Vernunft und Glaube

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Vernunft und Glaube
Eröffnungsgottesdienst des akademischen Studienjahres 2006/07
Gott hätte uns in seiner absoluten Allmacht und souveränen Freiheit als größtes
Gebot geben können, ihn zu hassen, anstatt ihn zu lieben, so Wilhelm Ockham im
14. Jh. Und er hätte auch in einem Stück Eisen oder in einem Esel zur Welt kommen
können. Natürlich sind das Spielereien, aber es geht doch um die grundlegende
Frage: Wie verhalten sich Freiheit und Vernunft, wie verhalten sich Macht und
Rationalität zueinander? Abgewandelt könnte man das auch weiter führen: wie
verhalten sich Macht und Wissenschaft, Politik und Universität zueinander? Oder:
wie vernünftig sind die herrschenden Meinungen, auch wie vernünftig muss Religion
sein? Oder ist ein willkürlicher und auch gewalttätiger Gott der, über den hinaus
nichts Höheres gedacht werden kann?
Macht und Vernunft: Das stellt die Frage nach den dominanten Ideen, nach den
herrschenden Meinungen in den Feuilletons, nach der Hoheit über die Stammtische,
nach der Macht der Überschriften. Es gibt die Hegemonie von Ideen, eine
Kolonisierung des Bewusstseins, so, dass die Seelen verhext werden, das
Miteinander langfristig vergiftet, dass auf Sinn verzichtet wird. Macht und Vernunft:
diese Frage ist zu stellen an das Gefüge von Politik, Wissenschaft, Medien, Ethik,
Ökonomie. Es geht um die Reichweite von Theorien, um Ansprüche von
Leitwissenschaften. Wem wird die Definitionsgewalt über den Beginn und das Ende
des Lebens zugeschrieben oder wer reißt sie an sich? Welche Wissenschaft hat die
Entscheidung darüber, was der Mensch ist, welches Leben lebenswert ist und
welches nicht? Die Versuchung, den rechten Menschen zu konstruieren, die
Versuchung, mit Menschen zu experimentieren, die Versuchung Menschen als Müll
anzusehen und zu beseitigen, ist kein Hirngespinst fortschrittsfeindlicher Moralisten.
Gibt es von der Evolution her eine Gerechtigkeit für die Opfer der Geschichte, eine
Gerechtigkeit für die Toten? Welche Regeln braucht der Markt, damit die Wirtschaft
dem Menschen dient, damit der Mensch nicht auf einen Produktionsfaktor reduziert
wird?
Und bei der Bildungspolitik, bei den Debatten um die Universität? Ziele von
Bildungsreformen sind es, die Menschen beschäftigungsfähig zu machen, im
internationalen Wettbewerb zu bestehen. Zielvorstellungen gehen auch in die
Richtung, Bildung muss ökonomisch, muss effizienter werden. Manche träumen auch
davon, dass Bildung ein Sektor ist, in dem man auch fette Gewinne machen kann,
also Privatisierung von Bildung. Es geht darum den Wettbewerb zu stimulieren.
Gegen den Wettbewerb in unserer Gesellschaft darf man fast nichts mehr sagen.
Wettbewerb ist so wie in anderen Zeiten die höchste religiöse Instanz und gegen
Wettbewerb etwas zu sagen ist sozusagen säkulare Gotteslästerung. Ist für
Bildungsprozesse, für Prozesse des Wissenserwerbs und der Wissensproduktion
wirklich der Wettbewerb die geeignete Stimulans?
Gott ist Logos, so haben wir im Evangelium gehört: Es ist nicht nur griechisch zu
glauben, dass vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist. Den ersten
Vers der Genesis abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit
dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Gott handelt mit Logos. Logos ist
Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen
kann, aber eben als Vernunft. Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so
sagt uns der Evangelist.
Vernunft und Religion fordern sich wechselseitig kritisch heraus. Es gibt Pathologien
in der Religion gibt, die höchst gefährlich sind und die es nötig machen, das göttliche
Licht der Vernunft sozusagen als ein Kontrollorgan anzusehen, von dem her sich
Religion immer wieder neu reinigen und ordnen lassen muss. So steht die
Verbreitung des Glaubens durch Gewalt im Widerspruch zum Wesen Gottes und
zum Wesen der Seele steht. Wenn man so etwas wie die völlige Willkür Gottes
vertritt, tut sich ‚ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten
Formverwirklichung von Religion auf.
Es gibt auch mögliche Pathologien der Vernunft, mit der eine seltener bewusste,
gefährliche Hybris einhergeht. Das Streben nach mathematischer Strenge, logischer
Exaktheit und theoretischer Gewissheit ist ein Weg, der zu glänzenden technischen
Erfolgen und zu den schlimmsten menschlichen Versagen geführt hat. Heute wie vor
300 Jahren garantiert kein technisches System oder Verfahren, dass es
menschenwürdig
angewandt
wird.
Es
ist
eine
Sache,
ein
Werkzeug
zu
vervollkommnen, und eine ganz andere, dafür zu sorgen, dass es auf gerechte,
moralisch vertretbare und rationale Weise verwendet wird. Werden menschliche
Freiheit und Ethik, werden zwischenmenschliche Begegnung und Gespräch in
Wissenschaft und Bildung ausgeblendet, dann führt das in die Isolation. Mit Zahlen
lässt sich kein Friede schließen. Logik und Mathematik können Totes festhalten,
nicht aber Lebendiges verstehen. Was ist mit dem Gesicht, mit dem Antlitz? Was mit
der Zärtlichkeit und mit dem Eros, was mit der Schönheit, was mit dem Beten? Sind
Zahlen arbeitslos? Haben Statistiken Probleme? Sterben Zahlen an Krankheiten?
Und: Wer hat welches Wissen? Wem gehört dieses Wissen? Wie sieht Demokratie
aus in der Wissensgesellschaft - und wie Gerechtigkeit?
Vernunft und Glauben, Vernunft und Religion sind „zu gegenseitiger Reinigung und
Heilung berufen“ (Benedikt XVI.) Sie brauchen sich gegenseitig und müssen das
gegenseitig anerkennen. Es ist die Aufgabe der Vernunft und der Politik,
ökonomische und auch wissenschaftliche Macht unter das Maß des Rechtes und der
Gerechtigkeit zu stellen und so ihren sinnvollen Gebrauch zu ordnen. Wir sollten
unterscheiden zwischen Verfügungs- und Orientierungswissen. Bloß technisches
Verfügungswissen ist kein guter Ratgeber für Orientierungsfragen etwa danach, was
Liebe bedeutet. Denn wenn wir zwei Menschen, die sich lieben, verstehen wollen,
wenn wir uns für die Wirklichkeit ihrer Beziehung interessieren, dann eröffnet der
Weg aus vergleichbaren Erfahrungen uns einen besseren Zugang als die bloße
Analyse der Botenstoffe im Gehirn.
Bildung ist mehr als sich Verhaltensweisen, Kompetenzen anzueignen. Bildung meint
eine Form der Selbstentfaltung und Weltorientierung. Im Bildungsprozess geht es
letztlich darum, dass der Geist des Menschen sich selber verständlicher wäre. Ein 2.
Aspekt von Bildung ist es nach Humbold, dass wir im Handeln freier werden. Bildung
ist nicht Wissen zu erwerben, um abgerichtet oder gar dressiert zu sein. Bildung soll
uns befähigen im handeln freier zu werden von Vorurteilen und dergleichen mehr,
von
den
uns
auferlegten
Zwängen.
Verantwortungsbewusstsein
und
Beziehungsfähigkeit
Weltoffenheit
und
Engagement,
sind
Achtsamkeit,
gelebte
soziales
Solidarität,
grundlegende
vielfältige
Ziele
einer
Persönlichkeitsbildung. Letztlich bleibt jedes Verständnis von Bildung halbiert und
eindimensional, wenn der Mensch nicht als Bild Gottes und Bildung nicht als
Hinführung und Begleitung in der Entfaltung der Gottebenbildlichkeit eines jeden
verstanden wird. Habermas erinnerte daran, dass Glaube nicht notwendig zum
Fürchten
ist,
sondern
zur
Selbstkontrolle
einer
diesseitig-demokratischen
Bürgerschaft hilfreich, wenn nicht unentbehrlich. In religiösen Überlieferungen wie
dem Motiv der Gottebenbildlichkeit des Menschen liegen Einsichten, die auch eine
weltliche Gesellschaft nur zu ihrem Schaden vernachlässigen kann. Und: Bildung im
Sinne der Entfaltung von Gottebenbildlichkeit kann uns helfen, das Analphabetentum
in der Sprache des Gebetes zu überwinden.
„Mit den Gebeten beginnen, heißt ja nicht etwa, mit dem Glauben beginnen. Die
Sprache der Gebete ist viel umfassender als die Sprache des Glaubens; in ihr kann
man auch sagen, dass man nicht glaubt. Sie ist die seltsamste und doch verbreitetste
Sprache der Menschenkinder, eine Sprache, die keinen Namen hätte, wenn es das
Wort ‚Gebet’ nicht gäbe.“ (Johann Baptist Metz) Es ist alles andere als irrational,
wenn wir dieses akademische Studienjahr mit einem Gottesdienst, mit einem Gebet
beginnen.
Jesuitenkirche, 8. Oktober 2006
Manfred Scheuer
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