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Die Texte sind Auszüge aus dem Katalog: „Das Josephinum“ 650 Jahre
Medizingeschichte, herausgegeben von Barbara Sternthal, Christiane Druml,
Moritz Stipsicz
Joseph II.
Mehr als ein Drittel seiner Regentschaft verbrachte der als Reformer und Erneuerer bekannte Kaiser Joseph II.
auf Reisen. Um unliebsamen Empfängen und Zeremonien zu entgehen, reiste der Kaiser inkognito als Graf
Falkenstein. Joseph II. wollte sich einen Einblick in sein Reich verschaffen, und er wollte lernen. Er besuchte
Manufakturen, Krankenhäuser, Wohlfahrts- und Militäreinrichtungen, ließ sich von der eben aufkommenden
klassizistischen Architektur beeindrucken und zeigte sich besonders angetan von der Pariser Académie de
Chirurgie.
Ganz Europa blickte auf den Kaiser, der sich – in eklatanten Gegensatz zum Prunk des Versailler Hofs seiner
Schwester Marie Antoinette und seines Schwagers Louis XVI. – schlicht modern und umgänglich zeigte. Die
letzte große Reise unternahm er 1787 nach Russland, wo er auf der Krim mit Zarin Katharina II. zusammentraf.
Der junge König schleppte sich in den ungeheuren Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen, wie in einer Verkleidung,
einher, so daß er selbst (...) sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Johann Wolfgang Goethe (über die Krönung Joseph
II.) aus Dichtung und Wahrheit.
Die Gründung des Josephinum
Der Kaiser gedachte die gesundheitspolitische Reform nicht nur grundlegend, sondern auch in der ihm eigenen
Rasanz durchzuziehen. Die Ideen des Kaisers mögen gut gewesen sein, stießen an der medizinischen Fakultät
jedoch auf vehementen Widerstand. Man hielt des Kaisers Reformvorschläge für schlicht undurchführbar. Da
sich keine Einigung ergab, entschloss sich der Kaiser, intensiv beraten vom Leiter des Militärsanitätswesen
Giovanni Brambilla zur radikalen Lösung: 1784 gründete er mit der k.k medizinisch – chirurgische JosephsAcademie seine eigene Institution, das Josephinum.
Giovanni Alessandro Brambilla
Der spätere Direktor des Josephinum studierte an der medizinischen Fakultät in Padua. Er interessierte sich vor
allem für Chirurgie. Als Militärchirurg im Siebenjährigen Krieg bewährte er sich so ausgezeichnet, dass er der
Leibchirurg Joseph II. wurde. Er begleitete den Kaiser auf all seinen Reisen, erhielt die Möglichkeit sich mit den
führenden Chirurgen Europas auszutauschen und war ein wesentlicher Mitbereiter der medizinischen Reformen
Josephs II. Das allgemeine Krankenhaus in Wien war damals das größte und modernste Spital Europas.
1796 reiste der Kaiser in Begleitung von Brambilla durch Italien und machte in Bologna halt. Sie besichtigten die
bedeutende medizinische Fakultät, die über so innovative Lernbehelfe verfügte wie anatomische Wachsmodelle.
Anna Morandi
Zu verdanken hatte die Universität in Bologna diesen Schatz dem Erzbischof, der später zum Papst ernannte
Prospero Lambertini. Er galt als Impulsgeber, ein aufgeklärter Intellektueller, der sowohl die Anatomie, als auch
die Leichensektion als unverzichtbare Notwendigkeit einer medizinischen Ausbildung hielt. Er gab den Auftrag
ein Wachsmodell-Museum auf der Universität einzurichten.
Beauftragt wurde damit Ercole Lelli, der eine Gruppe talentierter Mitarbeiter um sich scharte: Prosektoren,
Präparatoren und den Wachsplastiker Giovanni Mazolini, dessen Kunstfertigkeit nur noch von seiner Frau Anna
Morandi übertroffen wurde. Sie nahm vieles vorweg, was die später die Modelle des Josephinums auszeichnete:
eine perfekte Farbgebung, detailliert ausgearbeitete Muskeln, Nerven Adern und vergrößerte Darstellungen von
bestimmten Organen wie Ohr, oder Auge. Zudem verfasste sie die dazugehörigen Beschreibungen. Sie war
hochgebildet und eine große Künstlerin. Sie hielt anatomische Vorlesungen, und war weit über die Grenzen des
damaligen Europa bekannt: Ihr Atelier, in dem sich ihre wertvolle Bibliothek und ein Teil der Sammlung
befanden, galt als Sehenswürdigkeit, die aus aller Welt besucht wurde. Als Joseph II und sein Leibchirurg
Brambilla Morandis Atelier besuchten waren sie ebenso begeistert, wie internationale Abgesandte von Katharina
II., oder einer amerikanischen Universität.
Die Anatomie, oder die Zergliederungskunst
Die Obduktion von Leichnamen um Erkenntnisse über den menschlichen Körper und seine Funktionen zu
gewinnen ist eine relativ junge Wissenschaft. Von der Antike bis in das Hochmittelalter galt der Leichnam als
etwas Unantastbares, Schutzbedürftiges, und der Tod als etwas Mystisches, in dessen Abläufe der Mensch nicht
einzugreifen hatte. Die Kirche hatte bis dahin ein Obduktionsverbot ausgesprochen.
Erst mit der Renaissance, als das Jenseits etwas ins Abseits rückte und der Mensch, seine Existenz und sein
Körper mehr ins Zentrum, wurde auch die Anatomie zur anerkannten Wissenschaft. Ein Stiefkind der Medizin
blieben Anatomie und Chirurgie bis weit ins 18. Jahrhundert hinein.
Künstler als Anatomen
Die erste anatomisch korrekte Zeichnung eines Kindes im Mutterleich stammte von einem Künstler – Leonardo
da Vinci. Er selbst sezierte Leichen um den menschlichen Körper zu ergründen, und um seine Kunstwerke
perfekt dazustellen zu können. Seine Entdeckungen, unter anderem die Gefäßverkalkungen bei alten Menschen,
hielt er in zahlreichen Zeichnungen mit erklärenden Texten fest. Doch Leonardo war nicht der Einzige, der sich
auf diese Weise mit dem menschlichen Körper auseinandersetzte. Michelangelos Skulpturen wären ohne exakte
anatomische Kenntnisse unmöglich gewesen, und wie er haben auch Raffael, Tizian, und Dürer Leichen seziert.
Rembrandt schließlich machte das Sezieren selbst zum Thema eines seiner Kunstwerke: „Die Anatomie des Dr.
Tulp“ (1632).
Das Museum „la specola“
1765 wurde der jüngere Bruder von Joseph II., Peter Leopold zum Großherzog der Toskana, die er aus dem
Palazzo Pitti in Florenz regierte. Als aufgeklärter Fürst gab er die Errichtung eines physikalischen Kabinetts in
Auftrag. 1775 wurde das Museum „Imperial Regio Museo di Fisica e Storia Naturale“ im Palazzo Torrigiani
eröffnet. Es war das weltweit erste seiner Art und öffnete seine Tore erstmals für den Adel, als auch für das Volk
(wenn auch zu säuberlich getrennten Öffnungszeiten). Was das Museum auszeichnete, war seine enorme Anzahl
an anatomischen Wachsmodellen, die in der „officina die ceroplastica“ hergestellt worden waren. Unter den
Mitarbeitern befanden sich wiederum Anatomen, Wachsplastiker, Zeichner und Prosektoren, die gemeinsam für
die lebensechte Darstellung der Modelle sorgten.
Als das Museum um eine Sternwarte erweitert wurde – auf italienisch „la specola“ gab sie dem Museum, das
heute über dreieihalb Millionen Exponate verfügt seinen Namen.
Der Auftrag für Wien
Fünf Jahre nach der Eröffnung des Museums sahen Joseph II. und sein Chirurg Brambilla die Modelle und waren
nicht nur von ihrer Schönheit beeindruckt sondern auch von ihrer offensichtlichen Zweckmäßigkeit für den
anatomischen Unterricht.
Der Kaiser und Brambilla hatten die Modelle die sie damals in Bologna bei Anna Morandi gesehen hatten nie
vergessen. Nun bot sich die Möglichkeit diese einzigartige Hybride aus Kunstwerk und naturwissenschaftlichem
Anschauungs- und Lehrmaterial nach Wien zu bringen.
Rund 1.200 anatomische und geburtsbehilfliche Modelle bestellten der Kaiser und Brambilla bei Felice Fontana,
dem Direktor des Museums. Ein eigens für den Auftrag aus Wien zusammengestelltes Team (mit 16
Handwerkern) arbeitete sechs Jahre an dem enormen Auftrag.
Herstellung der anatomischen Wachsmodelle
Die Wachsmodelle herzustellen war ein aufwendiger Prozess. Am Beginn jedes Modells stand das exakte Abbild
der Körperregion oder eines Organs das nach Leichenteilen gebildet wurde. Um ein Ganzkörpermodell zu
schaffen, benötigte man bis zu 200 Leichen, da es damals kaum Konservierungsmöglichkeiten gab. Einzelne
Organe und Körperteile wurden aus Ton modelliert. Von dieser Grundlage wurde eine Gipsschablone angefertigt,
die als Negativform für das spätere auszuführende Wachsmodell diente. War die Gipsschablone getrocknet,
wurde sie durch Anatomen und Künstler sorgfältig korrigiert, bevor die Positivform aus Wachs hergestellt wurde.
Jeder Wachsmodelleur hatte seine eigene Technik, die sich im Laufe der Zeit immer mehr verfeinerte. Als bestes
Material galt das weiße Wachs wilder ukrainischer Bienen, das besonders kälte-und hitzebeständig war.
Transport nach Wien
Ehre sei Gott in der Höhe. Die Präparat sind glücklich angekommen... (Giovanni Brambilla an Joseph II, 27. August,
1786)
1784 konnte man die ersten Teile der kostbaren Fracht in die kaiserliche Haupt-Residenzstadt schicken. Ein
abenteuerliches Unternehmen. Die Modelle, teilweise in Einzelteile zerlegt und reisesicher verpackt wurden mit
einem Konvoi aus Menschen und Maultieren von Florenz über Bologna und Verona über den Brennerpass bis
nach Linz getragen. Von hier aus ging es mit dem Schiff donauabwärts nach Wien.
Es waren 1.192 Wachsmodelle, darunter 16 Ganzkörpermodelle, die nun in eigenen Kabinetten im Josephinum
platziert wurden. Gefasst wurden diese anatomischen Preziosen in adäquate kostbare Rahmen: Vitrinen aus
mundgeblasenem Glas mit furnierten Rosenholzverblendungen, Auflagebretter aus Palisanderholz und Kissen aus
Atlasseide, mit silber- und golddurchwirkten Fransen.
Darüber an der Wand hingen kolorierte Zeichnungen zu den Modellen, in Schubladen unter den Vitrinen lagen
entsprechende Erklärungsblätter in drei Sprachen: Latein mit Ergänzungen in italienisch, wobei letztere in
Deutsch übersetzt wurden.
Ohne Zweifel sind die anatomischen Wachsmodelle aus dem 18. Jahrhundert im Josephinum in dieser Perfektion
und in ihrem kulturhistorischen Wert nur noch in Bologna der Florenz zu sehen.
Die Wiener Sammlung ist die international größte ihrer Art.
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