Kerngebiet - Selbständiges Arbeiten und Lernen im

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Matura
Material zu den Kerngebieten
in
Religion katholisch
Prof. Mag. Hannes Daxbacher
Goethe-Gymnasium
BG/BRG XIV
Astgasse 3
1140 Wien
I
Inhalt:
1 Exodus und Altes Testament .............................................................................................................................1
1.1
Übersicht über das Alte (Erste) Testament) ...................................................................................................1
1.2
Der Exodus unter Moses ................................................................................................................................3
2 Jesus Christus als Zentralfigur christlichen Lebens .......................................................................................8
2.1
Leben Jesu .....................................................................................................................................................8
2.2
Die religiösen Gruppen zur Zeit Jesu .............................................................................................................8
2.3
Die Botschaft Jesu (Gleichnisse, Reden) .......................................................................................................9
3 Die 4 Evangelisten .............................................................................................................................................11
3.1
Die synoptischen Evangelien .......................................................................................................................11
3.2
Das Johannesevangelium ............................................................................................................................12
4 Das erste Kapitel der Genesis, die Naturwissenschaft und die Gottesfrage ..............................................13
4.1
Schöpfung und Evolution .............................................................................................................................13
4.2
Schöpfungsgeschichte im naturwissenschaftlichen Weltbild .......................................................................15
4.3
Schöpfung: Gott gibt von seinem Leben weiter ...........................................................................................15
5 Wiedergeburt und Auferstehung, Himmel und Hölle, Esoterik ....................................................................17
5.1
Reinkarnationslehre in Ost und West...........................................................................................................17
5.2
Esoterik.........................................................................................................................................................19
5.3
Der ganze Mensch kommt ins Jenseits - die christliche Sicht .....................................................................19
6 Wunder und Heilung .........................................................................................................................................22
6.1
Von Heilern und Geheilten ............................................................................ Error! Bookmark not defined.
6.2
Die Wunder Jesu ..........................................................................................................................................22
6.3
Heilung in der Pfingstbewegung, Pfingstkirchen ..........................................................................................23
7 Widerstand und Mitläufer im NS-System, Schwester Restituta, Jägerstätter, Kardinal Innitzer ..............24
7.1
Kirche zur Zeit des NS- Regimes .................................................................................................................24
7.2
Widerstand ...................................................................................................................................................25
8 Päpste und 2. Vatikanische Konzil ..................................................................................................................27
8.1
Pius XII, Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul I., Johannes Paul II. ....................................................27
8.2
Das 2.Vatikanische Konzil (Vaticanum II) ....................................................................................................31
Chronik ................................................................................................................................................................32
Dokumente ..........................................................................................................................................................32
Gründe für die Einberufung des 2.Vaticanums ...................................................................................................32
9 Katholische Priester, Diakone, Bischöfe, Papsttum, Kirchenbilder ............................................................33
9.1
Worterklärung von Kirche: ............................................................................................................................33
9.2
Konfessionskundliches Sprachenwirrwarr ...................................................................................................33
9.3
Der hierarchische Aufbau der Kirche ...........................................................................................................33
9.4
Die 3 Aufgaben der Kirche und die Kirchenbilder ........................................................................................35
10 Die 7 Sakramente: .............................................................................................................................................35
10.1
Sakramente – Zeichen des Heils ..............................................................................................................35
10.2
Befreienden Sakramente, ihre Symbole und Wirkung .............................................................................37
11 Kirchengeschichte: Die ersten Christen, Christenverfolgung, Mönche und Orden. .................................38
11.1
Christentum bis 313 ..................................................................................................................................38
11.2
Mönchsbewegung, die Orden - Ein historischer Längsschnitt .................................................................41
11.3
Orden – Antwort auf spezielle Nöte der Zeit, ...........................................................................................42
12 Schuld, Sünde, Gewissen, Ethik, Moral, Befreiung von Schuld ...................................................................44
12.1
Gewissen- Normen und Regeln ...............................................................................................................44
12.2
Die dunklen Dimensionen des Lebens: Schuld, Tod, Schmerz ...............................................................44
12.3
Buße und Sündenvergebung ....................................................................................................................45
13 Nächstenliebe, Caritas, Vinzenz von Paul, christliche Praxis, Caritas – von der Grundhaltung zur
Institution...................................................................................................................................................................46
13.1
Wortbedeutung und Ursprünge ................................................................................................................46
13.2
Geschichtliche Entwicklung von der Grundhaltung zur Institution ...........................................................46
14 Kapitalismus, Theologie der Befreiung, Katholische Soziallehre, Laborismus, Personalität, Solidarität,
Subsidiarität ..............................................................................................................................................................48
14.1
Grundzüge der katholischen Sozialllehre .................................................................................................48
14.2
Die Prinzipien der katholischen Soziallehre .............................................................................................50
15 Sexualität und Ehe ............................................................................................................................................53
15.1
20 Thesen zur Sexualität ..........................................................................................................................53
15.2
Ehe als Sakrament ...................................................................................................................................54
15.3
Das kanonische Eherecht .........................................................................................................................54
16 Gewaltlosigkeit, Zivildienst, Krieg, Aggression, Friede ................................................................................56
16.1
Friede, Gewaltfreiheit, Zivildienst, Gerechter Krieg ..................................................................................56
16.2
Gewaltlosigkeit, Gewaltfreiheit und gewaltfreie Aktion .............................................................................57
17 Gentechnik, Leihmütter, Klone, Patentierung ................................................................................................58
II
17.1
Gentechnik ................................................................................................................................................58
17.2
Landwirtschaft ohne Landwirte: ................................................................................................................59
17.3
Menschen im Gentest ...............................................................................................................................59
17.4
Extrakorporale Befruchtung ......................................................................................................................60
18 Euthanasie, Selbstmord, Werte .......................................................................................................................62
18.1
Was heißt Sterbebeistand, was Eutahnasie? ...........................................................................................62
18.2
Sterbehilfe .................................................................................................................................................62
19 Selbsttötung und Selbstmord ..........................................................................................................................64
20 Abtreibung..........................................................................................................................................................67
21 Todesstrafe ........................................................................................................................................................69
21.1
Warum die Todesstrafe überall abgeschafft werden muss ......................................................................69
21.2
Geschichte und Grundsätze zur Todesstrafe ...........................................................................................69
22 Judentum und Christentum..............................................................................................................................72
22.1
Judentum - Übersicht................................................................................................................................72
22.2
Glaube und Leben, Gottesvorstellung ......................................................................................................72
22.3
Leben nach dem Gesetz: .........................................................................................................................73
22.4
Kult, Feste und Feiern: .............................................................................................................................73
22.5
Judentum und Christentum ......................................................................................................................74
23 Islam und Christentum ......................................................................................................................................74
23.1
Islam- Übersicht ........................................................................................................................................74
23.2
Glaube und Leben, Gottesvorstellungen ..................................................................................................75
23.3
Die Pflichten des Islam: ............................................................................................................................76
23.4
Kult, Feste und Feiern: .............................................................................................................................76
23.5
Islam und Christentum ..............................................................................................................................76
24 Hinduismus und Christentum ..........................................................................................................................77
24.1
Hinduismus im Überblick ..........................................................................................................................77
24.2
Glaube und Leben ....................................................................................................................................77
24.3
Das Leben im Hinduismus: .......................................................................................................................79
24.4
Kult, Feste und Feiern: .............................................................................................................................79
24.5
Hinduismus und Christentum ...................................................................................................................79
25 Buddhismus .......................................................................................................................................................80
25.1
Der Buddhismus im Überblick ..................................................................................................................80
25.2
Glaube und Leben ....................................................................................................................................80
25.3
Leben im Buddhismus: .............................................................................................................................80
25.4
Kult, Feste und Feiern: .............................................................................................................................81
25.5
Buddhismus und Christentum ..................................................................................................................81
26 Religion als Phänomen, Religionskritik ..........................................................................................................81
26.1
Religion - Illusion? Zur Auseinandersetzung mit der Religionskritik ........................................................81
26.2
Phänomen Religion: Auseinandersetzung mit dem Absoluten ................................................................83
III
1 Exodus und Altes Testament
1.1 Übersicht über das Alte (Erste) Testament)
1. Das Alte (Erste) Testament: Sammlung von Heiligen Schriften für Juden und Christen
Das Alte Testament ist eine Sammlung von heiligen Schriften der Juden. Es war die Bibel des Juden Jesus, der sie
zitierte, interpretierte und aus ihr vorlas. Auch die ersten Christen betrachteten die Ereignisse rund um Jesus auf
dem Hintergrund der Erfahrungen des Alten Testaments und als konsequente Fortsetzung der Offenbarung Gottes.
So ist es verständlich, dass die Christen das Alte Testament auch als ersten Teil in ihre Sammlung von heiligen
Schriften, in ihre "Bibel" = Schrift, aufgenommen haben, denn nur vom Alten (Ersten) Testament her zeigt sich die
Bedeutung Jesu und des Neuen Testaments.
2. Der Zeit - Raum des Alten Testaments
Die Bücher des AT sind untrennbar mit der Geschichte des Volkes Israel im 1. Jahrtausend v. Chr. im „fruchtbaren
Halbmond“ zwischen den Hochkulturen in Ägypten und dem mesopotamischen Zweistromland verbunden.
Weite Teile der alttestamentarischen. Schriften beschäftigen sich mit der Geschichte Israels, rekonstruieren,
kommentieren und reflektieren sie. Zeitlich lassen sie sich in 5 Abschnitte einteilen:
2.1 Vorstaatliche Frühgeschichte Israels
In dieser Zeit (1800-1000 v. Chr.) lebten die Erzeltern als Nomaden am Rande des palästinischen Kulturlandes
(Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob, Rahel und Lea). Zumindest eine Gruppe solcher Nomaden ist im
13. Jh. v. Chr. ins Nildelta gezogen und später vor den Repressionen der Ägypter wieder geflohen: Josef, Sklaven
in Ägypten, Exodus, Moses)
In den Geschichten der Landnahme, die im Buch Josua beschrieben werden, setzten sich Nomadengruppen im
palästinischen Bergland fest und gerieten mit der kanaanäischen Urbevölkerung und mit den Philistern in Konflikt.
Die Not der Bedrängnis durch die Philister bildete sich das israelitische Königtum unter Saul, das durch seine
nationalstaatliche Verfassung eine bessere Organisation des Heerwesens ermöglichte.
2.2 Königszeit 1004-587
Für die kurze Periode der Regierungszeiten Davids und Salomos waren die Nordstämme mit dem Namen Israel
und der späteren Hauptstadt Samaria und die Südstämme mit dem Namen Juda und der Hauptstadt Jerusalem
in einer Personalunion vereint. Nach der Reichsteilung 926 gab es im Nordreich und im Südreich unterschiedliche
Könige und Propheten. Im 9. Jh. gibt unter dem König Jehu und den Propheten Elija und Elischa eine
Religionsreform. Im 8. Jh. geriet das Nordreich Israel unter die Oberherrschaft der Assyrer, die Israel 722
eroberten und auslöschten. Im selben Jh. kam es im Südreich unter den Königen Usijas und Hiskija und dem
Propheten Jesaja zu einer Religionsreform. Unter König Joschija im 7. Jh. wurde eine grundlegende Staatsreform
mit Demokratie, Justiz, ProphetInnen, repräsentierende Könige und klare Regeln für den Krieg durchgeführt. Die
folgenden Könige aber hielten sich nicht daran, was ihnen die Kritik des Propheten Jeremia eintrug. 587 eroberte
das babylonische Heer Nebukadnezars II. Jerusalem, zerstörte es und verschleppte König und Oberschicht in die
Gefangenschaft nach Babylon. Die Propheten Jeremia und Ezechiel sahen den Untergang voraus und rieten, sich
mit den Babyloniern zu arrangieren.
2.3 Exilszeit 587-538
Mit dem Untergang des Staates Juda begann für Israel das Zeitalter des Exils und der Zerstreuung unter die
Völker. Nicht Gott Jahwe traf die Schuld, sondern das Volk hatte sich von Gott abgewendet. Die Schriften wurden
gesichtet und die sogenannte „Priesterschrift“ entstand. Mit Synagoge, Sabbat und Beschneidung bildet sich in
dieser Zeit das frühe Judentum. Nach der Einnahme Babylons 539 durch den Perser Kyros II. wird den Judäern
538 im Kyrosedikt nach 49 Jahren die Heimkehr und der Wiederaufbau des Tempels von Jerusalem gestattet.
2.4 Perserzeit 539-332
In der Zeit von 539-332 profitierte Israel von der toleranten Religionspolitik der Perser. Nach dem Aufruf der
Propheten Haggai und Sacharja wurde 520-515 der Tempel von Jerusalem wiedererbaut; die Mission
Nehemias diente der Wiedererrichtung der Jerusalemer Stadtmauer (445) und der Stabilisierung der
gesellschaftlichen Ordnung in Jerusalem; schließlich führte der Tora - Gelehrte Esra um 400 v. Chr. das "Gesetz
Gottes", wohl mit den 5 Büchern Mose, der Tora, annähernd ident, als Grundlage für die Jerusalemer
Tempelgemeinde ein, womit der Grundstein für die weitere Entwicklung des Judentums gelegt wurde.
2.5 Hellenistische Zeit 332-63
Nach dem Eroberungszug Alexanders des Großen 332 gehörte Juda zum Alexanderreich und stand von da an
stark unter dem Einfluss des Hellenismus, der in der Übersetzung der alttestamentarischen Schriften ins
Griechische (Septuaginta) zum Ausdruck kam. Um 300 geriet Palästina unter die Herrschaft der griechischen
Ptolemäer (Alexandrien, Ägypten), von 200 an gehörte es zum Reich der griechischen Seleukiden (Antiochien,
Syrien). Gegen den Seleukidenherrscher Antiochos IV., der im Jerusalemer Tempel einen Zeuskult einrichten hatte
lassen, erhoben sich die Makkabäer (begründeten die Dynastie der Hasmonäer) und besiegelten ihren Erfolg in
der Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 164. 152 wurde Jonathan als erster Hasmonäer Hoher Priester in
Jerusalem; unter den Hasmonäern war Israel von 129-63 wieder ein den Norden und Süden umfassendes
selbständiges Königtum. 63 v. Chr. eroberte der Römer Pompeius Jerusalem und brachte Israel unter römische
1
Oberherrschaft. Von 30 bis 4 v. Chr. war Herodes König von Roms Gnaden über Judäa, Galiläa, Samarien und
andere Gebiete.
3. Die Autoren des AT und ihre Sprachen
Die Namen der alttestamentarischen (atl.) Bücher (5 Bücher Mose, Jesaja, Weisheit Salomos...) sind nicht als
Verfasserangaben zu verstehen, sondern stellen die Texte unter eine weise Autorität. Ben Sira war der erste
biblische Autor, der sich am Ende seines Buches Sirach als Verfasser zu erkennen gab. Bei den atl. Büchern
handelt es sich nicht um Autorenliteratur, sondern um Fortschreibungsliteratur. Im Vordergrund stehen die
Inhalte, die Erläuterungen und die Aktualisierungen.
Die Schreiber waren meist gebildete Beamte am Hof der Könige, in der nachexilischen Zeit waren es
Schriftgelehrte in den Synagogen. Die Texte des AT sind zum größten Teil hebräisch geschrieben, in der Spätzeit
(Perserzeit) wurden aramäische Abschnitte in die Texte aufgenommen. Im christlichen Kanon des Alten
Testaments befinden sich auch noch griechische Schriften (Tobit, Judit, Weisheit, teilweise Makkabäer und
Daniel)
4. Der Text des AT und seine Übersetzungen
Die heutigen Bibelausgaben haben als Grundlage einen hebräischen Text, der ab 100 n. Chr. fixiert wurde. Die in
Qumran gefundenen Texte zeigen, dass es um 1 n. Chr. noch keinen Standardtext gegeben hat. Da die hebräische
Schrift keine Vokale kennt, haben die Masoreten (aram. masar: überliefern) den Text mit Vokalzeichen punktiert.
Sie haben ihn auch mit Randbemerkungen versehen. Die jüngsten Ausgaben des hebräischen Textes folgen dem
1008 n Chr. in Kairo geschriebenen Codex Leningradensis der Leningrader Staatsbibliothek.
Schon im 3. Jh. v. Chr. begann man in der jüdischen Gemeinde von Alexandrien (Ägypten) mit der Übersetzung
der hebräischen Texte ins Griechische. Den der Legende nach 72 Übersetzern verdankt die Übersetzung ihren
Namen Septuaginta - LXX. In den Büchern Jeremia und Sirach weicht die Septuaginta stark vom hebräischen
Text ab. Sie wurden von den Christen als Bibeltext übernommen, was auch zum erweiterten Kanon der Kirche
geführt hat).
Während in der griechisch - orthodoxen Kirche der Text der LXX dominant blieb, setzte sich in der lateinisch westlichen Kirche die lateinische Übersetzung des Hieronymus durch, deshalb auch Vulgata, "die allgemein
Anerkannte", genannt. Hieronymus griff bei seiner 390-405 in Palästina erstellten Übersetzung auch auf den
hebräischen Urtext zurück.
5. Die hebräische Bibel und die christlichen Gestalten des AT
Der jüdische Kanon (griechisch:. Regel, Richtschnur, Tabelle; die für eine Religionsgemeinschaft maßgebliche
Sammlung von hl. Texten) weist nicht denselben Umfang auf wie der des AT der christlichen Kirchen. Für den
jüdischen Kanon bezeugt bereits das Vorwort zur griechischen Übersetzung des Buches Jesus Sirach (130 v. Chr.)
die Unterteilung in "das Gesetz, die Propheten und die anderen von den Vätern überkommenen Schriften".
 Die Tora ("Weisung, Gesetz") besteht aus den 5 Büchern Mose: Genesis (Gen), Exodus (Ex), Levitikus (Lev),
Numeri (Num), Deuteronomium (Dtn).
 Die Nebiim ("Propheten") enthalten Josua (Jos), Richter (Ri), 1-2 Samuel (Sam), 1-2 Könige (Kön), Jesaja
(Jes), Jeremia (Jer), Ezechiel (Ez) und das Buch der Zwölf (Hosea (Hos) bis Maleachi (Mal)). Das Buch Josua
(Jos) und 1-2 Könige (Kön) wird im Judentum unter die Propheten gereiht, im Christentum unter die
Geschichtsbücher.
 Die Ketubim ("Schriften") umfassen Psalmen (Ps), Sprüche (Spr), Ijob, die 5 Megillot ("Festrollen"): Rut,
Hohelied (Hld), Kohelet (Koh), Klagelieder (Klgl), Esther (Est) sowie Daniel (Dan), Esra, Nehemia (Neh), 1-2
Chronik (Chr).
Da die junge Kirche die hl. Schriften Israels über die griechische Übersetzung aufnahm und sie durch das
Christusereignis gesehen werden, weicht das christliche AT in der Anzahl der Bücher vom hebräischen Kanon ab.
Die Bücher des AT teilen sich nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein.
 Der Vergangenheit können die geschichtlich - erzählenden Bücher: die 5 Bücher Mose (Genesis bis
Deuteronomium), Josua (Jos), Richter (Ri), Rut, 1-2 Samuel (Sam), 1-2 Könige (Kön), 1-2 Chronik (Chr), Esra,
Nehemia (Neh), Tob, Judit (Jdt), Ester (Est), 1-2 Makkabäer (Makk) zugerechnet werden.
 Den Aspekt Gegenwart decken die bleibend - gültigen Gebets- und Meditationstexte der poetisch weisheitlichen Lehrbücher: Ijob, Psalmen (Ps), Sprüche (Spr), Kohelet (Koh), Hohelied (Hld), Weisheit (Weish),
Jesus Sirach (Sir) ab.
 Die Zukunft bilden die prophetischen Bücher: Jesaja (Jes), Jeremia (Jer), Klagelieder (Klgl), Baruch (Bar),
Ezechiel (Ez), Daniel (Dan), Hosea (Hos) – Maleachi (Mal))
In Abhebung von den auch zur hebräischen Bibel gehörenden Büchern, den protokanonischen (gr. protos =
erster), bezeichnet man die Bücher Tobias (Tob), Judit (Jdt), 1-2 Makkabäer (Makk), Weisheit (Weish), Jesus
Sirach (Sir), Baruch (Bar) sowie die griechischen Teile der Bücher Ester (Est) und Daniel (Dan) als
deuterokanonisch (gr. deuteros = zweiter), weil sie nicht in der jüdischen Bibel vorkommen.
Anders zählen die Lutheraner. Martin Luther griff bei seiner Übersetzung der Bibel wieder auf den hebräischen
Urtext zurück und stellte die griechischen Bücher (Tob, Jdt...) als Apokryphen (verborgen, geheim) in einen Anhang
ans Ende des AT. (Im kath. Sprachgebrauch bezeichnet "Apokryphen" Bücher wie das Buch Henoch oder das
Jubiläenbuch, die keinen Eingang in den Kanon gefunden haben; in evang. Terminologie heißen diese wiederum
Pseudepigraphen).
2
6. Der Pentateuch oder die Tora
Unter Geschichtlichen Büchern haben die ersten fünf, Genesis (Gen), Exodus (Ex), Levitikus (Lev), Numeri (Num),
Deuteronomium (Dtn) eine besondere Bedeutung erlangt. Die fünf Buchrollen, „Pentateuch“, die die Bibel
eröffnen, sind für das Judentum die maßgebliche göttlichen Weisungen, die „Tora“. In den Ereignissen von der
Schöpfung bis zum Tod des Mose ist Israels Erwählung zum Volk Gottes begründet. Sie zeigt sich in der
Erwählung der Erzeltern, in der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten, bei der wunderbaren Führung durch
die Wüste und gipfelt in der Offenbarung des Gotteswillens am Sinai. In einem jahrhundertelangen
Entstehungsprozess sind mehrere Quellen in den Pentateuch eingearbeitet worden bis er in der persischen Zeit als
zentraler Gesetzestext der jüdischen Gemeinde anerkannt worden ist.
In die erzählenden Abschnitte des Pentateuchs sind die für die Begründung der jüdischen Lebens- und
Kultordnungen entscheidenden Vorschriften eingewoben: die Pascha - Ordnung, der Dekalog, das Bundesbuch,
der kultische Dekalog, Opfer- und Reinheitsvorschriften, der Ritus für den großen Versöhnungstag, das
Heiligkeitsgesetz und schließlich das deuteronomische Gesetz.
Das Deuteronomium (wörtlich „Das zweite Gesetz“) ist eine Überlieferungsgröße für sich. Es ist als Testament
des Moses stilisiert, das er in seinen letzten Reden an seinem Todestag niedergelegt hat. Es ist so etwas wie die
Mitte des Alten Testaments, und hat die folgenden Texte von Josua bis 2 Könige geprägt hat.
1.2 Der Exodus unter Moses
Das Buch Exodus ist das zweite der fünf Bücher des Pentateuchs und fügt sich als solches in den
Ereigniszusammenhang, der sich von Genesis 1 aus bis zum Tod des Mose in Deuteronomium 34 (und darüber
hinaus in die Geschichte Israels) erstreckt. Während Genesis von Einzelpersonen und Familienverbänden handelt,
erscheint Israel in Exodus als Volk. Das Buch beschreibt Israels Entstehung und Unterdrückung in Ägypten, seine
wundervolle Befreiung aus der Knechtschaft und seinen anfänglichen Weg durch die Wüste, auf dem es von Gott
seine identitätsstiftenden Institutionen empfängt: Gesetz und Heiligtum; sie zeichnen Israel hinfort als Volk Gottes
aus.
Mit einiger Sicherheit kann man allerdings davon ausgehen, dass es im 14./13. Jh. v. Chr. unter der
Herrschaft des Ägypterkönigs Ramses II. zu einer umfangreicheren Flucht von asiatisch - semitischen
Schuldsklaven aus dem östlichen Nildelta gekommen ist. Eine zentrale Rolle muss dabei Mose gespielt haben, der
neben seiner politischen Funktion wohl auch eine religiöse Führungspersönlichkeit war. Durch seine Vermittlung
wurde die Befreiung als eine Rettungstat Gottes und Israel empfing in der Wüste die Lebensordnungen (10
Gebote) für ein Leben in Freiheit.
Die HebräerInnen in Ägypten (Exodus Ex 1,5)
Die Unterdrückung der Israelitinnen und Israeliten in Ägypten wird mit der Entfremdung zwischen ihnen und dem
Pharao erklärt. Der neue Pharao wusste nichts von Josef und dessen Verdiensten für Ägypten. Er fühlte sich den
HebräerInnen gegenüber nicht zu Dank verpflichtet. So unwahrscheinlich das auf der geschichtlichen Ebene klingt,
so präzise ist die Begründung menschlich betrachtet: Unterdrückung ist die Frucht mangelnder persönlicher
Beziehung und Liebe.
Pharaos Ideologie der Überbevölkerung:
Nach außen argumentiert der Pharao scheinbar objektiv mit dem Argument der "Überbevölkerung", die die
einheimischen ÄgypterInnen im Falle eines Loyalitätskonfliktes gefährde. Um die Macht der HebräerInnen
einzudämmen, zwingt er sie zur Fronarbeit, was aber die Geburtenrate des Volkes nur steigert. Darauf entschließt
er sich zur Geburtenkontrolle durch Tötung der männlichen Nachkommen.
Die Argumentation und die Methoden sind aus der Gegenwart bekannt. Die Entwicklungsorganisationen sind sich
jedoch einig, dass nicht die von den Reichen sog. "Überbevölkerung" unseren Planeten bedroht, sondern die
ungerechte Verteilung des Reichtums und der Mangel an nachhaltiger Entwicklung in der Dritten Welt, die
automatisch zu einer niedrigeren Geburtenrate führt. Die Ausbeutung hat wie zu Pharaos Zeiten den gegenteiligen
Effekt.
Die Hebammen Schifra und Pua:
In dieser Notsituation entwickeln die hebräischen Frauen eine listige Gegenstrategie. Die Hebammen fügen sich
dem Tötungsbefehl des Pharao nicht, weil sie Gott mehr fürchten als den Pharao. Sie antworten auf dessen
Nachfrage mit einer Notlüge (Ex 1,19): Die Hebräerinnen sind nicht wie die ägyptischen Frauen; sie sind so
lebenskräftig, dass sie schon geboren haben, ehe die Hebammen kommen. Die Geschichte ist eines der
eindrücklichsten Beispiele erfolgreicher Frauensolidarität. Sie steht in der Tradition der Geschichten von den
listigen Erzmüttern
Politik der eisernen Faust
Der Pharao reagiert mit brutaler Gewalt auf die List. Er befiehlt den Ägypterinnen und Ägyptern, die Knaben der
Hebräerinnen in den Fluss zu werfen. Den HebräerInnen verbietet er, ein Fest für ihren Gott zu feiern, und er
verschärft ihre Fronbedingungen, indem er die Produktionsmittel kürzt und gleichzeitig die gleiche Produktemenge
verlangt wie bisher (Ex 5).
Die HebräerInnen
Es fällt auf, dass in den Exodusgeschichten weniger von den Israelitinnen und Israeliten, als vielmehr von
den Hebräerinnen die Rede ist. Hier liegt eine alte Erinnerung an die Kerngruppe der israelitischen Religion vor.
3
Die Hebräer werden als sozial niedrige Volksgruppe Palästinas in vorderasiatischen und ägyptischen Texten
genannt. Der Name bedeutete urspr. wohl "Fremdlinge", „hapiru“
Moses (Ex 2,1-7,7)
Der Name Mose ist ägyptisch und bedeutet "gezeugt von ... "j resp. "Kind des ... ". Er kommt in Ägypten nur in
Verbindung mit Götternamen wie Ra ( Ramses) oder Thot (Thutmoses) vor. Zum Ende der ägyptischen
Vorherrschaft in Vorderasien hin rebellieren hebräische Gruppen gegen die ägyptische Unterdrückung. In dieser
Opposition gewinnen sie Profil und Identität. Jahwe, der Gott der Midianiter, wird dabei als befreiender Schutzgott
erfahren. Die Erfahrung der HebräerInnen wird zu einem prägenden Bestandteil der späteren israelitischen
Religion und Kultur.
Die Geburtsgeschichte (Ex 2, 1-10)
Durch das mutige und aufgeschlossene Vorgehen der Hebammen, der Mutter und Schwester des Mose und der
Pharaotochter entgeht der neugeborene Mose den Mordplänen der Ägypter und gelangt an den ägyptischen
Königshof, wo er seine Jugend verbringt. In einem Binsenkörbchen, das mit Pech bestrichen wurde, überlebte er,
ausgesetzt im Nil, sodass ihn eine Pharaotochter fand. Seine Mutter wurde seine Amme.
Die Exilslegende (Ex 2,11-4,31)
Seine Solidarität mit seinem Volk geht ihm dadurch aber nicht verloren; als er Zeuge einer Misshandlung eines
Hebräers wird, erschlägt er den Ägypter und muss anschließend vor der Rache des Königs nach Midian fliehen.
Mose heiratet Zippora, die Tochter des Priesters Jitro von Midian.
Die Berufungsgeschichte (Ex 3, 7 -4,31)
Es kommt zur Gottesbegegnung. Mose wird dazu berufen, die Israeliten aus Ägypten herauszuführen. Die
Berufungsgeschichte folgt dabei einem verbreiteten Schema der Prophetenberufung:
1. Gott erscheint (sog. Theophanie): Da erschien ihm der Engel Jahwes in einer Feuerflamme, mitten aus einem
Dornbusch heraus ... (3,2)
1. Gott spricht den Menschen an: »Mose, Mose! ( ... ) Tritt nicht näher heran! Ziehe deine Schuhe von deinen
Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden!«. .. (3,4f)
1. Gott beauftragt den Menschen: »So gehe nun! Ich will dich zu dem Pharao senden. Führe mein Volk, die
Israeliten, aus Ägypten heraus!" (3,10)
2. Einspruch des Menschen: »Wer bin ich, dass ich zu dem Pharao gehe und die Israeliten aus Ägypten
herausführe?" (3,11)
2. Zuspruch Gottes mit einem Zeichen: »Ich werde mit dir sein. Und dies soll dir als Zeichen dienen, dass ich es
bin, der dich sendet: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott auf diesem Berg
verehren."
3. Einspruch des Menschen:»Wenn sie mir aber nicht glauben und nicht auf mich hören und sagen: Jahwe ist dir
nicht erschienen?" (4,1)
3. Zuspruch Gottes mit einem Zeichen: Mose erhält die Macht, einen Stab in eine Schlange zu verwandeln, seine
Hand aussätzig und wieder rein werden zu lassen und Nilwasser in Blut zu verwandeln. (4,2-9)
4. Einspruch des Menschen: »Ach, Herr, ich bin kein Mann des Wortes. Ich war es früher nicht und bin es auch
jetzt nicht ... " (4,10)
4. Zuspruch Gottes: »Wer hat dem Menschen einen Mund gegeben? ... Ich werde mit deinem Munde sein und dich
lehren, was du reden sollst" (4,llf)
5. Einspruch des Menschen: »Ach, Herr, sende wen du senden willst!" (4,13)
5. Zuspruch Gottes: »Hast du nicht deinen Bruder Aaron, den Leviten? Ich weiß, dass dieser sehr gut reden kann.
Der Dornbusch
Alle Versuche, den biblischen Dornbusch mit einer bestimmten Pflanzensorte zu identifizieren, sind bisher
gescheitert. Notwendigerweise, denn das theologische Rätselbild des brennenden und doch nicht verbrennenden
Dornbusches kann nicht durch eine botanische Erklärung gelöst werden. Näher kommt man der Lösung durch eine
aufmerksame Lektüre der Bibel selbst. In der Jotamfabel (Ri 9,7-15) wird der Dornbusch gerade als eine Pflanze
charakterisiert, die sehr gut brennt und dadurch auch große, schöne Bäume gefährden kann. Im Bild steckt deshalb
erschreckende Gefährlichkeit (Zerstörung) und faszinierende Überwindung dieser Gefährlichkeit (Erhaltung). Für
die Leserinnen und Leser des hebräischen Textes klingt außerdem im Wort für Dornbusch, sönä, der Name des
Gottesberges, Sinai, an. Mit anderen Worten: der Dornbusch wird zum Stellvertreter für den Gottesberg selber, auf
dem Gott wohnt. Der brennende Berg wäre dann ein Vulkan.
Der Gottesname
»Ich werde dasein, als der ich dasein werde« (Ex 3,14)! Diese rätselhafte Selbstvorstellung Gottes, die ebensoviel
verschleiert, wie sie preisgibt, enthält vier Aspekte des Nahe-Seins Gottes:
- Zuverlässigkeit: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass ich da bin, wenn Not ist.
- Unverfügbarkeit: Ich bin so da, wie ich es will, und nicht, wie ihr es gerne hättet.
- Ausschließlichkeit: Ich bin ich und kein anderer; damit müsst ihr fest rechnen.
- Unbegrenztheit: Ihr könnt mir keine Schranken setzen, auch nicht die des Todes.
In diesem Zusammenhang erhält der Name Jahwe („Er weht“) eine neue Deutung als Ableitung des Verb »dasein«.
Der Gott, der sagt, ich werde dasein, ist der »Er ist da« = hebr. »Jahwe«. Der Gottesname Jahwe wird von den
frommen Juden aus Ehrfurcht nicht ausgesprochen. Anstelle des sog. Tetragramms (=Vierbuchstabenwort: JHWH
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ausgesprochen: Jahwe) wird meistens "Herr« (adonai) oder "der Name« (haSchem) gelesen. Eine von Christen
aus Unkenntnis vorgenommene Kombination zwischen geschriebenem Wort und ausgesprochenem Wort ergab
den völlig unhebräischen Gottesnamen Jehova.
Im Text wird deutlich gesagt, dass Jahwe kein anderer sei als der Gott der Frühzeit, der Gott Abrahams, Isaaks
und Jakobs. In beiden wirkt dieselbe göttliche Kraft. Zwei Arten der Gottesverehrung werden so eng miteinander
verbunden. Nebst diesen besonderen Erscheinungsformen Gottes kann auch einfach von "Gott« (hebräisch:
Elohim) die Rede sein. In einigen Texten des Ersten Testamentes wird nur dieser Begriff gebraucht. Er steht für die
umfassende Wirkmacht des Lebens, für die Schöpferkraft, die alles erschuf und alles erhält.
Die 10 Plagen (Ex 7 -11; 13)
Die zehn berühmten ägyptischen Plagen (Blut, Frösche, Ungeziefer, Stechmücken, Viehseuche, Eiterbeulen,
Hagel, Heuschrecke, Finsternis, Erstgeburt), wörtl. "Schläge«, haben vordergründig den "pädagogischen« Zweck,
dass der Pharao die HebräerInnen ziehen lässt. Sie bewirken aber - wie jede übertrieben autoritäre Erziehung gerade das Gegenteil: das Herz des Pharao verhärtet sich. Der Machthaber ist nicht bereit, sich durch Macht
einschüchtern zu lassen. Eigentlich ist man erstaunt, dass Gott hier solche Mittel anwendet, hält er es doch sonst
eher mit den Listigen. Aber es geht bei den Plagen eben noch um etwas anderes: es sind Wunder, die die
Wundermacht Gottes demonstrieren sollen, und sie gipfeln im Wunder aller Wunder, im Zug der Israelitinnen und
Israeliten durch das Rote Meer. Die Wundertätigkeit Jahwes und die Verstockung des Pharao bedingen sich
gegenseitig. Von daher ist es nur konsequent, wenn auch für unsere Ohren reichlich vertrackt, wenn es heißt, dass
Jahwe selber das Herz des Pharao verstockte.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die ägyptischen Plagen genau zu historisieren. Gewiss wird es im Land des Nil
nicht an Stechmücken gemangelt haben und auch nicht an Fröschen. Die übrigen Plagen sind aber nicht an
Ägypten als Kulisse gebunden. Gerade der Hagel und die Heuschrecken, die den meisten Raum einnehmen,
passen viel besser nach Palästina. Sie widerspiegeln also typisch israelitische Plagen.
Beim Abschnitt über die Plagen kann ein massives literarisches Wachstum nachgewiesen werden.
Ausschlaggebend für den Fortgang der Geschichte ist eigentlich nur die symbolträchtige zehnte Plage. Die übrigen
sind zur höheren Ehre des Gottes Israels im Verlaufe der Zeit und aus Lust am Fabulieren dazugekommen. In der
jährlichen Erzählung vom Auszug aus Ägypten beim Pessachfest machen sich die Juden einen Spaß daraus,
durch spitzfindige Textauslegungen diese zehn Plagen nochmals zu vervielfachen, bis es zweihundertfünfzig sind.
Das Passafest (Ex 12; Num 9,1-14) (Pas-cha, Pessach)
Das Passafest (hebr. pessachi aram. pas'cha), urspr. ein selbständiges Nomadenfest ist durch die Einbindung in
die Exodusüberlieferungen, zusammen mit dem Mazzenfest (Ungesäuerte Brote), zum zentralen und populären
jüdischen Fest geworden. Die Neuinterpretation des Festes durch Jesus von Nazareth, im Sinne einer intensiven
Verbindung im Leib und Blut, macht Pessach auch zur zentralen christlichen Feier, mit der die Geheimnisse vom
Tod und der Auferstehung Christi im Osterfestzyklus beginnen.
Die apotropäische (das Böse abwendende) Funktion hat das Bestreichen der Türpfosten mit dem Blut der
geopferten Lämmer, damit Gott auf der Suche nach den Erstgeborenen der ÄgypterInnen ihre Familien verschont
(Ex 12,13). Mazzen (ungesäuertes Brot) mussten sie essen, weil keine Zeit mehr war, den Teig durchsäuern zu
lassen. Zudem symbolisieren die Mazzen das „Brot des Elends" (in Ägypten).
• In hellenistischer Zeit wurde das Fest wie ein griechisches Symposion begangen, das bis heute den Ablauf des
Festes bestimmt. Das Mahl wurde durch eine Vorspeise und das dreimalige Trinken eines Bechers Wein erweitert.
Es entwickelte sich also von einem eher hektischen und ernsten Fest zur Abwendung des Bösen zu einem
ausgesprochenen Freudenfest, an dem viele Psalmen gesungen wurden.
• Die heute im Judentum verbindliche Festform (Seder) wurde ca. im 10. Jh. n. Chr. in der sog. Pessach-Haggadah
(der Erzählung vom Passa) festgehalten. Darin werden die Festelemente symbolisch gedeutet: Die Bitterkräuter
der Vorspeise werden auf die Erfahrung der Bitternis in Ägypten bezogen, die süße Sauce, in die man sie tunkt, auf
den Lehm, mit denen die Israelitinnen und Israeliten Ziegel herstellen mussten. Das ganze Fest ist als pädagogisch
wirkungsvolle Familienfeier gestaltet, weil ja der Tempel zerstört war und die Juden in der Diaspora lebten.
• Im Christentum wurde das Pessach nun „HerrenmahI", »Brechen des Brotes«, später auch »Eucharistie" (gute
Gabe) und »Abendmahl" genannt und schon sehr früh zum Liebesmahl (Agape-Feier). Schon Paulus hat das Mahl
vom Sättigungsmahl getrennt. Die mit ihm verbundene Symbolik ist äußerst vielgestaltig und regt die Phantasie bis
heute an: Verkündigung des Todes Jesu, Bekräftigung des neuen Bundes mit Gott, Teilhabe an Leib und Blut des
Gekreuzigten, Zusammenschluss der Feiernden zum lebendigen Leib Christi, vergewissernde Vorwegnahme des
eschatologischen (endzeitlichen) Mahles mit dem Auferstandenen.
Exodus (Ex) 12 setzt das Paschafest am 14. des ersten Monats (Nisan/Abib - März/April) ein. Auf die Frage
der Kinder: "Was bedeutet diese Feier?" gibt Exodus zur Antwort: "Es ist das Pascha - Opfer zur Ehre des Herrn,
der in Ägypten an den Häusern der Israeliten vorüberging (hebr. pasach, wobei umstritten ist, ob dies die
zutreffende Bedeutung der Wurzel psch ist), als er die Ägypter mit Unheil schlug, unsere Häuser aber verschonte."
Nach Exodus haben die Israeliten in der Nacht vor dem Auszug aus Ägypten nach Anweisung des Mose ein
vermutlich altes nomadisches Ritual vollzogen, das der Abwehr von bösen Mächten diente: mit dem Blut von
geschlachteten Lämmern bestrichen sie die Türstöcke ihrer Häuser, um "den Verderber", mit dem wohl ein Dämon
gemeint ist, von sich fern zu halten. Beim anschließenden Mahl wurden die gebratenen Lämmer im
Familienverband verzehrt.
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Im Zuge der um 620 v.Chr. (König Joschija angestrebten Zentralisation des Kultes am Jerusalemer Tempel
wurde die Schlachtung der Tiere nach Jerusalem verlegt, wodurch aus dem Pascha ein Wallfahrtsfest wurde. Als
solches beging man es auch in der Zeit Jesu. Die Evangelien zeigen Jesus einige Male bei der Feier des
Paschafestes in Jerusalem. Für die Entwicklung des Christentums war schließlich ausschlaggebend, dass Jesus
zur Zeit eines Paschafestes starb und beim Mahl mit den Jüngern seinen Tod vor dem Hintergrund dieses Festes
interpretierte. So übernahm Jesus für das Christentum die Funktion der geschlachteten Lämmer und das Ereignis
von Tod und Auferstehung Jesu trat an die Seite des Exodusgeschehens. Während sich das Paschafest im
Judentum nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer (70 n.Chr.) in den Bereich der Familie
verlagert hat und dort einmal im Jahr als Exodus - Gedächtnismahl gefeiert wird, gedenken die Christen über die
besondere Festzeit der Karwoche hinaus bei jeder Abendmahlsfeier der Hingabe des "Paschalammes" Jesus
Christus.
Exodus = Auszug (Ex 14f)
Das Ereignis der Durchquerung des Schilfmeeres wird zum dramatisch ausgestalteten Zentrum der Erzählung vom
Auszug. Hier konzentrieren sich die Mächte Jahwes und des Pharao nochmals in einem beeindruckenden Finale.
Jahwe ist der schlagende Gott, der seine Feinde souverän in Schach hält. Das Machtsymbol der Ägypter, der
Wagen, wird mitsamt den Feinden vernichtet. In diesem Sinne ist Jahwe ein Kriegsherr gegen den Krieg.
Der Auszug aus Ägypten ist ein Ereignis der israelitischen Geschichte, das sich im strikt historischen Sinn
kaum mehr dingfest machen, aber auch nicht bestreiten lässt. Darüber hinaus ist es aber das Symbol des Sieges
der Schwachen über die Starken - der Befreiung. Für die Menschen, die die Bibel im befreienden Sinn lesen, ist der
Exodus deshalb ihr Herzstück. "Das Herzstück des Alten Testaments ist der Auszug aus der Sklaverei in Ägypten
und der Marsch in Richtung auf das verheißene Land. (Georges Casalis).
Die Rettung vor den Ägyptern hat zu den Liedern Ex 15,1-18 inspiriert:
Meine Stärke und mein Lied ist der Herr,
er ist für mich zum Retter geworden.
Er ist mein Gott, ihn will ich preisen;
den Gott meines Vaters will ich rühmen.
Dass man schon recht früh die Problematik der mit dem Exodus - Gott auch verbundenen Brutalität
verspürte, belegt die griechische Übersetzung von Ex 15,3 in der Septuaginta (um 300 v.Chr.). Wo es im
hebräischen Text noch "Der Herr ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name" heißt, korrigiert die Septuaginta zu "Der Herr
beendet die Kriege, Herr ist sein Name".
Mirjam
Mirjam gehört zusammen mit Mose und Aaron zu den drei großen Befreiungsgestalten, die Israel aus der
ägyptischen Unterdrückung herausgeführt haben. Zusammen mit Aaron übt Mirjam Kritik an Moses autoritärer
Vorgehensweise: "Hat Jahwe etwa nur mit Mose geredet? Hat er nicht auch mit uns gesprochen?" Für diese
Infragestellung des Mose wird Mirjam - und nur sie! - mit Aussatz bestraft und vom Lager ausgesondert. Nach einer
Woche darf sie wieder ins Lager zurückkehren.
Die Erinnerung, die das Erste Testament an Mirjam bewahrt hat, ist ihr Lied nach dem Durchzug durch das
Schilfmeer (Ex 15,20b.21): Mirjam nahm die Handpauke in die Hand und alle Frauen zogen hinter ihr her, mit
Handpauken und in Reigentänzen. Und Mirjam sang ihnen zu: Singt Jahwe, hocherhaben ist er, Ross und Wagen
warf er ins Meer.
Manna, Wachteln und Wasser (Ex 16f; Num 11; 20)
Gott reagiert auf das Murren des Volkes mit Geschenken. Die ökonomische Bedingungen lösen Unzufriedenheit
aus, die den politisch Verantwortlichen Moses uns Aaron Kopfzerbrechen bereitet.
- Das Mannawunder verdankt sich einer Schildlausart, die auf Tamarisken lebt. Die im Eisack ausgeschlüpften
Larven saugen aus den jungen Zweigen des Baumes Pflanzensaft. Überschüssigen Zucker sondern sie in Form
von runden Tropfen ab, die danach kristallisieren (vgl. Ex 16,31 und Num 11,7). Diese werden Manna genannt.
- Das Wachtelwunder beruht auf einer weiteren zoologischen Merkwürdigkeit. Die Wachteln sind die einzigen
Zugvögel unter den Hühnern. Auf dem Weg von Europa, den russischen Steppen und der Türkei in ihre
Winterquartiere im Sudan und Äthiopien fliegen sie im August und September über Palästina. Sie landen oft
erschöpft in den Steppen Südpalästinas. Der römische Schriftsteller Plinius weiß von Schiffen, die wegen
Wachtelschwärmen, die auf ihnen notlandeten, untergingen.
- Es geht in beiden Fällen um die Geschenke, die Gott gibt. Er schenkt alles. Deswegen sollen die Menschen nicht
mehr sammeln als sie brauchen. Nur am Tag vor dem Sabbat können sie doppelt soviel sammeln.
- Noch wunderbarer geht es bei den Wassern von Meriba zu, die durch einen Stockschlag von Moses an den
Felsen zutage treten.
Abfall von Jahwe (Ex 32; Num 25)
Das Volk fiel von Jahwe ab und Aaron organisierte den Abfall zum Goldenen Kalb (gemeint sind Jungstiere). Damit
waren die Israelitinnen und Israeliten von Gott zu den falschen Götzen übergelaufen. Sie vertauschten die
eigentliche Wirkmacht des Lebens mit einem menschlichen Bild ohne Kraft. Es trifft sie deshalb der ganze Spott
über die Götzendienerinnen (Psalm Ps 106,19f): Sie machten ein Kalb am Horeb und warfen sich vor dem
Gussbild nieder. Sie vertauschten die Herrlichkeit Gottes mit dem Bild eines Stiers, der Gras frisst.
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Der Jungstier und andere Opfertiere bekamen deswegen göttliche Eigenschaften, weil die Einmütigkeit, mit der das
Volk opferte, eine wunderbares Erlebnis war. Das Opfertier brachte dadurch den Frieden untereinander.
Die Episode vom Goldenen Kalb spiegelt sich auch im Abfall des Nordreiches (Israel) unter Jerobeam I. Dieser
wollte ein Gegengewicht zu Jerusalem (Hauptstadt des Südreiches Juda) schaffen und ließ zwei goldene
Jungstiere herstellen und sprach zum Volk: »Nun ist es genug mit dem Pilgern nach Jerusalem hinauf! Siehe,
Israel, das da ist dein Gott, der dich aus dem Ägypterland herausgeführt hat!" Dann stellte er den einen in Betel
auf, den anderen in Dan. Jahwe wurde hier als Jungstier verehrt.
Der Bund Jahwes mit seinem Volk
Nachdem Jahwe die Israeliten vor angreifenden Feinden bewahrt hat, kommen sie zum Berg Sinai. Dort legt ihnen
Jahwe das Ziel der Befreiung aus Ägypten dar: Ich habe euch auf Adlerflügeln in die Freiheit getragen. Ihr werdet
mein besonderes Eigentum sein. (Ex 19,4) Dazu schließe ich einen Bund mit euch. An der Spitze des göttlichen
Bundes stehen die Zehn Gebote. Der Dekalog (10-Wort) beinhaltet im ersten Teil exklusive Jahweverehrung,
Wertschätzung des Jahwenamens und Beachtung des Sabbats. Der zweite Teil gebietet die Wertschätzung der
Eltern, den Schutz des Lebens, der Ehe, des Eigentums und des Rechts des Nächsten.
Zur Besiegelung des Bundes besprengt Mose den Altar und das Volk mit Blut und hält mit den Ältesten ein
Mahl vor Gott (vergleiche das Mahl zum neuen Bund im Blut Jesu nach Mt 26,28).
Mose trägt Sorge dafür, dass das Zeltheiligtum genau errichtet wird, die Priester Amt eingesetzt werden,
und er weiht schließlich das Heiligtum und die Priester. Höhepunkt ist das Inbesitznehmen des Heiligtums durch
die Herrlichkeit Gottes: Jahwe wohnt bei seinem Volk, das er aus Ägypten befreit hat.
Die 10 Gebote
Die 10 Gebote werden im Buch Exodus (Ex 20) und im Buch Deuteronomium (Dtn 5) aufgezählt. Man kann sie sich
durch Abzählen an den Fingern leicht merken. Die 10 Gebote in Exodus werden unter König Menasse (693-639 v.
Chr.) schriftlich in dieser Form fixiert. Der Sinn dieses Dekalogs wird in einem Vorwort erläutert: Ich bin Jahwe, dein
Gott, der dich aus dem Ägypterland, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. Die folgende Zählung richtet sich nach
der katholischen und evangelischen Tradition.
1. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir keine Götterstatue machen.
Ursprünglich nahmen die Israeliten die Existenz anderer Götter an. Die Erfahrungen mit anderen Göttern wurden
im Jahweglauben integriert. Aber von Jahwe durften keine Kultstatuen gemacht werden. Er wurde auf einem leeren
Thron verehrt. Die biblische Rede von Gott ist voll mit Bildern. Es galt kein allgemeines Bilderverbot, sondern es
sollte Gott in seiner Vielfalt nicht auf ein Bild fixiert werden.
2. Du sollst den Namen Jahwes, deines Gottes, nicht missbrauchen
Im Namen gibt sich der Namensträger zu erkennen. Im Aussprechen des Namens Gottes ist Gott selbst
gegenwärtig. Achtsamkeit ist gefordert. Missbrauch geschieht bei Meineid, Zauberei, Flüchen, Gotteslästerungen,
falscher Prophetie und falschen Gelübden.
3. Gedenke des Sabbats. Halte ihn heilig!
Den Sabbat heiligen bedeutet, Gott durch Nichtstun an jedem siebten Tag heiligen. „Schabbat“ bedeutet aufhören,
beenden. Tiere und Sklaven kommen in den Genuss der Ruhe. Auch jedes 7. Jahr ist ein Ruhejahr.
4. Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das Gott dir gibt
Die alternden Eltern müssen versorgt werden. Es ist ein Generationenvertrag. Auch die Kinder dürfen nicht als
Sklaven verpfändet werden. Es geht um den Schutz aller, die nicht arbeiten können.
5. Du sollst nicht töten
Hier geht es um das bösartige Töten von Menschen.
6. Du sollst nicht ehebrechen
Mann gründete mit einer Heirat ein „Haus“. Dazu gehören Frau, Kinder, Erbbesitz, Altersversorgung,
verwandtschaftliche Verpflichtungen Verboten war es für Männer, eine Beziehung zu einer verheirateten oder
rechtlich verlobten Frau einzugehen. Ein. Ehebruch gefährdete dieses „Haus“.
7. Du sollst nicht stehlen
Damit ist jeder Diebstahl und jede Schädigung des Eigentum eines Nächsten gemeint.
8. Du sollst nicht gegen deinen Nächsten als Lügenzeuge aussagen
Jeder hatte das Recht, das Gericht gegen einen Verbrecher zusammenzurufen. Bei Delikten, auf denen die
Todesstrafe steht, waren zwei Zeugen erforderlich.
9. Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen
Menschen sind oft voll Neid. Hier geht es um das Begehren im Herzen. Dem Nächsten ist sein Haus
zuzugestehen.
10. Du sollst die Frau deines Nächsten begehren
Hier geht es um das Verlangen nach einer verheirateten Frau. Der Begehrende ahmt den Ehemann nach. Dieser
Neid auf den Nächsten soll abgewehrt werden. Er kann mit dem Gebot der Gottesliebe geheilt werden. Höre,
Israel, Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit
ganzer Seele, mit ganzer Kraft. (Deuteronomium Dtn 6,4) Das Begehren wird auf Gott ausgerichtet, sodass wir
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nicht Rivalen unserer Nächsten werden. Jesus fügt diesem Gebot der Gottesliebe das Gebot der Nächstenliebe
hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Matthäus Mt 22, 37-39)
2 Jesus Christus als Zentralfigur christlichen Lebens
2.1 Leben Jesu
Jesus wurde vor dem Tod des Königs Herodes im Jahre 4 vor Christus geboren und 30 n.Chr. auf Befehl
des römischen Statthalters Pilatus als Rebell („König der Juden“) am Kreuz hingerichtet. Die historische Forschung
zeigt heute weitgehende Übereinstimung in den wichtigsten Daten seines Lebens. Seinen Werdegang beschreiben
die 4 Evangelien aus der Sicht der Auferstehung. Auch Nichtchristen erwähnen ihn: Josephus Flavius, Tacitus,
Lucian und Sueton. Wir wissen von Jesus unvergleichlich mehr historisch Gesichertes als von den großen
asiatischen Religionsstiftern: mehr als von Buddha (gest. um 480 vor Chr.), viel mehr als von Kung-fu-tse (gest.
vermutlich 479), sehr viel mehr schließlich als von Lao-tse, dessen Leben nicht datierbar ist.
Aufgewachsen als Jude in Nazareth, wurde er mit 30 Jahren ein Anhänger des Johannes des Täufers.
Dieser war ein Bußprediger, der das neue jüdische Gottesvolk durch eine Taufe im Jordan erwartete. Der König
von Galiläa, Herodes Antipas ließ ihn wegen seiner Kritik hinrichten.
Auch Jesus begann zu predigen Er verkündete die liebende Nähe Gottes: „Das Reich Gottes ist da.“ Er
erlebte Gott als einen „Papa“, einen „Abba“. Diese Gotteserfahrung war vollkommen neu.
Er spürte auch, dass er Kranke heilen konnte, wenn der Kranke oder die Verwandten sich nach Gott
ausrichteten. Heilungen waren für ihn Zeichen der Anwesenheit Gottes.
Sehr stark war seine Liebe zu den Armen (den Am-ha-ares), den Kindern, den Verlorenen und den Frauen.
In seinen Gleichnissen erzählte er von der Suche nach Gott, von der Liebe Gottes zu den Verlorenen und vom
Vertrauen in Gott.
Seine Lehre brachte ihn bald in Gegensatz zu den Gesetzen und Vorschriften der Partei der Pharisäer
(Schriftgelehrten), die vor allem die Sabbatgebote wichtig nahmen. Ähnlich streng waren auch die Essener.
Die Zeloten, die jüdischen Befreiungskämpfer, unterstützten ihn anfangs. Als er sich aber immer mehr von
Waffengewalt distanzierte, hatten sie kein Interesse mehr an ihm.
Mit den reichen Sadduzäern und Priestern kam er in Jerusalem in Konflikt, als er die Tempelbanken und
die Tempelhändler kritisierte, die ihre Preise in die Höhe trieben.
Die Priester im Tempel kritisierte er wegen ihrer Unbarmherzigkeit gegenüber den Armen
Die Essener, die sich wie Mönche zurückzogen, waren ihm zu wenig offen für die anderen Menschen. Er
zog durch das Land und viele Frauen, Männer und Kinder begleiteten ihn.
Er suchte das Gespräch mit allen Juden, auch mit den Priestern des Jerusalemer Tempels.
Die römische Militärverwaltung und die Beamten des Herodes sahen in ihm einen Unruhestifter, dessen
Anhänger die Wallfahrtsfeste in Jerusalem stören könnten. Schon mehrmals begann bei solchen Festen ein
Aufstand der jüdischen verarmten Bevölkerung.
Sein Verhältnis zu Gott war sehr intensiv. Er erlebte sich als Sohn des guten Gottes und als „Messias“, der
aus Liebe zu den Gegnern keine Gewalt anwendet. Aus seinen Anhängern wählte er 12 Apostel (Zeugen) aus und
sandte seine Anhänger aus, das gewaltlose Reich Gottes zu verkünden, sodass es wachsen kann. Es war der
Beginn der Kirche. Seine JüngerInnen machten mit ihm Gotteserfahrungen, die sie nach seinem Tod nicht
vergaßen.
Die Tempelbehörde sah beim Paschafest im Jahre 30 n.Chr. die Gelegenheit, ihm einen Ketzerprozess zu
machen. Seine Sicht von Gott als Vater der Menschen stieß auf massive Ablehnung. Der römische Statthalter
Pilatus sah die Gefahr eines Aufstandes und ließ ihn als illegalen König der Juden ans Kreuz nageln. Noch am
gleichen Tag wurde er in einem Grab, das Josef von Arimathäa bereitstellte und das römische Soldaten
bewachten, beigesetzt. Da der nächste Tag ein Sabbat war, wurde sein Leichnam nur notdürftig von seinen
Anhängerinnen in Leinen eingeschlagen. Am ersten Tag der Woche wollten sie ihn waschen, salben und in Leinen
einwickeln. Als sie zum Grab kamen, war aber der Stein weggewälzt, das Grab leer, die Leinentücher
zusammengelegt und Engel erschienen ihnen, die ihnen erklärten, dass Jesus von den Toten auferstanden sei. In
den nächsten Tagen und Wochen erschien Jesus seinen JüngerInnen immer wieder und erklärte ihnen, wie die
Liebe Gottes alle Menschen umfasst. Zu Petrus sagte er, dass er auf ihm seine Kirche aufbauen will.
Ein Kreis von Jüngern erfuhren, wie er Brot brach, ein Jüngerkreis hatte immer wieder Erscheinungen beim
Fischen, ein anderer Kreis (vor allem Frauen) hatte Jesuserfahrungen beim Grab. Sie trafen sich, tauschten ihre
Erlebnisse aus und waren sicher, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Später erlebten sie, wie er ihnen
den Heiligen Geist versprach und zu seinem Vater ging. Sie sagten: „Er ist auferstanden und lebt bei Gott, aber
Gott lebt unter uns.“
2.2 Die religiösen Gruppen zur Zeit Jesu
Die heutigen Theologen sind sich einig, dass Jesus mit Sicherheit ein tieffrommer Jude war, der neue
Gotteserlebnisse hatte und außergewöhnliche Gotteserfahrungen mit seinen JüngerInnen machte, die die jüdische
Religion weiter entwickeln sollte.
1. Diasporajudentum
Zur Zeit Jesu lebten viel mehr Juden in der Diaspora (d.h. außerhalb Palästinas) als in Palästina selbst. In Apg 2,911 findet man eine Liste jener Länder, in denen es Juden gab. Zentren des Diasporajudentums waren
8
Mesopotamien (hier entstand der babylonische Talmud), Alexandrien und Kyrene (Libyen). Im Römischen Reich
genoss das Judentum eine religiöse Sonderstellung. Es war als einzige Religion davon befreit, die römischen
Götterbilder anzubeten und am Herrscherkult teilzunehmen.
2. Hohepriester, Synedrium
Obwohl Palästina unter römischer Herrschaft stand, genossen die Juden in ihrem Land eine gewisse
Sonderstellung und durften sich in manchen (vor allem religiösen) Bereichen selbst verwalten. An der Spitze der
jüdisch-religiösen Selbstverwaltung stand der Hohepriester. Er hatte die Oberaufsicht über den Kult im Tempel und
vertrat das Volk in religiösen Belangen gegenüber dem römischem Statthalter. Er war weiters Vorsitzender des
Synedriums. Dieses umfasste 70 Mitglieder und setzte sich aus den Oberpriestern, den "Ältesten", aus Vertretern
der Sadduzäer und aus Schriftgelehrten, die ihrerseits meist aus dem Kreis der Pharisäer stammten, zusammen.
Von den Hohepriestern sind namentlich drei im NT erwähnt:
- Hannas war in den Jahren 6 bis 15 n.Chr. Hohepriester. Laut Lk 3,2 und Apg 4,6 regierte er zur Zeit Jesu, jedoch
beruhen diese Angaben auf einem Irrtum seitens des Evangelisten. Das Haus des Hannas war eine der zwei
führenden hohepriesterlichen Familien.
- Kaiphas hatte das Amt von 18 bis 37 inne. Er war ein Schwiegersohn des Hannas. Joh 18,33 geht von der
Annahme aus, dass das hohepriesterliche Amt jährlich neu besetzt wird. Dies lässt sich aber mit den jüdischen
Quellen nicht bestätigen. Kaiphas spielt in der Passionsgeschichte eine große Rolle.
- Ananias war nach Apg 23,2; 24,1 am Prozess des Paulus beteiligt. Er war von 48 bis 55 im Amt.
3. Pharisäer
Die Pharisäer waren die einflussreichste Gruppe zur Zeit Jesu. Obwohl ihre Führung in den Händen von
Schriftgelehrten lag, setzten sie sich großteils aus Laien (Bauern, Handwerker, Kaufleute...) zusammen. Zwar
befolgten sie sehr streng die Tora, aber sie bemühten sich auch um eine Weiterentwicklung des religiösen
Denkens. Sie glaubten an die Auferstehung der Toten und an das jüngste Gericht. Politisch standen sie den
Römern eher reserviert gegenüber, denn sie warteten auf die Wiederherstellung Israels.
4. Sadduzäer
Die Partei des Priesteradels (Priester konnte damals nur werden, wer dem Volksstamm der Leviten angehörte) war
bis 70 n.Chr. sehr einflussreich. Bei der Zerstörung des Tempels wurden sie aber praktisch völlig vernichtet. Die
Sadduzäer stellten bis zum Jahre 70 alle Hohepriester und den Großteil der Ältesten im Synedrium. Politisch
bemühten sie sich um einen Ausgleich mit Rom.
5. Zeloten
Sie standen in ihrer religiösen Überzeugung den Pharisäern nahe. Da sie den Satz, dass nur Gott allein über Israel
herrschen dürfe, sehr ernst nahmen, kämpften sie auch gegen das römische Regime. Die Festung Masada war
eine der letzten großen Zentren der Zeloten. Der Apostel Simon hatte den Beinamen "der Zelot" (Lk 6,15), und
manche Exegeten glauben, dass auch Judas Iskariot der zelotischen Partei angehörte.
6. Essener
Die "Ordensgemeinschaft" von Qumran - deren Anhänger man Essener nennt - trennte sich vom offiziellen
Judentum und zog sich in die Wüste zurück. Ihre Mitglieder führten ein strenges religiöses und, darüber hinaus,
zölibatäres Leben und warteten auf drei Messiasse. Im NT werden die Essener nie direkt erwähnt. Aber manche
Exegeten vertreten die Meinung, dass Johannes der Täufer der essenischen Gemeinde angehört habe.
7. Samariter
Die Samariter lebten zwar in Palästina (Samarien liegt zwischen Galiläa und Judäa), wurden aber vom offiziellen
Judentum als häretische Gruppe angesehen. Das Schisma entstand im 4. Jdt v.Chr., als auf dem Garizim ein
Heiligtum erbaut wurde. Da die Juden nur ein Heiligtum, den Tempel in Jerusalem, anerkannten, wurde der Kult auf
dem Garizim immer als illegitim betrachtet.
Zu den heiligen Schriften zählten die Samariter nur die fünf Bücher Mose. Sie lehnten auch die Auferstehung der
Toten ab. In Joh 4 wird von der Begegnung Jesu mit einer Samariterin berichtet. Bekannt ist auch das Gleichnis
vom barmherzigen Samariter in Lk 10.
2.3 Die Botschaft Jesu (Gleichnisse, Reden)
1. Der Lehrer Jesus
Jesus lehrte nicht wie ein Rabbi nur in der Synagoge und erklärte auch, dass der Wille Gottes nicht nur im
Gesetz (Tora) zu finden ist. Jesus lehrte zwar auch in der Synagoge, in erster Linie verkündete er seine Botschaft
aber auf freiem Feld, an den Ufern des Sees von Galiläa und auf der Wanderschaft. Seine JüngerInnen waren
Frauen und Kinder, Zöllner, Sünder, einfache Arbeiter und Fischer.
Jesus spricht von der Natur, den Menschen und von den alltäglichen Erfahrungen, die jeder kennt und in
denen sich jeder bewegt. Immer ist die Gegenwart Gottes das Kennzeichen seiner Worte: in der Begegnung mit
Hilfesuchenden, in den zahlreichen Lehr- und Streitgesprächen.
2. Die Mitte von Jesu Botschaft
"Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe!" (Mt 4,17). Diese Worte bilden wohl die Mitte der ganzen
Botschaft Jesu. Gottes Herrschaft, das "Reich Gottes" ist im Verborgenen da und nahe. So wie im jüdischen
Glauben heißt das auch bei Jesus, dass Gott über die bösen Mächte siegt.
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Mit keinem Wort bestätigte oder erneuerte er die nationalen Hoffnungen seines Volkes. Er will weder das
alte Davidreich restaurieren noch in Macht und Herrlichkeit als Messiaskönig die Feinde Israels zerschmettern. Alle
Bilder in Jesu Verkündigung sind einzig auf das Eine ausgerichtet, dass Gottes Wille geschehen wird. Die Stunde,
in der die Herrlichkeit Gottes anbricht, ist bereits da, geschieht jetzt: in Jesu Wort und Tat. Verkündigung und
Wirken Jesu sind Anzeichen und Ankündigung der kommenden Gottesherrschaft, dem Himmelreich auf Erden.
Dennoch ist sie auch verborgen und will in ihrer Verborgenheit bleiben: nämlich in einer höchst alltäglichen
Gegenwart, der niemand ansieht, was in ihr schon vorgeht.
3. Die Gleichnisse
Gleichnisse erzählten bereits die Rabbinen, die Schriftgelehrten, um einen Lehrsatz zu verdeutlichen und den Sinn
einer Schriftstelle zu erklären; immer aber sind sie nur Hilfsmittel der Lehre.
Gerade das sind sie aber in Jesu Mund nicht: Hier sind die Gleichnisse die Verkündigung selbst und stehen daher
nicht nur im Dienst einer selbständigen Lehre. In einfachen, sehr einprägsamen Geschichten zielen die Gleichnisse
Jesu auf das Verstehen.
In ihnen stößt man immer wieder auf zentrale Themen der Predigt Jesu: Reich Gottes, Ruf zur Umkehr,
Hinweis auf den Ernst der Stunde, Gegensatz zu den Pharisäern.
Sie bedienen sich dabei der vertrauten Welt Palästinas mit ihren Vorgängen im Leben der Natur und im Leben des
Menschen:
 in jedem Frühjahr geht der Sämann übers Feld, jedes Jahr wachsen Weizen und Unkraut miteinander
 täglich fangen Fischer gute und schlechte Fische in ihrem Netz
Mit Vorliebe und hoher Kunst erzählen Jesu Gleichnisse, aber auch gerade solche Geschichten, die ganz und gar
nicht im Bereich der Tagesordnung stehen (sogenannte „Parabeln“):
- Gleichnis vom Dieb in der Nacht
- Gleichnis von einem Mann, der seinen Nachbarn weckt, um für einen Freund um Brot zu bitten
- Erlassung der Schuld bei einem Knecht, der aber wiederum von einem Mitknecht die Schuld eintreibt
- Gleichnis vom verlorenen Sohn oder besser: Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen beiden Söhnen
Aber auch diese Gleichnisse bleiben im Bereich dessen, was jeder versteht, was tägliche oder mögliche
Erfahrung ist. Nicht wenige Bildworte und Gleichnisse Jesu beginnen mit der Frage: "Wer unter euch?", eine
Gleichnisform, die es in der jüdischen Überlieferung rabbinischer Gleichnisse nicht gibt. Jesus stellt also immer
eine auf den Hörer selbst zielende Frage, die ihn dort trifft, wo er wirklich ist, in der gänzlich unverstellten und
unbeschönigten Wirklichkeit seiner Welt.
Bei den Gleichnissen ist jeweils die Bildhälfte von der Sachhälfte zu unterscheiden. Der Zuhörer wird
eingeladen, das Bild zu deuten. Wichtiger als die Bildhälfte ist die Sachhälfte. Um das zu verstehen, muss man
den jeweiligen Zusammenhang kennen, also das, was die Zuhörer verstehen und was Jesus versteht.
In den Gleichnissen liegt ein Geheimnis verborgen. Dieses Geheimnis ist der verborgene Anbruch des
Gottesreiches mitten in einer Welt, die für Menschenaugen nichts davon erkennen lässt. Dies will gehört, geglaubt
und verstanden sein. Davon reden die Gleichnisse vom
- Senfkorn, das in die Erde gelegt wird; das kleinste Samenkorn Palästinas, aus dem ein Baum wird, in dem die
Vögel des Himmels Schutz suchen und nisten
- und Sauerteig, von dem nur wenig reicht, um 3 Scheffel Mehl (eine Mahlzeit für 150 Leute) zu durchsäuern
Diese Gleichnisse werden auch "Kontrastgleichnisse" genannt; das Allergrößte ist schon im
Allerunscheinbarsten verborgen, im Allergeringsten wirksam. Ein unscheinbarer Anfang ist dem wunderbaren, die
Erwartungen weit übertreffenden Ende gegenübergestellt.
Zu den "Wachstumsgleichnissen", die einen bestimmten und sehr aktuellen Bezug haben, gehört auch
das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26ff). Nicht Mühe und Arbeit des Menschen verwirklichen die
Herrschaft Gottes, sondern das Reich Gottes kommt allein - für den Menschen ein Wunder, auf das er nur in
Geduld warten kann.
Dem Hörer kommt nicht die Rolle des Zuschauers zu, er ist der "Boden, auf den die Saat fällt." Der Anruf
Gottes gilt dem Hier und Jetzt, dem Menschen in seinem jeweiligen konkreten Alltag.
4. Die ethischen Weisungen Jesu
Das Neue in der Verkündigung Jesu liegt darin, dass dem Menschen jeder Rückzug auf das Gesetz verwehrt wird.
Das heißt nun aber nicht, dass Jesus antigesetzlich war. Jesus stimmt vielmehr der Auffassung zu, dass sich
Gottes Wille im Gesetz (in der Tora) offenbart. Aber das Gesetz ist nicht die unumstrittene Autorität, es ist nicht die
letzte Motivation des menschlichen Handelns. Das ist allein der aus grenzenloser Güte handelnde Gott, dessen
bedingungsloser Liebe dem Menschen gilt.
Jesu ethischen Prinzipien werden meistens an konkreten Fällen sichtbar, zu denen er Stellung nimmt.
In der so genannten "Redequelle" hat man einen wesentlichen Teil der ethischen Weisungen Jesu
zusammengestellt; Matthäus hat einen Teil davon in der Bergpredigt zusammengefasst (Mt 5-7). Diese Sammlung
wird mit den "Seligpreisungen" der Armen, der Hungernden, der Weinenden eröffnet. Ihnen wird Mut und
Hoffnung zugesprochen.
Das neue Verständnis Jesu kommt am schärfsten in den so genannten "Antithesen" der Bergpredigt zum
Ausdruck, in denen einem alttestamentlichen Gebot eine neue Forderung Jesu antithetisch gegenübergestellt wird
("Ich aber sage euch ..."). Der Rahmen des Gesetzes wird so gesprengt und überboten. An die Stelle der Autorität
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des Gesetzes tritt die Autorität Jesu: Verbot des Zürnens, des begehrlichen Blickes, der Ehescheidung, des
Schwörens, des gewaltsamen Widerstandes und das Gebot der Feindesliebe.
5. Redekompositionen bei den Evangelisten
Vor allem bei Matthäus finden wir große Redekompositionen, deren bedeutendste die Bergpredigt ist. Matthäus
hat die Bergpredigt wie auch andere Redekompositionen erheblich ausgebaut, indem er viele Worte, gerade auch
aus den Logienquellen (bei Lukas stehen sie an anderer Stelle), in diese Rede aufgenommen hat. Lukas kleidet
sie in eine andere Fassung, denn dort wird sie zur "Feldrede", weil Jesus, als er zu sprechen begann, bereits vom
Berg herabgestiegen war. Für beide Evangelisten stellen die Reden aber eine grundlegende Zusammenfassung
der Predigt Jesu dar.
Bei Johannes fehlen nicht nur die Gleichnisse, sondern auch die für den synoptischen Jesus so typischen
Jesusworte oder Spruchgruppen fast gänzlich Bei Johannes spricht Jesus vielmehr in theologisch inhaltsreichen
"Bildreden" (z.B. Hirtenrede; Weinstockrede). Die Reden werden öfters durch einen Dialog eingeführt oder durch
Fragen unterbrochen; der Gebrauch von gegensätzlichen Begriffen ist typisch (etwa: Licht - Finsternis; Leben Tod; Fleisch - Geist ...).
2.3 Jesu Ziele und Aussagen(!):
Lasst euch von Gott beschenken. Gebt den Hungrigen zu essen und den Durstigen zu trinken. Nehmt die Fremden
und Obdachlosen auf. Gebt den Nackten Kleidung. Besucht die Kranken, pflegt sie, legt ihnen die Hände und heilt
sie. Besucht die Gefangenen. Wendet keine Gewalt an. Vergelte Böses mit Gutem. Liebet die, die ihr seht.
Beschimpft niemanden. Verurteilt niemanden in eurem Herzen. Schwört nicht. Stellt euer Gebet und Fasten nicht
zur Schau. Stiftet einen gerechten Frieden. Versöhnt euch mit eurem Gegner. Liebt eure Feinde.
3 Die 4 Evangelisten und ihre Evangelien
3.1 Die synoptischen Evangelien
1. Terminologie
Es hat sich eingebürgert, die drei ersten Evangelien Matthäus (Mt) Markus (Mk) Lukas (Lk) mit der Bezeichnung
"synoptische Evangelien" zusammenzufassen. Für das Johannesevangelium gibt es keinen ähnlichen Namen.
2. Das Problem
Die synoptische Frage behandelt das literarische Verhältnis der drei Evangelien zueinander. Es fällt nämlich auf,
dass manche Erzählungen bzw. größere Erzähleinheiten in allen drei Evangelien fast wortgleich niedergeschrieben
sind. Andere Abschnitte wiederum werden nur von einem oder von zwei Evangelisten überliefert, sehr viele Stellen
sind nur bei Mt und Lk überliefert, beispielsweise findet man Teile der Bergpredigt (Mt 5-7) nur in Lk 6,20-49.
Mt
Mk
Lk
Mt hat gemeinsam mit 600 240
Verse
Mk hat gemeinsam mit 600
350
Verse
Lk hat gemeinsam mit 240 350
Verse
An Sondergut (S) hat 350
35 548
Verse
3. Erklärungsversuche
Im Laufe des 19. Jahrhunderts erarbeitete H. J. Holtzmann (* 1863), aufbauend auf den Arbeiten von C. G. Wilke
und C. H. Weiße, die so genannte "Zwei-Quellen-Hypothese", die heute in der exegetischen Forschung so gut wie
unumstritten ist. Markus und die Redequelle (Logienquelle) Q haben Lukas und Matthäus als Vorlage benutzt.
Markus
Redequelle Q
4. Zwei-Quellen-Hypothese
Sondergut Lukas
Sondergut Matthäus
Lukas
Matthäus
4.1 Entstehung des Markusevangeliums
Aus der mündlichen Tradition der Jesusgeschichten und eventuellen Vorlagen verfasste Markus sein erstes
Evangelium. Das Markusevangelium wurde vor 70 n.Chr. (Zerstörung Jerusalems) in seiner heutigen Fassung
fertig gestellt. Es zeigt das Wachsen des Gottesreiches und das Leiden des unschuldig hingerichteten Messias.
4.2 Logienquelle „Q“
Unabhängig von Mk existierte auch noch eine Sammlung von Worten und Reden Jesu. Da wir nichts vom
Redakteur dieser Sammlung wissen, wird sie heute allgemein "Logienquelle" (vom griechischen "Logos", also
"Wort") genannt und mit dem Buchstaben "Q" nach „Quelle“ abgekürzt. Diese Sammlung an Jesussprüchen ist
zwischen 30 bis 65 n. Chr. in Palästina und Syrien entstanden. Inhalt: Jesu sagte den Armen das Heil zu, mahnte
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die Menschen zu Feindesliebe und gegenseitiger Hilfe, zu furchtlosem Bekenntnis und der Suche nach der
Herrlichkeit Gottes. Nur wer die Worte Jesu "tut", besteht das Gericht, das jeder über sich selber spricht. Die
gewaltfreie Gruppe von Jesus machen keinen Aufstand wie die Zeloten. Jesus wird versucht und ist kein nationaler
Messias. Christus ist der "Menschensohn". Das Bekenntnis zu Jesus entscheidet über die Zukunft.
4.3 Entstehung des Matthäusevangeliums
Der Autor des Mt, der sein Evangelium etwa um 80 n. Chr. schrieb, kannte sowohl Mk (von den 661 Versen des Mk
nahm er rund 600 in sein Werk auf) als auch die Logienquelle. Diese beiden schriftlichen Quellen vereinte er in
seinem Evangelium. Dazu kommen noch einige Verse und Geschichten, die wir nur im Mt finden. Diese fasst man
heute unter dem Begriff "Sondergut des Matthäus" zusammen. Die Erlebnisse mit Jesus werden mit Hilfe des Alten
(Ersten) Testament interpretiert.
4.4 Entstehung des Lukasevangeliums
Das Lk entstand ähnlich wie das Mt 80 n. Chr. Auch Lukas hatte als Vorlagen Mk und die Logienquelle. Darüber
hinaus verwendete er Geschichten und Verse, die man nur in seinem Evangelium findet. Dieses "Sondergut des
Lukas" enthält so bekannte Stellen wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn( 15,11-32), der reiche Mann und der
arme Lazarus (16,19-31) oder der Pharisäer und der Zöllner im Tempel (18,9-14). Insgesamt hat er 548 Verse
Sondergut! Lukas schreibt sehr viel über die Frauen um Jesus und über Maria, die Mutter Jesu. Auch die
Apostelgeschichte ist von Lukas geschrieben.
3.2 Das Johannesevangelium
Das Evangelium des Johannes wurde gegen Ende des 1. Jahrhunderts (90 - 100) geschrieben und wird seit alters
her das "geistliche Evangelium" (Clemens von Alexandrien, um 200 n. Chr.) genannt. Das Evangelium nennt den
Namen des Verfassers nicht, beruft sich aber auf das Zeugnis des von Jesus geliebten Jüngers, welcher der Sohn
des Zebedäus und der Bruder des Jakobus ist. Später hinzugefügt ist wahrscheinlich das so genannte
Nachtragskapitel (21). Es stammt nicht vom Evangelisten selbst, sondern aus seinem Schülerkreis.
1. Das Verhältnis zu den Synoptikern oder die Eigentümlichkeiten des Evangeliums
Johannes hat keines der synoptischen Evangelien als literarische Vorlage benutzt. Was erstaunt, ist die große
Freiheit, mit der er die Jesusüberlieferung gestaltet. Obwohl der Rahmen des Wirkens Jesu dem der anderen
Evangelien entspricht, sind die Unterschiede doch erheblich.
Gemeinsamkeiten mit den anderen Evangelien: Joh hat mit den synoptischen Evangelien die Erzählfolge von
der Taufe (bei Johannes) bis zur Auferstehung und eine Reihe von Berichten gemeinsam (z.B. Johannes der
Täufer; Tempelreinigung, Heilung des Sohnes des Hauptmannes; Brotwunder und Seewandel; Salbung in
Betanien; Leidensgeschichte und Auferstehungsberichte).
Unterschiede zu den anderen Evangelien: Es unterscheidet sich von den synoptischen Evangelien durch die
Länge seiner Reden, v.a. durch die ganz eigene Denk- und Sprechweise.
Wesentliche Themen kehren immer wieder: Wahrheit, Offenbarung, Glauben, Bleiben in Jesus, "Ich bin - Worte".
Weiters unterscheidet sich Joh von der synoptischen Darstellung u.a. durch folgende Besonderheiten:
- Während die Synoptiker dem Wirken Jesu in Galiläa große Aufmerksamkeit widmen, lässt der 4. Evangelist Jesus
hauptsächlich in Judäa (und hier vor allem in Jerusalem) auftreten.
- Nach der synoptischen Chronologie scheint Jesus nur etwa ein Jahr in der Öffentlichkeit gewirkt zu haben, denn
wir hören nur von einem Paschafest, dem seines Leidens und Sterbens. Dagegen erwähnt Joh, dass Jesus
wenigstens an drei Osterfesten und auch an anderen Festen in Jerusalem war, so dass die Zeit seines
öffentlichen Wirkens mindestens zwei Jahre umfasst.
- Der bei den Synoptikern zentrale Begriff der "Königsherrschaft Gottes" begegnet bei Joh nur zweimal. Seine
Stelle nimmt bei Joh der Begriff Leben, ja letztlich die Person Jesu selber ein.
- Ebenso fehlen die Begriffe Kirche und Apostel, und von den "Zwölf" ist nur selten die Rede. Jesus erscheint
persönlich mit seinen Jüngern, gelegentlich auch mit seiner Mutter und seinen Brüdern.
- Die Tempelreinigung steht am Beginn der Auseinandersetzung mit den Juden. Bei den Synoptikern bildet sie den
unmittelbaren Anlass für die Verurteilung Jesu. Die Juden sind bei Johannes die Gegner Jesu, sie sind jene, die
sich der Botschaft Jesu verschlossen haben. Für "die Juden" kann gleichbedeutend auch "die Welt" stehen.
- Die für den synoptischen Jesus so typischen "Jesusworte" oder Spruchgruppen, vor allem die Gleichnisse, fehlen
bei Joh fast ganz. Bei ihm spricht Jesus vielmehr in theologisch inhaltsreichen Bildreden (z.B. Hirtenrede in Kap.
10; Weinstockrede in Kap. 15).
- Im Großen und Ganzen berichtet Joh die Ereignisse des Lebens Jesu konkreter als die anderen Evangelien. Die
Wunder sind anschaulicher, ins Einzelne gehend geschildert; es finden sich viele Einzelheiten und Ortsangaben,
die bei den Synoptikern fehlen.
2. Jesus, der Offenbarer
2.1 Die Offenbarung durch Worte und Zeichen
Die Offenbarung geschieht zunächst vor der Welt, dann nur noch im Kreis der auserwählten Jünger. Man könnte
die Thematik der beiden Teile mit den Worten aus dem Prolog überschreiben: "Er kam in sein Eigentum, aber die
Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden" (Kap1).
Jesu Worte und Zeichen sind eine Offenbarung, durch die Jesus seine Verbindung mit dem Vater enthüllt und die
Menschen zur Entscheidung ruft. Doch die Welt lehnt Jesus ab.
Wunder sind Zeichen
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Jesus offenbart sich als der von Gott gesandte Sohn durch Wunder und durch die für das vierte Evangelium
typischen Offenbarungsreden.
Zeichen: Joh nennt die Wunder Zeichen. Wer sie zu deuten versteht und ihnen folgt, kommt zu Jesus.
Joh hat die Wunderberichte einer vorliegenden Sammlung (der so genannten "Zeichenquelle", die Jesus vor allem
als Wundertäter schildert) entnommen. Vier von den sieben Wundern, die er berichtet, sind nicht bei den
Synoptikern zu finden (Weinwunder: 2,1-11; Heilung des Lahmen: 5,1-9; Heilung des Blinden: 9,1-7;
Auferweckung des Lazarus: 11,17-44).
In den Reden und Dialogen erklärt er, wer er ist:
Reden: Den größten Teil des Joh machen die "Reden" aus (Kap. 3; 4; 6; 8; 10; 15; 17). In ihnen erhebt Jesus
immer wieder den Anspruch, der von Gott gesandte Offenbarer und einzige Vermittler des Heils zu sein. Zwei
Welten oder Macht- und Einflussbereiche scheinen einander gegenüberzustehen: der Bereich des Vaters, der der
Offenbarer angehört, aus der er "herabkommt", und die Welt, zu der die Menschen gehören, die das erlösende
Wort des von Gott gesandten Sohnes und Retters noch nicht erreicht hat oder die ihm den Glauben versagt
haben.
Die lichte und die dunkle Welt: Anklänge an die Gnosis
Die "menschliche Welt" erscheint als Finsternis, Tod, Lüge, Fleisch oder einfach als die Welt. Ihr steht die "göttliche
Welt" als der Bereich des Lichtes, des Lebens, der Wahrheit, des Geistes, als der Himmel gegenüber. Zwischen
den Angehörigen der beiden Welten besteht eine grundsätzliche "Kommunikationsunfähigkeit" und ein in ihren
verschiedenen Wesen begründetes Missverständnis, das sich bis zu Feindschaft, Hass und Vernichtungswillen der
"unteren Welt" gegenüber der "oberen" steigern kann (vgl. z.B. 8,37-59).
Johannes (Joh) hat bei der Verwendung dieser so genannten dualistischen Sprache an Anschauungen seiner
Umwelt angeknüpft, um ihr die Christusbotschaft nahe zu bringen. Dort gab es nämlich die Vorstellung einer
oberen Welt des Lichtes, aus der der Erlöser herabkommt, um die Menschen aus der Gefangenschaft der Welt der
Finsternis zu befreien. Da sich diese Erlösung durch Erkenntnis vollzog, nennt man diese Heilslehre Gnosis (das
heißt Erkenntnis). Joh hat sie nicht einfach unverändert übernommen, sondern sie durch seinen Glauben
umgeformt. Der Mensch kann sich der Verstrickung mit der finsteren Welt nicht selbst befreien, vielmehr muss der
Mensch neu geboren werden. Die Macht, die ihn verwandelt, ist nach Joh der Geist. "Wenn jemand nicht aus
Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen". Diese Geburt aus dem Geist
bedeutet, dass ein Ungläubiger zu einem Gläubigen wird. Der Glaube ist der Übergang vom Tod zum Leben, von
der Finsternis zum Licht. "Wer glaubt, hat das ewige Leben", heißt die kürzeste aber auch entscheidende Formel.
2.2 Die Offenbarung Jesu in den "Ich bin - Worten"
Verdichteter und zusammenfassender Ausdruck der Selbstoffenbarung Jesu sind bei Joh die so genannten "Ich bin
- Worte". In ihnen bietet sich Jesus als Antwort auf die Sinnfrage des Menschen an. Das absolut gebrauchte "Ich
bin" findet sich bereits im Alten Testament als göttliche Offenbarungsformel. Mit ihr hatte sich Gott dem Mose
geoffenbart (Ex 3,14). Mit dieser Formel offenbart Gott sich als der, der für die Menschen da sein will. Wenn nun in
den Evangelien auch Jesus dieses göttliche "Ich bin" spricht, dann kann das nur bedeuten: In diesem Jesus
begegnet man jenem Gott, der sich im Alten Testament als der "Ich bin da" offenbarte. Jesus hat den Inhalt dieses
"Ich bin" entfaltet, indem er ein Bildwort oder einen Heilsbegriff hinzufügt, die verdeutlichen, was er für die
Menschen ist bzw. wer er ist. In sieben "Ich bin - Worten" soll Jesu einzigartiger Anspruch und seine
Heilsbedeutung offenbar werden. So lauten sein Anspruch und seine Verheißung:
Ich bin das Brot des Lebens (6,35.48)
Ich bin das Licht der Welt (8,12)
Ich bin die Tür (10,7.9)
Ich bin der gute Hirt (10,11.14)
Ich bin die Auferstehung und das Leben (11,25)
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6)
Ich bin der (wahre) Weinstock (15,5)
3. Der "Zweck" des Evangeliums
Am ursprünglichen Schluss seines Evangeliums gibt der Evangelist den Zweck seiner Schrift an: Er hat dieses
Evangelium geschrieben, "damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist, und damit ihr durch den
Glauben das Leben habt in seinem Namen". Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. "Denn Gott hat
die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrundegeht,
sondern das ewige Leben hat".
4 Das erste Kapitel der Genesis, die Naturwissenschaft und die Gottesfrage
4.1 Schöpfung und Evolution
Zwischen Naturwissenschaft und Glaube kam es im Lauf der Geschichte immer dann zu gegensätzlichen
Standpunkten, wenn eine der beiden Seiten die eigenen Grenzen überschritt und sich wissenschaftsfremde oder
religionsfremde Kompetenzen anmaßte. Dem Glauben geht es nicht bloß um die Frage, wann und wie der Kosmos
materiell entstanden und der Mensch aufgetreten ist, sondern es geht um den Sinn dieses Werdens: Ob es durch
Zufall, durch ein blindes Schicksal, eine namenlose Notwendigkeit bestimmt wird oder aber von einem intelligenten
und guten höheren Wesen, das wir Gott nennen.
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Die Vertreter der Evolutionstheorie wiesen nicht nur auf bestimmte auffällige biologische und
paläontologische Fakten hin, sondern verbanden damit fast ausnahmslos eine mechanistische, atheistische
Weltanschauung.
Die Theologen wiederum meinten, mit dem Schöpfergott und seiner Schöpfung aus dem Nichts zugleich auch
das alte Weltbild der Bibel verteidigen zu müssen.
Katholischerseits muss hier der ebenso faszinierende wie von der Kirche beargwöhnte Vermittlungsversuch
von P. Teilhard de Chardin genannt werden, der die Kosmogenese (Entstehung des Universums), Biogenese
(Entstehung des Lebens), Anthropogenese (Menschwerdung) und Christogenese (Entfaltung des
Christusgeheimnisses) als zielgerichtete Entwicklungsstufen der Gesamtwirklichkeit versteht.
1. Die Menschheit – von Gott erschaffen?
Die Naturwissenschaft kennt eine "Evolution zum Leben" (das Organische "entspringt" gewissermaßen aus
dem Vororganischen) und die Höherentwicklung alles Lebendigen, basierend auf dem Prinzip der Selektion
und der sprunghaften Mutationen (unter Vermehrung des Informationsgehalts im Erbgut der DNA).
Kirche und Theologie hingegen haben durch buchstäblich - historische Auslegung der biblischen
Schöpfungserzählungen diese Theorie zunächst bekämpft, dann aber die Richtigkeit eines gemäßigten
Evolutionismus erkannt. Noch 1909 spricht ein Dekret der röm. Bibelkommission von der Genesis als
"Erzählungen wirklich geschehener Dinge, die der objektiven Realität und historischen Wahrheit entsprechen", so
u.a. "die besondere Erschaffung des Menschen, die Bildung der ersten Frau aus dem ersten Menschen, die Einheit
des Menschengeschlechts". In der 2.Hälfte des 20. Jh. gab es hingegen viele Stellungnahmen der katholischen
Kirche, die eine Evolution als gegeben annehmen. Papst Johannes Paul II anerkannte die Impulse, die von
Charles Darwin ausgingen: Oktober 1996: „Neue Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die
Evolutionstheorie mehr als nur eine Hypothese ist."
2. Problemfeld "Evolution des Menschen":
- Hl. Schrift: Die beiden Schöpfungserzählungen (Gen 1, Gartengeschichte und 7-Tage-Hymnus) sind keine
Tatsachenberichte. Sie wollen weder über das WIE der Schöpfung noch über das Verhältnis Tier - Mensch
eine Aussage machen. Nur das Verhältnis des Menschen bzw. der Welt zu Gott steht in bildhafter Darstellung
im Blickpunkt der Erzählung. Es sind poetische Symbolerzählungen, die sich mit den Fragen "Warum
existiert etwas und nicht vielmehr nichts?" und "Wer freut sich, dass Menschen im Kosmos entstehen?"
beschäftigen. Die Bibel beantwortet die Frage OB Gott die Welt erschafft (in jedem Augenblick) und WIE er in
Beziehung zu den Menschen handelt. Adam (wörtlich: Erdling) und Eva (wörtlich: Leben) sind Symbolfiguren
für die gesamte Menschheit: „Wir sind Adam und Eva“.
- Kirchl. Lehramt: 1950 erschien die Enzyklika "Humani generis" von Pius XII. mit einem gemäßigten
Evolutionismus: Der Evolutionärer Ursprung des menschlichen Leibes aus schon existierender und lebender
Materie, aber Gott erschafft unmittelbar die Geistseele.
1962/65 stellet das II. Vat. Konzil fest, dass die gegenwärtige Menschheit "einen Übergang von einem mehr
statischen Verständnis zu einem mehr dynamischen und evolutiven Verständnis" vollzogen hat. GS 5.
- Theologie: Karl Rahner: Sah, dass eine Aufspaltung des Menschen in Leib und Seele auch biblisch unmöglich
ist. Die Menschen befinden sich in einem Prozess der "Geist - Werdung", d.h. sie überschreiten sich selbst aus der
tierischen Psyche. Dies wird von Gott ermöglicht und getragen.
Papst Johannes Paul II erkennt im Oktober 1996 die auf Charles Darwin zurückgehende Evolutionstheorie als mit
dem Glauben vereinbar an. Der Papst wörtlich: "Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der
Enzyklika (von 1950), geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu
sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in
unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes
und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames
Argument zugunsten dieser Theorien dar." (22. Oktober 1996)
Das Problemfeld "Monogenismus" (Biolog. Ursprungseinheit der Menschheit, nur ein Urpaar):
Die Naturwissenschaft vertrat einen Polygenismus, d.h. die Menschwerdung (Hominisation) geschah in einer
Population, entweder gleichzeitig an verschiedenen Orten der Erde (Afrika, Ostasien) oder, was heute der
Konsens ist, an einem Ort, nämlich in Zentralafrika.
Das kirchliche Lehramt hielt mit Blick auf die in der Schrift (Röm 5,12-19) grundgelegte Erbsündenlehre (vgl.
Humani generis von Pius XXII, 1950) lange Zeit am Monogenismus (nur ein Menschenpaar) fest.
Symbolismus: Das Urelternpaar Adam und Eva sind Symbolfiguren für uns Menschen. Adam hat nicht gelebt Adam sind wir. Eva ist nicht irgendwann versucht worden - wir sind Eva und wir werden versucht.
K. Rahner: Gott ermöglicht den "Selbstüberstieg" des biologisch gezeugten Körpers hin zur Geistseele. Wir
Menschen sind im Werden. In uns vollzieht sich die Evolution zum Subjekt als Ziel der Entwicklung. Gott ist der
Förderer und Ermöglicher des Prozesses.
Selbsttranszendenz, ein vor allem von K. Rahner († 1984) in der Theologie in zentralen Zusammenhängen
verwendeter Begriff. Er setzt die Überlegung voraus, dass Gott in seiner Schöpfung wirkt. Er wirkt aber nicht als
eine Ursache unter anderen Ursachen. Vielmehr wirkt Gott, indem er die Selbstüberschreitung ermöglicht. Fälle, in
denen eine solche Selbsttranszendenz ernsthaft in Betracht gezogen werden könnten, sind das Entstehen von
Leben aus anorganischer Materie, das Werden von menschlichem Bewusstsein aus tierischen Vorgegebenheiten
(Hominisation), die Zeugung eines Kindes und dabei die Schaffung eines neuen Menschen, die Öffnung eines
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Subjekts in Liebe, die Transformation der menschlichen Existenz im Tod und die des Kosmos bei der Vollendung
der Schöpfung.
3. Das Böse in der Evolution und die Aufgabe der Menschen
a. Das Böse in der Evolution:
Die Evolution ist nach dem Biologen Stephen Jay Gould unübersichtlich, verschlungen und wenig zielgerichtet.
Mutation und Selektion, unberechenbare Änderungen samt Auslese sind dem Zufall unterworfen. Der Zufall
reagiert über Leben und Tod: sinnloses Leid, Fressen und Gefressen werden. Ein seelenloses, grausames
Schauspiel. Der Biologe Richard Dawkins: „Das Universum, das wir beobachten, hat genau die Eigenschaften, mit
denen man rechnet, wenn dahinter kein Plan, keine Absicht, kein Gut oder Böse steht, nichts außer blinder,
erbarmungsloser Gleichgültigkeit.“ Die Christenheit sieht das anders. Gott ist in der Evolution anwesend und
ermöglicht die Weiterentwicklung. Evolutionäres Ziel ist ein Bereich des Guten.
b. Die kulturelle Evolution:
Der Theologe Gerd Theißen unterscheidet zwischen biologischer und kultureller Evolution. Die biologische
selektiert, die kulturelle Evolution mindert die Selektion und ist eine Gegenbewegung zur biologischen.
In der Bibel sieht Theißen einen antiselektionistischen Protest: Im Reich Gottes haben die Schwachen den gleichen
Wert, wie die Starken. „Der Gott, der sich in der Bibel offenbart, will die Menschen aus den Gesetzen der
biologischen Evolution hinausführen: in sein Reich, wo die Benachteiligten und Kranken zusammen mit den
Gesunden und Bevorzugten zur Geltung kommen.“ Antiselektionismus ist der gemeinsame Nenner für Gottes
Handeln und das seinem Handeln entsprechende menschliche Verhalten.
4. Neuere Überlegungen: Gott als Speicher und Zusammenhalt
Der Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead: Die Wirklichkeit besteht aus Einzelereignissen, die wie
Lichtblitze aufleuchten und freies Spiel haben. Sie können aufbauend oder zerstörend sein, gut oder schlecht. Gott
stellt sich in diesem Prozess die Aufgabe, jedes Ereignis in sich aufzunehmen, zu speichern und die Erinnerung
daran zu bewahren. Jedes Ereignis hat dadurch Bedeutung.
5. Macht und Selbstbeschränkung
Der Theologe Jürgen Moltmann ist der Ansicht, dass Gott sich beim Schaffen der Welt selbst beschränkt. Diese
Überlegung geht auf die Tradition der jüdischen Kabbala zurück. Auch der Philosoph Hans Jonas vertrat eine
ähnliche Position. Gott schränkt seine Allmacht ein, um eine freie Schöpfung entstehen zu lassen. Durch
Selbstkontraktion entstand der Raum, wo Gott erschaffen konnte. Dieser leere Raum ist notwendig, um den
Kosmos aus dem Nichts zu erschaffen. Das Nichts ist die Bedingung für die Freiheit, und damit ist das Nichts auch
für das Negative die Bedingung. Das Nichts gibt die Möglichkeit zum Bösen, zur Zerstörung.
Gott überlässt die Welt aber nicht sich selber: Durch das Leben Jesu bricht das Reich Gottes an, eine Phase der
Partnerschaft zwischen dem sich selbst eingeschränkten allmächtigen Gott und den freiwerdenden Menschen.
4.2 Schöpfungsgeschichte im naturwissenschaftlichen Weltbild
Am Anfang der Welt war Gott. Er war klarer Geist und reine Energie. Er schuf einen Raum, in dem nichts
war. In diesen Raum hinein setzte er einen unendlich heißen Punkt, der sich wie ein Feuerball nach allen Seiten
ausdehnte. Er machte diesen Anfang vor 15 Milliarden Jahren.
Gott ließ das Universum sich nach allen Seiten ausdehnen. Die erste Phase dauerte bis 10 hoch minus 43
Sekunden (eins dividiert durch eine Zahl mit 43 Nullen). Die Temperatur war unbeschreiblich groß. Es gab noch
keine Dimensionen (keinen Raum, keine Zeit). Die vier Grundkräfte waren in einer Urkraft vereint.
Gott schied die Gravitationskraft von der Urkraft und es entstand eine Mischung von Quarks, Antiquarks,
Gluonen, Leptonen, Antileptonen, Photonen, W- und Z- Teilchen. Die zweite Phase dauerte bis 10 hoch minus 34
Sekunden nach dem Urknall. Die Temperatur betrug 10 hoch 32 Grad.
In der dritten Phase trennte Gott die starke Kraft von der Urkraft und am Ende dieser Phase teilte er die
Urkraft in elektromagnetische Kraft und schwache Kraft. Die dritte Phase dauerte 10 hoch minus 10 Sekunden
nach dem Urknall.
In der vierten Phase vereinigte Gott die Gluonen mit den Quarks zu Protonen und Neutronen. Er kühlte
das Universum ab, damit sich die Protonen und Neutronen zu Atomkernen formieren konnten. Diese vierte Phase
dauerte bis 100 Sekunden nach dem Urknall.
In der fünften Phase kühlte Gott das Universum auf 1000 Grad Celsius ab, sodass die negativ geladenen
Elektronen von den positiv geladenen Atomkernen eingefangen werden konnten. Er freute sich über die ersten
Elemente. Diese fünfte Phase dauerte eine Million nach dem Urknall.
In der sechsten Phase ließ G1ott die Galaxien und Sterne entstehen. Die ersten entstanden eine Milliarde
Jahren nach dem Urknall. Unsere Sonne ließ er zehn Milliarden Jahre nach dem Urknall entstehen.
In der siebenten Phase ließ er es zu, dass auf einigen Planeten Leben sich entwickelte.
In der achten Phase freute er sich über Lebewesen, die mit Bildern, Werkzeugen und Worten eine eigene
Welt erschufen.
4.3 Schöpfung: Gott gibt von seinem Leben weiter
Eine Montage von poetischen Bibeltexten und poetischen Evolutionstexten:
1. Tag: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf
der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
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Und Gott sah dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die
Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
2. Tag: Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den
Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und
es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
3. Tag a: Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, dass man
das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser
nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. Genesis 1,1-10
Vor allen Anfängen war Gott, unfassbar großartig, majestätisch und schön, war Macht und ständiges
Werden, ungedacht und unverfügbar wie jenseits von Raum und Zeit, nicht zu bannen in Phantasie und Gedanken
der Menschen.
Und dann setzte Gott einen Anfang vor sechzehn Milliarden Jahren, eine Urexplosion, unvorstellbar im
Ausmaß. Ins Dasein rief er die Welt mit unzähligen Möglichkeiten. Und Gott schuf die Materie, Elementarteile eng
gepackt, in höchster Glut zerstrahlend zu Licht Und er ließ darin Elemente entstehen, Wasserstoff und Helium, die
Bausteine des Alls.
Und Gott blieb am Werk: Feurige Orkane rasten in den Raum. Massen von Gas verklumpten zu Materie
und stürzten zusammen zu Sternenwelten. Anziehungskräfte bildeten und verstärkten sich, und die Sterne glühten
auf, zerfielen in unsagbarer Hitze, verstrahlten sich oder erkalteten, rotierten als Milchstraßen mit Milliarden von
Sonnen, umkreist von Planeten und Monden. So schuf Gott das All bis auf den heutigen Tag, den leuchtenden
Sternenhimmel der klaren Nächte wie eine Erinnerung an seine Schöpfernacht Da ward aus dramatischen
Abläufen die Zeit gegeben von Gott.
Und mit anderen Planeten sonderte Gott auch die Erde aus und gab ihr eine entwicklungsfähige Gestalt Im
Innern war sie Glut, aber die Oberfläche erkaltete zu einer Kruste von Stein. Und Gott formte die Erde, Kräfte
entluden sich, und unter Beben verschoben sich innere Massen, Gebirge warfen sich auf und bildeten Höhen und
Tiefen, Risse, Gräben und Senken, und in den Spalten des Steins wuchsen Kristalle und Erze. Und Gott trug die
Entwicklung der Erde. Durch seine Schöpfermacht schütteten Vulkane Lava und Asche aus über weite, weite
Flächen. Unmengen von Gasen und Wasserdampf entwichen und bildeten einen dunstigen Schleier um den
Planeten. Zu Tropfen kondensiert stürzte Regen herab und füllte die Senken zu Seen und Meeren samt ihren
Wasserdampf. So wurde die Erde ein schöner blauer Planet im schwarzen Himmel, von der Sonne bestrahlt, sich
drehend in Tagen Und Nächten und Jahreszeiten.
Mit Säuren schuf Gott das Wunder des Lebens
3. Tag b: Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare
Bäume auf Erden. die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so. Und die
Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte
tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah. dass es gut war. Da ward aus Abend und
Morgen der dritte Tag.
5. Tag: Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf
Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon
das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art und Gott
sah, dass es gut war. Und Gott segnete sie und sprach.' Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser
im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
6. Tag a: Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art. Und es
geschah so. Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. und das Vieh nach seiner Art und
alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Genesis 1., 11-13.20-25
Und lange danach vor mehr als drei Milliarden Jahren, bildete Gott den Urstoff des Lebens, die
Nukleinsäuren, und verband sie zu Molekülen und Zellen, die sich vermehrten. Eiweißverbindungen wuchsen als
einfache Muster, Einzeller im Wasser. Und Gott schuf ihre Selbständigkeit und Bewegung, ihre Anfänge und ihr
Ende. Gott gab von seinem Leben weiter, ein widergespiegeltes Geheimnis und doch ein Abbild, unendlich oft,
aber begrenztes, hinfälliges Leben zwischen Werden und Vergehen, zwischen Vermehrung und Veränderung, So
wuchs das Leben - nichts anderes als Abhängigkeit von Gott.
Und mit geschaffenem Leben veränderte Gott das Antlitz der Erde. Er ließ aufgehen eine Fülle von
Pflanzen im Wasser und auf dem Festland. Er schuf Algen und Tange, Farne und Schachtelhalme, Moose und
Pilze.
Da entstanden Wälder und Sümpfe, Brutstätten üppiger Entwicklungen in Gräsern und bunten Blüten. Und
all die Pflanzen wuchsen sich aus in die Weite der Erde mit Sporen und Samen und Früchten.
Und Gott ließ aufgehen den Reichtum der Tierwelt aus den Einzellern im Wasser.
Es bildeten sich Weichtiere und Krebse und Fische im Meer. Und an den Ufern breiteten sich Lurche und
Kriechtiere. Und die Erde ward bevölkert von vielgestaltigen Sauriern, Vögel erhoben sich in die Lüfte, Säugetiere
durchwanderten das Land und drangen vor bis in die kalten Zonen.
Und überall gab es Insekten. Und alle die Tiere kämpften ums Dasein, um Nahrung, um Fortpflanzung und
ums Überleben.
Arten entstanden und starben wieder, doch immer reicher wurde die Vielfalt der Lebewesen. Und sie füllten
die Erde mit fast zwei Millionen Arten, beispiellose Wunder des Lebens, wandelbare Spuren göttlicher
Schöpfermacht.
16
Zur Liebe und Sprache befreit – Der Partner Gottes
6. Tag b: Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen
über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes
und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes
schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und
mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan. Genesis I,26-28a
Und Gott wollte den Menschen, ein sichtbares Bild seiner Herrschaft auf Erden.
Nicht als einen Sklaven ohne Ich wollte er ihn, sondern frei, nicht als Marionette, sondern als
bündnisfähigen Partner. Und Gott beschenkte den Menschen mit Intelligenz und eigenem Willen, mit Phantasie
und Gefühlen, mit Selbstvertrauen und Tatkraft und mit der Fähigkeit zur Liebe.
Und Gott ließ die Menschheit werden über Millionen Jahre hinweg, Aus niederen Stufen stieg auf das
Menschenwesen mit höher entwickeltem Gehirn und mit erwachendem Bewusstsein. Und Gott ließ die Menschen
aufwachsen im Dunkel undurchdringbarer Vorgeschichte aus den Vormenschen. Halbaffenmenschen, aus
Lebewesen, die ihren Gang aufrichteten. Aus Urwäldern, aus dem Dschungel kamen sie und drangen vor in die
Savannen, in offene Landschaften, mit ersten Werkzeugen und Waffen, In Gruppen lebten sie - füreinander, und
gaben sich Schutz und Hilfe.
So wurde der Mensch ein Ebenbild Gottes, und Gott verlieh ihm die Gabe, Laute zu bilden und Worte zu
formen, Begriffe zu ersinnen und Namen zu geben, um seine Erfahrungen auszuwerten Und Gott schenkte dem
Menschen das Vermögen, sich mitzuteilen, einem anderen zuzuhören und ihn zu verstehen.
So schuf Gott den Menschen, ein offenes, entwicklungsfähiges Wesen in der Gemeinschaft, begabt, die
Natur zu beobachten, ihre Gesetze zu erkennen und sich dienstbar zu machen. Und der Mensch wurde ein Partner
Gottes, frei zu verantwortlichem Leben, geschaffen, Gottes Größe und Liebe zu erahnen, seine Stimme zu
vernehmen und ihn zu erkennen im Glauben.
7. Tag: Gott ruhte am 7. Tag
5 Wiedergeburt und Auferstehung, Himmel und Hölle, Esoterik
5.1 Reinkarnationslehre in Ost und West
"Ich muss im früheren Leben eine Reblaus gewesen sein", sang Hans Moser in einem Wienerlied. Gibt es
Erfahrungen, die darauf hinweisen, dass wir schon einmal gelebt haben? Seit Schopenhauer im vorigen
Jahrhundert die Liebe zu Indien entdeckte, gibt es Europäer, die felsenfest an die Wiedergeburt glauben.
In den Lehren von Rudolf Steiner kommt der heilige Michael als Seelenführer, um die Seele nach dem Tod in einen
für sie richtigen Körper zu platzieren.
Indien
In Indien glauben die Hindus an die Wiedergeburt, aber sie finden sie unangenehm und möchten ihr entfliehen. Aus
dem Rad der Wiedergeburten, wie sie es nennen, suchen sie hinauszufinden: Durch Riten und Opfer, durch
Nächstenliebe und durch Yoga. Ähnlich ist es bei Buddhisten, die durch Meditation die Wiedergeburten überwinden
wollen.
Unschuldige haben ein schlechtes Karma
Was stört sie alle an der Wiedergeburt? Sie glauben, dass das angesammelte Karma - das sind die guten und
schlechten Taten - für das nächste Leben ausschlaggebend ist. Gute Taten und viele Riten ermöglichen ein
Leben in der Oberschicht, schlechte Taten schicken das Lebewesen in die unteren "Kasten" oder sogar in die
Tierwelt. Es ist eine Mechanik, der sogar die Götter unterliegen.
Unschuldige werden ermordet, so die Wiedergeburtsgläubigen, weil sie im früheren Leben schlechtes Karma
angesammelt haben. Ein Völkermord wie die Ermordung der Juden wird hier sehr einfach erklärt: Alle hatten ein
schlechtes Karma. Hindus und Buddhisten nehmen an, dass diese Mechanik millionenfach weitergeht und
tausende von Welten durchläuft. Deshalb ist es verständlich, wenn Hindus und Buddhisten Auswege suchen und in
der Wiedergeburt keine Zukunft sehen.
Der strafende Gott
Anders ist es bei Europäern, die mit der Wiedergeburt die Hoffnung verbinden, dass ihre Persönlichkeit wächst und
sie immer vollkommener werden. Mit der Wiedergeburt könne man, so der Glaube, in einem späteren Leben
Fehler des jetzigen Lebens ausgleichen. Ein Gott, der uns die Vollkommenheit schenkt, ist nicht notwendig. Alles
beruht auf individueller Leistung. Die Reinkarnationslehre geht von einem Gott oder einer kosmischen Kraft aus,
der oder die fehlerhafte Menschen bestraft. Daher müsse der Mensch die Chance haben, einen zweiten und dritten
Versuch eines geglückten Lebens zu starten.
Dabei muss vieles mitbedacht werden. Unsichtbare Kräfte müssen helfen, um das Springen von einem Körper zum
nächsten zu ermöglichen. Sie sind auch notwendig, um das endgültige Ziel zu ermöglichen - den Himmel. Denn
irgendwann ist der vollkommene Zustand erreicht und dann kann das Paradies als Lohn für die Mühe erreicht
werden.
Ein Bekannter erzählte mir, er müsse sich anstrengen, denn eine Wahrsagerin hätte ihm geweissagt, dass er die
siebente und letzte Wiedergeburt ist. Er wirkte, als lastete auf ihm ein schrecklicher Druck. Wenn er die
Vollkommenheit nicht schafft, muss die Seele von vorne anfangen.
17
Das geschenkte Leben
Die christliche Auffassung unterscheidet sich von diesem Seelensurfen durch das Konzept des einmaligen Lebens
und des Überwechselns der ganzen Person (auch mit den körperlichen Seiten) ins Paradies. Da gibt es keine
Karma - Mechanik, sondern da begegnet der Mensch dem Sinn des Ganzen, dem einen Gott.
In der christlichen Auffassung schenkt der lebendige Gott uns Menschen die Vollkommenheit. Wir Menschen
werden, so das Christentum, schon seit Beginn unserer Existenz beschenkt, ohne etwas dafür geleistet zu haben.
Das Christentum zeigt sich darin als Religion, die nicht auf einem System der Belohnung für Leistung, sondern auf
einem System der Schenkung beruht.
Psychosomatik
Die christliche Auffassung geht von der Erfahrung aus, dass Seele und Leib eine Einheit ist. Viele
psychosomatischen Phänomene weisen darauf hin. Christen glauben in diesem Zusammenhang an die
Auferstehung des "Fleisches", was im Griechischen (Sarx) Lebewesen und Mensch bedeutet, und die körperliche
Seite betont.
Reinkarnation und christlicher Glaube, Begriffsbestimmung:
Reinkarnationslehre meint, der unsterbliche Teil des Menschen (Seele, Atman) gehe nach seiner Trennung vom
Leib im Tod eine neue Leibverbindung ein.
,,Wie der Mensch abgetragene Kleider ablegt und andere, neue anzieht, so legt die Seele die abgetragenen Körper
ab und geht in andere, neue ein." (Bhagavadgita Nr. 2122)
Meistens verbindet sich die Karmalehre mit der Reinkarnationslehre. Danach bestimmt der Mensch durch sein
eigenes Verhalten seine künftigen Daseinsformen, wie er umgekehrt in diesem Leben durch sein Verhalten in
früheren Existenzen determiniert ist. Darum sollte er sich bemühen, durch ein moralisch einwandfreies Leben gutes
Karma zu produzieren.
Im Einzelnen findet sich diese Überzeugung verschieden ausgeprägt:
Im Osten (Hinduismus, Buddhismus): Last der Wiedergeburten. Gutes Karma bewirkt Gutes für
kommendes Leben, hilft aber nichts für die endgültige Befreiung.
(samsara). Erlösungssehnsucht richtet sich auf die Befreiung vom Zwang der Wiedergeburten. Letztes Ziel ist
zumeist das volle Einswerden des Atman mit dem göttlichen Seinsgrund (Aufgehen des Atman im Brahman).
Im Westen (zumindest seit Rudolf Steiner) genau umgekehrt: Je öfter wiedergeboren werden, desto
besser. Reinkarnation ist Glück des Menschen, weil e i n Leben nicht ausreicht, um das menschliche
Lebenspotential auszuschöpfen. Die Kette der Wiedergeburten dient so der restlosen Selbstverwirklichung des
Menschen.
,,Wiedergeburt" im Neuen Testament
Auch das Neue Testament spricht von einer Wiedergeburt:
,,Amen, ich sage euch: Wenn die Welt neu geschaffen (wörtlich: wiedergeboren) wird und der Menschensohn sich
auf den Thron der Herrlichkeit setzt, werdet ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, ebenfalls auf 12 Thronen sitzen ...,, (Mt
19,28).
Jesus antwortete dem Nikodemus: ,,Amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird,
kann er das Reich Gottes nicht sehen. Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in
das Reich Gottes kommen." (Joh 3,3.5)
Beide Texte meinen Wiedergeburt nicht im Sinn der Reinkarnationslehre; Mt 19 ist von apokalyptischer Denk- und
Sprechweise über das Ende geprägt; Joh 3 will eine Reflexion über die christliche Taufe sein.
Grundsätzliches zur Beurteilung
Biblisch verstandene Wiedergeburt und Reinkarnationslehre meinen etwas wesentlich Verschiedenes.
Biblisch - christliches Heil ist nicht Produkt einer langen Entwicklung und Selbstvervollkommnung, sondern Gnade
und Gabe Gottes.
Schuldloses Leiden ist im Sinn der Reinkarnationslehre durch schuldhaftes Handeln in einem
vorhergehenden Leben verursacht. - Die fatalen Konsequenzen einer solchen Vorstellung zeigt der millionenfache
Mord an ganzen Völkern (Armenier, Juden). Dann wären jeder einzelne und das ganze Volk schuld daran!
Christliches Denken überwindet die Mechanik der Karmalehre (Ursache - Wirkung; wenn - dann): ,,Wo
jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden" (Röm 5,20). Gott hat andere Maßstäbe
(vgl. das Gleichnis von den Arbeitern der letzten Stunde, die den unverkürzten Tageslohn erhalten - Mt 20). Jesus
widersetzt sich Gegnern, die nach der Schuld des Blindgeborenen fragen (Joh 9).
Biblisches Gottesbild: Gott ist ein persönlicher Gott, Menschen und Welt überlegen. Die hinduistischen
Götter unterliegen wie die Menschen der Reinkarnation, sterben und werden als Menschen oder Tiere
wiedergeboren.
Die Einmaligkeit des Todes Jesu: Jesus ist ,,am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen" (Hebr 9,26.28).
Das biblische Menschenbild vertritt eine ausgeprägte Einheit von Leib und Seele: Der ganze Mensch ist von Gott
eingeladen und angefordert! Der Mensch ist einmalige Persönlichkeit, in seinem Personsein für immer geliebt. Gott
hat ihn beim Namen gerufen (Jes 43,2), Jesus betont die Kostbarkeit des Einzelnen und ruft zur Entscheidung hier
und jetzt auf; sie gilt auch für die Vollendung (Mk 8,38).
Diese Aufforderung zeigt auch die Verantwortung des Menschen für sein persönliches Ende. Wären
Entscheidungen revidierbar in beliebig vielen Leben, dann wäre die Unbedingtheit unserer Freiheit aufgehoben.
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Folgerung: Reinkarnationslehre löst keine Probleme, sondern verschleiert sie nur durch Verlagerung und
Verteilung auf beliebig viele Leben.
Wilhelm Busch hat die westliche Mentalität in unterhaltsamer bissiger Kritik so dargestellt:
Wohl tausendmal schon ist er hier gestorben und wiedergeboren, sowohl als Mensch wie auch als Tier, mit kurzen
und langen Ohren. Jetzt ist er ein armer und blinder Mann, es zittern ihm alle Glieder. Und dennoch, wenn er nur
irgend kann, kommt er noch tausendmal wieder.
5.2 Esoterik
Esoterik: prinzipiell kleine Gruppen mit großem Auserwählungsbewusstsein, keine Mission; z.B.: Rosenkreuzer,
Theosophie, Anthroposophie
1)Begriff. Esotéros, (griech.) nach innen gerichtet; allgemeiner Ausdruck für ,,Geheimwissen(-schaft)", ein Bereich,
der nur einem bestimmten Kreis von Eingeweihten zugänglich ist (z.B. Kabbala, Alchemie, Astrologie,
Rosenkreuzertum, Gnosis, Freimaurerei, Theosophie, aber auch von der Wissenschaft nicht anerkanntes, dennoch
überliefertes Wissen)
2)
Gemeinsame Aussagen:
a) Mikro- und Makrokosmos entsprechen einander (wie oben, so unten - Fundament der Astrologie)
b)Durch Initiation ("Einweihung") erhält man ein höheres, geheimes Wissen, damit tritt man in der "Seelenreise" in
verschiedene Sphären der jenseitigen Entwicklung ein (Reinkarnation).
c)Der Mensch besitzt einen "Astral - Leib" als einen feinstofflichen Organismus zwischen Körper und geistigem Ich
- Kern des Menschen.
3)
Esoterische Gemeinschaften: Die Mitgliederzahl ist relativ klein, die Ausstrahlung des Gedankengutes
jedoch enorm. Es mischen sich vier klassische okkulte Gruppen: Astrologie, Spiritismus, Ufologie und gnostisch esoterische Weltdeutung.
Selbsterlösung: Aus Sehnsucht nach einer ,,Überwelt" wendet sich der Mensch enttäuscht von der Welt ab, denn
materielle Orientierung bringt keine Erfüllung. So versucht der Mensch durch Gnosis (,,Erkenntnis") sich seiner
Ursprünge zu erinnern und sich seiner Teilhabe an der göttlichen Wirklichkeit bewusst zu werden. Dadurch
geschieht die Befreiung aus der materiellen Welt.
Grundprinzipien der Gnosis:
a)
Alles ist eins.
b)
Der Mensch ist ein aus sich göttliches Wesen.
c)
Bewusstwerden der göttlichen Natur durch ,,Erleuchtung", wozu jedoch keine Offenbarung (wie im
Christentum), sondern erfahrbares Wissen notwendig ist.
d)
Selbstverwirklichung führt zur Beherrschung spiritueller Technik, mit der der Mensch seine eigene
Wirklichkeit schaffen kann.
4)
Beurteilung
Die Gegenakzente des jüdisch - christlichen Denkens sind vor allem folgende: Nicht das eigene Ich ist das
Göttliche, sondern Gott ist das transzendentale Du, das uns erschaffen hat und dauernd mit seiner Liebe begleitet.
Daraus resultiert ein unterschiedliches Menschenbild und Folgerungen für das verantwortliche Handeln.
Hauptvorbehalte sind:
a)
Die Behauptung, die spirituelle Selbstfindung sei wie eine Technik erlern - und anwendbar.
b)
Die ,,Gottwerdung" aus eigener Kraft verwischt den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf.
c)
Für viele ist die Zuwendung zur Esoterik eine Flucht vor persönlicher Verantwortung und damit vor Freiheit.
Es ist dann "Schicksal"
Die Gefahr der seelischen Krankheit scheint in einigen Extremen gegeben (Paranoia, Verfolgungswahn, Stimmen
hören)
5.3 Der ganze Mensch kommt ins Jenseits - die christliche Sicht und Himmel und Hölle
Im Tod kommen wir Menschen als ganze Wesen zu Gott, mit Körper, Seele und Geist. Zum Menschen
gehören seine Freuden und seine Leiden, sein Glücklichsein und sein Traurigsein, seine guten und seine
schlechten Taten, alle Werke, die er in seinem Leben vollbracht hat, alle Dinge, die er geschaffen hat, alle
Vorstellungen, in denen er gelebt hat, alle Stunden, die er durchlitten hat, jede Träne, die er geweint hat, jedes
Lächeln, das über sein Angesicht gegangen ist, die lange, persönliche Geschichte, die er durchlebt hat - all das ist
der Mensch. Und all das ist er doch nicht nur als Seele, das ist er doch auch als Leib. Würde nicht der ganze
Mensch mit Seele und Leib zu Gott gelangen, so könnte er auch nicht die ganze Geschichte seines Lebens vor
Gott hintragen.
Vor einiger Zeit stieß ich auf ein Gedicht des Russen Jewgenij Jewtuschenko, das mich sehr ergriffen hat. Es
vermag das, was ich sagen will, zu verdeutlichen. Es lautet:
Jeder hat seine eigene, geheime, persönliche Welt. Es gibt in dieser Welt den besten Augenblick, es gibt in
dieser Welt die schrecklichste Stunde; aber dies alles ist uns verborgen.
Und wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm sein erster Schnee und sein erster Kuss und sein erster
Kampf... all das nimmt er mit sich.
Was wissen wir über die Freunde, die Brüder, was wissen wir schon von unserer Liebsten? Und über
unseren eigenen Vater wissen wir, die wir alles wissen, nichts.
Die Menschen gehen fort... Da gibt es keine Rückkehr. Ihre geheimen Welten können nicht
wiederentstehen. Und jedes Mal möchte ich von neuem diese Unwiederbringlichkeit hinausschreien.
19
Jeder Mensch, sagt Jewtuschenko, ist eine Welt für sich, eine eigene, unverwechselbare Welt. In jedem
Menschen leben die Erlebnisse und Erfahrungen seiner Vergangenheit. Tief in unserem Unbewussten ruht die
Erfahrung unserer ersten Liebe, die Erfahrung des ersten Schmerzes, das Erlebnis des ersten Schnees. Und weil
jeder seine ganz eigenen Erfahrungen hat, die nur er machen konnte und die nur ihm gehören, darum ist jeder
Mensch ein unendlich kostbares und unbegreifliches Geheimnis. Gerade deshalb aber ist der Tod etwas
Grauenhaftes. Wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm sein erster Kuss und sein erster Schnee, all sein Lieben
und all sein Leiden, seine Freude und sein Schmerz. Wenn ein Mensch stirbt, dann geht jedes Mal eine noch nie
da gewesene und ganz persönliche Welt unter.
Ich finde, dass dieses Betroffensein von der unverwechselbaren und geheimnisvollen Welt, die zu jedem
Menschen gehört, eine unbedingt notwendige Voraussetzung ist, um überhaupt begreifen zu können, was gemeint
ist, wenn wir in unserem Glauben von der Auferstehung der Toten sprechen. Auferstehung heißt nämlich, dass der
ganze Mensch zu Gott gelangt, der ganze Mensch mit all seinen Erfahrungen und mit seiner ganzen
Vergangenheit, mit seinem ersten Kuss und mit seinem ersten Schnee, mit all den Worten, die er gesprochen und
mit all den Taten, die er getan hat. Dies alles ist doch unendlich mehr als eine abstrakte Seele - und deshalb ist es
nicht vorstellbar, dass im Tod nur die Seele des Menschen vor Gott hintritt. Ich möchte deshalb ... (die) Aussage
formulieren:
Im Tod tritt der ganze Mensch mit ,,Leib und Seele", das heißt mit seinem ganzen Leben, mit seiner
persönlichen Welt und mit der ganzen unverwechselbaren Geschichte seines Lebens vor Gott hin.
Wenn wir in der Begegnung mit Gott das ganze Ausmaß der Güte und Liebe erfahren, werden und die Augen über
uns selber aufgehen.
Erde und Paradies: Die Erde und die Materie wird bei Jesus nicht abgewertet: Heinrich Heine rief: "Brüder,
bleiben wir der Erde treu." Er meinte damit, dass die Menschen nicht auf das Jenseits starren, sondern die Erde
gestalten sollen. Moderne Christen versuchen beides: Die Erde gestalten und an das Jenseits glauben.
"Heute noch wirst du bei mir im Paradies sein", sagt Jesus zu einem, der mit ihm gekreuzigt wurde.
Christliche Existenz weiß sich von Gott geträumt. "Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich
ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt", notiert der Prophet Jeremia,
ähnlich wie später Paulus sich seit seiner Zeugung berufen sah. Bevor sie geboren werden, meint das Christentum,
sind Menschen zum freien, intensiven Leben berufen. Das ist die Erfahrung des Woher. Es ist auch die Erfahrung
des Wohin.
Das Gericht Gottes?
Wenn wir vor Gottes Angesicht stehen, wird uns das ganze Ausmaß seiner Güte und Liebe bewusst. Wir werden
dann im Licht dieser Liebe und Güte unser ganzes Leben sehen. Wir werden unsere Herzlosigkeiten und Ichsucht
erkennen und uns dankbar über alles Gute freuen, das wir tun konnten. Dieses Erkennen, wie wir in Wahrheit sind,
nennt man das Gericht. Gott lässt uns aber auch die Freiheit, ohne ihn zu leben. Die Gefahren sind dann aber
größer, weil es zu Selbstgerechtigkeit und Egoismus führt. Jesus meinte, dass wir uns selber nicht verurteilen
sollen (Selbstmord). Dieses Verurteilen geschieht auch dann, wenn wir andere verurteilen (Selbstgerechtigkeit).
Gott spricht als Richter das Urteil, das wir uns selber sprechen.
Das jüngste Gericht?
Für uns hier auf Erden scheint zwischen dem Gericht des einzelnen und dem Weltgericht eine mehr oder weniger
große Zeitspanne zu liegen. Man könnte sich aber auch vorstellen, dass das, was wir als zeitlichen Abstand sehen,
jenseits der Schwelle des Todes sich anders ausnimmt. Für Gott gibt es ja weder Vergangenheit noch Zukunft,
sondern einzig ewige Gegenwart. Für ihn und für die, welche bei ihm sind, kann daher zusammenfallen, was wir in
dieser Zeit noch getrennt sehen. Der Glaube an das Jüngste oder Allgemeine Gericht heißt auch: Die ganze
Geschichte der Welt und der Menschheit wird von Jesus Christus nach dem Maß der Liebe beurteilt. Dieser Glaube
gibt Hoffnung und Zuversicht.
Die Seele?
Seele meint den Kern unserer Person, das, wo wir ganz ,,wir selbst" sind. Christen vertrauen darauf, dass das Ich
auch im Tode nicht zugrunde geht. Das heißt aber: Das, was wir selbst sind, Körper, Seele und Geist bleibt über
den Tod hinaus bestehen.
Bei Matthäus lesen wir: Am selben Tag kamen zu Jesus einige von den Sadduzäern, die behaupten, es gebe
keine Auferstehung. Sie fragten ihn: Meister, Mose hat gesagt: Wenn ein Mann stirbt, ohne Kinder zu haben, dann
soll sein Bruder dessen Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen verschaffen. Bei uns lebten einmal sieben
Brüder. Der erste heiratete und starb, und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem
Bruder, ebenso der zweite und der dritte und so weiter bis zum siebten. Als letzte von allen starb die Frau. Wessen
Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt. Jesus antwortete ihnen:
Ihr irrt euch; ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes. Denn nach der Auferstehung werden die Menschen
nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel. Habt ihr im Übrigen nicht gelesen, was Gott euch über
die Auferstehung der Toten mit den Worten gesagt hat: Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott
Jakobs? Er ist doch nicht der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden. Als das Volk das hörte, war es über
seine Lehre bestürzt. (Mt 22, 23-33)
Jesus belehrt dort die Sadduzäer, welche nicht an eine Auferstehung glaubten, dass Abraham, Isaak und Jakob obwohl schon gestorben - Lebendige sind. Nicht etwas von ihnen, sondern sie selbst leben bei Gott.
20
Der Tod als Strafe für die Sünden? Nein. Wo Krankheit, Einsamkeit, Armut, Elend, Verachtung, Unfreiheit sind,
spüren wir schon die Schatten des Todes. Gott straft nicht, auch nicht mit dem Tod. Der Tod ist ein Teil der
Schattenseite des Lebens und bleibt am Ende mit diesen Schattenseiten zurück, wenn wir in die neue Zukunft bei
Gott gehen.
Christus hat den Tod besiegt?
Durch seine Auferstehung hat Christus dem Tod den ,,bitteren Stachel" genommen. Das heißt: Wir brauchen den
Tod nicht zu fürchten. Er ist für uns zum Tor für das ewiges Leben geworden. Viele Christen haben für das Ewige
gelebt und gerade dadurch unendlich viel Gutes auf Erden gewirkt. Dies erfasste besonders klar der heilige Franz
von Assisi, Todkrank und von Schmerzen gepeinigt, sang er auf seinem Sterbelager noch seinen berühmten
Sonnengesang. Die letzte Strophe dieses Lobliedes lautet: "Sei gelobt, mein Herr, durch unseren Bruder, den
leiblichen Tod, dem kein Mensch lebendig entrinnt. Unheil wird jenen, die in Todsünden sterben. Doch selig jene,
die in deinem allerheiligsten Willen sich finden, denn der zweite Tod tut ihnen kein Leid an." Der zweite Tod
bedeutet das Vergessen im Nichts. Diesen zweiten Tod hat Jesus besiegt.
Fegefeuer?
Dieser Ausdruck wird heute von vielen Menschen missverstanden. Es handelt sich ja dabei nicht um einen
Verbrennungsprozess. Fegefeuer ist ein altes Wort: Feuer ist uns als Zeichen für die Gegenwart Gottes bekannt.
wenn der Mensch vor das Antlitz Gottes tritt, wird seine Erkenntnis erleuchtet wie durch einen hellen Blitz: Er
erkennt in Wahrheit, wie er ist, was er gut und was er falsch gemacht hat.
Fegen heißt nichts anderes als läutern, lauter machen, reinigen. Was die deutsche Sprache Fegefeuer nennt,
bezeichnen romanische Sprachen mit Reinigungsort, Läuterungszustand.
Wer erfährt, wie gut und liebevoll Gott (unser Vater) ist, der bereut, dass er sich in seinem Leben zu wenig um die
Liebe gekümmert hat. Diese Reue ist schmerzlich und reinigend zugleich. Sie hat aber große Kraft: Sie macht uns
besser. Es lässt uns sicherlich nicht gleichgültig, wenn wir Gottes große Liebe erkennen und sie mit unseren
Unvollkommenheiten, Fehlern und mit unserer Schuld vergleichen.
Ewiges Leben?
Die für die Glaubenslehre zuständige ,,Kongregation" (= eine Art ,,Ministerium" der Kirche) hat 1979 festgestellt:
„Wenn man über das Geschick des Menschen nach dem Tode spricht, muss man sich besonders vor
Darstellungsweisen hüten, die sich ausschließlich auf willkürliche Phantasievorstellungen stützen. Weder die
Heilige Schrift noch die Theologen (= Wissenschaftler von den transzendenten Dingen) bieten uns genügend Licht,
um das künftige Leben nach dem Tode richtig zu beschreiben."
Christen halten die folgenden wesentlichen Auffassungen fest:

Leben geht über den Tod hinaus. Garant ist Gott, der sich in Jesus gezeigt hat.

Die Intensität unserer auf Erden geübten Liebe wird die Intensität unseres Glücks bei Gott sein.

Unser irdisches Leben wird nicht abgebrochen, vergessen oder vernichtet, sondern vollendet.

Gottesschau ist wie wenn Du alle je gedrehten Filme auf einmal sehen würdest. Leben bei Gott:
Intensivstes Leben.

Zwischen dem Leben auf Erden und dem ,,ewigen Leben" besteht ein grundlegender Unterschied. Wir
wissen nicht, wie es genau sein wird.

Dieses Leben vollendet alles, was gut in uns ist: unsere Begabungen und Fähigkeiten und unser Verhältnis
zur ganzen Schöpfung Gottes. Wir bilden mit unseren Mitmenschen in Gott die Gemeinschaft der Heiligen.
Himmel?
Die Heilige Schrift beschreibt das ewige Leben mit vielen Worten und Bildern; Hochzeitsmahl eines Königs,
Herrlichkeit, Paradies, neue Schöpfung, ewige Heimat, Siegeskranz, Frieden, ewige Ruhe, ewiges Licht,
Neugestaltung, Krone des Lebens, Buch des Lebens. All diese Worte und Bilder reichen aber nicht aus, uns eine
Vorstellung oder Anschauung des Himmels zu geben. Ebenso wenig können dies Darstellungen aus der Kunst. Die
christliche Botschaft hat schon zur Zeit der Apostel dieses Anliegen gesehen. So schreibt Paulus:
Wir verkünden, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen
in den Sinn gekommen ist; das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. (1 Kor2, 9)
Wo ist der Himmel?
Wenn die Christen vom Himmel reden, meinen sie weder das Firmament noch das Weltall. Himmel ist überall dort,
wo ein Mensch bei Gott intensiv lebt. Das Ziel unseres Lebens ist nicht ein ,,Ort", es ist Gott selbst, der uns liebt.
Wenn wir nach unserem Tod bei Gott sind, sind wir im Himmel.
Brennt in der Hölle ein Feuer?
Wenn die Bibel im Zusammenhang mit der Hölle vom ,,ewigen Feuer" spricht, gebraucht sie ein Bildwort wie es
auch der Fall ist, wenn sie das ewige Leben mit dem Hochzeitsmahl eines Königs vergleicht. Andere solche
Bildworte sind: Finsternis, Drache, der nicht stirbt, Heulen und Zähneknirschen. Alle diese Bildworte sagen aus:
Wer bewusst und endgültig sich von Gott trennt, bereitet sich selbst das größte Leid, das einen Menschen treffen
kann. Künstler haben diese Bildworte oft in Gemälde umgesetzt und damit einem großen Missverständnis
Vorschub geleistet.
21
Was heißt eigentlich ,,Hölle"?
Bei den Germanen bedeutete das Wort Hel das Totenreich und seine Göttin. Von daher stammt das
deutsche Wort ,,Hölle". Die Menschen des Alten Testamentes stellten sich - wie auch ihre Zeitgenossen aus
anderen Völkern - vor, dass ,,tief unter den Wassern" (hob 26, 5) die Unterwelt als Ort der Toten ist.
Auch die ersten Christen stellten sich den ,,Ort" Gottes über den lichten Höhen des Firmamentes und den Strafort
der Ungerechten in feurigen Abgründen vor. Eine solche ,,Lokalisierung" von Himmel und Hölle ist durch das
Weltbild der damaligen Zeit bestimmt und zählt nicht zu den Glaubensaussagen.

Der Mensch kann in der Ablehnung Gottes verharren. Die ewige Trennung von Gott bedeutet Hölle.

Hölle bedeutet: Ewig ausgeschlossen sein von dem intensiven Leben mit Gottes und von der Gemeinschaft
der Heiligen.

Gott will die Hölle nicht. Der Mensch bereitet sie sich selbst, wenn er bewusst und ausdrücklich ablehnt,
wenn Gott ihm das intensive Leben schenken will.
Sind viele Menschen in der Hölle?
Während die Kirche von vielen Menschen glaubt, dass sie für immer bei Gott sind (Selige, Heilige), lehrt sie von
keinem Menschen mit Gewissheit, dass er das eigentliche Ziel seines Lebens verfehlt habe. Nur wer sich endgültig
der Liebe Gottes verschließen würde, für den wird die Liebe Gottes nicht zum Glück, sondern zum Gericht. Denn:
Gott drängt seine Liebe dem Menschen nicht auf. Die Möglichkeit, das Ziel seines Lebens zu verfehlen, ist
verbunden mit der Freiheit des Menschen.
Beginnt auch die Hölle schon auf Erden?
Wo ein Mensch in Gleichgültigkeit und Hass lebt, nicht mehr lieben will, Vergebung verweigert, Nein sagt zu
Christus, Güte und Hilfsbereitschaft aus seinem Leben verbannt, hartherzig und kalt dem Leiden anderer
gegenübersteht, taub ist gegenüber Not und Elend, blind ist gegenüber den Anliegen seiner Nächsten, u. a. m.,
dort scheint die ,,Hölle" bereits auf Erden zu beginnen. Da der Mensch aber die Möglichkeit hat, sein Leben zu
ändern, solange er lebt, fehlt dieser ,,Hölle auf Erden" jene Endgültigkeit, die wir mit dem Wort ,,ewig" bezeichnen.
6 Wunder und Heilung
Sie sind unerklärliche Geschehnisse, die man wissenschaftlich schwer erklären kann. Meistens kann man die
Umstände beschreiben, aber nicht die Hauptursachen erkennen. Sie sind auch Zufälligkeiten, die eine Katastrophe
abwenden können.
Es gibt auch einige wissenschaftliche Versuche, diese Phänomene zu erklären:
1. Parapsychologie: Seelische Vorgänge können außerhalb der Person wahrgenommen werden. Poltergeist,
Telepathie.
2. Psychosomatische Erkrankungen oder Phänomene: Stress oder seelische Vorgänge haben körperliche
Auswirkungen: Kopfweh, rot werden, Schwindelgefühl, Hautausschläge, Blindheit.
3. Spontanheilungen: Kranke werden überraschenderweise in kurzer Zeit gesund. Ohne medizinischen Grund.
Dies wird auch Spontanremission genannt.
In den Religionen erleben Menschen Wunder, wenn das Herz, die Mitte des Menschen von Gott geheilt wird.
Dabei kann es auch zu seelischen oder sogar körperlichen Heilungen kommen. Meist geschieht das mit Hilfe einer
Berührung eines anderen Menschen, z.B. durch Handauflegung. Wichtig ist meistens das Erlebnis, dass eine
unsichtbare Kraft dem Kranken Energie gibt.
Die Wunder in der Bibel sind nicht alle historisch beweisbar, sie sind keine Brechung der Naturgesetze und
niemand muss an sie glauben. Sie sind meistens Ausdruck eines neuen mutigen Aufbruchs.
6.1 Die Wunder Jesu
1. Wunderberichte in den Evangelien
Die jüdische Bibel berichtet von Elija und seinem Schüler Elischa, die Wunder erlebten. Im 2. Jh. n. Chr.
entstanden die so genannten apokryphen Evangelien, die auch von sehr vielen Wundern bei Jesus berichten. Die
Wunder, von denen die Evangelien berichten, sind vorwiegend Krankenheilungen. Konkret werden folgende
Krankheiten genannt, von denen Jesus die Menschen befreite: Lähmung, Blindheit, Aussatz, Stummheit, Fieber,
Blutfluss, Taubheit, Verkrümmung und Wassersucht. Von den Totenerweckungen werden Lazarus, der Jüngling
von Naim und die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus namentlich genannt.
Die Dämonenaustreibungen spielen ebenso eine große Rolle. Man betrachtete Geisteskranke als Besessene,
besonders aber Epileptiker und Tobsüchtige. So berichtet Markus von dem Tobsüchtige von Gerasa, dem
epileptischen Jüngling sowie dem Besessenen in der Synagoge von Kafarnaum. Auch von Naturwundern wird
berichtet: die Brotvermehrung, der wunderbare Fischfang, der verdorrte Feigenbaum, die Stillung des Sturms, das
Wandeln auf dem See, das Weinwunder und das Geldstück im Fischmaul.
In den Evangelien finden sich 62 konkrete Wunderberichte, die 35 verschiedene Wunder benennen.
a) Krankenheilungen
Die Wunder Jesu bilden einen wesentlichen Bestandteil seiner Verkündigung und einen deutlichen Hinweis auf
seine Sendung. Sie zeigen, dass der Mensch eine Einheit darstellt und einer ganzheitlichen Heilung bedarf. So
stehen Krankenheilung und das Anbrechen des Gottesreiches in engem Zusammenhang. Der Messias, mit dem
die Herrschaft Gottes beginnt, hält nicht in erster Linie Gericht, sondern bringt allen Menschen das Heil. Und die
Kranken gehören zu den Armen, denen die Frohbotschaft verkündet wird.
22
b) Dämonenaustreibungen
Der Evangelist Markus schildert auffällig viele Austreibungen von Dämonen. Die Dämonen gehörten zum Weltbild
der damaligen Zeit, wo sie das Böse verkörperten. Mit Jesus ist nun das Reich Gottes angebrochen, in dem die
Herrschaft Gottes ihren Anfang nimmt. Da Satan den Kranken beherrscht, zeigt sich das Hereinbrechen der
Gottesherrschaft in der Besiegung der Satansherrschaft. Jesus erweist sich als der Stärkere.
c) Epiphaniewunder
Epiphanie heißt Erscheinung. Wenn Jesus den Sturm auf dem See stillte, so sah man darin ein Zeichen für das
Erscheinen Gottes. Auch die Brotvermehrung zeigt die Anwesenheit Gotte
2. Das Erzählschema der Wundererzählungen
Es gab in der Antike ein literarisches Schema für Wundererzählungen, das von dem Erlebnis abhängig ist und das
auch im Alten (Ersten) Testament vorkommt. Dieses Schema besteht darin, dass zunächst die Schwere des
Leidens beschrieben wird, wobei auch gesagt wird, dass alle bisherigen Versuche, die Krankheit zu heilen,
vergeblich waren. Dadurch wird die Größe des Wunders erst bewusst.
Dann erfolgt die Begegnung mit dem Wundertäter. Nach der Heilung wird der Erfolg gezeigt und die Reaktion der
Anwesenden zum Ausdruck gebracht.
Dieses Schema übernahmen auch die Evangelisten für ihre Wundererzählungen.
3. Der historische Wert der biblischen Wundererzählungen
Für die Kirche sich die Wunder Jesu Symbole oder, wie es der Evangelist Johannes nennt, „Zeichen“ für die Nähe
Gottes. Die Frage der Historizität (Was geschah da?) kann nicht unbeachtet bleiben.
So war die christliche Gemeinde davon überzeugt, dass Jesus Wunder getan hat, und sie erzählte von ihm auch
eine Menge Wundergeschichten. Die meisten dieser in den Evangelien enthaltenen Wunderberichte sind
persönlich gefärbt. Es besteht wohl kein Zweifel, dass Jesus solche Taten getan hat, die im Sinn seiner
Zeitgenossen Wunder waren, d.h. auf übernatürliche, göttliche Kausalität zurückgeführt wurden. Auch wäre die
große Zahl der Wunderberichte in den Evangelien unerklärlich, wenn nicht entsprechende Vorgänge im Leben
Jesu dahinter stünden.
Interessant ist auch die Tatsache, dass selbst die Gegner Jesu als Zeugen seiner Wundertätigkeit aufgerufen
werden. So beschuldigen sie Jesus, dass er mit dem Anführer der bösen Geister "Beelzebul" die bösen Geister
austreibe (Lk 11,17-23). Sie leugnen also nicht, dass Jesus die Dämonen austreibt, sondern bezeugen dies sogar
durch ihre Behauptungen. Was sie leugnen, ist Jesu Behauptung, Wundertaten mit Hilfe des Geistes Gottes zu
vollbringen, weil dies eine Anerkennung seines Anspruchs als Gesandter Gottes einschließen würde.
4. Deutung der Wunder Jesu
Jesu Tun wird durch sein Wort gedeutet, und sein Wort durch seine Taten ergänzt und bestätigt. In diesem
Zusammenhang sind auch die Wunder Jesu zu sehen. Die Wunder haben ja einen zeichenhaften Charakter. Im
Hebräischen findet sich auch kein Wort für Wunder, im griechischen Neuen Testament wird von "Krafttaten" und
"Zeichen" anstatt von "Wundern" gesprochen.
Im biblischen Sinn ist das Wunder ein Hinweis auf die Nähe Gottes und auf die Tatoffenbarung durch Jesus
Christus. Der moderne Wunderbegriff hingegen ist stark naturwissenschaftlich geprägt, die Bibel zeigt sich an der
Frage, ob Naturgesetze durchbrochen werden oder nicht, uninteressiert.
Jesus wirkte keine Profit-, Belohnungs- und Strafwunder, auch keine Schauwunder, in denen es um die Sensation
ging. Er weigerte sich, besonders auffällige (messianische) Legitimationswunder zu wirken. Jesus ließ sich nicht in
die Rolle des "Wundermannes" drängen. Als man von ihm solch ein außergewöhnliches, legitimierendes "Zeichen
vom Himmel" forderte, lehnte er dies scharf ab. Er sah das Reich seines Vaters (Reich Gottes) wachsen. Die
Ereignisse veranschaulichen dieses Wachsen des Heiles, das Jesus für den ganzen Menschen verkündete.
Seine von ihm und seinem Vater gesetzte Zeichen gaben Zeugnis von seiner Vollmacht als Sohn Gottes.
5. Wunder und Glaube
Jesus verlangte zumeist den Glauben, bevor er ein Wunder wirkte. Gemeint ist hier ein starkes Vertrauen, das
etwa die Kranken zu Jesus haben sollen. Der Glaube wird somit oft zur Voraussetzung des Wunders überhaupt.
Andererseits gilt aber das Wunder auch als Begründung des Glaubens. Die Wunder Jesu sind Zeichen, in denen
man - vorausgesetzt man nimmt diese Zeichen als solche auch an - die Herrlichkeit erkennen kann, in der Gott
selbst wirksam wird. Die Augenzeugenschaft der Wunder musste zwangsläufig aber nicht alle Anwesenden
überzeugen, die Wunder blieben offen für die Deutung und auch für den Glauben. Bei seinen Landsleuten in
Nazaret konnte Jesus daher keine Wunder wirken.
Die Wunder Jesu Christi können mithelfen, dass sich Menschen für ihn entscheiden und an ihn als den Sohn
Gottes glauben und das ewige Leben haben.
6.2 Heilung in der Pfingstbewegung, Pfingstkirchen
Als "Pfingstler" werden die christlichen Gruppen bezeichnet, die in ihren Gottesdiensten den Heiligen Geist
herabrufen und viele Erlebnisse von Bekehrungen erzählen. Sie berichten von mindestens zwei zeitlich und
sachlich getrennte und gestufte religiösen Erlebnissen: 1. Bekehrung oder Wiedergeburt, 2. Geist-Taufe, die meist,
aber nicht immer, mit dem Zungenreden verbunden ist. Das Streben, nach der Bekehrung auch zur Heiligung zu
kommen, führte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in den USA zu religiösen Erlebnissen, die die Betroffenen an die
Ausgießung des Heiligen Geistes wie in der Apostelgeschichte (Apg. 2,1ff) erinnerten. Kirchengründungen
erfolgten nach einer Gebetsversammlung 1906 in Los Angeles, an der vor allem auch Afroamerikaner teilnahmen.
23
Aus Einzelerlebnissen wurde eine kräftige, schnell wachsende Massenbewegung. Sie wollte innerkirchlich bleiben,
stieß aber auf kirchlichen Widerstand und musste deshalb unabhängig organisiert werden. Als man an einigen
Orten zur Wiedertaufe überging, ließ sich die Gründung von Pfingstkirchen nicht aufhalten. Ähnliche "Aufbrüche"
erfolgten nach und nach in fast allen Kontinenten und Kirchen. So gibt es bischöflich verfasste Kirchen, solche mit
Säuglingstaufe und vorwiegend auf Krankenheilung eingestellte. Allen gemeinsam ist das Bekehrungserlebnis des
einzelnen, das zur Heiligung führt. Es gibt eine starke Jesus-Frömmigkeit. Einige Pfingstkirchen vertreten bis heute
die ursprüngliche "Drei-Stufen-Theorie": 1. Bekehrung, 2. Heiligung, 3. Geisttaufe und Vermittlung der
Geistesgaben. Einige machen die Vermittlung der Geistesgaben durch das ekstatischen Zungenreden (vgl. 1 Kor
14,2ff).
7 Widerstand und Mitläufer im NS-System, Schwester Restituta,
Jägerstätter, Kardinal Innitzer
7.1 Kirche zur Zeit des NS- Regimes
1. Nationalsozialistische Weltanschauung
Die Ideologie des Nationalsozialismus war national, rassistisch, gewaltverherrlichend, antisemitisch und
antidemokratisch. Das deutsche Volk braucht mehr Raum im Osten. Krieg ist daher notwendig. Der Jude ist der
Feind des deutschen Volkes. Er beutet die Deutschen aus vermischt sich mit dem deutschen Blut. Die
germanische und arische Rasse sei zum Herrenmenschentum bestimmt. Die Sündenböcke seien die Juden, die
Roma, die Homosexuellen und die genetisch Geisteskranken. Den Nationalsozialismus kennzeichnet
übersteigerter Nationalismus, völkisch - antisemitische Welt- und Geschichtsauffassung, Entwurf einer neuen,
pseudoromantischen Gesellschaft, antiliberaler und antidemokratischer Führerkult und Absage an christliche
(insbesondere katholische), humanistische und bürgerliche Traditionen. Grundlage und Kern der NS-Ideologie, die
erst in der tiefen Bewusstseinskrise nach der Niederlage von 1918 breitere Zustimmung fand, war der biologisch
begriffene Rassismus samt seinen direkten Konsequenzen: universeller Antisemitismus und Kampf um
"Lebensraum".
2. Die Kirche, insbesondere in Österreich, und ihr ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus
Pius XI. griff im Rundschreiben "Mit brennender Sorge" die nationalsozialistische Ideologie und
Religionspolitik - jedoch unter Vermeidung des Wortes Nationalsozialismus - scharf an. Es gelang, sie geheim zu
drucken, zu verteilen und zur großen Überraschung des NS-Regimes am Palmsonntag, dem 21. März 1937, von
den Kanzeln der Pfarrkirchen in Deutschland verlesen zu lassen.
Der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner war der erste österreichische Bischof, der warnend seine
Stimme in einem offiziellen Kirchenschreiben, einem Hirtenbrief, gegen den Nationalsozialismus erhob. Bereits
1929, also vier Jahre vor Hitlers Machtantritt in Deutschland, apostrophierte er dessen Exponenten als "falschen
Propheten". In seinem berühmt gewordenen Hirtenbrief "Über den wahren und falschen Nationalismus" hat
Gföllner 1933 den Nationalsozialismus schroff abgelehnt, doch warf man ihm aufgrund einiger Äußerungen
Antisemitismus vor.
In ihrem gemeinsamen Hirtenbrief vom 21. Dezember 1933 hatten die österreichischen Bischöfe, elf
Monate nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, den Grundirrtümern der nationalsozialistischen Lehre vier
Grundwahrheiten entgegengesetzt. Die erste Grundwahrheit verurteilte "den nationalsozialistischen Rassenwahn,
der zum Rassenhass und zu Völkerkonflikten führt, ja führen muss ..."
Im katholischen Volk gab es eine Richtung, die glaubte, sich mit dem Nationalsozialismus arrangieren zu
können. Bischof Alois Hudal, schrieb ein Buch "Die Grundlagen des Nationalsozialismus", das für manche
"Brückenbauer" Vorwand und Rechtfertigung war.
Katholiken, die sich um die Zeitschriften "Schönere Zukunft" und "Neuland" scharten, sahen im
Nationalsozialismus einen Bundesgenossen im Kampf gegen den Kommunismus. Sie standen im Gegensatz zur
Gruppe jener Katholiken, die antikommunistisch und antinationalsozialistisch gesinnt war und sich um die
Zeitschriften "Der christliche Ständestaat", "Junge Front" und "Sturm über Österreich" sammelte.
Eine Gruppe von katholisch - nationalen bis nationalsozialistischen Aktivisten, die im Frühjahr 1938 im
innerkirchlichen Raum sehr effizient am Werk war, trafen sich in der Vereinigung "Arbeitsgemeinschaft für den
religiösen Frieden". Eine Abordnung von 18 katholischen "Brückenbauern", die aus dem harten Kern dieser
Arbeitsgemeinschaft hervorging, setzten den Wiener Kardinal, Theodor Innitzer (1875-1955), unter Druck, wie dies
im so genannten "Schmerzensfreitagsbrief" vom 8. April 1938 sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Diese
Arbeitsgemeinschaft wurde am 19. August 1938 von Kardinal Innitzer verboten.
3. Das Anschlussjahr 1938
1938 war für den Staat und die Kirche Österreichs ein Schicksalsjahr. Viel zu lange glaubte man, zu einem
friedlichen Nebeneinander mit dem NS-Regime zu kommen. Auch die unterschiedliche Wertung des
Kommunismus und Nationalsozialismus durch den progressiven Flügel von Österreichs Katholiken spielte eine
nicht unwesentliche Rolle.
Am Tag des Einmarsches der deutschen Truppen in Österreich (12. März 1938) wurde der steirische
Fürstbischof Ferdinand Stanislaus Pawlikowski (1877-1956) von einer SA-Einheit unter Hausarrest gestellt und
sein Palais durchsucht. Am darauf folgenden Tag wurde er als einziger Bischof des deutschen Sprachgebietes für
24 Stunden inhaftiert.
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Drei Tage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich machte Kardinal Innitzer einen
Besuch bei Hitler, der im Hotel Imperial abgestiegen war; dieser gab ihm die grundsätzliche Zusicherung für eine
friedliche Koexistenz zwischen Staat und Kirche. So versuchten die Bischöfe, auf unaufrichtigen Voraussetzungen
bauend, unter dem Eindruck erster stattgefundener Verhaftungen von Priestern und katholischen Laien, sowie
Beschlagnahmungen kirchlichen Eigentums, eine, den außergewöhnlichen Umständen entsprechende, kleinste
gemeinsame Basis für eine Art Koexistenz zwischen Kirche und neuen Machthabern zu erreichen.
Die Märzaufrufe des Episkopates ("Feierliche Erklärung vom 18. März 1938") und insbesondere Innitzers
handgeschriebenes "und Heil Hitler" haben dem damaligen Wiener Kardinal ein "Brandmal" aufgedrückt. Die
Gläubigen wurden aufgerufen, für den Anschluss an Deutschland zu stimmen. Jene Aufrufe wurden jedoch nicht
von den Bischöfen geschrieben, sondern von Gauleiters Bürckel erstellt, dem Kardinal "ins Haus geliefert" und die
Unterschriften abgerungen. Das private „Heil Hitler“ war ein Fehler. Kardinal Innitzer musste die Erklärung in Rom
bei Papst Pius XI korrigieren.
Bald nach dem Anschluss zeigte der Nationalsozialismus sein wahres Gesicht. Die "geheimen"
Verhandlungen zwischen Bischöfe und Nationalsozialismus wurden am 19. August 1938 abgebrochen. Als
spätestens am 8. Oktober 1938, einen Tag nach der Jugendfeier im Stephansdom - es war die erste und zugleich
geschlossenste Demonstration des Widerstandes junger Katholiken im besetzten Land - Nationalsozialisten das
Erzbischöfliche Palais in Wien vandalenartig überfielen, wusste man, dass ein Arrangement mit dem
Nationalsozialismus unmöglich war.
Im November 1938 kam es zu den Judenpogromen der so genannten Reichskristallnacht, in welcher
auch die Kirchen schwiegen. Einzig der Grazer Theologieprofessor DDDDr. Johannes Ude (1874-1965) hatte am
11. November 1938 einen Aufsehen erregenden Protestbrief an Gauleiter Uiberreither gerichtet.
4. Kampf gegen Kirche und Seelsorge
Das Christentum wurde wegen seiner jüdisch - alttestamentlichen Elemente von Anfang an von den
Nationalsozialisten mit Misstrauen verfolgt. In besonderer Weise galt das für den Katholizismus, der wegen seiner
Ausrichtung nach Rom und wegen seines Internationalismus als "undeutsch" diffamiert wurde.
So kam es zu Schlagworten wie: Tod den Juden und den Pfaffen! Kampf gegen Pfaffen und Reaktionäre!
Zerstörung unseres Volkes durch jüdischen Betrug und päpstliche Korruption! Schwarze Hunde als Kollaborateure
des internationalen Judentums und des Weltbolschewismus!
Die antikirchliche bzw. antichristliche Propaganda der die Presse und den Rundfunk allein beherrschenden
NS-Ideologie vermochte im Anschlussjahr 1938 die größte Wirkung zu erzielen.
Sofort nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich begann ein zunächst noch versteckter,
bald aber offener Kampf gegen Kirche und Seelsorge. Im einzelnen kam es zu folgenden Maßnahmen: Auflösung
der katholischen Vereine (in ganz Österreich rund 6.000); Einbeziehung ihres Vermögens; Einstellung
katholischer Zeitungen; Beschlagnahmung katholischer Verlage und Büchereien; Verbot der katholischen
Privatschulen; Einschränkung und Behinderung des Religionsunterrichts; Entfernung der Schulkreuze;
Abschaffung des Schulgebetes; Aufhebung der Knabenseminare und Studentenkonvikte; Schließung der
katholischen Fakultäten in Innsbruck, Salzburg und Graz; Beschlagnahmung und Auflösung von Klöstern und
Stiften; Maßnahmen zur Verhinderung von Ordenseintritten; Behinderung der Kranken- und Spitalsseelsorge sowie
der Gefangenenseelsorge und Caritasarbeit; Beschneidung kirchlicher Vermögensrechte; Einführung des
Kirchenbeitrags; massive Propaganda zum Kirchenaustritt; Bespitzelungen und Hausdurchsuchungen bei
Geistlichen; Aufhebung von Feiertagen; Behinderung der Fronleichnams- und Auferstehungsprozessionen und
Wallfahrten. Am 1. Mai 1939 trat das Kirchenbeitragsgesetz in Kraft mit dem Ziel, die Kirche zu liquidieren.
Während der Kriegsjahre wurde der Kirchenkampf zeitweise gemäßigter geführt. Hitler selbst kündigte aber
für die Zeit nach dem erhofften "Endsieg" die völlige Vernichtung von Kirche und Christentum an.
5. Caritas und Seelsorge im Untergrund
Zwei Monate nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland traten auch in Österreich die Nürnberger
Rassengesetze in Kraft. Unmittelbar danach wurde, mit Unterstützung Kardinal Innitzers, eine Hilfsaktion mit der
Bezeichnung "Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken" ins Leben gerufen. Die Hilfsstelle
kümmerte sich in erster Linie um nichtarische Katholiken; nicht, weil man mosaischen Juden nicht helfen wollte,
sondern weil diese sich in erster Linie an die Israelitische Kultusgemeinde wandten, die sie auch unterstützte. Die
nichtarischen Katholiken hingegen wurden von ihren "mosaischen Rassegenossen" als Abtrünnige betrachtet und
von vornherein von jeglicher Unterstützung ausgeschlossen und saßen so zwischen den Sesseln.
Die zahlreichen kirchenfeindlichen Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes stellten die Seelsorge
vor völlig neue Verhältnisse. Traditionelle Elemente der Seelsorge fielen weg, den neuen Herausforderungen
musste mit einer Neuorientierung der Seelsorge begegnet werden. Das Hauptziel der neuerrichteten
Seelsorgeämter war die Heranbildung der Gläubigen zu mündigen Christen, die sich auch in einer
kirchenfeindlichen Umwelt bewähren könnten.
7.2 Widerstand
Viele Christen haben in diversen Konzentrationslagern und Gefängnissen um ihres Glaubens willen Unsägliches
gelitten. Zahlreiche Priester, Ordensleute und Laien wurden aufgrund ihres Widerstandes hingerichtet, z.B. P.
Maximilian Kolbe (1894-1941), die Karmelitin jüdischer Abstammung Edith Stein (1891-1942), P. Jakob Gapp
(1897-1943), der Pazifist Dr. Max Josef Metzger (1887-1944), der oberösterreichische Karmelit P. Paulus Wörndl
(1894-1944), der steirische Pfarrer Heinrich Dalla Rosa (1909-1945), der Jesuit Alfred Delp (1907-1945) u.a. Noch
25
knapp drei Wochen vor Kriegsende, im April 1945, wurden die Priester P. DDDr. Johannes Kapistran (Wilhelm)
Pieller (1891-1945), P. Dr. Angelus (Eduard) Steinwender (1895-1945) und Dr. Anton Granig (1901-1945),
Mitglieder der Antifaschistischen Freiheitsbewegung Österreichs, in Stein an der Donau erschossen. Die
Ordensschwester Restituta (Helene) Kafka (1898-1943) war und blieb die einzige katholische Ordensfrau, die
durch das NS-Regime nach verhängtem Todesurteil getötet wurde. Allein unter den Priestern und Ordensleuten
forderte die nationalsozialistische Barbarei etwa 4000 Opfer. Insgesamt kamen in Österreich 724 Priester ins
Gefängnis, 7 sind im Kerker gestorben, 110 davon kamen ins Konzentrationslager, 20 sind dort gestorben, 15
Priester wurden hingerichtet.
Widerständige Christen:

Linzer Bischof Gföllner 1933 gegen Nationalsozialismus.

Papst Pius XI, 1937: NS ist Götzenkult, 1938: Innitzer muss dementieren.

Vor dem Wiener Stephansdom, 7.10.1938: 9.000 Jugendliche demonstrieren gegen Hitler. Verhaftungen,
Gefängnis, KZ. Die HJ stürmt am 3.10. 1938 das Erzbischöfliche Palais.









Franz Jägerstätter, (* 1907, † 1943). Österreichischer Landwirt, der aus Gewissensgründen im Zweiten
Weltkrieg den Wehrdienst verweigerte und deshalb vom NS-Regime hingerichtet wurde. 1933 gegen den
Anschluss gestimmt. 9 .3. 1943 enthauptet.
Dietrich Bonhoeffer predigte als evangelischer Pastor öffentlich gegen das Regime und wurde
Mitverschwörer am Sturz Hitlers. km 9. April 1945 hingerichtet.
Martin Niemöller gründete aus Protest gegen die Entlassung von 29 nichtarischen evangelischen Pfarrern
den Pfarrernotbund.
Karl Barth entwarf eine Grundsatzerklärung, die als Barmer Erklärung Geschichte gemacht hat. Die
bekennende Kirche war entstanden.
Propst Heinrich Grüber gründete eine geheime Beratungsstelle und Auswanderungshilfe für Nichtarier. Er
kam ins KZ.
Der Katholische Bischof Franz Galen von Münster predigte gegen Hitler. Gegen die Ermordung
Geisteskranker erstattete er Anzeige.
Kardinal Faulhaber von München verfasste die päpstliche Enzyklika ,,Mit brennender Sorge" vom 14. März
1937. Sie verurteilte die Verherrlichung von Rasse, Volk und Staat.
Christen unter den Verschwörern des Attentats vom 20. Juli 1944: Graf von Moltke, Graf von Lehndorff,
Ewald von Kleist-Schmenzin, Alfred Delp.
Pater Rupert Mayer bekam Hausarrest, weil er sich dem Predigtverbot widersetzte.

Schwester Restituta Kafka wurde zum Tode verurteilt, weil sie ein Widerstandsgedicht vervielfältigte.
Maria Restituta ist 1914 gegen den Willen ihrer Eltern dem "Orden von der Christlichen Liebe" beigetreten, der
sein Mutterhaus in Wien - Margareten, Hartmanngasse, besitzt. Die Ordensfrau war 20 Jahre als
Operationsschwester im Krankenhaus Mödling tätig, wo sie wegen ihres temperamentvollen Auftretens den
Spitznamen ,,Schwester Resoluta" bekam. Nach dem Einmarsch der Hitler - Truppen in Österreich eckte Maria
Restituta mit den neuen Machthabern an, weil sie den antichristlichen Geist des NS-Regimes erkannte und
Hitler nur als "Narrischen" bezeichnete. Als sich die Nonne weigerte, die Kreuze in einer neuerrichteten
Krankenstation durch Hakenkreuze ersetzen zu lassen, forderten NS -. Bonzen vergeblich vom Orden, Maria
Restituta abzuberufen. Am 18. Februar 1942 wurde die Ordensfrau von der Gestapo verhaftet, weil man in
einem Papierkorb ein Spottgedicht auf Hitler entdeckt und sie als Autorin verdächtigt hatte. Acht Monate
später, am 29 Oktober 1942, wurde Maria Restituta vom 5. Senat des Volksgerichtshofes wegen
"landesverräterischer Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat" zum Tode verurteilt. Der Wiener
Kardinal Innitzer, ja sogar Reichsjustizminister Thierack versuchten durch Gnadengesuche an Hitler das Leben
der tapferen Ordensfrau zu retten. Doch der Leiter der Reichskanzlei Martin Bormann lehnte das mit der
Begründung ab, dass der ,,Vollzug der Todesstrafe aus Abschreckungründen erforderlich" sei. Du Nonne hatte
noch eine Chance, dem Schafott zu entkommen, als man sie vor die Alternative stellte: entweder aus dem
Orden auszutreten oder zu sterben. Maria Restituta wählte den Tod. Am 30. März 1943 trat sie ihren letzten
Gang mit den Worten ,,Ich gehe zum Fest" an.

Die Gruppe Die weiße Rose um Sophie und Hans Scholl druckten Flugblätter: ,,Verhindert das Weiterlaufen
dieser atheistischen Kriegsmaschine!"

Heinrich Maier baute eine Widerstandsgruppe auf und wurde im März 1945 hingerichtet.

Der Klosterneuburger Chorherr Roman Scholz ging schon im April 1938 in den Widerstand. 400
Jugendliche schlossen sich der Widerstandsgruppe an. Scholz wurde am 10. Mai 1944 hingerichtet.
Jenseits jeder menschlicher Vorstellungskraft war gleichzeitig die Ausmerzung der Geisteskranken,
verharmlosend Euthanasie genannt, sowie die Deportation und Hinmordung der europäischen Juden. Der mutige
Bischof von Münster Graf Clemens Augustinus Galen (1878-1946) trat öffentlich gegen die Barbarei gegenüber
der Geisteskranken auf und hatte erheblichen Erfolg.
Die Kirche setzte insgesamt keinen vergleichbar mutigen Schritt, um dem Massenmord an den Juden ein
Ende zu setzen. Einzelne Hilfsversuche, wie durch den Sankt - Raphaels - Verein in Deutschland oder durch die
oben erwähnte Hilfsstelle für nichtarische Katholiken bleiben nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Von den 6
Millionen Opfern unter der jüdischen Bevölkerung konnte eine Dreiviertelmillion Juden durch katholische
26
Maßnahmen gerettet werden. Viele davon verdanken ihre Rettung auch dem Einsatz Papst Pius XII. (1939-1958).
Im Vatikan wurde ein Informationsbüro über Kriegsgefangene und Vermisste eingerichtet und entsprechende
Auskünfte an Angehörige erteilt. Päpstliche Autokolonnen schafften Lebensmittel aus Mittel- und Oberitalien für die
schwer bedrängte Stadt Rom herbei. Der Vatikan war für viele Menschen aus den verschiedensten Rassen und
Religionen das lebensrettende Asyl. Auch Giuseppe Roncalli, der spätere Johannes XXIII konnte mit dem
Ausstellen von Pässen tausende Juden vor der Vernichtung retten.
Zwar hatte der Papst gleich nach seiner Wahl (2. März 1939) die Veröffentlichung der von seinem
Vorgänger in Auftrag gegebenen Enzyklika Societatis Unio, in der der Rassismus scharf verurteilt werden sollte,
gestoppt und damit den Weg des "Schweigens, um Schlimmeres zu verhüten" betreten. Die päpstlichen
Hilfeleistungen waren aber beispielhaft und konnten sich sehen lassen, dennoch wird ihm sein Schweigen zu den
NS-Gräueln vielfach zum Vorwurf gemacht.
8 Päpste und 2. Vatikanische Konzil
8.1 Pius XII, Johannes XXIII, Paul VI, Johannes Paul I, Johannes Paul II, Benedikt XVI
1. Pius XII
Eugenio Pacelli wurde 1876 in Rom geboren. Sein Vater war römischer Rechtsanwalt. Nach dem Gymnasium
studierte er Philosophie, Theologie und Jus. 1899 wurde er zum Priester geweiht. Er promovierte zum Dr. theol.
und zum Dr. jur. und wurde Sachbearbeiter für den 1917 approbierten Codex Iuris Canonici, das erste einheitliche
gesamtkirchliche Gesetzbuch. Ab 1909 unterrichtete er als Professor für Diplomatie und Recht.
Im Auftrag des Vatikans sammelte er im Krieg Angaben über Kriegsgefangene und bereitete deren Austausch vor.
1917 wurde er Nuntius für das Königreich Bayern und 1920 für die Weimarer Republik. Seit Juni 1917 warb er bei
der deutschen Regierung für die Friedensinitiative von Papst Benedikt XV. Nach deren scheitern vertrat Pacelli
eine strikte Neutralität in politischen Fragen.
Er erlebte den Hitler -Putsch 1923 in München mit und hob dessen antikatholischen Charakter hervor. 1924 nannte
er den Nationalsozialismus die „vielleicht gefährlichste Häresie unserer Zeit“.
Hitler sah er als „berüchtigten politischen Agitator“, der „über Leichen“ geht.
An 1930 wird er unter als Kardinalstaatssekretär der wichtigste außenpolitische Berater von Papst Pius XI.
Österreich: 1933 unterschrieb Pacelli das Konkordat mit Österreich und im selben Jahr mit dem
nationalsozialistischen Deutschland. Es ging um staatliche Garantien für die Religionsausübung:
Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs vom 12. März 1938 versicherten Österreichs katholische Bischöfe
Hitler am 18. März ihre Loyalität. Daraufhin veröffentlichte Pacelli am 6. April 1938 im Osservatore Romano eine
Richtigstellung: Der Vatikan habe die österreichische Bischofserklärung nicht autorisiert.
Spanischen Bürgerkrieg (1936). Die Ermordung tausender katholischer Priester im Spanischen Bürgerkrieg
verstärkte im Vatikan die Furcht vor dem Bolschewismus. 1937 verurteilte Pius XI den „atheistischen
Sowjetkommunismus“ und nannte Staaten, die Christen aufgrund kommunistischer Ideologie verfolgten.
„Mit brennender Sorge“: Pacelli protestierte gegen die häufigen Übergriffe der SA und Gestapo auf katholische
Gruppen. Er erstellte die Schlussfassung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI, die am 21. März
1937 erschien. Die nationalsozialistische Ideologien wurde als Irrlehren definiert und die nationalsozialistische
Rassenlehre wird verurteilt. Eine Nationalreligion sei ein Götzenkult.
Haltung zur Judenverfolgung bis 1939: Obwohl Pacelli laufend über die verschärfende Judenverfolgung
informiert wurde, riet er Pius XI von einem Konfrontationskurs ab. Pius XI. plante ein Lehrschreiben gegen den
Rassismus und Antisemitismus. Pacelli dagegen wollte das Konkordat nicht gefährden und Mussolini als Vermittler
gegenüber Hitler behalten. Als Pius XI. 1939 starb, ließ Pacelli die schon gedruckten Exemplare der geplanten
Papstrede vernichten.
Papstwahl: Pacelli wurde 1939 zum Papst gewählt. Seine Wahl wurde weltweit begrüßt. Die New York Times:
„Seite an Seite mit den demokratischen Völkern“.
Das NS-Regime sandte keine Delegation zur Amtseinführung des neuen Papstes. Im Völkischen Beobachter hieß
es: „Wir in Deutschland haben von diesem Papst nichts zu erwarten!“
Versuche der Kriegsverhinderung: Pius schlug 1939 eine europäische Fünfmächtekonferenz zur Beilegung der
Konflikte vor. Aber keine der angesprochenen Regierungen reagierte darauf. Pius hielt an der politischen
Neutralität fest. Er sagte in einer Rundfunkansprache: Mit dem Frieden sei nichts verloren, aber alles könne mit
dem Krieg verloren werden. Hinter den Kulissen drängte er Mussolini, mäßigend auf Hitler einzuwirken.
Aussagen zu deutschen Angriffskriegen: Am 20. Oktober 1939 erschien seine erste Enzyklika Summi
pontificatus. Er warb für weltweites Mitgefühl mit den Polen, deren Blutopfer eine „erschütternde Anklage“ erhöben.
Pius veranlasste auch humanitäre Hilfen für Kriegsopfer; sein Hilfswerk leitete Giovanni Battista Montini, der
spätere Papst Paul VI.
Ermordung Kranker und Behinderter: 1940 publizierte Pius XII ein Dekret gegen die Ermordung Kranker und
Behinderter. Sie sei nicht erlaubt und verstoße gegen das „natürliche und positive göttliche Recht“.
Holocaust und Weihnachtsansprache
Pius wurde von verschiedenen Seiten über die Deportationen und Ermordungen von Juden Informiert.
In seiner Weihnachtsansprache 1942 bekundete Pius seine Sorge um die „Hunderttausende, die ohne eigenes
Verschulden, bisweilen nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse dem Tod oder fortschreitender Vernichtung
27
preisgegeben sind“ Er nannte hier absichtlich weder die Täter noch bestimmte Opfer. Außenminister von
Ribbentrop drohte ihm als Reaktion auf die Weihnachtsansprache 1942 mit Vergeltungsmaßnahmen.
Yitzhak HaLevi Herzog, Hauptrabbiner in Israel lobte Pius: „Das Volk von Israel wird nie vergessen, was Seine
Heiligkeit für unsere unglücklichen Brüder und Schwestern in dieser höchst tragischen Stunde unserer Geschichte
tut.“. Rolf Hochhuth griff ihn hingegen nach dem Krieg 1963 in seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ wegen
seines Schweigens zur Judenverfolgung an.
Intervention bei Hitler: Am 21. Juni 1943 entsandte Pius seinen Nuntius in Berlin, Orsenigo, zu Hitler: „Ich wurde
vom Führer ... Hitler empfangen, aber sobald ich das Thema Juden und Judentum … angeschnitten hatte, drehte
sich Hitler ab, ging ans Fenster und trommelte mit den Fingern gegen die Scheibe. ... Dann drehte sich plötzlich
Hitler um, ging an einen Tisch, wo ein Glas Wasser stand, fasste es und schleuderte es wütend auf den Boden. Mit
dieser … Geste durfte ich meine Mission ... als abgelehnt betrachten.“
Zur Deportation römischer Juden 1943: Gleich nach der Machtübernahme in Italien befahl Hitler die Deportation
aller Juden aus Rom. Am frühen Morgen des 16. Oktober 1943 (Sabbat) startete die Judenaktion durch
Abriegelung und systematischer Durchkämmung des alten Ghettos. Pius XII. ließ beim deutschen Botschafter und
bei General Stahel intervenieren. Himmler befahl, die Razzia abzubrechen. Trotzdem wurden 1023 Juden nach
Auschwitz deportiert. Es überlebten 15 Menschen das KZ. Die einzig überlebende Frau erhob später Anklage
gegen Pius XII. Er habe es unterlassen, auch nur ein einziges Kind zu retten – und das ganz ohne eigenes Risiko.
Kirchenasyl für Juden: Nach der Judenrazzia ordnete Pius XII. allgemeines Kirchenasyl für alle Juden in Italien
an. Zu den Asylorten zählten die Klöster, kirchliche Häuser, Kirchen, der Sommersitz Castel Gandolfo und der
Vatikan selbst. Nach verlässlichen Schätzungen konnten sich allein in Rom bis zur Befreiung am 4. Juni 1944 in
mindestens 150 Einrichtungen rund 4500 Juden versteckt halten. Die unverhohlene Asyl-Aktion war eine offene
Provokation Berlins. Pius hatte die Lateranverträge gebrochen und als Oberhaupt des neutralen Vatikanstaates
auch Völkerrecht. Klaus Kühlwein. deutet das überraschende Asyldekret als abrupte Kehrtwende der vatikanischen
Politik und spricht provokativ von einem „Damaskus-Erlebnis“ bei Pius XII.
Pfeiffers Liste: Pius unterstützte auch Pater Pankratius Pfeiffer, der sich bei der deutschen Besatzung
beziehungsweise bei der SS für Kommunisten, Royalisten und Juden einsetzte.
Pius als Gefangener: Pius XII. war selbst Gefangener im Vatikan. Hitler plante die Entführung des Papstes.
Allerdings zögerte Hitler so lange, dass die Aktion nicht mehr ausgeführt werden konnte. Pius selbst rechnete
Verhaftung seiner Person.
Zu slowakischen und rumänische Juden: Im Frühjahr 1943 verhinderte Pius XII auf diplomatischem Wege, dass
die slowakische Regierung die Judendeportationen fortsetzte. Über diplomatische Kanäle stoppte Pius XII. auch
den Abtransport der Juden in Rumänien.
Bischöfe der Niederlanden: In den Niederlanden hatten die katholischen Bischöfe gegen die bevorstehenden
Deportationen protestiert, woraufhin die Besatzungsmacht Ende 1942 Juden katholischen Glaubens deportierte.
Arthur Seyß-Inquart bezeichnete die Deportation katholischer Juden als „Gegenmaßnahme gegen den Hirtenbrief
vom 26. Juli“.
Päpstliche Rundschreiben (Enzykliken) und Lehrentscheidungen:
In Divino afflante Spiritu (1943) anerkannte der Vatikan die historisch-kritische Bibelwissenschaft.
Als wichtige Lehrentscheidung gilt die Konstitution „Munificentissimus Deus“ vom 1. November 1950, die die
Leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel als Dogma proklamierte. Dies war das erste Mal seit dem 1.
Vatikanischen Konzil 1870, dass ein Papst von seiner Unfehlbarkeit in Fragen der Lehre Gebrauch machte.
Spätphase und Tod: Papst Pius XII. starb am 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo an den Folgen eines
Schlaganfalls. Seine letzte Ruhe fand der Papst, nur sechs Meter vom Petrusgrab entfernt, in der Krypta des
Petersdoms. In seinem Testament schrieb er: „Sei mir gnädig, o Herr, nach deiner großen Barmherzigkeit. Die
Vergegenwärtigung der Mängel und Fehler, die während eines so langen Pontifikates und in solch schwerer Zeit
begangen wurden, hat mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt.“
2. Johannes XXIII. (1958-1963)
Der charismatische Papst Johannes XXIII. (1881-1963), mit dem bürgerlichen Namen Angelo Giuseppe
Roncalli, war beim Konklave (= Papstwahl) am 28. Oktober 1958 von den Kardinälen schon aufgrund seines
fortgeschrittenen Alters scheinbar zunächst nur als Übergangs- und Verlegenheitspapst kreiert worden. Sein
bedeutendes Verdienst ist zweifelsohne die Einberufung des epochewendenden, in den kirchlichen
Reformmaßnahmen herausragenden Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965).
Johannes XXXIII. wurde am 25. November 1881 als Sohn einer ärmlichen, kinderreichen
Kleinbauernfamilie in Sotto il Monte (Diözese Bergamo/Italien) geboren. Nach seiner Priesterweihe 1904 in Rom
alsbald zum Professor für Kirchengeschichte, Apologetik und Patrologie in Bergamo ernannt, wirkte er ab 1925 im
diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls in Bulgarien, Türkei, Griechenland und später als Nuntius in Paris. 1953
erfolgte seine Ernennung zum Kardinal und Patriarchen von Venedig, wo er eine reiche pastorale Tätigkeit
entwickelte.
Schon nach seiner Papstwahl als Nachfolger des asketisch wirkenden Pius XII. (1939-1958) ließ er
aufhorchen: Er wählte den Namen Johannes XXIII. Schließlich hatte es im Spätmittelalter von 1410 bis 1415 schon
einmal einen Johannes XXIII. gegeben, und man war sich unsicher, ob dieser als gültiger oder als Gegenpapst zu
zählen sei. Mit dieser Namenswahl wollte der ehemalige Kirchenhistoriker die Zweifel und Unsicherheiten bei der
Zählung dieses Papstes beseitigen.
28
Mit der Ankündigung eines Ökumenischen Konzils (Zweites Vatikanisches Konzil) im Jänner 1959 erregte
Johannes XXIII. weltweites Aufsehen. Schließlich war das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) infolge des
Deutsch - Französischen Krieges noch nicht abgeschlossen, sondern nur suspendiert worden.
Ob seiner Herzlichkeit, Schlichtheit und Einfachheit durchbrach Johannes XXIII. viele mit dem Papsttum
verbundene stereotype Vorstellungen. Er begab sich auch außerhalb des Vatikans, wallfahrtete mit der Eisenbahn
nach Loreto und nach Assisi und eroberte damit die Herzen der breiten Öffentlichkeit. Es war die erste Reise, die
ein Papst nach dem Verlust des Kirchenstaates im Jahre 1870 unternahm. Johannes XXIII. erhielt von den
Italienern den Beinamen "Giovanni fuori le mura", von den Amerikanern "Johnny Walker"; er selbst nannte sich
"Joseph, Euer Bruder". Er prägte sich in die Herzen der Menschen als Papst des "Aggiornamento" (Anpassung)
ein.
Auch in seinem Regierungsstil setzte er neue Maßstäbe. Er bezeichnete die Bischöfe als seine Brüder, mit
denen er zusammen die Kirche vorstand. Er leitete ein offeneres, entkrampftes Klima gegenüber den
kommunistischen Oststaaten ein, empfing im Frühjahr 1963 sogar die Tochter und den Schwiegersohn des
damaligen sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chruschtschow, was allgemein als spektakulär
aufgenommen wurde.
Johannes XXIII. schrieb acht Enzykliken (= päpstliche Rundschreiben), von denen die Sozialenzyklika
"Mater et magistra" (1961) und die Friedensenzyklika "Pacem in terris" (1963) am bedeutendsten sind. Auch
führte er die öffentliche Fußwaschung am Gründonnerstag wieder ein. Mit der Errichtung eines Sekretariates zur
Förderung der christlichen Einheit im Jahr 1960 setzte er einen großen Schritt in Richtung Ökumene. Gleichzeitig
gab er den bis dahin stets vertretenen Grundsatz auf, dass die Einheit der Kirche nur durch die Rückkehr der
nichtkatholischen Christen zur katholischen Kirche bewerkstelligt werden könne.
Noch während des Zweiten Vatikanischen Konzils starb der beliebte Papst, von der ganzen Welt tief
betrauert, am Pfingstmontag des Jahres 1963.
3 Paul VI. (1963-1978)
Der Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini (1897-1978) war bereits am zweiten Tag des Konklaves
im Jahre 1963 zum Papst gewählt worden. Nach dem Völkerapostel Paulus nannte er sich Paul VI. Aus einer
angesehenen norditalienischen Politikerfamilie stammend, wurde er 1920 zum Priester geweiht und machte schon
nach kurzer Tätigkeit im päpstlichen diplomatischen Dienst Karriere. Paul VI. war der letzte Papst, der mit der
Tiara (= dreifache Papstkrone) gekrönt wurde. Bei seiner Krönungsmesse am 30. Juni 1963 nannte er als
wichtigsten Punkt seines Programmes die Fortsetzung und Vollendung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das
sein Vorgänger einberufen und begonnen hatte.
Von den sieben Enzykliken, die er verfasst hat, kann "Populorum Progressio" (1967) als die
bedeutendste qualifiziert werden. Hierin geht er Fragen der Weltwirtschaft, der Dritten Welt und des Weltfriedens
nach. Die 1968 erschienene Enzyklika "Humanae vitae" mit ihrem kategorischen Nein zur künstlichen
Geburtenregelung führte zu einer weltweiten, teils sehr heftigen Diskussion, speziell was päpstliche Lehrautorität
und ihre Verbindlichkeit betreffen.
Ein weiteres Charakteristikum des Pontifikates von Paul VI. sind seine Weltreisen; er war der erste Papst,
der auch andere Erdteile besuchte. Im Jahre 1964 reiste er ins Heilige Land, traf in Jerusalem mit dem
ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras, zusammen, und reiste im selben Jahr zum
Eucharistischen Kongress nach Bombay. Ein Jahr später sprach Paul VI. während seines Amerika - Aufenthaltes
vor der UNO-Vollversammlung. Mit der Privataudienz für den sowjetischen Staatspräsidenten Podgorny im Jänner
1967 setzte er die päpstliche diplomatischen Politik mit den sozialistisch - kommunistischen Staaten des Ostens,
die sein Vorgänger begonnen hatte, fort.
Paul VI. führte eine Reform der Kurie durch und legte die Altersgrenze für die Bischöfe, wonach sie mit der
Vollendung des 75. Lebensjahres ihr Rücktrittsgesuch einzureichen hatten, wie auch ein neues Papstwahlrecht
fest.
4. Johannes Paul I. (1978)
Als Paul VI. für die Öffentlichkeit überraschend im August 1978 an einem Kreislaufversagen starb, wurde
bereits am ersten Tag der Papstwahl, einem der kürzesten Konklave der Kirchengeschichte, Johannes Paul I.,
gewählt. Er führte als Papst einen Doppelnamen und nannte sich nach seinen beiden Vorgängern Johannes
Paul I. Allein dieser Doppelname war einmalig in der Geschichte und ließ aufhorchen.
Am 17. Oktober 1912 am Fuße der Dolomiten als Albino Luciani in Canale d'Agordo geboren, war er nach
seinen Studien an der Päpstlichen Universität Gregoriana und seiner Priesterweihe als Vizeregens am
Priesterseminar von Belluno, dann als Generalvikar seiner Diözese tätig. 1958 wurde er zum Bischof von Vittorio
Veneto geweiht, elf Jahre später zum Patriarchen von Venedig ernannt.
Mit Johannes Paul I. wurde in der Papstgeschichte ein Mann der Mitte, aus dem Volk, ein fröhlicher
Seelsorger gewählt, dem mit seinem unbefangenen, echten Lachen und seiner natürlichen Ausstrahlung zahlreiche
Wellen der Sympathien entgegenschlugen. Bei seiner Amtseinführung verzichtete er auf allen Pomp, auf die
Krönung und Inthronisation. Er ließ sich keine Tiara aufsetzen, die noch die weltliche Macht symbolisierte. In
seinem Programm trat er für die Weiterentwicklung des Zweiten Vatikanischen Konzils ein.
Sein nur 33 Tage dauerndes Pontifikat reichte aus, um die Welt für sich zu begeistern. Bald hatte
Johannes Paul I. die Wir - Form der Päpste abgeschafft. Als er am 28. September 1978 völlig überraschend
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starb, kam es aufgrund verschiedener, sich widersprechender Nachrichten über die letzten Lebensstunden zu
Behauptungen von der Ermordung des Papstes durch kuriale Kreise. Diese Ereignisse wurden mittlerweile
aufgeklärt. Es kam deswegen zu den Ungereimtheiten, weil man die Tatsache nicht veröffentlichen wollte, dass er
von einer Klosterschwester gefunden wurde.
5. Johannes Paul II. (seit 1978)
Die Papstwahl am 16. Oktober 1978 glich einer Sensation. Erstmals seit 1522 bestieg nicht nur ein
Nichtitaliener den Papstthron, sondern der Papst kam auch aus einem kommunistischen Land. Mit der Wahl
des Polen Karol Wojtyla wurde dem Papsttum eine neue Dimension, die der Universalität, in mehrfacher Hinsicht
verliehen.
Karol Wojtyla wurde am 18. Mai 1920 in der Nähe von Krakau geboren. Er verlor bereits früh seine Mutter
und seinen älteren Bruder. Der Zweite Weltkrieg unterbrach seine Studien, mit seinen Freunden gründete er mit
einer Untergrundschauspielergruppe das "Rhapsodisches Theater" und verdiente sich mit harter Arbeit in den
Steinbrüchen sein Brot. Auch engagierte er sich bei der Rettung von verfolgten Juden, indem er ihnen gefälschte
Pässe besorgte. 1946 zum Priester geweiht, wurde er acht Jahre später Professor für Ethik an der Universität
Lublin, 1958 Weihbischof von Krakau, 1963 dortiger Erzbischof, vier Jahre später zum Kardinal kreiert.
Signifikant sind im Pontifikat Johannes Pauls II. vor allem durch seine zahlreichen pastoralen Reisen rund
um die Welt. Seine Reise während des Falklandkrieges nach England und anschließend nach Argentinien beweist,
dass Johannes Paul II. kein Risiko scheut, um Frieden zu stiften, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu
verkünden und die Menschenwürde zu verteidigen. Seine Reisen in sein damals noch kommunistisches
Heimatland Polen haben zweifelsohne dazu mitbeigetragen, dass der "Eiserne Vorhang" niedergerissen und die
"Berliner Mauer" gestürzt wurde. Er wurde als das "personifizierte Weltgewissen" tituliert und das amerikanische
Magazin "Times" wählte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche 1994 zum "Mann des Jahres".
Das am 13. Mai 1981 vom Türken Ali Agca begangene Attentat während der Generalaudienz am
Petersplatz, dessen wahre Hintergründe noch nicht geklärt sind, überlebte Johannes Paul II. trotz schwerster
Verletzungen wie durch ein Wunder.
Seine Sozialenzykliken "Laborem exercens" (1981), "Sollicitudo rei socialis" (1987) und "Centesimus
annus" (1991) fanden weltweites Echo. Sein Buch "Die Schwelle der Hoffnung überschreiten" wurde zu einem
Bestseller. In "Laborem exercens" vertrat er den Grundsatz: "In erster Linie ist die Arbeit für den Menschen da und
nicht der Mensch für die Arbeit".
1983 gab Johannes Paul II. ein neues kirchliches Gesetzbuch, den "Codex Iuris Canonici", heraus und
setzte damit das alte von 1917 außer Kraft. Mit Dezember 1992 erschien mit weltweitem Echo ein
"Weltkatechismus", der mittlerweile in verschiedene Sprachen übersetzt wurde.
Zahlreiche Selig- und Heiligsprechungen, so die der Auschwitz - Märtyrer Maximilian Kolbe und Edith Stein,
kennzeichnen das Pontifikat Johannes Pauls II. ebenso wie sein Bemühen um die Einheit der Christen. Er
besuchte die lutherische Gemeinde wie auch die jüdische Gemeinde in Rom. Im Oktober 1986 traf er sich zu einem
Friedensgebet in Assisi mit über 150 Vertretern von 33 christlichen Kirchen und internationalen kirchlichen
Zusammenschlüssen sowie den Delegationen von verschiedenen Weltreligionen.
Trotz seiner enormen Leistungen - und Papst Johannes Paul II. geht sicherlich als einer der bedeutendsten
Päpste unseres Jahrhunderts in die Geschichte ein - gibt es auch Widerspruch gegenüber seinem Pontifikat. Kritik
lösten vor allem seine Stellungnahmen zur Befreiungstheologie lateinamerikanischer Provenienz, seine
Bischofsernennungen mit mangelnder Akzeptanz und sein unverbrüchliches Festhalten in Fragen Zölibat,
Abtreibung, Ehescheidung und Empfängnisverhütung aus.
6. Benedikt XVI
Joseph Ratzinger ist am 16. April 1927 in Marktl am Inn (D) geboren. Sein Vater war Gendarm und seine Mutter
Köchin. Die Zeit seiner Jugend war nicht einfach. Der junge Joseph wurde Zeuge, wie die Nazis den Pfarrer vor
der Feier der Heiligen Messe verprügelten.
Gerade in dieser schwierigen Situation entdeckte er die Schönheit und die Wahrheit des Glaubens an Christus. In
den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs wurde er in den Hilfsdienst der Fliegerabwehr eingezogen.
Studium: Von 1946 bis 1951 studierte er Philosophie und Theologie in Freising und München und wurde 1951
zum Priester geweiht. 1953 beendete er die Doktorarbeit "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der
Kirche". 1957 reichte er unter Professor Gottlieb Söhngen die Habilitationsschrift "Die Geschichtstheologie des
heiligen Bonaventura" ein.
Lehrer: Er lehrte von 1959 bis 1969 in Bonn, Münster und Tübingen. 1969 wurde er Professor für Dogmatik in
Regensburg. Von 1962 bis 1965 war er Berater des Erzbischofs von Köln, Joseph Kardinal Frings beim Zweiten
Vatikanischen Konzil. Im Jahr 1972 gründete er gemeinsam mit Hans Urs von Balthasar und Henri de Lubac die
theologische Zeitschrift "Communio".
Bischof: 1977 ernannte Papst Paul VI. ihn zum Erzbischof von München und Freising. Als Bischofs-Motto wählte
er "Mitarbeiter der Wahrheit"
Rom: Am 25. November 1981 ernannte Johannes Paul II. ihn zum Präfekten der Glaubenskongregation.
Er war Präsident der Kommission zur Vorbereitung des Katechismus der Katholischen Kirche, den er nach
sechsjähriger Arbeit (1986–1992) dem Papst überreichte.
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Unter seinen zahlreichen Publikationen nimmt das Buch "Einführung in das Christentum", eine 1968 veröffentlichte
Sammlung von Universitätsvorlesungen über das apostolische Glaubensbekenntnis, eine Sonderstellung ein.
Papst: Am 8. April 2005 leitete Ratzinger in Rom die Begräbnisfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II. Aus dem
Konklave ging er am 19. April 2005 als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche hervorging.
Deutschland: Im August 2005 besuchte Benedikt XVI. den XX. Weltjugendtag in Köln. Am 24. September 2005
empfing er den vom Vatikan 1979 gemaßregelten Tübinger Theologen Hans Küng zu einem Gespräch.
Benedikt hat betont, dass er in Fragen der Abtreibung und der Sterbehilfe bei seiner Haltung bleibe: „die
Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod.“
Orthodoxe Kirche: Kontakte pflegte er mit dem Patriarchen von Moskau und mit dem Patriarchen von
Konstantinopel.
China: Spannungen zwischen der Volksrepublik China und dem Vatikan traten im Mai 2006 wegen der
Bischofsweihen auf.
Homosexualität: Es kam zu Diskussionen, weil sich Benedikt gegen die Gleichstellung homosexueller Paare
aussprach: Italien 2007 (ähnlich später Großbritannien 2010)
Sehnsucht nach Christus: Bei der Eröffnung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz 2007 äußerte sich
Benedikt: Christus ist von den Ureinwohnern unbewusst herbeigesehnt worden. Diese Darstellung stieß auf
Widerspruch.
Wahrheit in der Demokratie: In den USA, 2008, äußerte er: „Demokratie könne nur aufblühen, wenn sich die
politischen Führer von der Wahrheit leiten lassen“.
Pädophile: Er äußerte sich tief beschämt über pädophile Priester und rief die katholische Kirche zur Reinigung und
Erneuerung auf. Er traf sich in einer symbolischen Geste auch mit Männern und Frauen, die als Kinder oder
Jugendliche von Priestern missbraucht worden waren. Lobend würdigte Benedikt dagegen die tiefe Spiritualität in
den USA.
Friede: Bei einer Rede vor der UN-Generalversammlung in New York forderte er die Vereinten Nationen zu einer
Politik der vorbeugenden Konfliktlösung auf.
Andere Religionen: Bereits in den ersten Monaten nach seiner Wahl ist Benedikt XVI. auch mit Vertretern des
Judentums (Rom, Köln, Wien) sowie muslimischer Gemeinden (Köln) zusammengetroffen. Dabei betonte er stets,
den Dialog der Religionen und Kulturen in der Tradition des 2. Vatikanischen Konzils (vgl. dessen Erklärung Nostra
aetate) und seines Vorgängers, Johannes Pauls II., fortsetzen zu wollen.
Einzigartigkeit der römisch-katholischen Kirche: Die katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen stehen in
der apostolischen Sukzession, die evangelischen Kirchen hingegen nicht.
Vorlesung in Regensburg - Dialog mit dem Islam: Benedikt XVI. zitierte er eine Aussage des byzantinischen
Kaisers Manuel II. zur Rolle der Gewalt im Islam. Er traf sich mit Vertretern des Islam und sprach mit ihnen über
Glaube, Vernunft und Gewaltfreiheit.
Beziehungen zum Judentum: Als erster Papst besuchte er 2005 eine deutsche Synagoge in Köln und verurteilte
jede Form des Rassismus und Antisemitismus und betonte die gemeinsame Wurzeln. Vorher nahm er am
Kaddisch, einem jüdischen Totengebet, für die 11.000 Kölner Juden, die dem Holocaust zum Opfer gefallen waren,
teil. Während seiner Apostolischen Reise nach Polen besuchte Benedikt XVI. 2006 das KZ Auschwitz-Birkenau.
2009 verurteilte er den Holocaust aufs schärfste und betonte die unwiderrufliche Verpflichtung der Kirche zu einem
respektvollen und harmonischen Umgang mit dem Volk des Bundes betonte.
Priesterbruderschaft St. Pius X: Im Jahr 1988 führten illegale Bischofsweihen zur Exkommunikation von vier
geweihten und zwei weihenden Bischöfe. Die Exkommunikation der vier Geweihten wurde am 2009 von Papst
Benedikt XVI. aufgehoben. Sie und die Priester der Bruderschaft sind weiterhin suspendiert und gelten nach
römisch-katholischem Kirchenrecht als „vagante Kleriker“, die größtenteils in irregulärer Weise zum Priester
geweiht wurden und ohne kirchliche Erlaubnis wirken. Zu diesen Bischöfen gehörte der Holocaustleugner Richard
Williamson. Benedikt XVI gab zu, hier zuwenig Informationen gehabt zu haben.
Liturgie: Er erinnerte an die Ausrichtung des Volkes mit dem Priester nach Osten, auf Christus hin. Er plädierte
dafür, dem Altarkreuz einen zentralen Platz in der Liturgie einzuräumen. Er erlaubte auch die außerordentliche
Benutzung des Messbuches von 1962. Er formulierte für diese außerordentliche Form eine neue Karfreitagsfürbitte
für die Juden.
Rundschreiben: 2006 veröffentlichte er die Enzyklika Deus caritas est („Gott ist Liebe“), 2007 Spe salvi („In der
Hoffnung gerettet“), 2009 seine erste Sozialenzyklika mit dem Titel Caritas in veritate („Die Liebe in der Wahrheit“).
Sie wurde zum 7. Juli 2009 veröffentlicht.
Jesusbuch: 2007 veröffentlichte er ein Buch über Jesus von Nazareth. Von der Taufe im Jordan bis zur
Verklärung. Er lud ein, darüber zu diskutieren. Jesus sei kein Mythos, sondern sein Wirken ein genau datierbares
historisches einzigartiges Ereignis.
8.2 Das 2.Vatikanische Konzil (Vaticanum II)
Konzilien, Lebensäußerungen der Kirche:
Das Wort Konzil - lat. con-cilium von con-calare = zusammenrufen - Versammlung, Kreis, Schar.
In der Kirche bedeutet es: Zusammenkunft verantwortlicher Bischöfe mit ihren Theologen, um auf Fragen der Zeit
Antworten zu finden, die dem Geist und der Lehre Christi entsprechen.
Die Kirche ist eine dynamische große Gemeinschaft, die sich auf der Lehre Jesu basierend entwickelt hat, die zu
Zeitfragen - philosophischen, wissenschaftlichen, sittlichen (ethischen und moralischen) Problemen Stellung
nehmen MUSS, um glaubwürdig zu sein. Sie muss aber im Geist Gottes handeln.
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Die heutigen katholische Kirche lebt im Gedächtnis des 2. Vatikanischen Konzils, das als 21.ökumenische
Konzil im Vatikan von 1962 bis 1965 begangen wurde.
Die letzten drei Konzilien und ihre Themen:
Zeit
1545-1563
1869-1870
1962-1965
Ort
19.Konzil Trient
20.Konzil 1.Vaticanum
21.Konzil 2.Vaticanum
Themen
Offenbarung, 7 Sakramente, Gottesdienst
Unfehlbarkeit des Papstes, Glaube und Vernunft
„Aggiornamento“ - Kirche in der Welt von heute Selbstverständnis der Kirche in der Welt von heute
Anlass
Reformation
Aufklärung
Moderne
Die Chronik des 2. Vatikanischen Konzils
25.Jänner 1959
Papst Johannes XXIII kündigt überraschend eine römische Bischofssynode und ein
allgemeines Konzil an.
25.Dezem. 1961
Einberufung aller Bischöfe zum Konzil, das im Oktober 1962 eröffnet wurde.
11.Oktober 1962 Feierliche Eröffnung des Konzils
12.10 - 8.12.1962 Erste Sitzungsperiode
3.Juni 1963
Papst Johannes XXIII. Stirbt
27.Juni 1963
Papst Paul VI. beruft das Konzil für den Herbst wieder ein.
29.9. - 4.12.1963 Zweite Sitzungsperiode
5. Jänner 1964
Papst Paul VI. trifft den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras in Jerusalem
18.Mai 1964
Errichtung des Sekretariats für die nichtchristlichen Religionen
14.9. - 21.11.1964 Dritte Sitzungsperiode
8.April 1965
Errichtung des Sekretariats für die Nichtglaubenden
14.9. - 8.12.1965 Vierte Sitzungsperiode
7.Dezember 1965 Feierliche Aufhebung der gegenseitigen Exkommunikation durch den Papst und den
Ökumenischen Patriarchen
8.Dezember 1965 Feierlicher Abschluss des Konzils
Dokumente
4.Dezember 1963 Konstitution über die heilige Liturgie (die Basis für die Liturgiereform 1969)
Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel
Dogmatische Konstitution über die Kirche ("Lumen Gentium"): über das
21.November
1964
Selbstverständnis der Kirche
Dekret über die katholischen Ostkirchen (unierte Christen)
Dekret über den Ökumenismus (über das Verhältnis zu den getrennten Christen)
28.Oktober 1965 Dekret über die Hirtenaufgaben der Bischöfe in der Kirche
Dekret über die Ausbildung der Priester
Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens
Erklärung über die christliche Erziehung
Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (vor allem
geht es hier um eine Revidierung der Einstellung gegenüber Juden und Moslems; aber
auch zu Hindus und Buddhisten)
18.November
Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung
1965
Dekret über das Apostolat der Laien
7.Dezember 1965 Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute ("Gaudium et spes")
Dekret über Dienst und Leben der Priester
Erklärung über die Religionsfreiheit
Gründe für die Einberufung des 2.Vaticanums
- Einige sehr wichtige Punkte, die auf dem 1.Vaticanum (1869/1870) besprochen hätten werden sollen, warteten
immer noch auf die Aufarbeitung. Das 1.Vaticanum hatte ja wegen des Ausbruchs des Krieges zwischen
Frankreich und Deutschland und des Einmarsches der Italiener im Kirchenstaat abgebrochen werden müssen.
- In den 90 Jahren, die seit dem 1.Vaticanum vergangen waren, war es zu sehr großen politischen Umbrüchen (2
Weltkriege!) und geistigen Aufbrüchen und Entwicklungen gekommen. Dies machte eine Auseinandersetzung
mit der Gegenwart notwendig. Papst Johannes XXIII. verwendete in der Eröffnungsansprache am 11.Oktober
1962 in diesem Zusammenhang den Begriff "aggiornamento". Luitpold Dorn übersetzt dieses Wort in seinem
Kommentar mit "Heutigwerden der Kirche". Das bedeutet keinesfalls, dass sich die Kirche dem Zeitgeist
unterzuordnen, sondern ihm gegenüberzutreten hat.
32
Dazu gehörte auch das Nachdenken über das Selbstverständnis der Kirche, wie es bereits auf dem 1.Vaticanum
vorgesehen gewesen war. Allerdings kann man mit Sicherheit annehmen, dass dieses Kirchenbild 90 Jahre
früher anders ausgefallen wäre, als es nun in offenem Dialog, in dem auch hart darum gerungen wurde,
erarbeitet worden ist.
9 Katholische Priester, Diakone, Bischöfe, Papsttum, Kirchenbilder
9.1 Worterklärung von Kirche:
Das Wort Kirche kommt von Kyriakós (oikos) < > - griechisch - = zum Herrn gehörig(es Haus)
Der Herr heißt o Kyrios - griechisch - = der Herr ...> Kirche (deutsch),
Das Wort Ekklesía, <> - griechisch - = Versammlung; im alten Griechenland die ordnungsgemäß
einberufene Versammlung der griechischen Stadtstaaten (vergleichbar mit der Appenzeller "Landsgmeind")
9.2 Konfessionskundliches Sprachenwirrwarr
katholisch
Der Name kommt von katholikos <> (griech.) = "allumfassend"
Katholisch ist die Eigenschaft der Kirche - Universalkirche (gilt auch für getrennte Christen)
Katholisch ist die Bezeichnung der christlichen Gemeinden, die 21 Konzilien und den römischen
Papst als ihr Oberhaupt anerkennen.
orthodox
Der Name kommt einerseits von ortho-dokéo <> (griech.) = richtig glauben,
andererseits von ortho-doxazo <> (griech.) = richtig preisen, die "rechte Lobpreisung Gottes“, die sich
im wahren Glaubensbekenntnis, in Kult und Leben verwirklicht.
Jeder Glaubende fühlt sich "rechtgläubig" = orthodox! (man spricht auch von "orthodoxen Juden"
oder "orthodoxen Kommunisten"...)
Orthodox ist die Bezeichnung der christlichen Gemeinden, die 7 Konzilien anerkennen und in
Kircheneinheit mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel (heute: Istanbul) sind.
evangelisch Der Name kommt von - ev-angelion <-> (griech.) = Frohe Botschaft
evangelisch sind alle jene Christen, die sich primär am Evangelium Jesu Christi orientieren und die
an der ständigen praktischen Reform nach den Normen des Evangeliums arbeiten. (vgl. auch "Evangelische Räte")
Evangelisch ist die Bezeichnung der christlichen Gemeinschaften, die sich im Laufe der Reformation
von der römischen (päpstlichen) Kirche getrennt haben und die die mündliche Überlieferung und die Tradition
gegenüber dem Evangelium abwerten, ja sogar teilweise ablehnen (sola scriptura)
9.3 Der hierarchische Aufbau der Kirche
1. Zuerst bin ich Christ: Die Grundberufung der Christen in dem einen Volk Gottes
2. Die geweihten Amtsträger, das heißt die Mitglieder der Hierarchie, sind dazu bestellt, das priesterliche Volk zu
lehren und zu leiten (Kirchenkonstitution Nr. 10)
3. Die hierarchische Verfassung der Kirche, wie sie das Kirchenrecht darstellt, besteht in 3 Weihestufen Diakon,
Priester und Bischof. Der Papst wird von den Kardinälen gewählt und ist Bischof von Rom.
1. Zuerst bin ich Christ: Die Grundberufung der Christen in dem einen Volk Gottes
Papst Johannes XXIII. (*1881, Papst 1958, †1963), unter dem das II. Vatikanische Konzil einberufen
wurde, soll einmal gefragt worden sein, welches der wichtigste Tag in seinem Leben gewesen sei. Seine Antwort:
"Mein Tauftag." In dieser überraschenden Antwort des Papstes wird deutlich, dass die Grundberufung des Christen
in der Taufe verliehen wird: Jeder Getaufte ist Glied des Volkes Gottes.
Bevor überhaupt nach dem hierarchischen Aufbau der Kirche und damit nach dem "heiligen Ursprung" so die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes "hierarchia" - gefragt werden kann, muss vom Volk Gottes
als ganzem gesprochen werden. Wem durch die heilige Weihe ein besonderes Dienstamt in der Kirche übertragen
wird, der ist bestellt, dem Volk Gottes zu dienen, und nicht über dieses zu herrschen. Nur unter dieser
Voraussetzung ist der Begriff "Hierarchie" überhaupt statthaft, wenngleich er viele Jahrhunderte bestimmt anders
aufgefasst (als heilige Herrschaft) und auch ausgeübt wurde.
Christen erhalten durch die heilige Weihe Anteil a) am Lehramt, b) am Priesteramt und c) am Hirtenamt
Christi. "Wo mich erschreckt, was ich für euch bin, da tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof,
mit euch bin ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr, dieses das Heil." (Bischof
Augustinus (†430))
2. Die geweihten Amtsträger, das heißt die Mitglieder der Hierarchie sind dazu bestellt, das priesterliche Volk
aufzubauen und zu leiten (Kirchenkonstitution Nr. 10)
Nach katholischer und orthodoxer Auffassung gehen die Ämter des Diakons, des Priesters und des
Bischofs unmittelbar auf die Stiftung durch Jesus Christus zurück, d.h. sie sind "göttlichen Rechts". Daher
können diese Ämter von der Kirche nicht nach Belieben verändert oder abgeschafft werden, während
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beispielsweise die konkrete Frage, wie jemand Bischof wird (ob durch Wahl oder unmittelbar vom Papst ernannt),
durchaus innerhalb des kirchlichen Rechts auf verschiedene Weise gelöst werden kann.
Die höchste Weihestufe ist die des Bischofs. Durch die Bischofsweihe, die in der katholischen Kirche nicht
ohne die Bestätigung durch den Papst vorgenommen werden darf und die durch wenigstens drei Bischöfe
gespendet wird, wird der Erwählte aufgenommen in das Bischofskollegium, dessen Vorsitzender der Papst als
Bischof von Rom ist. Der Papst ist also der Weihe nach um nichts mehr als ein Bischof. Als Nachfolger des heiligen
Petrus ist er aber der Vorsitzende des Bischofskollegiums, das ohne oder gegen ihn nicht handlungsfähig ist. Die
erste Aufgabe des Papstes ist die Wahrung und Förderung der Einheit innerhalb des Bischofskollegiums und
insofern auch innerhalb der Gesamtkirche.
Innerhalb seiner Diözese ist der Bischof der ordentliche Hirte (also nicht nur der Stellvertreter des
Papstes!), der für die Verkündigung und Frohbotschaft und für das Wohl der Gläubigen Sorge zu tragen hat
In Abhängigkeit von den Bischöfen und in enger Zusammenarbeit mit diesen üben die Priester ihr Amt
aus. Gleich dem Bischof haben sie für die ihnen anvertraute(n) Gemeinde(n) die Aufgabe der Verkündigung der
Frohbotschaft, des Hirtenamtes an den Gläubigen und der Feier des Gottesdienstes. Zusammen mit einem
Diözesanbischof bilden sie das Presbyterium der Diözese.
Eine Stufe tiefer stehen die Diakone, die die Weihe zum Dienstamt empfangen haben. Da der Diakonat
erst vom II. Vatikanum als dauernde Weihestufe, die auch verheiratete Männer empfangen können, wieder belebt
wurde - bis zum Konzil war der Diakonat nur eine Durchgangsstufe vor der Priesterweihe -, darf man sich nicht
wundern, dass sich die eigenen Konturen des Diakonats noch nicht so recht herausgebildet haben. Liturgisch sind
Diakone jedenfalls ordentliche Spender der Taufe, berechtigt zur Eheassistenz und zur Abhaltung von
Begräbnissen. Auch haben sie das Recht, innerhalb der Messfeier zu predigen.
3. Die hierarchische Verfassung der Kirche, wie sie das Kirchenrecht darstellt
Die höchste Autorität der Kirche liegt beim Papst (1) und beim Bischofskollegium (2). Wie eine Ellipse zwei
Brennpunkte hat, so kann einerseits der Papst allein die höchste Autorität in der Kirche ausüben. Hier handelt es
sich um so genannte Ex - Kathedra-Entscheidungen, wie der Papst eine unfehlbare Lehrentscheidung verkündet,
oder um die Ausübung der so genannten Primartialgewalt, wenn er kraft seines Amtes in die Angelegenheiten
einer Diözese direkt eingreift (z.B. wenn er wegen Häresie einen Bischof absetzen muss). In diesen Fällen handelt
er kraft seines Amtes als Letztverantwortlicher der Weltkirche, aber nie gegen die Überlieferung der kirchlichen
Glaubenstradition, sondern immer in Auslegung derselben.
Die zweite Form der Ausübung der höchsten Autorität in der Kirche wird wirksam, wenn das gesamte
Bischofskollegium - immer in Zusammenarbeit mit dem Papst und unter seiner Leitung - zu einem ökumenischen
(= allgemeinen) Konzil zusammentritt, um wichtige Fragen der Glaubenslehre oder der kirchlichen Praxis zu
behandeln und entsprechende Beschlüsse zu fassen. Bisher hat es 21 solche ökumenische Konzilien gegeben.
Der wichtige Anlass des letzten, des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965), wo etwa 2.500 Bischöfe beisammen
waren, war es, die Kirche mit der Welt von heute ins Gespräch zu bringen und die Seelsorge für die Erfordernisse
von heute auszurüsten.
Als sichtbaren Ausdruck der Kollegialität hat das II. Vatikanum als regelmäßige Einrichtung die
Bischofssynoden eingerichtet, die alle zehn Jahre tagen und bei denen Vertreter der Bischöfe der ganzen Welt
zusammenkommen und den Papst beraten.
Dem Kardinalskollegium (derzeit ungefähr 130 Mitglieder aus der ganzen Welt) kommt es zu, die
Papstwahl vorzunehmen und ihn zu beraten.
Die römische Kurie verwaltet die Kirche mit zehn Kongregationen, drei Gerichtshöfen und anderen
Einrichtungen.
Teilkirche sind die Bezirke, die unter der Leitung eines Diözesanbischofs steht, bei uns Diözese genannt.
In der Diözese hat der Bischof höchste gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt.
Die Diözesen sind zu Kirchenprovinzen (in Österreich Wien und Salzburg) zusammengeschlossen, die
ein Erzbischofs (Metropolit) leitet.
Wichtig ist die Bischofskonferenz, die Diözesen eines staatlichen Territoriums zusammengefasst.
Der Bischof kann eine Diözesansynode einberufen, die den Bischof berät.
Es kann auch Bischofsvikare geben, denen die Vertretung des Bischofs in Teilbereichen zukommt (z.B.: Wien
Stadt; Weinviertel und Industrieviertel).
Die kleinste Einheit der Diözese ist die Pfarre. Ihr steht ein Pfarrer vor, der für die Verkündigung zuständig
ist und für die gesamte Seelsorge. Kapläne, Pastoralassistenten/innen und Diakone in der Pfarre angestellt
werden.
Jede Pfarre muss einen Verwaltungsrat haben, in dem Laien (Nichtgeweihte) die Angelegenheiten der
Pfarre beschließend mitverantworten. Der Pfarrgemeinderat ist in Österreich seit ca. 25 Jahren verpflichtend
eingeführt. Er berät und verantwortet (je nach den unterschiedlichen Statuten der einzelnen Diözesen) die
Seelsorge mit.
Als Zwischeninstanz zwischen Diözese und Pfarre gibt es die Dekanate, deren zuständiger Leiter der
Dechant oder Dekan ist. Ihm kommt es zu, die pastorale Tätigkeit im Dekanat zu fördern, die Priester zu besuchen
und in ihrem Beruf zu ermutigen sowie die pfarrliche Verwaltungsarbeit zu überprüfen.
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Abschließend soll noch auf verschiedene Sonderseelsorger hingewiesen werden, wie etwa die
Militärseelsorger, Krankenhaus- und Studentenseelsorger oder auch auf Priester, die in Ordenshäuser,
Priesterseminaren oder als Religionslehrer u. Professoren der Universität ihren Dienst tun.
9.4 Die 3 Aufgaben der Kirche und die Kirchenbilder
Die Kirche hat drei Aufgaben: Verkündigung (Weitergabe des Glaubens), Diakonie (Nächstenliebe) und
Gottesdienste feiern (Liturgie)
Kirche ist einerseits Volk Gottes (nach den Juden das zweite Volk Gottes), andererseits Leib Christi,
Mysterium und Werkzeug der Liebe. Es gibt drei Modelle: Kirche als "Frau" im Gegenüber zu Christus (Geliebte
und Ehebrecherin, gekrümmte Frau, weinende Witwe), Kirche als Zufluchtsort (Heilsvermittlerin, Geborgenheit
und Gehorsam = veraltet, autoritäre Verhaltensmuster), Kirche als Hoffnungszeichen (Kirche als
Weggemeinschaft zum Reich Gottes, als Pilgerndes Gottesvolk, als Gemeinschaft von Sündern, solidarisch mit
den Armen, Kommunikation nach innen und nach außen, Kirche als Zeichen (=Sakrament) der Liebe Gottes,
Teilnahme aller Christen an den Entscheidungsprozessen der Kirche)
Drei Anregungen zu einer Kirchenspiritualitätl: Christen sollen das ihrem Glauben Gebotene möglichst
selbstverständlich und absichtslos tun. Wichtiger ist es, auf das Reich Gottes zu achten, als auf die Kirche. Sie
sollen den kulturellen Reichtum der anderen Länder und Kontinente wahrnehmen, keine Polemik, wohl aber
Widerspruch zeigen, die Kraft der Geduld einüben. Die Kirche ist wie eine schwangere Frau, die unter Schmerzen
das neue hervorbringt. Die Christen sollen nicht bitter und hart werden und sich nicht das innere Grundvertrauen,
die Heiterkeit des Herzens zerstören zu lassen.
10 Die 7 Sakramente:
10.1 Sakramente – Zeichen des Heils
1.1 Wesen und Bedeutung der Sakramente, Worterklärung und Wortgebrauch
Sakrament ist im Deutschen ein Lehnwort aus dem Lateinischen (sakramentum). Im klassischen Latein ist
sakramentum zunächst das vereinbarte Lösegeld, dann der Diensteid oder Fahneneid der Soldaten und
Staatsbeamten. Sakrament ist somit kein unmittelbar kultischer Begriff, sondern ein Begriff, der aus dem
öffentlichen Leben kommt (man muss dabei aber vor Augen haben, dass das öffentliche Leben in der Antike ohne
feste Verknüpfung mit dem religiös kultischen Leben nicht gedacht werden kann).
In Nordafrika hat man das Wort sacramentum an der Stelle verwendet, wo die Griechen mysterion
schreiben; das war im 3. Jh. n. Chr. Mysterion, = Geheimnis
Geheimnis in unserem Sprachgebrauch ist nicht nur etwas, was man nicht verstehen kann, sondern was
man geheim halten soll. Mysterion meint aber nicht, dass etwas geheim zu halten ist. Mysterion wird das
Glaubensgeheimnis deshalb genannt, weil es unfassbar ist.
Schließlich bezeichnen die Theologen der ersten christlichen Jahrhunderte auch die Worte und Taten
Jesu als mysteria, weil sie zu unserem Heil gesprochen und vollbracht wurden. Darüber hinaus werden später
auch die Kirche, ihre Lehre, ihr Gottesdienst, ihre Gebete, Segnungen und Riten mysteria = sacramenta genannt.
Erst im 12. Jahrhundert entwickelt sich der heute übliche Sakramentenbegriff. Es entfaltet sich eine
Sakramententheologie, die Ausschau hält nach sieben Sakramenten. Das wohl deswegen, weil die Zahl sieben
eine Zahl der Vollkommenheit ist, die die Zahl Gottes (des Himmels) und Erde zusammenfasst, wobei drei die Zahl
des Himmels und Gottes ist, vier die Zahl des Kosmos.
1.2 Sacherklärung von Sakrament
Das Sakrament schlechthin ist Jesus Christus, denn in ihm und durch ihn hat sich das heilende Handeln
Gottes am Menschen gezeigt.
Um aber vom sakramentalen Handeln reden zu können, muss das Innere äußerlich werden, nach außen in
Erscheinung treten; es geht also hier um das Symbol. Der Mensch ist erst Mensch, weil seine Person sich in
einem Leib äußert. Dabei sind die grundlegenden Äußerungen Verhalten, Sprache und die Bilder. Die Kunst ist wie die Religion - vor allem Ausdrucksmittel für umfassende, gesamtheitliche Vorgänge. Religion verwendet, weil
sie sich ebenfalls umfassend ausdrückt, in der Sprache Vergleiche, Analogien, Gleichnisse, Bildworte und
Parabeln.
Beim sakramentalen Tun finden wir die drei Komponenten Verhalten, Sprache und Bild. Gott hat sich mit
den Menschen eingelassen, wobei dies nur durch Äußerungen möglich war. Damit sich Gott zeigen kann, müssen
wir ihm die Mittel leihen: das Verhalten, die Sprache und die Bilder. Gott hat sich auf menschliche Weise
geäußert, in dichtester Form in der Inkarnation (= Menschwerdung), in der er selbst als Mensch uns Menschen
begegnet ist, damit wir Menschen ihn wahrnehmen. Gott redet zu uns, indem er unsere Sprache benutzt und wir
sie ihm leihen müssen. Er handelt mit uns, indem wir ihm Taten Leihen. Er zeigt sich in der Welt, indem wir ihm
Bilder leihen.
2. Christus als Ursakrament und der sakramentale Charakter der Kirche
Wenn wir im Sinn der traditionellen Theologie das Sakrament in seinem allgemeinen Sinn als sichtbares
Zeichen einer unsichtbaren Gnade (= Zuneigung Gottes zu uns Menschen) verstehen, dann können wir Christus
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treffend als das Ursakrament bezeichnen. Es wird die Inkarnation in diesem einen Jesus hinausgetragen in den
neuen Leib der Kirche. (Es ist gut, wenn wir sagen, die Kirche ist Leib Christi, weil die Leibhaftigkeit und damit die
Wahrnehmbarkeit mit allem was oben gesagt wurde, auf die Kirche übergegangen sind.) Die Kirche als Ganze ist
somit ein Sakrament. Nicht nur wenn getauft oder gefirmt wird, sondern wo die Kirche als Kirche lebt, auch wenn
die Kirche z. B. Caritas betreibt und unterrichtet. So können wir sagen: Jesus Christus ist das Ursakrament, die
Kirche das Grundsakrament.
3. Die Auseinanderfaltung des Ursakraments in die einzelnen Sakramente
Das Auseinanderfallen des einen Sakraments geschieht aufgrund menschlicher Existenzerfahrungen. Es gibt
Schlüsselereignisse, Entscheidungssituationen, in denen der Mensch angewiesen und offen ist für das Mysterium
Christi.
Solche Entscheidungssituationen sind:
Geburt: individuelles Leben
zugleich sozial verflochten
Dem entspricht:
Taufe: Geburt ins neue Leben
Eingliederung in die Kirche
Reife: Schritt vom Unselbständigen zum Selbständigen Firmung: Vollendung der Taufe
Hunger, Nahrung: existentielle Not,
Eucharistie als Feier der Verbindung mit der
Tischgemeinschaft Jesu
Existenzfrage für Menschen, Gemeinschaft:
Ursehnsucht nach Leben
Schuld und Versöhnung: unfertig,
Fragmentarisch, verführbar, Hass
Erfahrung des Unheils und Heils
Beichte: Versöhnung: von Gott geschenkt
Krankheit, Heilung: als Gefährdung
des Lebens; Analogie zur Schuld in Erfahrung des
Unheils und Erfahrung des Heils
Krankensalbung: Aufrichtung des Niedergedrückten
Liebe, Zeugung:
Ehe: Aufhebung des Gegensatzes Mann - Frau; Bund
Gottes mit uns Menschen, als Bild: die Fruchtbarkeit der
Kirche, als Mutter aller Gläubigen, Gott gegenüber.
Struktur der Gemeinschaft
Weihe von Bischöfen Priestern und Diakone zum Aufbau
der Hoffnungsgemeinschaft
Die sakramentalen Zeichen sind kulturübergreifend:
Wasser ist überall für menschliches Leben unerlässlich. Vor allem in Wüstengegenden wird einem bewusst, dass
Wasser Segen ist.
Öl gilt in südlichen Ländern als Reichtum; wird zur Salbung verwendet.
Brot bzw. Nahrung: Das Wort "Brot" wird beim Abendländer auch für Brotverdienen (für den täglichen Unterhalt)
verwendet. (Für den Chinesen ist Reis der Inbegriff täglicher Nahrung.)
Handauflegung bedeutet Kontakt und Zuwendung eines Menschen zum anderen (auf begreifbare Weise).
Theologie und Praxis der kath. Kirche haben zur Siebenzahl der Sakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie, Ehe,
Priesterweihe, Buße und Versöhnung, Krankensalbung) geführt, obwohl man im ersten Jahrtausend auch andere
Mysteria der Kirche (wie Konsekration einer Kirche, Mönchsweihe und Begräbnisriten - zuweilen zählte man mehr
als 30 Sakramente) mit diesem Ausdruck bezeichnet hat. Für die ausgegrenzten sieben Sakramente hat sich seit
der Scholastik (= die auf die antike Philosophie gestützte, christliche Dogmen verarbeitende Philosophie und
Theologie; etwa 9. - 14. Jh.) eine feste Reihenfolge herausgebildet.
Taufe, Firmung und Eucharistie gelten seit alters her als die Sakramente der Initiation (= Eingliederung in die
Kirche), der Christwerdung, die nach jahrelanger Vorbereitung (= Katechumenat) zumeist in der Osternacht
gespendet wurden.
Was die Rangordnung der Sakramente untereinander angeht, so bildet die Eucharistie als Gedächtnis und
Vergegenwärtigung des Pascha - Mysteriums den Mittel- und Höhepunkt des sakramentalen Geschehens, aus
dem die übrigen Sakramente ihre Kraft schöpfen.
4. Zur Wirksamkeit der Sakramente
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Als Zeichen des Glaubens bewirken die sakramentalen Handlungen auch das, was die bedeuten. Sie
weisen nicht nur auf das Mysterium Christi hin, sondern bringen das Mysterium auch in die Gegenwart.
Gültig und wirksam ist das Sakrament dort, wo der menschliche Spender den wesentlichen Ritus in der
Absicht vollzieht, das zu tun, was die Kirche mit dem Sakrament zu tun beabsichtigt, auch wenn er persönlich
unwürdig ist. Hierfür hat die Scholastik anfangs des 13. Jh. den Begriff der Wirksamkeit ex opere operato
entwickelt, d h. wörtlich aus dem vollzogenen Werk, nämlich kraft des richtig vollzogenen Ritus. Dabei ist der Ritus
aber nur das Medium, durch das Christus selbst die innere Heiligung bewirkt.
Was den Empfänger eines Sakraments angeht, so ist die sakramentale Wirkung immer Geschenk. Von ihm
wird verlangt, dass er sich öffnet. Wer aber dieses Geschenk Christi durch bewussten Unglauben verweigert, bei
dem kann das Sakrament keine Wirksamkeit entfalten.
5. Zusammenfassung
 Sakramente sind wichtige Elemente der Zeichensprache des Glaubens. In ihren Worten und Symbolen
kommt der christliche Glaube besonders sinnenfällig, intensiv und wirksam zum Ausdruck.
 Sakramente erinnern an Jesus und führen die Gläubigen zur Begegnung mit ihm, dem lebenden Christus.
Sie halten die Hoffnung auf seine Wiederkunft und auf die Vollendung der Gottesherrschaft wach.
 Sakramente deuten und verändern oft Wendepunkte, Grenzsituationen und einschneidende Ereignisse
des Lebens wie Geburt, Erwachsenwerden, Eheschließung, Erfahrung von Schuld und Krankheit.
 Die Feier der Sakramente führt die Gläubigen zusammen und macht die kirchliche Gemeinschaft sichtbar.
 Als Zeichen des Heils sind Sakramente zugleich auch Zeichen des Widerspruchs in einer nicht heilen
Welt, in der Schuld, Krankheit und Tod oft verdrängt werden, in der Menschen am Sinn ihres Daseins
verzweifeln, in der die Eigenliebe häufig größer ist als die Solidarität und viele Menschen Treue für
unmöglich halten.
 Sakramente sind wirksame, aber keine magischen Zeichenhandlungen, mit denen Gott zu etwas
veranlasst werden könnte. Sie wirken nicht automatisch, sondern bedürfen der Bereitschaft des
Empfängers, die Zuneigung Gottes (= Gnade) anzunehmen.
 Der Glaube entziffert die Sakramente als Zeichen der Treue Gottes, der in allen Situationen des Lebens
zum Menschen hält. So sind sie Stationen auf dem Weg, den Gott mit dem Menschen geht.
10.2 Befreienden Sakramente, ihre Symbole und Wirkung
Taufe:
Wasser: Es befreit von Durst und Schmutz. Menschen fühlen sich nach einem Bad wie neu geboren.
Öl: Es befreit von Krankheit und Armut, es schenkt Heilung und Duft.
Wort: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Firmung:
Handauflegung: Sie befreit uns von Angst und Einsamkeit und macht uns zu Rettern.
Salbung: Sie befreit von der Bedeutungslosigkeit und macht uns zu Prinzen und Prinzessinnen.
Wort: Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.
Krankensalbung:
Salbung: Sie befreit von Krankheit und Herzenskälte und schenkt Heilung und ein menschliches Herz.
Wort: Gott helfe Dir in seinem reichen Erbarmen, er stehe Dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes: Gott, der Dich
von Schuld befreit, rette Dich, in seiner Gnade richte er Dich auf.
Bischofsweihe, Priesterweihe, und Diakonweihe:
Handauflegung: Diese Handauflegung überträgt die Aufgabe, eine katholische Gemeinde zu leiten.
Eucharistie (sie ist das gemeinsame Sakrament)
Brot: Der Gottesleib befreit von Hunger, Armut und Krankheit und schenkt Gemeinschaft
Wein: Das Gottesblut befreit von Schuld, schenkt göttliche Freude und verbindet die Menschen zu Freunden und
Freundinnen.
Wort: Nehmt und esst alle davon: Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.
Nehmt und trinkt alle davon: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für Euch und
für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.
Buße:
Lossprechung von Sünden: Sie befreit von Schuld und nimmt den Menschen wieder in die Gemeinschaft auf.
Wer sich von Sünden lossprechen lassen will, soll vorher
 das Gewissen erforschen
 die Fehler bekennen
 sie bereuen
 den Schaden wiedergutmachen zu versuchen
 Vorsätze fassen
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Wort: „So spreche ich Dich los von Deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen
Geistes. Amen.“
Ehe:
Das Jawort geben: Das Jawort befreit von Unsicherheit und ist Zeichen der Liebe und der treuen Freundschaft bis
zum Tod.
Wort: Ich nehme Dich an als meine Frau/ als meinen Mann und verspreche Dir die Treue in guten und bösen
Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will Dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe.
Die sieben Sakramente und ihre Wirkung
Sakramente:
Zeichen:
Wort:
Wirkung:
Spender:
Häufigk
eit:
Ehe
Ringe, Kuss.
Ich nehme dich an als
meinen Mann /meine
Frau
Treue bis zum Tod,
Befreiung von Unsicherheit,
Stärkung der Gemeinschaft
Mann und
Frau
1x
Priesterweihe
Bischofsweihe
Handauflegung
Gib, o Herr, deinem
Diener die priesterliche
Würde
Geweiht für Gott und die
Menschen, Leitung einer
kath. Gemeinde
Bischof
1x
Taufe
Wasser
(Öl, weißes
Kleid, Kerze)
Ich taufe dich im
Namen des Vaters,
des Sohnes und des
Heiligen Geistes.
In die Gemeinschaft der
Christen aufgenommen
werden, Befreiung von
Unheil
Jeder
(Priester,
Diakon)
1x
Firmung
Chrisamöl,
Handauflegung
Sei besiegelt durch die
Gabe Gottes, den
heiligen Geist
Geschenke des hl. Geistes,
erwachsen werden, Prinz
und Prinzessin werden
Bischof
1x
Beichte
„Ich habe das
getan.“
Ich spreche dich los
von deinen Sünden.....
Befreiung von Schuld und
Sünde, Wiederaufnahme in
die Gemeinschaft
Priester
Oft, vor
Ostern
Krankensalbung
Chrisamöl
Durch diese heilige
Salbung helfe dir der
Herr in seinem reichen
Erbarmen....
Hilfe in der Krankheit, Hilfe in
der Krise, Befreiung von
Herzenskälte
Priester,
Diakon
Mehrmals
Messe:
Wortgottesdienst und
Eucharistie
Brot und Wein
Das ist mein Leib - Das
ist mein Blut - Tut dies
zu meinem Gedächtnis
Gegenwart Jesu, Befreiung
von Einsamkeit. Aufbau
einer Gemeinschaft
Priester
und
Gläubige
Oft,
Sonntag
11 Kirchengeschichte: Die ersten Christen, Christenverfolgung, Mönche
und Orden.
11.1 Christentum bis 313
1. Die Anfänge der Kirche - Das Urchristentum
Die Kirche hat ihren Anfang in den kleinen Gruppen von Freunden, Verwandten und Anhängern Jesu von
Nazareth, die nach Jesu Tod in Galiläa und Jerusalem weiter bestanden bzw. sich neu gebildet haben. Diese
Gruppen (Gemeinden) waren erfasst von einer Begeisterung, die auf ganz unverhofften Erfahrungen beruhte, die
sie gemacht hatten und die sie in Erzählungen von völlig neuartigen Begegnungen Jesu mit ihnen (Erscheinungen)
und in der Aussage von seiner Auferstehung von den Toten bezeugten.
Die Quellen über die Anfangszeit der Kirche sind die neutestamentlichen Schriften, die als Selbstzeugnis
für diese ersten Christengemeinden zu verstehen sind. Um die Wende zum 2. Jahrhundert kommen weitere
christliche Schriften hinzu, die nicht in den biblischen Kanon aufgenommen sind, aber Informationswert haben (so
genannte "Apostolische Väter" oder die „Apokryphen“).
Von Anfang an gab es nicht nur eine Urgemeinde in Jerusalem, sondern eine Mehrzahl von geographisch
verstreuten Gemeinden, die ihre lokalen Jesus - Erinnerungen und Erzählungen hatten, von denen ein Teil in
unsere vier Evangelien eingegangen ist.
Die Grundstimmung des Urchristentums war das Neuheitserlebnis, den Anbruch des Heils der Welt jetzt
zu erleben. Man sah die "letzten Tage" angebrochen, weil es nach jüdischer Anschauung das Ende der Welt
bedeutete, wenn Gott durchgreift und die "neue Erde" schafft. Einige lebten in der nahen Erwartung, dass Jesus
wieder kommen wird. Dies verlor sich noch im Laufe des 1. Jahrhunderts.
38
Die urchristlichen Gemeinden waren kleine Gruppen ohne institutionelle Regelmäßigkeiten. Entscheidend
war die Bekehrung vom bisherigen Leben, die Abkehr von den Dämonen und heidnischen Göttern, die Taufe als
Befreiung von der todbringenden Sünde, und damit zugleich die Zugehörigkeit zur Gemeinde, in der das göttliche
Gedächtnismahl gefeiert wird.
1.1 Das Urchristentum im Judentum
Die ersten Christengemeinden waren eigenständig und führten ein Eigenleben als eine Gruppe innerhalb des
Judentums. Sie glaubten wie zuvor an den Gott Israels, ihre Bibel war die Bibel der Juden, wenn auch in neuer
Auslegung und lebten weiterhin in der jüdischen Praxis von Tempelkult und Gesetz und machten auf
Außenstehende den Eindruck einer jüdischen Sondergruppe. Allerdings lebten sie nach der Lehre des Juden
Jesus, der ihr einziger Lehrer war. Sie praktizierten die Taufe aus Wasser und heiligem Geist als Ritus der
Aufnahme in ihre Gemeinschaft, feierten das eucharistische Mahl als eine geschlossene gottesdienstliche Feier, an
der nur Mitglieder der Gemeinde teilnehmen konnten, daneben pflegten sie weiterhin den jüdischen Kult. Die junge
Kirche begriff sich als Ereignis innerhalb Israel, sie verstand sich als neues Israel und verstand ihre Aufgabe
zunächst in Israel und nicht darüber hinaus. Die frühen Missionserfolge unter den Heiden machten den
Universalismus neu aktuell und bezog ihn jetzt über Israel hinaus auf alle Völker.
1.2 Gruppen und Richtungen innerhalb des Urchristentums
Das Urchristentum war nicht nur geographisch gestreut, es war auch der religiösen Grundposition und
Praxis nach kein einheitliches Phänomen. Im Judentum selbst unterschied man zwischen den einheimischen
Juden aramäischer Sprache und den griechischsprachigen Juden, die in der jüdischen Diaspora eines
hellenistischen Auslandes z.B. Ägypten, Griechenland, Kleinasien oder Rom lebten. In der Apostelgeschichte
heißen die zwei Gruppen "Hebräer" und "Hellenisten" (Apg 6,1). Die beiden Gruppierungen der Urgemeinde
wurden getrennt: Die Hellenisten wurden vom Hohen Rat aus Jerusalem vertrieben, die Hebräer konnten dort
bleiben (Apg 8,1). Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Gruppen lag darin, dass die Hellenisten die
Verbindlichkeit von Kult und Gesetz durch Jesus aufgehoben sahen. Die Hebräer verbanden ihren Glauben an
Jesus weiterhin mit ihrer jüdischen Religion und wurden im Raum des Judentums toleriert.
Die vertriebenen Hellenisten haben in ihrer Mission außerhalb von Palästina unter den Heiden das
Christentum ohne Judentum praktiziert und gepredigt, das heißt ohne Gesetz und Beschneidung, wogegen die
palästinischen, weiterhin verbliebenen jüdischen Christen protestiert haben und überzeugt waren, dass die Taufe
Jesu Gesetzesgehorsam und Beschneidung voraussetze. Diesen Konflikt löste Paulus und entschied zugunsten
der gesetzesfreien Heiden (Gal 2, Apg 15)). In diesem Zusammenhang steht auch das so genannte Apostelkonzil
im Jahr 48 in Jerusalem, ein Treffen von Vertretern der verschiedenen urchristlichen Gruppen. Die Apostel der
Jerusalemer Urgemeinde trafen sich mit Paulus und seinen Begleitern. Es wurde verbindlich anerkannt, dass die
Taufe zur Aufnahme in die Heilsgemeinschaft genügt und Heiden sich nicht erst beschneiden lassen müssen, um
Christen werden zu können.
Eine weitere christliche Gruppe war jene, deren Existenz man aus der Quelle Q, die auch von Matthäus
und Lukas verwendet wurde, erschließen kann. Sie nannten Jesus "Menschensohn" und zogen mit den Worten
Jesu von Dorf zu Dorf.
2. Die Ausbreitung des Christentums
Schon bald nach den ersten Jahrzehnten wurde das Christentum eine eigene Religion neben dem Judentum. Das
Christentum breitete sich binnen kurzer Zeit in Palästina, Syrien, Kleinasien, Cypern, Griechenland, Ägypten und
Rom aus. Es gab zwar Wandermissionare vom Typ eines Paulus und seiner Mitarbeiter, aber entscheidend
waren die Christen, die durch ihren veränderten Lebensstil, durch ihr Reden über den neuen Glauben und durch ihr
Gemeindeleben auffielen. Aber auch die vielfachen sozialen Kontakte in der jüdischen Diaspora („Zerstreuung“)
und im alltäglichen Leben waren für die Ausbreitung des Christentums entscheidend.
Einen großen Anteil an der Ausbreitung hatten vor allem die aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten. Sie
predigten das Evangelium außerhalb von Palästina und vor Nichtjuden. Besondere Bedeutung kam dabei der
judentumsfreien, christlichen Gemeinde in der syrischen Großstadt Antiochien zu. Hier wurden die Jünger auch
zum ersten Mal Christen (Apg 11,26) genannt. Das gesetzesfreie Christentum war griechischsprachig und konnte
somit überall verstanden werden. Beide Merkmale, Gesetzesfreiheit und griechische Sprache, bedeuten eine
universale Öffnung. In den ersten drei Jahrhunderten finden wir Christen zunächst vorwiegend in den Städten an
den Hauptverkehrswegen.
Soziologisch gesehen setzte sich das Urchristentum von Anfang an aus Leuten aller sozialen Schichten
zusammen, d.h. aus sozial gehobenen, gesellschaftlich angesehenen Schichten ebenso wie aus den Mittel- und
Unterschichten. Die These vom Christentum als Sklavenreligion ist falsch. Besondere Bedeutung in der Frühzeit
kommt auch den Frauen für das Leben und die Mission der urchristlichen Gemeinden zu, wie wir aus den
Paulusbriefen entnehmen können. Besonders günstig wirkte sich für die Ausbreitung des Christentums die politisch
- stabile Lage der damaligen Welt unter der Herrschaft der Römer aus. Es profitierte auch vom hervorragenden
Verkehrsnetz und breitete sich entlang den römischen Verkehrswegen aus. Damalige Verkehrs- und Kultursprache
vom Vorderen Orient bis in den Westen war das Griechische, sodass das Christentum in einer einzigen Sprache
verkündigt werden konnte. Im 2./3. Jahrhundert wurde das Griechische im Westen vom Lateinischen abgelöst.
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Das Christentum ist von Anfang an eine synkretistische Religion (Verschmelzung von verschiedenen
religiösen Phänomenen) gewesen, d.h. von religions- und kulturgeschichtlichen Einflüssen nichtchristlichen
Umfeldes, vor allem durch das hellenistische Judentum und die heidnisch griechisch-römisch Antike mitgeprägt
und mitgebildet. Das Christentum war mit der klassisch - antiken Religion, dem Staats- und Kaiserkult, den
Mysterien oder orientalischen Religionen konfrontiert. Von Bedeutung ist das hellenistische Judentum, weil aus
den Bedürfnissen des griechischsprachigen Diasporajudentums heraus die griechische Übersetzung des Alten
Testamentes, die so genannte Septuaginta, erfolgt ist.
2.1 Anfang und Anlass der Ausbreitung
Der besondere Charakter des Christentums als Erlösungsreligion liegt in der Überzeugung, dass es im Glauben an
Jesus Christus die alleinige Heilschance für jeden Menschen gebe. Hinzu kommt bei der jungen Kirche das
apokalyptisches Weltbild, die Vorstellung von der neuen Zeit, das zum Motor für den Ausbreitungsdrang und das
enorme Sendungsbewusstsein der jungen Christen wurde.
Gegen Ende des 1. Jahrhunderts gab es christliche Gemeinden in Palästina, Syrien, auf Zypern, im
gesamten Kleinasien, in Griechenland und Rom, auch in Alexandrien, Illyrien und Dalmatien, Gallien und Spanien.
Bis zum Ende des 2. Jahrhundert sind Gemeinden in Ostsyrien, Mesopotamien, Ägypten, Unteritalien,
Gallien, Germanien, Spanien und in Nordafrika hinzugekommen, wobei die Ausbreitung offensichtlich von
Kleinasien ausgegangen sein dürfte. Christliche Gemeinden werden auch für diesen Zeitpunkt für Trier, Mainz und
Köln angenommen (Nordeuropa).
Ab der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts hatte das Christentum bereits eine Größe erreicht, sodass man
von einer Massenbewegung sprechen kann. Bis Anfang des 4. Jahrhunderts (310) gab es in Armenien ein
starkes Christentum, die Kirche von Alexandrien mit ihren großen Bischöfen und Theologen hat an Einfluss
zugenommen, in den Landgebieten Ägyptens gab es ein bodenständiges (koptisches) Christentum. Die
Gemeinde von Rom war so stark gewachsen, dass man sie teilen musste. Spärlicher war das Christentum auf
dem Balkan und in den Donauprovinzen, ebenso in Unteritalien und in Norditalien, wo das Christentum nur in
einigen Städten wie Ravenna, Aquileia und Mailand bezeugt ist. Dasselbe gilt für Sardinien und Sizilien. Auch
Britannien kam hinzu.
3. Christenverfolgungen
Die ersten Christenverfolgungen kamen von Seiten der Juden. Ein Teil der Christen wurde wegen Gotteslästerung und Ketzerei angegriffen. Während des Zweiten Jüdischen Krieges gegen die Römer (132-135 n. Chr.)
wurden Christen von den Aufständischen in Palästina blutig verfolgt.
Bei den römischen Christenverfolgungen sind zwei verschiedene Vorgänge zu unterscheiden. Es gab
offizielle, staatliche (kaiserliche) Maßnahmen und Aktionen gegen die Christen wie auch spontane Pogrome, d.h.
Übergriffe von Seiten der Bevölkerung, wobei letztere den Großteil der Verfolgungen ausgemacht haben.
Bei der ersten bekannten "Christenverfolgung" unter Kaiser Nero (54-68) wurde eine Gruppe als
Sündenbock gesucht. Anlass ist der Brand Roms, der die Empörung der Bevölkerung hervorgerufen hatte. Unter
den vielen Opfern sind auch Petrus und Paulus. Die Christen werden zum Schauspiel für das Volk durch
Kreuzigung, Tierhetzen und als lebendige Fackeln getötet.
Zahlreiche Verfolgungen hat es im Laufe des 2. und 3. Jahrhunderts gegeben, die meist deutlich lokal
begrenzt und kurzfristig waren. Es handelte sich dabei um private Anzeigen und Attacken, die von den Behörden
in Prozessen behandelt wurden. Planmäßige Unterdrückungsmaßnahmen setzten ab dem 3. Jahrhundert, meist
mit unerhörter Härte ein. Kaiser Decius (249-251 n. Chr.) verordnete im Jahr 250 den allgemeinen Opferzwang
unter Todesstrafe, wovon zahlreiche Christen betroffen waren. Die Kirche hatte zahlreiche Märtyrer, unter ihnen ist
Papst Fabian, der um 250 hingerichtet wird. Aber es gibt auch viele Abgefallene ("Lapsi"). Das Ziel war die
Vernichtung des Christentums. Unter den Kaisern Valerian (253-260) und Gallenius (253-268) kam es zu einer
weiteren Verfolgungswelle. Der Grund lag vor allem in der ansteigenden Zahl der Christen. Kaiser Diokletians
(284-305) methodisch angelegte und gestufte Repression hatte die deutliche Vernichtung des Christentums ins
Auge gefasst. Sein Nachfolger, Kaiser Galerius (305-311) erließ das Toleranzedikt 311 und beendete die
Verfolgung. Das Edikt besagte, dass es Christen unter der Bedingung geben durfte, dass sie in keiner Weise
gegen die Staatsverfassung handelten.
Die angewandten Strafen gegen die Gemeinden bestanden in der Verhaftung der Vorsteher, der
Enteignung von Friedhöfen und Gebäuden und Beschlagnahme kultischer Schriften (Bibel u. a.) und Geräte.
Einzelne Christen wurden verhaftet, in ihrer Lebensweise behindert, deren Vermögen und Rechte entzogen,
verbannt oder über sie Zwangsarbeit verhängt, gefoltert, verstümmelt, in extremsten Fällen hingerichtet.
4. Das Mailänder Protokoll von 313
Aus der offiziellen Duldung des Christentums durch Kaiser Galerius wurde bei Kaiser Konstantin (306-337) die
volle staatliche Anerkennung des Christentums, seine Gleichstellung und Förderung, die gegen Ende des 4.
Jahrhunderts zur exklusiven Stellung des Christentums als Reichskirche und Staatsreligion unter Kaiser
Theodosius I. (379-395) führte.
Kaiser Konstantin war seit 306 Kaiser über einige Teile des Westreiches (Gallien, Britannien). Er stellte
seinen militärisch - politischen Sieg über seinen Rivalen Maxentius im Jahr 312 als unmittelbaren Eingriff des
christlichen Gottes dar (Schlacht an der Milvischen Brücke, „in diesem Zeichen siege“). 313 traf er mit seinem
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Mitkaiser Licinius in Mailand eine religionspolitische Vereinbarung. Das Mailänder Protokoll von 313 enthielt die
Gleichstellung des Christentums mit vorhandenen Kulten. Er unterstützte die Christenheit durch Gesetzgebung,
Kirchenbau und Konzilien und ließ sich unmittelbar vor seinem Tod taufen. Das Christentum erhielt nun neben den
heidnischen Kulten auch Subventionen sowie kaiserlichen Schutz.
11.2 Mönchsbewegung, die Orden - Ein historischer Längsschnitt
0. Das Wort Orden kommt von lat. Ordo und bedeutet Ordnung, Stand
Das Wort Mönch bedeutet allein ehelos lebend (mono = einzeln, monachos = Mönch, davon abgeleitet
Monasterium = Kloster)
1. Theologische Grundgedanken:
Durch das Leben von Mönche und Nonnen wird Gott verherrlicht. Diese Christen sind für die Menschen da und
dienen der Kirche. Es ist eine besondere Form der Jesusnachfolge und des Vollkommenheitsstrebens. Es
werden die Gelübde der Armut, der freiwilligen Ehelosigkeit und des Gehorsams abgelegt. Diese 3 sind die
evangelischen Räte.
Durch Orden wird die Welt von innen her verändert - wie der Sauerteig das Brot verbessert.
Die Mönchsbewegung zeigt das Heimweh nach der Urkirche und einen Kontrast zu einem zu selbstverständlich werdenden Christentum, gerade nachdem es ab 313 n. Chr. vom Staat gefördert wurde. Diese
Christen leben eine, Vita apostolica' und halten die ,,Gefährliche Erinnerung" an Jesu Bergpredigt wach. Sie
fühlen sich in der neuen Zeit, der eschatologischen Zeit.
2. In der frühen Kirche:
Im Osten gab es viele Einsiedler (Eremiten) und Einsiedlergemeinschaften, die meist keine Priester waren. Das
erste Kloster wurde in Ägypten um 320 gebaut.
Basilius der Große (370), der Vater des griech. Mönchstums stellt die Ziele zusammen: Selbstheiligung,
theologische Weiterbildung, Werke der Nächstenliebe.
Augustinus von Hippo: Erwartete von jedem Kleriker seines Bistums, dass er in einer monastischen Gemeinschaft
lebe.
Im lateinischen Westen gab es mehr organisiertes Klosterleben; Einsiedler war Martin von Tours um 350,
Benedikt von Nursia 529 (Monte Cassino) gründete Klöster.
Später Entwicklung von zwei Ordenstypen:
a) Augustiner-Chorherren: In der Welt wirkende Klerikergemeinschaften
b) Benediktiner: Mönchsorden mit Brüdern und Priestern, Leitung: Abt, Fixer Ort.
3. Mönchsorden mit Benediktusregel: Selbständige, sich selbst verantwortliche Klöster bzw. Stifte
a)
Benediktiner (OSB): Gottesdienst (feierliches Chorgebet), Wissenschaft (Bewahrung der antiken Kultur,
Schule), Arbeit (Landwirtschaft, Weinbau); stabilitas loci; Admont, Melk, Göttweig, Schotten - Wien 1, Altenburg,
Kremsmünster, Lambach, St.Peter-Salzburg, St.Paul-Kärnten; Kloster immer auf einem Berg (-felsen).
b)
Zisterzienser (OCist): Gründer: Robert v. Molesme und Bernhard von Clairvaux (11./12. Jh.),
Stammkloster Citeaux, strenge Benediktinerregel; feierlicher Gottesdienst, Rodungen, Ackerbau, Heiligenkreuz,
Zwettl, Rein, Stams, Lilienfeld, Wilhering, Schlierbach; Klöster immer im Tale.
c)
Kartäuser (OCart): 11.Jh., strenger Männerorden, Einsiedlerideal, täglich 8 Stunden Gebet, Fasten,
Schweigen, harte Arbeit, kein Fleisch; kleine Häuschen mit Zelle, Werkstatt und Garten; unter Josef II. wurden
Mauerbach, Gaming, Aggsbach aufgehoben.
4. Chorherren mit Augustinerregel, ab 11. Jh.; Reformorden zur Erneuerung des priesterlichen Geistes der
Weltgeistlichen; besondere Seelsorgeaufgaben, selbständige Stifte, gemeinschaftliches Leben, stabilitas loci,
apostolische Armut und Zölibat, theologische Weiterbildung des Klerus
a)
Augustiner Chorherren (Can. reg.) in Klosterneuburg, Herzogenburg, St. Florian, Vorau, Reichersberg
b)
Prämonstratenser (Opraem), Ordensreform durch Norbert von Xanten (12.Jh.), Seelsorge und
Landwirtschaft in extremer Gegend, besondere Betonung der Armut; Geras, Schlägl, Wilten.
5.) Ritterorden: 11. Jh.; Verbindung von ritterlichem Lebensbild und Mönchtum; Kreuzzüge zur Verteidigung der
heiligen Stätten, Pilgerbetreuung und Sorge um die Kranken; Zentralismus - ,,General" als Ordensoberer
a)
Johanniter (Malteser): Sorge um Kriegsgefangene, Verwundete, Heimatlose, Kranke; heute sou\1eräner
Staat ohne Staatsgebiet
b)
Templer (französisch): Schutz der Jerusalempilger
c)
Deutscher Ritterorden: Tätigkeit vor allem in Ostpreußen, zeitweilige. Entwicklung eines Ordensstaates
d)
Trinitarier: Loskauf christlicher Gefangener aus der Hand der Sarazenen u. a. durch Verkauf von
Kirchengut
6.) Bettelorden: ab 13.Jh.; kompromisslose Armut (,,Der arme Heiland") als Korrektiv zur mittelalterlichen
Feudalkirche; in den Städten Volksseelsorge, kein Grundbesitz; Zentralismus; 3 Zweige (1. Orden: Männer, aktiv
und kontemplativ; 2.Orden: Frauen (Clarissinnen), kontemplativ; 3. Orden: Laien in der Welt).
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a)
Franziskaner (OFm): 13.Jh.; ,,Minderbrüder", Armut und strenger Gehorsam, Wahl der Ordensoberen auf
Zeit. Nehmen sich besonders der städtischen Seelsorge an. Wegen des strengen Armutsideal kam es nach dem
Tod des Franz v. Assisi zu Aufspaltungen - Franziskaner: nur Ordenshaus ist Ordenseigentum; 1528 Abspaltung
der Kapuziner, die nicht einmal dieses besitzen wollen. ,,mildere" Richtung: Minoriten.
b)
Dominikaner (OP): 13. Jh.; wollen durch gute Predigten die Irrenden zurückgewinnen, gründliche
theologische Ausbildung, eifrig im Studium und in Wissenschaft; Gelehrte waren Albertus Magnus, Thomas von
Aquin; Gründer: Dominikus
c)
Andere Mönche: Augustiner-Eremiten, Karmeliten,
d)
Außerkirchliche Armutsbewegungen: Waldenser, Katharer, Beginen und Begarden
7.) Regularkleriker: 15.Jh.; Grundanliegen: Aus einer vertieften persönlichen Frömmigkeit Gott in der sichtbaren
Kirche dienen, äußere Ordensform und Ordensgewand haben untergeordnete Rolle; Oratorien (Gemeinschaften
von Weltpriester)
a)
Theatiner, Barnabiten, Oratorianer d. Philipp Neri
b)
Jesuiten (SJ): Ignatius von Loyola, aufgeschlossen für alle Werte menschlicher Kultur. Omnia ad
maiorem Dei gloriam (O.A.m.D.O.), stellen alles Können in den Dienst Gottes; unbedingter Gehorsam der Kirche
und dem Papst gegenüber (teilweise 4 Gelübde), aber große Freiheit, um eigene Begabung einzusetzen und neue
Wege zu gehen, Selbstdisziplin; große Bedeutung in der kirchlichen Erneuerung (Gegenreformation), neue
Methoden der Mission (Franz Xaver in Indien, Ricci in China, Reduktionen in Paraguay), verboten im Absolutismus
(1773-1614) und unter Bismarck. Größter Orden (ca. 18.000), starker Zentralismus, ,,Armee des Papstes", ,,Pater
General", aber Festlegung von Kontrollmaßnahmen gegen Allzumenschliches (Einspruchspflicht).
8.) Kongregationen: ab 15.Jh.; spezielle Aufgaben in den Bereichen Schule, Caritas, Mission, Medizin; kein
feierliches Chorgebet;
 Männliche Gemeinschaften: Barmherzige Brüder, Piaristen, Kamillianer, Redemptoristen, Lazaristen,
Schulbrüder, Passionisten.
 Weibliche Gemeinschaften: Salesianerinnen, Englische Fräulein, Vinzentinerinnen, Borromäerinnen,
Ursulinen, Elisabethinen.
Im 19.Jh. kam es nach der Säkularisation zu einer Neugründung einer Vielzahl neuer Kongregationen als Antwort
auf die vielfältigen sozialen Nöte des 19. Jh.:
 Neue Kongregationen: Dames de Sacré Coeur, Marianisten, Schulbrüder, Arme Schulschwestern,
Lehrschwestern vom Hl. Kreuz, Oblaten, Pallotiner, Salesianer des hl. Don Bosco, Steyler Gesellschaft
des Göttlichen Wortes, Weiße Väter, Missionsbenediktinerinnen, Gute Hirtinnen, Marienschwestern,
Hedwigschwestern
9.) Weltgemeinschaften (Säkularinstitute), 20.Jh.: Apostolische Gemeinschaften, die auf klösterlichen Lebensstil,
Ordenstracht und gemeinschaftliches Leben verzichten (mussten), um in größerer Freiheit (= Nichtverfolgung!)
Werke des Apostolats und Caritas verrichten zu können (Wurzeln in Verfolgungszeit der franz. Revolution)
Heute Entwicklung eines zeitnahen, situationsgerechten Apostolats, Mitglieder tragen keine
Ordenskleidung, bleiben in "weltlichen Berufen", wohnen zuweilen in einfachen Wohngemeinschaften (keine
Klöster), halten Ordensversprechen ,,mitten in der Welt"; universale Brüderlichkeit, die alle sozialen, ethnischen
und bildungsmäßigen Schranken überwindet, radikale Christusnachfolge; mit den Armen für die Armen sind sie
erfüllt von Liebe und Freude, große Ausstrahlung. Predigt durch Tat, nicht durch Wort, Betonung der
Kontemplation. Kleine Brüder/ Schwestern von Jesus, Frauen von Bethanien, Caritas Socialis, Missionarinnen der
Nächstenliebe (Mutter Teresa, Kalkutta).
10.) Evangelische Ordensgemeinschaften
Der Ruf nach dem Kloster ist in evangelischer Kirche nie ganz verstummt:
Marienschwestern in Darmstadt, Christusbrüderschaft in Selbitz, Schwestern von Grandchamp (Schweiz),
evangelischer Humiliaten - Orden in München und vor allem die (ökumenische) Brüderschaft von Taizé (Gründer
und erster Prior Roger Schutz) mit ihrem besonderen Eintreten für die Einheit der Christen.
11.3 Orden – Antwort auf spezielle Nöte der Zeit,
Drei Gemeinschaften im Detail:
1. Gemeinschaften, die sich auf Franz von Assisi berufen:
Im Hochmittelalter war in vielen Bereichen des kirchlichen und weltlichen Lebens das Streben nach
Einfluss und Reichtum dominant (vgl. etwa das Kapitel über die materielle Versorgung der Kirche vom
Reichskirchenwesen bis zur Gegenwart, insbesondere die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche). Für
viele Menschen mochte das einer Abkehr von der Botschaft Jesu gleichkommen und viele waren mit der geläufigen
Praxis nicht einverstanden.
In diese Zeit hinein fällt das Leben des Francesco Bernardone (1181-1226), weithin bekannt als Franz von
Assisi. Er fühlte sich dem "Dienst an der Frau Armut" verpflichtet und lebte persönlich diese Armut in strenger
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Form. Unter anderem brach er total mit dem reichen Vater. Das begeisterte tausende junger Menschen und
motivierte sie dazu, dem Beispiel des Franz von Assisi zu folgen. Man lebte zuerst in schlichtester persönlicher und
klösterlicher Armut (Bettelorden), Geld und Besitz waren verboten, man trug sogar keine Schuhe und strebte die
Heiligung der eigenen Persönlichkeit in dieser Form an.
An der Rigorosität der Befolgung des Armutsgebotes spalteten sich später diverse Gruppen auf. Was ihnen
aber gemeinsam blieb, war die große Strahlkraft auf die Jugend (bereits um 1300 wird die Mitgliederzahl auf
30.000-40.000 geschätzt (!)) und eine große Volksverbundenheit. Während sich der höhere Klerus vom einfachen
Kirchenvolk oft weit entfernt hatte, lebten die Franziskaner meist mitten in den Städten (weil sie hier bessere
Bedingungen zum Betteln vorfanden) und mitten unter dem einfachen Volk. Das führte unter anderem auch dazu,
dass viele Formen der Volksfrömmigkeit auf sie zurückgehen bzw. durch sie eingeführt und gefördert wurden
(z.B. die Weihnachtskrippe, der Kreuzweg, das Angelus - Läuten, die Verehrung des heiligen Namens Jesu, die
Verehrung des Altarsakramentes u.a.m.).
Wofür der höhere Klerus oft kaum noch Zeit fand, das pflegten die Franziskaner umso eifriger: die
Volksseelsorge, die Pflege von Kranken bei Seuchen, die Betreuung von Armen und Notleidenden u.ä.m.
Daneben profilierten sie sich auch auf dem Gebiet der Wissenschaften und gaben der Theologie in Europa ein
völlig neues Gepräge.
2. Predigerorden der Dominikaner
Anlass zur Ordensgründung war für Dominikus das Zusammentreffen mit den Irrlehrern in Südfrankreich
(Waldenser, Albigenser). Er durchschaute sofort die Gefahr, erkannte aber auch, warum die päpstlichen Legaten
bisher nichts erreicht hatten. Nicht das Auftreten mit äußerem Pump und großem Gefolge konnte zum Ziel führen,
sondern die Predigt in evangelischer Armut und Einfachheit.
Die Dominikaner mussten zwar - um päpstliche Anerkennung zu erhalten - die Ordensregel der Chorherren
annehmen, sie veränderten sie aber in wesentlichen Teilen. Die Ordensbrüder waren nicht mehr an ein einzelnes
Kloster gebunden, sondern sie waren gebietsübergreifend, ja sogar diözesanübergreifend tätig. Ihr Ziel war die
seelsorgliche Tätigkeit der Geistlichen - daher veränderte sich auch der Lebensalltag der Dominikaner im
Vergleich zu anderen Gemeinschaften. Die Vorschrift der beschaulichen Handarbeit entfiel zugunsten der
Vorschrift des Studiums, das nicht nur ein einmaliges Studium betraf, sondern zur lebenslangen Aufgabe
mutierte. Die für die Seelsorgetätigkeit im Hintergrund nötigen täglichen Erledigungen sollten fortan Laienbrüder
verrichten und damit die Priester für ihre Tätigkeiten freisetzen.
Die Verbreitung der Dominikaner erfolgte in rasantem Tempo. Bereits am Ende des 13. Jahrhunderts hatte jede
bedeutende Stadt ihre diesbezügliche Ordensniederlassung. Auch im Bereich der Wissenschaften und der neu
aufstrebenden Universitäten spielte der Dominikanerorden eine hervorragende Rolle. Zeitweise waren zwischen 25
und 33 % der Theologieprofessoren Mitglieder dieses Ordens.
Ihr Entstehen entspringt einer Notlage der Seelsorge. Durch ihr Wirken konnte auf diesem Gebiet viel gutgemacht
werden.
3. Salesianer Don Boscos
1857 gründete Giovanni Bosco in Turin eine Kongregation aus Priestern und Laienbrüdern mit dem Ziel, sein
soziales Jugendwerk zu sichern und fortzuführen. Sie widmeten sich im Besonderen der Erziehung der von Don
Bosco in Heimen und Schulen erfassten gefährdeten Jugendlichen in Unterricht und Freizeit und ihre
Heranbildung zu guten Staatsbürgern und verantwortungsvollen Christen. Damit reagiert Don Bosco auf eine
Notsituation der damaligen Zeit. Besonders durch die industrielle Revolution kam es dazu, dass mehr und mehr
Jugendliche nicht mehr nur im bergenden Schoß der Familie heranwuchsen und damit (vor allem auch im
Freizeitbereich) in mancherlei Hinsicht gefährdet waren.
Später übertrug man ihnen auch andere Aufgaben, die aus besagtem Aufgabengebiet herauswuchsen oder
diesem Aufgabengebiet dienlich sein können (z.B. Pfarrseelsorge, Volksmissionen, Presseapostolat u.a.m.).
Die Kongregation verbreitete sich rasch und zählte in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts über 20.000 Mitglieder.
(Vgl. G. Söll, Salesianer Don Boscos, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, 2. Aufl., Freiburg 1964, 263f.)
4. Karmelitinnen
In der Gegenwart erlebt ein alter Orden, der sich von den übrigen Orden dadurch unterscheidet, dass er besonders
streng ist, einen neuen Aufschwung. Die Karmelitinnen führen ein Leben in absoluter Armut (Bettelorden) und
totaler Abgeschiedenheit. Sie wollen sich vor allem dem Gebet und der Kontemplation widmen und verfolgen
vordergründig auch keinerlei caritative Absichten oder seelsorgliche Projekte. Mit diesem Rückzug aus der Welt
stellen sie zu sehr vielen modernen Ansichten eine absolute Alternative dar und provozieren gerade durch diese
Art der Lebensgestaltung viele Menschen zu einem Nachdenken über das Eigentliche des Lebens. Obwohl sie so
sehr zurückgezogen leben, wirken sie als "Reibebaum" und Angelpunkt für manche Selbstfindung in moderner
Zeit. Mit ihrem Gebet für die Anliegen der Welt haben sie in einer ganz spezifischen Form an dieser Welt teil.
Interessant erscheint weiters, dass gerade diese - im ersten Moment für viele Jugendlichen nicht sehr anziehende Art zu leben in unserer lauten und unüberschaubar gewordenen Welt für viele faszinierend geworden ist. Die
Karmelitinnen kennen das Nachwuchsproblem, das viele anderen Orden plagt, kaum - im Gegenteil, in Österreich
konnten sie in den letzten Jahrzehnten sogar neue Niederlassungen gründen (z.B. Bärnbach, Mariazell).
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12 Schuld, Sünde, Gewissen, Ethik, Moral, Befreiung von Schuld
12.1 Gewissen- Normen und Regeln
Gewissen, Gesetz, Gott und das Gute
Das Gewissen ist die oberste Richtschnur unseres Handelns. Es ist das Wissen um das Gute, das zu tun ist oder
das Böse, das vermieden werden soll. Dieses Wissen umfasst nicht alles, was gewusst werden könnte, trotzdem
ist jeder Mensch diesem seinem Gewissen gegenüber verantwortlich. Handelt er nach seinem Gewissen, bleibt er
schuldlos. Das Gewissen ist eine göttliche Instanz in jedem Menschen. Im Gewissen spricht Gott zu uns. Das
Gewissen ist aber nicht Gott, sondern eine fehleranfälliges Werkzeug in uns, das verbessert werden muss. Es
muss gebildet, geschärft und entfaltet werden.
Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen dem Gewissen und den Gesetzen.
Der Staat schreibt Gesetze vor, um die Freiheit des Einzelnen zu sichern und den Frieden in der Gesellschaft zu
bewahren. Er hat mit Polizei und unabhängigen Richtern das Gewaltmonopol. Gesetze werden mit Hilfe dieser
Gewalt durchgesetzt. Auch wenn ich nicht mit einem Gesetz einverstanden bin, muss ich mich daran halten.
Neben diesen Normalfällen gibt es Ausnahmen, wo ich das Gesetz brechen muss. Wenn eine Gefahr für Leib und
Leben eintritt, kann ich zum Gesetzesbrecher werden. Orientierung dafür gibt mir dann mein Gewissen. Es ist die
Summe meines Wissens und meiner Erfahrung von Gut und Böse und die höchste Instanz in meiner Person.
Diesem Wissen des Gewissens muss ich in wichtigen Dingen mehr gehorchen als den Gesetzten. Z.B. Franz
Jägerstätter.
Du sollst auch Gott mehr gehorchen als den Menschen. Dieser christliche Grundsatz bringt Unruhe in Diktaturen.
Gott ist das oberste Gute (Musik, Kunst, Natur, Kultur, Liebe...), miteingeschlossen ist das ethisch-moralische
Gute. Wenn dieses Gute mir nahe legt, etwas zu tun oder zu lassen, (und mein Gewissen mit dem übereinstimmt),
dann muss ich ihm folgen, auch wenn ich Gesetze dabei breche.
Es gibt Bereiche und Entscheidungen, wofür es keine Gesetze gibt, an denen ich mein Verhalten orientieren
kann. In diesen Bereichen ist allein mein Gewissen die oberste Richtschnur meines Handelns. Wie ich meinen
Kollegen behandle, ob ich ehrlich bin, ob ich andere ärgere - das ist gesetzlich nicht geregelt. Da bin ich allein mir,
meinem Gewissen, dem Guten und Gott verantwortlich. Ich habe hier nach bestem Wissen und Gewissen zu
handeln.
Ich horche dabei in mich hinein, werde ruhig, konzentriere mich auf meine Mitte, nehme meine Gefühle (Ärger,
Angst, Freude...) und meine Gedanken wahr. Die dunklen Dimensionen des Lebens: Schuld, Tod, Schmerz
Jeder ist Opfer und Täter:
Wer es gelernt hat, die Wirklichkeit so gelten zu lassen, wie sie ist, der muss zugeben, dass sie auch ihre dunklen
Seiten hat: Schmerz und Leid, Sterben und Tod. Der Mensch, der davon getroffen wird, erfährt sich als Opfer.
Aber der Blick ins Leben bringt auch noch etwas Weiteres ans Licht. Zu den dunklen Dimensionen des Lebens
gehört auch das, was der Mensch selbst verschuldet, wofür er verantwortlich ist, wo er sich eingestehen muss, er
ist nicht Opfer, sondern Täter. Und vielleicht ist es das Bedrohlichste, dass Täter nicht nur irgendjemand anderer
ist, sondern dass ich es sein kann - und auch bin.
Sünde bedeutet - jedenfalls im alltäglichen Sprachgebrauch -, dass nämlich ein Mensch seine Freiheit dazu
gebraucht bzw. missbraucht, anderen etwas zuzufügen, was sie in ihrem Leben einschränkt, mindert und physisch
oder psychisch zerstört.
Es gibt Schuld und Sünde, aber Sünde kann kulturabhängig sein:
Mit der Sünde setzen sich eigentliche alle Weisheits- und Lebenslehren auseinander. Die Sünde ist als allgemein
religionsgeschichtliches Phänomen zu werten, aber kulturabhängig.
 Das gilt z.B. von der Stufe naturhaft - magischer Religiosität, wo Sünde als Nichtbeachtung magischer
Verhaltensweisen oder als Verstoß gegen die Ordnung der Gemeinschaft verstanden und dementsprechend
auch nur durch natürliche Sanktionen gesühnt wird.
 In überweltlichen Religionsformen nimmt die Sünde den Charakter eines Vergehens gegen die Mächte der
Überwelt an, die auch bei unbeabsichtigter Störung der Ordnung mit Strafen reagieren und zu äußeren
Sühneriten verpflichten.
 Die polytheistische Religiosität versteht die Sünde als Beleidigung der Götter, die kultische Sühne
verlangt. Zur Ausbildung eines ethischen Sündenbewusstseins, wo das Ich eine Rolle spielt, kam es dabei nur in
den seltensten Fällen, wie u.a. die antiken Mysterienreligionen (mit Ausnahme des Mithraskultes) zeigen.
 Auch der Determinismus, Fatalismus und Dualismus der antiken Philosophie verhinderten das Aufkommen
eines tieferen ethischen Bewusstseins von Sünde und Schuld in der Alten Welt.
 Im Daseinsverständnis der griechischen Tragödie ist die Schuld nicht moralisch oder theologisch
verstanden, sondern als schicksalhafte Notwendigkeit in der begrenzten Existenz des Menschen begründet.
 Christlicher Sündenbegriff: So zeigt die allgemeine Religionsgeschichte nur eine sehr formale Ähnlichkeit
der Vorstellung von Sünde zum christlichen Sündenbegriff, der allein auf dem Grunde der biblischen
Offenbarung gewonnen werden kann.
Warum gibt es die Möglichkeit der Sünde? Gibt es Heilung von der Sünde?
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Wir Menschen machen die Erfahrung, dass wir die Freiheit zum Bösen missbrauchen können. Damit stehen wir vor
der Frage, warum es überhaupt die Freiheit der Sünde gibt. Und wir stehen vor der Frage, ob es angesichts dieser
fatalen Möglichkeit auch so etwas wie Heilung dessen gibt, was Sünde ist und bewirkt.
Wir sind Adam und Eva und übertreten das Gebot:
Auf den Menschen bezogen wird gesagt, dass das Wesen der Sünde darin besteht, dass der Mensch seine
Grenze als Geschöpf Gottes überschreitet, dass er den Rahmen, die Ordnung des Lebens, die Gott vorgegeben
hat, nicht respektiert, sondern sich das anmaßt, was eigentlich nur Gott zukommt. Das kommt in der Erzählung
darin zum Ausdruck, dass er das Verbot, vom Baum in der Mitte des Gartens zu essen, nicht beachtet. Die Folgen
dieses Schrittes ist Entfremdung von Gott. Zugleich wird der Mensch seinem Mitmenschen entfremdet, und der
Mensch wird auch sich selbst und schließlich auch seiner Umwelt ein Fremder. Die Frucht des Baumes ist das
Symbol für die Freundschaft mit Gott. Der Mensch zerstört die Freundschaft mit Gott und konstruiert seine
Wirklichkeit so, dass Misstrauen herrscht und kein Vertrauen in Gott möglich ist. Das ist die Ursünde.
Ein Rattenschwanz des Unheils:
Die Urgeschichte lässt aber noch zwei weitere charakteristische Züge der alttestamentlichen Auffassung von der
Sünde erkennen: Durch die Darstellung der Vertreibung aus dem Paradies, den Brudermord, die eher mythisch
tönende Erzählung von der Vermählung mit den Göttersöhnen und die Erzählung vom Turmbau und der
Sprachverwirrung macht die Bibel deutlich, dass die eine Ursünde des Menschen einen wahren Rattenschwanz
des Unheils und des Bösen nach sich zieht.
Heilung vom Bösen
Bei der Vertreibung aus dem Paradies wird auf eine zukünftige Gestalt verwiesen, die der Schlange den Kopf
zertreten wird; und nach der Flut bietet Gott den Menschen neuerlich einen Bund an. Das heißt ganz offensichtlich:
Auch wenn Gott den Menschen nicht die Folgen ihrer Taten erspart, so verdammt er sie trotzdem nicht; es bleibt
eine Verheißung der Gnade trotz allem Unheil; es bleibt eine unüberhörbare Andeutung, dass das Gute und das
Heil Gottes durch das, was der Mensch Böses tut, nicht endgültig vereitelt werden kann - dafür verbürgt sich Gott
selbst. Das Böse und die Sünde sind und haben nicht das erste und nicht das letzte Wort - das letzte Wort hat
allein Gott, seine Liebe und seine Gnade.
Die Nähe Gottes heilt:
Für die spätere Praxis der Christen war es bedeutungsvoll, dass Jesus sich selbst von Johannes taufen ließ und
dass er zugleich die Botschaft des Johannes insoferne modifiziert hat, als er die Umkehr nicht zur Voraussetzung
für das Kommen des Reiches Gottes macht: Gott wird nicht erst dann kommen, wenn die Menschen sich zuerst
bekehren, sondern er ist nahe gekommen und auf diese Weise zugleich das entscheidende Motiv der Bekehrung:
"Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1,15)
Erbsünde wird nicht vererbt
Erbsünde bedeutet, dass der Mensch sich vom ersten Augenblick seines Lebens in einem Leben vorfindet, das
durch das Böse und die Sünde anderer und damit durch eine Abwendung von Gott negativ geprägt ist. Wir werden
in eine Gesellschaft hineingeboren, in der Egoismus, Vorurteile, Neid, Ungerechtigkeit, Lüge und Unwahrhaftigkeit
herrschen. Dieses strukturelle, kollektive Unheil wird nicht durch Zeugung weitergegeben, sondern durch kulturelle,
ökonomische und politische Faktoren. Erbsünde ist demnach das Unheil, wofür niemand persönlich haftet. Es
gibt also ein Netz von Schuldverstrickung. Erbsünde ist Entfremdung: Der Mensch wird seinem Mitmenschen
entfremdet. Der Mensch wird auch sich entfremdet. Er wird schließlich seiner Umwelt entfremdet. Er wird dem
umfassenden Grund entfremdet: Gottesentfremdung. Die Erbsündenlehre zerstört die Illusion, dass der Mensch
von Natur aus in allem gut sei. Sie hindert uns auch daran, dass wir vorschnell anderen Menschen konkrete Schuld
zuweisen - wir können nie von vorneherein und genau sagen, wieweit ein Mensch Täter und wieweit er Opfer ist.
Heilung von der Sünde geschieht, indem sich Gott zeigt und die Freundschaft wieder her stellt: Sündenvergebung
Schwere der Sünde: Für die Schwere der Sünde sind drei Merkmale ausschlaggebend: das Maß der gegebenen
und eingesetzten Freiheit, die Klarheit der Erkenntnis und die Wichtigkeit der Sache.
Todsünde: Es sind Sünden, die Gegen Gott gerichtet sind und bei der der Sünder sich absolut dem lebendigen
Gott verschließt.
12.2 Buße und Sündenvergebung
Die Bedeutung von Buße ist bessern ("Sinnesänderung")
Es gibt Erfahrungen im menschlichen Lebens, die von Schuld, ihrer Vergebung, und der Versöhnung handeln. Es
sind menschliche Grunderfahrung, von denen die Christenheit ausgeht und es offenbart sich Gott in diesen
Erfahrungen als Vergebender und Versöhnender. Das Sakrament der Buße ist ein Ort der Offenbarung Gottes.
Der Spender ist der Bischof oder der Priester. Es geht auf Jesu Auftrag zurück: Wem ihr die Sünden nachlässt,
dem sind sie nachgelassen.
Empfänger: jeder Getaufte, der die Fähigkeit hat, seine Sünden zu erkennen
Häufigkeit: mindestens ein Mal pro Jahr
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Voraussetzung sind die "5B": Besinnen, bereuen, bekennen, büßen, bessern / Wiedergutmachung, soweit
möglich.
Das Angebot Gottes: Gottes Liebe zum Menschen wird durch Fehler der Menschen nicht zerstört. Gott bietet
jeden, der zu ihm kommen will, seine Verzeihung und seine Liebe an.
Antwort des Gläubigen: Einsicht des Gläubigen, dass er auf dem falschen Weg ist, und dass er zu Gott
umkehren will, der auf ihn wartet.
Zeichen: Segenskreuz
Das deutende Wort: "So spreche ich Dich los von Deinen Sünden, im Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes. Amen.
Das innere Geschehen: Versöhnung mit Gott, den Menschen und der Kirche
Der Gemeindebezug: Schuld, Fehler belasten das Leben in einer Gemeinschaft. Der Priester erteilt als Vertreter
der Gemeinde die Lossprechung und gibt eine entsprechende Buße (und auch Hilfe), um den entstandenen
Schaden wieder gut zu machen.
Der Ursprung: Binde- und Lösegewalt. Der Auftrag Jesu nach der Auferstehung, durch die Sündenvergebung den
Frieden zu ermöglichen.
Die Besonderheit: Beichtgeheimnis
Die anderen Konfessionen: In der röm. kath. Kirche und den östlichen Kirchen gibt es Einzelbeichte und
Lossprechung für den Einzelnen (Sündenvergebungsformeln für alle kommen im Gottesdienst aber auch vor). Es
ist ein Sakrament. In den Kirchen der Reformation gibt es ein allgemeines Schuldbekenntnis (Formel) und die
Absolution. Einzelbeichte ist möglich. Es ist aber KEIN Sakrament (keine Offenbarung Gottes)
13 Nächstenliebe, Caritas, Vinzenz von Paul, christliche Praxis, Caritas –
von der Grundhaltung zur Institution
13.1 Wortbedeutung und Ursprünge
Das Wort "Caritas" leitet sich vom lateinischen "carus" = "lieb, teuer" ab, nicht vom Griechischen "charis" (was in
der Geschichte über viele Jahrhunderte angenommen wurde). Bei römischen Schriftstellern bedeutet caritas im
eigentlichen Sinne "Preis, Wert oder Teuerung einer Sache" und dann im übertragenen Sinn "die aus der
Hochachtung (pietas) stammende Zuneigung zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern, Regenten und Untertanen
und zum Vaterland"
Im Neuen Testament erhielt es als Entsprechung zum griechischen "agape" einen neuen
Bedeutungsgehalt und meint die christliche Liebe.
Im heutigen Sprachgebrauch kommt das Wort Caritas in drei Hauptbedeutungen vor:
a) Es bezeichnet die Liebe Gottes zu uns Menschen, die den Urgrund bildet, warum wir unsere Mitmenschen
lieben können.
b) Darüber hinaus bezeichnet das Wort die christliche Nächstenliebe und im Besonderen die Liebe zu den
Armen und Hilfsbedürftigen. Jesus: Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt
ihr mir getan. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu
trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen, ich war nackt, und ihr habt mir
Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.
(Das Evangelium nach Matthäus 25:35)
c) Schließlich bezeichnet Caritas noch die organisierte kirchliche Liebestätigkeit und die in diesem Dienst
stehenden Werke und Einrichtungen.
13.2 Geschichtliche Entwicklung von der Grundhaltung zur Institution
Bereits die ersten christlichen Gemeinden entfalteten ein reichhaltiges caritatives Engagement. Diese
Caritas war im Großen und Ganzen eine "Gemeinde-Caritas" und wurde von den Aposteln geleitet, denen
Diakone zur Erfüllung besonderer caritativer Aufgaben beigeordnet waren. Ziel dieser Tätigkeit waren Witwen und
Waisen, Arme und Notleidende. Bereits um das Jahr 100 n.Chr. existiert eine Liste aus Rom, wonach über
tausend Personen (Witwen, Waisen ...) durch die caritative Tätigkeit der römischen Gemeinde Hilfe erfuhren.
Als nächstes entwickelten sich an den Bischofssitzen Fremden -, Kranken- und Waisenhäuser. Auch in
den Klöstern fand man von Anfang an solche Institutionen.
Große Leistung: Die Bedeutung dieser Institutionen für die jeweilige Zeit kann man nicht hoch genug
einschätzen: Leisteten diese Einrichtungen doch Beachtliches zu einer Zeit, als es weder ein
Sozialversicherungssystem noch ein entwickeltes staatliches Wohlfahrtswesen gab.
Mit der Stabilisierung der staatlichen Strukturen nach der Völkerwanderung machte sich das öffentliche
Wohlfahrtswesen stärker bemerkbar und übernahm manche der Aufgaben mit Kompetenz: "Vom 8. Jahrhundert ab
trat die durch die Bischöfe und Priester geleitete Caritas etwas zurück und ging stärker auf Lehensherren, Zünfte
und Bruderschaften über. Neue Orden entstanden, die sich der Armen annahmen.
Als die Städte wuchsen, übertrug man ihnen mehr und mehr Aufgaben und sie übernahmen viele
Stiftungen im Dienste der Caritas. Ihre Aufgaben erfüllten die Städte aber immer in engster Zusammenarbeit und
unter Beiziehung kirchlichen Personals.
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Nach den Wirren der Reformationszeit war es vor allem Vinzenz von Paul, der zum Wegbereiter und
Bahnbrecher einer neuzeitlichen Caritasarbeit wurde. Die Gründung der "Barmherzigen Schwestern", einer
Kongregation, erfolgte 1633.
Lazaristen und Barmherzige Schwestern:
Unter diesem Namen fasst man zwei Gemeinschaften zusammen, die auf Vinzenz von Paul (1581-1660)
zurückgehen. Beide Gruppierungen sind im weitesten Sinne der christlichen Nächstenliebe zuzuordnen, die sie
aber auf unterschiedlichem Wege zu erreichen suchen.
Vinzenz von Paul gilt auch als Begründer der "modernen, neuzeitlichen Caritas". Sein Wirken versteht
sich in Korrespondenz mit einer sich wandelnden Zeit, in der auch manche überkommene Formen der Seelsorge
und der Armenfürsorge als überholt zu betrachten waren. Nach einigen Jahren im Rahmen traditioneller Seelsorge
traf Vinzenz von Paul auf Galeerensklaven. 1617 hielt er seine erste "Missionspredigt" und legte das Gelübde
ab, sein Leben den Armen zu widmen. Er begann mit dem Aufgabengebiet der Volksmission und sammelte um
sich Weltgeistliche. Um das Missionsanliegen nicht nur zeitlich begrenzt wirksam werden zu lassen, widmete er
sich der Weiterbildung des Landklerus in Form der so genannten Ordinandenexerzitien und war maßgeblich an
der Errichtung von Priesterseminarien beteiligt. Berühmt wurden auch die "Dienstagskonferenzen" für
Weltgeistliche, an denen bis zu seinem Tod rund 250 Personen teilnahmen. Aus diesem Kreis gingen 22 (!)
Bischöfe hervor. Hinter diesem Gesamtkonzept stand sein Bemühen, die (oft materielle und geistige) Armut durch
die Weiterbildung und Prägung von Multiplikatoren zu bekämpfen und damit letztlich den Menschen selbst
behilflich zu sein, ihre Armut in ihren strukturellen Wurzeln zu bekämpfen und sich davon zu befreien. Interessant
ist dabei vielleicht, dass die Lazaristen (nach ihrem Stützpunkt St. Lazare in Paris benannt) in ungewöhnlicher
Weise organisiert sind: Sie kennen zwar viele ähnliche Elemente wie die traditionellen Orden, sind aber als
"Weltgeistliche" geführt.
Auch im unmittelbaren Kampf gegen die Armut setzte Vinzenz von Paul Akzente. 1617 gründete er als
Pfarrer eine Confrérie des Dames de la Charité, eine Vereinigung von Bürgersfrauen zur Betreuung armer und
allein stehender Kranker. Seine Missionare gründeten an allen Orten, wo sie tätig wurden, solche Gemeinschaften.
Nach deren Muster gründete er später die Filles de la Charité, die zu ihren Spitzenzeiten mit über 45.000
Mitgliederinnen die größte Kongregation der Kirche waren. "Seit 1633 unterrichtete er gemeinsam mit L. de Marillac
Mädchen vom Lande im geistlichen Leben und in der Krankenpflege.
Damit gelang es Vinzenz erstmals, in der Kirche eine religiöse Genossenschaft zu gründen, die weder
Profess noch Klausur kannte, deren Mitglieder frei herumgehend sich allen Werken der christlichen Caritas
widmeten. Ihr Aufgabenbereich weitete sich von Jahr zu Jahr. Schon zu Vinzenz' Zeiten betreuten sie
Hauskranke, Hospitäler, Galeerensträflinge, Findelkinder, Waisenkinder, Schulkinder, Greise und
Geisteskranke. Sie sind die ersten, die als 'Barmherzige Schwestern' auf den Schlachtfeldern erschienen. Mehr
und mehr wurde Vinzenz so zum caritativen Vater Frankreichs, der zur Zeit der Fronde in St. Lazare
Riesenvolksküchen einrichtete und ganze kriegsverwüstete Provinzen (Lothringen, Champagne, Picardie, Isle
de France) vor Hungersnot rettete und die Grundlagen für ihren Wiederaufbau schuf.
Industrielle Revolution
Diese neuen Formen wurden aber mehr als überfordert, als die erste industrielle Revolution einen tief
greifenden gesellschaftlichen Wandel bewirkte. Die alten Strukturen des staatlichen Wohlfahrtswesens waren den
neuen Anforderungen gegenüber völlig überfordert.
Das alte Feudalsystem, nachdem der Lehensherr zumindest für das Notwendigste zu sorgen hatte, wurde
nicht auf die neuen Stände des Fabrikanten und des Arbeiters übertragen. Der neue Stand der Arbeiter verfügte
auch nicht über Grund und Boden, das zumindest die zeitweise Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten
garantiert hätte. Auch die sozialen Absicherungen der Zünfte (im Lebensverband von Meister, Geselle und
Lehrling) wurden nicht auf die neuen Not leidenden Schichten angewandt.
Aber nicht nur von materieller Not war die Arbeiterschicht bedroht, auch in geistiger Hinsicht tat sich
vielfach ein Vakuum auf. Vom Bildungswesen bis hin zu einer eigenen Arbeiterkultur fehlte es überall am
Notwendigsten.
In dieser Zeit entstanden viele neue Kongregationen und Orden sowie Caritaskreise, die unter der
Führung von Laien standen und ein reiches Vereinsleben entfalteten. Sie alle hatten sich der Bekämpfung gerade
dieser Notsituationen verschrieben. Während die Kirche auf diesem Gebiet Großartiges leistete, fehlte auf längere
Zeit ein systemkritisches kirchliches Engagement, das das Entstehen solcher neuer Armut hätte verhindern
können. Die ersten Dokumente zur kirchlichen Soziallehre entstanden erst Ende des 19. Jahrhunderts und
teilweise zu spät, um entsprechend systemprägend und verändernd wirken zu können.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrten sich die Bemühungen um einen organisatorischen
Zusammenschluss. Auf weltweiter Ebene kam es 1924 in Amsterdam zu einem internationalen
Zusammenschluss der nationalen Caritas-Verbände unter dem Namen "Caritas Catholica", der später in "Caritas
Internationalis" umgeändert wurde und derzeit den Sitz in Rom hat.
3. Caritas heute
Die staatliche Wohlfahrtspflege und die kirchliche Caritas basieren auf unterschiedlichen Fundamenten: Die
Wohlfahrtspflege ist eine staatliche Aufgabe und eine Forderung der Gerechtigkeit; die kirchliche Caritas fußt auf
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der Nächstenliebe. In der täglichen Praxis gibt es aber zwischen diesen beiden Bereichen viele Berührungspunkte
und teilweise Überschneidungen. Betrachtet man die heutige Caritas-Arbeit, so zeigt sich, dass viele der Aufgaben,
die die organisierte Caritas früher wahrgenommen hat, in der Zwischenzeit durch unsere moderne
Sozialgesetzgebung einer Erledigung zugeführt wurden.
Dennoch stirbt die (materielle und geistige) Not nicht aus und stellt die kirchliche Caritas vor immer neue Aufgaben.
Im Folgenden sei nur kurz der Jahresbericht der Caritas der Diözese Graz-Seckau zitiert, aufgrund dessen sich
viele der neuen Aufgaben ersehen lassen. Es macht aber jede andere österreichische Diözese ähnliches. Dem
Bericht zufolge bietet die Caritas folgende Dienste:
1. Pfarrreferat: Öffentlichkeitsarbeit; Schulung, Begleitung und Information für die sozial-caritativen Ausschüsse
der Pfarren
2. Auslandshilfe
3. Altenarbeit
4. Arbeits- und Berufstraining: Vermittlung von arbeitslosen Frauen,
5. Soziales Wohnungsforum: Übergangswohnmöglichkeiten für akute und soziale Notfälle mit Betreuung
6. Mutterhilfswerk; Familienhilfe; Sozialpädagogische Familienbetreuung: Vermittlung von Familienhelferinnen bei
Entbindung, Krankheit, Kur- oder Erholungsaufenthalt der Mutter; Sozialpädagogische Familienbetreuung
7. Kindererholung, Schulen, Heime, Zivildienst, AMV-Kurse: Ferienaktion für Kinder im In- und Ausland, CaritasHeime und - Schulen, Caritas-Kurse der Arbeitsmarktverwaltung, kirchlicher Zivildiensteinsatz
8. Altersheim, Wohnheim, Möbelabholung: Anmeldung für die Aufnahme in das Caritas-Altersheim; MöbellagerAusgabe
9. Fürsorgeabteilung Inland: Beratung und Hilfe im Notfall - in Zusammenarbeit mit den Pfarren
10. Schuldnerberatung
11. Wohnungsbörse: Wohnungsvermittlung
12. Flüchtlings-Rechtsberatung, Fürsorge Ausland: Beratung und Betreuung von Flüchtlingen, Gastarbeitern und
Ausländern. Koordinationsstelle für Integrationsmaßnahmen: Flüchtlingsheime, Sondermaßnahmen für
Flüchtlinge, Regionalbetreuung für Asylwerber, De-facto-Aktion für Bosnier
13. Interkulturelle Arbeit
14. Fonds für kirchliche Förderungs- und Hilfsmaßnahmen für Arbeitslose der Diözese (angegliedert Werkstätten
für die Wiederintegration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsprozess)
(Ein Weg Deiner Hilfe. Jahresbericht der Caritas der Diözese Graz-Seckau 1993/94)
Allein ein kurzer Blick auf diese Zusammenstellung zeigt, auf wie vielen Gebieten des Lebens es derzeit zu
gravierenden Defiziten kommt. Betrachtet man diese Statistik im langfristigen Vergleich, so fällt folgendes auf: Die
Bar-Mittel, die Notleidenden zur Verfügung gestellt werden, sind im Vergleich mit den Kosten, die flankierende
Maßnahmen zur Bekämpfung der Not erfordern, im Rückgang begriffen. Mit Geld allein kann man Not in den
seltensten Fällen effizient bekämpfen. Diese Zahlen und Fakten belegen aber zugleich, dass eine neue Form der
Not im Entstehen begriffen ist: Die Unfähigkeit, mit den alltäglichen Dingen des Lebens zurande zu kommen. Hier
ist Beratungstätigkeit und Begleitung bzw. Schulung in massivem Ausmaß notwendig.
Ein zweiter Akzent in dieser Statistik belegt, dass durch die Vorgänge in andren Ländern mit einer großen
Anzahl von Flüchtlingen auch die Caritas in unserem Heimatland bis an die Grenzen des Machbaren gefordert ist.
Ein dritter Schwerpunkt zeigt auf, dass es auch in unserem Land eine breite Schicht von Menschen gibt,
die hart an der Grenze zur Armut leben. Die verfügbaren Einkommen reichen gerade aus, um das
Allernotwendigste für das tägliche Leben abzudecken. Kommt es zu irgendwelchen ungeplanten und
unvorhergesehenen Zwischenfällen, so reißt die dünne soziale Decke und es droht ein soziales Abrutschen. Für
größere Anschaffungen reichen die Mittel meist überhaupt nicht mehr (beispielsweise wurden in der Stadt
Kapfenberg zwischen 1992 und 1995 durch die Caritas mit Hilfe alter Elektrogeräte und alter Möbel im Stadtbereich
über 50 (!) Wohnungen komplett eingerichtet).
Wenngleich heute vieles in der Caritas-Arbeit professionalisiert wurde und wenngleich damit vorhandene
Mittel auch effizienter eingesetzt werden können, so funktioniert das System der Caritas nach wie vor nur, wenn
viele Menschen bereit sind, in Form von Beiträgen und Spenden oder durch ehrenamtliche Mitarbeit die "Option
für die Armen" zu ergreifen.
All das zeigt, dass die christliche Grundhaltung der Caritas heute ebenso notwendig ist wie vor Zeiten und dass
heute eine bestmögliche organisatorische Strukturierung eine Unabdingbarkeit darstellt.
Prophetische Praxis: Durch die Caritas und die Begegnung mit den Armen sehen Christen die
Unrechtssituationen klarer und kritisieren die herrschenden Zustände.
14 Kapitalismus, Theologie der Befreiung, Katholische Soziallehre,
Laborismus, Personalität, Solidarität, Subsidiarität
14.1 Grundzüge der katholischen Soziallehre
1. Ich, Du, Wir, Strukturen
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Der Auftrag zu sozialem Handeln in der Christenheit zentral: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40) Dieses Wort Jesu, das eine besondere Dringlichkeit erhält, weil es in
der Situation des Endgerichtes gesprochen ist, zeigt die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe auf. Diese
Tatsache verbietet es, sich auf Innerlichkeit zurückzuziehen, sich in Frömmigkeit, der die soziale Dimension fehlt,
zu ergehen. Die Verkürzung des Christentums auf ein Selbstverwirklichungsprogramm ohne Wahrnehmung der
sozialen Verantwortung, wie sie sich heute mitunter finden lässt, ist nicht möglich, will man das Christentum nicht
seiner Substanz berauben.
Diese Verantwortung für den anderen geht nun über das persönliche Verhalten von Mensch zu Mensch
hinaus und bezieht auch die Strukturen der Gesellschaft mit ein. Diese Strukturen tragen ja in einem hohen
Ausmaß dazu bei, ob das Leben eines Menschen gelingt oder nicht. So kann etwa extreme Armut ein
wesentliches Hindernis dahingehend sein, dass der Mensch mehr Mensch wird und die von Gott versprochene
Fülle schon hier ansatzweise erreicht.
Diese Aufforderung zur Mitarbeit an den Strukturen stellte sich für die Kirche in neuer Dringlichkeit
angesichts der Entwicklung der Industriegesellschaft. Der Mensch wird in höherem Ausmaß von den nun immer
übergreifender werdenden Strukturen beeinflusst. Massenphänomene können sich infolge der Technisierung und
Bürokratisierung viel leichter ausbreiten, die Internationalisierung eröffnet weltweite Dimensionen und
Vernetzungen, die große Chancen bieten, die aber auch leicht dazu führen können, dass der Mensch nur als ein
unbedeutendes Rädchen, das im großen Gefüge vernachlässigt werden kann, erscheint.
Dazu kommt noch, dass mit Strukturentscheidungen heute wesentliche Weichenstellungen für die Zukunft
vorgenommen werden und so eine starke Auswirkung auf Menschen haben, die in die Entscheidung heute nicht
eingreifen können. Gerade diesen gegenüber, die oft keinen Anwalt haben und ausgeklammert zu werden drohen,
muss der Christ seine Verantwortlichkeit erweisen.
Die Sozialethik hat nun in erster Linie diese Verantwortung für die Strukturen im Auge. Sie bedenkt,
welche Gesichtspunkte in einen Entscheidungsprozeß in Bezug auf Strukturen miteinbezogen werden müssen, und
sie betrachtet die Mittel, die zur Anwendung kommen sollen. Diese Strukturen können natürlich nicht von der
Gesinnung abgekoppelt werden, es gilt sie aber im Zusammenhang mit der christlichen Gesinnung
mitzuüberlegen.
Der Hintergrund berechtigt, dass man von Katholischer Soziallehre (KSL) spricht. Wiewohl die KSL so alt
ist wie das Christentum, so lässt man angesichts der neuen Zusammenhänge, in die diese Lehre gestellt wurde,
und angesichts der Tatsache, dass Leo XIII. mit seiner Enzyklika Rerum Novarum aus dem Jahre 1891 sich
offensiv den neuen Herausforderungen stellte, die Geschichte der KSL neuerer Ausprägung oft mit dem Jahre
1891 beginnen.
2. Die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes und die Kath. Soziallehre („KSL“)
Das II. Vatikanische Konzil mit seiner bekundeten Bereitschaft, mit der ganzen Menschheitsfamilie in einen Dialog
über die verschiedenen Probleme einzutreten und in diesen Dialog das "Licht des Evangeliums" einzubringen,
setzte wichtige Impulse für die KSL. "Es geht um die Rettung der menschlichen Person, es geht um den rechten
Aufbau der menschlichen Gesellschaft. Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz
und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen. Die Heilige Synode bekennt
darum die hohe Berufung des Menschen, sie erklärt, dass etwas wie ein göttlicher Same in ihn eingesenkt ist, und
bietet der Menschheit die aufrichtige Mitarbeit der Kirche an zur Errichtung jener brüderlichen Gemeinschaft aller,
die dieser Berufung entspricht. Dabei leitet die Kirche kein irdischer Machtwille, sondern nur das eine: ...das
Werk Christi selbst weiterzuführen..., zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen." (GS 3)
Im Ausgang von der Analyse der Wirklichkeit, auch der in der Welt von heute sehr vielfältigen und
unterschiedlichen Wirklichkeit, müssen Wege gefunden werden, um dem Menschen in seiner integralen
Entwicklung zu helfen.
Subjekt und Kontext sind Schlüsselwörter der Überlegungen geworden.
Dabei ist die KSL von 3 Grundsätzen geprägt:
 vom Ganzheitsgrundsatz: Menschliches Wohl hat eine enge Beziehung zum christlichen Heil. Die
Menschheit soll und kann das letzte Ziel der Geschichte mitgestalten.
 vom Differenzgrundsatz, dem Ausgang von der "relativen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten" (GS 36)
mit der Betonung der Eigenständigkeit der einzelnen gesellschaftlichen Sachbereiche und Wissenschaften mit
der Forderung, gerade in der konkreten Aktion diese Gesetzmäßigkeiten zu beachten;
 vom Toleranzgrundsatz, der davon ausgeht, dass in der Beziehung von Wert- und Tatsachenurteilen
verschiedene Menschen mit gleicher Gewissenhaftigkeit in ein und derselben Sache zu verschiedenen Urteilen
kommen können und werden (GS 43).
Einen weiteren wichtigen Akzent setzt das Konzil in der besonderen Betonung der Verantwortung für die
Armen. In der Gleichsetzung der "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders
der Armen und Bedrängten aller Art" (GS 1) als der Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi
findet sich ein Ausgangspunkt der "Option für die Armen". "Diese Frohbotschaft nämlich verkündet und
proklamiert die Freiheit der Kinder Gottes; sie verwirft jede Art von Knechtschaft, die letztlich aus der Sünde
stammt.
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3. Das Vermächtnis des Anfangs
Die Kirche stand im 19.Jhdt. auf der Seite der reichen und Mächtigen. Es gab aber mannigfaltige Tätigkeiten für die
Arbeiter, sei es von Kolping, Reichensperger oder den französischen Bischöfe, die schon in einem Hirtenbrief
aus dem Jahre 1840 von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sprachen. In ihrer Verortung in der
Gesellschaft stand die Kirche einerseits auf der Seite der Mächtigen, andererseits galt der soziale Einsatz gerade
den Ärmsten. Auf diesem Hintergrund, leuchtet die Enzyklika Leo XIII. Rerum Novarum wie ein Blitz auf. Dabei
war Leo XIII. beim Erscheinen der Enzyklika 81 Jahre alt. Die Enzyklika offenbarte vor allem, dass die Kirche fortan
die Welt mit Realismus und Hoffnung, aus dem Blickwinkel der Probleme der Arbeiter anschauen will. Es geht der
Enzyklika nicht darum, eine bedrohte 'christliche Ordnung' aufrechtzuerhalten; ihr haftet nichts Statisches und
Konservierendes an.
Diesen Aufforderungen von konservativer Seite, die alte gottgewollte Ordnung wiederherzustellen, setzte
Leo XIII. ein vierfaches Ja entgegen:
1. ein Ja zur Industriegesellschaft, zur Möglichkeit der Kapitalbildung;
2. ein Ja zur Industriegesellschaft, indem er das Werden einer Klasse, die nicht vom Eigentum her lebte
und deswegen besonders der Gefahr der Proletarisierung und Ausbeutung ausgesetzt war, akzeptierte. Um dieser
Ausbeutung widerstehen zu können, forderte er der Macht des Kapitals gegenüber die Organisationsmacht der
Arbeiter, zu einer Zeit, wo noch das Koalitionsverbot und die Angst vor der Organisation der Arbeiter herrschte;
3. ein Ja zum Sozialstaat, der über seine Wächterfunktion hinaus auch die Aufgabe der Bereitstellung von
sozialen Diensten besonders für die Arbeiter bewerkstelligen sollte;
4. ein Ja zu einer neuen Wert- und Pastoralordnung, die den gewandelten geistlichen und geistigen
Bedürfnissen Rechnung trägt und neue Formen der Begegnung mit den Menschen sucht.
Diese Begegnung geschah anfänglich noch über den Ausbau von sozialen Milieus, der Gestaltung verschiedenster
Vereine, und Vereinigungen, die die Menschen einzubinden suchten.
Soziale Gestaltung, die Gestaltung für den Menschen sein will, muss ihr Maß vor allem auch an den
Armen und Ärmsten der Gesellschaft nehmen. Gerade die Kirche muss Anwalt der Schwachen sein, um denen,
die keinen Anwalt haben, zu helfen. Die Kirche hat in Rerum Novarum diese Anwaltschaft für die Proletarier
übernommen, indem sie deren Rechte einmahnte und Orientierungen für deren Besserstellung gab. Gerade auch
in der Kritik an einer Gesellschaftsordnung, die eine ganze Schicht ausklammerte, zeigt sich dieses Eintreten für
die Schwachen. Das Recht für diese Kritik bezog der Papst nämlich aus dem Anliegen der Förderung der
Entwicklung der Schwachen.
Somit ist der Grundsatz der Option für die Armen, wie ihn die Theologie der Befreiung im Interesse der
Menschen erhebt, schon anfangshaft grundgelegt in Rerum Novarum. Diese Tatsache ist zugleich
Herausforderung für heute, nämlich dort die Stimme zu erheben, wo es um die Entwicklungsmöglichkeiten für die
Ärmsten geht, und auf den christlichen Grundlagen Modelle für die Förderung der Ärmsten zu entwickeln. Diese
Herausforderung gilt besonders auch angesichts einer Zeit, die in der wirtschaftlichen Entwicklung die "Opfer"
dieser Entwicklung zu vergessen droht und die Ausgrenzungen vornimmt, wie sie sich etwa bei Randgruppen
zeigen.
Die KSL hat nun im Laufe der Entwicklungen der letzten 100 Jahre mannigfaltige Veränderungen auf
verschiedenen Ebenen erfahren. Nur einige seien kurz angesprochen:
Im Laufe der Zeit erfuhr die katholische Soziallehre inhaltlich eine Ausweitung insofern, als neben der
klassischen Arbeiterfrage und den damit gegebenen sozialstrukturellen Implikationen etwa
 die "neue soziale Frage" der Proletarisierung der Dritten Welt (z.B. Populorum Progressio 1967, Sollicitudo
Rei Socialis 1987),
 Fragen der weltweiten Gerechtigkeit und der Erhaltung des Friedens (z.B. Octogesima Adveniens 1971),
 in Anfängen auch die ökologische (z.B. Sollicitudo Rei Socialis 1987, Centesimus Annus 1991) und
 die Frauenfrage (Ansätze schon in Mater et Magistra 1961) behandelt werden.
14.2 Die Prinzipien der katholischen Soziallehre
1. Das Personprinzip, 2. Das Solidaritätsprinzip, 3. Das Gemeinwohlprinzip, 4. Das Subsidiaritätsprinzip, 5.
Die Option für die Armen
Den Ausgang nimmt die Lehre dabei vom christlichen Menschen- und Gesellschaftsbild, wie es in den
Sozialprinzipien seinen Niederschlag findet. Diese Sozialprinzipien sind das Person -, das Solidaritäts-, das
Gemeinwohl- und das Subsidiaritätsprinzip. In letzter Zeit wird diesen Prinzipien mit der "Option für die Armen" ein
fünftes Sozialprinzip an die Seite gestellt. In den Prinzipien offenbart sich Gott.
Diese Prinzipien sind nun nicht starre Handlungsanweisungen, sondern Leitwerte, die Grundorientierungen und
Prüfkriterien bei der Findung konkreter gesellschaftlicher Gestaltungsmodelle abgeben. Man muss immer alle
Prinzipien im Auge haben. Die Eigenart der KSL beruht nicht auf einem Prinzip, sondern im Zusammen der
verschiedenen Prinzipien, dann den einzelnen Prinzipien ihre Form verleiht.
1. Das Personprinzip
Durch rechtliche Regelungen, durch den Ausbau der Menschenrechte oder durch die Demokratie ist manches von
Unterdrückungen des Menschen in der Gesellschaft gemildert worden, trotzdem besteht aber auch heute noch und in manchen Gebieten verstärkt - die Gefahr, dass der Mensch zu einem Rädchen in der Gesellschaft wird.
Gewisse Entwicklungen wie etwa Computertechnik oder Gentechnik eröffnen neben vielem Positiven auch die
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bedrückende Möglichkeit, in das Innerste menschlicher Existenz vorzudringen und den Menschen zu einem Objekt
in den Händen anderer und gesellschaftlicher Mächte zu machen. In diese Zusammenhänge hinein das
Personprinzip als wesentliches Prüfkriterium gesellschaftlicher Gestaltung zu betonen, ist sehr wichtig.
"Nach dem obersten Grundsatz dieser Lehre (= der katholischen Soziallehre) muss der Mensch der Träger,
Schöpfer und das Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen sein." (Johannes XXIII)
Dabei ist zu betonen, dass der im Personprinzip ausgesprochene Vorrang der Person immer auch
Aufforderung an sich selbst ist, dem eigenen Personsein gerecht zu werden. Durch Drogen oder Rauschmittel
etwa kann man dem eigenen Personsein zuwiderhandeln, ebenso aber auch, wenn man gegebene Möglichkeiten
der Arbeits- und Freiheitsgestaltung nicht nützt. Wenn ich selbst etwa die Chancen der Selbstverwirklichung nicht
wahrnehme, beraube ich mich selbst gewisser Möglichkeiten des Personseins.
Aus diesem Vorrang der Person ergeben sich nun verschiedene Leitsätze für die konkrete Gestaltung
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. So etwa folgt aus dem Personprinzip der Vorrang der Ethik vor
der Technik.
Eine weitere Folgerung aus dem Personprinzip ist der Vorrang der Arbeit vor dem Kapital. Die Arbeit als
Ausfluss der menschlichen Person steht vor der Sache Kapital. In der Arbeit drückt sich nämlich der Mensch
wesentlich aus. Ihm diesen Ausdruck zu erleichtern und nicht durch Vorherrschaft des Kapitals zu verunmöglichen
oder zu erschweren, ist eine wichtige Forderung der heutigen Zeit, wo Kapitalinteressen mitunter eine
Eigendynamik erreichen können, die der Würde der Person entgegenwirkt. Diese Vorrangsregeln fordern also
einen richtigen Gebrauch von Technik und Kapital zum Nutzen des Menschen.
Auf der Ebene der Politik könnte etwa das Personprinzip im Vorrang der Person vor dem politischen System
seinen Ausdruck finden.
2. Das Solidaritätsprinzip
Der im Personprinzip zum Ausdruck kommende Vorrang der Person vor allen anderen Faktoren gilt nun nicht nur in
Bezug auf den einzelnen, sondern auch in Bezug auf alle einzelnen. Es geht darum, Personsein für alle in
unserer Gesellschaft zu ermöglichen.
Auf die Ebene eines wesentlichen Wertes des Personseins, nämlich die Freiheit, übertragen, bedeutet dies mit
Immanuel Kant eine Ordnung zu suchen, in der die Freiheit des einen neben der Freiheit des anderen bestehen
kann. Diese Ausweitung des Personprinzips auf die gesellschaftliche Ebene hat nun das Solidaritätsprinzip zum
Inhalt. Es ist nach Wilhelm Korff die "gesellschaftliche Einlösung des Personprinzips
Aus der Verbundenheit der Menschen, die gerade angesichts heutiger weltweiter Bedrohungen z.B. durch
Umweltzerstörung oder durch einen Atomkrieg besonders deutlich wird, ergibt sich die gegenseitige Verantwortung
und die gegenseitige Verpflichtung zur Unterstützung.
Wenn alle in einem Boot sitzen, so entsteht daraus die Verpflichtung eines jeden mitzuhelfen, dass das
Boot nicht untergeht. Aus der Tatsache, dass Personsein wesentlich auch in Beziehungen zu und Bindungen
mit anderen besteht, ergeben sich also Verpflichtungen, für den anderen einzutreten. Aus der Tatsache der
Gemeinverstrickung ergibt sich nun die Gemeinhaftung.
Schon auf der Ebene des Eigeninteresses erscheint Solidarität in vielen Fällen sinnvoll. Weil ich z.B. auch
einmal in die Lage kommen könnte, arbeitslos zu werden, liegt es auch in meinem Interesse, Arbeitslose heute zu
unterstützen. Es ist wie beim Versicherungsprinzip: Weil ich einmal von einem Unglücksfall getroffen werden
könnte, ist es gut, die Prämie einzuzahlen, um damit andere, die in Not kommen, zu unterstützen. Wenn ich in Not
komme, werde ich dann von den Beträgen der anderen unterstützt.
Am Beispiel der Versicherung aber zeigt sich auch, wie leicht die Solidarität, die nur auf Gegenseitigkeit
beruht, ausgehöhlt werden kann. Denn schließlich kommt es oft vor, dass jeder das herausholen will, was er
eingezahlt hat, und die selbstproduzierten Schadensfälle häufen sich.
Es bedarf also wesentlich auch einer Begründung der Solidarität, die über die eigenen Interessen
hinausgeht und auf der Ebene der Überzeugung gemeinsamen Menschseins angesiedelt ist. Was damit gemeint
ist, kommt in einem Bild, das ich einmal bekam und das sich auch in einem Religionsbuch findet, zum Ausdruck.
Die Postkarte zeigt ein Foto eines Indio-Mädchens, das auf seinem Rücken in ein Tuch gewickelt einen
kleinen Buben trägt. Unter diesem Foto steht folgender Text: "Auf steinigem, holprigem Wege begegnet mir ein
Mädchen, das schwer beladen seinen Weg geht. ’Da trägst du aber eine schwere Last', sage ich bedauernd und
voll Mitleid. Darauf schaut das Mädchen mich verwundert an: 'ICH TRAGE DOCH KEINE LAST, ICH TRAGE
MEINEN BRUDER!'"
Solidarität mit dem anderen gründet also wesentlich auf der gemeinsamen Geschwisterlichkeit. Hier liegt
eine spezifische Motivation gerade aufgrund des christlichen Glaubens: in und mit Christus, der bis in den Tod
hinein mit dem Menschen solidarisch wurde und in dem alle Menschen Brüder und Schwestern geworden sind,
dem anderen solidarisch zu begegnen.
Was wahre Solidarität bewirken kann, wird in einer Geschichte im Bild des Himmels ausgedrückt:
Ein Mann will den Himmel und die Hölle sehen. Dieser Wunsch wird ihm gewährt. Zuerst wird er an einen Ort
geführt, wo er schön gekleidete Menschen um einen reich gedeckten, mit den besten Leckerbissen versehenen
Tisch sitzen sieht. Als ihm sein Begleiter erklärt, sie seien in der Hölle, ist der Mann äußerst erstaunt. Ein so reich
gedeckter Tisch soll die Hölle sein? Er schaut genauer hin, und nun wird ihm klar, warum hier die Hölle ist. Die
Menschen am Tisch haben ca. 2 m lange Löffel, diese müssen sie am Ende des Stieles halten, und so können sie
keine Speise zum Mund führen. Hungern zu müssen angesichts so köstlicher Speisen, das ist wahrhaft höllisch.
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Szenenwechsel: Der Mann wird in den Himmel geführt. Auf den ersten Blick dasselbe Bild. Schön gekleidete
Menschen, beste Leckerbissen, die 2 m langen Löffel, trotzdem Freude und Zufriedenheit. Warum das? Hier im
Himmel kommt ein jeder auf den Gedanken, mit dem langen Löffel den anderen zu füttern, und so hat ein jeder
genug. Gleichzeitig können sich auch fröhliche Gespräche entwickeln, weil jeder auf den anderen hin orientiert ist
und die Gemeinsamkeit Sinn gibt.
Die reichen Glücksmöglichkeiten der heutigen Zeit bedürfen zu ihrer Nutzung wesentlich auch der Solidarität.
3. Das Gemeinwohlprinzip
Solidarität kann auf Dauer nur verwirklicht werden, wenn dementsprechende Strukturen des Gemeinsamen
aufgebaut werden. Es ist so wie in einem Dorf, wo erst das entsprechende Straßen- und Wegenetz, die
Versorgung mit Wasser, aber auch ein entsprechendes Recht, das die Konflikte zwischen den Dorfbewohnern
regelt, und auch gemeinsame Feiern dem einzelnen ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben
gestatten. Das Gemeinwohlprinzip bringt nun die gemeinsame Verantwortung für die Pflege des Gemeinsamen
zum Ausdruck. Dieses Gemeinsame bildet den Rahmen, der als Voraussetzung zur Erreichung des Glücks für den
einzelnen dient.
Damit etwa der einzelne sich durch eine ihn erfüllende Arbeit das Glück schaffen kann, bedarf es einer
entsprechenden Arbeitsordnung, die es dem einzelnen erlaubt, Arbeit zu finden, und ein dementsprechendes
Arbeitsrecht, das Grundlinien des menschenwürdigen Umgangs in der Arbeit gewährleistet.
Gemeinwohl ist
 das an der Menschennatur sich orientierende größtmögliche Glück aller einzelnen in Gegenwart und
Zukunft
 mit vorrangiger Beachtung vitaler Lebensbedürfnisse für alle
 sowie mit besonderer Berücksichtigung der Realisierungsbedingungen beider Anliegen.
Dies ist besonders heute wichtig, wo das Gemeinsame in der Gefahr der Aushöhlung infolge Ausnützens
durch die einzelnen steht. Solches kann mit der sozialen Falle der "Tragödie der Allmende" ausgedrückt werden:
Die Bauern eines Dorfes haben einige Kühe auf ihren eigenen Weiden, jeder hat aber auch einige auf der
Gemeindewiese, der Allmende. Lässt ein Bauer nun eine Kuh mehr auf der Allmende grasen, so ergibt das für ihn
einen Vorteil; dieser Vorteil wird umso größer, je mehr von den eigenen Kühen er auf der Allmende grasen lässt.
Dieser Vorteil ist für jeden Bauern gegeben, der mehr Kühe auf der Gemeindewiese zum Grasen bringt. Nun
werden aber so viele Kühe auf die Gemeindewiese getrieben, dass diese Kühe das Gras zertrampeln, die
Grasnarbe so gründlich abfressen, dass überhaupt nichts mehr wächst und so wegen Futtermangels keine Milch
mehr geben.
Weil das Gelingen des Glücks des einzelnen von diesen gemeinsamen Bedingungen abhängig ist, gilt die Regel
des Vorranges des Gemeinwohls vor dem Eigenwohl auf der gleichen Ebene. Das bedeutet etwa eine
Unterordnung der eigenen Interessen unter die Interessen der Familie, weil die Familie die Voraussetzungen für
das Gelingen des Lebens des einzelnen mit schafft. Es bedeutet aber nicht, dass etwa um des Gemeinwohls willen
der einzelne gegen sein Gewissen gezwungen werden kann, für den Staat zur Waffe zu greifen. Hier liegen
Gemeinwohl und Einzelwohl auf verschiedenen Ebenen. Die Ebene des Gewissens und der Würde des einzelnen
steht über der Gemeinwohlebene des Staates. Natürlich muss hier aber eine echte Gewissensentscheidung
gegeben sein. Wohl kann und muss der Staat aus Gerechtigkeitsgründen von den Wehrdienstverweigerern einen
Wehrersatzdienst als Gemeinwohlpflicht fordern.
4. Das Subsidiaritätsprinzip
Die Verwirklichung der Solidaritätsverpflichtungen vor allem auf die Ebene der zentralen staatlichen
Organisation zu verlegen, kann weitreichende Schwierigkeiten mit sich bringen. Dies zeigt sich etwa am Scheitern
zentralverwalteter Planwirtschaften mit der Konsequenz der Zerstörung auch der staatlichen Ordnung.
Um das Interesse des einzelnen und seine Leistungsbereitschaft zu wecken, bedarf es eben der Belassung
der Verantwortung auf der Ebene des einzelnen und untergeordneter Gruppen, soweit es geht. Was mir gehört nicht nur, was den Besitz, sondern auch, was meine Gestaltung betrifft -, lässt mich aktiv werden. So fordert das
Subsidiaritätsprinzip, wie es im Rundschreiben Pius' XI. Quadragesimo Anno aus dem Jahre 1931 formuliert ist,
folgendes:
"
Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte deutlich bestätigt, dass unter den veränderten
Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von
großen bewältigt werden können, so muss doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische
Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch
aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der
Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren
und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete
Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze
Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die
Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen." (art. 79)
Natürlich fordert das Subsidiaritätsprinzip von einzelnen und kleineren Gruppen, die eigene Verantwortung
wahrzunehmen. Dass dies oft nicht geschieht, zeigt die Geschichte von der Matratze:
An einem späten Sonntagnachmittag in Boston: Die Sonntagsausflügler streben wieder der Stadt zu. Es
herrscht reger Verkehr in den engen, kurvigen Straßen. Eine Matratze, die ein Kombiwagen verloren hat, liegt
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mitten auf dem Fahrstreifen. Hinter dieser Matratze bildet sich schon ein ansehnlicher Stau. Der jeweils vor der
Matratze stehende Fahrer wartet auf ein Loch im Gegenverkehr, umkurvt die Matratze und fährt weiter. Die hinten
im Stau stehenden Fahrer schimpfen, dass keiner sich findet, der das Hindernis von der Straße entfernt, stehen sie
aber davor, umkurven auch sie die Matratze, anstatt sie wegzuräumen.
Beim Wegräumen der Matratze müssen wir somit selbst beginnen und nicht andere dafür namhaft machen.
5. Die Option für die Armen
Nun stellt sich die Frage, WO soziale Verantwortung ZUERST zu beginnen hat. Soziale Probleme sind nämlich oft
in einem Maße gegeben, dass die Absicht, alle zu lösen, nur wenig lösen könnte, weil einfach die Möglichkeiten
nicht gegeben sind. Als Entscheidungsregel, wo in einem solchen Fall anzusetzen ist, kann das Prinzip der Option
für die Armen gelten.
Dies bedeutet, dort anzusetzen, wo die Not an größten ist. Zum Auffinden der größten Not muss dann
natürlich noch die Fähigkeit, dort zu helfen, wo diese größere Not festgestellt wurde, gegeben sein. Denn
bestgemeinte Aktionen führen mitunter genau zum Gegenteil des Beabsichtigten, wenn die Fähigkeiten zur
Realisierung fehlen. Ein Beispiel: Ein Auto hat einen Defekt. Eine große Notlage ist gegeben. Wenn ich aber
darangehe, den Wagen zu reparieren, ohne etwas davon zu verstehen, werde ich die Lage aller Wahrscheinlichkeit
nach noch verschlimmern. Deswegen ist die Option für die Armen immer auch an die Bereitschaft zu lernen, wie
den Problemen der Ärmsten zu begegnen ist, gebunden. Jedenfalls dient diese Option für die Armen aber der
Entscheidung darüber, wo vordringlich zu helfen ist.
15 Sexualität und Ehe
15.1 20 Thesen zur Sexualität
1. Eros und Sexualität sind vitale Grundkräfte des Menschen. Sie sind in sich gut und bedürfen keiner besonderen
Rechtfertigung. Die Bibel sieht in Ihnen- wie in einem Abbild - die Liebe und die Kreativität Gottes ausgedrückt.
2. Eros und Sexualität erfüllen sich in der treuen Zuwendung zu einem geliebten Menschen. Diese Zuwendung
wird ganzheitlich geschenkt und erfahren - mit allen Kräften und Fähigkeiten. Sie wird von der Bibel gutgeheißen.
3. Eros und Sexualität haben eine Bedeutung, die über die Biographie der Liebenden hinausgeht, wenn sie neues
Leben schaffen und bewahren. Darin nehmen sie teil am schöpferischen Werk Gottes und werden zum Abbild
des Schöpfers.
4. Eros und Sexualität erfüllen einen Sinn im Leben der Liebenden, wenn diese sich selbst in der Erfahrung der
Lust als vital und lebensfroh empfinden. Lebensfreude bedeutet, mit Lust und Liebe leben zu können.
5. Eros und Sexualität erfahren ihren vollen Sinngehalt, wenn alle drei Bedeutungen erfüllt sind: Liebe - neues
Leben - Lust. Das Ideal einer christlichen Ehe vereinigt die drei Bedeutungen und sieht in ihnen ein Symbol der
Liebe Gottes.
6.In den verschiedenen Lebensformen - ob allein, ob in Beziehung, ob in einer Familie lebend - können erotische
und sexuelle Erfahrungen ihren Platz haben. Wenn sie mit Behutsamkeit, Wahrhaftigkeit und Verantwortung
aufbauend und belebend wirken und keines Menschen Würde verletzen, sind sie gut.
7. Das jüdisch-christliche Menschenbild der Bibel geht mit Eros und Sexualität unbefangen um und kennt im
Hohen Lied einen dichterischen Lobpreis dieser Kräfte. Gleichzeitig lassen die Strafgesetze des Alten Testaments
die Tabus ihrer Zeit erkennen.
8. Entgegen weit verbreiteter Meinung ist das 6. Gebot kein Sexualgebot. Es schützt vielmehr die Ehe und
untersagt den Ehebruch. In einer Einengung auf den genitalen Bereich hat die christliche Tradition im 6. Gebot aus
einem Ehegebot ein Sexualgebot gemacht.
9. Die kirchliche Gewohnheit, den Bereich von Liebe, Eros und Sexualität in erster Linie und vor allem unter dem
Aspekt der Sünde zu sehen, hat eine unbefangene Einstellung jahrhundertelang behindert. Das hat viele
Menschen in ihrem Lebensglück beeinträchtigt.
10. Im vorehelichen, aber auch im ehelichen Bereich werden Erotik und Sexualität im Gleichklang mit dem näheren
Kennen lernen und der wachsenden Vertrautheit erlebt und erlernt. Der übergangslose Wechsel von absoluter
Enthaltsamkeit zu vollem Sexualleben in der Ehe ist fragwürdig.
11. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind wie andersgeschlechtliche insoweit gut, als sie verantwortlicher
Ausdruck von Liebe sind. Liebe und Treue verlieren nicht ihren Wert, wenn sie gleichgeschlechtlich gelebt und
erfahren werden.
12. Die Trennung der Zeugung vom sexuellen Vollzug ermöglicht es Frauen und Männern, die Zahl ihrer Kinder
verantwortungsvoll zu planen und der sexuellen Beziehung ihren Eigenwert als Ausdruck der Liebe zu erhalten.
13. Empfängnisverhütung einschließlich der Wahl der Methoden - nicht die Beseitigung bereits bestehenden
Lebens - liegt in der Verantwortung beider Partner. Es ist ethisch bedeutsam, aus welchen Gründen ein Paar
Nachkommenschaft wünscht oder verhindert.
14. Beim Zerbrechen und Scheitern einer Beziehung soll die kirchliche Gemeinschaft ein Ort des Trostes und ein
Raum der Vergebung sein. Der generelle Ausschluss Wiederverheiratet - Geschiedener vom
Sakramentenempfang wird als Dauerstrafe erfahren und widerspricht dem biblischen Anspruch der Versöhnung.
15. Gott ist in Jesus - für Frauen und Männer in gleicher Weise - Mensch geworden. Die Kirche ist in ihren
patriarchalischen Strukturen dem väterlich - mütterlichen Gott Jesu untreu geworden.
16. Das Verbot der Frauenordination wird in äußerst fragwürdiger Weise mit der Männlichkeit Jesu und der
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Apostel begründet. Damit wird man weder dem Umgang Jesu mit Frauen noch der Lebenswirklichkeit von Frauen
heute gerecht.
17. Das Eheverbot für Weltpriester stammt vorwiegend aus einer leib -, frauen- und sexualfeindlichen Epoche der
Kirche und ist so nicht in der Bibel begründet. Es ist daher die völlig freie Wahl der Lebensform für Priester
wiederherzustellen.
18. Das Gelübde der Ehelosigkeit unter Ordensleuten - Frauen und Männern - hat eine andere Bedeutung. Der
Verzicht auf eine bürgerliche Familie zugunsten einer religiösen in völliger Freiwilligkeit steht in alter christlicher
Tradition.
19.Ethische und kirchenrechtliche Bestimmungen, die dem Evangelium nicht entsprechen und deren Begründung
nicht einsichtig ist, verpflichten nicht im Gewissen. Letzte Instanz der Entscheidung ist das gebildete Gewissen
mündiger Christinnen und Christen.
20. Das belastende Erbe einer leib -, frauen- und sexualfeindlichen Geschichte wird erst dann bewältigt sein,
wenn die Kirche die anstehenden Fragen unter Mitwirkung der Betroffenen im Sinn der Liebesbotschaft des
Evangeliums gelöst haben wird.
15.2 Ehe als Sakrament
Das Wort Ehe bedeutet (mittelhochdeutsch: ewe) Gesetz, Recht; im Besonderen bezogen auf eine der wichtigsten
Institutionen des rechtlichen und sozialen Lebens.
Eine Ursituation des menschlichen Lebens ist es, in Lebensgemeinschaft zu leben. Der Beginn einer
Lebensgemeinschaft wird durch eine Hochzeit begangen.
Eine menschliche Grunderfahrung ist es, sich in leiblichen Gesten dem anderen zuzuwenden, miteinander leben zu
wollen und eine Familie zu gründen. Wir sind bezogen als Einzelne auf ein Du, auf einen Partner.
Das Sakrament der Ehe ist eine Offenbarung Gottes. Spender des göttlichen Geschenkes (der Gnade) ist der
Priester, sondern die Brautleute spenden einander das Sakrament der Ehe. Der Priester ist offizieller Vertreter der
Kirche; er segnet die Verbindung. Empfänger sind die Brautleute.
Die Häufigkeit von Eheschließungen hängt von der gemeinsamen Lebenszeit ab. Die katholische Ehe scheidet nur
der Tod ("...bis dass der Tod euch scheidet"). Zu Lebzeiten beider Ehepartner kann in der Regel nur einmal eine
gültige Ehe eingegangen werden. Nach dem Tod eines Partners oder wenn die Ehe für ungültig erklärt wurde, ist
eine neuerliche (kirchliche) Eheschließung möglich. Es gibt aber auch das Privilegium Petrinum und das
Privilegium Paulinum, die eine Auflösung der Ehe vorsehen, wenn ein Partner nicht getauft ist. Dabei müssen
aber verschiedene Bedingungen erfüllt sein.
Das Angebot Gottes besteht darin, den Menschen einen Partner zu geben. Gott will nicht, dass der Mensch alleine
ist (Gen 2); er gibt ihm die Fähigkeit in Beziehungen zu leben.
Die Antwort des Gläubigen besteht in der Beziehung zu einem Partner. Das Brautpaar hat den Wunsch, in diesem
Sinne in einer guten Beziehung miteinander zu leben und Freude und Leid miteinander zu tragen.
Die Zeichen sind die Übergabe der Ringe und das Jawort.
Das deutende Wort lautet: "N., ich nehme dich an als meine Frau (meinen Mann) und verspreche Dir die Treue in
guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will Dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe."
inneres Geschehen: Der Ehebund ist Abbild des Bundes Gottes mit den Menschen; die Ehe ist Zeichen der Liebe
Gottes. In der Ehe kann der Mensch am Schöpfungswerk Gottes teilnehmen.
Der Gemeindebezug zeigt sich in der öffentlichen Bekundung durch das Brautpaar, dass es den Weg gemeinsam
gehen will. Die anwesende Gemeinde ist Zeuge und ist aufgerufen, das junge Paar zu begleiten.
Der Ursprung der Ehe ist in der Offenbarung Gottes gegeben: Gott schafft den Menschen als Mann und Frau (Gen
2,18ff; Gen 1,27)
Die Besonderheit besteht in der katholischen Kirche darin, dass die Ehe praktisch unauflöslich ist. Sie kann
höchstens für ungültig erklärt werden. Eine Scheidung (mit der Möglichkeit einer kirchlichen Wiederverheiratung ist
nicht erlaubt (sonst Exkommunikation); ist die Ehe aber eine zu große Belastung für beide Partner, wird eine
"Trennung von Tisch und Bett" zugestanden.
Andere christliche Konfessionen haben die Eheschließung in ähnlich feierlichem Rahmen.
In der Kirchen der Reformation ist sie kein Sakrament; die Eheschließung erfolgt - ebenso wie die Scheidung auf
dem Standesamt. In der Kirche wird die Ehe gesegnet und es wird für das Paar gebetet. Eine Scheidung ist ein
seelsorgliches Problem, aber kein kirchliches. Allerdings möchte auch die evangelische Kirche, dass die Ehe
möglichst nicht geschieden werden muss.
In den östlichen Kirchen ist die Ehe ein Sakrament, wobei der Spender der Priester ist. Eine kirchliche
Ehescheidung wird geduldet, aber nicht gerne gesehen. Bei einer kirchlichen Wiederverheiratung wird allerdings
ein Bußgebet in den Trauritus (wegen des vorangegangenen Ehebruchs) eingefügt.
15.3 Das kanonische Eherecht
In den Canones (Paragraphen) 1055 bis 1165 des Codex Iuris Canonici (=Kirchliches Rechtsbuch) sind die seit
1983 gültigen und aufgrund der Dekrete des II. Vatikanisches Konzils veränderten Normen des kirchlichen
Eherechts niedergelegt. Geltungsbereich: römisch - katholische Kirche, wenn zumindest ein Partner katholisch ist.
Die Wesenseigenschaften er Ehe sind Einheit (Einpaarigkeit) und Unauflöslichkeit (die "vollzogene" Ehe von
Christen ist unauflöslich).
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Der Zweck (Ziele) der Ehe sind das Wohl der Ehegatten, das Wohl der Kinder sowie die Zeugung und Erziehung
von Nachkommenschaft.
Die Ehe kommt durch den Konsens gültig zustande. Die vollzogene Ehe zweier Christen ist auch äußerlich
unauflösbar. Der Ehevollzug ("Geschlechtsverkehr") macht die Ehe unauflöslich.
Annullierung: "annullieren": matrimonium non ratum, d.h. Eheschließung war nicht rechtskräftig.
Auflösung: "auflösen": matrimonium non consumatum d.h. Ehe wurde nicht auch körperlich vollzogen)
Ein Ehevertrag unter Christen kann nicht gültig bestehen, ohne gleichzeitig Sakrament zu sein. Die Ehepartner
spenden sich das Sakrament selber.
Die Ehe erfreut sich der Rechtsgunst; deshalb ist bis zum Beweis des Gegenteils an der Gültigkeit der Ehe
festzuhalten.
Die Bischofskonferenz hat zu regeln, in welcher Weise die Vorbereitung einer Ehe durchzuführen ist; dazu
gehören: „Aufgebot“ oder Anmeldung zur Trauung und Beistellung der Dokumente. "Brautexamen" (Beachten der
Hinderungsgründe). Nichtigerklärung oder Nicht - Bestandserklärung einer nur zivil oder nichtkatholisch religiös
geschlossenen Ehe von "Formpflichtigen". Das Sakrament der Firmung soll, muss aber nicht empfangen werden.
Trauungsverbote machen die Eheschließung unerlaubt, aber nicht ungültig. Es ist ein Dispens (Erlaubnis) des
Bischofs (Ortsordinarius) erforderlich: 1. Wohnsitzlose, 2. fehlende staatliche Eheschließung, 3. Verpflichtung
gegenüber früherem Partner oder Kindern, 4. Vom Glauben Abgefallene, 5. Minderjährige, 6. mit kirchlicher Zensur
bestrafte
Mischehen: Bei Ehen mit einem nichtkatholischen Partner wird vorher ein Versprechen über die christliche
Erziehung der Kinder verlangt. Möglich sind auch ökumenische Trauungen mit Partnern anderer christlicher
Kirchen.
Voraussetzungen für das gültige Zustandekommen einer Ehe sind: a) Rechtliche Ehefähigkeit der Partner;
sie müssen frei sein von trennenden Ehehindernissen. b) Ehewille; der Konsens muss frei sein von wesentlichen
Mängeln. c) Einhaltung der vorgesehenen Eheschließungsform.
Das trennende Hindernis macht eine Person unfähig, eine Ehe gültig einzugehen.
Ehehindernisse, die nicht dispensabel sind:
 Eheschließungsunfähigkeit (Geisteskrankheiten u.ä.)
 Eheführungsunfähigkeit (schwere psychische Anomalien, z.B. Neigung zu Homosexualität oder Inzest)
 Irrtum (bezüglich der Person oder des Wesens der Ehe, Nichtwissen über die Unauflöslichkeit der Ehe)
 arglistige Täuschung
 Simulation (Setzen von Vorbehalten gegen die Ehe selbst oder ihre Wesenseigenschaften
 Bedingungen stellen oder aushandeln
 Zwang und (schwere und von außen durch Respektspersonen eingeflößte) Furcht
 Impotenz (nicht Sterilität), doch nur, wenn vorhergehend und andauernd
 Blutverwandtschaft in gerader Linie und im 2. Grad der Seitenlinie (Geschwister)
Ehehindernisse, die dispensabel sind ( Papst, Bischof, Pfarrer, Beichtvater):
1)
Bestehendes kirchliches Eheband - kirchliche Ehe nur möglich, wenn früherer Partner gestorben oder
frühere kirchliche Ehe durch ein kirchliches Gericht annulliert oder aufgelöst wurde, weil Ehehindernis(se)
vorlag(en).
2)
Religionsverschiedenheit
3)
Blutsverwandtschaft in Seitenlinie ab 3. Grad und Schwägerschaft in allen Graden
4)
Öffentliche Ehrbarkeit (zwischen Mann und Verwandten der Frau und Frau und den Verwandten des
Mannes, auch bei Konkubinat)
5)
Gesetzliche Verwandtschaft durch Adoption
6)
Ehemündigkeit (Mädchen mit Vollendung des 14., Knaben mit Vollendung des 16.Lebensjahres)
7)
HI. Weihen (ab Diakonat)
8)
Öffentliches, ewiges Keuschheitsgelübde
9)
Entführung
10)
Gattenmord
Für die Dispensierung von Hindernissen ist normalerweise der Bischof (Ortsordinarius) zuständig, in den
Fällen der heiligen Weihen, der öffentlichen ewigen Gelübden und des Gattenmordes hat sich der Hl. Stuhl die
Entscheidung reserviert.
Der Konsens ist die "Wirkursache" der Ehe. Er ist wichtiger als andere Bedingungen. Er ist nur als
punktueller Ehewille im Augenblick des Eheabschlusses erforderlich; ein nachträglicher Wegfall des Konsenses ist
rechtlich unerheblich. Zum gültigen Eheabschluss ist die gleichzeitige Anwesenheit der Partner erforderlich, sei es
in eigener Person oder durch Stellvertreter.
Ein Konsens ist mangelhaft bei fehlendem Vernunftgebrauch, Mangel des erforderlichen Urteilsvermögens,
bei Unvermögen zur Erfüllung der wesentlichen Verpflichtungen der Ehe, bei fehlendem Mindestwissen, Irrtum in
der Person, arglistige Täuschung, Totalsimulation und Eheschließung unter Zwang.
Annullierung: Die Ehe kann als nicht gültig bestimmt werden, wenn trennende Ehehindernisse vorliegen. Die
Urteile sprechen die Diözesangerichte und in 2. Instanz die Gerichte der Erzdiözesen. Für Gekrönte und
ungekrönte Staatsoberhäupter ist das päpstliche Gericht (Rota Romana) zuständig.
Formpflicht: Nur jene Ehen sind gültig, die geschlossen werden unter Assistenz des Ortsordinarius oder des
Ortspfarrers oder eines von einem der beiden delegierten Priesters oder Diakons sowie vor zwei Zeugen.
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16 Gewaltlosigkeit, Zivildienst, Krieg, Aggression, Friede
16.1 Friede, Gewaltfreiheit, Zivildienst, Gerechter Krieg
1. Friede als Ziel
Auch wenn Menschen immer wieder Kriege führen, ihr Ziel ist doch in den meisten der Fälle der Friede. Der Friede
bleibt eine tief verankerte Sehnsucht der Menschen. Und trotzdem - es herrscht kein Friede hier auf Erden: Kriege,
Gewaltausbrüche, unbeherrschte Aggression, die sich gegen andere wendet, sind an der Tagesordnung - und das
auch bei Menschen guten Willens.
2. Der Frieden:
Abwesenheit von Krieg : Friede im inner- und überstaatlichen Bereich wird oft verstanden als Abwesenheit von
Krieg und aktueller Gewaltanwendung. Gerade angesichts aktueller Kriegsgräuel etwa im ehemaligen Jugoslawien
merken wir, wie wichtig diese Bestimmung von Friede ist. Wir müssen aber fragen, ob dies alles am Frieden ist.
Abwesenheit von Bedrohung: Friede kann definiert werden als Abwesenheit von Bedrohung, besonders
einseitiger, abhängig machender Bedrohung.
Friede als Verwirklichung von Menschlichkeit: Hier zeigt sich, dass Friede nicht nur negativ, als
Abwesenheit von etwas definiert werden kann, sondern auch als Verwirklichung bestimmter fundamentaler
menschlicher Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit, möglichst gewaltloser Konfliktlösung oder Förderung wahrer
Menschlichkeit.
Friede ist nicht automatisch: Der Friede bedarf der Pflege auf den verschiedensten Ebenen
menschlicher Existenz. Friede ist nicht sosehr ein Zustand, sondern ein Prozess, der angesichts verschiedener
Voraussetzungen zu verschiedenen Zeiten immer wieder neu in Gang gesetzt werden muss. Friede kann als
Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender akzeptierter Gerechtigkeit verstanden werden. Zu diesem
Werden des Friedens muss nun auf den verschiedensten Ebenen menschlicher Existenz beigetragen werden.
3. Wege zum Frieden
Auf welchen Wegen man zum Frieden kommen soll, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Vielleicht
kann das mit einem kleinen Witz, der in der ehemaligen Sowjetunion als Flüsterwitz kursierte, illustriert werden: Ein
Jude kommt zu seinem Rabbiner und fragt: "Herr Rabbiner, Sie sind ein weiser Mann. Sagen Sie mir, wird es Krieg
geben?" Worauf der Rabbiner antwortet: "Nein, einen Krieg wird es nicht geben, aber einen solchen Kampf für den
Frieden, dass kein Stein auf dem anderen bleiben wird."
3.1 Friede durch Gewaltlosigkeit oder durch Gewalt?
Spirale der Gewalt: Auf den ersten Blick und aus den Grundintentionen der christlichen Lehre heraus
scheint Gewaltlosigkeit der richtige Weg zum Frieden zu sein. Konfrontiert mit der Tatsache, dass es eine Spirale
der Gewalt gibt, die durch Gewalt zum Drehen gebracht wird, stellt Gewaltlosigkeit in manchen Fällen ein
Zerschlagen des Knotens der Gewalt dar. Als solche wird Gewaltlosigkeit in der Bergpredigt auch gezeigt. Man soll
ja die andere Wange nicht zu dem Zwecke hinhalten, dass der andere weiter zuschlagen kann, sondern um ihn
durch die Gewaltlosigkeit zu entwaffnen und so die fatale Konsequenz des Schlagens und Zurückschlagens
aufzubrechen. Hier kann gerade christlich motivierte Gewaltlosigkeit den Weg zum Frieden bahnen.
Spirale der Ohnmacht: Aber neben dieser einen Spirale der Gewalt gibt es auch die Spirale der Gewalt,
die durch Gewaltlosigkeit zum Drehen gebracht wird. Ein wehrloses Kind etwa kann manche abartig Veranlagte zur
Gewalt reizen, ebenso ein wehrloses Land einen Aggressor zum Einmarsch einladen. Ohne eine entsprechende
Verbrechensbekämpfung durch Polizei und Gendarmerie würden die Gewaltverbrechen höchst wahrscheinlich
steigen. So scheint der absolute Pazifismus, der als persönliche Haltung gerade auch in seiner prophetischen
Eindeutigkeit zu achten und hoch zu schätzen ist, besonders dann, wenn es wie im Staat auch um Verantwortung
für andere geht, in manchen Situationen gerade zu größerem Unfrieden zu führen. Ein relativer Pazifismus, der
Gewalt als letztes Mittel bei Versagen der übrigen Mittel zur Überwindung der Gewalt einsetzt, scheint ethisch
leichter akzeptierbar zu sein.
Die gerechtfertigte Verteidigung: Das Problem besteht nun darin, dass man nicht immer abschätzen
kann, in welcher Situation welche Spirale der Gewalt zum Tragen kommt. Gerade auch die traditionelle Lehre vom
gerechten Krieg, die man eher als Lehre von der gerechtfertigten Verteidigung bezeichnen sollte, kann
besonders auch auf internationaler Ebene ein solches Element der Abschätzung sein. Die Lehre von der
gerechtfertigten Verteidigung bindet die Erlaubtheit dieser Verteidigung auch mit dem damit notwendigen
Gewalteinsatz an bestimmte Voraussetzungen.
 wenn die Verteidigung von der zuständigen Autorität erfolgt;
 wenn ein gerechter Grund vorhanden ist, d.h., die Abwehr einer entsprechend großen und sicheren Gefahr, um
das Leben Unschuldiger zu schützen und um die Grundrechte zu sichern;
 wenn der Grundsatz der komparativen Gerechtigkeit gewahrt wird. Dieser Grundsatz besagt, dass keine Seite
davon ausgehen kann, dass die absolute Gerechtigkeit auf ihrer Seite gelegen ist;
 wenn der Vorbereitungskrieg in der rechten Absicht, das Gute zu fördern und das Böse zu ver- bzw. zu
behindern unter Beachtung der sittlichen und rechtlichen Regeln geführt wird;
 wenn er als ultima ratio, also als letztes Mittel nach Versagen aller milderen Mittel, ins Auge gefasst wird;
 wenn Aussicht auf Erfolg besteht;
 wenn das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, nach dem der Schaden, der durch die Verteidigung geschaffen
wird, in einem angemessenen Verhältnis zu dem, was man zu erreichen hofft, steht, beachtet wird.
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3.2 Abbau friedensgefährdender und Aufbau friedensrelevanter Haltungen auf den verschiedenen Ebenen
menschlicher Existenz
Die Aufgaben auf 4 Existenzebenen:
1. Auf der Ebene einzelmenschlicher Existenz geht es vor allem um die Lenkung der dem Menschen
angeborenen Aggression in positive Bahnen.
2. Auf der Ebene gesellschaftlicher Gruppen spielt vor allem die Ausgestaltung der Familie, einer "Art Schule
reich entfalteter Humanität, eine wichtige Rolle. Auf der Ebene gesellschaftlicher Gruppen allgemein geht es
um den richtigen Umgang mit Ideologien, die im Darbieten emotionalisierter Feindbilder sehr oft jene Haltung
entstehen lassen, die die eigene Gruppe gegen andere zusammenschmiedet, und so die Voraussetzung für
die geistige Mobilmachung als einer Grundlage für Krieg bietet.
3. Auf der Ebene der Einzelstaaten bedeutet Abbau von Kriegsursachen unter anderem die Zurückdrängung des
Nationalismus mit dem damit verbundenen Macht- und Gruppenegoismus. Großer Wert ist auf den Auf- und
Ausbau der Demokratie zu legen.
4. Auf der internationalen Ebene geht es etwa um den Aufbau einer internationalen Solidarität, die die
Grundlagen für das Überleben aller ausbauen hilft, und um den Aufbau einer internationalen, akzeptierten
Autorität, die wirksam eine Weltfriedensordnung aufbauen und durchsetzen hilft.
3.3 Die Frage des Wehrdienstes und der Rüstung
Rüstungsgleichgewicht: Rüstung und Wehrdienst können ihre Berechtigung nur aus einem etwaigen
Dienst am Frieden beziehen. In einer unvollkommenen Welt wie der unsrigen muss, der Wirklichkeit ins Auge
schauend, davon ausgegangen werden, dass im Streben nach Macht Gefährdungen des Friedens durch
Machtungleichgewichte entstehen. Eine Machtballung auf einer Seite kann leicht zu Angriffen auf andere führen.
So kann unter bestimmten Umständen die Aufrechterhaltung eines Rüstungsgleichgewichtes zur Verminderung der
Kriegsgefahr führen.
Abrüstung: Allerdings ist es notwendig, damit nicht die Kriegsgefahr durch ein Wettrüsten gesteigert wird,
dass ein Rüstungsgleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau angestrebt wird. Dazu bedarf es etwa der
Ergänzung der Rüstung durch Verhandlungen oder des Setzens von auch einseitigen Schritten der Abrüstung, die
den anderen ebenfalls zur Abrüstung ermutigen können.
Zivildienst: In der Debatte über Wehrdienst und Wehrersatz- bzw. Zivildienst ist zu bedenken, dass beide
Dienste ihre Berechtigung nur als Dienste am Frieden beziehen können. Diesem Ziel entsprechend müssen die
Dienste auch ausgestaltet werden. Dazu ist es notwendig, dass sowohl Wehr- wie auch Wehrersatzdienst auf einer
Gewissensentscheidung basieren. Um einer Polarisierung zwischen Wehr- und Zivildienern zu wehren, ist es
wichtig, die Gewissenhaftigkeit, die man für sich selbst in Anspruch nimmt, auch dem anderen zuzugestehen.
4. Jesu Impulse
Christlicher Glaube kann einen wichtigen Beitrag zur Friedensförderung leisten, wenn sie die in der Bibel
aufgezeigten Impulse, die durch Jesus Christus, den "Friedensfürsten", dem Menschen gegeben sind, ernst nimmt.
Diese religiösen Impulse realitätsgemäß in einer Welt des Unfriedens als Schritte zum Frieden auszugestalten, dies
ist eine wesentliche Aufgabe des Christen heute.
16.2 Gewaltlosigkeit, Gewaltfreiheit und gewaltfreie Aktion
Lebensprinzip: Unter Gewaltfreiheit versteht man ein Lebensprinzip, das in allen Lebensbereichen (also
der Gesellschaft, der Natur, im zwischenmenschlichen Zusammenleben und der eigenen Person) Gewalt als
Lösungsmöglichkeit von Konflikten ablehnt. Gewaltfreiheit ist aber nicht nur die Ablehnung von Gewalt, sondern
gleichzeitig das Vorhandensein einer positiven Kraft, die neue Lebensmöglichkeiten für Menschen schafft oder
bereits bestehende erhält.
Aktivität und Wahrheit: Gewaltfreiheit hat nichts mit Passivität zu tun, im Gegenteil: Gewaltfreiheit ist ein
bedingungsloses Einsetzen für und Suchen nach der ,,Wahrheit". Ein wesentlicher Grundgedanke ist, dass
,,Wahrheit" in einem Konflikt nicht einzig bei einer Konfliktseite liegt, sondern, dass (in unterschiedlicher
Ausprägung) beide Seiten Anteil an der Wahrheit haben können. Ziel ist es, die Wahrheit im Gegner zu
entdecken und somit eine gemeinsame Basis zur Konfliktlösung zu schaffen.
In der Literatur wird oftmals unterschieden zwischen der ,,GEWALTLOSIGKEIT", die ein rein pragmatisch taktisches Verzichten auf verletzende oder tötende Gewalt ist und der ,,GEWALTFREIHEIT", die prinzipiell
Gewalt als Mittel der Konfliktlösung ablehnt.
Mit der GEWALTFREIEN AKTION wird der Haltung Gewaltfreiheit eine Methode zugeordnet. Es wird
davon ausgegangen, dass Gewalt oder die Androhung von Gewalt keine Probleme lösen, keine
Unmenschlichkeiten beseitigen und keine Unterdrückung aufheben kann.
Weg und Ziel, Zweck und Mittel: Die Zielvorstellung einer gerechten, sozialen, sich frei entfaltenden und
herrschaftsfreien Gesellschaft kann nur mit gewaltfreien Mitteln erreicht werden. Das heißt, der Weg zum Ziel
muss mit dem Ziel selbst übereinstimmen. Durch die gewaltfreie Aktion werden schon letzt Elemente dieser
zukünftigen Gesellschaft vorweggenommen. Gewaltfreie Aktion baut auf eine aktive und gleichberechtigte
Mitarbeit und Mitentscheidungsmöglichkeit aller an ihr beteiligten Menschen.
Sie erfordert ein großes Maß an Kreativität und Phantasie, da in unserer Gesellschaft gewaltsame
Konfliktlösungsmöglichkeiten so normal sind, dass meist gar keine gewaltfreien Möglichkeiten sichtbar werden. Zu
gewaltsamen Konfliktlösungen gibt es aber gleichwertige gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten, gerade in modernen
Gesellschaften.
57
Die Gewaltfreie Aktion hat zwei Seiten: den defensiven, reagierenden Widerstand gegen herrschendes
Unrecht und das offensive, konstruktive Programm, mit dem neue gewaltfreie Lebensmöglichkeiten erprobt und
eingeführt werden. Die Methoden der Gewaltfreien Aktion lassen sich in drei Eskalationsstufen beschreiben:
1.
den gewaltfreien Protest und die Überzeugungsarbeit;
2.
die Nichtzusammenarbeit und
3.
den zivilen Ungehorsam, eine bewusste Übertretung von als ungerecht empfundenen Gesetzen.
Gewaltfreie Aktion schließt prinzipiell und absolut körperverletzende Gewalt gegen Menschen aus.
Beispiele von Gewaltfreiheit: Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Cesar Chavez (organisierte die
Plantagenarbeiter, USA) Lanza del Vasto (die Arche, Italien), Hildegard Goss - Mayr (Brasilien), Adolfo Pérez
Esquivel (Argentinien), Norweger 1942, Philippinos 1986, Sanctuary - Bewegung in den USA
17 Gentechnik, Leihmütter, Klone, Patentierung
17.1 Gentechnik
Die Menschen sind daran, den "Code" des Lebens zu entziffern. Der Zugriff zu den Genen, den
Erbmalsträgern von lebendigen Strukturen, ist möglich. In der Analyse der in der DNA gespeicherten genetischen
Information und in der Erforschung der Weitergabe der Informationen aufgrund der Vererbung kamen auch
Möglichkeiten einer Übertragung der Information in andere Zellen in den Bereich der Möglichkeit.
Damit ergeben sich Möglichkeiten der Heilung kranker Gene, die Möglichkeit, Substanzen, die der
menschliche Körper herstellt und die zur Heilung von Krankheiten gebraucht werden wie etwa Insulin, herzustellen
oder auch neue Arten zu züchten. Was früher durch gezielte Züchtung lange Zeit in Anspruch nahm, kann durch
gentechnische Eingriffe in kurzer Zeit erfolgen.
Was aber vor allem immer wieder für Schlagzeilen und damit verbunden für Versprechungen
paradiesischer Zustände auf der einen Seite oder Unheilsszenarien auf der anderen Seite sorgt, ist die Anwendung
der Gentechnologie auf den Menschen. Vom endgültigen Sieg über Krankheiten bis hin zur Herstellung identer
Lebewesen und zur Züchtung von Mensch - Tier Kreuzungen, von Chimären, reicht das Angebot an Zukunfts Bildern. Wiewohl das meist noch Vorstellungen von in der Zukunft liegender oder hoffentlich nie eintretender
Ereignisse sind, so bedarf es gerade deswegen der Besinnung auf ethische Zusammenhänge, um aus dieser
Entwicklung das Beste für den Menschen und zwar für allen Menschen zu erreichen. Diesem Ziel gelten die
folgenden Überlegungen.
1. Der Mensch greift in die Natur ein. Grundsätzlich ist zu sagen, dass uns mit der Gentechnologie
Möglichkeiten der Ausgestaltung des Lebens gegeben sind. Das Argument, man dürfe nicht in natürliche
Zusammenhänge eingreifen, greift nicht. Der Mensch hat immer in die Natur eingegriffen, sie in ihren schädlichen
Auswirkungen zu mildern, in ihren Möglichkeiten zu erweitern und in ihren Defekten zu heilen versucht. In des
Menschen Hand wird Natur immer Kultur.
Die schnellen Veränderungen sind in den Auswirkungen nicht vorhersehbar. Der Mensch darf nicht
alles in Bezug auf die Natur und die natürlichen Grundlagen. Dies gilt besonders auf dem Hintergrund der
Möglichkeiten des Eindringens in die subtilsten Zusammenhänge des Lebens mit technischen Mitteln, die die
Veränderungen sehr schnell hervorbringen. Die Auswirkungen solcher schnellen Eingriffe sind oft nicht
vorhersehbar und auch nicht kontrollierbar. Zudem stehen nicht mehr die langen Zeiträume der Erprobung zur
Verfügung, die in früheren Zeiten noch eher vorhanden waren.
Erprobungszeit wird verkürzt. Mit einem Beispiel gezeigt: Was durch Züchtung - etwa das Züchten einer
neuen dem Standort angepassten Maissorte - Jahrzehnte und Jahrhunderte dauerte, kann heute in kurzen
Zeiträumen erreicht werden. Die Zeiten für die Erprobung und Kontrolle in Bezug auf die Wirkungen sind so nicht
mehr in dem Maße gegeben, wie es für die Abschätzung der Folgen notwendig wäre. So wird oft nicht mehr das
an der Natur absehbare Maß genommen, was dazu führt, dass in der Folge natürliche Grundlagen gesprengt
werden.
Vorsicht: Ein Vorgehen, das in den Code des Lebens eingreift und diesen verändert, ist also an besondere
Vorsicht gebunden. Dies bedeutet, dass Ethik und Moral besonders wichtig werden.
Fehlbarkeit der Wissenschaft: Es kommt zu Fehlern der Wissenschaft wegen der Nebenfolgen
wissenschaftlichen Arbeitens und wegen der Modernisierungsschübe der heutigen Zeit.
Ziel. Das Bemühen um das Absehen des Zieles, auf das hin die technische und wissenschaftliche
Entwicklung genutzt werden soll, und die Frage, ob das Ziel mit den zur Verfügung stehenden Mitteln natur- und
menschengerecht erreicht werden kann, werden gerade angesichts der Möglichkeiten der Gentechnik sehr wichtig.
Folgen. Dazu kommt die Notwendigkeit, die voraussichtlichen Folgen für die Gegenwart und Zukunft
abzuschätzen. Diese Abschätzung darf nicht beengt werden durch die Konzentration auf den unmittelbaren
Nutzen, den man durch sie erzielen will.
Es geht in der Folge ganz konkret auch um die Erhaltung des Entscheidungsraumes für die Zukunft. Das
"Zauberlehrling - Syndrom", nach dem die Folgen der Taten dem Auslöser über den Kopf wachsen, kann nur zu
leicht auch bei der Gentechnologie eintreten.
58
17.2 Landwirtschaft ohne Landwirte:
Möglichkeiten: Mit den Möglichkeiten der Gentechnologie im pflanzlichen und tierischen Bereich sind viele
Möglichkeiten vorhanden, das Problem des Hungers in der Welt von heute zu bekämpfen. Wenn etwa der Ertrag
von Getreidesorten gesteigert werden kann, wenn etwa gegen gewisse Schädlinge resistente Pflanzen gezüchtet
werden können, so sind das wesentliche Schritte in der Bekämpfung des Hungers. Dasselbe gilt für
gentechnologische Eingriffe in die Tierwelt. So können Kühe, die mehr Milch geben, gezüchtet werden.
Gefahren: Mit den Möglichkeiten sind aber auch große Gefahren verbunden.
Sortenvielfalt: Einmal ist die Gefahr gegeben, dass mit der Züchtung günstiger oder vermeintlich
günstigerer Sorten es dazu kommt, dass die Sortenvielfalt eingeschränkt und damit auch die Möglichkeiten für
notwendige Korrekturen in der Zukunft beschränkt werden.
Multis kontrollieren. Gentechnik gekoppelt mit Macht kann zur Abhängigkeit gerade der Schwächeren
führen. Entwicklungsländer etwa können sich den Aufbau einer eigenen Gentechnik nicht leisten, sie können
dadurch in weitergehendere Abhängigkeit vom Norden, von Gentechnik – multinationalen Konzernen etwa,
kommen, die mit ihren Möglichkeiten dann die Entwicklungsländer gängeln.
Politische Rahmenordnung: Letzteres zeigt, dass Gentechnologie und Gentechnik nicht schon von sich
aus zur Verringerung des Hungers führen müssen, sondern dass es dazu einer politischen Rahmenordnung
bedarf.
Lebewesen (Menschen) werden zu Objekten. Bei gentechnischen Maßnahmen ist immer die Kontrollfrage zu
stellen, ob die Natur, ob die Tiere auch in ihrem Eigenwert geachtet oder ob sie nur als Mittel verwendet werden.
Patente auf gentechnisch gezüchtete Pflanzen oder Tiere, wie sie gefordert werden, weisen in die Richtung der
Herabwürdigung der Natur zu einem bloßen Mittel. Im brasilianischen Regenwald sind Genhunter unterwegs, die
Pflanzen und Tiere suchen, deren Gene sie patentieren. Darunter sind auch Pflanzen, die von den Indios gezüchtet
wurden. Patente der landwirtschaftlichen Großkonzerne machen die Bauern abhängig.
Patente auf menschliches Erbgut machen auch Menschen zum Objekt und Mittel der Wirtschaft. Z.B.: Ein
Indianerstamm hat ein spezielles Gen gegen eine Krankheit. Ihr genetischer Code wird ohne ihr Wissen patentiert.
17.3 Menschen im Gentest
Chancen gegen Erbkrankheiten. Die Gefahren der Missachtung der Menschenwürde in der Menschenzüchtung
mit vielfältigen Manipulationen fordern besondere Vorsicht. Stellt sich auf der einen Seite die Genmanipulation als
ein wichtiger Faktor in der Bekämpfung besonders von Erbkrankheiten dar, so sind auf der anderen Seite die
Gefahren der Herabwürdigung des Menschen zu einem Mittel sehr groß. Das Problem besteht nun darin, dass die
Gefahren nicht säuberlich von den Chancen zu trennen sind, sondern dass die Mittel ambivalent eingesetzt werden
können. Deshalb kann es mitunter angebracht sein, auf eine an und für sich gute Anwendung zu verzichten, weil
die Gefahren einfach zu groß sind.
Vier Möglichkeiten: Bei der Anwendung auf den Menschen sollen vier Möglichkeiten in ihrer ethischen Bewertung
kurz angesprochen werden: die Gendiagnose, der Gentransfer in somatische Zellen, der Gentransfer in
Keimbahnzellen und die Organtransplantation von genetisch herangezüchteten Organen.
5.1 Gendiagnose
Die Genomanalyse (Genom = Gesamtheit der Gene eines Organismus oder einer Zelle) oder das
Genscreening ermöglichen Diagnosen über etwaige Krankheiten, könnten in Zukunft aber auch dazu verwendet
werden, eine "Gencard" von Menschen, die Auskunft über Schwächen, Anfälligkeiten, besondere Stärken des
Menschen usw. gibt, zu erstellen. Bei diesen Diagnoseformen ist also die Frage zu stellen, zu welchem Zwecke sie
verwendet werden sollen.
Therapie oder Selektion: Wird die pränatale Genomanalyse dazu verwendet, um Krankheiten zu
erkennen, damit rechtzeitig eine Therapie begonnen werden kann, so ist sie ethisch gerechtfertigt. Wird sie aber
zur Selektion von so genanntem "lebenswerten" und "lebensunwerten" Leben und als Festlegung hinsichtlich einer
Abtreibung bei möglichen Behinderungen verwendet, so ist sie scharf abzulehnen. Das Problem besteht nun darin,
dass auch bei entsprechend guter Absicht sich aufgrund eines gesellschaftlichen Drucks etwa eine Tendenz zur
selektiven Tötung entwickeln könnte.
Missbrauch: Die Genomanalyse darf nur freiwillig erfolgen. Man kann niemanden zu einem solchen, die
Identität zu einem bestimmten Grad aufdeckenden Schritt zwingen, auch weil die Missbrauchsmöglichkeiten in
Bezug auf die so gewonnenen Daten zu groß sind. So könnten Diktatoren ein Interesse daran entwickeln, die
Untergebenen genau zu durchleuchten, aber auch für Arbeitgeber etwa könnte die Kenntnis der genetischen
Ausstattung ihrer potentiellen und aktuellen Angestellten interessant sein. Gewisse würden dann keine Anstellung
bekommen. Ebenso wären die sozialen Folgen etwa im Versicherungswesen gravierend.
Die möglichen Benachteiligungen von Personen müssen vor solchen Maßnahmen vorsichtig machen. In
weiterer Folge könnte auch der Fall eintreten, dass etwa in einem Betrieb mit großen Umweltbelastungen nur
solche Arbeiter aufgenommen werden, die mit den Verhältnissen gesundheitlich am besten zurande kommen. Dies
könnte dann ein Hindernis dahingehend sein, dass menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse behoben werden.
5.2 Gentherapie in Körperzellen
Erbleiden könnten in Zukunft vielleicht dadurch behandelt werden, dass defekte Gene in Körperzellen
durch gesunde ersetzt werden. Solche Maßnahmen sind gerechtfertigt, wenn sie die bestmögliche Therapieform
sind, wenn sie zur Heilung eines konkreten Individuums eingesetzt werden, wenn die Zustimmung des Kranken
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vorliegt, wenn es sich wirklich um eine durch ein Erbleiden gravierende Abweichung von der normalen
Genausstattung handelt.
5.3 Gentherapie in Keimbahnzellen
Im Unterschied zur Gentherapie in somatischen Zellen, bei der das neue Gen auf einige Körperzellen
beschränkt bleibt, werden bei dieser Form des Gentransfers in eine noch totipotente (undifferenzierte) befruchtete
Zelle (Stammzelle) alle Zellen des entstehenden Organismus mit diesem neuen Gen ausgestattet. Dadurch würden
auch alle Nachkommen die neue Erbinformation tragen.
Diese Form der Gentherapie verändert die menschliche Identität in einem einschneidenden Ausmaß. Sie
stellt eine gewichtige Manipulation einer menschlichen Person durch eine andere dar, ohne dass jene ihr
Einverständnis erklären könnte. In der Konsequenz könnte ein Mensch nach dem Bild eines anderen geschaffen
werden (geklont).
Ein Mensch würde als Mittel für einen anderen gebraucht werden und so seiner Eigenzweckigkeit
(eigenes Ziel) beraubt. Die Folgen wären nicht nur in Bezug auf die eine Person fatal, sondern auch in den sozialen
Auswirkungen. Ein Diktator könnte sich etwa die gewünschten Untertanen schaffen. Der besonders durch die
Machtfülle gefährlichen Manipulation wären Tür und Tor geöffnet. Es würde dazu noch zu einer "Herrschaft der
Toten über die Lebenden" kommen. Zudem sind die mit dieser grundlegenden Manipulation verbundenen Folgen
nicht abschätzbar, was einen solchen Eingriff unverantwortlich macht.
5.4 Organtransplantation von genetisch herangezüchteten Organen
Versuche mit Knochenmark vom Pavian, das, auf Aids-Kranke übertragen, diesen in der Bekämpfung ihrer
Krankheit helfen soll, zeigen, dass hier ein weites Feld für die medizinische Forschung offen liegt. Durch
Übertragung von unreifen Knochenmarkszellen, so genannten Stammzellen, in das Rückenmark eines Pavians
wird dieses teilweise "humanisiert", also dem Menschen angepasst. Dadurch können, wie Versuche zeigen,
Abstoßreaktionen wenigstens zum Teil ausgeschaltet werden.
Humanisierte Tierorgane. Dabei ist es interessant, dass bei Xenotransplantationen, also bei
Übertragungen von Organen von Nicht-Menschen auf Menschen, die Spender in Zukunft höchstwahrscheinlich
nicht so sehr Affen als vielmehr Schweine sein dürften.
Angesichts solcher zum Teil schon erfolgreicher Versuche stellt sich die Frage, ob Tiere auch durch
Gentransfers zu Ersatzteillagern für Menschen herangezüchtet werden dürfen, wobei es sich bei diesen Tieren im
letzten um Chimären, also Tier - Menschen Züchtungen handelt.
Weitere Fragen: Die Frage, ob Tiere nur als Mittel für den Menschen gezüchtet werden dürfen, vor allem
aber die Frage, wie weit die Angleichung des Tieres an den Menschen mittels Transfers von Teilen von Genen
gehen darf, und die Tatsache, dass die Folgen unabschätzbar sind, müssen angesichts dieser Experimente - trotz
aller Vorteile, die sie für den Menschen bringen - zur Vorsicht mahnen.
17.4 Extrakorporale Befruchtung
1. Kinderwunsch: Dass der Kinderwunsch einem tiefen Bedürfnis der menschlichen Natur entspricht, zeigt
u.a. die Tatsache, dass viele Menschen bereit sind, auch große Schwierigkeiten, langjährige Strapazen und
große finanzielle Lasten auf sich zu nehmen, damit ihr Kinderwunsch in Erfüllung gehen kann.
So sind für viele Menschen die künstliche Besamung, die Übertragung eines vorher gewonnenen
Samens in die Geschlechtsorgane der Frau, und vor allem die In-vitro-Fertilisation, die Befruchtung einer Eizelle
im Reagenzglas, und die darauf folgende Einpflanzung des Embryos in die Frau letzte Hoffnungsanker in ihrem
Kinderwunsch.
Anregungen bietet die Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre "Donum Vitae" aus dem Jahre
1987, die Fragen angesichts der neuen Möglichkeiten stellt und Orientierungen in diesem komplexen Feld zu
bieten versucht.
2. Die heterologe extrakorporale Befruchtung
Wofür? Um Mittel bewerten zu können, ist zunächst einmal zu fragen, wofür die Mittel verwendet werden
sollen, um dann die Mittel selbst in ihrer sittlichen Qualität zu bewerten:
1. Die IVF (In Vitro Fertilisation) und auch die künstliche Besamung könnten verwendet werden, um einer
unverheirateten Frau, die mit keinem Mann etwas zu tun haben will, zu einem Kind zu verhelfen.
2. Dieser Fall ist anders zu bewerten, als wenn ein Ehepaar, das auf natürlichem Weg keinem Kind das
Leben schenken kann, eine IVF als letztes Mittel vornehmen lassen will.
3. Wieder ein anderer Fall besteht darin, wenn z.B. die IVF oder die künstliche Besamung zur "Zuchtwahl"
eingesetzt werden, so dass gezielt Samen- und/oder Eizellen ausgewählt werden, um ein den jeweiligen
Anschauungen gemäß "optimales Produkt" erreichen zu können, oder wenn in einem anderen Fall Ei- und
Samenzelle von einem Ehepaar stammen.
Kinderrechte: Für die so genannte heterologe extrakorporale Befruchtung, also die Befruchtung
außerhalb der Ehe, sei es, dass die Partner nicht verheiratet sind, sei es, dass die Ei- und/oder die Samenzellen
von den Ehepartnern verschiedenen Personen gewonnen werden, ist die Entscheidung der kirchlichen Lehre
eindeutig, dass solches abzulehnen ist. "Das Kind hat ein Recht darauf, innerhalb der Ehe empfangen,
ausgetragen, auf die Welt gebracht und erzogen zu werden."(37), heißt es in der angeführten Instruktion.
Recht auf Mutterschaft und Vaterschaft. Aber auch dann, wenn innerhalb einer Ehe Ei- oder
Samenzellen von einem Menschen außerhalb der Ehe verwendet werden, dass man sich im Rahmen einer Ehe
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eines Samen- oder Eispenders bedient, ist der Fall für die Kirche klar: "Die Treue der Eheleute in der Einheit der
Ehe umfasst die gegenseitige Achtung des Rechtes, dass der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter
wird."(37)
Leihmutterschaft. Die daraus entstehenden Brüche zwischen genetischer Elternschaft,
Austragungselternschaft und Erziehungsverantwortung könnten gerade auch für die Ehe zu Zerreißproben
führen, eine "Quelle von Streit, Unordnung und Ungerechtigkeiten im gesamten sozialen Leben"(39) werden, auch
was z.B. mögliche juristische Streitigkeiten im Fall einer Leihmutterschaft betrifft.
Kind wird verzweckt. Zudem ist die Gefahr sehr groß, dass bei solchen Anwendungen besonders auch
außerhalb einer Ehe das Kind zum Objekt von Selbstverwirklichungswünschen von Männern oder Frauen entartet,
etwa in dem Fall, dass eine Frau zwar ein Kind, aber nicht auch einen identifizierbaren Vater für ihr Kind will, weil
sie etwa mit Männern nichts zu tun haben möchte. Die Folgen einer solchen Degradierung zum Objekt können
besonders dann fatal werden, wenn das Kind dann die Erwartungen nicht erfüllt und - im Gegensatz zu dem, was
erstrebt wurde - etwa zu einem Hemmschuh für die Selbstverwirklichung wird.
Die Integrität der Ehe ist also für die katholische Lehre unantastbar, und so sind Befruchtungstechniken,
die den Rahmen der Ehe sprengen, nicht zuletzt um des Wohles des Kindes willen, abzulehnen.
3. Die homologe extrakorporale Befruchtung
Wie steht es aber um die Bewertung der IVF im Fall der Vereinigung von Samen- und Eizelle von
Ehepartnern? Der Weltkatechismus urteilt folgendermaßen: "Werden diese Techniken innerhalb des Ehepaares
angewendet (homologe künstliche Insemination und Befruchtung), sind sie vielleicht weniger verwerflich,
bleiben aber dennoch moralisch unannehmbar." (Nr. 2377)
Verboten. Dass trotz der milderen Bewertung die homologe extrakorporale Befruchtung moralisch
verwerflich sein soll, ist für viele nicht einsichtig. Dabei wird dieses Unverständnis vielleicht auch durch einen
anderen Punkt der katholischen Lehre gefördert: Die Kirche legt in ihrem Verbot der künstlichen
Empfängnisverhütung dar, dass die Fruchtbarkeit der Ehe für sie ein so wichtiges Moment ist. Warum stimmt sie
dann nicht den Möglichkeiten zu, die es erlauben, diese Fruchtbarkeit der Ehe, wenn sie durch gewisse
Krankheitsmomente verhindert ist, zu erreichen? Liegt hier nicht ein Messen mit zweierlei Maß vor? Oder sind es
nicht die zwei Seiten ein und derselben Bewertung?
Einheit von Liebe und Zeugung. Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, die von der Kirche
verkündete Einheit von liebender Vereinigung und Fortpflanzung näher zu betrachten. Die Instruktion der
Glaubenskongregation geht von der Einheit von liebender Vereinigung und Fortpflanzung aus. "Diese Verknüpfung
darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen."(41) Wie im Verbot der künstliche Empfängnisverhütungsmittel die
Abtrennung der Fortpflanzung von der ehelichen Vereinigung als moralisches Problem gesehen wird, so ist es in
unserem Fall die umgekehrte Abtrennung der liebenden Vereinigung der Eheleute von der Fortpflanzung. Eine
Befruchtung kann nur das Ergebnis eines ehelichen Aktes sein. "Aber die Fortpflanzung ist aus moralischer
Sicht ihrer eigenen Vollkommenheit beraubt, wenn sie nicht als Frucht des ehelichen Aktes, also des spezifischen
Geschehens der Vereinigung der Eheleute, angestrebt wird."
Gegen diese Argumentation könnte man einwenden, dass gerade die Liebe die sonst kinderlosen
Ehepartner dazu drängt, einem Kind auch unter erschwerten Umständen das Leben zu schenken.
Geschenk. Ein Argument der Glaubenskongregation ist noch anzuführen, dass nämlich das Kind das
Ergebnis gegenseitiger Schenkung sein müsste. Hier ist die Erweiterung dieses Argumentes in die Richtung,
dass die Eheleute als Diener, nicht als Herren, am Werk der Schöpferliebe teilnehmen, sie also nicht Herrn der
Schöpfung sind, zu bedenken. Dies scheint ein gewichtiges Argument angesichts eines Machbarkeitswahnes zu
sein.
Kinder machen. Der Anspruch, das Leben selbst schaffen zu können, könnte in ein Herrschaftsdenken
über das Geschöpf, das von eigener Hand geschaffen betrachtet wird, einmünden. Das Geschenkhafte
menschlichen Lebens könnte dadurch in den Hintergrund geraten.
Manipulation. Dies könnte auch dahingehend verführend wirken, dass der Zeitraum zwischen Entnahme
des Eies bzw. der Befruchtung und der Einpflanzung des Embryos für Manipulationen am Keim benutzt wird.
Zudem sind noch die Folgen einer solchen Haltung für das Kind zu bedenken.
Mein Kind. Der Anspruch der Eltern, das Kind "geschaffen" zu haben, könnte zu leicht in Abhängigkeit und
Objektstellung des Kindes seinen Ausdruck finden. Dies könnte besonders dann zum Tragen kommen, wenn das
Kind nicht so wird, wie man es sich erwartet hat. Der Vorwurf: "Was haben wir nicht alles auf uns genommen, dass
du auf die Welt kommen konntest, und nun benimmst du dich so!" kann nur zu leicht beengend auf die Entwicklung
des Kindes und die Ausbildung seiner eigenen Persönlichkeit wirken. Die Tatsache, dass der "Ursprung einer
menschlichen Person ... in Wirklichkeit Ergebnis einer Schenkung" ist, könnte zu leicht übersehen werden, wenn
das Kind einer Technik "verdankt" wird. So heißt es im Weltkatechismus: "Das Kind ist nicht etwas Geschuldetes,
sondern ein Geschenk."
Ganzheit. Für die Glaubenskongregation ist die extrakorporale Befruchtung nicht erlaubt, auch nicht die
künstliche Besamung, auch nicht als letztes Mittel nach Versagen aller anderen Mittel, weil das Verfahren nach
dem Urteil der Glaubenskongregation in sich schlecht ist. Im ehelichen Akt offenbart sich Gottes Schöpferkraft.
Die Bewertung der Ganzheit des ehelichen Aktes und die Bindung der Zeugung von Nachkommenschaft an
naturgegebene Vorgaben (eheliche Akte) stehen einer Zulassung entgegen.
61
4. Weitere Probleme der IVF (In Vitro Fertilisation)
Um eine IVF rationell durchführen zu können und um bei der doch relativ hohen Versagerquote nicht jedes
Mal ein neues Ei der Frau entnehmen zu müssen, werden in der Praxis meist mehrere Eizellen befruchtet. Nun
stellt sich die Frage, was mit den "überflüssigen" Embryonen geschehen soll.
Viele menschliche Wesen. Die Tatsache, dass es sich bei den Embryonen um menschliche Wesen
handelt, verbietet es, sie zu töten oder einer verbrauchenden Forschung zuzuführen.
Organdepot. Ebenso unstatthaft ist es, den Embryo als Mittel zur Behandlung etwaiger genetischer
Krankheiten anderer oder als potentielles Organdepot zu verwenden. Dadurch wird der Selbstzweckigkeit
menschlichen Lebens zuwider gehandelt. Ein Kriterium für eine IVF müsste es also sein, dass entweder keine
überzähligen Embryonen anfallen oder dass alle implantiert werden. Außerdem ist es verboten, den Zeitraum
zwischen Entnahme des Eies und Implantation zu Manipulationszwecken zu nutzen, außer zu Therapien am
Embryo. Zudem erfordert die Tatsache, dass es sich bei der befruchteten Eizelle um menschliches Leben handelt,
und die Unsicherheit dahingehend, wie sich die Tatsache, dass der Keim sich im Zugriff des Menschen befindet,
auf den sich entwickelnden Menschen auswirkt, einen sehr sorgsamen Umgang mit dem Embryo.
5. IVF ist oft sittlich vertretbar: Für Nicht - Betroffene ist es nur schwer nachvollziehbar, was es bedeutet,
wenn der Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht. Dies ist besonders bei der Beurteilung einer etwaigen Schuld der
Menschen, die eine Maßnahme wie die IVF wählen, um zu einem Kind zu kommen, zu bedenken. Im Fall der
homologen extrakorporalen Befruchtung schwächt ja auch der Weltkatechismus ab, indem er diese als nicht so
verwerflich bezeichnet wie die heterologe. So halten viele Moraltheologen die homologe IVF für sittlich vertretbar.
Diese Erlaubtheit ist aber an Kriterien geknüpft:
 Alle Möglichkeiten versuchen. Vorher müssen alle weniger einschneidenden und der Natur des Menschen
nahestehenderen Möglichkeiten der Behebung der Unfruchtbarkeit versucht worden sein. Bei einer Bewertung,
dass die IVF generell erlaubt ist, könnte etwa die Behandlung der Sterilität mit medizinischen und
psychologischen Mitteln, besonders dann, wenn sie zeitaufwendig und für den einzelnen fordernd ist, verabsäumt
werden.
 Kein Schaden des Kindes. Es darf nicht die Gefahr bestehen, dass das durch IVF gezeugte Kind durch
etwaige psychische oder psychosomatische Entwicklungen der zukünftigen Eltern zu Schaden kommt.
 Alle Embryonen müssen der Frau unverzüglich eingepflanzt werden.
 Mit dem menschlichen Keim, der für eine bestimmte Zeit dem Zugriff des Menschen ausgesetzt ist, muss
sehr sorgsam umgegangen werden.
18 Euthanasie, Selbstmord, Werte
18.1 Was heißt Sterbebeistand, was Euthanasie?
Euthanasie kommt aus dem Griechischen: eu = gut, sanft; thanatos = Sterben, Tod. Euthanasie bedeutet wörtlich:
sanfter Tod.
Heute versteht man darunter verschiedene Dinge:
1.
Die absichtliche und bewusste Herbeiführung des Todes bei unheilbar Kranken. Dies wäre der Fall,
wenn ein schwer krebskranker Mensch durch eine Injektion oder durch Medikamente absichtlich getötet würde,
damit er nicht länger leiden muss. Eine solche Tötung wäre eine schwere Verletzung des 5. Gebotes, auch dann,
wenn ein Kranker sie selbst will. Sie ist auch durch die österreichischen Gesetze streng untersagt.
2.
Ruhig sterben lassen: Dies wäre etwa der Fall, wenn der Arzt einem unheilbar kranken Menschen, von
dem man mit Gewissheit annehmen kann, dass er weder gesund werden noch jemals das Bewusstsein
wiedererlangen kann, nicht durch mögliche ärztliche Maßnahmen das Sterben verlängert.
3.
Im christlichen Sinn ist aber Sterbehilfe alles, was Ärzte, Krankenpfleger, Seelsorger und Angehörige tun
können, um einem Sterbenden in seinem Todeskampf beizustehen und ihm einen menschenwürdigen Tod zu
ermöglichen. Dazu zählt auch, dass man Sterbende nicht allein lässt, sie bei der Hand hält, ihre Schmerzen lindert,
mit ihnen oder vor ihnen betet usw. Pflege wird in der Palliativmedizin (Pflegemedizin) fachgerecht untersucht und
bewertet.
18.2 Sterbehilfe
Früher wurde der Tod in den meisten Kulturen leichter akzeptiert als heute. Die Medizin hatte die Aufgabe,
Pflege, Trost und Linderung angesichts des Todes bereitzustellen. Der Tod war gefürchtet, aber er wurde unter
mehr oder weniger Aufbegehren akzeptiert.
Heute dagegen ist das Sterben privatisiert. Unsere zunehmend säkularisierte Gesellschaft kennt kaum
noch Möglichkeiten der gemeinsamen Bewältigung des Todes. Der Tod wird versteckt. Vor allem die jungen
Menschen sollen damit nicht konfrontiert werden, sie, die das Leben noch vor sich haben, könnte der Tod nur
stören.
1. Medizin
In dieses Verständnis des Todes wurde der Tod zunehmend als Feind betrachtet. Das Problem ist nicht,
den Tod zu verstehen, sondern den Sterbenden loszuwerden. Die moderne Medizin hat dem Tod den Krieg erklärt
und verdrängt dadurch das friedliche Sterben. Drei Dimensionen sind in unserem Verhältnis zum Tod zu
überdenken:
62
a) Das Verhältnis von Tod und Ich:. Wir leben in einer Kultur der Selbstbestimmung, als wären die
größten Errungenschaften der Menschheit Autonomie und Möglichkeit der Wahl. Dies macht es äußerst schwierig,
die Unvermeidbarkeit des Todes als Teil unseres Lebens und den Tod in seiner Beziehung zum Ich zu verstehen.
Der Tod wird als etwas dem Leben Fremdes betrachtet.
b) Die Beziehung zwischen Tod und Natur: Der Tod liegt außerhalb unserer Kontrolle, er ist immer noch
ein Teil der Natur, auch wenn wir sie ein bisschen manipulieren können. Die Natur ist eine Macht und eine Gewalt,
die auch den Tod bringt.
c) Beziehung zwischen Tod und moderner Medizin: Es ist ein "Kriegszustand". Medizin und Tod
bekriegen sich, und so muss es auch sein, denn das ist ihr eigentliches Ziel, den Tod zu bekämpfen und zu
vereiteln. Die Medizin hat aber ihre Grenzen, die wir Menschen ihr setzen und die die Natur ihr setzt.
Forscher: Die forschende Medizin hat dem Tod den Krieg erklärt. Obwohl er ein Teil des Lebens ist,
erkennen die Forscher keine Todesart als akzeptabel an. Der Mitteleinsatz ist ungleich. Viele Mittel werden für die
Bekämpfung todbringender Krankheiten aufgewendet, wenige dafür, zu erforschen, wie man den Sterbenden am
besten begleiten kann (Palliativmedizin).
Begleiter: Die Hospizbewegung, die sich Sterbender annimmt, verdankt ihre Entstehung der Tatsache,
dass viele Ärzte heute noch nicht wissen, wie man mit Todkranken am besten umgeht."
Einsatz von Technik: Viele haben die Ansicht, dass dem Tod am besten mit maximalem Einsatz von
Technik begegnet werden könnte, so lange, bis sich die Anstrengungen als aussichtslos erweisen - "dann stopp
und sterben lassen". Diese Gratwanderung klappt aber in den meisten Fällen nicht, weil einmal die Technik nicht
mit der nötigen Präzision zu steuern ist und sich dann psychologische Schwierigkeiten auftun.
Folgende Alternativen sind denkbar:
a) Vor allem der frühen Tod wird bekämpft und nicht mit allen Mitteln der Tod im hohen Alter.
b) Die Mittel sollten weg von Lebensverlängerung umgeschichtet werden hin zu Krankheitsvorbeugung und
Verbesserung der Lebensqualität.
c) Alte sterben: Unausweichlich werden wir an irgendetwas sterben. Es gibt Todesarten, die wir leichter
tolerieren könnten als andere.
d) Die Kontrolle über Leben und Tod verführt zu aktiver Euthanasie und unterstütztem Suizid. Diese
erscheinen besonders in Extremsituationen als anziehend. In der Euthanasie und im ärztlich unterstützten Freitod
taucht das gleiche Virus auf, das die moderne Medizin infiziert hat. Diese meinte, ihr größter Sieg könne die
Kontrolle über Leben und Tod sein. Dahinter steckt der Glaube, unser biologisches Schicksal beherrschen zu
können. Das ist jedoch nicht möglich, so faszinierend der Gedanke auch sein mag. Wir verbessern die
Lebensbedingungen, eröffnen den Menschen mehr Optionen, doch jeder stirbt, und viele sterben schlecht. Dem
Tod muss mit Lebensqualität und Sterben in Würde begegnet werden. Auch die Ärzte müssen ein größeres
Verständnis dafür zeigen, dass sie auch für die Qualität des Sterbens ihrer Patienten verantwortlich sind.
2. Spezifisch christliche Sicht
2.1 Tod als Teil des Lebens: Es ist sicher notwendig, das Sterben zu "lernen", das heißt u.a., sich mitten
im Leben bewusst mit dem Tod und seiner Bewältigung auseinanderzusetzen.
Begleitung: Es ist auch notwendig, die Sterbebegleitung zu lernen. Im Durchschnitt können nur die
wenigsten mit Sterbenden umgehen. Viele wissen nicht, was die Bedürfnisse von Sterbenden sind, in welcher
psychischen Situation sie sich befinden und wie sie diesen Bedürfnissen gerecht werden können. Dies ist auch
wichtig auf dem Hintergrund der Tatsache, dass der Wunsch vieler Schwerkranker, sie endlich sterben zu lassen,
in den meisten der Fälle ein Wunsch nach stützender und tragender Sterbebegleitung ist.
2.2 Ehrfurcht vor dem Leben: Die Forderung, den Tod in das Leben zu integrieren, darf nicht dazu
führen, dass das Bemühen, Leben zu retten, wo immer es möglich ist, vernachlässigt wird. Die Sicht des Todes
entspringt ja nicht einer falsch verstandenen Todessehnsucht, sondern vielmehr dem Bemühen, das Leben durch
Integrieren des Todes erfüllter zu machen. Aus dieser Sicht des Todes ein Recht auf aktive oder gar eine Pflicht zu
aktiver Euthanasie ableiten zu wollen, wäre widersinnig. Weder der Arzt, die Angehörigen, die Pflegepersonen,
staatliche Stellen oder andere Personen noch der Sterbende selbst haben ein Recht, den Tod absichtlich
herbeizuführen.
Das Leben ist ein unverfügbares Gut, über das der Mensch nicht ohne fatale Folgen willkürlich
entscheiden kann. Gerade diese Ehrfurcht vor dem Leben ist ja notwendig, damit der Mensch menschlich sterben
kann. Aktive Euthanasie auf und noch mehr ohne Verlangen sind ein Verstoß gegen die Lebensordnung. Unter
aktiver Euthanasie ist die gewollte Beendigung des Lebens bei Sterbenden oder bei Kranken, Alten und
Behinderten zu verstehen.
2.3 Beschränkte Selbstbestimmung: Vermehrt wird in der letzten Zeit versucht, die aktive Euthanasie auf
Wunsch des Sterbenden auf dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechtes des Kranken zu rechtfertigen und
auch rechtlich zu ermöglichen (vgl. die rechtliche Regelung in den Niederlanden). Die Ehrfurcht vor dem Leben und
die Verantwortung vor dem Schöpfer beschränken das Recht zur Selbstbestimmung vor allem auch dann, wenn es
um die Erhaltung der Basis des Lebens, auf der Selbstbestimmung erst möglich wird, geht. Dazu kommt, dass
der Wille des Sterbenden meist nicht mit der für einen irreversiblen Eingriff in das Leben notwendigen Klarheit zu
erkennen ist. Der Wunsch nach Sterben ist in vielen Fällen, wie schon gesagt, der Wunsch nach menschlicher
Begleitung beim Sterben, eine in gesunden Tagen getroffene Verfügung kann angesichts des Ernstfall des
Sterbens, wie Callahan zeigt, anders ausfallen.
63
Druck auf Kranken: Außerdem könnte durch die Erlaubnis der aktiven Euthanasie ein Dammbrucheffekt
ausgelöst werden, der in eine Erwartungs- und Ermutigungseuthanasie mündet. Es könnte nämlich ein subtiler
Druck auf den Sterbenden - von welcher Seite auch immer - ausgeübt werden, endlich den Wunsch nach
Beendigung des Lebens zu äußern.
Alle Möglichkeiten der Schmerzlinderung: Dieses Verbot der aktiven Euthanasie auf Verlangen
könnte besonders in Situationen extremer Schmerzen oder hoffnungsloser Leiden als unmenschlich betrachtet
werden. Es ist aber ein Aufruf, den mit dem hohen Wert des Lebens mitunter zu zahlenden hohen Preis, der mit
der Achtung des Lebens verbunden ist, bestmöglich zu gestalten. Dies bedeutet einmal, dem Sterbenden
solidarisch beizustehen, dann alle Möglichkeiten der Schmerzlinderung und des Erlebens des Sterbens als
sinnvoll zu mobilisieren. Die schwere Forderung muss auch zur Folge haben, dass man bei einem Urteil über
etwaige Schuld eines Menschen, der der Forderung nicht gerecht werden konnte, diese Schwere der Forderung
berücksichtigen muss.
2.4 Passive Euthanasie: Unter passiver Euthanasie versteht man den Verzicht auf lebenserhaltende
Maßnahmen, den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen oder die Verabreichung von schmerzstillenden
Medikamenten an Sterbende, selbst wenn deren Wirkung lebensverkürzend ist. Diese passive Euthanasie ist
gerade auch auf dem Hintergrund der Ermöglichung menschenwürdigen Sterbens zu bewerten.
Zur passiven Euthanasie sind vor allem folgende Punkte zu bedenken:
Leben muss nicht um jeden Preis verlängert werden: Nicht alles, was technisch möglich ist, verpflichtet
auch zur Inanspruchnahme. Dies gilt besonders auf dem Hintergrund der Tatsache, dass technische Apparaturen
mitunter ein wahrhaft menschliches Sterben beeinträchtigen können. In einer Güterabwägung muss also mögliche
Lebensverlängerung mit Vergrößerung der Möglichkeiten menschenwürdigen Sterbens verglichen werden.
Für eine umfassende Güterabwägung ist die Einbettung des Patienten in das Team von Ärzten,
Betreuungspersonal, Seelsorgern und Angehörigen notwendig. Solches gilt auch für den Abbruch
lebensverlängernder Behandlung. Zugleich muss aber auch betont werden, dass niemand gezwungen werden
kann, auf eine lebensverlängernde Behandlung zu verzichten.
Lebensverkürzende Schmerzlinderung: Sterbehilfe unter Inkaufnahme einer möglichen
Lebensverkürzung (so genannte indirekte Sterbehilfe) wird vor allem in Fällen, wo für eine eventuelle
Schmerzlinderung eine mögliche geringfügige Lebensverkürzung in Kauf genommen werden muss, bedacht
werden. Zur Erlaubtheit dieser indirekten Sterbehilfe ist folgendes zu bedenken:
Zuerst muss versucht werden, alle die Lebensdauer nicht negativ beeinträchtigenden Möglichkeiten zur
Schmerzlinderung auszuschöpfen.
Die Lebensverkürzung darf nicht gewollt sein, sondern darf im Sinne der Lehre von Handlungen mit
doppelter Wirkung nur in Kauf genommen werden.
Schmerzlinderung, Heilung, Lebenserhaltung und Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines möglichst hohen
Maßes an Bewusstsein und Kommunikationsfähigkeit sind oft gerade im Sterbeprozess konkurrierende Ziele, die
im Sinne menschenwürdigen Sterbens aufeinander abgestimmt werden können. Hier eröffnet sich ein
Ermessensspielraum, der in Absprache aller Beteiligten auf ein Optimum menschenwürdigen Sterbens hin
geöffnet werden muss.
Behandlungsverzicht bzw. -abbruch aufgrund zu erwartender schwerer Behinderung. Grundsätzlich
ist dazu zu sagen, dass eine Behinderung kein Grund sein darf, Leben nicht zu erhalten, noch weniger eine
mögliche, wenn auch schwere Behinderung. In der Spannung zwischen der Forderung, Leiden zu verhüten oder
wenigstens zu lindern, und der Pflicht, Leben zu erhalten, wird der Arzt z.B. bei Unfällen immer dem Grundsatz
folgen: In dubio pro vita, im Zweifelsfall für das Leben.
3. Schlussbemerkung
Die Kunst des Sterbens war ein wichtiges Lehrziel der Theologie etwa im (hellen) Mittelalter. Diese Wurzeln
wiederzugewinnen ist wichtig, auch um die Aufgabe der Sterbebegleitung heute in richtiger Weise erfüllen zu
können. Vor allem gilt es die Ehrfurcht vor dem Leben zu lernen, das Leben zu schützen, die Menschenwürde von
Behinderten, Kranken und Sterbenden zu bewahren, auch wenn dies alles einen hohen Preis verlangt.
19 Selbsttötung und Selbstmord
1. Selbstmord: Der Begriff Selbstmord ist zwar eingebürgert, er ist aber irreführend. In vielen Fällen
schwingt zudem mit diesem Begriff ein moralisches Urteil mit, das dem Tatbestand meist nicht gerecht wird. Unter
einem Mord wird ein bewusstes, absichtliches und vorsätzliches Töten verstanden. Dies trifft aber auf die meisten
der mit dem Begriff Selbstmord bezeichneten Taten nicht zu. Deswegen ist es angebrachter, von Selbsttötung oder
Suizid als von Selbstmord zu sprechen.
Freitod: Ebenso irreführend ist der Begriff Freitod. Er suggeriert, der Mensch sei Herr über das eigene
Leben und er entscheide auch frei über seinen Tod. Wenn man die psychischen Prozesse analysiert, die zu einem
Suizid führen, wird man bald merken, dass der Tod hier oft nicht frei gewählt wird, sondern dass in den meisten
Fällen etwas krankhaft Zwanghaftes hinter einer solchen Tat steckt.
2. Selbsttötung als Herausforderung für Gesellschaft und Kirche
Es sind scheinbar alltägliche Nachrichten, die bei näherem Hinsehen Betroffenheit und auch ein Nachdenken über
unsere Gesellschaft heute auslösen: wenn berichtet wird, dass wieder einmal ein junger Mensch sich aus offenbar
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nichtigem Grund wie etwa einer Schramme an seinem Auto bei einem Unfall das Leben genommen hat. Oder
wenn wir erfahren, dass ein junger Mensch aus Liebeskummer sich selbst tötete. Gibt es gesellschaftliche
Ursachen?
Kultur des Todes: Es scheint übertrieben zu sein, wenn Papst Johannes Paul II. in seiner 1995
erschienenen Enzyklika Evangelium Vitae von unserer heutigen Kultur als einer "Kultur des Todes" spricht. Und
doch beinhaltet unsere Kultur eine Überordnung des Materiellen und eine des Oberflächlichkeit. Ohne bleibende
und Orientierung gebende Werte ist das Leben bedroht.
Krankhafte Entwicklungen: Es wäre falsch, undifferenziert die Gesellschaft für die Selbsttötungen
verantwortlich zu machen. Dies hieße, die vielen krankhaften Entwicklungen, die auch in der Person des Menschen
gelegen sind, zu ignorieren und auch die persönliche Verantwortung außer Acht zu lassen. Aber es muss uns zu
denken geben, dass in unseren westlichen Wohlstandsgesellschaften die Selbsttötungsraten so hoch sind und
dass eine Gesellschaft, die so viel vermittelt, von dem wir leben können, oft nicht vermitteln kann, wozu wir leben
sollen.
Selbstbestimmung: Es ist ein nicht zu übersehendes Positivum unserer Gesellschaft, dass sie der
Selbstbestimmung des Menschen Vorrang einräumt, es ist aber zu fragen, ob sie dem Menschen auch inhaltliche
Orientierungen für diese seine Selbstbestimmung bieten kann, die auf den Sinn des Lebens verweisen, so dass die
Selbstbestimmung nicht im Recht auf den eigenen Tod einen vorschnellen Abbruch erleidet. Bevor aber auf die
gesellschaftlichen Umfeldbedingungen für die Selbsttötung eingegangen wird, sollen die psychischen Vorgänge
kurz behandelt werden.
3. Das "präsuizidale Syndrom" (E. Ringel)
Von medizinischer Seite her betrachtet gehören Selbsttötung oder Selbsttötungsversuche als Ausdruck
einer psychischen Krisensituation in den Rahmen psychischer Störungen und Krankheiten. Suizidalität wird
beurteilt als störungs- und krankheitsbedingt beschränkte Fähigkeit, für Konflikte oder in Konfliktsituationen keine
lebensadäquate Verarbeitungs- und Lösungsmöglichkeit zu besitzen.
In diesem Sinn ist der Wille eingeschränkt. Neurotische Depressionen, endogene Psychosen,
körperliche Erkrankungen oder lebensgeschichtliche, krisenhafte Umbruchssituationen wie etwa Pubertät, MidlifeCrisis, Wechsel oder Alter können so Auslöser von Selbsttötungshandlungen sein. Suizidhandlungen als
Kurzschlussreaktionen sind Ausdruck akuter psychischer Reaktionen. Aber auch solche treten meist nicht ohne
Geschichte auf. Selbsttötung ist meist der Endpunkt einer Entwicklung, die E. Ringel als "präsuizidales Syndrom"
mit gewissen Regelmäßigkeiten umschreibt. Einengung, gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete
Aggression und Selbstmordphantasien sind die Eckpunkte dieser Entwicklung hin zur Selbsttötung.
Die Einengung spielt sich auf vier Ebenen ab:
 als Einengung der persönlichen Möglichkeiten, die sich als Verlust der Gestaltungs- und
Entfaltungsmöglichkeiten der menschlichen Existenz auswirkt;
 als dynamische Einengung, die sich als Fixierung auf einseitige Affekt- und Verhaltensmuster in eine
einseitige Ausrichtung der Persönlichkeit mit einer überstarken Tendenz zur Selbsttötung hin auswirkt;
 als Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen, was sich in einer Konfliktträchtigkeit der
Beziehungen zu den noch verbliebenen Kontaktpersonen bis hin zur totalen Abkoppelung von anderen
auswirken kann;
 als Einengung der Wertwelt, die sich als Reduktion der Werte in einer Entwertung vieler Wertebereiche und
einer Ausbildung subjektiver, mit der Allgemeinheit nicht übereinstimmender Werturteile zeigt.
Die Aggression, die in überstarkem Ausmaß ausgebildet ist, wendet sich gegen die eigene Person, wobei
aber andere als die eigentlichen Adressaten der Aggression gedacht sind. Die Hemmung der Entladung der
Aggression gegen die Umwelt führt dann zu einer geballten Entladung gegen sich selbst.
Die Selbsttötungsphantasien, die zuerst oft willentlich intendiert sind, mitunter auch als Drohung und
Erpressung anderen gegenüber, können sich verselbständigen und zwanghaften Charakter annehmen.
Das präsuizidale Syndrom wurzelt letztlich in einer Ich-Verunsicherung.
Vorbeugung: Es können vorbeugende Maßnahmen gegen die drohende Tat gesetzt werden und
psychohygienische Maßnahmen, dass sich dieses Syndrom nicht in Bewegung setzt.
Urteil: Das Urteil über den "Selbstmörder" kann durch das Aufzeigen der krankhaften Züge der
Entwicklung hin zur Tat ein der Tat angepassteres werden und sich nicht in einer undifferenzierten Verurteilung des
Täters, der meist ein getriebener ist, auswirken.
Versäumnisse: Es werden Versäumnisse in unserer Gesellschaft sichtbar, die damit aufgrund der
Dringlichkeit leichter einer Korrektur zugeführt werden könnten. Niemand nimmt sich das Leben, dem seine
Mitmenschen genügend Liebe und Aufmerksamkeit zeigen.
4. Gesellschaftliches Umfeld und Selbsttötung
Die Einengung zwischenmenschlicher Beziehungen hat zum Teil in der Individualisierung und
Anonymisierung ihre Ursache, zum Teil auch in einer ausgeprägten Selbstbezogenheit der Menschen.
Das unachtsame Umgehen mit dem anderen kann diesen nur zu leicht in die Isolierung treiben.
Kommunikationsstörungen sind Ursache für Isolation erkannt worden. Auch haben Suizidhandlungen in vielen
Fällen einen Appellcharakter, die Person doch wahrzunehmen.
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Die Einengung der Wertwelt kann angeregt werden durch einseitige Wertakzentuierungen in der heutigen
Gesellschaft, wenn etwa der Mensch nur nach dem Materiellen und dem Konsum bemessen wird. Solche
Vereinseitigungen könnte man theologisch auch unter dem Aspekt von Vergötzungen betrachten. Ein Wert wird so
hoch angesetzt, dass er den Menschen tyrannisiert. Dazu kommt noch das Verlangen nach der schnellen Lösung
nach dem Motto: "Wir wollen alles, und das sofort!" Wenn man alles nicht schnell bekommt, bleibt dann nicht nur
der "kurze, sofortige" Ausweg.
Aggression: Ein weiterer bedenkenswerter Punkt in Bezug auf das präsuizidale Syndrom ist die in einer
anonymen und zum Teil übertechnisierten Gesellschaft mit den Abhängigkeitsverhältnissen, die dadurch erzeugt
werden, wachsende Aggression und der zum Teil nicht bewältigte Umgang mit ihr.
Sinnleere: Weitergehendere Ursachen für die Suizidneigung dürften auch in der Sinnleere angesichts des
schnellen, krisenhaften Wandels gelegen sein.
Krise: Wenn die Forschung zeigt, dass besonders Krisen Auslösefaktoren für Selbsttötungen sein können,
dann ist unsere Gesellschaft mit ihrer "institutionalisierten Dauerkrise" für Suizidanfällige gefährdend. Zudem kann
in einer Gesellschaft, zu deren Grundpfeiler Leistung und das Denken in Machbarkeit zählen, ein Scheitern zum
Problem werden. Die Tatsache, dass die Suizidraten in den Schichten der höchsten beruflichen und der niedrigsten
beruflichen Positionen höher sind, könnte damit zu tun haben.
Verfügbarkeit des Lebens: Im Zusammenhang mit den höheren Selbstmordraten in der modernen
Gesellschaft ist auch der Umstand zu bedenken, dass eine neue Einstellung zum menschlichen Leben Platz greift.
Es hat sich das Bewusstsein der Manipulierbarkeit und Verfügbarkeit menschlichen Lebens verstärkt. Dadurch
erfährt auch die Selbsttötung eine andere Bewertung.
Gewalt: Selbsttötung ist immer mit Gewalt verbunden. Gewalt ist faszinierend, weil sie eine schnelle
Änderung verspricht. Ärger durch das Nicht Erreichen von Angestrebtem kann leicht zur Gewalt führen. Auch die
Nachahmung von Gewalttätigkeit ist oft beobachtbar, sodass sich Suizidfälle in einem Zeitraum häufen.
5. Die ethische Bewertung der Selbsttötung
Handlungsfreiheit: Eine ethische Bewertung der Selbsttötung muss natürlich immer auf dem Hintergrund
der Frage, ob die Handlungsfreiheit des Suizidanten gegeben oder ob sie nicht durch krankhafte Prozesse
beschränkt war, erfolgen. War diese Willensfreiheit nicht vorhanden, kann man nicht von persönlicher Schuld
sprechen.
Unabhängig von dieser Frage der Willensfreiheit gibt es verschiedene Standpunkte bezüglich der ethischen
Bewertung der Selbsttötung.
Verbot: Die meisten Moralphilosophen haben sich für ein Verbot der Selbsttötung ausgesprochen und
dafür unterschiedliche Argumente vorgebracht. So argumentiert etwa I. Kant, dass es bedeutet, die Sittlichkeit aus
der Welt zu schaffen, wenn man in der eigenen Person das Subjekt der Sittlichkeit vernichtet. (Metaphysik der
Sitten)
Recht auf Selbsttötung: Den Gegnern der Selbsttötung steht eine Gruppe gegenüber, die ein Recht auf
Selbsttötung fordert, weil die Freiheit, nicht das Leben, ein absoluter Wert sei. So fordert J. Amery die Anerkennung
des Freitodes als eines unveräußerlichen Menschenrechtes. Gerade im Freitod zeige sich das wahrhaft
Menschliche. Aus solcher Sicht kann es eine mitmenschliche Pflicht werden, dem anderen bei seinem Freitod zu
helfen.
Erlaubtheit: Die dritte Gruppe (etwa K. Jaspers oder W. Kamlah) geht von einer Erlaubtheit der
Selbsttötung in Ausnahme- und Grenzsituationen aus, ohne aber ein Recht auf Selbsttötung zu fordern. Der
Selbstmord fällt nach dieser Anschauung in die Kategorie der erlaubten und moralisch möglichen Handlungen.
Niemand kann also dazu verpflichtet werden, und es gibt auch kein moralisches Recht darauf. Wenn alle
Bemühungen um ein menschenwürdiges Leben, wozu man verpflichtet ist, gescheitert sind, ist der Meinung dieser
Gruppe nach eine Selbsttötung erlaubt.
Thomas von Aquin: Im theologischen Bereich wird immer wieder auf die Position Thomas von Aquins
Bezug genommen. In seiner Summa theologica bringt er drei Argumente gegen die Selbsttötung vor, die auch der
Weltkatechismus verwendet, wenn es in der Nummer 2281 heißt: "Der Selbstmord widerspricht der natürlichen
Neigung des Menschen, sein Leben zu bewahren und zu erhalten. Er ist eine schwere Verfehlung gegen die rechte
Eigenliebe. Selbstmord verstößt auch gegen die Nächstenliebe, denn er zerreißt zu Unrecht die Bande der
Solidarität mit der Familie, der Nation und der Menschheit, denen wir immer verpflichtet sind. Der Selbstmord
widerspricht zudem der Liebe zum lebendigen Gott." In der Nummer 2280 heißt es: "Jeder ist Gott für sein Leben
verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens."
Die drei Argumente des Heiligen Thomas lauten also:
 Die Selbsttötung ist ein Verstoß gegen die Selbstliebe. Das Argument ist aber insofern nicht ganz
schlüssig, als erst geklärt werden müsste, ob sich die Selbstliebe nur auf die physische Existenz bezieht. Aber
insofern es Gewaltausübung ist, verletzt es die Eigenliebe.
 Die Selbsttötung verstößt gegen die Gesellschaft. Hier ist die Frage zu stellen, ob nicht die Integrität der
sittlichen Person vor der Gesellschaft steht. Da aber die Integrität durch den Selbstmord verletzt wird, muss die
Beziehung zu den anderen Menschen geschützt werden.
 Gott als der Schöpfer des Lebens ist absoluter Herr über das Leben und über den Tod des Menschen. Der
Mensch hat das Leben nur als Leihgabe von Gott und somit kein absolutes Verfügungsrecht darüber. Dadurch
schützt Gott den Menschen vor sich selber.
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Abwägung der Werte: Ein Verbot des Selbstmordes kann zielorientiert (teleologisch), in einer Abwägung
der in Frage stehenden Werte und angesichts der mit der Handlung auftretenden Folgen begründet werden.
Würde des Menschen in Jesus Christus: Die Aufforderung zum verantwortlichen Umgang mit dem
Leben wird noch vertieft durch das Argument, dass die Würde des Menschen in der Annahme seines Lebens durch
Jesus Christus besteht, wodurch die Unantastbarkeit der Menschenwürde begründet liegt.
Es geht um den Sinn: Dies gilt es besonders in Mangelsituationen, also in Krankheit, in Situationen, wo
das Leben nicht mehr lebenswert erscheint, zu bedenken. Im Leiden Christi erfährt auch das Leben des Menschen
eine Sinnstiftung, die durch Krankheit oder Leid nicht hinfällig wird.
6. Schlussbemerkung
Wenn E. Ringel schreibt: "In aller Zukunft wird der beste religiöse Beitrag zur Selbstmordverhütung die
Mobilisierung der christlichen Nächstenliebe bleiben." (Ringel, Selbsttötung 2523), so wird in diesem Satz unsere
Verantwortung angesichts des Problems der Selbsttötung ausgedrückt.
20 Abtreibung
1. Abtreibung - eine normale Sache?
Eigentum oder Leben: Eine Werte-Studie zeigt, dass 87% der 16-24jährigen Österreicher meinen, man
dürfe niemals ein Auto aufbrechen, 56%, man dürfe niemals einen Parkschaden verheimlichen (80% der 4049jährigen), nur 22% der 16-24jährigen, man dürfe nie abtreiben. (vgl. G. M. Prüller-Jagenteufel, Braucht es
eine neue Moral?, in: 2. Bericht zur Lage der Jugend. Auftraggeber: Bundesministerium für Umwelt, Jugend und
Familie, Wien 1993, 83-93, 83)
Anscheinend übt die Straffreiheit der Abtreibung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft einen so
gewichtigen Einfluss auf das sittliche Bewusstsein aus. Es geht um die Wertigkeit von Kindern.
Neugeborene und Tiere: Eine Herausforderung stellen die vom australischen Ethiker Peter Singer
vertretenen Thesen in Bezug auf Abtreibung und Euthanasie dar. Singer schreibt: "Ich habe dafür argumentiert,
dass das Leben eines Fötus nicht mehr wert ist als das Leben eines nichtmenschlichen Lebewesens auf einem
ähnlichen Stand der Rationalität, des Selbstbewusstseins, des Bewusstseins, der Fähigkeit zu fühlen etc., und
dass, weil kein Fötus eine Person ist, kein Fötus denselben Anspruch auf Leben hat wie eine Person. Nun muss
man zugeben, dass sich diese Argumente ebenso auf Neugeborene wie auf Föten anwenden lassen. Ein
Neugeborenes von zehn Tagen ist kein rationales und selbstbewusstes Wesen, und es gibt viele nichtmenschliche
Lebewesen, deren Rationalität, Selbstbewusstsein, Wahrnehmungsfähigkeit, Fähigkeit zu fühlen und so weiter die
Fähigkeit eines Kindes eine Woche, einen Monat oder sogar ein Jahr nach der Geburt übertreffen. Wenn der Fötus
nicht denselben Anspruch auf Leben wie eine Person hat, dann hat ihn das Neugeborene offensichtlich auch nicht,
und das Leben eines Neugeborenen hat also weniger Wert als das Leben eines Schweins, eines Hundes oder
eines Schimpansen." (P. Singer, Praktische Ethik, Stuttgart 1984, 168f.)
Dass Singer dann auch unter Umständen für nicht freiwillige Euthanasie eintritt, ist nur logische
Konsequenz.
Kultur des Lebens: Angesichts solcher Verniedlichung der Abtreibung oder gar der Feststellung einer
gewissen Pflicht zur Abtreibung, wie sie von manchen Seiten anlässlich zu erwartender Behinderung des Kindes
gefordert wird, ist die Würde und der Wert des menschlichen Lebens klar und unmissverständlich herauszustellen.
Entgegen fundamentalistischen Eiferern, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, um ihrer Forderung nach
Verbot der Abtreibung Nachdruck zu verleihen, gilt es an einer Kultur des Lebens mitzubauen, die dem
umfassenden Schutz des menschlichen Lebens gerecht werden kann.
2. Das menschliche Leben als relativ höchstes Gut
Das Leben ist Voraussetzung zur Verwirklichung von Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe usw.
Deswegen ist das menschliche Leben der relative, weil irdische, Höchstwert. Diese Tatsache erfordert einen
sorgsamen Umgang mit diesem Leben und einen konsequenten Schutz des menschlichen Lebens in all seinen
Phasen, auch der vorgeburtlichen.
Als Mensch: Besonders auch die Erkenntnisse, die anlässlich der Ermöglichung der In-vitro-Fertilisation
gewonnen wurden, weisen sehr deutlich darauf hin, dass die befruchtete Eizelle bzw. der Fötus sich als Mensch
und nicht zum Menschen entwickelt. Die Identität als Mensch ist von Anfang an gegeben, auch schon vor der
Einnistung des Keimes in die Gebärmutter oder vor der endgültigen Festlegung einer Einzel- oder
Mehrlingsentwicklung.
Zellklumpen oder Mensch: Das Sprechen von Zellklumpen in Bezug auf Embryonen, das auch zur
Rechtfertigung von Abtreibung eingesetzt wird, verschleiert diese Tatsache des Menschseins. Argumentationen
mit Bewusstseinsbildung, mit Kommunikationsfähigkeit oder anderen Entwicklungsstufen als des Beginns
menschlichen Lebens sind willkürlich und ethisch nicht haltbar. Die fehlende Entwicklung der
Kommunikationsfähigkeit als eine Erlaubnis zur Abtreibung zu erklären, wäre auch deswegen verwerflich, weil
damit die Basis vernichtet wird, auf der sich die Kommunikationsfähigkeit erst entwickeln kann. Die mit der
Befruchtung ins Dasein gesetzte Entelechie (die im Organismus liegende Kraft) auf die Verwirklichung immer
größerer menschlicher Fähigkeiten hin zu fördern und nicht zu unterbrechen muss ein vorrangiges Ziel sein.
Hilflosigkeit: Gerade die Zerbrechlichkeit, Ungeschütztheit und Hilflosigkeit des menschlichen Lebens in
der vorgeburtlichen Phase fordert die Übernahme der Anwaltschaft für dieses Leben. Dass im Gegensatz dazu die
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Tatsache, dass Ungeborene sich nicht wehren können, dazu führt, dass gegen sie vorgegangen wird und sie
getötet werden, widerspricht jeder humanen Ethik.
Behinderung: Eine zu erwartende Behinderung des Kindes, die etwa mit Methoden pränataler Diagnostik
festgestellt werden kann, darf kein Grund zur Tötung menschlichen Lebens sein. In der Folge könnte das dazu
führen, dass auch geborene Behinderte getötet werden dürften, in weiterer Folge auch gebrechliche Alte
(Dammbruch). Werden Methoden der pränatalen Diagnostik im Hinblick auf eine selektive Tötung eingesetzt, so
sind sie abzulehnen. Natürlich muss alles getan werden, um den Eltern zu helfen, die schwere Last eines
behinderten Kindes zu tragen.
Vergewaltigung: Ebenso kann auch die Zeugung des Kindes durch Vergewaltigung kein leichtfertiger
Grund zur Abtreibung sein. Ein durch Vergewaltigung gezeugtes Kind ist nicht schuldig und keine aktuelle, (aber
oft tendenzielle) Bedrohung der Mutter, so dass das Argument der Notwehr hier nicht voll zum Tragen kommt.
Natürlich muss bei der Beurteilung einer etwaigen Schuld an der Abtreibung die Situation der Mutter
Berücksichtigung finden, auch indem die Schuld des Vergewaltigers aufgezeigt wird. Die Tat des Vergewaltigers
wiegt meist schwerer als die Tat der abtreibenden Mutter. Insofern ist eine Wertabwägung vorzunehmen, inwiefern
es für die Mutter zumutbar ist, ein Kind zu gebären und zu erziehen, das sie an ihren Vergewaltiger erinnert. Hier
wäre die soziale und psychische Indikation zu beachten.
Kind oder Auto: Die Tatsache, dass besonders etwa in schlimmen sozialen Verhältnissen ein Kind ein
nicht unbeträchtlicher Faktor zur Erschwerung menschenwürdigen Lebens besonders der Mutter werden kann,
darf keinen leichtfertiger Grund zur Tötung von menschlichem Leben darstellen. Noch weniger gilt das etwa in
Bezug auf die Aufrechnung Kind gegen Luxusbedürfnisse wie Auto oder Urlaub. Vielmehr muss im ersten Fall
alles getan werden, um das soziale Elend zu bekämpfen, indem die Mutter die entsprechende Unterstützung erhält,
die dem jungen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. In Bezug auf die Aufrechnung von Gütern
gegen Kind ist zu bedenken, was Immanuel Kant in Bezug auf Preis und Würde schreibt. "Was einen Preis hat, an
dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben
ist, mithin kein Äquivalent verstattet (gestattet), das hat eine Würde." (Grundlegung der Metaphysik der Sitten) Der
menschliche Embryo ist ohne Zweifel mit Würde ausgestattet.
Vitale Indikation: Eine Abtreibung kann nur im seltenen Fall der so genannten vitalen Indikation, in der das
Leben der Mutter gegen das Leben des Fötus steht, ethisch gerechtfertigt sein. In diesem sehr selten
vorkommenden Konflikt habe das rettbare Leben gegenüber dem unrettbaren den Vorrang.
3. Eine umfassende Strategie zur Förderung menschlichen Lebens
Helfen statt Töten: Die Diskussion um die Straffreiheit der Abtreibung in den ersten drei Monaten der
Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung hat die Frage mitunter so auf die rechtliche Ebene
fixiert, dass verschiedene andere Schritte einer umfassenden Strategie für das menschliche Leben übersehen
wurden. Die angesichts solcher Verkürzung von der Gegenseite mögliche polemische Reduktion der Problematik
auf den Slogan "Helfen statt strafen!" ist Ausdruck einer solch verkürzten Sicht. Der Slogan müsste vielmehr lauten:
"Helfen statt töten!" Dabei haben positive Maßnahmen des Lebensschutzes Vorrang vor strafrechtlichen
Strategien. Diese Forderung verhindert aber nicht die Frage, ob es gerecht ist, das menschliche Leben in gewissen
Phasen nicht auch strafrechtlich abzusichern.
Zu einer solchen umfassenden Strategie gehören u.a. folgende Schritte:
Aufklärung darüber, dass es sich bei der Abtreibung um Tötung menschlichen Lebens handelt etwa durch
Veranschaulichung des Entwicklungsprozesses des menschlichen Lebens;
Fürsorge: Aktivierung der Anwälte des menschlichen Lebens: Dies bedeutet u.a. besondere Fürsorge für
Frauen, die ein Kind erwarten;
Hilfen für Familien, besonders für kinderreiche: Hier sind die Familienpolitik und die Sozialpolitik in
besonderer Weise herausgefordert;
Kultur der Sexualität: Erziehung zu einem verantwortlichen Umgang mit der Sexualität: In einer
übersexualisierten Zeit, die die Sexualität mitunter einseitig in ihrer Funktion der Selbstentfaltung und des
Lustgewinnes sieht, wird die mit der Sexualität verbundene Verantwortung für das Leben oft übersehen. Wenn
sexuelle Aktivitäten aufgenommen werden, muss immer auch die Verantwortung für eventuell entstehendes Leben
mitübernommen werden. Ein Kind darf nicht Produkt von sexueller Unbeherrschtheit sein;
Erziehung zum Prinzip verantworteter Elternschaft: Ein Kind in die Welt zu setzen, muss Resultat einer
bewussten Entscheidung in Abwägung verschiedenster Faktoren sein. Um dem Ziel verantwortlicher Elternschaft
näher zu kommen, ist auch entsprechende Empfängnisregelung notwendig. Das Wort: "Wo ein Häschen, dort ein
Gräschen" ist in den meisten der Fälle nicht Ausdruck des Vertrauens, sondern unüberlegter Sorglosigkeit. In
dieser Empfängnisregelung haben natürliche Methoden Vorrang vor künstlichen, auch deswegen, weil sie die
partnerschaftliche Dimension der Verantwortung und der gegenseitigen Achtung der Ehepartner besser zum
Tragen kommen lassen.
Schutz der Frauen vor sexueller Ausbeutung durch Männer und davor, dass Männer, weil sie ihre
Verantwortung nicht übernehmen wollen, Frauen zur Abtreibung drängen. Solches gilt es auch in der Diskussion
des Strafrechtes mitzubedenken. Wenn gestraft wird, dann müssen die Schuldigen bestraft werden.
Kinderfreundlichkeit: Setzen von Maßnahmen für eine kinderfreundliche Gesellschaft: Die Strukturen der
Gesellschaft und die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Alltags sind oft kinderfeindlich. Solches zeigt sich etwa
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daran, dass beim Errichten von Häusern für entsprechende Parkplätze Sorge getragen wird, oft aber nicht für
Kinderspielplätze;
Verhütung ist nicht Abtreibung: Abwehr einer Gleichsetzung von Empfängnisverhütung und Abtreibung:
Abgesehen davon, dass die Gleichsetzung einfach falsch ist, kann die heute besonders in konservativen Kreisen
manchmal anzutreffende Gleichsetzung von Abtreibung und Empfängnisverhütung gerade durch ihre Rigorosität
dazu führen, dass Leben ungewollt gezeugt wird und dadurch die Gefahr einer Abtreibung wächst. Auf der anderen
Seite ist die Verniedlichung der Abtreibung dadurch, dass sie zu einem Instrument der Empfängnisverhütung
erklärt wird, strikt abzulehnen. Dies gilt auch in Bezug auf Methoden der Empfängnisverhütung, die eigentlich
Methoden der Abtreibung sind, weil sie auch abtreibend wirken wie zum Beispiel die Spirale.
4. Ethische Bewertung der Abtreibung und Umgang mit dem Scheitern
Keine Verurteilung: Die aufgestellten ethischen Forderungen zielen auf ein Handeln, das für manche
schwer zu erfüllen sein wird. Gerade auch deswegen muss man vorsichtig sein, wenn man in der Versuchung
steht, Menschen, die die hohen Zielforderungen nicht verwirklichen können, zu verurteilen.
Entschuldbare Faktoren: Um die persönliche Schuld bewerten zu können, müssen zudem neben der
objektiven Handlung immer auch die Umstände und der freie Wille des Handelnden mitberücksichtigt werden. In
Engpasssituationen ist die Freiwilligkeit des Handels in vielen Fällen nicht gegeben.
Kultur des Lebens: Dies muss für uns ein Aufruf sein, ein menschen- und lebensfreundliches Klima,
eine Kultur des Lebens zu schaffen, die die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen in solche Engpasssituationen
kommen, verringern. Solche notwendige Rücksicht auf Betroffene darf aber nicht dazu führen, dass die objektive
Falschheit von Abtreibungen nicht gesehen wird.
21 Todesstrafe
21.1 Warum die Todesstrafe überall abgeschafft werden muss
Grausamkeit: Die Todesstrafe ist grausam und unmenschlich. Sie erniedrigt die Menschen. Die zum Tode
Verurteilten erleiden oft vor der Hinrichtung akute körperliche und seelische Qualen. Auch wenn der Termin
bekannt ist, kann der seelische Druck Psychosen hervorrufen. Auch die Hinrichtungsmethoden können körperliche
Folterungen mit sich bringen. Durch Hängen, elektrischen Stuhl, Gaskammer, Erschießen, Garotte (Würgeisen)
oder Injektion kann der Tod erst sehr langsam eintreten.
Recht auf Leben: Die Todesstrafe verletzt das Recht auf Leben. ,,Der Staat hat nicht das Recht, über
Leben und Tod eines Menschen zu entscheiden (1977, L'Osservatore Romano). Die Todesstrafe widerspricht den
Artikeln 3 und 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948). Die Artikel sprechen vom Recht auf Leben
und gegen grausame und erniedrigende Strafen. Der Staat muss das Leben eines jeden - ohne Ausnahme schützen. Die Todesstrafe ist Gewalt und ruft häufig Gegengewalt hervor. Auch verroht sie jene, die damit befasst
sind.
Politischer Missbrauch: Die Todesstrafe wird häufig als Mittel zur Unterdrückung schwacher Gruppen benutzt. In
der NS-Zeit, zwischen 1938 und 1945 hat es im Grauen Haus in Wien 1.187 Hinrichtungen gegeben. Gerichte
werden zu ausführenden Organen der Regierungspolitik und Oppositionelle werden ermordet.
Gerichtliche Fehler: Die Hinrichtungen können nicht rückgängig gemacht werden und Fehlurteile können nicht
ausgeschlossen werden: Die Verteidigung ist oft ungenügend oder unfähig. Viele können sich die hohen
Anwaltskosten nicht leisten. Richter und Geschworene können nicht ohne persönliche Gefühle und Vorurteile
entscheiden. Die Ermittlung der Polizei ist oft ungenau und parteiisch. Die psychiatrischen Gutachten sind sehr
lückenhaft, wenn die Verhandlungsfähigkeit, die Zurechnungsfähigkeit oder die angemessene Strafe bewertet
werden soll. Das Gericht wird oft von der Aufregung in der Öffentlichkeit und von politischen Überlegungen
beeinflusst.
Keine Abschreckung: Die abschreckende Wirkung wurde niemals bewiesen. In den Staaten, in denen die
Todesstrafe abgeschafft wurde, hat die Mordkriminalität nicht zugenommen.
Menschen können sich ändern: Der Mensch ist fähig, sich zu ändern - wir sehen das in den Beispielen
der Bibel: Feinde werden Freunde, Verbrecher bekehren sich. „Kehrt um, Stopp, ändert euch" ruft Jesus allen zu.
Aber auch einzelnen, wie der Ehebrecherin sagt er: Mach das nicht wieder. Die Änderungsfähigkeit des Menschen
ist das große Programm des Christentums. Deswegen fordert Jesus: Nicht siebenmal verzeiht, sondern 77 Mal,
und auch: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Lasst das Unkraut mit dem Korn zur Ernte wachsen, sonst
reißt ihr mit dem Unkraut auch das Korn aus. (Mk 1,15; Joh 8,3; Mt18,21; 7,1; 13,24) (UNO, Weltkirchenrat,
Amnesty International, Katholische Kirche)
21.2 Geschichte und Grundsätze zur Todesstrafe
1. Die Todesstrafe in der Tradition
Im AT: Die Todesstrafe wurde in weiten Strecken der Geschichte ziemlich unhinterfragt als richtig
betrachtet. Solches zeigt sich beispielsweise im Alten Testament, in dem die Todesstrafe als eine rechtliche
Institution erscheint, die als ein selbstverständliches Instrument betrachtet wird. Das System der Blutrache wurde
von der Gemeinschaft in das System der Todesstrafe umgewandelt. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig
festzuhalten, dass sich schon im Alten Testament von der dem einzelnen zukommenden Blutrache, die nicht nur
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den Täter, sondern auch dessen Sippe treffen kann, über das Talionsgebot (Aug um Aug, Zahn um Zahn), das in
der Eindämmung umproportionaler Rache und in der individualisierten Anwendung der Rache, die den Übergriff auf
Sippenmitglieder und Unschuldige verbietet, eine Humanisierung der Strafe darstellt, hin zu sehr zurückhaltender
Anwendung der Todesstrafe im Spätjudentum eine gewichtige Entwicklung in dieser Individualisierung und
Verrechtlichung zu mehr Humanität auf dem Feld der Strafe feststellen lässt.
Im NT: Im Neuen Testament stellt nur die Stelle Röm 13,4 eine direkte Bezugnahme auf die ethische
Erlaubtheit der Todesstrafe dar. In anderen Stellen wird die Todesstrafe nur erwähnt. In der Römerbriefstelle heißt
es von der staatlichen Gewalt: "Sie steht im Dienste Gottes und verlangt, dass du das Gute tust. Wenn du aber
Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt
das Urteil an dem, der Böses tut."
Gesellschaftliche Pflichten: Dieser Text rechtfertigt die Macht des Staates über Leben und Tod derer, die
Böses tun. Im Gesamtkontext betrachtet, scheint es aber Paulus nicht in erster Linie um die Rechtfertigung der
Todesstrafe ein für allemal zu gehen, sondern darum, die Christen, die in der Erwartung des kommenden
Gottesreiches ihre bürgerlichen Pflichten vernachlässigen, zu diesen zurückzurufen.
Verzeihen: Aus dem Gesamtkontext des Neuen Testamentes heraus lässt sich zudem ein Zug zu im
Bewusstsein von der vergebenden Liebe Gottes gegründeter Vergebung, zum Verzeihen und Erbarmen
ablesen. Das Böse soll durch das Gute, das in der Gemeinschaft der Christen wächst, überwunden werden.
Bergpredigt: Gerade die Bergpredigt mit ihren hohen ethischen Forderungen etwa des Gewaltverzichtes
und der Feindesliebe beinhaltet den Aufruf, gesellschaftliche Voraussetzungen zu schaffen, in denen diese hohen
ethischen Haltungen auch gelebt werden können. In Bezug auf das Problem der Todesstrafe könnte das bedeuten,
an einer Gesellschaft zu bauen, die ohne Todesstrafe auskommt.
Infragestellung der Todesstrafe: Als Resümee in Bezug auf die Bibel kann gesagt werden, dass bei aller
Selbstverständlichkeit, mit der von der Todesstrafe ausgegangen wird, sich doch teilweise eine Infragestellung der
Todesstrafe abzeichnet. Kain wird trotz Mord und Eva wird trotz Gebotsübertretung nicht getötet. Es gibt aber keine
eindeutige Position in Bezug auf die Bewertung der Todesstrafe. Es muss auch die Zeitbedingtheit biblischer
Aussagen mitbedacht werden.
Zuerst dagegen: Solches gilt auch für die weitere geschichtliche Betrachtung. Während vor allem die
Kirchenväter der vorkonstantinischen Epoche der Todesstrafe deutlich ablehnend gegenüberstehen, zeigt sich
nach der konstantinischen Wende in der deutlichen Veränderung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat
auch eine Tendenz, die Todesstrafe zu rechtfertigen. Allerdings will etwa Augustinus diese Macht des Staates über
Leben und Tod durch ein Interventionsrecht des Bischofs gemäßigt wissen.
Vorbehalt: Im Mittelalter drückt sich dieser Vorbehalt gegen die Todesstrafe in einer Arbeitsteilung aus, die
darin ihren Ausdruck findet, dass die Kirche direkt mit der Exekution der Verbrecher nichts zu tun haben will. Im
Glaubensbekenntnis gegen die Waldenser, die die Todesstrafe für einen Christen für unannehmbar betrachteten,
rechtfertigt Papst Innozenz III. im Jahre 1208 die Todesstrafe, wenn sie nicht aus Hass, sondern von einem
ordentlichen Gericht und nicht übereilt ausgesprochen wird.
Gemeinwohl: Bei Thomas von Aquin wird die Todesstrafe im Kontext des Gemeinwohls gerechtfertigt. Bei
ihm heißt es: "Wenn ein Mensch auf Grund eines Verbrechens der Gemeinschaft zur Gefahr und zum Verderben
wird, ist es vernünftig und heilsam, ihn zu töten, damit das Gemeinwohl gerettet werde". (S.th.II, 2,1. 64, a.2).
Durch das Verbrechen sinke der Mensch in tierische Abhängigkeit, so dass man nun über ihn bestimmen dürfe
nach dem Maß, wie es für die anderen nützlich sei. Der Verbrecher habe sein Recht verwirkt. "Das allgemeine
Wohl geht über das besondere Wohl einer Einzelperson. Das besondere Gut ist somit zu entziehen, um das
allgemeine Wohl zu bewahren.
Bei den Reformatoren, besonders auch infolge der Zwei-Reiche-Lehre, setzt sich die Rechtfertigung der
Todesstrafe fort.
Beccaria: Ein fundamentaler Diskussionsprozess gegen die Todesstrafe beginnt in der Aufklärung, und
zwar nicht von der Theologie, sondern von der Philosophie her. C. Beccaria setzt mit seinem Werk "Dei delitti e
delle pene" diese Diskussion in Gang. Die Todesstrafe wird in diesem Werk als nicht rechtmäßig und als nicht
notwendig abgelehnt. Außerdem führe diese Strafe zur Verrohung der Sitten und sei in sich widersinnig, weil sie
mit der Tötung von Menschen von der Tötung von Menschen abhalten wolle. Die Schrift Beccarias wurde von der
Kirche auf den Index gesetzt und verboten.
Kant: Dass aber die Aufklärung nicht unbedingt mit Ablehnung der Todesstrafe Hand in Hand gehen muss,
zeigt die Position Immanuel Kants. Kant führt das Argument der sittlichen Persönlichkeit ein. Es mache den Wert
und die Freiheit der Person aus, dass ihr die Gerechtigkeit, die ihr aufgrund ihrer Tat zukomme, auch zuteil werde.
Die Gerechtigkeit fordere nun, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werde. Damit die Blutschuld nicht auf dem
Volk haften bleibe, bedürfe es der Todesstrafe. Kant wird mit seiner Auffassung der Gegenspieler Beccarias,
dessen Ablehnung der Todesstrafe er eine "teilnehmende Empfindelei einer affektierten Humanität" (Metaphysik
der Sitten) nennt.
Auch Papst Pius XI. und Papst Pius XII. haben des Öfteren von todeswürdigen Verbrechen gesprochen,
was die Legitimität der Todesstrafe voraussetzt.
Papst Johannes Paul II ist mit seiner Option für eine Kultur des Lebens einen Schritt weitergegangen und
verurteilt die Todesstrafe gerade dann, wenn sie in reichen Ländern ausgeübt wird, die genug Geld hätten,
Verbrecher im Gefängnis zu verwahren.
70
2. Betrachtung einiger Argumente für und gegen die Todesstrafe
2.1 Das Argument des Gemeinwohls und der Sicherheit als eines wesentlichen Gutes des Staates
Dieses Argument ist auch auf dem Hintergrund der Tatsache zu bewerten, dass im Mittelalter die
Möglichkeiten, die Gesellschaft vor Verbrechern zu schützen, in geringerem Ausmaß gegeben waren als in der
heutigen Zeit. In Verknüpfung mit der Bedingung, dass Tötung eines Menschen nur das äußerste Mittel bei
Versagen aller milderen Mittel sein kann, unterliegt die Beurteilung der Todesstrafe heute anderen
Voraussetzungen als etwa zur Zeit Thomas von Aquins.
Sicherung: Außerdem ist zu bedenken, dass eine Tötung um des Gemeinwohls willen letztlich keine
Tötung als Strafe, sondern eine Sicherungstötung wäre, ein Faktum, das der sittlichen Persönlichkeit des Täters
nicht gerecht wird.
2.2 Das Argument des Strafziels der Resozialisation
Wenn man Strafe dadurch rechtfertigt, dass man sie im Zusammenhang mit ihrer pädagogischen Wirkung
sieht, so ergeben sich dadurch Probleme. Es ist schwierig, den Tod als Strafe zu betrachten, da zum Erleiden einer
Strafe nur ein Lebender fähig ist. So können nur die Verkürzung des Lebens oder das Erleiden der Todesangst
als Strafe gesehen werden.
Auch ist Reue nur möglich, wenn jemand zur Reue nicht gezwungen wird. Angesichts des eigenen Todes
ist das nicht unbedingt der Fall.
2.3 Die Wiederherstellung der gerechten Lebensordnung durch die Todesstrafe
Wenn man davon ausgeht, dass der Staat seine Gerichtsbarkeit im Namen Gottes ausführt und es
todeswürdige Verbrechen gibt, die die Lebensordnung stören und sogar zerstören, so könnte man die Todesstrafe
als einen Ausdruck der Achtung vor dem Leben interpretieren. Gerade dieses Argument kann aber auch ins
Gegenteil gewendet werden: Der Staat achtet das Lebensrecht und die Lebensordnung besonders auch dadurch,
dass er selbst dem, der das Lebensrecht anderer missachtet hat, das Lebensrecht nicht nimmt.
2.4 Wiederherstellung der Gerechtigkeit durch die Todesstrafe.
Das Talionsprinzip bedeutet Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Hier liegen Schwierigkeiten vor. A. Kaufmann
bringt 4 Argumente gegen das Talionsprinzip vor: "(1) Durch die Tötung des Mörders wird gar nicht Gleiches mit
Gleichem vergolten. (2) Nach dem Talionsprinzip müsste jede Tötung, selbst die fahrlässige, mit dem Tod bestraft
werden. (3) Die Talion ist bei den meisten Delikten überhaupt nicht durchführbar. (4) Die Gerechtigkeit verlangt
nicht eine sich in der Tat widerspiegelnde Strafart, sondern ein der Schuld entsprechendes Strafmaß." Die
Todesstrafe, gesehen als ein Akt der Vergeltung, steht somit unter Argumentationsschwierigkeiten.
2.5 Verwirkung des Lebensrechtes des Schwerverbrechers
Durch eine todeswürdige Tat habe der Verbrecher sein Lebensrecht verloren. Indem er einen anderen tötete,
verwirkte er das eigene Leben, begehe nach G. Ermecke, wie schon gesagt, gewissermaßen sozialen
Selbstmord. Dieses Argument muss auf dem Hintergrund unseres Strafsystems hinterfragt werden. Der
Verwirkungsgedanke ist nämlich nicht das Aufbauprinzip unseres Rechtssystems. So verwirkt etwa ein Dieb nicht
sein Recht auf Eigentum. Selbstmord ist auch nicht christlich zu bejahen, weil Leben Geschenk ist.
2.6 Todesstrafe als Abschreckung vor Verbrechen.
Dieses Argument ist auf der kriminalpolitischen Ebene gelegen und so kein direktes Argument in Bezug auf die
ethische Bewertung der Todesstrafe. Der empirische Beweis der Abschreckung ist nur sehr schwer zu erbringen,
bzw. weisen teilweise empirische Untersuchungen in die Richtung einer nicht gegebenen Abschreckung. Aber
auch wenn der empirische Beweis der Abschreckung erbracht werden könnte, käme das noch nicht einer ethischen
Legitimierung der Todesstrafe gleich.
Notwehr: Nur im Fall der Notwehr, also im Fall der strengen Konkurrenz zwischen schuldigem und
unschuldigem Leben, also im Fall, dass das Leben Unschuldiger nicht anders als durch die Hinrichtung geschützt
werden könnte, ist die Todesstrafe gerechtfertigt.
Ob solche Fälle heute bei den Möglichkeiten des Schutzes durch Hochsicherheitsgefängnisse usw.
gegeben sind, ist eigens zu prüfen. In den meisten Fällen (etwa den Schutz vor Terroristen durch Erschießen der
Terroristen in einem Angriffsfall) dürfte es sich aber nicht um Todesstrafe im strengen Sinn handeln, sondern eben
um aktuelle Notwehr.
Justizirrtum: Auch die Möglichkeit eines Justizirrtums lässt aus kriminalpolitischer Sicht Vorsicht
gegenüber der Todesstrafe angebracht sein.
3. Gewalt und Ehrfurcht vor dem Leben.
Anlässlich von grausamen Verbrechen wird immer wieder, auch entsprechend angeheizt durch die
Boulevardmedien, der Ruf nach der Todesstrafe laut. Teilweise sind solche Reaktionen verständlich. Solches sollte
gerade aus christlicher Sicht heraus ein Anstoß sein, über ein Strafsystem nachzudenken, das die Ehrfurcht vor
dem Leben auch einem Verbrecher gegenüber zum Tragen bringt und sich solches auch Entsprechendes kosten
lässt, ohne allerdings die Opfer zu vergessen.
Der Zusammenhang von Menschenopfer und Todesstrafe ergibt sich durch den Sündenbockmechanismus.
Die Einmütigkeit, mit der ein Mensch als Feind getötet wird, schafft in der Gruppe eine von Rivalität friedliche
Atmosphäre. Dadurch schenkt der Hingerichtete der Gesellschaft einen kurzen einmütigen Frieden.
71
22 Judentum und Christentum
22.1 Judentum - Übersicht
Entstehung: Es ist eine Offenbarungsreligion, die sich durch den Bundesschluss am Berg Sinai (Horeb) und im
6.Jh. v.Chr. im babylonischen Exil (mit Sabbat, Synagoge und Beschneidung) manifestierte. Der Stifter ist Gott und
seine Partner sind sein Volk mit Abraham und Moses (Bund!). Um 1800 v. Chr. lebte Abraham, um 1250 v. Chr.
Moses. Die Juden verstehen sich als die Söhne Abrahams.
Worterklärung: Das nachexilische Wort "Juden" kommt vom Stamm Juda. Der Name „Hebräer“ gilt im Alten Orient
als Bezeichnung für Fremde. Das Wort "Israel" (=der Gottesstreiter) ist der Beiname von Jakob, das zum Namen
aller 12 Stämme wurde: die Israeliten. Die Bewohner des heutigen Staates Israel sind die Israelis.
Heilige Schriften: Tenach (= AT der Christen). Dazu gehören die Tora (= fünf Bücher Mose, der Pentateuch
(Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium), die Nebiim (= Prophetentexte), Ketubim (=
Weisheitstexte). Der Talmud ein Text, der die Schriften erklärt und auslegt.
Gottesvorstellung: Jahwe, Gott ist der Schöpfer der Welt, der einen Bund mit seinem Volk schließt. Er ist als
„Jahwe“ in seinem Volk gegenwärtig. Die Religionsform ist monotheistisch.
Weltbild: Von Gott geschaffen ist die Welt Ort der Erfahrung der Güte Gottes und Ort für die Bewährung des
Menschen.
Menschenbild: Der Mensch ist Geschöpf, Abbild und Partner Gottes. Er ist eine Leib-Seele-Ganzheit mit der
Fähigkeit zur verantwortenden Freiheit. Er ist zum Leben mit Gott berufen.
Erlösungsvorstellung: Erlöst ist der, der bei der Ankunft des Messias von den Toten auferweckt wird und in
dessen Nähe sein darf.
Erlösungswege: Gottesliebe; Befolgung der Weisungen Gottes
Kultstätte: Synagoge; der Tempel in Jerusalem ist ja zerstört.
Religionsdiener: Rabbi, Kantor
Besonderheiten: fünf Merkmale: Messiaserwartung (Paradies), großes Gottvertrauen (Abraham), ExodusErfahrung: Gott rettet (Auszug aus Ägypten), Gesetzestreue (babylonisches Exil), Wunsch nach Rückkehr nach
Israel (Seit der Zerstörung Jerusalems und Vertreibung der Juden 70 n.Chr. lebten sie in der Diaspora)
Abspaltungen/Schismen: Samariter (Israel - Westbanks), Karäer (GUS - Krim; Ukraine)
Richtungen: Es gibt verschiedene Richtungen: orthodoxe Juden (strenggläubig), konservative Juden, liberale
Juden (diese kann man ev. als "Reformjuden" bezeichnen - es geht ihnen um den Geist des Gesetzes, nicht um
den Buchstaben)
Verbreitung: Palästina / Israel, Diaspora: Falascha in Äthiopien (schwarze Hautfarbe); Jemen; westliches Russland;
Polen; Marokko; Türkei (aus Spanien kommend); Mittel- und Westeuropa; frühere Sowjetunion (autonomes
jüdisches Gebiet an der Grenze zur Mandschurei), USA; Kanada.
Prozent der Weltbevölkerung: 0,4% der Weltbevölkerung sind Juden, ca. 16 Millionen Juden
Kurzcharakteristik: Alles für und mit Gott. Die Grundüberzeugungen sind:
1. Es gibt nur einen einzigen Gott (Monotheismus). Dieser ist Jahwe, der "der immer für sein Volk da ist".
2. Jahwe wirkt in der Geschichte. Er hat sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit (Exodus). Er hat mit ihm
einen Bund am Berg Sinai geschlossen.
3. Der Wille Gottes, den sein auserwähltes Volk erfüllen soll, ist im "Gesetz" (= Thora = Weisungen) - insbesondere
in den Zehn Geboten - niedergelegt.
Ziele dieses "Gesetzes" sind die Verehrung Gottes und ein Leben in Gerechtigkeit.
Selbstaussage: Glaubensbekenntnis: "Höre Israel! Gott, unser Herr, ist der eine, einzige Gott! Darum sollst du den
Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft:"
Symbol: Davidsstern - Symbol für das Durchdringen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt; der Verbindung
(Bund) Gottes mit den Menschen und des Menschen mit Gott. 
22.2 Glaube und Leben, Gottesvorstellung
1. Gott: Juden glauben an einen einzigen Gott (Monotheismus), zu dem sie täglich beten: "Höre, Israel! Jahwe,
unser Gott, Jahwe ist einzig! Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele
und mit ganzer Kraft!" (Dt 6,4f.)
 Jahwe soll nicht in Bildern dargestellt werden, weil er größer ist als alle bildlichen Vorstellungen.
 Jahwe hat das Volk Israel auserwählt und mit ihm einen Bund geschlossen. Als "Bundesweisung" gilt die
Thora, die Weisung Jahwes, die das Bundesverhältnis zu ihm und das Zusammenleben mit den Mitmenschen
regelt.

Die sich wandelnden Gottesvorstellungen des Volkes Israel werden entscheidend durch seinen jeweiligen
Lebensraum mitgeprägt. Als Israel noch als Hirten- und Nomadenvolk umherzieht (ca. 1800 bis 1300 v. Chr.)
erfahren sie die Güte und die Macht Gottes in ihrem Lebensbereich auf der Wanderschaft und dadurch, dass sie
zu besseren Weideplätzen geführt werden. Bei der Landnahme in Kanaan (13. Jh. v. Chr.) wandelt sich die
Situation grundlegend. Beim Übergang vom Hirten- zum Bauernleben geraten sie oft in Versuchung, den Kult der
kanaanäischen Fruchtbarkeitsgötter zu übernehmen. In der Auseinandersetzung mit den Baalsgöttern lernt Israel,
dass Jahwe nicht nur der Gott der Geschichte ist, der sein Volk führt, sondern auch der Gott der Natur, ein Gott,
der die Früchte des Landes schenkt.
72
In der Zeit des babylonischen Exils (586 bis 538 v. Chr.) erfährt Israel, dass das Schicksal nach babylonischem
Verständnis von den Gestirnen gelenkt wird, die als Götter verehrt werden. Jüdische Priesterschriftsteller
formulieren hingegen ein Bekenntnis zu Jahwe, der alles erschaffen hat. Die Israeliten leben in der Überzeugung,
dass Jahwe sein Volk aus dem Exil führen und seine Macht über alle Götter und fremden Völker zeigen wird.
2. Welt und Mensch:
Die Welt wurde von Jahwe erschaffen. Der Mensch ist Geschöpf und Abbild bzw. "Ebenbild Gottes" (vgl. Gen
1,26f). Gott hat ihn zum Herrscher über die Schöpfung gemacht.
Er ist von Gott erwählt und sein Bundespartner und zu einem Leben nach den Weisungen der Thora berufen.
3. Erlösung, Heil und Jenseits:
Jahwe schenkt seinem Volk Israel das Heil. Die Geschichte ist letztlich eine Heilsgeschichte, weil er alles - trotz
aller Bedrängnisse - zum Guten lenken wird. Damit verbunden ist die Messiashoffnung, die Hoffnung auf eine
messianische Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit, die Gott seinem Volk zuteil lassen wird.
Im religiösen Tun wird hier und jetzt die Weisung Jahwes, das Kernstück des Judentums, weitergegeben. Die
gläubigen Juden hoffen auf eine Vollendung am Ende der Zeiten.
Der Glaube an ein Leben nach dem Tod wuchs im Volk Israel nur langsam. Das bezeugen die älteren Bücher des
AT. Noch zur Zeit des Königs David (um 1000 v. Chr.) glaubten die Israeliten, dass der Tote in die Unterwelt steigt,
in der er ein Dasein als "Schatten" und in Vereinsamung und Verlassenheit führt. Erst 500 Jahre später keimte die
Hoffnung auf ein Leben bei Gott (vgl. Dan 12,2; 2 Makk 7,14).
22.3 Leben nach dem Gesetz:
Thora und Besonderheit: Entscheidend für die Juden ist das Leben nach der Thora, bei der das
Liebesgebot im Mittelpunkt steht. Die religiöse Erziehung und die Aufnahme in die Gemeinde der Erwachsenen
(Bar Mizzba) verstärken das Gefühl der Besonderheit und der Zusammengehörigkeit des jüdischen Volkes.
Sabbat: Das jüdische Leben wird vor allem von der Feier des Sabbat in der Synagoge und zu Hause
bestimmt. Die Sabbatheiligung beginnt mit dem Vorabend vor Eintritt der Dunkelheit und wird durch verschiedene
Gebete, Riten und Bräuche begangen. Dabei soll jede Arbeit ruhen; aber auch viele Tätigkeiten sind untersagt.
Reinheit: Wichtig für die jüdische Lebensführung sind zahlreiche Speisegesetze, die "koschere" (hebr. =
taugliche) Speisen festlegen. Das Ritualgesetz unterscheidet streng zwischen rein und unrein, wobei die Reinheit
durch Waschungen wiederhergestellt wird (die Mikwe ist das Reinigungsbad).
Das Leben gläubiger Juden wird durch das Gebet geprägt, das am Morgen, am Mittag und am Abend in
festgelegter Form verrichtet werden soll.
Die Reinheitsregeln der Juden
Damit Israel das reine, koschere und heilige Volk Gottes ist, gilt es folgendes zu beachten:
Kein Blut essen oder berühren. Tiere werden geschächtet, das heißt, dass das lebende Tier ausgeblutet
1.
wird.
2.
Kein Aas oder Ersticktes darf berührt werden.
3.
Nur gewisse Tiere dürfen gegessen werden: Von den Säugetieren nur Wiederkäuer und Paarzeher.
Fische müssen Flossen und Schuppen haben. Vögel müssen fliegen können. Tiere, die Fleisch fressen, sind
verboten.
4.
Krankheit macht unrein. (Kranke, Tote und Friedhöfe machen unrein.)
5.
Erklärung dieser Reinheitsrituale: Sie sollen vor Gewalttätigkeiten schützen und Einmütigkeit erzeugen.
6.
Regel gegen die Magie: Milch und Fleisch müssen getrennt zubereitet und getrennt gegessen werden.
7.
Andere Regeln: Zu Ostern (Pascha) darf nur ungesäuertes Brot (Mazzes) gegessen werden.
8.
Sabbatregeln: Am Sabbat, dem 7. Tag der Woche darf kein Feuer entzündet werden, außerhalb des
Hauses darf man nur gewisse Schritte gehen, es darf nicht gearbeitet werden, es dürfen keine Geschäfte gemacht
werden, es darf nichts außer Haus gebracht oder von einem Ort zum anderen getragen werden. Grund: Der
Sabbat ist der Tag des Paradieses.
9.
Wenn Juden die Gebote übertreten, müssen sie sich reinigen (waschen, baden) und Buße tun. Sie
begehen die 10 Bußtage im Herbst zwischen dem Fest Rosch Haschanah und dem Versöhnungsfest Jom Kippur.
An diesem letzten Tag wird nichts gegessen und nichts getrunken. Danach ist man rein und koscher.
10.
Baden: Im modernen orthodoxen Judentum wird es vom Mann verlangt sich einen Tag vor Jom Kippur und
Rosch ha-Schana in einer Mikwe (kultischem Bad) zu baden. Fromme Juden reinigen sich auch vor Schabbat.
Fromme Jüdinnen reinigen sich nach der Regel oder nach einer Geburt in der Mikwe.
22.4 Kult, Feste und Feiern:
Die Kultstätten sind die Synagoge und das eigen Haus. In Jerusalem ist die heilige Stätte die Klagemauer, ein
Rest des zweiten salomonischen Tempels. Die Amtsträger sind der Rabbiner für die Synagoge und der Hausvater
für die Familie.
Die wichtigen Feste: Jeder Sabbat ist ein heiliger Tag. Die drei großen Wallfahrtsfeste sind von der biblischen
Geschichte geprägt:
a) Das Pessachfest (Pascha) erinnert an den Auszug aus Ägypten.
b) Das Schawuot ist ein Gedächtnisfest an den Bundesschluss am Sinai und an den Empfang der Zehn Gebote
c) Das Laubhüttenfest erinnert an die Wüstenwanderung
73
 Der Jom Kippur ist der Versöhnungstag, davor werden die 10 Bußtage begangen, die mit dem Rosch haSchana beginnen.
 Beim Chanukka-Fest: wird an das Wiederentzünden des Leuchters im erneuerten Tempel 165 v. Chr.
gedacht. Dieses Fest wird mit dem feierlichen Anzünden von Lichtern begangen.
22.5 Judentum und Christentum
Der erste Bund: Das II. Vatikanische Konzil hat eine Erklärung über das Verhältnis der katholischen
Kirche zu den Juden veröffentlicht. Darin wird betont, dass Gott den Juden als seinem Volk, mit dem er einen Bund
geschlossen hat, die Treue hält. Die Kirche ist durch Jesus Christus Miterwählte des Bundes Gottes.
Keine Schuld am Tod Jesu. Es wird deutlich festgestellt, dass man weder alle Juden zur Zeit Jesu noch
von heute dafür verantwortlich machen darf, dass Jesus am Kreuz gestorben ist.
Das Konzil verurteilt jede Form der Feindschaft und des Hasses gegenüber den Juden (Antijudaismus und
Antisemitismus). Die Juden haben den nicht aufgekündigten ersten Bund mit Gott. Christen sind mit dem Judentum
auch wegen dem Juden Jesu verbunden.
23 Islam und Christentum
23.1 Islam- Übersicht
1. Der Name Islam (arabisch) heißt (vollständige) Hingabe an Gott, Unterwerfung unter den Willen Gottes.
2. Entstehungszeit: 610 Beginn der koranischen Offenbarung, ab 622 n. Chr. beginnt die heutige
muslimischen Zeitrechnung Es ist das Datum des großen Auszugs von Mohammed und seinen Gefährten von
Mekka nach Medina
3. Stifter: Mohammed: geb. um 570 in Mekka, gest. 632 in Medina
Er hat die jüngste der großen Weltreligionen mit arabischen, jüdischen und christlichen Elementen verkündet
und versteht sich als Prophet und Vollender der jüdischen und christlichen Religion, der die "reine Religion
Abrahams" wiederherstellen will.
Mohammed (= der Vielgelobte) verliert früh seine Eltern und kommt daher zu seinem Onkel, der ihn auf
seine Karawanenreisen mitnimmt. Mit 25 Jahren heiratet er die reiche Kaufmannswitwe Chadidscha. Sie haben
zwei Söhne, die beide im Kindesalter sterben, und vier Töchter.
Auf seinen Reisen begegnet Mohammed dem Glauben der Juden, Christen und Araber. Er ist entsetzt über
die verschiedenen Religionen und Praktiken des Vielgötterglaubens, den er in Mekka erlebt. Er zieht sich immer
wieder in die Wüste und in die Berge zurück. Um das Jahr 610 hat er ein entscheidendes Erlebnis, als ihm im
Schlaf der Erzengel Gabriel erscheint. Seine Frau hilft ihm, seine Zweifel bezüglich seiner Berufung zum
Propheten zu überwinden und ermuntert ihn, an seine Berufung zu glauben.
Durch seine Predigten gewinnt er Anhänger, aber auch Gegner. 622 muss er seine Heimatstadt Mekka
verlassen und nach Medina fliehen. 630 zieht er mit Waffengewalt wieder in Mekka ein. Er erhebt die Stadt mit
der Kaaba - dem alten Heiligtum des Schwarzen Steins - zum Zentrum seiner neuen Religion, die sich bald auf der
ganzen arabischen Halbinsel ausbreitet.
Seine Führung wird von den Kalifen als seinen Nachfolgern übernommen. Es folgen Abu Bakr (632-634),
Omar (634-644), Othman (644-655) und Ali (656-661). Im Jahre 657 kommt es zwischen Ali und Moawija, dem
Statthalter von Syrien, zur Auseinandersetzung um die Kalifenwürde. Nach der Ermordung von Ali wird 661
Moawija neuer Kalif. Seine Anhänger bezeichnet man später als "Sunniten"
Jene Moslems, die Ali und seine Nachkommen als rechtmäßige Kalifen ansehen, sind die "Schiiten".
4. Die Muslime
Es gibt ca. eine Milliarde Moslems oder Muslime (wollen nicht Mohammedaner genannt werden)
Ca. 80 - 90 % gehören zu den Sunniten (sunna = Tradition, Gewohnheit, Brauch); die anderen zu den Schiiten
(schia = Partei, nämlich die Partei von Ali).
5. Die Verbreitung: Besonders in den Ländern des Nahen Ostens, in Nordindien, Pakistan, Bangla-Desh,
China und Indonesien, Zentralasien, in Nord- und Zentralafrika.
6. Die Grundüberzeugungen:
1. Gott ist der einzige Gott (monotheistische Religion).
2. Mohammed ist der Gesandte Gottes und (nach Adam, Noah, Abraham, Mose und Jesus) der letzte Prophet.
3. Jeder Mensch ist erlösungsbedürftig.
4. Glaube an die Auferstehung der Toten und an ein Weltgericht. Die Gerichteten kommen in einen der sieben
Himmel oder in die Hölle.
5. Schicksalsglaube besagt, dass die göttliche Vorsehung die Geschichte (das Geschick) der Menschen lenkt:
Kismet, Inschallah (so Gott will).
7. Das Heilige Buch ist der Koran (= das oft zu lesende). In der Mitte des Islam steht das Buch Gottes,
eine Schrift göttlichen Ursprungs und die absolute Offenbarung seines Willens. Der so genannte Urkoran war nach
islamischer Vorstellung von Anfang an unerschaffen (im Herzen) bei Gott. Der Koran wurde dem Propheten in
arabischer Sprache Wort für Wort geoffenbart und auf verschiedene Materialien in arabischer Schrift
aufgezeichnet, aber erst nach seinem Tod wurden die Schriftstücke gesammelt und in Buchform ediert. Er durfte
lange Zeit nur mit einem speziellen Schreibrohr, dem Qalam (aus Schilfrohr) geschrieben werden.
74
Der Koran umfasst 114 Suren ("Abschnitte"), die religiöse Lehren, Pflichten und alles beinhalten, was für
zwischenmenschliche Beziehungen, die gesamte Gesellschaftsordnung und die Staatsordnung wichtig ist.
Textkritik und Exegese nach westlicher Methode (= Auslegung, wie z.B. biblische Exegese) gibt es in arabischen
Ländern nicht. Die einzelnen Vorschriften sind normalerweise nicht zeitbedingte Bestimmungen, die aufgehoben
werden können. Es gibt aber widersprüchliche Bestimmungen im Koran
Neben dem Koran gibt es die Aussprüche und Geschichten des Propheten, die in Hadiths, die auch im
Widerspruch zum Koran stehen können (z.B. Steinigen oder Auspeitschen).
Zum Koran und zu den Hadiths (der prophetischen Überlieferung) gibt es zahlreiche Kommentare, die für
die Gesetze wichtig sind. Das Gesetz ist die Scharia, von der es 4 sunnitische Rechtsschulen gibt: Hanafiten,
Malikiten, Schafiiten und Hanbaliten. Die wichtigste schiitische Rechtsschule wird von den Dschafariten betrieben.
23.2 Geschichte des Islams
Mit Islam bezeichnen die Muslime (Moslems) Politik, Religion und Kultur, die auf Mohammed zurückgehen.
Islam heißt Totalhingabe an den Willen Gottes, den sie auf arabisch Allahs nennen.
Mohammed: Zwischen 570 und 580 n. Chr. wurde er in Mekka geboren, wurde früh Waise, war im
Karawanenhandel tätig, heiratete die Witwe Khadija. Mit 40 hatte er ein Berufungserlebnis und fing an, öffentlich
zu reden: Es gibt nur einen Gott, das Gericht Gottes kommt, verzeiht einander, tut Buße, die Gerechten werden
auferstehen. Am 15.od.16. Juli 622 flüchtet er nach Yatrib (später Madinat = Medina), wo er Anhänger gewann und
neue Gesetze für die Stadt schuf. 630 eroberte er Mekka und machte die Kaaba zum Wallfahrtsort. 2 Jahre
später machte auch er die Wallfahrt und starb im Jahr 632 n. Chr.
Koran: Die Verkündigung Mohammeds wurde von seinen Anhängern im Koran (= Lesung)
aufgeschrieben, nachdem sie seine Reden auswendig lernten. Die endgültige Sammlung der Texte stellte sein
Schwiegersohn Othman zusammen. Er ist eingeteilt in 114 Kapitel (Suren) und enthält 6226 Verse. Im Koran ist
alles enthalten, was für das Heil wichtig ist. Er ist das Gesetz für die Gemeinschaft. Es gibt keine islamische
Textkritik, keine islamische Quellenforschung, keine anerkannte Übersetzung aus dem arabischen.
Hadiths: Neben dem Koran gibt es Aussprüche Mohammeds und Geschichten über ihn, die in der Sunna
überliefert werden. Hadiths und Koran sind die Grundlagen für die Scharia, das islamische Gesetz.
Geschichte: Abu Bakr und Omar wurden die Nachfolger Mohammeds, die sogenannten Kalifen. Der 3.
Kalif Othman, der den Koran zusammenstellte, wurde ermordet, sein Nachfolger Ali, ein Vetter Mohammeds,
verlegte seine Residenz nach Damaskus. Sein Gegner Mohawija vertrieb ihn nach einem Jahr (657). Nachdem er
sich einem Schiedsgericht unterwerfen wollte, trennten sich seine Anhänger, die Charadschiten (heute: Abaditen)
von ihm. Vier Jahre später wurde Ali in Kufa ermordet. Die Schiiten verehren ihn als rechtmäßigen Nachfolger und
Verwandten Mohammeds. Die Sunniten sehen in Mohawija, dem Begründer der Omaijaden- Dynastie, den
rechtmäßigen Kalifen.
Schiiten: Schiiten (schiatu= Partei) nennen sich jene Gruppen, die die Söhne und Nachkommen Alis als
rechtmäßige Nachfolger Mohammeds verehren. Ihre religiösen Führer sind die Imame. Da Ali mehrere Frauen
hatte, sind die Reihen der Imame umstritten. Die Reihen brechen an bestimmten Punkten ab und der letzte Imam
wirkt im Verborgenen weiter bis er als Mahdi (Erlöser) wiederkommt. Die Hauptgruppe der Schiiten sind die
Zwölferschiiten (Imamiten), die 12 Imame kennen. Der Iran ist dazu bekehrt worden. Neben den Saiditen
(Fünferschiiten), spalteten sich die radikalen Ismaeliten (Siebenerschiiten) in einige Gruppen: Drusen (Libanon)
und Assassinen (Geheimreligion, Mord als politisches Mittel, der Name stammt von der Droge Haschisch). Die
Ismaeliten begründeten 909 in Nordafrika das fatimidische Kalifat.
Sunniten: Die Hauptgruppe der Moslems sind die Sunniten, die die mündliche Überlieferung (= Sunna) als
2. Heilsquelle neben dem Koran anerkennen: Worte Mohammeds und Geschichten aus seinem Leben. Die Sunna
wurde in verschiedenen Hadithsammlungen aufgeschrieben. Der sunnitische Islam breitete sich durch die
Eroberungen der Omaijaden nach Spanien und ins Industal aus. Durch die anderen Kulturen wurden viele Fragen
zum Wesen Gottes ausgelöst (9.Jhdt). Die Seldschuken, ein türkischer Stamm, eroberte im 11.Jhdt. Persien und
zerstörten viele Städte in Palästina. Der Kurde Saladin begründete im 12. Jh. in Ägypten die Aijubidendynastie, zur
gleichen Zeit regierten die Almohaden in Spanien. Die Sufi, die Derwische und die Fakire repräsentierten die
damalige Armutsbewegung. Im 13./14. Jh. waren die Mamluken in Ägypten und die Mongolen in Persien. Ab 1500
regierten die Großmoguln in Indien, ab dem 15.Jhdt bis zum 1. Weltkrieg hatten die Osmanen ein großes Reich
(Balkan, Türkei, Irak, Ägypten u.a.)
23.3 Glaube und Leben, Gottesvorstellungen
Der Glaube an einen einzigen Gott ist der Kernpunkt der Lehre Mohammeds. Der Name Allah setzt sich
zusammen aus "al-ilah", d.h. aus dem Artikel und der arabischen Bezeichnung für "Gott". Mohammed wendet sich
von der Vielgötterei seiner Umwelt ab, wie auch vom christlichen Dreifaltigkeitsglauben.
Besonders wichtig ist die 112. Sure, weil sie ein Bekenntnis zur Einzigartigkeit Gottes enthält: "Sprich: Er ist
Gott, ein Einziger, Gott, der Undurchdringliche. Er hat nicht gezeugt, und Er ist nicht gezeugt worden, und
niemand ist Ihm ebenbürtig."
Gott kann nicht erklärt oder in Bildern dargestellt werden. Er ist nicht "fassbar", weshalb sich im Islam
nirgends Bilder von Gott finden, sondern lediglich Ornamente. Die so genannten "99 schönsten Namen" sind der
Versuch einer Umschreibung des "Alleinigen" und "Allgegenwärtigen".
75
Der Koran betont, dass Gott der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde ist. Er ist der allmächtige
Richter, der vergibt und straft. Alle Suren (außer Sure 9) beginnen mit der Formel: "Im Namen Gottes, des
barmherzigen Erbarmers".
Gott hat den Werdegang der Menschen vorgesehen. Er hat sich schon mehrmals in der Geschichte zu
erkennen gegeben, besonders durch seine Propheten. In der Schahada, dem Glaubensbekenntnis, bekennt der
Moslem diesen Glauben an Gott. "Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes."
Welt und Mensch:
Die Welt ist von Gott geschaffen, der ihr Erhalter und Richter ist. Der Mensch versteht sich als sein
Geschöpf. Die Erschaffung des Menschen nach dem Koran (vgl. Sure 32) steht in der Tradition und in
Übereinstimmung mit den biblischen Schöpfungsberichten.
Gott hat den Werdegang der Menschen vorgesehen. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, Gottes
Willen in Hingabe (vgl. die Wortbedeutung von Islam!) zu erfüllen.
Erlösung, Heil und Jenseits:
Moslems sind überzeugt, dass jede und jeder erlösungsbedürftig ist. Die Erlösung geschieht durch
Glauben und gute Werke. Der Mensch muss in seinem Leben den Willen Gottes befolgen, den er in den
Weisungen des Koran findet. Das Einüben des "rechten Pfades" geschieht insbesondere durch die Erfüllung der
fünf Hauptpflichten, die auch "fünf Säulen" genannt werden (vgl. Kapitel 2.4.!).
Moslems glauben an ein Fortleben nach dem Tod und betonen das Gericht. Sie erwarten den Urteilsspruch
Gottes beim Jüngsten Gericht und hoffen auf seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Gott wird ihnen alles Tun
vergelten und den Gerechten die ewigen Freuden des Paradieses schenken.
23.4 Die Pflichten des Islam:
1. Die "fünf Säulen":
 Das Glaubensbekenntnis (die Schahada): Wer die Schahada: "Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed
ist der Gesandte Gottes" vor muslimischen Zeugen ausspricht, gehört damit zum Islam. Der Muezzin ruft sie
vom Minarett aus.
 Das Gebet (die Salat): Jeder Muslim ist zum fünfmaligen täglichen Gebet verpflichtet, das er in Richtung
Mekka verrichtet (morgens, mittags, nachmittags, nach Sonnenuntergang und abends). Vor dem Gebet muss er
sich waschen, um die kultische Unreinheit zu beseitigen.
 Die vorgeschriebene Abgabe (die Sakat): Die Abgabe dient dem Unterhalt der Gemeinden und der
Unterstützung von Armen, Witwen und Waisen. Der Muslim soll dabei lernen, sich nicht an irdische Dinge zu
hängen und von Geldgier frei zu werden.
 Das Fasten im Monat Ramadan Der Ramadan, der neunte Mondmonat, steht im Zeichen strengen Fastens
vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang. Dabei darf weder gegessen noch getrunken oder
Geschlechtsverkehr geübt werden.
 Die Wallfahrt nach Mekka (Haddsch): Einmal im Leben müssen alle Muslime, die gesundheitlich und
finanziell dazu in der Lage sind, nach Mekka wallfahren. Dort umschreiten sie siebenmal das Heiligtum, die
Kaaba. Nach Möglichkeit wird der Haddsch mit einem Besuch beim Grab des Propheten in Medina verbunden.
Nichtmoslems ist das Betreten von Mekka strengstens verboten.
2. Weitere Pflichten: Zu den weiteren Pflichten gehören der Kampf zur Verteidigung des Islam und die Einhaltung
von Konsumverboten (Alkohol, Schweinefleisch, Drogen, Glücksspiele). Wichtige Gebote sind Gastfreundschaft
und die gute Behandlung von Untergebenen. Da Religion und Politik untrennbar im Islam miteinander verbunden
sind, gehört es auch zu den Pflichten des einzelnen, sich in der Gemeinschaft und Gesellschaft zu engagieren.
23.5 Kult, Feste und Feiern:
Das Gotteshaus der Moslems ist die Moschee. Der Kultträger ist der Imam (Gemeindevorsteher)
Der Muezzin ruft zu den 5 Zeiten zum Gebet
Die wichtigen Feste sind:
 Das Bairamfest, das Fest des Fastenbrechens, bei dem die Nacht gefeiert wird, in der Mohammed die
Offenbarung empfing: bei diesem Fest beschenken sich die Muslime reichlich.
 Das Opferfest im Anschluss an die Wallfahrt gilt als Hauptfest.
 Der Freitag ist kein Feiertag. Das wöchentliche Gemeinschaftsgebet findet am Freitag statt. Am Mittag des
Freitags treffen sich Muslime nach Möglichkeit in der Moschee zum Gebet und zur Freitagspredigt.
23.6 Islam und Christentum
Die Christen bekämpften von Anfang an den Anspruch der Muslime, Mohammed sei ein Prophet. Er ist
auch nicht der durch Joh 14,26 vorhergesagte Beistand, der Paraklet, der Hl. Geist: „Der Beistand aber, der Heilige
Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich
euch gesagt habe.“
Der Koran zitiert Jesus, der angeblich Mohammed voraussagt, wie es in 61,6 heißt: »Und als Jesus, der
Sohn Marias, sagte: O Kinder Israels, ich bin der Gesandte Gottes an euch, um (...) einen Gesandten zu
verkünden, der nach mir kommt: sein Name ist Ahmad.«
Die Muslime glauben, dass die Bibel verfälscht wurde und bekämpfen die Lehre von der Inkarnation
(Menschwerdung Jesu) ebenso wie die von der Trinität (Dreifaltigkeit). Sie glauben an die jungfräuliche Geburt
Jesu, an seine Wunder, lehnen gewöhnlich seinen Kreuzestod ab und bestreiten, dass er Sohn Gottes ist.
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Nach jahrhundertelanger Belastung des gegenseitigen Verhältnisses durch Polemik und kriegerische
Auseinandersetzungen (z.B. arabische Feldzüge, Türkenbelagerungen, Kreuzzüge, Kolonialismus) zeichnet sich
in der 2. Hälfte des 20. Jh. eine Wende zum Dialog ab. Sowohl der Weltkirchenrat als auch die katholische Kirche
suchen das Gespräch mit den Muslimen. Ziel solcher Begegnungen ist es, sich gegenseitig besser kennen zu
lernen, um Vorurteile abzubauen und im sozialen Bereich zum Wohle der Menschen und für den Frieden in der
Welt zusammenzuarbeiten.
Mit Hochachtung spricht die Kirche in der vielbeachteten Erklärung des II. Vatikanischen Konzils (19631965) Nostra aetate über ihr Verhältnis zu den Muslimen. Sie ermuntert zu aufrichtigem und gegenseitigem
Verstehen.
24 Hinduismus und Christentum
24.1 Hinduismus im Überblick
1.Hindus: Der Name Hindus leitet sich vom großen Strom Indus (sindhu = pers. hindu = griech. Indos) ab,
der dem Land und seinen Bewohnern den Namen gab. Der Begriff bedeutet nicht eine bestimmte indische
Religion, sondern er muss als Name für eine Gruppe von Religionen verstanden werden, die im südasiatischen
Raum entstanden sind.
2. Der Hinduismus entstand ca. 1800 v. Chr. in Indien
3. Der Hinduismus gilt als eine Erfahrungsreligion und als eine Volksreligion. Er entwickelte sich
langsam auf der Grundlage alter Überlieferungen, die in heiligen Schriften gesammelt wurden, zu einem religiössozialen System. Der Hinduismus hat eine große Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit von Vorstellungen,
Bräuchen und Lehren entwickelt. Sein Formen- und Ideenreichtum verbietet es, den Hinduismus als eine
"einheitliche" Religion darzustellen.
4. Es gibt ca. 990 Mill. Hindus
5. Verbreitung: Indien, Bangla-Desh und Bali-Insel (Indonesien)
6. Grundüberzeugungen:
Göttliches Brahman: Der Hinduismus ist geprägt von der Vorstellung eines nicht-personalen Urgrundes der Welt,
der hinter allen Erscheinungsformen gesucht werden muss. Obwohl viele Götter verehrt werden, ist der letzte
Grund aber ein göttliches Wesen, ein unpersönliches Es, das Brahman.
Wiedergeburt: Alle Gottheiten und Menschen unterliegen dem ewigen Karma, dem Gesetz der Vergeltung allen
Tuns. Für Hindus ist ferner die Idee vom Kreislauf der Wiedergeburten wichtig: Hindus möchten diesem Kreislauf
entrinnen und in das göttliche Brahman eingehen.
7. Heilige Schriften: Der Hinduismus kennt ein reiches religiöses Schrifttum.
 Veden: Die ältesten Schriften sind die vier Veden, die zwischen 1000 und 500 v. Chr. niedergeschrieben
wurden (Veda = "Wissen"). Sie bilden zusammen die Sanhitas (= Sammlungen). Sie enthalten zahlreiche
Hymnen an die Götter, Lieder, Opfersprüche und -gesänge.
 Jeder der vier Veden hat einen oder mehrere Brahmanas; sie sind Kommentare, Deutungen und
Erweiterungen der ursprünglichen Glaubenslehre. Sie enthalten zahlreiche rituelle Vorschriften.
 Zur jüngsten Textgruppe der Veden gehören die Upanishaden, die ab 800 v. Chr. entstehen. Diese
Bezeichnung spricht von einem "Sitzen vor einem Lehrer". Die Upanishaden zeigen den Weg (Yoga) aus dem
Kreislauf der Wiedergeburt (Erlösung von der Wiedergeburt).
 Bhagavad-Gita: Bedeutender für das praktische Leben sind heute einige Schriften der Tradition. Am
bekanntesten davon ist die Bhagavad-Gita (= Gesang des Erhabenen), ein Teil des großen Epos Mahabharata.
Diese um 300 v. Chr. entstandene Lehrschrift zeigt die verschiedenen Heilswege (verschiedene Yogas) und die
Bindung an einen personalen Gott (z.B. Krischna, Vischnu, Schiva, Ganescha)
24.2 Glaube und Leben
1. Gottesvorstellungen: Im Hinduismus gibt es keine einheitliche und verbindliche Gottesvorstellung. Es
werden zahlreiche Götter verehrt. Hinter den vielen Gottheiten (bis zu 300 Mill.) steht aber die Einheit des
Göttlichen. Götter, Menschen und Tiere sind Erscheinungsformen des Brahman. Darum kann der Hindu alles als
göttlich verehren und zugleich an einen Gott glauben.
Hauptrichtungen und Hauptgottheiten sind
Shivaismus: Shiva, (der „Gütige“) tanzt und lässt die Universen entstehen. Seine Gattin ist Parvati. Er
wird mit weißblauer Haut mit dem dritten Auge, drei waagerechten Aschestrichen, einer Schlange um seinen Hals,
dem langen und offenem Haar und einer Mondsichel, einem Dreizack, der Sanduhrtrommel, seinem Reittier,
einem Stier, seiner Frau Parvati, seinem Sohn Ganesha dargestellt. Shiva gilt als Gott der Asketen (Sadhus). Er
wird auch als Linga („Zeichen“), das wie ein Phallus aussieht, verehrt. In Armanath im Himalaya, bildet sich in
bestimmten Zyklen eine Eissäule schwindet wieder. Diese Höhle ist ein Wallfahrtszentrum.
Vishnuismus: Vishnu hat vier Insignien: Diskus, Schneckenhorn, Lotos und Keule. Er steig auf die Erde
herab, um die Weltordnung (Dharma) zu stützen. Es gibt 10 Inkarnationen, die Avataras: Fisch, Schildkröte,
Rieseneber, Mann mit Löwenkopf, Zwerg, „Rama mit der Axt“ (Vishnu in Menschengestalt), Rama – der Held des
Epos Ramayana, nicht mit der 6. Inkarnation identisch, Krishna – „der Schwarze“, Buddha – manchmal auch
„Balarama“, der Bruder Krishnas, Kalki – die zukünftige Inkarnation Vishnus als Reiter auf dem Pferd, der den
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Dharma wieder herstellt. Seine Shakti, die weiblich gedachte Seite des Göttlichen, ist die Göttin Lakshmi, die als
seine Gattin gilt.
Shaktismus: Shakti ist die weibliche Kraft, die sich in den verschiedenen Göttinnen manifestiert. Der
Shaktismus ist eng verwoben mit dem indischen Tantrismus und es werden Göttinnen verehrt: z.B., Durga, Kali,
Lalita, Saraswati und Shakti selber.
Die Göttin Durga ist Schöpferin, Zerstörerin und Erhalterin der Welt. Ihre Attribute sind der Dreizack
Shivas, der Diskus Vishnus, der Donnerkeil Indras, die Schlinge Varunas, der Löwe oder der Tiger. Durga in ihren
vielen Gestalten ist in Indien die beliebteste Göttin und wird als waffentragende Kämpferin, aber auch als höchste
Mutter verehrt.
Die rotfarbige Göttin Lalita sitzt auf Shivas Schoß und hat einen Zuckerrohrbogen, Blumenpfeile, ein Netz
und eine Keule in ihren Händen.
Die Göttin Kali kann grausam und unberechenbar sein und blutige Opfer fordern. Früher brachte man
sogar Menschenopfer dar. Sie gilt als Erlöserin und Mutter. Sie wird auch auf Leichenverbrennungsplätzen verehrt.
Die Kraft Shakti wird auch als Göttin Shakti verehrt. Da steht sie auf dem Leib des Shiva, oder sie bilden
beide eine zweigeschlechtlichen Figur, dann wieder sitzt auf Shivas Schoß. Anhänger der Göttin Shakti haben
Yantras, das sind geometrische Figuren aus Punkt, Linien, Kreisen und Dreiecken. Sie werden auf den Boden,
auf Papier gezeichnet oder in Metallplättchen geritzt. Sie haben Ähnlichkeiten mit Mandalas, die zum Unterschied
zu den Yantras auch Figuren enthalten können. In den Yantras wird die Göttin Shakti und Gott Shiva verehrt. Die
Göttin wird durch das Rezitieren von Mantren angerufen.
Bei der Verehrung von Shakti in der tantrischen Richtung werden Rauschtrank, Fisch, Fleisch, Getreide
rituell konsumiert und eine und rituelle sexuelle Vereinigung praktiziert. Die sakrale Prostitution war früher eine
Begleiterscheinung des tantrischen Shaktismus.
Die Dreiheit Trimurti besteht aus Brahma, Shiva und Vishnu.
Der elefantenköpfigen Ganesha gilt als Sohn von Shiva und Parvati. Nach der Legende hat Parvati
während der Abwesenheit Shivas einen Sohn modelliert und zum Leben erweckt, damit sie eine eigene Wache
habe. Sie bat ihren Sohn, an der Tür zu wachen, während sie badete. Ganesha, wie er später genannt wurde,
verwehrte auch Shiva den Eintritt und dieser schlug ihm den Kopf ab. Aus Reue für die Tat erweckte er ihn wieder
zum Leben, indem er einen Elefanten tötete, und ihm dessen Haupt anstelle aufsetzte.
Hanuman, der Diener Ramas, der wiederum ein Avatar von Vishnu ist. Hanuman hat die Figur eines Affen.
Er kann der Sohn der Göttin Anjana und des Windgottes Vayu sein oder der Sohn von Shiva. Hanuman hat
normalerweise einen Affenkopf, einen menschlichen Körper mit zwei Armen und einem langen Schwanz. Er kann
aber auch zehn Arme und fünf Köpfe (Vogel, Eber, Pferd, Löwe, welche Avatare von Vishnu verkörpern) haben. Als
Diener Ramas ist er der General eines Affenheeres und Retter seines Herrn.
Rama ist die siebte Inkarnation von Vishnu. Seine Geschichte wird in dem indischen Heldenepos
Ramayana erzählt. Dieses handelt von Ramas Verbannung in die Waldeinsamkeit und dem Sieg über Ravana,
nachdem dieser seine Gattin Sita nach Lanka entführt hatte. Ein wesentlicher Helfer bei diesem Kampf war der
Affengott Hanuman.
Sita ist eine Tochter der Erde und die Gemahlin von Rama und eine Inkarnation der Göttin Lakshmi. Sita
ist ihrem Ehemann treu, wird aber immer wieder verbannt.
Lakshmi sie ist Göttin des Glücks und der Schönheit und Gemahlin von Vishnu. Sie wird allein mit vier
Händen (Lotosblüten und Goldstücke) dargestellt. Sie steht oder sitzt auf einer Lotusblüte und hat neben sich zwei
Elefanten, die Wasser über sie gießen. Sie kann viele Attribute haben: Lotos, Muschel, Topf, Bilva-Frucht, Pfeil und
Bogen, Diskus, Keule, Ährenbündel, Eule.
Sarasvati ist eine Göttin der Weisheit und Gelehrsamkeit, eine der populärsten hinduistischen Göttinnen
und die Gattin Brahmas. Sie ist die perfekte Rede, die Weisheit und zusammen mit Kali und Lakshmi eine
weibliche Dreiheit (Trimurti). Sie ist eine Wasser – und Flussgöttin. Sie trägt ein Saiteninstrument; eine Gebetskette
und ein Buch, die Veden. Weitere Attribute sind Rad, Keule, Muschel, oder Glocke, Sanduhr und Schädelschale.
Ihre Begleittiere sind Gans, Schwan und Pfau. Sie steht oder sitzt auf einem Lotos..
Gott Krishna wird meist als die achte Inkarnation (ein Avatar) von Vishnu verehrt. Für seine Anhänger ist er die
Inkarnation des Höchsten. Er hat als Attribut eine Flöte, eine Pfauenfeder. Er wird als Kind von König Kansa
verfolgt, er tötet Kansa und setzt dessen Vater als König ein. Als Kuhhirte (die Kuh ist den Indern heilig) schäkert er
mit Hirtenmädchen und verliebt sich in Radha. Er übermittelt dem Helden Pandavas die Lehren der Bhagavadgita.
Krishna wird irrtümlich durch den Pfeil eines Jägers verwundet und stirbt, nachdem er dem Unglücklichen
verziehen hat. Die Krishna-Religiosität ist das Bhakti Yoga, die Hingabe an Gott. Krishna wird auch als Kind
verehrt. Im Westen stieß die Krishnaverehrung durch die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein auf
Interesse.
Purusha ist eine Urriese, der von den Göttern geopfert wird und aus dem die Welt und die Varnas
(Kasten) entstehen.
2. Welt und Mensch: Die Welt ist gekennzeichnet durch einen Zyklus von Werden, Vergehen und
Wiederentstehen. Sie ist nicht als eigentlich reale Existenz zu bewerten, sondern als vorläufig (Maya) zu
betrachten.
Der Mensch unterliegt dem Gesetz des Karma, d. h. dem Gesetz der Vergeltung allen Tuns. Alles, was
jemand tut, ist Folge früherer Taten und hat Auswirkungen und Folgen für das nächste Leben. Eng verbunden mit
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der Lehre vom Karma ist die Lehre vom Samsara, dem unendlichen Kreislauf der Wiedergeburten
("Seelenwanderung"). Götter, Menschen und Tiere werden wiedergeboren: als besser oder als weniger gut
geratene Lebewesen.
3. Erlösung, Heil und Jenseits: Die Vorstellung, immer wieder in diese Welt zurückkehren zu müssen,
bedeutet für den Hindu, dass er immer neuem Leid begegnet. Daher wünscht er sich, aus diesem Kreislauf
auszubrechen. Die Erlösung liegt für ihn darin, den ewigen Wiedergeburten zu entrinnen und in das göttliche
Brahman einzugehen.
Die Bhagavad-Gita nennt vier Wege (Yoga) zum Heil und zur Erlösung (Moksha):
1. Raja Yoga nennen sich die meditativ orientierten Stufen des Achtgliedrigen Yoga nach Patanjali
2. Jnana Yoga (Yoga der Erkenntnis, durch Meditation, Konzentration und innere Reinigung von Begierden).
3. Karma-Yoga (Yoga der Tat, des selbstlosen Handelns durch Opfer, Gebet, Entsagung, Fasten, Askese,
Wallfahrten, Reinigungsriten, Gebete)
4. Bhakti Yoga (Yoga der Verehrung und liebenden Hingabe an Gott, den Weg der Liebe)
24.3 Das Leben im Hinduismus:
Kasten: Es handelt sich um eine Einteilung nach ritueller Reinheit und Aufgabenbereich. Es wird
unterschieden in vier Hauptkasten, den Varnas, und den Untergruppen, den Jātis.
Die 4 Varnas sind:
1. Die Brahmanen (traditionell die intellektuelle Elite, Ausleger heiliger Schriften (Veda), Priester)
2. Kshatriyas (traditionell Krieger und Fürsten, höhere Beamte)
3. Vaishyas (traditionell Händler, Kaufleute, Grundbesitzer, Landwirte)
4. Shudras (traditionell Handwerker, Pachtbauern, Tagelöhner)
Darunter stehen die „Unberührbaren“, auch als Paria oder Harijans bekannt.
Offiziell wurde zwar das Kastenwesen in der Verfassung Indiens abgeschafft; trotzdem regelt jede Kaste nach
uralter Tradition die Rechte und Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Die Einteilung der Kastenlosen wird
besonders durch die Lehre von der Seelenwanderung aufrecht erhalten.
Im Laufe der Zeit haben sich so viele Unterkasten (Jatis) gebildet, dass sie kaum noch den vier traditionellen
Kasten zugeordnet werden können. Wenn der Hindu den Verpflichtungen seiner Kaste nachkommt, entspricht er
dem Dharma, dem ewigen Gesetz. Früher war den Jatis Berufe zugeordnet, heute sind Jatis ein Kriterium für die
Partnerwahl. Der Grund sind die Reinheitsregeln, bei denen Berührungen mit Dingen, Tieren und Personen unrein
machen können (z.B. Blut).
Lebensstadien: Neben der Einteilung der Gesellschaft in Kasten gibt es auch eine Einteilung des eigenen
Lebens des Hindu in vier Lebensstadien:
1) Schüler bei einem Guru
2) Ehe und Beruf ("Hausvater"; Verantwortung in der Gesellschaft)
Zurückgezogenheit im Alter ("Klausner in den Wäldern") oder Einsiedlerdasein (der "herumwandernde Aszet")
24.4 Kult, Feste und Feiern:
Kultstätten: Tempel, Hausaltäre, Wallfahrtsorte, Heilige Stätten. - Amtsträger: Brahmanen
Blumen: Der indische Alltag ist sehr von der Religion geprägt. Eine große Bedeutung kommt dabei den
heiligen Festen zu, die lebendiger Ausdruck der Verehrung der Götter sind. Dabei spielen Blumen eine große
Rolle. Mit Blumen und farbigen Stoffen geschmückte Götterbilder werden in Prozessionen durch die Straßen
geführt. Heilige Bäume werden gepflegt.
Tiere: Weil die Götter auch Tiergestalt annehmen, werden auch heilige Tiere verehrt, besonders Kühe,
Affen und Schlangen.
Flüsse: Aber auch Pflanzen, Berge, Seen und Ströme werden als heilig verehrt. Ein berühmtes Beispiel ist
der heilige Fluss Ganges in Benares, in dem zahllose Gläubige auf ihrer Pilgerfahrt rituelle Waschungen
vornehmen.
24.5 Hinduismus und Christentum
Vielfach wurde im Kastensystem eine Missachtung der Menschenrechte gesehen sowie
Witwenverbrennung und Kinderheirat abgelehnt. In der Erklärung des II. Vatikanischen Konzils über das Verhältnis
der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra Aetate, Artikel 2) wird eine neue Möglichkeit der
Wertschätzung des Hinduismus aufgezeigt: „So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche
Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen
Versuchen zum Ausdruck und suchen durch asketische Lebensformen, tiefe Meditation oder liebend-vertrauende
Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge und Beschränktheit unserer Lage.“
Bei allen Unterschieden gibt es bedeutsame Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Visnuismus in
der Lehre von der Inkarnation Gottes und in der Konzeption des seine Schöpfung liebenden Gottes. Bhakti als
Gottesliebe und Dienst an Gott und das starke Element der Mystik im Visnuismus haben bereits mehrfach zu
Vergleichen mit christlichen Mystikern geführt
Interessant für die Beziehungen zwischen Christentum und Hindu-Religionen ist auch der InkulturationsProzess, den das Christentum in Indien zunehmend vollzieht und der es in mancher Hinsicht bereichern kann.
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25 Buddhismus
25.1 Der Buddhismus im Überblick
1. Der Name Buddhismus bezieht sich auf seinen Gründer Buddha = der Erleuchtete, der Erwachte.
2. Entstehungszeit: um 500 v. Chr, Stifter: Gautama Siddharta - Buddha:
Der indische Fürstensohn Gautama Siddharta (ca. 560 - 480 v. Chr.) wächst in Reichtum und Luxus auf.
Bei seinen berühmt gewordenen Ausfahrten begegnet er einem Greis, einem Kranken, einem Toten und einem
Mönch. Die Erfahrung, dass alles Leben Leiden ist, verändert sein Leben. Mit 29 Jahren verlässt er Frau und
Kind und beschließt, als Mönch bei den gelehrten Brahmanen eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Aber die
Erleuchtung findet er erst später während vier Nachtwachen unter einem Baum: er erkennt die "Vier edlen
Wahrheiten" von der Entstehung des Leidens und seiner Überwindung. Als Buddha (= Erleuchteter) verkündet er
sie in seiner berühmten Predigt in Benares. Er glaubt, den rechten Weg, den Weg der Mitte gefunden zu haben.
Bis zu seinem 80. Lebensjahr wandert er durch Nordindien. Seine Lehre findet viele Anhänger und
verbreitet sich schnell. Niedergeschrieben wird sie aber erst über 200 Jahre später im so genannten Pali-Kanon.
Als ewiger Buddha ist Buddha die Urgestalt eines jeden Vollendeten.
3. Heute leben ca. 450 Millionen Buddhisten hauptsächlich in Thailand, Burma, Laos, Hinterindien, Nepal,
Sri Lanka, Tibet, in der Mongolei, in Japan und China.
4. Vier edle Wahrheiten: Das Kernstück der buddhistischen Lehre sind die "Vier edlen Wahrheiten". Wer
sie erkennt, der ist befreit und findet so selbst zur Erlösung. Diese "Vier edlen Wahrheiten" hat Buddha in seiner
ersten Predigt in Benares entwickelt:
1. Alles Leben und Tun ist Leiden.
2. Ursache des Leidens ist die Gier, die Blindheit und die Begierde nach Leben, Macht, Lust.
3. Erlösung vom Leiden geschieht durch Auslöschen der Gier, durch völlige Leidenschaftslosigkeit.
4. Aufhebung des Leidens durch den achtteiligen Pfad:
1. rechtes Denken
2. rechtes Entschließen
3. rechtes Wort
4. rechte Tat
5. rechtes Leben
6. rechtes Streben
7. rechtes Gedenken
8. rechtes Sich-Versenken
Das Ziel des Lebens nach dem achtteiligen Pfad ist die "Erkenntnis" und die "Erleuchtung" des einzelnen.
6. Heilige Schriften: Buddha selbst hat keine Schriften hinterlassen. Es gibt aber zahlreiche schriftliche
Überlieferungen der verschiedenen buddhistischen Richtungen. Um 250 v. Chr. werden die heiligen Schriften des
Buddhismus im Pali-Kanon zusammengefasst.
Es gibt aber keinen Kanon heiliger Schriften, den alle Richtungen des Buddhismus anerkennen.
25.2 Glaube und Leben
1. Gottesvorstellungen: Im Buddhismus gibt es keinen personalen Gott, nur einen göttlichen Sinn hinter
allem. Die Frage nach Gott oder Gottheiten hat Buddha offen lassen wollen (weshalb beim Buddhismus
gelegentlich von einer atheistischen Religion gesprochen wird, was aber problematisch ist). Diese Frage lenke
nämlich den Menschen nur von der Überwindung des Leidens ab. Nach Buddha muss sich der Mensch aus
eigener Kraft aus dem Gesetz des Karma befreien. Der Mahayana- Buddhismus hingegen rechnet wieder stark
mit der Hilfe göttlicher, mitleidvoller Wesen.
2. Welt und Mensch: Die Welt und die Gesamtheit unseres Daseins ist als eine Illusion zu sehen. Alles
Leben auf dieser Welt ist durch die Erfahrung des Leids geprägt, das durch die Begierde entsteht.
Der Mensch steht (ähnlich wie im Hinduismus, jedoch ohne das Kastensystem) im Kreislauf der
Wiedergeburten. Sein Leben ist eine Fortsetzung der vorhergegangenen Existenzen.
3. Erlösung, Heil und Jenseits: Erlösung kann durch Überwindung des Leids und durch die Vernichtung
der Lebensbegierde bewirkt werden. Das Heil besteht für den Menschen darin, aus dem Samsara auszuscheiden.
Dies kann durch den achtteiligen Pfad der Wahrheit erreicht werden, den Buddha als einen Mittelweg zwischen
einem regellosen Leben und einer übertriebenen asketischen Anstrengung sieht.
Gier: Wer die "Gier" nicht auslöschen und den achtfältigen Pfad nicht gehen kann, wer nicht zu Erkenntnis
und Erleuchtung gelangt, wird nach seinem Tod wiedergeboren. Wer hingegen durch Meditation die vier edlen
Wahrheiten erkennt und diesen Pfad geht, kann sich selbst erlösen. Er steigt aus dem Kreislauf der
Wiedergeburten aus; am Ende steht das Verlöschen und Aufgehen der Seele (Atman) im Nirvana. Dies ist das
eigentliche Ziel, ein endgültiger Zustand der Leidfreiheit und Begierdelosigkeit, ein Zustand unvorstellbarer Ruhe.
25.3 Leben im Buddhismus:
Ungefähr 100 Jahre nach dem Tod von Buddha beginnen sich drei Hauptströmungen herauszubilden.
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1. Hinayana (Kleines Fahrzeug), aus dessen Tradition heute nur noch die Form des Theravada (Lehre der
Älteren) existiert. Es ist die ursprüngliche Lehre von Buddha, die nur individuell durch Mönche verwirklicht
werden kann. Der Begriff Hinayana wurde und wird von den Anhängern der ihm zugehörigen Schulen
abgelehnt, da er dem Mahayana entstammt. Das Leben im Hinayana ist auf (Selbst-)Erlösung durch den
achtteiligen Pfad ausgerichtet.
Theravada (Lehre der Älteren) ist in Sri Lanka und dem kontinentalen Südostasien (Myanmar, Thailand,
Laos und Kambodscha vorherrschend.
2. Mahayana (Großes Fahrzeug) ist eine jüngere Form, die neben dem traditionellen Heilsweg der Meditation
einen weiteren eröffnet für die, die den mönchischen Weg nicht gehen können. Für sie genügt es, Buddha
zu verehren. Das religiöse Brauchtum mit Gebeten, Opfern und Wallfahrten ist hier reich entfaltet. Die
Anhänger des Mahayana bauen auf göttliche Hilfe. Diese wird ihnen durch den himmlischen Buddha und
durch Bodhisattvas zuteil (diese sind Menschen, die den Pfad zur Erleuchtung gegangen sind, aber
freiwillig noch nicht in das Nirvana eingegangen sind, um anderen den Weg zur Erlösung zu zeigen). Es ist
Brauch, dass alle jungen Männer einmal im Leben (gewöhnlich vor ihrer Heirat) mehrere Monate als
Mönche bzw. Mönchsnovizen die gelbe Toga tragen. Heute sind Richtungen des Mahayana besonders in
Vietnam, Japan, Tibet, Bhutan, Taiwan, der Volksrepublik China und Korea verbreitet, teilweise auch in der
Mongolei und dem asiatischen Osten Russlands.
3. Vajrayana (Das Diamantene Fahrzeug) ist eine Weiterentwicklung des Großen Fahrzeugs in Tibet.
(besonders durch hinduistische Einflüsse). Die Mönche werden Lamas genannt. Üblicherweise gilt auch
der Vajrayana als Teil des großen Fahrzeugs..
25.4 Kult, Feste und Feiern:
Die Kultstätten sind die Stupa und die Pagode als Gebetsort, die Amtsträger sind die Mönche.
Der Buddhismus gilt als Religion, die eher die religiöse Praxis des einzelnen in den Mittelpunkt stellt.
Buddha und die zahlreichen Bodhisattvas werden mit Gebeten, Gesängen und Hymnen verehrt. Ihre Bilder und
Statuen werden festlich geschmückt und beräuchert. Ebenso wird ihnen geopfert.
Berühmt sind die Gebetsmühlen und -fahnen in allen Größen, Farben und Formen. Ihre ständige
"Betätigung" gibt Zeugnis von der religiösen Grundeinstellung der Buddhisten.
25.5 Buddhismus und Christentum
Obwohl der Buddhismus von seinen Ursprüngen her sich der Gottesfrage nicht stellt, wird er von Seiten
des Christentums mit großer Selbstverständlichkeit zu den Religionen gezählt. Als solche gehört der Buddhismus neben dem Islam - zu den entscheidenden Herausforderungen des heutigen Christentums.
Gründer: Wie im Christentum steht am Anfang eine historische Persönlichkeit, die ihre Bewegung aus der
Herkunftsreligion in eine Weltreligion überführt. Entsprechend sind die beiden Gründergestalten, Jesus und
Buddha, immer wieder verglichen worden. Für den neuzeitlichen Menschen besteht der auffallendste Unterschied
zwischen beiden darin, dass sie zwar beide das Heil aller Menschen zu vermitteln suchen, Jesus das Heil aber im
Hinblick auf den heilschenkenden Gott und das Gottesreich verkündet, während der Buddha ohne Berufung auf
einen Gott den Weg der Befreiung geht und somit den Menschen in der Verfolgung seines Heiles letzten Endes an
sich selbst zurückzuverweisen scheint.
Unterschied im Menschenbild. Im Buddhismus wird die Leidenschaft ausgelöscht, um erleuchtet zu
werden, im Christentum wird die Leidenschaft kultiviert, um die Welt gestalten zu können. Das Ich wird im
Buddhismus ausgelöscht und so erlöst , im Christentum wird das Ich in die göttliche Gemeinschaft
aufgenommen. Es ist unklar, ob sich das Ich im Nirvana an seine Biographien erinnern kann. Im Christentum kann
sich das Ich an die Biographie erinnern.
Zweifellos sind der meditativ- "mystische" Grundzug des Buddhismus, seine Betonung der
Erfahrungskomponente und sein mystagogischer Charakter der wichtigste Impuls dieser Religion, mit dem Christen
und das offizielle Christentum sich in gleicher Weise auseinanderzusetzen haben.
26 Religion als Phänomen, Religionskritik
26.1 Religion - Illusion? Zur Auseinandersetzung mit der Religionskritik
1. Das Faktum der Religionen
Seit wir menschliche Geschichte kennen, kennen wir auch die Spuren von Religionen. Schon steinzeitliche
Kulturen zeigen Religion: Vorstellungen von einem dem Menschen gegenüberstehenden Geheimnis, welches
das Ganze aller Dinge und des menschlichen Lebens trägt. Sie kennen Lebensregeln, die sich aus diesem
Geheimnis ergeben und die unbedingt befolgt werden müssen. Dort, wo wir die Sprache früher Kulturen kennen,
kennen wir auch die Gebete, welche die Menschen dieser Kulturen sprechen.
Und wo wir eine schriftliche Überlieferung haben wie in den großen Hochreligionen, dem Hinduismus, dem
Buddhismus, dem Judentum und Christentum und dem Islam, wissen wir schließlich auch im einzelnen um die
Lehren, welche diese Religionen vortragen. Religionen begleiteten bisher die ganze Menschheitsgeschichte.
Das Wort "Religion" ist ein Abstraktum, das aus der Vielheit der Religionen gebildet ist und deren
Gemeinsames wiederzugeben versucht, nämlich dass der Mensch in den Religionen auf ein Geheimnis, das
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größer ist als er, besonders achtet (relegere) oder dass er sich an dieses Geheimnis bindet oder sich gebunden
sieht (religari) oder dass er dieses Geheimnis bewusst erwählt wiedererwählt oder selber erwählt wird. (reeligere).
2. Die Erklärungsversuche und die Religionskritik
Es gibt drei Hauptrichtungen der Erklärung von Religion
1. Religion ist vernünftig und sie gehört zu den Grundvollzügen, auf die der Mensch nicht verzichten kann, ohne
Schaden an seinem Menschsein zu nehmen. Jede Religion ist gut, nur die Menschen missbrauchen sie
bisweilen zur Machtausübung.
2. Religion ist Grundvollzug, der sich in der Geschichte bewähren muss. Es gibt vernünftige und heilsame
religiöse Traditionen, die sich massiv von unvernünftigen, krankmachenden, gewalttätigen und tödlichen
Religionsphänomen unterscheiden. Auch innerhalb der großen Weltreligionen ist dies zu bemerken.
3. Religion ist auf Illusionen zurückzuführen, mit denen der Mensch sich selbst betrügt. Damit wir Menschen
hoffen können, erschaffen wir uns göttliche Wesen oder göttliche Mechanismen.
Geschichte der Religionskritik:
Naturwissenschaftliche Erklärung:
a. John Toland (1670–1722): Ende des 17. Jahrhunderts forderte er, das Christentum müsse ein
"Christentum ohne Geheimnis" sein. Die Religionen sind Erscheinungen der Natur. Diese kann man alle erklären.
Religionen kann man auf angebbare und von der Vernunft durchschaubare Ursachen zurückführen. Toland führte
das Interesse der Verwalter der "religiösen Geheimnisse" an ihrem eigenen Lebensunterhalt zurück. Die Priester
ziehen aus dem Glauben der Menschen Nutzen (Priestertrugstheorie).
b. Ludwig Feuerbach: Auf einem denkerisch sehr viel höheren Niveau hat im 19. Jahrhundert Ludwig
Feuerbach (1804-1872) Religion auf eine konkrete Ursache zurückzuführen versucht. Die Ursache für die
Entstehung von Religion ist nach Feuerbach nämlich niemand anderer als der Mensch, der nach sich selber sucht.
Projektion: Der Mensch sucht nach erfülltem, freiem Menschsein. Und deshalb macht er sich von sich
selbst ein Bild, das er dann freilich in den Himmel projiziert und Gott nennt. Das Eigentümliche des Menschen
besteht darin, dass er in der Sehnsucht nach immer vollkommenerem Menschsein über sich hinausgehen kann. So
aber kommt er schließlich zu der Vorstellung eines "vollkommensten Wesens", das er Gott nennt.
c. Karl Marx (1818-1883) hat die Thesen Feuerbachs einerseits übernommen, andererseits aber in einen
konkreteren Zusammenhang eingebracht, nämlich den der ökonomischen Entfremdung.
Ursachen des Machens von Religion: Auch nach Marx muss das Entstehen von Religion auf den
Menschen selbst zurückgeführt werden. Niemand anderer als der Mensch macht die Religionen. Aber dieses
Machen selbst hat noch einmal eine bestimmte Ursache. Es geschieht nicht willkürlich. Sondern diese Spaltung, in
welcher der Mensch sich dadurch mit sich selbst entzweit, dass er sich einen Gott setzt, von dem er sich abhängig
macht, dieses "religiöse Elend" kann nach Marx auf bestimmte Ursachen zurückgeführt werden.
Ökonomische Ursachen: Die Entfremdung des Menschen von sich selbst, hat als Ursache, dass der
Mensch mit den anderen Menschen in der Ökonomie nicht einig ist.
Das ist der Sinn der bekannten Sätze: "Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends
und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das
Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." (Einleitung zur
Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Marx/Engels-Werke, Bd. 1, 378ff)
Religion ist Ausdruck des ökonomischen Elends und zugleich Protest dagegen. Opium gebraucht, wer
sich trösten will. Die marxistische Religionskritik zielt auch darauf, diese falschen Zustände, deren Ausdruck
vermeintlich die Religion ist, zu ändern. Ungehindert Mensch sein kann der Mensch nur in Gemeinschaft mit den
anderen Menschen, als gesellschaftliches Wesen. Derart versteht sich der atheistische Marxismus ursprünglich als
Humanismus.
Die Probleme ergeben sich durch die monokausale (nur eine Ursache) Erklärung. Sie führt zur Ideologie
und zum Dogmatismus und zur politischen Religion mit diktatorischer Macht.
d. Friedrich Nietzsche (1844-1900): Für ihn macht der Mensch sich selbst einen Gott. Aber in dem Augenblick, in
dem er dies durchschaut, macht er Gott als das ihm gegenüberstehende Geheimnis zunichte. "Gott ist tot ... und
wir haben ihn getötet!" (Die fröhliche Wissenschaft, Nr. 125). Damit durchschaut der Mensch die Tatsache, dass er
selbst ja in seinem Denken die Größe "Gott" ausdenken kann. Das von mir Ausgedachte ist aber nur "mein
Ausgedachtes"; also kein von mir getrenntes Anderes mir gegenüber. Nietzsche kreist um seine Existenz und will
das Andere nicht denken. In seinem Gedicht „Dem unbekannten Gott“ und im 4. Teil von „Also sprach Zarathustra“
beschreibt er einen lebendigen Gott: „Ich will dich kennen, selbst dir dienen.“
e. Sigmund Freud: Er nennt Religion eine Illusion. Nach Freud, der als Arzt die Methode der Psychoanalyse
begründete, bildet der Mensch eine psychische Größe ausbilde aus, die er das "Über-Ich" nannte. Diese Größe ist
nötig, damit der Mensch nicht im Chaos seiner Triebe versinkt und damit es menschliche Kultur gibt. Ein Teil dieses
Über-Ichs sei Gott. Dadurch reduziert er Gott. Für Judentum und Christentum ist Gott das wirkliche Gegenüber,
der lebendige Gott, der sich mir gegenüber überraschend in der Welt als der "ganz Andere" erweist.
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26.2 Phänomen Religion: Auseinandersetzung mit dem Absoluten
Worum geht es in der Religion? In der Religion geht es
 um die Auseinandersetzung mit den großen Mächten in den „Naturreligionen“. Es ist dies der Tod, die Gewalt,
die Menschengruppe als Masse, die Krankheit, die Sexualität, die Zeugung und die Geburt und die
Naturgewalten.
 Es geht aber auch um den Sinnhorizont des ganzen Lebens und des Universums, um das Heilige und um
 die Offenbarung der Götter, des Göttlichen oder des einen Gottes. Dabei geht es auch um Inkarnationen des
Göttlichen, um die Menschwerdung von Gott.
1. Der Bereich Naturreligionen, die Auseinandersetzung mit den großen Mächten wurde immer weniger
wichtig. Durch Naturwissenschaften, staatliche und gesellschaftliche Institutionen konnten viele dieser Mächte
eingedämmt werden. Der Tod wurde durch Medizin hinausgeschoben, viele Krankheiten verloren ihre Schwere,
die Gewalt wurde den Gerichten übergeben, die Sexualität bekam Regeln und Hilfsmittel und wurde von der
Zeugung getrennt, die kollektiven Massenausbrüche können durch Polizei eingeschränkt werden, die
Naturgewalten können nicht alle kontrolliert, aber immer besser beobachtet werden. Die großen Mächte sind keine
Götter mehr. Das waren sie im Judentum und im Christentum nie. Diese Mächte waren immer von Gott
geschaffen.
2. Die Entstehung der Opferreligionen beschreibt die mimetische (nachahmend) Theorie: Die Gewalt
unter Menschen ist nicht so leicht kontrollierbar. Die Opferreligionen können durch eine Ausstoßung eines
Mitgliedes entstanden sein. Menschen sind untereinander Rivalen im Begehren dessen, was der andere begehrt.
Wenn es zu einem Streit und zu einem Gewaltausbruch kommt, kann sich die ganze Gruppe anschließen und
einen aus ihrer Gruppe ausstoßen. Ähnlich wie bei Mobbing oder in Bullingsituationen wirkt hier der
Sündenbockmechanismus. Die Gruppe der Verfolger erlebt intern das Ende der Rivalität und einen interne
Frieden, weil sich alle einmütig auf das Opfer stürzen. Die Situation von „Jeder gegen jeden“ ändert sich
schlagartig zu einer Situation, in der „Alle gegen einen“ kämpfen. Der Ausgestoßene wird so zum Friedensbringer
und die Mythen erzählen, wie dieser Held den Menschen den Frieden bringt. In der Gesellschaft möchte man
diese Situation erhalten, um nicht wieder in die Phase der Rivalität und der Gewalt zurückfällt. Es werden
Vorbereitungen getroffen, diese Ausstoßung im Ritus zu wiederholen. Es kommt zu Menschenopfer, später zu
Tieropfer und Pflanzenopfer. Diese Opferkulturen benötigen Priester, die die Opfer vollziehen, Gelehrte, die die
Mythen und Regeln bewahren und Organisationen, die die Opfer beistellen. Die Gesellschaft bekommt eine
Ordnung durch diese gemeinsamen Projekte. Eine zweite Vorsorge, damit die Gewalt in der Gesellschaft nicht
mehr ausbricht, sind die Reinheitsvorschriften. Sie verhindern, dass die Gewalt nachgeahmt wird und sind
Gewaltvermeidungsvorschriften Träger der Gewalt, wie Blutende, Tote, Leichen, Krieger, Henker und Ärzte
sollen, wenn möglich nicht berührt werden oder sollen sich einem Reinigungsritus (z.B. Bad oder Opfer)
unterziehen. Diese Regeln können immer weiter ausgedehnt werden.
3. Der Sinn und das Heilige: Angesichts des Wissens und Könnens der Moderne bleiben für den
Menschen zwei wesentliche Fragen übrig, die noch nicht beantwortet wären, selbst gesetzt den Fall, dass wir alles
Wissbare wüssten und damit alles Mögliche könnten.
a. Gut und Böse: Die eine Frage heißt: Was sollen wir mit dem, was wir können, aber nun wirklich tun? Wie sollen
wir die Macht, die wir haben, einsetzen? Die Wissenschaften geben durch die Erforschung der Grund-FolgeZusammenhänge dem Menschen Spielmöglichkeiten an die Hand.
Das Gute: Wir müssen es so tun, dass wir damit dem gerecht werden, was angesichts der anderen
Menschen und angesichts unserer selbst wirklich gut ist. Die philosophische Überlieferung hat dies das
"schlechthin Gute" genannt. Wir sehnen uns als Menschen in unserem Handeln immer schon danach, gut zu
handeln, ja, ganz gut zu handeln.
Dies aber zeigt, dass wir schon in einem Verhältnis stehen zu einem uns gegenüber schlechthin Größeren
und insofern "ganz Anderen", das uns gleichwohl unbedingt angeht.
Das Gute- eine Illusion? Ist aber dies, wozu wir uns da im Verhältnis finden, eine Illusion? Wäre dies eine
Illusion, machten wir uns da nur selbst etwas vor, dann machten wir uns auch etwas vor, wenn wir von einem
Unterschied zwischen Gut und Böse reden. Denn diesen Unterschied gäbe es dann in Wirklichkeit nicht.
Ist Böses tun egal? Dann wäre alles, was Menschen tun, gleich gültig und insofern recht. Dann wäre z.B.
an der Ermordung von Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg nichts auszusetzen. Wer die Macht dazu hatte, hätte
dies auch tun dürfen. Dies anzunehmen sträubt sich aber jeder Mensch. Und zwar deshalb, weil die Frage "Was
darf ich wirklich tun?", "Was ist gut und was ist nicht gut (böse)?" eine für alle Menschen grundlegende Frage ist.
Gäbe es aber das letztlich über Gut und Böse Entscheidende nicht, so existierte für den Menschen auch die
Frage nach Gut und Böse nicht.
Überlebensnotwendig: Weil aber die Frage nach Gut und Böse, die über alle einzelnen Menschen
hinausgeht, eine überaus reale Frage ist, ist auch die Aufmerksamkeit auf das "schlechthin Gute" keineswegs eine
Illusion. Sie ist vielmehr von größter Wirklichkeitsbedeutung für den einzelnen Menschen und für die
Menschengemeinschaft. Denn ob morgen z.B. der Planet Erde ein von Menschen verwüsteter Himmelskörper ist,
auf dem kein Leben mehr gedeiht, oder eine bewohnbare Erde, auf der Menschen in Frieden miteinander leben,
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hängt daran, ob Menschen jene Aufmerksamkeit für das über den Machtwillen des einzelnen hinausgehende Gute
finden.
Unbedingt Gutes: Wenn wir freilich derart von dem "unbedingt Guten" reden, reden wir anders, als wenn
wir von Dingen reden, die wir sonst wahrnehmen: von Häusern, Bergen oder auch Gesetzen der Physik. Solche
Dinge können wir in die Hand bekommen. Was wir jedoch mit dem Wort "das unbedingt Gute" nennen, ist das, von
dem wir wünschen, dass es all unser Sinnen und Trachten, unser Wollen und Handeln leiten möge. Als solches
übersteigt es aber unser verfügendes Wissen und zeigt sich dem Denken lediglich an "als das Vorausgehende und
Vorauszusetzende jeglicher Erfahrung“. Dies ist das, was Menschen Gott nennen.
Gott kann uns in solchen Erfahrungen berühren. Er offenbart sich und zeigt sich. Man muss sich von
dieser Erfahrung des Guten freilich als man selbst berühren lassen. "Gott kannst du nicht mit einem Andern reden
hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist." (Ludwig Wittgenstein)
b. Das Ganze des Kosmos: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Diese Frage ist keine
wissenschaftliche Frage, wenn immer unter Wissenschaft bloß die Rückführung eines endlichen Faktums auf ein
anderes endliches Faktum verstanden wird. Aber es ist eine menschliche Frage. Und man wird zunächst einmal
sehen müssen, dass es menschlicher ist, diese Frage zu stellen als sie zu verdrängen.
Sinnfrage: Die Frage nach dem Grund von allem, die zugleich die Frage nach dem Sinn von allem ist, ist
keine Frage wie andere Fragen. Sie stellt sich vielmehr dem Menschen als letzte Frage. Und sich dieser Frage zu
stellen gehört zur Menschlichkeit des Menschen, der bereit ist, vor keiner Frage, die sich ihm stellt, die Augen zu
verschließen. Es ist nicht gleichgültig, ob der Mensch diese Frage stellt. Vielmehr wird er in einer wahreren Weise
Mensch, wenn er diese Frage stellt.
Antworten: Aber kann der Mensch diese Frage beantworten? Er kann darauf aufmerksam sein, dass ihn
in dieser Frage etwas berührt, was ihn wirklich angeht und dem er sich stellen muss.
Wahrer: Diese Aufmerksamkeit können wir Religion in einem weitesten und grundlegendsten Sinne
nennen. Religion macht dann den Menschen auf seine Grenzen aufmerksam. Sie macht ihn auch darauf
aufmerksam, dass der Kosmos keineswegs das Selbstverständliche ist. Beides aber macht menschliches
Dasein wahrer. Es gibt dem Menschen Distanz zu sich selbst. Es lässt den Menschen sich selbst und die Dinge
als Gabe und Geschenk annehmen.
Geschöpf: Der Mensch wird darauf aufmerksam, dass er in einem letzten Sinne keineswegs Schöpfer
seiner selbst ist. Er ist zuerst Geschöpf und in einem zweiten Sinn Mitschöpfer Gottes. Gerade deshalb ist er
einem Anderen gegenüber für sich und die menschliche Geschichte verantwortlich.
Dieses vor allem Einzelwissen liegende Wissen, dass alles gegeben ist, hat nichts von einer Illusion an
sich, es ist vielmehr wahres Wissen. Es ist das Wissen um eine, ja um die menschliche Grundbefindlichkeit. Aus
diesem Wissen heraus, welches das Wissen um unhintergehbare Wahrheit ist, wird es dann aber möglich, für den
Menschen überaus gefährliche Illusionen zu durchschauen, z.B. die Illusion der Errichtung einer grenzenlosen
Macht oder die Illusion des grenzenlosen Wachstums.
Religion ist Kritik: Religion, sofern sie ein gelebtes "seiner und der Welt Grenzen Eingedenksein" ist, wird
so zu einer Gegeninstanz zu sehr tiefliegenden menschlichen Illusionen und Verblendungen.
Die mögliche Perversion von Religion
Wir können von den verschiedenen Formen der Religionskritik allerdings lernen, dass es in den konkreten
geschichtlichen Religionen Verfallsformen geben kann. Angesichts der konkreten Geschichte der Religionen kann
man nicht leugnen, dass Religionen zu einem bloßen Machwerk von Menschen verfallen können. Menschen
versklaven sich dann an ein solches Machwerk oder benutzen es für bestimmte Zwecke.
Götzen: Weil es Gott gibt, können Menschen sich auch Götzen (falsche Götter) machen. Konkrete
Religionen können zu bloßen politischen Machtstrukturen entarten. Oder Menschen können versuchen, das ihnen
gegenüber ganz Andere, das sie an ihr Gegebensein und ihre Verantwortung gemahnt, durch magische
Manipulation in die Hand zu bekommen.
4. Offenbarung: Das Christentum beruht auf einem Faktum. Es beruht nicht darauf, dass sich Menschen
etwas ausdachten. Sondern es geht darauf zurück, dass in der Geschichte durch konkrete Menschen und an ihnen
etwas geschah, in dem sich mehr als nur Menschliches, nämlich Göttliches zeigte. Dies geschah freilich nicht so,
dass Menschen gezwungen würden, auf das, was sich da zeigte, einzugehen.
Anspruch Gottes: Sondern das, was geschichtlich in Jesus Christus geschah, zeigte sich als Anspruch
an die Menschen. Wenn jemand dann darauf in Freiheit eingeht, ist das glauben.
Erfahrungen machen. Glauben heißt, für das eigene Leben ein Geschenk annehmen. Glauben heißt, auf
Grund der Erfahrungen, die uns durch Jesus Christus und sein Zeugnis gegeben sind, zu einem neuen Leben
finden.
Christentum und christlicher Glaube sind keine selbstgemachte Religion, sondern die Folge der
Offenbarung Gottes.
Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen! (Don Bosco)
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