
dafür: „Die thematisierten Probleme der völligen Individualisierung des Empfindens und
Denkens, der Orientierungslosigkeit, des Selbstzweifels, der Einsamkeit des Ichs, der
Erfahrung der Kontingenz aller positiven Ordnungen etc., können erst zum tragen kommen,
wenn es keine für alle verbindliche Weltinterpretation, wie sie traditionell die Religion
lieferte, mehr gibt und der einzelne aus einem einheitlichen Lebenskreis, der mehr oder
weniger alle Aspekte seiner Person bestimmte, freigesetzt worden ist: Sie setzen den Zerfall
der ständischen Ordnung und des entsprechenden religiösen Weltbildes voraus.“
17
NIKLAS LUHMANN (1993, Vgl. S. 149 ff.) sieht im Begriff „Individualität“ ebenfalls eine
Antwort auf Veränderungen der Gesellschaft und ihrer Struktur.
Bis zum 18. Jahrhundert galt die Gattung als das Wesentliche, nicht das Individuum. Auf den
Menschen bezogen besagt diese Anschauung, dass sich seine gesamte Bestimmung aus seiner
Gattungszugehörigkeit ableitete. Alle Menschen haben prinzipiell dieselbe Bestimmung.
Allerdings konnte hier auch nach der Standeszugehörigkeit differenziert werden, aber dann
galten die Normen des Standes und nicht des Individuums. (Vgl. JANNIDIS 1996, S. 44)
Wie bereits erwähnt war die Gesellschaft seit der Reformation und dem damit einhergehenden
Verlust des aus Klerus, Adel und Bauern bestehenden mittelalterlichen Ständesystems einem
langfristigen Anpassungsprozess ausgeliefert. LUHMANN (vgl. 1993, S. 156) bezeichnet dies
als Umstellung eines Individuums von Inklusions- auf Exklusionsindividualität. Bei der
Inklusion wird die Identität des Einzelnen durch seine Zugehörigkeit zu einem Teilsystem
definiert. Das kann beispielsweise die Familie oder der Stand sein. Das Mittelalter mit seinem
Ständesystem stellt somit ein Zeitalter der Inklusionsindividualität dar.
In
einer
funktional
differenzierten
Gesellschaft
hingegen
„nimmt
jede
Person
notwendigerweise an mehreren Subsystemen teil, sie kann gar nicht mehr nur einem System
angehören. Da aber die Gesellschaft aus der Summe aller Teilsysteme besteht, gibt es für den
Einzelnen keinen Platz innerhalb des Systems Gesellschaft. Das Individuum hat nur Platz
außerhalb der Gesellschaft, kann nur noch durch Exklusion definiert werden. Es wird dadurch
überhaupt die Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft möglich.“ (JANNIDIS
1996, S 49 f.) Mit dem Auflösen der mittelalterlichen Stände und dem Herausbilden des
Bürgertums aus dem Dritten Stand muss sich der Einzelne seine Zugehörigkeit zu den
Teilbereichen
der
Gesellschaft
erarbeiten.
„Beruflich/professionell
kann
er
im
Wirtschaftssystem, im Rechtssystem, im Erziehungssystem etc. engagiert sein. Aber er kann
nicht in einem Funktionssysteme allein leben.“ (WILLEMS 1995, S. 89) Er ist nun nicht mehr
automatisch und vollständig ein Teil eines Standes, sondern muss sich für verschiedene
Subsysteme der Gesellschaft entscheiden. Das Individuum muss „als sozial ortlos
vorausgesetzt werden.“ (LUHMANN 1983, S. 16) Identität wird somit zur Konzeptionsleistung
des Einzelnen.
Im Sturm und Drang kommt es zu einer Radikalisierung dieser Autonomie. Die Stürmer und
Dränger selbst nannten sich „Genies“ oder noch lieber „Originalgenies“, und das hieß vor
allem „genialisch leben“. (Vgl. HEIN 1991, S. 34) Beispielsweise schrieb KESTNER über
GOETHE: „Er besitzt, was man Genie nennt[.] […] [E]r tut, was ihm einfällt, ohne sich darum
18
zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt“ (vgl.
SEEHAFER 2004, S. 105). Weitere zeitgenössische Bezeichnungen für die Strömung lauteten
„junge Dichter“, „Goethe-Sekte“ oder „Originaldichter“ (vgl. LUSERKE 1997, S. 10).
Das
Wort „Genie“ wurde im Sturm und Drang jedoch noch nicht im Sinne des 19.
Jahrhunderts als intellektuelle Hochbegabung verstanden, sondern eher im Sinne des antiken
Genius,
einer
dem
Menschen
innewohnenden
Kraft
göttlichen
Ursprungs.
Das
Hauptkennzeichen dieser Genies war Originalität. Man kleidete sich „englisch“, d. h. Frack,
Weste, Stulpenstiefel – das Wertherkostüm also – und verschmähte die konventionelle
zeitgenössische Mode. Man glaubte, das Genie habe keine Bildung nötig, sondern sei mit
gottesgleicher Schöpferkraft ausgestattet. Damit einher geht die bereits erwähnte Aufwertung
der Sinnlichkeit – die Erhöhung der sinnlichen Erkenntnis zum göttlichen Genie.
Genialisches Verhalten äußerte sich in einem ständigen Gefühlsüberschwang, in brüderlichen
Umarmungen, Freundschaftsfeiern und Verdammungsritualen gegen die literarischen
Antigötter des Rokoko, vor allem WIELAND. (Vgl. HEIN 1991, S. 34 f.)
Goethe führt in Dichtung und Wahrheit, 10. Buch, den Begriff des „Selbsthelfers“ ein, der
den Protagonistentypus im Sturm und Drang beschreibt. „Selbsthelfern“ oder „Kraftgenies“
geht es um die Emanzipation der Leidenschaften; sie kritisieren so die gesellschaftlichen
Bändigungszwänge der Aufklärung, die in Leidenschaften ein Fieber sieht, das die
gesellschaftliche Ordnung bedrohen kann, wenn sie außer Kontrolle geraten. Selbsthelfer
handeln selbstständig und tatkräftig (vgl. LUSERKE 1997, S. 10 f.).
BERTRAM (2000, S. 17) beschreibt präzise, wie sich dieser Geniegedanke auf die Literatur des
Sturm und Drang auswirkt: „Genie – Eine Figur sichert zuletzt die Identität dessen, was unter
dem Titel ‚Sturm und Drang’ bis zum frühen Schiller hin getrieben wird. Ob Götz von
Berlichingen, ob Prometheus, ob Shakespeare oder Karl von Moor: Immer gelten die Helden
als Genies. Mit dem Genie einher geht die Konfrontation zwischen dessen Tatkraft und
Streben nach Autonomie und Authentizität auf der einen Seite und einer Umgebung auf der
anderen Seite, die als widerständig erfahren wird.“ Als „Genies“, „Kerls“, „Kraftgenies“ oder
„Selbsthelfer“ gelten folglich alle Figuren, die den Protagonistentypus des Sturm und Drang
repräsentieren.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die sozialgeschichtliche Entwicklung des 18.
Jahrhunderts zur Entstehung von Individualität führt – oder genauer: Inklusionsindividualität
wird zu Exklusionsindividualität. Diese Selbstbestimmung in der nun funktional
differenzierten Gesellschaft wird von den Stürmern und Drängern radikalisiert. Freiheit und
19
Regellosigkeit werden zum Programm ihres autonomen, „genialischen“ Auftretens sowie
ihrer Literatur.
Die Literatur des Sturm und Drang fordert die Selbstbestimmung des Menschen nicht nur,
sondern beschreibt sie literarisch und versucht, ihren gesellschaftlichen Standort jenseits der
sozialen, ständisch-hierarchischen Zuweisungen zu finden (vgl. LUSERKE 1997, S. 12 f.) und
scheitert schließlich daran.
5. 3. 4 Die Literatur des Sturm und Drang – Sprengen der literarischen Regeln
Die Literatur des Sturm und Drang unterscheidet sich zum einen von der Literatur der
Aufklärung, indem sie neben der Behandlung und Radikalisierung alter Themen (Liebe,
Sexualität, Standesunterschiede, poetologische und ästhetische Fragen) politisch sensibilisiert
neue Themen sucht: Kindsmord, Genieästhetik, Shakespeareianismus und Volkslieder. Damit
werden in der Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit die Aspekte des Lebens
und der Gesellschaft gesucht, gefunden und verarbeitet, die in der Gegenwart vermisst
werden, weil die Aufklärung sie verweigert (vgl. LUSERKE 1997, S. 10).
Zum anderen sind deutliche Unterschiede in Bezug auf die literarischen Gattungen und
Formen erkennbar. Ein zentrales Merkmal der Literatur des Sturm und Drang ist die
„Kunstautonomie“. Literatur sollte damit um ihrer selbst willen entstehen und rezipiert
werden. Dabei muss sie frei von gesellschaftlichen Zwecken sein. Die didaktische Funktion,
die der Literatur der Aufklärung anhaftete, wurde von den „Originaldichtern“ verpönt und
verachtet. Nur ein Genie konnte dichten. Kunst galt als nicht lehr- und lernbar. Die Freiheit
der Literatur von sozialen Absichten erlaubte es, die Totalität des Lebens darzustellen. Dazu
gehört auch alles Schlechte in der Gesellschaft. Dadurch wird auch die Radikalisierung der
‚Aufwertung der Sinnlichkeit‘ der Aufklärung zur ‚Emanzipation der Leidenschaften‘ im
Sturm und Drang verständlich. Die Stürmer und Dränger halten es für falsch, immer absolut
vernunftsorientiert zu leben. Sie glauben, dass man geistig krank wird, wenn man das tut, und
verleihen diesem Gedanken in vielen ihrer Werke Ausdruck. Die Totalität des Lebens zeigt
sich dadurch, dass die Aufwertung des Gefühls bis ins Extrem getrieben wird, indem
affektives Handeln, Triebhaftigkeit und sogar Mord als positiv in der Literatur dargestellt und
gefeiert werden, weil sie die Spitze der Gefühlshandlung aufzeigen. Dieses Erlebnis des
individuellen Gefühls zeigt sich in der Erlebnislyrik, die die Strömung hervor bringt,
besonders aber insgesamt auch in der Sprache der Leidenschaft, die den Gefühlsausdruck
20
lebensnah demonstriert. Charakteristisch für diese Sprache sind zahlreiche Wiederholungen,
Ausdruckshäufungen, Ellipsen und Steigerungen. Sie verleitet zu der Deutung, als sei sie
unmittelbar aus dem Gefühlsüberschwang des Verfassers hervorgegangen (vgl. HERMES
1998,
S.
42).
Die
Sprache
der
Leidenschaft
ermöglicht
ein
deutliches
Unterscheidungskriterium zu literarischen Gattungen der Aufklärung. Die im Sturm und
Drang entstandene Form des Briefromans sowie die Dramen der „Goethe-Sekte“ zeichnen
sich durch diese Sprache aus, die sich nicht selten auch in Kraftausdrücken und
Vulgärsprache äußert.
Für die Stürmer und Dränger bedeutet Immanuel Kants „Habe den Mut, dich deines eigenen
Verstandes zu bedienen“ somit das Sprengen der konventionellen Ordnung.
Die etwa zwei Dutzend Texte, die die Bewegung hervorbrachte, beschränken sich im
Wesentlichen auf vier junge Autoren: JOHANN WOLFGANG GOETHE, FRIEDRICH SCHILLER,
JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ und FRIEDRICH MAXIMILIAN KLINGER.
5. 3. 4 Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther
Im Folgenden soll GOETHES Briefroman Die Leiden des jungen Werther, den ich als
Textbeispiel für meine Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘ verwendete, im Kontext
der Zeit der Aufklärung und den Hintergründen des Sturm und Dranges analysiert werden, um
die Blockstunde auf einer tiefgründigen Sachanalyse im anschließender didaktischer
Reduktion aufbauen zu können. Dabei möchte ich zunächst kurz auf den Inhalt des Werkes
eingehen und danach eine Deutung unter sozialgeschichtlichen Aspekten und im Sinne der
literarischen Anthropologie – die sich unter Berücksichtigung der in der Aufklärung
gewonnen Erkenntnisse hinsichtlich der Psychologie sehr anbietet – vorschlagen.
5. 3. 4. 1
Inhalt
„Ach, wenn ich dann noch im Taumel des Schlafes nach ihr tappe und darüber mich
ermuntere – ein Strom von Tränen bricht aus meinem gepressten Herzen, und ich weine
trostlos einer finstern Zukunft entgegen.“ (S. 45)
21
Diese Aussage Werthers als eine von vielen, in der die Titelfigur in JOHANN WOLFGANG
GOETHES Briefroman Die Leiden des jungen Werther in seinen Episteln sein ihm
unvermeidliches, düsteres Schicksal ankündigt, weist treffend auf den Gegenstand des
Werkes hin: die hoffnungslose Liebe eines jungen Mannes zu einer bereits versprochenen
Frau.
Der junge Werther, der seine Mutter verlassen hat, um für sie eine Erbschaftsangelegenheit zu
regeln, lernt in seiner neuen Umgebung Lotte, die Tochter des Amtsmannes sowie Verlobte
und spätere Frau des Vernunftsmenschen Albert, kennen und verliebt sich in sie. Obwohl die
beiden eine sehr innige Freundschaft und sogar eine Art Seelenverwandtschaft verbindet,
begreift Werther bald, dass seine Liebe hoffnungslos und eine gemeinsame Zukunft mit Lotte
unmöglich ist.
Über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren entwickelt sich Lotte mehr und mehr zum
einzigen Lebensinhalt Werthers, ohne den er glaubt, nicht glücklich sein zu können. In seiner
wachsenden Unfähigkeit rational zu handeln ist sein Leben zunehmend von Emotionen und
Affekten geprägt. All dies teilt er in Briefen seinem Freund Wilhelm mit. Werthers Zustand
führt über Hoffnungslosigkeit und Depression schließlich zum Suizid.
5. 3. 4. 2
Deutung
Obwohl in der traditionellen Werther-Forschung sozialgeschichtliche Aspekte wie das
Streben nach absoluter Autonomie, der Wunsch nach Selbstverwirklichung und das Leiden an
der aufgeklärten Gesellschaft als Deutungsansätze favorisiert werden und Werther im
Brennpunkt dieser dominanten, gesellschaftskritischen Interpretation als Repräsentant einer
progressiven Bourgeoisie steht (vgl. JÄGER 1984, S. 11 ff.) und somit nicht krank, am
wenigsten geisteskrank sein darf, ja eine Deutung des Werther als Krankengeschichte diesem
Protest die Spitze abbräche (vgl. BLESSIN 1992, S. 52), bezog ich mich in meiner Blockstunde
‚Literatur des Sturm und Drang‘ auch auf Aspekte einer Deutung im Sinne der literarischen
Anthropologie und unternahm den Versuch, beide Ansätze zu vereinen: Werther strebt nach
Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung und leidet an dem sozialen Gefüge, das seine
Forderungen nicht toleriert, was zu einer stetig wachsenden Störung seiner von Kindheit an
krankhaften Psyche führt, einer „Historiam morbi“ (vgl. GRÄF 1919, S. 283 f.). Werthers
Geistesstörung ist Teil seiner Individualität und erstreckt sich über den gesamten Text. Die
22
psychische Störung wird im Verlauf der Handlung mehr und mehr durch die
Bändigungszwänge der Gesellschaft verstärkt. Sein Streben nach Selbstbestimmung –
gekoppelt mit einer krankhaften Psyche – führt zum Leiden an der Gesellschaft und
verwandelt die Geistesstörung Werthers in eine „Krankheit zum Tode“ (S. 40), die im
Selbstmord der Titelfigur gipfelt.
Zunächst wird die Individualität des Werther im Fokus des Interesses dieser Deutung stehen.
Dabei soll zuerst eine allgemeine Vorstellung der Titelfigur erfolgen und danach seine
Leidens- und Krankheitsgeschichte im Zentrum der Analyse sein.
Die ersten beiden Briefe Werthers an Wilhelm (S. 5 ff.) geben uns eine umfangreiche
Charakterisierung der Titelfigur. Der Leser erfährt, dass Werther Heimat und Mutter verlassen
hat, um für sie eine Erbschaftsangelegenheit zu regeln. Werther deutet eine unglückliche
(Liebes-)Situation aus der Vergangenheit mit einem Mädchen namens Leonore und deren
Schwester an, von der Wilhelm Kenntnis zu haben scheint, und lässt den Leser so schon auf
seine zukünftige Dreiecksbeziehung mit Lotte und Albert schließen.
Weiterhin kann man in diesen ersten Briefen seine Naturverbundenheit erkennen – seine
Leidenschaft für die „unaussprechliche Schönheit der Natur“ (S. 6), was sich in einer
detaillierten Schilderung derselben zeigt. Bevor Lotte zum Inbegriff seines Lebens wird, fühlt
sich Werther in die Natur gezogen. Dabei zeigt er sich äußerst leidenschaftlich und emotional
und beschreibt seine Empfindungen über die wunderbare „Gegend, die für solche Seelen
geschaffen ist wie die [s]eine“ und die er „mit ganzem Herzen genieß[t]“ (S. 6). Allein das
Wort „Herz“ findet sich neunmal in diesen zwei Briefen, dazu zahlreiche sinnverwandte
Worte zum Ausdruck seiner Emotionen und Leidenschaft. Die Stadt hingegen ist ihm
„unangenehm“ und er flieht sie, sooft er kann. BLESSIN (1992, S. 33) deutet dies als Flucht
Werthers vor seiner Gesellschaft: „Der Ausflug in die freie Natur kehrt nicht nur der engen
und lauten Stadt den Rücken, sondern der Gesellschaft und den menschlichen Verwicklungen
überhaupt.“ Werther beschreibt in diesen Briefen seine wohltuenden Emotionen, die er
genießt, wenn er sich in die Natur begibt.
In der weiteren Entwicklung Werthers wird die Natur zum Spiegel seiner schwankenden
Emotionen. Er erlebt sie, „indem er sie ganz aus seiner eignen Empfindungsfülle heraus
beseelt. In schwärmerisch-expansiver Stimmung nimmt er die Natur in ihrer zeugerischen
23
Kraft und Schönheit wahr. […] In chaotisch-verzweifelter Verfassung scheint ihm die Natur
ein alles verschlingendes Ungeheuer zu sein. […] So ist die Natur durchgehend nur ein
Spiegel der Subjektivität.“ (SCHMID 1988, S. 328) Was Werther fühlt, spiegelt sich in der
Natur wider.
Die Titelfigur wird dem Leser somit von Anfang an als ein sehr sinnlicher, leidenschaftlicher,
emotionaler junger Mann vorgestellt.
Werther liebt Malerei und Dichtkunst und ist zudem akademisch ausgebildet. Seine
Leidenschaft, sein intensives Genießen der neuen Umgebung, führen jedoch dazu, dass
„[s]eine Kunst darunter leidet.“ (S. 6) Ein wesentliches Element des Geniebegriffs tritt also in
den Hintergrund: die Kreativität. (Vgl. SCHMID 1988, S. 325) Und in seinem Brief vom 13.
Mai schreibt er: „Du fragst, ob du mir meine Bücher schicken sollst? – Lieber, ich bitte dich
um Gottes willen, lass sie mir vom Halse!“ (S. 7)
Obwohl Werther zum Bildungsbürgertum gehört, umgibt er sich lieber mit einfachen
Menschen. So freundet er sich schon nach wenigen Tagen in seiner neuen Umgebung mit
einem Gärtner an, in dessen Garten er sich oft freudevollem Weinen hingibt. (Vgl. S. 6) Auch
Kinder gehören zum täglichen Umgang Werthers: „Die geringen Leute des Ortes kennen
mich schon und lieben mich, besonders die Kinder.“ (S. 8)
So lernt er auch die ihm recht ähnliche, natürliche, empfindungsfähige Lotte kennen: in der
Rolle der Ersatzmutter, die das Brot unter den Kindern verteilt, als Werther sie zum Tanz
abholen möchte.
Nachdem er Lotte kennen gelernt hat, ist sein Lebensgefühl mehr denn je beflügelt: „Noch nie
war ich glücklicher, noch nie war meine Empfindung an der Natur, bis aufs Steinchen, aufs
Gräschen herunter, voller und inniger“ (S. 34). Von nun an verbringt Werther nahezu jeden
Tag mit ihr; er lernt sie kennen und lieben. Seine leidenschaftliche Liebe führt bald zu
emotionaler Abhängigkeit: „Ich habe mir schon manchmal vorgenommen, sie nicht so oft zu
sehn. Ja, wer das halten könnte! Alle Tage unterlieg ich der Versuchung und verspreche mir
heilig: morgen willst du einmal wegbleiben. Und wenn der Morgen kommt, finde ich doch
wieder eine unwiderstehliche Ursache, und ehe ich mich’s versehe, bin ich bei ihr.“ (S. 34)
Lotte wird schließlich zum einzigen Lebensinhalt Werthers. Sie ist sich dieser
Tatsache bewusst: „Werther, […] mäßigen Sie sich. Oh, warum mussten Sie mit dieser
Heftigkeit, dieser unbezwinglich haftenden Leidenschaft für alles, was Sie einmal anfassen,
geboren werden!“ (S. 88) Als transpsychologisch konzipierte Figur ist auch Werther sich
dieses Abhängigkeitsverhältnisses vollkommen bewusst. Als Albert in sein Leben tritt,
berichtet er seinem Freund Wilhelm: „Er hält mich für einen Menschen von Sinn; und meine
24
Abhängigkeit an Lotten, meine warme Freude, die ich an allen ihren Handlungen habe,
vermehrt seinen Triumph und er liebt sie nur desto mehr.“ (S. 35)
Mit der Ankunft Alberts ändert sich das Glücksempfinden Werthers, das er bisher in der
Zweisamkeit mit Lotte genossen hat. Von diesem Zeitpunkt an verstärkt sich die Leidenschaft
Werthers zu einer Art „emotionalem Extremismus“: Er ist glücklich, wenn er allein mit Lotte
ist, und eifersüchtig, verzweifelt und depressiv, wenn er sich die Hoffnungslosigkeit seiner
Liebe vor Augen hält. Seine Sinnlichkeit, seine Leidenschaft, hat sich zum „Leiden des
jungen Werther“ entwickelt.
Die Individualität Werthers zeigt sich in seinem Rückzug aus der Gesellschaft. Von Anfang
an zieht er sich lieber in die Natur zurück anstatt sich der Geselligkeit der Stadt hinzugeben,
die der Entfaltung seiner Individualität im Wege stünde, was sich beispielsweise in der
vornehmen Gesellschaft des Grafen zeigt (vgl. S. 57 ff). Seine außergewöhnliche Sinnlichkeit
sowie seine aktiv gelebte Forderung der Emanzipation der Leidenschaften sind
herausstechende Merkmale seiner Individualität. Seine von Lotte so trefflich formulierte
angeborene „Leidenschaft für alles, was [er] einmal anfass[t]“ (S. 88), hat sich nicht erst seit
ihrer Bekanntschaft entwickelt, sondern ist sein Leben lang Teil seiner Persönlichkeit. In
einem der ersten Briefe an seinen Freund Wilhelm belegt dies Werther selbst: „Lieber!
Brauch ich dir das zu sagen, der du so oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zur
Ausschweifung und von süßer Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehn zu sehn.
Auch halt ich mein Herzchen wie ein krankes Kind, jeder Wille wird ihm gestattet.“ (S. 8)
Allein das intim-freundliche Verhältnis zu Lotte und die Dreiecksbeziehung mit Lotte
und ihrem Mann Albert zeigen bereits die individuelle Stellung des jungen Werther außerhalb
der gesellschaftlichen Konventionen. Seine subjektive Sicht, die dem Leser in seinen Briefen
an Albert offenbart wird, zeugt von einer hochgradig irrationalen, überemotionalen und sogar
krankhaften Psyche der Titelfigur.
Auch Werthers Geisteskrankheit ist Teil seiner Individualität und Psyche. GOETHE selbst
deutet an, dass der Werther als Psychopathografie zu deuten sei, als er den Roman als
„Historiam morbi“ – eine zum Tod führende Krankengeschichte – bezeichnet (vgl. GRÄF
1919, S. 283 f.) und erklärt, „daß Werthers Jugendblüte schon von vorn herein als vom
tödlichen Wurm gestochen erscheine“ (GOETHE 1887 ff., I. Abt., Bd. 28, S. 229). Werthers
25
Geisteskrankheit entwickelt sich folglich nicht erst in seinem Unvermögen sich in Bezug auf
Lotte rational zu verhalten.
KOŠENINA (2008, S. 76) findet die Anzeichen der Geistesstörung Werthers schon auf den
ersten Seiten des Romans: „Goethe bietet [zahlreiche] Details, die den Briefempfänger viel
früher hätten alarmieren müssen und die den Leser in die Rolle eines verständigen Arztes
rücken. Werthers Anamnese beginnt schon mit den ersten Briefen, noch vor der
Bekanntschaft mit Lotte: die unglückliche Vorgeschichte mit Leonore, das bedrängte Herz,
die Flucht in die Natur, der Ekel vor Büchern, Gefühle der Eingeschränktheit und [des]
Unverstanden-Seins – all das gehört zu den Facetten dieses schwierigen Charakters.“
Nach dem Eintritt Alberts in Werthers Leben und besonders nach dem Selbstmordgespräch
im Brief vom 12. August (vgl. S. 38 ff.) werden die hypochondrischen Züge Werthers immer
deutlicher: Er kennt Zeiten, „wo er [sich] eine Kugel vor den Kopf schießen möchte“ (S. 32);
er spürt, wie sein „Leben unter einer schleichenden Krankheit unaufhaltsam allmählich
abstirbt“ (S. 36); er visioniert den „Abgrund des ewig offenen Grabes“ (S. 44); er glaubt
plötzlich „keine Vorstellungskraft, kein Gefühl an der Natur“ mehr zu haben (S. 45); er sieht
dieses Elendes kein Ende als das Grab“ (S. 47); er berichtet, er „habe hundertmal ein Messer
ergriffen, um diesem gedrängten Herzen Luft zu machen“ und „möchte [sich oft] eine Ader
öffnen, die [ihm] die ewige Freiheit schaffte“ (S. 60); er „möchte [sich] oft die Brust zerreißen
und das Gehirn einstoßen“ (S. 72) und legt sich „oft zu Bette mit dem Wunsche, ja manchmal
mit der Hoffnung, nicht wieder zu erwachen“ (S. 73); er glaubt, er „habe verloren, was
[s]eines Lebens einzige Wonne war (S. 73) und erkennt, dass „[s]ein ganzes Wesen zwischen
Sein und Nichtsein zittert“ (S. 74). Schließlich gipfelt Werthers psychische Entwicklung in
seinem Brief vom 20. Dezember in dem vierfach wiederholten Bekenntnis: „Es ist
beschlossen, Lotte, ich will sterben“ (S. 89 f.).
Diese Aufzählung offensichtlichster Hinweise – im Text finden sich noch zahlreiche weitere
Belege, einschließlich dreier kleiner Binnengeschichten, die das Schicksal Werthers
repräsentieren (vgl. KOŠENINA 2008, S. 76) – zeigt die Selbstmordgedanken Werthers, die
sich über das gesamte Werk ausbreiten und sich gegen Ende immer weiter verdichten.
Die psychische Entwicklung Werthers wird von ihm persönlich im Selbstmordgespräch mit
Albert angedeutet und vorausgesagt: „Du gibst mir zu, wir nennen das eine Krankheit zum
Tode, wodurch die Natur so angegriffen wird, dass teils ihre Kräfte verzehrt, teils so außer
Wirkung gesetzt werden, dass sie sich nicht wieder aufzuhelfen, durch keine glückliche
26
Revolution den gewöhnlichen Umlauf des Lebens wieder herzustellen fähig ist […] bis
endlich eine wachsende Leidenschaft ihn aller ruhigen Sinneskraft beraubt und ihn zugrunde
richtet.“ (S. 40 f.) Am Beispiel einer unglücklichen Liebe kommt er zu dem Schluss: „Die
Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der verworrenen und widersprechenden
Kräfte und der Mensch muss sterben.“ (S. 42)
Diese Entwicklung zeigt sich immer klarer in Werthers Psyche über den Verlauf der
Handlung. Seine „Natur [wird] so angegriffen […], dass teils ihre Kräfte verzehrt, teils so
außer Wirkung gesetzt werden, dass sie sich nicht wieder aufzuhelfen […] fähig ist“ (S. 40 f.).
Werther selbst sagt über sich: „Und dies Herz ist jetzt tot, aus ihm fließen keine
Entzückungen mehr, […] die heilige belebende Kraft, mit der ich Welten um mich schuf; sie
ist dahin!“ (S. 73)
Werthers Leidenschaft ist also zum Leiden geworden. Er stellt ein leidendes Subjekt der
Aufklärung dar, dessen Individualität außerhalb des sozialen Gefüges und die dadurch
verstärkten Symptome seiner psychischen Krankheit repräsentativ für die Auswirkungen der
Bändigungszwänge
der
Gesellschaft
stehen.
Seine
geforderte
Emanzipation
der
Leidenschaften scheitert.
Zusammenfassend deutet SCHMID (1988, S. 326) Werthers Scheitern – jedoch ohne
Berücksichtigung seiner Geisteskrankheit – wie folgt: „Werthers Verhängnis ist die
Verabsolutierung der Subjektivität. Als melancholischer Narziß kultiviert er nur die eigene
Innerlichkeit. So gerät er in die Verneinung aller gesellschaftlichen Formen und Normen, in
ein asoziales Verhalten, das nur noch sentimentalische Annäherungen an andere Menschen
zuläßt. Der erste Satz des Werkes ‚Wie froh bin ich, daß ich weg bin!’ ist symptomatisch für
das Ganze. Am Anfang geht Werther weg aus der Welt der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer
Geschäfte und Komplikationen, aber auch aus ihren Ordnungen und Gesetzen. Am Ende geht
er überhaupt aus der Welt hinaus, in den Tod.“
5. 3. 5 Fazit
Das 18. Jahrhundert betrachtet den Menschen von einer neuen Perspektive. Es ist das Zeitalter
der „Neubestimmung des Menschen als Mensch“. Die Veränderungen und Erkenntnisse der
Aufklärungsepoche bringen neue Betrachtungsweisen hinsichtlich von Individualität hervor.
27
Individualität ist in dieser Zeit das Ergebnis eines grundlegenden Wandels in der
Gesellschaftsstruktur. Das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft ändert sich von
Inklusionsindividualität zu Exklusionsindividualität. JANNIDIS (vgl. 1996, S. 59) zeigt, dass
diese gesellschaftsstrukturellen Veränderungen sich in enger Wechselwirkung mit
semantischen Evolutionen ereignen. Eine Individualitätssemantik, die den Einzelnen über
Stand, Familie, Geschlecht usw. beschreibt, wird abgelöst von einer Semantik, die die
Einmaligkeit des Individuums zu ihrem Mittelpunkt hat. Diese Wandlung verläuft als
langfristiger Prozess in Europa über mehrere Jahrhunderte und ist am Ende des 18.
Jahrhunderts so weit fortgeschritten, dass er kaum mehr umkehrbar ist. Immer mehr
Individuen machen Erfahrungen der Vereinzelung und Kontingenz und deuten diese mittels
der neuen Individualitätssemantik.
Die Autoren des Sturm und Drang – unter ihnen GOETHE – verarbeiten diese
Individualitätsproblematik in ihrer Literatur: GOETHES Briefroman Die Leiden des jungen
Werther thematisiert ein Individuum der aufgeklärten, funktional differenzierten Gesellschaft
des 18. Jahrhunderts. Werther ist in verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft aktiv, die er
sich selbst gewählt hat, z. B. als Künstler und Akademiker. Werther strebt als „Genie“ des
Sturm und Drang nach absoluter Autonomie und der Emanzipation seiner Leidenschaften; er
handelt gemäß seiner Emotionen und Affekte stets tatkräftig und bringt sich so in eine
Position der Exklusionsindividualität – ein Platz außerhalb der Gesellschaft.
Ein wichtiger Aspekt der Individualität Werthers ist sein geistiger Zustand: Er ist psychisch
krank. Dies wird anhand einer Vielzahl von Textbelegen im Briefroman deutlich. Seine
Geisteskrankheit wirkt sich auf das Handeln des Protagonisten aus und verstärkt sein Leiden
an der aufgeklärten Gesellschaft.
Die Verabsolutierung seiner Subjektivität, die sich in einer zunehmenden Betonung der
Sinnlichkeit äußert und durch die Geisteskrankheit Werthers verstärkt wird, führt zu
Minderwertigkeitsgefühlen, Hoffnungslosigkeit, Depression, Verzweiflung, Todessehnsucht
und schließlich Suizid.
Werther stellt ein leidendes Subjekt der Aufklärung dar, dessen Individualität außerhalb des
sozialen Gefüges und psychische Krankheit repräsentativ für die Auswirkungen der
Bändigungszwänge der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts stehen. Sein Drang nach
individueller Freiheit wird zurückgewiesen und führt letztendlich zu Selbstzerstörung. Sein
28
Scheitern verdeutlicht die Grenzen des Sturm und Drang: Außerhalb der Gesellschaft
Stehende werden abgelehnt und als krank bezeichnet; abweichendes Verhalten wird nicht
geduldet.
5.4
Didaktische Reflexion
In den anschließenden Ausarbeitungen möchte ich meine Blockstunde ‚Literatur des Sturm
und Drang‘ unter didaktischen Aspekten analysieren und vorstellen.
5. 4. 1 Begründung der Themenauswahl
Im Zentrum der Blockstunde steht die literarische Strömung des ‚Strum und Drang‘ mit dem
Textbeispiel Die Leiden des jungen Werther.
Wie bereits ausführlich unter 4. 1 (Einordnung der Stoffeinheit in den Lehrplan) und 5. 2
(Unterrichtszusammenhang) dargestellt, handelt es sich in dieser Blockstunde um die vierte
von neun Unterrichtseinheiten zum Thema Literaturgeschichte. Aufgrund der Vorgaben des
Lehrplans (vgl. SÄCHSISCHER LEHRPLAN GYMNASIUM DEUTSCH 2004/2009, S. 49) empfiehlt
es sich, die vorgesehenen 25 Unterrichtsstunden des ‚Lernbereichs 1‘ in Doppelstunden für
die einzelnen zu behandelnden Literaturepochen (Mittelalter, Barock, Aufklärung, Sturm und
Drang, Weimarer Klassik, Romantik, Realismus des 19. Jahrhunderts, Literatur der
Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert und Expressionismus) chronologisch
anzulegen. Dadurch sollen die Schüler einen Gesamtüberblick über die Entwicklung von
Geistes- und Sozialgeschichte bekommen, der ihnen ein tiefgründigeres Verstehen über die
Literatur als Spiegel der Gesellschaft ihrer Zeit ermöglicht.
Das Thema ‚Literatur des Sturm und Drang‘ kann zudem damit begründet werden, dass es auf
das Vorwissen der Vorstunden über die Aufklärung aufbaut, da deren Gesellschaft und
Literatur entscheidend zur Entstehung und Entwicklung der „Goethe-Sekte“ beitrug – und
diese überhaupt erst möglich machte.
Als Beispieltext muss im Kontext der Sozial- und Literaturgeschichte zweifellos ein
charakteristischer Text der Strömung dienen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht
29
befinden sich die Schülerinnen und Schüler des Kurses in der Phase der späten Adoleszenz, in
der die Entwicklung der eigenen Identität durch die Auseinandersetzung mit bedeutsamen
Wertvorstellungen unserer Gesellschaft erreicht wird (vgl. OERTER/MONTADA 2002, S. 270
f.). GOETHES Briefroman Die Leiden des jungen Werther erweist sich als effektives Medium,
um den Schülern die Gelegenheit zu geben, die Wertvorstellungen der Aufklärung und die
Radikalisierungen des Sturm und Drang im Vergleich mit der heutigen Gesellschaft, in der sie
selbst leben und aufgewachsen sind, zu reflektieren und eigene Schlüsse zu ziehen. Weiterhin
stellen das zentrale Thema des Werkes – die Liebe – sowie Werthers Forderungen nach
ungebändigter Sexualität und einer Partnerschaft frei von gesellschaftlichen Zwängen ein
Problem bzw. einen Gegenstand dar, der in der Gegenwart an Relevanz nicht verloren hat und
mit dem sich die Lernenden in ihrem eigenen Entdecken von Liebe und Sexualität sowie ihren
persönlichen Erfahrungen in diesem Bereich identifizieren können. Diese Grundlagen sollten
ein Interesse der Schülerinnen und Schüler am Text bewirken. Weiterhin stellt der Sturm und
Drang die erste literarische Jugendbewegung dar, was zusätzliches Identifizieren, Reflektieren
und Interesse unter Berücksichtigung der Gründe für die Entstehung der Strömung fördert.
5. 4. 3 Didaktische Reduktion
Im Sinne einer didaktischen Reduktion muss eine Auswahl von Aspekten getroffen werden,
die in dem begrenzten Rahmen dieser Unterrichtseinheit im Gesamtkontext der
Literaturgeschichte übermittelt werden sollen.
Zu Beginn soll die Bewegung des Sturm und Drang hinsichtlich ihrer Entstehung während der
Aufklärung kurz umrissen werden und die wichtigsten Fakten über die Strömung, ihre
zeitliche Abgrenzung, ihren heutigen Titel und die zeitgenössische Bezeichnungen sowie den
Geniebegriff der „Originaldichter“ behandelt werden. In diesem Zusammenhang müssen auch
Grundzüge der sozialen Umbrüche in Bezug auf das Menschenbild in der Aufklärung
wiederholt werden, allerdings nicht in zu tiefgründiger Art und Weise, um den Fokus auf der
Entwicklung des Sturm und Drang und seiner Literatur zu halten. Anschließend sollen
deutliche Merkmale der Literatur des Sturm und Drang für eine klare Abgrenzung von der
Literatur der Aufklärung sorgen. Dabei müssen Charakteristika ausgewählt werden, die zum
einen die Fortführung bestimmter Elemente der Aufklärung in radikalisierter Form aufzeigen
und sich auf diese Weise von der Aufklärung abgrenzen, und zum anderen literarische
Besonderheiten in Betracht gezogen werden, die sich grundsätzlich von den literarischen
30
Konventionen der Aufklärung unterscheiden. Diese Merkmale lassen sich unter den
Überschriften „Emotionalität“, „Individualität“ und „Sprengen der literarischen Regeln“
zusammenfassen. Ein derartig gegliedertes Tafelbild oder eine Folie sind dafür förderlich.
Danach werden einige Autoren der Epoche genannt (JOHANN WOLFGANG GOETHE, FRIEDRICH
SCHILLER, JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ und FRIEDRICH MAXIMILIAN KLINGER), um in
Anschluss daran einen dieser Autoren, den jungen GOETHE, etwas näher zu beleuchten.
GOETHE soll kurz mit einigen Fakten aus seiner Jugendzeit im Zusammenhang mit seinem
Jugendroman Die Leiden des jungen Werther und vor allem der „Goethesekte“ charakterisiert
werden. Nach einer Gesamtzusammenfassung des Werther im Kontext des Sturm und Drang
soll der Briefroman als Beispieltext in Form einer Auswahl an Briefen behandelt werden, um
die Merkmale der Literatur des Sturm und Drang explizit zu veranschaulichen. Dabei bietet
sich ein Briefvergleich mit einem der ersten und einem der letzten Briefe Werthers an, denn
so können seine Empfindungen in der Natur und seine psychische Verfassung in Bezug auf
seine Krankheitsgeschichte, die Sprache der Leidenschaft sowie seine Emanzipation der
Leidenschaften untersucht werden. Dazu eignen sich besonders gut der Brief vom 10. Mai im
Vergleich mit einem Auszug der Briefe vom 12. und 20. Dezember des Folgejahres.
5. 4. 4 Lernziele
Die Schülerinnen und Schüler sollen die Strömung des Sturm und Drangs im Kontext der
Aufklärung kennen und verstehen.
Im Einzelnen sollen sie in der Lage sein, sowohl die Bewegung als auch ihre Literatur von der
zeitgleich verlaufenden literarischen Epoche der Aufklärung abzugrenzen sowie Kenntnis
davon haben, inwiefern der Sturm und Drang sich gegen die Aufklärung wendet. Sie sollen
die sozialgeschichtlichen Veränderungen in Grundzügen benennen können, die zur
Entstehung des Sturm und Drang geführt haben. Weiterhin sollen die Lernenden die
Entstehung und Entwicklung von Individualität in der Zeit kennen und ihre Bedeutung für die
Literatur der Strömung. Schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler die Merkmale der
Literatur des Sturm und Drang sowie drei typische Autoren benennen können.
31
5. 5
Methodische Reflexion und Verlaufsplanung
Zu Beginn der Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘ soll eine Zusammenfassung des
letzten Stundenthemas (‚Literatur der Aufklärung‘) erfolgen. Das ist notwendig, da die
Auffrischung dieses Wissens dazu beiträgt, die Strömung des Sturm und Drang besser zu
verstehen. Als Motivation für die erste Hälfte der Blockstunde soll daher das Interesse der
Schüler mit Hilfe der ‚Folie 1‘ geweckt werden, die einen Penisring im Kontext der
Sexualforschung aus der Zeit der Aufklärung darstellt und das Thema ‚Sexuelle Befreiung im
18. Jahrhundert‘, das ausführlich in der Vorstunde erarbeitet wurde, in Erinnerung zurückruft.
Ausgehend von diesem Gesichtspunkt sollen in einem gelenkten Unterrichtsgespräch anhand
der ‚Folie 2‘, die einen Gesamtüberblick über die Aufklärung und ihre Literatur beinhaltet,
auch die weiteren Aspekte der „Befreiung“ durch die Aufklärung wiederholt werden: geistige,
emotionale und künstlerische Befreiung. Das gelenkte Unterrichtsgespräch wird fortgeführt,
indem an die künstlerische Befreiung angeknüpft und die Merkmale der Literatur der
Aufklärung aufgefrischt werden soll. Diese Wiederholung mündet in den Vergleich der
Hausaufgabe. Die Lernenden hatten die Aufgabe, die Fabel Der Wolf und das Schaf von
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING im Lehrbuch (vgl. METTENLEITER, PETER et al. 2003, S. 162) zu
lesen und zu beweisen, dass sie zur Literatur der Aufklärung gehört. Diese erste Phase des
Unterrichts wird etwa 15 Minuten in Anspruch nehmen.
Im Anschluss an die Wiederholung der Aufklärung wird mit dem Fixieren des Stundenthemas
an der Tafel der Fokus zum Ziel der Unterrichtsstunde orientiert: die Strömung des Sturm und
Drang als erste literarische Jugendbewegung. Als erstes soll nun der Titel Sturm und Drang in
das Zentrum des Interesses rücken und anhand der bekannten Bedeutungsübertragung auf
Pubertäts- und Rebellionsverhalten gegen die Eltern diskutiert werden, sodass die Schüler
verstehen, dass genau das im Sturm und Drang geschah – eine Auflehnung gegen die
Vaterinstanz der Aufklärung.
Nach diesem kurzen Umlenken der Aufmerksamkeit zum Stundenthema hin werden nun in
Form eines Lehrervortrags die wichtigsten Fakten über die Bewegung des Sturm und Drang
und seiner Literatur mit Rückbezug zur Aufklärung dargeboten. Die Schülerinnen und
Schüler werden gebeten, dass sie selbstständig mitschreiben, was durch die ‚Folie 3‘, die eine
Gliederung des Lehrervortrags beinhaltet und als Orientierungsmuster dient, erleichtert
werden soll. Die ‚Folie 4‘, die ein Bild des jungen Werther zeigt, wird ebenfalls während des
Vortrags verwendet. Die Lernenden können dabei jederzeit unterbrechen und Fragen stellen,
wenn sie etwas nicht verstanden haben. Der Lehrervortrag erweist sich im Rahmen der
32
Knappheit der Zeit für diese umfangreiche, komplexe und relativ komplizierte literarische
Epoche als effektiv. Der Vortrag nimmt etwa 15 Minuten in Anspruch.
Im Anschluss an den Lehrervortrag sollen die letzten zehn Minuten der ersten Hälfte der
Blockstunde zur Beseitigung von Unklarheiten und für eine gemeinsame Wiederholung der
Inhalte genutzt werden.
Der zweite Teil der Blockstunde beginnt nach einer zehnminütigen Pause. Diese Stunde wird
sich mit der Anwendung der erarbeiteten Inhalte über den Sturm und Drang beschäftigen.
Dabei soll GOETHES Die Leiden des jungen Werther als Beispieltext dienen.
Als Einstieg bzw. Motivation wird den Schülern das Lied Alles aus Liebe von den TOTEN
HOSEN vorgespielt, in dem sich jemand aus Liebe und Eifersucht das Leben nimmt. Dieses
Lied soll die Schülerinnen und Schüler auf den Werther einstimmen. Da die meisten der
Lernenden das Werk bereits kennen, soll eine gemeinsame inhaltliche Erarbeitung des
Briefromans
in
Form
eines
gelenkten
Unterrichtsgespräches
erfolgen.
Diese
Erarbeitungsphase soll etwa zehn Minuten dauern und ein Grundlage für die Schülerinnen
und Schüler schaffen, um am Text arbeiten zu können.
Anschließend bekommen die Lernenden ein Arbeitsblatt mit Textstellen bzw. Briefen
Werthers vom Beginn und vom Ende des Briefromans. Sie sollen die Texte lesen und alles,
was sie in der Stunde über den Sturm und Drang gelernt haben, in einer inhaltlichen und
formalen Analyse zur Anwendung bringen. Dafür haben die Schülerinnen und Schüler 15
Minuten Zeit.
Den Abschluss der Blockstunde stellt ein gelenktes Unterrichtsgespräch dar, in dem die
Ergebnisse der Lerngruppe präsentiert und verglichen werden. Diese Phase ist gleichzeitig
Ergebnissicherung und Gesamtzusammenfassung über den Sturm und Drang und erstreckt
sich über zehn Minuten.
Abschließend wird die Blockstunde mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen des
Lehrers und der Aufforderung, alles noch einmal zur nächsten Stunde durchzulesen, beendet.
Detailliertere Informationen über die Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘ können
dem Verlaufsplan und den Materialien in 5. 6 entnommen werden.
33
5. 6
Literaturverzeichnis und Anlage der Unterrichtsmaterialien
Als Literatur und Arbeitsmaterialien für die Blockstunde benutzte ich ausschließlich die
folgenden Quellen und Ausarbeitungen.
5. 6. 1 Literaturverzeichnis
Primärliteratur
GOETHE, JOHANN WOLFGANG: Die Leiden des jungen Werther, In: Hamburger Lesehefte, Bd.
115, Husum/Nordsee 2000.
Sekundärliteratur
BERTRAM, GEORG W.: Philosophie des Sturm und Drang. Eine Konstitution der Moderne,
München 2000.
BLESSIN, STEFAN: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur. JOHANN
WOLFGANG GOETHE: Die Leiden des jungen Werther, Frankfurt a. M. 1992.
GOETHE, JOHANN WOLFGANG: Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von
Sachsen, Weimar 1887 – 1919 [= Weimarer Ausgabe], I. Abt., Bd. 28, München 1987.
GRÄF, HANS GERHARDT: Nachträge zu GOETHES Gesprächen, 1: JOHANN KASPAR LAVATER.
In: Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft 6, 1919.
HEIN, EDGAR: Johann Wolfgang Goethe. Die Leiden des Jungen Werther: Interpretationen
von E. H., München 1991.
HERMES, EBERHARD: Abiturwissen. Deutsche Literatur. Epochen, Werke, Autoren,
Stuttgart/Düsseldorf/Leipzig 1998.
34
JÄGER, GEORG: Die Leiden des alten und neuen Werther. Kommentare, Abbildungen,
Materialien zu GOETHES Leiden des jungen Werthers und PLENZDORFS Neuen Leiden des
jungen W., Wien / München 1984.
JANNIDIS, FOTIS: Das Individuum und sein Jahrhundert, Tübingen 1996.
KOŠENINA, ALEXANDER: Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen,
Berlin 2008.
LUHMANN, NIKLAS: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M. 1983.
LUHMANN,
NIKLAS:
Individuum,
Individualität,
Individualismus.
In:
N.
L.:
Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, S. 149-158, Frankfurt a. M. 1993.
LUSERKE, MATTHIAS: Sturm und Drang, Stuttgart 1997.
METTENLEITER, PETER & KNÖBL, STEPHAN (Hrsg.): Blickfeld Deutsch. Oberstufe. Erarbeitet
von WOLFGANG ALEKER, WERNER FRANK, WALTER FREI, EMIL GÖGGEL, STEPHAN KNÖBL,
KIRSTEN KREBSBACH, PETER METTENLEITER und JOSEPH SCHNELL, Paderborn 2003.
OERTER, ROLF & MONTADA, LEO: Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch, 5. Aufl.,
Weinheim 2002.
PLATNER, ERNST: „Anthropologie für Aerzte und Weltweise, Leipzig 1772, Nachdruck hg. v.
ALEXANDER KOŠENINA, Hildesheim u. a. 1998.
RECTOR, MARTIN: Anschauendes Denken. Zur Form von Lenz´ Anmerkungen übers Theater.
In: Lenz - Jahrbuch. Sturm und Drang Studien, Bd. 1, hrsg. v. MATTHIAS LUSERKE und
CHRISTOPH WEIß, St. Ingbert 1991.
SCHMID, JOCHEN: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur,
Philosophie und Politik 1750 – 1945, Bd. 1, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
1988.
35
SEEHAFER, KLAUS: Mein Leben, ein einzig Abenteuer - Johann Wolfgang Goethe. Biografie,
Berlin 2004.
WILLEMS, MARIANNE: Das Problem der Individualität als Herausforderung an die Semantik
im Sturm und Drang, Tübingen 1995.
5. 6. 2 Anlage
Stunde 1:
Zeit
Didakt.
Fkt.
09:25
Lehrerverhalten /
Unterrichtsverlauf
Schüleraktivität /
Sozialformen
Medien
Begrüßung
Motivation
09:26 Wiederholung
Um an das Thema der letzten Stunde an- Schüler hören zu.
zuknüpfen, habe ich euch ein Bild mitgebracht, das die sexuelle „Befreiung“
der Aufklärung veranschaulicht. Im Zuge
der wissenschaftlichen Untersuchungen
von Gefühlen und Sexualtrieb versuchte
man auch, Selbstbefriedigung zu unterbinden, die als gesundheitsschädlich galt.
Das versuchte man beispielsweise mit
einem solchen Penisring zu erreichen. 
Am Beginn der heutigen Stunde wollen
wir die wichtigsten Dinge der Aufklärung
aus der letzten Stunde wiederholen, weil
wir sie für das Verständnis der
Literaturströmung brauchen, die wir
heute behandeln wollen: Wir lernen heute
den Sturm und Drang kennen.
Folie 1
Wiederholung Aufklärung
Inwiefern war die Aufklärung
geistige, emotionale, sexuelle
künstlerische Befreiung?
eine GUG (wenn sich nieund mand meldet, werden
verschiedene Schüler
drangenommen)
Geistige Befreiung:




Rolle d. Kirche im Mittelalter (Heil vs.
Verdammnis) = Blick auf das Jenseits
Reformation → Kirche n. mehr über
allem → Zerfall der mittelalterlichen
Ständeordnung
Entstehung von Individualität
Blick auf das Diesseits: in Aufklärung
wissenschaftliche Erklärung der Welt
→ Empfindsamkeit und Rationalismus
als neues moralisches Orientierungs-
36
Folie 2
gerüst
Emotionale Befreiung:



der gesamte Mensch in der Wissenschaft
untersucht (Körper und Seele) → auch
Gefühle wissenschaftl. untersucht und
stimuliert → Biologisierung der Gefühle
Gefühle
als
Erkenntnismedium
(Aufwertung der Sinnlichkeit)
ABER: Gefühle bändigen, da Gefahr für
die Gesellschaftsordnung der Aufklärung,
wenn sie außer Kontrolle geraten →
Forderung nach rationaler Lebensweise!
Sexuelle Befreiung:



Sexualität als höchstes menschliches
Gefühl
Sexualtrieb wissenschaftlich erforscht
Anfänge der freien Partnerwahl
Künstlerische Befreiung:

Lessing richtet sich gegen Gottscheds
Poetik und die Muster von Antike und
Frankreich → England als neues Ideal
Was sind Merkmale der Literatur der
GUG
Aufklärung?
- wenig Lyrik
- didaktische Literatur
- Drama („Nathan der Weise“, „Emilia Galotti“)
- lehrhafte Kleinformen (Fabel, Beispielerzählung,
Lehrgedicht, Aphorismen)
-Theoretische Schriften zu den Gedanken der
Aufklärung
09:36 HA
Vergleich Hausaufgabe
Wir wollen
vergleichen.
nun
die
Lehrbuch
(Blickfeld
Deutsch
Oberstufe,
S. 162)
Hausaufgabe
Wer kann mir sagen, was die Hausauf- Einen Schüler drangabe zu heute war?
nehmen, der sich nicht
meldet.
(Fabel im Lehrbuch S.162 durchlesen und (Wenn er es nicht weiß,
nach Merkmalen der Literatur der muss er es zur nächsten
Aufklärung suchen)
Stunde schriftlich
nachreichen.)
Fabel: Der Wolf und das Schaf (Lessing)
X, bitte lies uns die Fabel vor!
Ein Schüler liest vor.
Was ist an diesem Werk typisch für die GUG
Literatur der Aufklärung?
-Fabel → lehrhafte Kleinform (Moral!)
-Autor (Gotthold Ephraim Lessing)
-Vernunftsgedanke im Werk
09:41 ZO
Wie ich vorhin schon erwähnt hatte, wollen wir heute den Sturm und Drang kennen lernen - die erste literarische Jugendbewegung.
37
TB:
„Sturm und
Drang –
die erste
Sicher kennt ihr die Redenwendung: „Er GUG
ist gerade in seiner Sturm-und -DrangPhase“. Was meint man damit?
(Rebellion gegen Eltern, Pubertät etc.)
09:44 TZO 1
literarische
Jugendbewegung
(1765/671785)“
Genau das passierte im Sturm und Drang, Schüler hören zu.
nur auf einer anderen Ebene. Die Stürmer
und Dränger rebellierten gegen die Vaterinstanz der Aufklärung mit ihren Ideen.
Ihre Rebellion äußerten sie in Form von
dichterischer Tätigkeit.
Fakten über die Bewegung: Titel, GenieBegriff, Ideologie, Merkmale der Literatur
Ich möchte euch nun in den nächsten Minuten in Form eines Lehrervortrags die
wichtigsten Fakten über Die Strömung
des Sturm und Drangs erläutern. Ich
möchte euch bitten, gut mitzuschreiben.
Als Grundgerüst und für eure Orientierung lege ich eine Folie auf, nach der ich
meinen Vortrag gegliedert habe, sodass
ihr besser folgen könnt. Ihr werdet einige
bekannte Dinge aus der Aufklärung erkennen, die im Sturm und Drang wieder
eine Rolle gespielt haben. Das alles ist
nicht so leicht zu verstehen, aber durch
die Sachen, die wir in der letzten Stunde
über die Aufklärung erarbeitet haben und
die wir am Anfang der Stunde wiederholt
haben, sollte der Sturm und Drang mit
seinen Ideen doch ziemlich verständlich
sein. Falls ihr eine Frage habt, könnt ihr
mich natürlich jederzeit unterbrechen.
09:45
10:00 TZF 1
10:09
Lehrervortrag (Siehe Anlage)
LV (Schüler schreiben
mit.)
Hab ihr Fragen zu irgendwelchen Dingen GUG
über den Sturm und Drang, die ihr nicht
verstanden habt? Oder gibt es Lücken in
euren Mitschriften, wo ihr nochmal nachhaken wolltet?
(Fragen beantworten. Falls es keine gibt,
gemeinsame Wiederholung.)
In der zweiten Hälfte der Blockstunde Schüler hören zu.
werden wir dann mit einem Beispieltext
arbeiten. Aber jetzt habt ihr natürlich
erstmal Pause. 
Pause
38
Folie 3
Folie 4
Stunde 2:
Zeit
10:20
Didakt.
Fkt.
Motivation
10:26 TZO 2
Lehrerverhalten /
Schüleraktivität /
Medien
Unterrichtsverlauf
Sozialformen
Hört euch bitte dieses Lied an, sodass ihr Schüler hören das Lied CD (4:25)
danach den Inhalt in einem Satz an (Die Toten Hosen:
zusammenfassen könnt.
Alles aus Liebe)
X, kannst du den Inhalt des Liedes für uns Ein Schüler antwortet.
in einem Satz zusammenfassen? (Jemand
bringt sich aus Liebe und Eifersucht um.)
Inhalt Werther
In dieser Sunde wollen wir uns einem der
berühmtesten Texte des Sturm und Drang
beschäftigen, der ein sehr ähnliches
Thema zum Inhalt hat: Goethes „Die
Leiden des jungen Werther“.
Ich habe von Herrn Kittler gehört, dass GUG
einige von euch den „Werther“ schon
letztes Schuljahr für ein Projekt gelesen
haben. Wer erinnert sich, worum es geht,
wer Werther ist und was mit ihm über den
Verlauf des Romans geschieht?
(Schüler fassen zusammen. Lehrer hilft,
wenn es stockt.)
Erinnert ihr euch auch, was der
„Werther“ für eine literarische Gattung
ist? (Briefroman)
10:34 TZF 2
10:35 TZO 3
An wen schreibt er die Briefe? (An seinen
Freund Wilhelm.)
Werther – wie man auch dem Titel Schüler hören zu.
entnehmen kann – leidet, weil er seine
Gefühle
für
Lotte
immer
mehr
verabsolutiert und irgendwann keinen
vernünftigen Gedanken mehr fassen kann
und will. Das bringt ihn um den Verstand,
was sich schließlich auch in einer Art
Geisteskrankheit äußert. Am Ende nimmt
er sich das Leben.
Wir wollen während der nächsten
Minuten in Stillarbeit nun am Text
arbeiten. Ich habe euch dazu einen
Auszug aus dem Beginn des Romans und
einen vom Ende des Romans – kurz vor
dem Selbstmord Werthers – auf ein
Arbeitsblatt kopiert. Ihr sollt nun das, was
wir in der ersten Hälfte der Blockstunde
über den Sturm und Drang erarbeitet
haben, anwenden. Ihr sollt den Text
formal und inhaltlich untersuchen und
39
Folie 4
auch auf die Forderungen und Ideen der
Stürmer und Dränger eingehen und
schauen, ob ihr einiges davon am Beispiel
Werthers wiederfindet.
Habt ihr noch Fragen?
10:38 Anwendung
10:53 TZF 3 /
GZF
Ihr habt nun 15 Minuten Zeit dafür.
Stillarbeitsphase
Stillarbeit
Ergebnissicherung
AB
Wir wollen eure Ergebnisse jetzt GUG
vergleichen und alles zusammentragen.
Ergänzt bitte selbstständig, was ihr noch
nicht habt.









11:04
GZF
AB
Briefroman: Gefühle, Individualität
Naturbeschreibung: Entdeckung der
Individualität als sinnliches Erlebnis
(Spiegel der Seele → Tal schön, wenn er
glücklich ist und es hässlich und beängstigend, wenn er traurig ist)
Sprache
der
Leidenschaft
(viele
Wiederholungen,
Ellipsen
und
Gedankenstriche etc.)
Thema Liebe
Werther radikal individuell: Forderung
nach Emanzipation der Leidenschaften →
außerhalb der Gesellschaft → weg von
Stadt → Einzelgänger → nur LOTTE
Protagonist scheitert: kein Platz für ihn in
aufgeklärter Gesellschaft → Freitod
Aufwertung der Sinnlichkeit wird zu
Emanzipation der Leidenschaften: Lotte
als einziger Lebensinhalt Werthers, den
er nicht aufgeben will → „Historiam
morbi“ (Krankheit zum Tode)
Alle sagen ihm, er solle vernünftig
handeln (Wilhelm, Albert, sogar Lotte →
immer vernünftig sein führt zu Krankheit
Totalität des Lebens dargestellt: Thema
Selbstmord aus Liebe
Wir haben heute also die Strömung des Schüler hören zu.
Sturm und Drang kennengelernt und sie
im Zusammenhang mit der Aufklärung
untersucht. Wir haben auch die Merkmale
über die Bewegung und ihre Literatur an
einem Text nachgewiesen. Lest euch alles
bis zur nächsten Stunde nochmal durch,
sodass wir am Anfang der nächste Stunde
noch Unklarheiten beseitigen und Fragen
beantworten können. Vergesst nicht, dass
eure Klausur immer näher rückt. 
Verabschiedung
40
Folie 1:
Quelle: KOŠENINA, ALEXANDER: Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des
Menschen, Berlin 2008, S. 46.
41
Folie 2:
Literatur der Aufklärung (1720-1785)
Hintergründe:
Das 18. Jahrhundert ist eine „grundlegende geistige, emotionale, sexuelle, künstlerische
Befreiung“. (A. Košenina)
 Geistige Befreiung: - Gesellschaftsordnung (Ständesystem)
- Rolle der Kirche
- Heil vs. Verdammnis
- Reformation
- Jenseits → Diesseits
- Individualität
→ Gefühl, Emotionalismus, Empfindsamkeit vs. Verstand, Rationalismus, Wissenschaft
 Emotionale Befreiung:- Körper und Seele
- Moralkonzept
- Biologisierung des Gefühls
- Gefühle im Fokus der Wissenschaft
- Gefühle als individuelle Erkenntniskräfte
- Aufwertung der Sinnlichkeit
 Sexuelle Befreiung: - Anfänge der freien Partnerwahl
- Wissenschaftliche Untersuchungen zum Sexualtrieb
 Künstlerische Befreiung:
→
Gotthold Ephraim Lessing: „Briefe, die neueste
Literatur betreffend“ (17. Brief) → Bürgerliches
Trauerspiel
Autoren: Johann Christoph Gottsched (1700-1766)
Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)
Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)
Christoph Martin Wieland (1733-1813)
Gattungen:
- wenig Lyrik
- didaktische Literatur
- Drama („Nathan der Weise“, „Emilia Galotti“)
- lehrhafte Kleinformen (Fabel, Beispielerzählung,
Lehrgedicht, Aphorismen)
- Theoretische Schriften zu den Gedanken der Aufklärung
42
Fabel:
Gotthold Ephraim Lessing
Der Wolf und das Schaf
Der Durst trieb ein Schaf an den Fluss; eine gleiche Ursache führte auf der anderen Seite
einen Wolf herzu. Durch die Trennung des Wassers gesichert und durch die Sicherheit
höhnisch gemacht, rief das Schaf dem Räuber hinüber: „Ich mache dir doch das Wasser nicht
trübe, Herr Wolf? Sieh mich recht an; habe ich dir nicht etwa vor sechs Wochen
nachgeschimpft? Wenigstens wird es mein Vater gewesen sein.“ Der Wolf verstand die
Spötterei; er betrachtete die Breite des Flusses und knirschte mit den Zähnen. „Es ist dein
Glück“, antwortete er, „dass wir Wölfe gewohnt sind, mit euch Schafen Geduld zu haben“;
und ging mit stolzen Schritten weiter.
(1759)
43
Folie 3:
44
Folie 4:
Quelle: http://www.fg-deutschkurse.de/deu/seiten/literatur/werther/werther.jpg
Lehrervortrag:
Wie ich schon gesagt habe, gilt der Sturm und Drang als die erste literarische
Jugendbewegung in der deutschen Geschichte. Wenn ihr euch die Jahreszahlen seiner
Entstehung und Dauer anschaut, werdet ihr bemerken, dass die Strömung während der
Aufklärung entstanden ist. Die Rebellion, die wir eben schon angeschnitten habe und die
damit zusammen hängt, dass die Bewegung während der Aufklärung entstanden ist, werde
ich später genauer beleuchten, wenn ich über die Merkmale der Literatur des Sturm und
Drang spreche. Jetzt möchte ich erst einige Dinge über die Bewegung selbst sagen.
Zur Literatur, die der Sturm und Drang hervor gebracht hat, zählen nur etwa 24 Texte (vgl.
LUSERKE 1997, S. 15). Einer dieser Texte, ein Drama von Friedrich Maximilian Klinger, trug
den Titel Sturm und Drang. Danach benannte man schließlich die Strömung bzw. die Epoche.
Vorher gab es andere zeitgenössische Bezeichnungen der Bewegung, z. B. Junge Dichter,
Goethesekte, Originaldichter oder Genies.
Der Begriff „Genie“ wurde von den Stürmern und Drängern allerdings etwas anders
gebraucht als wir ihn heute im Sinne von Intelligenz benutzen. In der Ideologie des Sturm und
45
Drang meinte man damit gottesgleiche Schöpfungskraft, die einem Menschen innewohnt.
Dieser Gedanke entstand bereits in der Philosophie der Aufklärung. Die Stürmer und Dränger
bezogen diese Idee auf ihre Dichtkunst. Bestimmt erinnert ihr euch an das, was wir über das
Dichten im Barock gesagt haben. Wir hatten darüber gesprochen, dass es Dichtschulen gab
und man diese Kunst erlernen konnte. Sicher erinnert ihr euch auch noch an die Poetik von
MARTIN OPITZ (Buch von der Deutschen Poeterey). Das war sozusagen ein Lehrbuch des
Dichtens. In der Aufklärung wandten sich die Dichter dann an andere europäische Vorbilder.
Wir haben, als wir über die Aufklärung als „künstlerische Befreiung“ gesprochen haben,
gelernt, dass sich GOTTSCHED beispielsweise den Normen- und Regelpoetiken des Barock
widersetzte und für eine Verbreitung der aufklärerischen Ideen in der deutschen Dichtung
eintrat. Er lehnte sich an die Ideale der Antike und das Muster Frankreichs an. LESSING
dagegen richtet seine Poetik nach dem englischen Vorbild aus und benutzt SHAKESPEARE als
Muster für seine Dramen. Die Stürmer und Dränger hingegen waren der Meinung, dass es
keine Regel- und Musterpoetiken geben darf. Sie sagten, dass Kunst – bzw. das Dichten im
Speziellen – nicht lehr- und lernbar sei. Für sie konnte nur ein Genie dichten, also jemand, der
seine gottesgleiche Schöpfungskraft in sich erkennt und anwendet – und dabei habe er nicht
einmal besondere Bildung nötig. Als Ideal galt also nicht der Dichter, der hochgebildet war
und in jeder Gattung schreiben konnte bzw. der seine moralischen Lehren zum Ausdruck
brachte (poeta doctus). Gepriesen wurde vielmehr das Genie, das sich seine Regeln und
Gesetze selbst schafft. Im Genie äußerte sich nach der Vorstellung des Sturm und Drang die
schöpferische Kraft der Natur. Die Natur wurde zum Inbegriff des Ursprünglichen,
Elementaren, Göttlichen und war nicht mehr das vernünftig Geordnete wie in der Aufklärung.
Beispielsweise schrieb ein Zeitgenosse GOETHES – JOHANN CHRISTIAN KESTNER - über
GOETHE: „Er besitzt, was man Genie nennt[.] […] [E]r tut, was ihm einfällt, ohne sich darum
zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt.“ (Vgl.
SEEHAFER 2004, S. 105) Als wahrer Mensch wurde der "Kraftkerl", der Selbsthelfer
angesehen, bei dem Denken und Handeln eine Einheit bilden, der Herr über seine geistigen,
seelischen und körperlichen Kräfte ist, der sich selbst treu bleibt und sich nicht scheut, gegen
eine ganze Welt anzutreten - selbst um den Preis des Untergangs.
Neben der Dichtkunst der Stürmer und Dränger bzw. der Originaldichter zeichnete sie also
auch eine gewisse Art von Rebellion und Regellosigkeit aus. Ihr Hauptkennzeichen nannten
diese jungen Männer auch „Originalität“. Sie kleideten sich „englisch“. Auch sie hatten sich
nämlich Shakespeare in gewisser Weise zum Vorbild genommen, aber nur, weil
SHAKESPEARE sich nicht an die literarischen Konventionen der Renaissance hielt, sondern
46
neue Wege ging. „Englisch kleiden“ hieß für die Stürmer und Dränger blauer Frack, Weste,
gelbe Hose und Stulpenstiefel (Siehe Folie 4). Der Grund dafür war, dass die Titelfigur aus
GOETHES Die Leiden des jungen Werther so gekleidet war und sich in dieser Kleidung das
Leben nahm. In Europa entstand dadurch übrigens auch das sogenannte „Wertherfieber“.
Viele junge Männer, die sich den Stürmern und Drängern und ihren Ideen verbunden fühlten,
kleideten sich wie Werther – dieser Jugendroman GOETHES, den er in seiner Sturm-undDrang-Phase geschrieben hat, wurde sehr schnell zum Welterfolg und war europaweit
bekannt – und begingen mit dem aufgeschlagenen Roman auf dem Tisch, ähnlich wie
Werther es im Buch tut, Selbstmord. Aber wir werden später noch etwas ausführlicher über
den Roman sprechen. Die Stürmer und Dränger kleideten sich jedenfalls im Werther-Kostüm
und verschmähten die zeitgenössische Mode. Das „genialische“ Verhalten der Originalgenies
äußerte sich auch in einem ständigen Gefühlsüberschwang, in brüderlichen Umarmungen,
Freundschaftsfeiern und Verdammungsritualen gegen die Literatur der Aufklärung, vor allem
gegen die Aufklärungsschriften WIELANDS (vgl. HEIN 1991, S. 34). Der Grund, warum die
Jungen Dichter sich das Leben nahmen und diese Gefühlsüberschwänge und brüderlichen
Umarmungen und all das praktizierten, war eine Auflehnung gegen die Ideale der Aufklärung.
Die Stürmer und Dränger verachteten die Aufklärungsgedanken in Bezug auf ihren Kern: die
Vernunft. Eine ständig rationale Lebensweise, die die Aufklärung ja forderte, weil sie Angst
hatte, dass Gefühle, wenn sie erstmal außer Kontrolle geraten und in Form von Affekten die
Gesellschaftsordnung bedrohen könnten, dass man stets gemäß seinem Verstand und seiner
Vernunft über die Konsequenzen nachdenken soll und sich zu keiner emotionalen Reaktion
hinreißen lassen soll. All das war ja in der Wissenschaft der Aufklärung untersucht worden;
wir hatten ja letzte Stunde in der Gruppenarbeit auch erarbeitet, dass man beispielsweise
Verbrecher körperlich und seelisch untersucht hat, um herauszufinden, warum sie gemordet
haben. Die Schlussfolgerung war der Verlust der Selbstkontrolle im Affekt. Die Stürmer und
Dränger hielten jedoch eine ständig rationale Lebensweise für falsch. Sie waren der Meinung,
dass das den Menschen geisteskrank macht. All das zeigt sich in den Inhalten ihrer Literatur.
Wenn man die Werke der Originaldichter anschaut, fällt auf, dass sie verschiedene
Elemente und Gedanken der Aufklärung in ihrer Literatur verarbeiten und radikalisieren, um
sie so gegen die Aufklärung zu richten, um ihr zu zeigen, dass sie zum Scheitern verurteilt ist,
andere Bestandteile ihrer Ideologie ist von Grund auf gegen die Aufklärung gerichtet.
In der Literatur des Sturm und Drang spielt die Emotionalität eine große Rolle, weil sie das
Gegenstück zum Rationalismus der Aufklärung ist. Die Stürmer und Dränger greifen die
„Aufwertung der Sinnlichkeit“ aus der Aufklärung auf und radikalisieren sie in ihren Werken
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zur sogenannten „Emanzipation der Leidenschaften“. Das bedeutet also, dass sie fordern, dass
die Gefühle einen Sellenwert bekommen, der dem Verstand ebenbürtig ist. Diese
Radikalisierung geht in vielen Werken des Sturm und Drang sogar so weit, dass der Verstand
der Protagonisten aussetzt und noch nach dem Gefühl gehandelt wird. Dazu gehören aber
auch die Triebe und Affekte eines Menschen. Die Themen der Literatur der Jungen Dichter
haben somit fast immer mit Gefühlen, Trieben oder Affekten zu tun, zum Beispiel
Freundschaft,
Liebe,
Sexualität, Standesunterschiede, Kindsmord,
Brudermord und
Autonomie (vgl. LUSERKE 1997, S. 14).
Ein weiteres Element der Aufklärung, das radikalisiert wird, ist die Individualität, die – wie
wir ja letzte Stunde besprochen haben mit dem veränderten Ständesystem seit der
Reformation entstand und sich während der Aufklärung entwickelte. Die Stürmer und
Dränger beschreiben in ihrer Literatur die Individualität als ein sinnliches Erlebnis, durch das
man sich selbst kennenlernen und finden kann – ähnlich wie man es auch in der Aufklärung
erkannte. Die Radikalisierung der Originaldichter besteht nun darin, dass sie die
Individualität zu einer Forderung nach absoluter Autonomie übersteigern. Diese Autonomie
führt dann oft dazu, dass die Protagonisten außerhalb der Gesellschaft stehen, weil ihre
Individualität keinen Platz in ihr findet. Symbolisch stellen die Stürmer und Dränger diese
Individualität oft durch Geisteskrankheit dar – als ein Symbol dafür, dass die Unterdrückung
des Gefühls durch die Vernunftszwänge der Aufklärung zu Geisteskrankheit führt. Das
Scheitern der Protagonisten am Ende besiegelt das ganze.
Die Rebellion der Stürmer und Dränger gegen die Ideen der Aufklärung zeigen sie auch in
der Form ihrer Literatur. Sie Sprengen die literarischen Regeln der Aufklärung. Immanuel
Kants „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ bedeutet für sie etwas,
das wiederum mit dem Geniegedanken zusammen hängt, nämlich „Kunstautonomie“. Sie
möchten keine Regeln für ihre Literatur – genau wie sie keine Vorschriften zu ständig
vernünftigem Handeln wollen. „Kunstautonomie“ heißt, dass die Literatur frei von
gesellschaftlichen Zwecken sein und die Totalität des Lebens darstellen soll. Die
Lehrhaftigkeit, die die Literatur der Aufklärung ausmacht, wird also vollkommen
weggelassen und auch die hässlichen Dinge des Lebens beschrieben. Wegen der
Emanzipation der Leidenschaften feiern sie sogar Brudermord, Vatermord und Selbstmord als
Triumph gegen die Aufklärung – daher auch die Selbstmordwelle durch Europa. Die Totalität
des Lebens wird auch dadurch ausgedrückt, dass Kraftausdrücke und Vulgär- und sogar
Fäkalsprache in ihrer Literatur zu finden sind. Dies trifft vor allem für die Dramen des Sturm
und Drang zu. Besonders charakteristisch für die Form in der Literatur ist aber vor allem die
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Sprache der Leidenschaft, die das Gefühl allem voran in den Mittelpunkt setzt. Besonders
auffällig ist das in der verbreiteten Erlebnislyrik der Strömung und im einem der bekanntesten
Werke des Sturm und Drang, nämlich GOETHES Briefroman Die Leiden jungen Werther.
Drei wichtige Vertreter, die ihr euch merken sollt sind JOHANN WOLFGANG GOETHE,
FRIEDRICH SCHILLER und JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ.
Ich möchte euch ein kurzes Zitat von JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ vorlesen, in dem der
Autor über drei der Kernthemen, nämlich Emotionalität und Individualität und Autonomie
spricht:
„Jemehr ich in mir selbst forsche und über mich nachdenke, desto mehr finde ich Gründe zu
zweifeln, ob ich auch wirklich ein selbstständiges von niemand abhangendes Wesen sei, wie
ich doch den brennenden Wunsch in mir fühle. […] Das erste aller menschlichen Gefühle ist
unabhängig zu sein.“ (Vgl. LUSERKE 1997, S. 13)
49
Lied:
Text:
Die Toten Hosen: Alles aus Liebe
Ich würde dir gern sagen,
wie sehr ich dich mag,
warum ich nur noch an dich denken kann.
Ich fühl mich wie verhext und in Gefangenschaft
und du allein trägst Schuld daran.
Worte sind dafür zu schwach,
ich befürchte, du glaubst mir nicht.
Mir kommt es vor, als ob mich jemand warnt,
dieses Märchen wird nicht gut ausgehen.
Es ist die Eifersucht, die mich auffrisst,
immer dann, wenn du nicht in meiner Nähe bist.
Von Dr. Jekyll werde ich zu Mr. Hyde,
ich kann nichts dagegen tun,
plötzlich ist es so weit.
Ich bin kurz davor durchzudrehn,
aus Angst, dich zu verliern.
Und dass uns jetzt kein Unglück geschieht,
dafür kann ich nicht garantiern.
Und alles nur, weil ich dich liebe,
und ich nicht weiß, wie ich's beweisen soll.
Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist,
und bringe mich für dich um.
Sobald deine Laune etwas schlechter ist,
bild ich mir gleich ein, dass du mich nicht mehr willst.
Ich sterbe beim Gedanken daran,
dass ich dich nicht für immer halten kann.
Auf einmal brennt ein Feuer in mir
und der Rest der Welt wird schwarz.
Ich spür wie unsere Zeit verrinnt,
wir nähern uns dem letzten Akt.
Und alles nur, weil ich dich liebe,
und ich nicht weiß, wie ich's beweisen soll.
Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist,
und bringe mich für dich um.
Ich bin kurz davor durchzudrehn,
aus Angst, dich zu verliern.
Und dass uns jetzt kein Unglück geschieht,
dafür kann ich nicht garantiern.
Und alles nur, weil ich dich liebe,
und ich nicht weiß, wie ich's beweisen soll.
Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist
und bringe mich für dich um.
Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist,
und bringe uns beide um.
50
CD:
51
Arbeitsblatt:
Quelle: GOETHE, JOHANN WOLFGANG: Die Leiden des jungen Werther, In: Hamburger
Lesehefte, Bd. 115, Husum/Nordsee 2000.
52
5. 7
Reflexion der Blockstunde ‚Literatur des Sturm und Drang‘
Die Schülerinnen und Schüler hatten sich erstaunlich viel über die literarische Epoche der
Aufklärung und die sozialgeschichtlichen Umbrüche aus der Vorstunde gemerkt, was meine
Befürchtungen, dass die Wiederholung mehr Zeit als geplant in Anspruch nehmen könne,
schnell beseitigte.
Der Stundeneinstieg verlief sehr gut und ich konnte – wie auch während der gesamten
Blockstunde – meinem Verlaufsplan problemlos folgen. Auch die Zeiteinteilung hatte ich
effektiv geplant. Zwei Phasen – der Lehrervortrag und die Stillarbeit – hatten sich in meinen
Vorbereitungen als mögliche Problemstellen herausgestellt, da ich nicht wusste, inwiefern die
Schüler dem komplexen Stoff folgen könnten oder mich wohlmöglich zu oft mit Fragen
unterbrechen bzw. mehr Zeit für die Stillarbeit mit dem Arbeitsblatt benötigen würden, sodass
ich nicht mehr in der Lage gewesen wäre, meinem Planungskonzept zu folgen. Auch hier
stellten sich der Umfang des Lehrervortrags und der Zeitrahmen der Stillarbeit als adäquat
gewählt heraus.
Die Mitarbeit war – wie fast immer in diesem Kurs – gut und die Schülerinnen und Schüler
schienen sehr interessiert am Thema. Besonders stach eine Diskussion der Schüler
untereinander im Kontext des bereits in der Vorstunde erarbeiteten Begriffspaars
‚Rationalismus vs. Emotionalismus‘ und die Ansichten der Stürmer und Dränger dazu hervor,
die die Schüler mit eigenen Erfahrungen aus ihrem Leben beseelten. Dies ermöglichte ein
noch tiefgründigeres Verständnis in Bezug auf die allumfassende Philosophie über das
Menschenbild der Zeit.
Auch das Lied Alles aus Liebe, mit dem ich den zweiten Teil der Blockstunde einleitete,
sowie die Figur und das Handeln des Werther lösten einen regen Meinungsaustausch unter
den Lernenden aus. Diesen musste ich allerdings ab einem bestimmten Punkt abbrechen, da er
zu abschweifend wurde.
Die Gesamtzusammenfassung in Form der Ergebnissicherung nach der Stillarbeitsphase, in
der die Schülerinnen und Schüler ihr Wissen über den Sturm und Drang anwenden mussten,
zeugte von ihrem Verstehen sowie ihrem Lerngewinn in Bezug auf die Strömung und die
Literatur des Sturm und Drang.
Schon bei der Behandlung der Literatur der Aufklärung – und zum wiederholten Male beim
Sturm und Drang – musste ich feststellen, dass meine Ängste, dass die sozialgeschichtlichen
Veränderungen und das gesamte Philosophiekonzept der Zeit zu kompliziert für die
53
Lernenden seien, unbegründet waren. Ich werde in Zukunft den Schülerinnen und Schülern
im Leistungskurs mehr zutrauen, denn gerade diese Aspekte führten dazu, dass sich die
Lerngruppe sehr für die Literatur des 18. Jahrhunderts interessierte.
6
Gesamteinschätzung und Abschlussreflexion
Mein Blockpraktikum im Fach Deutsch am Martin-Luther-Gymnasium Hartha war sehr
vielseitig und fordernd. Den Einladungen meines Schulleiters und meines Mentors folgend
brachte ich mich neben den Hospitations- und Lehrtätigkeiten als obligatorische Bestandteile
selbstständig in verschiedene Bereiche des Schullebens ein, die mir einen breitgefächerten
Eindruck über den Alltag eines Lehrers ermöglichten.
Die unter Punkt 3 (‚Kurzüberblick meines Blockpraktikums‘) ausgeführten Aspekte meines
Praktikums
gaben
mir
insgesamt
einen
sehr
realistischen
Eindruck
aller
Verantwortungsbereiche. So lernte ich durch meine Besuche im Fachzirkel Deutsch und die
damit verbundenen Aufgaben mehr darüber, dass man als Lehrer nicht ganz allein steht,
sondern dass das Netzwerk der Kolleginnen und Kollegen innerhalb des Faches zur
persönlichen Erleichterung der Arbeit beitragen kann, wenn man sich gegenseitig mit
Materialen und Ratschlägen unterstützt. Dabei verfällt man weniger in einen „Trott“ und kann
von den Ideen seiner Mitstreiter im Fachzirkel profitieren.
Weiterhin
lernte
ich
durch
meine
DaZ-Förderstunden
für
den
amerikanischen
Austauschschüler Samuel, dass ein Lehrer im Zeitalter der Globalisierung mehr leisten
können muss als nur sein Fach und die zugehörige Didaktik zu beherrschen. Meine
Ausbildung in Bezug auf Deutsch als Zweitsprache, die ich vergangenes Semester
abschließen
konnte,
hatte
mir
zwar
gezeigt,
dass
dies
zu
den
modernen
Verantwortungsbereichen eines jeden Lehrers gehört, aber trotzdem schien mir all das bis
dahin relativ fern und kaum relevant für eine ländliche Schule. Es war schön, zu erleben, wie
Samuel die Dinge, die er gehört und gelernt hatte, durch meinen Förderunterricht (besser)
verstehen konnte.
Meine Englischkenntnisse waren mir zudem in einem anderen Bereich von Vorteil, nämlich
in einem bilingualen Team-Teaching-Projekt, zu dem ich eingeladen wurde, um darin
mitzuwirken. Dabei standen SHAKESPEARE und seine Zeit im Mittelpunkt und der Unterricht
wurde wechselseitig durch deutsche und englische Aktivitäten und Sequenzen gestaltet. Ich
hatte solch eine Unterrichtsweise in der Vergangenheit nie erlebt und war begeistert über die
54
Dynamik, die dieses Vorgehen im Unterricht erzeugte. Auch die Schülerinnen und Schüler
nahmen diese Art des Lehrens sehr positiv auf, was sich in ihrer Mitarbeit widerspiegelte.
Auch das bereits erwähnte Literaturcamp, das ich vor Beginn meines Praktikums als Betreuer
begleitete, gab mir ein tieferes Verständnis darüber, was es heißt, ein Lehrer zu sein.
Besonders trifft dies für den Bereich der Verantwortung zu. Ich dachte während des Camps
gelegentlich darüber nach, was alles passieren könnte, was die Schülerinnen und Schüler alles
anstellen könnten und was zu tun sei, wenn es zu einer solchen Situation käme. All diese
Punkte sind relevant für Klassenfahrten, Schulausflüge und ähnliche Veranstaltungen, die in
Zukunft auf mich zu kommen werden. Glücklicherweise war die Klasse, die ich begleitete,
sehr friedlich und freundlich, sodass es zu keiner Zeit Probleme gab.
Auch das Einrichten der ‚Blackboards‘ in der Schule – und damit einhergehend das
Kennenlernen der Schulsoftware, mit der alles organisiert und die Klassen-, Zimmer- und
Vertretungspläne verwaltet werden – zeigte mir mehr über die vielen verteilten Aufgaben, die
im Hintergrund des primären Unterrichtens ablaufen.
Interessant war auch der Ablauf der Fortbildung, die ich gemeinsam mit meinem Mentor
besuchte. Am meisten dachte ich dabei allerdings – als ich so in die Runde blickte – über
etwas nach, was die Teilnehmer dieser Veranstaltungen betraf. Es gibt wohl zwei Gruppen
von Lehrerinnen und Lehrern: Die erste nimmt derartige Veranstaltungen wahr und engagiert
sich – wie auch sonst im Schulleben – für derartige Projekte. Die zweite Gruppe von Lehrern
besucht solche Veranstaltungen nicht und hält auch sonst sehr wenig davon, an Aktivitäten
(z.B. den Tanzabschlussball ihrer eigenen Klasse, zu dem sie persönlich eingeladen wurden)
der Schule teilzunehmen. Mir fiel in diesem Zusammenhang besonders während der Zeit, die
ich im Lehrerzimmer verbrachte, auf, dass es eine handvoll Pädagogen gibt, die ihren Beruf
nicht zu mögen scheinen und alles, was auch nur im Geringsten mit zusätzlichem Engagement
zu tun hat, verachten. Ich denke, dass es in Ordnung ist, wenn Menschen den Weg des
geringsten Widerstands gehen wollen, weil sie in ihrer Bequemlichkeit Freude finden. Was
ich allerdings nicht mag, ist, wenn sie öffentlich im Lehrerzimmer auf bösartige oder
belustigende Weise über ihre Schülerinnen und Schüler reden und anderen ein Bild bzw. ein
Vorurteil über die betreffenden Kinder und Jugendlichen in den Kopf setzen, das als eine
subjektive Meinung eigentlich nicht auf das sonstige Verhalten des Schülers im Umgang mit
anderen Fächern, Klassenkameraden oder Lehrern verallgemeinert werden kann.
Abgesehen davon war das Klima am Martin-Luther-Gymnasium Hartha sehr, sehr positiv und
herzlich. Ich wurde von den Kolleginnen und Kollegen sehr freundlich empfangen. Mein
Schulleiter und mein Mentor waren äußerst hilfsbereit und aufgeschlossen neuen Ideen
55
gegenüber. Sie überließen mir meine Unterrichtsstunden in eigenverantwortlicher Planung.
Mein Mentor, Herr Kittler, unterstützte mich in jeder denkbaren Weise, wenn ich um
Ratschläge bat. Das Feedback, das er mir gab, war hilfreich und aufbauend. Er sorgte dafür,
dass ich mit guten Erfahrungen aus meinem Praktikum gehen konnte.
In meinen Hospitationen bekam ich viele neue Ideen in Bezug auf Unterrichtsaktivitäten,
Methoden und Sozialformen. Ich war glücklich, zu hören, dass auch ich meinen gestandenen
Kolleginnen
und
Kollegen
besonders
hinsichtlich
von
Handlungs-
und
produktionsorientiertem Unterricht noch etwas beibringen konnte. Hin und wieder wurde ich
in Bezug auf Grammatikprobleme auch gefragt, ob die Vermutung der Kolleginnen auch
„richtig“ seien, wenn sie sich über bestimmte Phänomene unsicher waren.
Insgesamt akzeptierte man mich mehr als einen Kollegen als einen Praktikanten in der
Lehrerschaft und übertrug mir auch Verantwortungen wie Hofaufsichten ober die
Einarbeitung in die Blackboard-Software. Auch das Unterrichten traute man mir bedenkenlos
zu und fragte teilweise auch nach meiner Unterstützung, z. B. im bilingualen Team-TeachingProjekt oder im künstlerischen Profil. Auch mündliche Leistungskontrollen und eine Klausur
wurden mir zugetraut, was mich erst wunderte, dann aber freute, weil ich dadurch viel in
Bezug auf die Gütekriterien der Leistungsbewertung lernen und verstehen konnte.
In meiner Lehrtätigkeit wurde ich mit jeder Stunde sicherer und schneller. Anfangs fühlte ich
mich absolut überfordert. Jede Unterrichtseinheit plante ich mit tiefgründigster Sachanalyse
und minutengenauem Verlaufsplan. Stundenlange Vorbereitungen für eine einzige
Blockstunde bedeuteten wenig Schlaf und viel Stress. Als ich später jedoch nach einigen
Hinweisen meines Mentors, die er in seinem Berufseinstieg schon von seinem Mentor
bekommen hatte, meine Zeiteinteilung etwas lockerer ließ, von einem allzu detaillierten
Verlaufsplan absah und besser mit Gruppenarbeiten und Stillarbeitsphasen umgehen konnte,
verliefen meine Stunden auch routinierter und angenehmer. Plötzlich bereitete mir die Arbeit
viel mehr Freude. Ich war entspannter und ausgeruhter und fühlte mich wohler in meiner
Rolle.
Insgesamt war mein Praktikum eine äußerst lehrreiche, fordernde und facettenreiche Zeit, in
der ich auch viel Spaß mit den Kollegen und Schülern hatte. Ich ging mit einem großen
Erfahrungsschatz zurück an die Universität, der mich jetzt vieles mit anderen Augen sehen
lässt. Ich fühle mich nun bei weitem besser vorbereitet für das anstehende Referendariat,
denn: „Was man erfindet, tut man mit Liebe, was man gelernt hat, mit Sicherheit.“
JOHANN WOLFGANG GOETHE
56
Anhang
 Praktikumsnachweis
 Übersicht der Hospitationen
 Übersicht der Unterrichtsversuche
57
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