Politische_Bildung_in_OEsterreich

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Entwicklung der Politischen Bildung in Österreich:
Vor 1945
Nach Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts gab es verstärkte Bemühungen um staatsbürgerliche Erziehung, die zur
Kräftigung des dynastischen und patriotischen Gefühls führen sollte. In der Zwischenkriegszeit sollte eine Demokratisierung
der Gesinnung, Bodenständigkeit, Nationalerziehung und Pflichterfüllung gelehrt werden. Forciert wurde in Geschichte und
Bürgerkunde eine staatsbürgerliche Erziehung zu „kräftigem nationalem Denken und Fühlen". Zur Zeit des Austrofaschismus
wurde die politische Bildung in den Dienst des neuen autoritären Regierungskurses gestellt. Um die Jugend zu überzeugten
Österreichern zu erziehen, sollte sie zu sittlich-religiösem, vaterländisch-sozialem und volkstreuem Fühlen, Denken und
Handeln angeleitet werden.
Der Nationalsozialismus instrumentalisierte die Schule im Sinne der eigenen totalitären Ideologie total. Das bedeutete
konkret u. a. Loyalität gegenüber Führer und Vaterland, Selbstaufopferung, Rassenbewusstsein, Einordnung und Gehorsam.
1945 bis 1962
Nach 1945 sah man in Österreich keine Notwendigkeit einer politischen Resozialisierung, da man sich ausschließlich mit der
Opferrolle nationalsozialistischer Aggression identifizierte. Anders als in Deutschland beeinflussten die Besatzungsmächte
die Lehr- und Lerninhalte der österreichischen Schulen nicht, und so sah man keinen Handlungsbedarf für die Einführung
verstärkter Politischer Bildung. Erschwerend für die Politische Bildung kam hinzu, dass bereits vor 1938 politische Lager
Funktionen übernommen hatten, die eigentlich durch eine Zivilgesellschaft wahrgenommen werden sollte, diese
Sozialisationsfunktionen übernahmen die Parteien nach 1945 wieder. So wurden reichhaltige Mittel für politische
Bildungsarbeit von einzelnen Parteien, aber nicht für außerparteiliche Programme bereitgestellt. Es entstand der Eindruck,
dass Politische Bildung in erster Linie von Parteien für Parteizwecke betrieben wird. In gleichem Maße wurde versucht, alle
an der politischen Bildungsarbeit beteiligten Personen einer Partei zuzuordnen.1
Eine Basis für schulische Politische Bildung bildete der Erlass zur staatsbürgerlichen Erziehung von 1949: „Zur Erreichung
eines tiefen Volks- und Kulturbewusstseins wird die österreichische Eigenart im geistigen und wirtschaftlichen Schaffen in
Vergangenheit und Gegenwart nicht nur im Heimatkundeunterricht der Volksschule, sondern in allen dazu geeigneten
Lehrfächern aller Schulstufen und Schultypen herauszuarbeiten und die Bindungen und vielfältigen Beziehungen
österreichischen Kulturschaffens mit dem aller anderen Kulturnationen werden immer wieder aufzuzeigen sein.“2
1962
Der sogenannte Zielparagraph des Schulorganisationsgesetzes legte schließlich 1962 fest: „Die österreichische Schule hat die
Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den
Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden
Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und
Können auszustatten und zum selbständigen Bildungserwerb zu erziehen. Die jungen Menschen sollen zu gesunden,
arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewußten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und
bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis
geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und
Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen
Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.“3
Die 70er Jahre
In den 70iger Jahren wurden von den Parteien Parteiakademien gegründet, deren Politische Bildung als SPÖ-, ÖVP-, FPÖ-,
oder Grüne- Bildung relativ hohe Akzeptanz fanden. Allerdings wurde wieder von Parteien für Parteizwecke Bildung
betrieben. Die Regierung des SPÖ-Bundeskanzlers Dr. Bruno Kreisky (1970-1983) war durch eine Reformterminologie
gekennzeichnet. Er integrierte die 68iger „Linke“ in die Sozialdemokratie und der Verdacht wurde laut, dass die
Alleinregierung der SPÖ die politische Bildung ideologisierte. Die Kritik in der SPÖ am Wechsel der Parteiangehörigkeit der
UnterrichtsministerInnen nach 1995 zeigte, dass dieser Vorwurf nicht ganz unberechtigt war. 4
Um einen zeitgerechten Staatsbürgerkundeunterricht in der AHS vermitteln zu können, wurde 1970 die sogenannte
„Arbeitsgemeinschaft Geschichte und Sozialkunde – Geographie und Wirtschaftskunde“ für die 8. Klassen eingeführt. In der
Verordnung hieß es: „Die Vermittlung eingehender Kenntnisse über Aufbau und Ordnung des Staates unter Berücksichtigung
der historischen Wurzeln von Gegenwartsfragen soll zu einem vertieften Verständnis politischer und sozialer Probleme
Österreichs, zu kritischer Urteilsfähigkeit und rational kontrollierten Entscheidungen führen.“5 Mit dem selben
Bundesgesetzblatt wurde auch die unverbindliche Übung „Politische Bildung“ eingeführt, wo die Schüler „...Kenntnisse über
Faktoren und Funktionszusammenhänge der Ordnungen und des Geschehens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
1
Peter Filzmaier, Daniela Ingruber, Politische Bildung in Österreich. Erfahrungen und Perspektiven eines
Evaluationsprozesses, Innsbruck, Wien, München 2001, S 7ff
2
Staatsbürgerliche Erziehung, Sonderdruck des Erlasses vom 6. Juli 1949, Z. 25.575-IV/12/49, aus dem
Verordnungsblatt des Bundesministeriums für Unterricht, 8. Stück, 1. August 1949, S 1
3
Felix Jonak, Leo Kövesi, Das österreichische Schulrecht, Wien 61996, S 201
4
Peter Filzmaier, Daniela Ingruber, Politische Bildung in Österreich, S 9
5
BGBl. Vom 4. September 1970, Nr. 275
erwerben. Der junge Mensch soll Kriterien gewinnen, um zu kritischer Urteilsfähigkeit und zu rational kontrollierten
Entscheidungen zu gelangen.“6
Der im Unterrichtsministerium angedachte Plan ein Pflichtfach „Politische Bildung“ für die AHS einzuführen scheiterte 1974
an verschiedenen Ängsten. Die Parteien fürchteten einseitige politische Beeinflussung durch jeweils andere Parteien und
Geschichte- und GeographielehrerInnen befürchteten Stundenverluste. Da Veränderungen in wesentlichen Schulfragen vom
Nationalrat mit 2/3 Mehrheit beschlossen werden mussten7, scheiterte dieser Vorstoß.
Schließlich wurde die Idee geboren, einen Erlass zu formulieren und Politische Bildung zum Unterrichtsprinzip zu machen.
Nach langen Diskussionen und Vorarbeiten, die 1975 begannen, wurde der erste Entwurf 1976 einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Wie in den Resümee-Protokollen bei Robert Rada8 nachzulesen ist, zeigte sich auch hier die Angst, die
sowohl Politiker wie Teilnehmer der Schulreformkommission und Interessensvertreter hegten. Es wurde immer wieder
darauf hingewiesen, dass eine Vernünftige Mitte zwischen Anpassung und Emanzipation gefunden werden müsse, dass sie
keiner einseitigen gesellschaftspolitischen Konzeption dienen und nicht indoktrinieren dürfe, sondern Erziehung zur
Lebenswirklichkeit sein müsse.9
Nach weiterer Kritik am Entwurf setzte der damalige Unterrichtsminister Dr. Fred Sinowatz eine Parteienkommission aus je
drei Vertretern der SPÖ und ÖVP und einem Vertreter der FPÖ ein und übertrug ihnen die Aufgabe einer Überarbeitung.
Nach Diskussion der Einwände und Vorschläge der Interessenvertretungen und anderer wurde ein Konsens aller vertretenen
Parteien erreicht und der Erlass von der Parteienkommission und der Abteilung Politische Bildung im Unterrichtsministerium
im November 1977 fertiggestellt. Am 11. April 1978 unterzeichnete Unterrichtsminister Dr. Fred Sinowatz den
Grundsatzerlass, am 1. September 1978 wurde er veröffentlicht. 10
Nach dem Unterrichtsprinzip ist in allen Schultypen und allen Klassen bei passender Gelegenheit Politische Bildung zu
berücksichtigen. Als wesentliche Anliegen werden „die Erziehung zu einem demokratisch-fundierten Österreichbewusstsein,
zu einem gesamteuropäischen Denken und zu einer Weltoffenheit, die von Verständnis für die existenziellen Probleme der
Menschheit getragen ist"11, hervorgehoben. Junge Menschen sollen sich sachlich informieren, ein selbstständiges Urteil
bilden und ihre Interessenlage qualifizieren lernen. „Der Grundsatzerlass geht über die überwiegend auf Institutionen und
Gesetze begrenzte Staatsbürgerkunde weit hinaus, indem zu vermitteln versucht wird, dass eine vitale Demokratie nur dann
Wirklichkeit werden kann, wenn sie von informierten, selbstständig urteilenden und auch entsprechend handelnden
Bürgerinnen konkret gelebt wird.“12
Die 80er und 90er Jahre
Ein weiterer Grund für die Nichteinführung eines eigenständigen Faches lag nach Dachs in den 90iger Jahren nicht mehr so
sehr an der Gefahr der Parteilichkeit sondern an der österreichischen Apathie. Er sagt, apolitische Lehrplanverwalter wären
der politischen Bildungsarbeit abträglicher als subjektive Urteile von Einzellehrpersonen.13
1989 wurde das Wahlpflichtfach „Geschichte und Sozialkunde“ in den Oberstufen der AHS um den Begriff „Politische
Bildung“ ergänzt. Abgesehen davon wurden keine grundlegenden Schritte im Bereich der AHS gesetzt, um der „Politischen
Bildung“ in den Schulen den für eine Demokratie notwendigen Stellenwert einzuräumen. 14
In den 90er-Jahren wurden an den Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen die Lehrpläne der Staatsbürger- und
Rechtskunde in Richtung Politische Bildung verändert.
2001
Bis ins Schuljahr 2000/2001 gab es kein reguläres Fach Politische Bildung in der AHS, es bestand für SchülerInnen lediglich
die Möglichkeit das Wahlpflichtfach „Geschichte - Politische Bildung - Rechtskunde“ oder eine unverbindliche Übung
(sofern budgetäre Ressourcen der jeweiligen Schule dies zuließen) zu wählen. Wenn dieses Thema in den Schulen
angesprochen wurde, so hörte man oft und gerne von GeschichtelehrerInnen, dass eine Änderung nicht nötig sei, da sowieso
alle bemüht seien, Politische Bildung in ihren Unterricht einfließen zu lassen. Einige Schulen begannen schließlich mit
Schulversuchen, wo nach verschiedenen Vorstellungen die beiden Fächer „Politische Bildung“ und „Geschichte und
Sozialkunde“ miteinander verbunden wurden. Auch hier zeigte sich rasch die Angst der betroffenen Lehrpersonen, dass alles
auf eine Stundenkürzung in Geschichte hinauslaufen könnte. Eine weitere sehr häufig geäußerte Sorge war, dass das Fach
Geschichte seinen Stellenwert verlieren könnte und Politologen in die Schulen eindringen würden.
Mit 2001 wurde das Schulorganisationsgesetz an den allgemein bildenden höheren Schulen derart geändert, dass der
Pflichtgegenstand Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung die Gegenstände Geschichte und Sozialkunde (5. und 6.
6
Herbert Dachs, Unterwegs zur politischen Bildung, S 15
BGBl. Vom 24. Juli 1962, Nr. 215
8
Robert Rada, Die Entstehung des Grundsatzerlasses Politische Bildung in den Schulen – ein Jahr danach. Ein
Beispiel politischer Willensbildung im Bereich der österreichischen Verwaltung. Diss. phil., Wien 1980, S
299ff
9
Der gesamte Entstehungsprozess des Grundsatzerlasses mit allen Überarbeitungen und Stellungnahmen ist
nachzulesen bei: Andrea Wolf (Hg.), Der lange Anfang, S 199 - 236
10
Andrea Wolf (Hg.), Der lange Anfang, S 44
11
Herbert Dachs, Heinz Fassmann (Hg.), Politische Bildung, S 10
12
Herbert Dachs, Heinz Fassmann (Hg.), Politische Bildung, S 10
13
Herbert Dachs, Der sieche Prometheus. Österreichs Politische Bildung in den Mühen der Ebene, in:
Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 1/1996, S 5ff
14
Andrea Wolf (Hg.), Der lange Anfang, S 64
7
Klasse) und Geschichte und Politische Bildung (7. und 8. Klasse) zusammenfasst. Gemäß § 6 Abs. 4 des
Schulorganisationsgesetzes können nämlich mehrere Gegenstände zu einem einzigen Gegenstand zusammengefasst werden.
Der Gesamttext der neuen Lehrpläne ist nachzulesen im BGBl. II Nr. 277/2004 v. 8.7.200415
Lehrerbildung
Völlig vergessen hat man auf eine entsprechende Aus- oder Weiterbildung der Lehrer. Es gibt an österreichischen
Universitäten kein reguläres Studium, das mit einem Lehramt für Politische Bildung abschließt. Die Angebote an
Vorlesungen und Übungen im Geschichtestudium sind spärlich und großteils für StudentInnen nicht verpflichtend. In der
Fortbildung hat sich das Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung/IFF mit einigen namhaften Professoren der
Politikwissenschaft dieses Problems angenommen und bot /bietet postgraduale Universitätslehrgänge für Politische Bildung
an. Abgesehen davon gibt es wenig gemeinsame Initiativen, damit Politische Bildung nicht zur Beliebigkeitslehre wird. 16
Stundentafeln:
Volksschule:
Hauptschule:
AHS:
BHS:
15
16
keine eigene Stunde, Umsetzung des Grundsatzerlasses, unterrichtet wird von jeder/m Lehrer/in
keine eigene Stunde, Umsetzung des Grundsatzerlasses, unterrichtet wird von jeder/m Lehrer/in
keine eigene Stunde, Umsetzung des Grundsatzerlasses, aber Geschichte und Politische Bildung in 11.
und 12. Schulstufe integriert und zusammenfasst. (je Schulstufe 2 Wochenstunden), unterrichtet wird von
jeder/m Lehrer/in, in der 11. und 12. Schulstufe besonders von Geschichtelehrer/innen
eigene Stunden, je nach Schultyp zwischen 3 und 4 Wochenstunden in der gesamten Ausbildung,
unterrichtet wird von Juristen
http://www.bmbwk.gv.at/schulen/unterricht/lp/abs/ahs_lehrplaene_oberstufe.xml
Peter Filzmaier, Daniela Ingruber, Politische Bildung in Österreich, S 14
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