3. Institution bei Gehlen und Rolle bei Plessner

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3. Institution bei Gehlen und Rolle bei Plessner
Wie bereits erwähnt ist Gehlen maßgebend für das Institutionenbild im deutschsprachigen
Raum und so kam es, dass wir auch in unserem Seminar auf ihn stießen. Es liegt daher nahe,
dass seine Theorie nun betrachtet wird. [5]
Beginnen wir gleich am Anfang. Der Mensch wird geboren. Wir finden dieses Wesen unfertig
aber auch weltoffen vor, es muss die artgemäßen Bewegungsweisen und
Kommunikationsmittel unter dem Einfluss unzähliger Reizquellen der Außenwelt erst
erlernen, da es instinktarm ist. Somit ist eine bestmögliche Anpassung der Fähigkeiten an die
Umwelt gewährleistet. Diese Weltoffenheit hält stabilisiert durch.
Gehlen sieht hier das Problem des Menschen. Der Mensch ist weltoffen und daher eine
Gefahr für sich selber. Da ihm die Vorgabe des Verhaltens durch Instinkte fehlt ist es
unwahrscheinlich dass er überlebte, gäbe es die Institutionen nicht.[6]
Diese bilden „die Grammatik und Syntax und damit die Ausdrucksformen, in denen sich die
Antriebs- und Instinktverteilungen der Menschen bewegen müssen.“[7] Sie Entlasten uns von
den „Entscheidungszumutungen[...], weil sie habitualisiert sind.“ Erst so wird Möglichkeit
geschaffen zu sublimieren, zu improvisieren oder im vollen Bewusstsein des Risikos ein
geistiges oder moralisches Experiment zu wagen.[8]
Institutionen sind stabilisierende Gewalten, die erlauben, dass man sich auf sich und die
anderen verlassen kann. Denn Dank der Institutionen kann man das Verhalten des Einzelnen
in der Regel ziemlich sicher voraussagen. Außerdem können wir in ihnen erkennen, dass sie
über Zeiträume hinweg existieren und folglich auch weiter überstehen werden.[9] Dank ihnen
können wir also auf die Zukunft gerichtet existieren, können daher handeln.
Sie beugen darüber hinaus Subjektivismus vor, im Sinne einer Ichverhaftetheit einzelner, die
die eigenen Belange für überpersönlich belangvoll halten. Anstatt dessen ermöglichen sie
Persönlichkeit. Persönlichkeit hat, wer innerhalb der eigenen Umstände die Einmaligkeit
darstellt; ergiebig, erfinderisch, fruchtbar wirkt.
[5]Grundlage hierfür sind die Vorträge „Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie“ und
„Mensch und Institutionen“ in:Arnold Gehlen: „Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen“
Rowohlt Verlag GmbH
[6]Man habe sich „die abstrakten Menschen der Anthropologie gegenseitig in Beziehungen tretend zu denken,
sie gegeneinander oder auf die Umstände handeln zu lassen wobei sich aus ihrem gegenseitigen Verhalten heraus
bestimmte Formen oder Regeln niederschlagen und verfestigen würden, sozusagen stereotype Modelle von
Verhaltensfiguren.“ (a.a.O. S.70) Dies drückt den Institutionsbegriff Gehlens treffend aus.
[7]a.a.O., S.62
[8]a.a.O., S.64
[9]Hier möchte ich anmerken, dass ich den Konjunktiv meide und meine Ansichten zu Rolle und Institution
aufschiebe, da ich mich darauf in dem vierten Teil konzentrieren möchte.
Gehlen hat „zwei Weltkriege, drei Revolutionen und vier Staatsformen erlebt“[10] und stellt
in der ersten Hälfte des 20. Jhd. fest, dass wir in einer Zeit leben, in der die Institutionen an
Kraft verlieren. Diese sind Stützen unseres Seins und wir sind dabei sie wegzuschlagen,
indem wir uns immer mehr Freiheit zugestehen. Dadurch primitivisieren wir den Menschen.
Wir treiben ihn aus der Sicherheit der Institution in die Unsicherheit, in das Chaos der Natur.
Wir brauchen eine Kultur, die uns ein gemeinsames, unser Verhalten stabilisierendes Weltbild
schafft.[11] Denn mit den Institutionen sind schließlich auch die gemeinsame Grammatik und
all die positiven, regulierenden und entlastenden Effekte gefährdet. Wir können dann nicht
mehr auf die Zukunft gerichtet handeln, sondern verzweifeln an Jetztbewältigungen.
Ereignisse, wie die die Gehlen erlebt und aufgezählt hat, sind einerseits das Resultat des
Institutionenabbaus und andererseits auch Ursprung neuen Verfalls. Denn Institutionen
werden gesprengt bei „geschichtlichen Katastrophen, bei Revolutionen [...]. Der unmittelbare
Effekt besteht in einer Verunsicherung der betroffenen Personen“, die nun zum Improvisieren
genötigt werden, sich gegen ihren Willen entscheiden müssen.[12] Also nicht auf
Institutionen zurückgreifen können. Der Mensch braucht nach Gehlen folglich strikte
Institutionen um existieren zu können.
Wenden wir uns nun Plessner zu. Wir finden bei ihm ebenfalls Überlegungen zum
extrauterinen Frühjahr und der damit verbundenen Weltoffenheit. Während der Anpassung an
die Umwelt erlernen wir Sprechen und Handeln und somit die Beherrschung des eigenen
Körpers, die steter Kontrolle bedarf, und werden daran gewöhnt uns neben den anderen
Dingen als Ding zu sehen. Wir lernen uns in und mit dem Körper zugleich
zurechtzufinden.[13] Das Innen betrachten wir mittels der exzentrischen Position. Diese kann
über die Toten, den Traum, das Spiegelbild, durch reflektierende Versenkung oder auf
anderen Wegen eingenommen werden. Denn anstatt unser Umfeld als unser Mitfeld
wahrzunehmen, wie es bei den Tieren zu sein scheint, differenzieren wir die Umwelt von
unserem Sein. Wir können Distanz zur Umwelt nehmen und zu uns selbst. Wir können unser
Erleben erleben. Diese exzentrische Position verstärkt wiederum die Verdinglichung.
Dieser Prozess vollzieht sich in einer sozialen Welt, die von anderen bevölkert ist und bereits
von Normen beherrscht wird.
[10]a.a.O., S.73
[11]Meiner Beobachtung nach ist eine deutliche Trennlinie zwischen Kultur und Institution nicht ersichtlich. So
schreibt er „Es sind[...]Recht, das Eigentum, die monogame Familie[...], welche Kultur heißen dürfen. Diese
Institutionen wie das Recht, die monogame Familie, das Eigentum [...]“ a.a.O., S.59
[12]a.a.O., S73
[13]Helmuth Plessner: „Conditio Humana“, opuscula Reihe im Neske Verlag, S.50
„Dass ein jeder ist, aber sich nicht hat; genauer gesagt, sich nur im Umweg über andere und
anderes als ein Jemand hat – so heißt es -, gibt der menschlichen Existenz in Gruppen ihren
institutionellen Charakter..“[14]
Diese Normen geben einen Rollenplan vor, in dem die Menschen aus den vorgegebenen oder
auch vorhandenen Möglichkeiten schöpfen können. Die Menschen sind füreinander unter
anderem durch Namen ansprechbar, sind somit Personen.
Die Person steht bei Plessner für die erste der drei Formen von Rolle. Sie ist ein „mit der
Verkörperung gegebener fundamentaler Zug leibhafter Existenz.“[15] In ihr finden wir die
elementare Rollenhaftigkeit vor, die das Grundverhältnis der Person zu seinem Verband und
zu sich selbst festlegt. Person ist die private Hälfte des Doppelgängertums privat-öffentlich.
Das Individuum befindet sich hier am ehesten in einer Zone der Privatheit, der sozialen
Unberührtheit. Die Normen für die Rolle sind weniger strikt, dennoch vorhanden. Nur wird
die Rolle hier nicht als Maske verstanden, wie es bei der zweiten Form der Fall ist, der Rolle
als theatralischen Begriff. Hierbei handelt es sich um den Fall, in dem der Rollenträger seine
Existenz wechselt, eine Maske aufsetzt. Dies ist nur möglich, da die erste Rolle, die Person als
gesicherte Identität diese Rolle des Jemand trägt. Die Normen fassen hier in strikter Art, da
die Positionen der Rolle für die Gesellschaft von Belang sind und Verstöße die Gesellschaft
stören. Dies ist die öffentliche Hälfte.
Die dritte Form bringt uns Rolle als gesellschaftlichen Funktionsbegriff nahe, dem es nicht
um menschliche Spezifik geht, sondern um die reinen Funktionen, demnach zum Beispiel um
die austauschbaren Leistungen einer Person, statt deren Anlagen und Neigungen. Die Rolle
ist dann Funktion und somit im Vorhinein festgelegt. Der Automechaniker ist dann lediglich
die Funktion, die das Kfz repariert, wie die Rolle des Motors der Antrieb einer Maschine ist.
Die Rollendeutung ist zwar, wie auch andere Strukturen auf alle Gesellschaftsformen
anwendbar, dies jedoch nur unter Vernachlässigung der Selbstdeutung dieser
Gesellschaftsformen. Es gibt folglich mindestens so viele mögliche Deutungen, wie es
mögliche Gesellschaftsformen gibt. Dies einräumend versteht Plessner den Menschen als auf
eine soziale Rolle hin verwiesenes, jedoch nicht durch sie definiertes Wesen. Daher bleibt er
auf der Ebene der Rollendeutung und des dazugehörigen Doppelgängertums privat-öffentlich.
Denn in dieser Deutung hat der Doppelgänger die Möglichkeit zu wählen, ob er das
Reflektieren des Doppelgängertums einstellen, ob er es gar nicht zu der Reflektion kommen
lassen, oder ob er den Versuch eines Gleichgewichtes zwischen öffentlich-privat wagen will.
[14]a.a.O., S.53, als ein zusammenfassendes Zitat, das bisher hergeleitetes gut ausdrückt.
[15]a.a.O., S.56
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