BERATUNG FÜR ELTERN BEI KINDLICHEN VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITEN Vordiplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Fulda Rahmenthema: Beratung vorgelegt von Kerstin Russ Matrikel – Nr. 180302 [email protected] Erstgutachter: Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos Zweitgutachterin: Prof. Dr. Waltraud Hackenberg Fulda, Dezember 2002 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung...................................................................................................... 3 2. Erklärung von Grundbegriffen.................................................................. 5 2.1 Zum Begriff Verhaltensauffälligkeiten ........................................................ 5 2.1.1 Die Feststellung von Verhaltungsauffälligkeiten, Ursachen und Symptome........... 6 2.2 Zum Begriff Beratung .................................................................................. 8 2.2.1 Das Beratungsgespräch................................................................................ 9 2.2.2 Die Erziehungsberatung............................................................................... 10 2.3 Kommunikationspsychologische Grundlagen am Beispiel Rogers und Schulz von Thun........................................................................................... 11 3. Veränderung der Lebenswelt von Kindern als Ursache für Verhaltensauffälligkeiten............................................................................ 3.1 Von der Industriegesellschaft zur „Risikogesellschaft“............................... 3.2 Umweltbelastungen und ihre Auswirkungen................................................ 3.3 Soziale Ungleichheiten................................................................................. 3.4 Einflüsse der heutigen Wohnumwelt............................................................ 3.5 Familiäre Veränderungen............................................................................. 3.6 Außerfamiliäre Institutionen......................................................................... 3.7 Fehlformen in der Erziehung........................................................................ 13 14 14 15 16 16 17 17 4. Methodik des Beratungsverlaufs............................................................... 4.1 Grundsätzliches zur Situation der Eltern...................................................... 4.2 Die Frei(will)igkeit der Erziehungsberatung................................................ 4.3 Der Meldeanlass........................................................................................... 4.4 Der Einstieg in die Beratung........................................................................ 4.4.1 Die Rolle des Kindes.................................................................................. 18 18 20 21 21 22 4.5 Das erste Gespräch....................................................................................... 23 4.5.1Wichtige Informationen............................................................................... 23 4.5.2 Einfühlung gegenüber Distanz...................................................................... 24 4.6 Problemanalyse mit den Eltern.................................................................... 4.7 Diagnose über das Verhalten des Kindes..................................................... 4.8 Gemeinsame Problemdefinition................................................................... 4.9 Die Zielsetzung............................................................................................. 4.10 Die Möglichkeiten der Veränderung durch Therapie................................. 24 25 27 28 29 5. Reflexion und Abschlussbetrachtung ........................................................ 31 6. Literaturverzeichnis 33 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 3 1. Einleitung In meiner alltäglichen Arbeit als Erzieherin in der pädagogischen Praxis mit Schulkindern, beobachte ich immer wieder, das einige Kinder ein Verhalten zeigen, welches verglichen mit anderen Kindern auffallend ist. Denken wir z.B. an ein Kind das ziellos und unmotiviert weg läuft, das Jähzornsausbrüche bekommt, das alles sammelt, vom Apfelkern bis zum Silberpapier, das alles säubert, auch wenn es längst sauber ist, das undifferenziert und ohne Genuss in bedauernswerter Gier verschlingt, das stiehlt, was auch immer ihm gerade in die Quere kommt oder an Kinder, die kaum in die Gruppe zu integrieren sind, das Gruppengeschehen ständig stören und sich an keinerlei Regeln halten. Dies sind nur ein paar Beispiele für auffallendes Verhalten, denn dieses äußert sich sehr unterschiedlich und in sehr differenten Situationen. Diese vermehrten Beobachtungen gaben mir den Anlass mich intensiver mit diesem Themengebiet auseinander zu setzen. Zunächst aber müssen einige Fragen angeschlossen werden. Wie lässt sich auffallendes Verhalten definieren? Woran kann Verhalten gemessen werden? Warum zeigen immer mehr Kinder diese Verhaltensweisen? Ein Zeichen unserer Zeit? In einer nationalen Untersuchung zur Häufigkeit von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Übereinstimmung mit internationalen Studien las ich, dass mindestens jeder zehnte Minderjährige in Deutschland eine psychische Störung aufweist. Hinzu kommt das die Familie, die das eigentliche Zentrum des Geschehens ist, oft für die Probleme der Kinder verantwortlich gemacht wird. Aus diesem Grund sind Eltern auch schnell bereit, biologische Erklärungen für das Fehlverhalten ihrer Kinder zu akzeptieren: Sie fürchten, dass man ihnen die Schuld zuschiebt und sie dann mit dem Problem alleine lässt, das ihrer Ansicht nach längst außer Kontrolle geraten ist. Doch ist die Krise des Kindes in der Familie, nicht nur ein Teil der größeren Krise der Familien in der Gesellschaft? (vgl. Pohl Oktober 2002; in „Psychologie Heute“, S. 46) In der Praxis gestalten sich die Kontaktaufnahmen und Gespräche mit Eltern über die Veränderungen im Verhalten ihrer Kinder oft sehr schwierig. Oftmals fühlen sich Eltern durch die Ansprache persönlich angegriffen und möchten mit keinem Fremden über ihre aktuelle Familiensituation sprechen. Häufig wird der Standpunkt vertreten Familie ist „Privatsache“! Beratung wird z.B. auch wegen einer fehlenden positiven Folgeerwartung abgelehnt. Für mich warf diese Situation folgende Fragen auf: Wie kann man Eltern mit der Problematik vertraut machen? Wie kann ein Gespräch mit Eltern aussehen? Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 4 Um in meiner Arbeit die unterschiedlichen Fragestellungen zu bearbeiten, beginne ich im 1. Kapitel mit der Klärung wichtiger Grundbegriffe, die zur Bearbeitung der Thematik von Bedeutung sind. Im 2. Kapitel möchte ich mich dann, mit der veränderten Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Danach werde ich überleiten in das 4. Kapitel den Hauptteil meiner Arbeit, indem es besonders um das methodische Vorgehen beraterischer Tätigkeit gehen soll. Abschließen möchte ich die Arbeit mit dem 5. Kapitel der Reflexion und Abschlussbetrachtung. Das Gespräch und die Zusammenarbeit mit den Eltern sehe ich als wichtigste Voraussetzung, um eine positive Veränderung der Situation für alle daran Beteiligten zu bewirken. Besonders bedanken möchte ich mich bei der Kinder- und Elternberatungsstelle Lauterbach. Sie unterstützte mich mit einem sehr interessanten Gespräch über ihre Arbeit, und bestätigten damit meine bisherigen Erkenntnisse, dass die Theorie sich der Praxis weitgehend angleicht. „Vielleicht der größte gesellschaftliche Dienst, der dem Land und der Menschheit erwiesen werden kann, ist, Kinder aufzuziehen.“ (George Bernard Shawn) 5 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 2. Erklärung von Grundbegriffen Für die Bearbeitung der Thematik ist es mir zunächst wichtig, in diesem Kapitel die bedeutensten Begriffe zu erläutern und relevante Sichtweisen verschiedener Autoren darzulegen. 2.1 Zum Begriff Verhaltensauffälligkeiten Ist von einer Verhaltensauffälligkeit die Rede, muss man zunächst zwei Arten von Auffälligkeiten unterscheiden. Auf der einen Seite die von einer angeborenen Behinderung stammende Auffälligkeit und auf der anderen Seite eine Auffälligkeit, die im Lauf des Lebens erworben bzw. erlernt worden ist. Mit letzterer Auftrittsform werde ich mich in dieser Arbeit beschäftigen. Nach Schepping spiegeln sich seelische Probleme im Verhalten der Kinder wider. „Kinder, die Schwierigkeiten machen, haben Schwierigkeiten“ (Schepping 1995, S. 9). Genauer kann gesagt werden, das alle Erlebens- und Verhaltensweisen als Verhaltensauffälligkeiten1 zu bezeichnen sind, die über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich von der Norm abweichen, so dass es für den Betroffenen und/oder seine Umgebung zu Einschränkungen im sinnvollen Lebensvollzug kommt und besondere pädagogische bzw. psychologische Maßnahmen erforderlich sind. Diese Abweichungen sind nicht direkt auf organische Ursachen zurück zu führen (vgl. Hobmair 2002, S. 362). Ergänzen lässt sich dies durch Bittners Aussage, das die seelische Störung sozusagen aus zwei Teilen besteht: auf der einen Seite aus einem Mangel, einem Zuwenig und auf der anderen Seite aus einem Zuviel, einer Neubildung, die normalerweise nicht vorgefunden wird. Bei fast allen seelischen Krankheiten wird eine normale Funktion gehemmt und zugleich eine anormale Ersatzfunktion neu gebildet (vgl. Bittner 1996, S. 14). Anstelle des Wortes „Verhaltensauffälligkeit“ werden oft auch andere Begriffe verwendet wie z.B. Verhaltensstörung, soziale Fehlanpassung, Verhaltensbesonderheit, emotionale Störung, Verhaltensschwierigkeit, Verhaltensbeeinträchtigung oder Erziehungsschwierigkeit. Diese Begriffe geben unterschiedliche Sichtweisen wieder (vgl. Hobmair 2001, S. 362). 1 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 6 2.1.1 Die Feststellung von Verhaltensauffälligkeiten, Symptome und Ursachen Bei der Feststellung einer Verhaltensauffälligkeit, spielt die Norm2- und Wertvorstellung3 der Beurteilenden eine wichtige Rolle. Deshalb wird für diese Feststellung der „Normalität“ immer ein Maßstab benötigt, an dem das Erleben und Verhalten eines Individuums gemessen werden kann. Um nun eine Verhaltensauffälligkeit festzustellen wird eine Person also bewertet, beurteilt und verglichen. Normalität meint hierbei die relative Übereinstimmung des Erlebens bzw. Verhaltens mit den Normen des Beurteilers (vgl. Hobmair 2002, S. 363). Es lassen sich drei Arten von Normen unterscheiden: Abb. aus Hobmair 2002, S. 364 Wird eine Auffälligkeit im Verhalten festgestellt, kann dies möglicherweise auch ein Hinweis auf eine unerkannte Wahrnehmungsstörung sein. Um dies zu unterscheiden, ist es sinnvoll, Auffälligkeiten im Verhalten, die länger andauern und sich eher sogar verstärken, ganz gezielt zu beobachten. Weil seelische Leiden oft auch nicht so direkt weh tun, sind die Kriterien für seelische Gesundheit schwer zu fassen und schwanken im Lauf der Geschichte. Heute hat sich das psychiatrische Verständnis von Krankheit weiter entwickelt, denn es war aufgefallen, dass ein Patient möglicherweise von jedem Psychiater eine andere Diagnose gestellt bekam. Als Antwort auf diese Misere wurden von der Weltgesundheitsorganisation und von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft zwei recht ähnliche diagnostische Systeme, 2 Die Norm ist eine mehr oder weniger verbindliche, allgemein geltende Vorschrift für menschliches Verhalten (vgl. Schäfers 2001, S. 255). 3 Werte sind Vorstellungen davon, was eine Gesellschaft für wünschenswert bzw. erstrebenswert hält und bilden allgemeine Orientierungsmaßstäbe für das Verhalten von Menschen in einer Gesellschaft. (vgl. Hobmair 2002, 194). 7 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten das DSM4 und das ICD5 entwickelt. Diese beiden Klassifikationssysteme bedienen sich verschiedener Begrifflichkeiten und nehmen sehr unterschiedliche Einteilungen psychischer Störungen vor (vgl. Bittner 1996, S.23). Der Versuch, psychische Störungen zu klassifizieren, ist komplex und umstritten. Jede Klassifikation steht unter dem Einfluss der jeweiligen Theorie über psychische Probleme, und kein theoretischer Ansatz wird von allen geteilt, die auf dem klinischen Sektor arbeiten. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass irgendein diagnostisches System jemals allgemeine Anerkennung finden wird (vgl. Zimbardo 1995, S.610). Verhaltensauffälligkeiten können in verschiedenen Bereichen und Intensitäten auftreten. Die Bereiche sollten jedoch nicht unabhängig voneinander betrachtet werden: Abb. aus Hobmair 2002, S. 365 Die Ursachen (werden im 3. Kapitel näher beschrieben) für Verhaltensauffälligkeiten sind unterschiedlich, und es ist kaum möglich das nur eine Ursache allein verantwortlich ist. Meist entsteht sie durch ein Zusammenspiel mehrerer Bedingungen. Nicht jedes Kind, bei 4 DSM Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (z. dt. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) näheres dazu siehe Davison/Neale 2002, S. 56 – 66. 8 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten dem solche möglichen Ursachen vorliegen, entwickelt zwangläufig eine Verhaltensauffälligkeit. Um zu erklären, warum eine oder mehrere dieser Ursachen zur Ausbildung einer Verhaltensauffälligkeit führen, müssen die durch die Ursachen ausgelösten Prozesse untersucht werden. Dazu ist man auf die Erklärung von Theorien der Verhaltensentstehung bzw. –änderung6 angewiesen. Ist eine Verhaltensauffälligkeit ein Folgesymptom einer Behinderung spricht man von einer sekundäre Verhaltensauffälligkeit. Ist sie unabhängig von einer Behinderung, spricht man von einer primären Verhaltensauffälligkeit (vgl. Hobmair 2002, S. 366). Sollten Eltern bei ihrem Kind eine Verhaltensauffälligkeit vermuten, können sie sich an eine Erziehungsberatungsstelle wenden. Hier wird im Zusammenarbeit mit Fachleuten festgestellt ob wirklich eine Verhaltensauffälligkeit vorliegt oder ob mögliche andere Ursachen in Frage kommen. 2.2 Zum Begriff Beratung Nach Belardi meint Beratung in ihrer ursprünglichen Form konkrete Ratschläge und Hilfestellungen, in Erziehungsfragen und Lebensentscheidungen. Die Beratung soll den Betroffenen helfen die allgemeinen Problemen der menschlichen Existenz zu meistern. Wenn dies das Nahumfeld nicht mehr meistern kann ist berufsmäßige Beratung angesagt. Im Gegensatz zur Alltagsberatung hat die sozialpädagogische Beratung folgende Merkmale: Professionalität Erreichbarkeit Uneigennützigkeit Nichtverstrickung sowie Vermittlungsmöglichkeiten bezüglich weiterer Hilfsquellen. In den letzten Jahren sind viele Beratungsstellen darum bemüht, die Zugangsbarrieren oder Hemmschwellen möglicher Ratsuchender zu ihnen zu verringern. Diese müssen sich nicht unbedingt anmelden, können auch unverbindlich kommen, und teilweise gehen die Berater auch zu den Betroffenen („Geh-Struktur“). In diesem Falle spricht man von niedrigschwelliger Beratungsarbeit (vgl. Belardi u. a. 2001, S. 37 f). 5 ICD International Classification of Diseases (z. dt. Diagnoseschlüssel und Glossar psychiatrischer Krankheiten) näheres dazu siehe Davison/Neale 2002, S. 66 – 69. 6 Lern- und kognitive Theorien näheres dazu siehe z.B. Hobmair 2002, Kapitel 6 9 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten So ist die Beratung als eine freiwillige, meist kurzfristige, oft nur situative soziale Interaktion7 zu verstehen, die nicht körperlich krankheitsbedingt ist (vgl. Lexikon der Psychologie 2002, Beratung). Dieser Kommunikations- und Interaktionsvorgang, zwischen Berater und Klienten findet in einen dafür vorgesehen Rahmen statt. In diesem Prozess ist der Berater bestrebt, vertraulich die Probleme des Klienten zu verstehen und ihm Anregungen und Hilfen zur Selbsthilfe zu vermitteln. Die Beratung schließt Diagnose, Beschaffung von Informationen, Gesprächsführung zur Sicherung des Verständnisses, Ermutigung und Ratschlag ein. Der Berater weist Gesichtspunkte auf, die für eine Problemlösung wesentlich sind, hilft bei der Definition der Problemlage und orientiert aus seinem Wissen über die zu erwartenden Folgen verschiedener Lösungsmöglichkeiten (vgl. Kaller 2001, S. 57). 2.2.1 Das Beratungsgespräch Ein wichtiges Grundelement der Beratung ist das Beratungsgespräch, es erfordert in seiner Anwendung die Berücksichtigung wesentlicher Voraussetzungen. 1. Vorbedingungen zum Beratungsgespräch, räumliche, organisatorische. 2. Alternative Möglichkeiten der Auswahl zu Formen und Inhalten der Gesprächsführung. 3. Klientenorientierte Techniken des Beraters, unter Berücksichtigung von Bedürfnissen, Motiven, sowie sozialer Herkunft der Ratsuchenden. 4. Zielsetzung des Beratungsgesprächs vor oder während des Dialogs zwischen Berater und Klient unter Aspekten a) der Informationsvermittlung, b) der Hinführung zur Erkenntnis der Problematik mit dem Ziel einer Problemlösung im Alltag, c) Beratung für Integration8 (Reintegration) oder Segregation9 des Klienten in oder aus bestehenden Situationen, Gruppierungen, Handlungssystemen Verhaltensweisen. Zu unterscheiden ist zwischen Inhalt, Form und 7 Soziale Interaktion meint die Beziehungen zwischen Personen und Situationen, die bei den Partnern von sozialer Integration spezifische Reaktionen, Verhaltensweisen, Handlungen sowie Änderungen in Verhaltens- und Handlungsbereitschaften einseitig oder wechselseitig hervorrufen (vgl. Kaller 2001, S. 190f) 8 Integration gilt in der Soziologie als Bezeichnung für soziale Prozesse der Annäherung, Anpassung von Individuen oder sozialen Gruppierungen an Werte, Normen sowie Handlungsstrukturen in einer bislang fremden Alltags- und Lebenswelt (vgl. Kaller 2001, S. 187). 9 Segregation meint das räumliche Abbild sozialer Ungleichheit in einer Gesellschaft (vgl. Schäfers 2001, S. 302). Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 10 wahrnehmbaren Übertragungen von Stimmungen, Gesprächsinhalten und Reaktionsweisen (vgl. Kaller 2001, S. 59). Im weiteren folgt Beratung als professionelle Handlungsform einem systematischen Handlungsablauf, dass aufeinander folgende, miteinander vernetzte Beratungsstufen fordert. Wesentlicher Bestandteil ist dabei: Gesprächseröffnung und Orientierungsphase, Problembearbeitungsprozess bzw. Klärungs- und Veränderungsphase, Gesprächsabschluss bzw. Bewertungs- und Abschlussphase (vgl. Lexikon der Psychologie 2002, Beratung). 2.2.2 Die Erziehungsberatung Der Beginn der institutionelle Erziehungsberatung wird von einigen Autoren auf den Anfang des 20. Jahrhunderts geschätzt. Jedoch waren die Hintergründe und Funktionen noch wenig bekannt. Im Laufe der Zeit wurde die Kindheit als eigenständiger Entwicklungsabschnitt anerkannt und bekam mehr Aufmerksamkeit. Allerdings darf dabei die Zeit des Nationalsozialismus nicht vergessen werden, in der Beratungsstellen eher Selektionsaufgaben hatten und daher mit Namen wie z.B. „Psychopathensprechstunde“ benannt wurden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Erziehungsberatung Teil der amerikanischen Umerziehungsprogramme. Zu Beginn der 50er Jahre hatte dann die WHO die Entwicklung der Erziehungsberatung in den europäischen Ländern zum Thema gemacht. Sie forderten eine Erziehungsberatung mit einem Team von 4-5 Fachkräften für jeweils 45.000 Einwohner. In den Nachkriegsjahren bis in die 80er Jahre hinein erfolgte daraufhin ein enormer Ausbau der institutionelle Erziehungsberatung (vgl. Hundsalz 1995, S. 23). Heute ist sie eine Leistung der Jugendhilfe bzw. eine Hilfe zur Erziehung, die durch den § 27 KJHG definiert wird. Darin heißt es, das die Erziehungsberatung das Ziel hat, die Personensorgeberechtigten in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen, um eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung sicher zu stellen. Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz sollen Erziehungsberatungsstellen (und andere Beratungsdienste) Kinder, Jugendliche und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrundeliegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen (§ 28 KJHG) (vgl. Hundsalz 1995, S. 15) 11 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Durch die Vielfalt von Fragestellungen, wird diese gesetzlich vorgegebene Definition ergänzt und präzisiert, mit denen sich Ratsuchende an Erziehungsberatungsstellen wenden. Dies können sowohl akute Krisen und Probleme als auch dauerhafte Beeinträchtigungen sein z.B. soziale Verhaltensauffälligkeiten (Kontaktschwierigkeiten, Aggressivität, Geschwisterrivalität usw.) (vgl. Hundsalz 1995, S. 15). Zusammenfassend lässt sich die Erziehungsberatung als eine Beratung verstehen, die es zum Ziel hat, durch eine zeitlich begrenzte, professionelle und strukturierte Hilfe, die Lösung eines Problems herbeizuführen. 2.3 Kommunikationspsychologische Grundlagen In diesem Abschnitt möchte ich nur kurz die Grundlagen der Kommunikation ansprechen. Für einen intensiveren Einstieg über verschiedene Kommunikationsmodelle möchte ich auf weiterführende Literatur verweisen10. Hier zitiere ich Schulz von Thun und Rogers. Für mich zählt die Kommunikationspsychologische Grundlage als wichtigstes Handwerkzeug eines Beraters. Da die Kommunikation bzw. die Interaktion zwischen Klient und Berater als das helfende Medium angesehen wird. Denn letztlich ist sie auch das alleinige Medium, über das Beratung wirksam werden kann. Und das bedeutet, dass der Erfolg von Beratung ausschließlich auf Erfahrungen beruht, die Klienten in der Beratungssituation machen und die die Berater hier vermitteln; Erfahrungen, die im günstigen Falle dazu führen, dass die Ratsuchenden mit Problemlagen im Alltag zurecht kommen (vgl. Flügge 1991, S. 17). Kommunikation ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Gespräche finden in vielen Varianten statt, unterscheiden sich nach Zielsetzung und Inhalt aber ganz erheblich. Die Theorien zur Gesprächsführung, die Kommunikation in pädagogischen und helfenden Berufen, sowie den partnerschaftlichen und familiären Bereich usw. betreffen, sind vor allem durch die Überlegungen von Carl Rogers beeinflusst und geprägt worden. Auch gehören die drei wichtigen Elemente der Beratungsbeziehung von Rogers dazu: Einfühlung (Empathie), 10 Als weiterführende Literatur sind z.B. zu nennen: Argyle, M (1979). Körpersprache & Kommunikation. Paderborn: Junfermann. Graumann, C. F. (1972). Interaktion und Kommunikation. In C. F. (Hg.) Sozialpsychologie. Handbuch der Psychologie. Watzlawik, P. (1969). Menschliche Kommunikation. Bern: Huber. Tausch, R. & Tausch, A. (1990). Gesprächspsychotherapie (9. Aufl.). Göttingen : Hogrefe (vgl. Lexikon der Psychologie 2002, Kommunikation). Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 12 Wertschätzung und Echtheit (Kongruenz), die eng miteinander zusammen hängen (vgl. Leupold 1995, S. 23). Bei der Kommunikation geht es um die Übermittlung von Informationen. Die einzelne Informationsübermittlung von einem Sprecher an sein Gegenüber ist die kleinste AnalyseEinheit und lässt sich an folgendem Modell darstellen. Abb. aus Leupold 1995, S. 30 Um den komplizierten Prozess von Kommunikation besser erfassen zu können, hat man versucht, verschiedene Bestandteile einer Botschaft herauszufiltern. So entstand das Modell des „Kommunikationquadrates“. Es besagt, dass jede sprachliche Mitteilung vier Seiten hat. 1. 2. 3. 4. Sachinhalt (oder: Worüber ich informiere) Selbstoffenbarung (oder: Was ich von mir selbst kundgebe) Beziehung (oder: Was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen) Appell (oder: Wozu ich dich veranlassen möchte) (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 26 ff). Abb. aus Schulz von Thun 1998, S. 30 Weiter können Botschaften, explizite oder implizite Nachrichten enthalten. Explizit heißt: ausdrücklich formuliert. Implizit heißt: ohne dass es direkt gesagt wird, steckt es doch drin oder kann zumindest „hineingelegt“ werden. Für implizite Botschaften wird oft der nichtsprachliche Kanal bemüht: Über die Stimme, über Betonung und Aussprache, über begleitende Mimik und Gestik werden teils eigenständige und teils „qualifizierende“11 Botschaften vermittelt (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 33). 11 qualifizierend meint: Die Botschaften geben Hinweise darauf, wie die sprachlichen Anteile der Nachricht „gemeint“ sind. 13 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick 1969; in Schulz von Thun 1998, S. 34). Dieses „Grundgesetz“ der Kommunikation ruft uns in Erinnerung, dass jedes Verhalten Mitteilungscharakter hat (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 34). Eine Nachricht heißt kongruent, wenn alle Signale in die gleiche Richtung weisen, wenn sie in sich stimmig ist. Analog zu den vier Botschaften, die ein Sender mit seiner Äußerung übermittelt, muss der Empfänger die Mitteilung des Senders auf vier verschiedenen Ebenen entschlüsseln. Er muss, bildlich gesprochen, mit vier Ohren hören. 1. 2. 3. 4. Hören mit dem Sach-Ohr Hören mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr Hören mit dem Beziehungs-Ohr Hören mit dem Appell-Ohr (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 44). Aktives Zuhören bedeutet ein Akzeptieren der Sichtweisen und Gefühle des anderen, nicht unbedingt Zustimmung. Fühlt sich der Gesprächspartner angenommen und verstanden und muss sich nicht verteidigen, werden für ihn leichter neue Sichtweisen möglich (vgl. Leupold 1995, S.56). Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass jeder Mensch sich und seine Situation am besten kennt und für sich und sein Handeln selbst verantwortlich ist. Darum sind vom Betroffenen selbst entwickelte Lösungsansätze auch überwiegend angemessener und durchsetzbarer als Vorschläge von außen. 3. Veränderung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen In diesem Kapitel möchte ich die möglichen Ursachen der Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten beschreiben. Es soll um verschiedene Fragestellungen gehen wie z.B.: Womit hängen die aktuellen Schwierigkeiten von Familien zusammen? Auf diese Frage kann man keine allgemein gültige Antwort finden, denn das Bedingungsgefüge von individuellen und familiären Störungen ist äußerst komplex (vgl. Hundsalz 1995 S. 38). Weiter gibt es heute meist kein geschlossenes Bild der Familie mehr, sondern eine Vielfalt gemeinsamer Lebensformen. Deshalb ist für den Berater selbst, auch eine Auseinandersetzung mit den eigenen Werthaltungen mit persönlichen, gesellschaftlichen und familiären Leitbilder erforderlich, da diese den therapeutischen Prozess beeinflussen können. 14 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 3.1 Von der Industriegesellschaft zur „Risikogesellschaft“ „In ihrer Stellungnahme zum 8. Jugendbericht (BMJFFG 1990) hebt die Bundesregierung hervor, dass die Lebensverhältnisse der Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland positiv zu bewerten sind, und stellt fest, ,,... dass der größte Teil von ihnen am wachsenden Wohlstand und an den verbesserten Lebenschancen teilhat „ (S. III). Gleichzeitig muß aber die Bundesregierung einräumen, dass die Situation der Kinder und Jugendlichen heute durch zahlreiche Risiken geprägt ist, die ihr Leben unmittelbar betreffen und stimmt der Kommission zu, ,,... dass trotz gestiegener Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen in unserer Gesellschaft die veränderten Lebensbedingungen auch Risiken und Gefährdungen für sie beinhalten“ (BMJFFG 1990, S. V; in Hundsalz 1995, S. 40). Ich denke das hier als Lebensbedingung, die Veränderungen der klassischen Industriegesellschaft zur Risikogesellschaft gemeint sind. Denn der Machtgewinn des technisch - ökonomischen Fortschritts wird immer mehr überschattet durch die Produktion von Risiken, die nicht mehr nur als Nebenwirkungen zu kennzeichnen sind, sondern weitere Auswirkungen mit sich bringen, die sich in einer nicht umkehrbaren Gefährdung des Lebens von Pflanze, Tier und Mensch zeigen. Diese Entwicklung ist auch nicht mehr begrenzt auf bestimmte Klassen oder Schichten, sondern sie ist allumfassend und weltweit bedrohend (vgl. Beck 1986, S. 17 f; in Hundsalz 1995, S. 40). Auch Familien sind aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Bedingungen (z.B. Arbeitslosigkeit) und den erweiterten Vernichtungskapazitäten der atomaren Arsenale und dem deutlich werdenden Raubbau, den unsere Industriegesellschaft an Natur und Umwelt betreibt, betroffen (vgl. Hundsalz 1995, S. 40). Dazu fügt Hurrelmann an, dass die meisten der sozial, psychisch und physiologisch abweichenden Verhaltensweisen als Symptome für Stress angesehen werden müssen, und ein Signal für die nicht befriedigend gelingende Auseinandersetzung mit den Anforderungen, die sich ihnen stellen sind (vgl. Hurrelmann 1991, S. 21 f; vgl. A. Hurrelmann und Engel 1992; in Hundsalz 1995, S. 41). 3.2 Umweltbelastungen und ihre Auswirkungen Übereinstimmend berichten verschiedenen Autoren über eine Zunahme von umweltbedingten Krankheiten bei Eltern und Kindern wie z.B. von Unfruchtbarkeit, vorgeburtlichen Erkrankungen, Atemwegs- und Krebserkrankungen, wie ebenso über eine Zunahme von umweltbedingten psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, wozu Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 15 auch eine Vielzahl von Störungen eingeschlossen werden, wie Lust- und Interesselosigkeit, Konzentrationsschwächen und Schulleistungsprobleme, aggressives Verhalten (vgl. BKfE 1994b, in Hundsalz 1995, S. 42). Der Zusammenhang von Umweltbelastung und solchen Störungen ist schwierig, zu komplex ist das Zusammenspiel von Mensch, Tier und Umwelt. Gleichwohl können die genannten Zusammenhänge laut Hundsalz kaum in Frage gestellt werden (vgl. Hundsalz 1995, S. 42). In diesem Zusammenhang macht Beck darauf aufmerksam, dass die Umweltzerstörung zwar gesamt wirkt, aber eine neue soziale Ungleichheit daraus entsteht. Dies macht sich an der gefüllten Geldtasche bemerkbar, die sich nur einige leisten können, um z.B. Gemüse aus kontrolliertem Anbau zu kaufen (vgl. Beck 1986; in Hundsalz 1995, S. 43). Für Berater ist es aus den Gründen, der wachsenden ökologischen Katastrophe und deren Konsequenzen für die Menschheit wichtig, auf Bedrohungsgefühle und Ängste, vor allem von Kindern und Jugendlichen, einzugehen und der Umwelt mehr Bedeutung und Raum in Beratung einzuräumen (vgl. BKfE 1994b, S. 27; in Hundsalz 1995, S. 43). 3.3 Soziale Ungleichheiten Im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland kommt der Armutsbericht des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass fast 10% der Bevölkerung in Deutschland in Einkommensarmut leben, und davon überwiegend Ostdeutsche betroffen sind. Dies spiegelt sich in vielen Lebensbereichen wider: z.B. in den Faktoren Wohnen und Arbeitslosigkeit. Bereits der 8. Jugendbericht hatte einräumen müssen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Kinder und Jugendlichen erhöhten sozialen Belastungen ausgesetzt sind. Jedoch ruft die Arbeitslosigkeit nicht nur äußere Veränderungen hervor, sondern sie verändert auf der einen Seite die familiäre Situation und es entstehen psychischen Belastungen und auf der anderen Seite haben diese Veränderung auch Einfluss auf die Schulleistungen der Kinder. Oftmals erhöhen dann Eltern und Kinder ihre Anstrengung, um den schulischen Abschluss zu verbessern (vgl. Hundsalz 1995, S. 44). In einer Zusammenstellung entsprechender Untersuchungsergebnisse stellt Kieselbach (1988) die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Kinder dar. „Die Kinder waren emotional labilisiert und brauchten nach längerer Arbeitslosigkeit in stärkerem Maße therapeutische Hilfe, sie entwickelten häufiger und schwerwiegendere nervöse Symptome, Überempfindlichkeit und funktionelle Störungen, 16 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten sie engagieren sich häufiger in antisozialen Aktivitäten wie Betrügereien oder Diebstählen und ihre schulischen Leistungen ließen nach, wobei die Auswirkungen bei Kindern mit sehr guten Schulleistungen und bei Mädchen am größten waren“ (Kieselbach 1988, S. 59; vgl. a. Geyer 1992; Osterhold 1988, S. 192; in Hundsalz 1995, S. 46). 3.4 Einflüsse der heutigen Wohnumwelt Die Auswirkungen der Wohnsituation auf die Familie und die Sozialisation der Kinder ist verhältnismäßig gut nachgewiesen. Ungünstigere Wohnbedingungen haben einen nachhaltigen negativen Einfluß auf die familiäre Situation (Vaskovics 1988, S. 39 ff; in Hundsalz 1995, S. 46). Für Kinder hat sich die wichtige Sozialisationsbedingung, die Wohnumwelt verändert. Heute fehlen gegenüber Früher, Freiflächen und Einrichtungen zum Spielen mit Gleichaltrigen außerhalb der eigenen Wohnung. Auch deshalb stellten einige andere Autoren eine Verlagerung des Spieles von draußen nach drinnen fest. Was wohl hauptsächlich auch damit zu erklären ist, dass die Straße als Folge des zunehmenden Verkehrs für die Kinder als Spielplatz weitgehend verloren geht (vgl. Klug und Roth 1992, S. 9; in Hundsalz 1995, S. 47). 3.5 Familiäre Veränderungen Wenn sich Familien verändern wird Beratung in Anspruch genommen. Erziehungsberater werden dabei mit einer Vielzahl von Familienbildern, Familienidealen und Familienwirklichkeiten konfrontiert. Dabei stellt sich zunächst die Frage, was ist denn überhaupt Familie? In Beantwortung dieser Frage muss man eine neue Definition für Familie finden z.B. die „gelebten Beziehungen miteinander verwandter Personen“. Mit dieser Aussage wird sich von einem Verständnis der Familie als Kernfamilie abgegrenzt und der Bedeutungsverlust der Familie kritisch hinterfragt. Denn hier kann man nicht von einem Bedeutungsverlust sprechen, sondern von einem Wandel. Auch kann man heute nicht grundsätzlich von einer Isolation der Familie ausgehen, denn es zeigt sich eine Vielfalt von verwandtschaftlichen Netzwerken, die sich in Notlagen gegenseitig unterstützen. Weiter hat sich durchschnittliche Kinderzahl pro Familie mit momentan 1,3 Kindern verändert, statistisch gesehen weist sie einen deutlichen Rückgang an Kindern pro Ehe auf. Hat diese Entwicklung des geringeren Kinderwunsches mit der egoistischen Grundhaltung der Erwachsenen zu tun? Insgesamt wird zwar ein Wertewandel festgestellt, womit aber nicht zwangsläufig ein Bedeutungsverlust des Kinderwunsches verknüpft ist (vgl. Bertram 1991b, S. 431; in Hundsalz 1995, S. 49). Tendenziell ist die Realisierung des 17 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Kinderwunsches heute zumindest mit einer bewußteren Entscheidung der zukünftigen Eltern verknüpft (vgl. Schütze 1988, S. 104; in Hundsalz 1995, S. 50). Ein weiteres zentrales Thema vieler Familien, ist die Trennung und Scheidung von Eltern, welchem ein sehr hohen Stellenwert für psychologische Beeinträchtigungen zugeschrieben wird (vgl. Hundsalz 1995; S. 54). Die Konsequenzen einer Scheidung für z.B. die betroffenen Kinder ist somit wichtiger Gegenstand der empirischen Scheidungsforschung. Lange Zeit ging man davon aus, dass Scheidungskinder mehr mit psychischen Problemen zu kämpfen hätten als andere Kinder. Jedoch konnte dies in einer breit angelegten Meta – Analyse12 relativiert werden. Es wurden zwar negative Scheidungsfolgen in z.B. der schulischen Leistung festgestellt, wobei sich die Unterschiede zwischen den Scheidungskindern und den Kindern aus vollständigen Familien insgesamt gesehen eher als geringfügig erwiesen (vgl. Oerter/Montada 1998, S.1104). 3.6 Außerfamiliäre Institutionen Häufig wird die These vertreten, dass die Familien heute an Einfluss auf die Sozialisation der Kinder verloren hat. In zunehmendem Maße sind Erziehungsaufgaben an außerfamiliäre Erziehungsinstanzen delegiert worden (vgl. Lempp 1986; in Hundsalz 1995, S. 50). Welche Auswirkungen diese Situation auf die Entwicklung der Kinder hat, ist kaum untersucht. Nicht gerechtfertigt erscheint es jedenfalls, eine pauschale Benachteiligung von Kindern auf dem Hintergrund einer wachsenden Bedeutung außerfamiliärer Instanzen zu unterstellen. Weiter findet Erziehung durch außerfamiliäre Institutionen auch in hohem Maße durch die Medien statt. Die zunehmende Brutalisierung und Sexualisierung von Fernsehsendungen bleiben nicht ohne Auswirkung auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Hinzu kommen die Auswirkungen von zu häufigem und zu langem Fernsehkonsum auf die Konzentrationsfähigkeit und auf körperliche Aktivitäten. Eine Auseinandersetzung mit Medien wird damit zu einer wichtigen Erziehungsaufgabe (vgl. Hundsalz 1995, S. 51). 3.7 Fehlformen in der Erziehung Die drei Persönlichkeitsinstanzen, das ICH, das ES und das ÜBER-ICH wirken bei einem gesunden Menschen zusammen. Dabei ist das ICH imstande, die Anforderungen des ES 18 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und des ÜBER-ICH unter einen Hut zu bringen und im Rahmen der realistischen Möglichkeiten zu erfüllen. Ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Persönlichkeitsinstanzen und Realitäten ist vorhanden. Stehen jedoch die einzelnen Persönlichkeitsinstanzen zueinander in einem Ungleichgewicht, so das dass Individuum Abwehrmechanismen einsetzt, die die bedrohlichen und angstauslösenden Erlebnisinhalte abwehren, unbewusst machen sollen, kann dies nach psychoanalytischer Lehrmeinung zu seelischen Störungen führen. Auch Fehlformen in der Erziehung wie z.B. Vernachlässigung, Überbehütung, mangelnde emotionale Zuwendung, inkonsequente oder widersprüchliche Erziehungseinstellungen und -maßnahmen eines oder beider Elternteile, auf das Kind, begünstigen ein Ungleichgewicht der einzelnen Persönlichkeitsinstanzen zusammen mit der Realität einer ICH - Schwäche und bewirkt ein Auftreten von unangemessenen Ängsten und einen übertriebenen Einsatz von Abwehrmechanismen. Beides führt zu Leugnung, Verzerrung und Verfälschung der Realität, realitätsunangepasstem Verhalten und hat eine seelische Fehlentwicklung zur Folge (vgl. Hobmair 2001, S. 125). Zusammenfassend kann gesagt werden, das es viele verschiedene Ursachen gibt, die eine Verhaltensauffälligkeit verursachen können. Es ist deshalb notwendig die Möglichkeiten im Beratungsprozess zu berücksichtigen. 4. Methodik des Beratungsverlaufs Im Hauptteil meiner Arbeit möchte ich nun darstellen wie ein Gespräch mit Eltern zustande kommt und wie der Prozess an einem Fallbeispiel methodisch verläuft. Zu beachten ist dabei, das in den meisten Fällen die Kinder und Jugendlichen zu Klienten gemacht werden, indem sie von den Bezugspersonen, meist einem Elternteil, zur Beratung anmeldet werden, dies geschieht oft ohne das Wissen der Kinder. Jedoch ist der Zugang zur Erziehungsberatung nicht allein aus dem Verhalten der Kinder zu erklären, man muss sich zunächst näher mit der Rolle der Anmelder, der Eltern, beschäftigen. 12 In der Meta – Analyse wurden 92 Studien mit insgesamt über 13.000 Kindern berücksichtigt und von Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 19 4.1 Grundsätzliches zur Situation der Eltern Nach Leupold sollten die Eltern natürlich bei all dem Engagement für das Kind, nicht aus den Augen verloren werden. Deshalb muss zunächst die eigene Haltung wie z.B. „Wie können Eltern so gedankenlos sein“, kritisch reflektiert werden. Denn ohne diese wird es nicht gelingen wirkungsvoll zusammen zu arbeiten. Natürlich ist diese Forderung nicht immer leicht zu erfüllen besonders wenn man Kinder als Opfer des Fehlverhaltens von Erwachsenen vor sich hat. In erster Linie bedeutet dies nämlich den Eltern Bereitschaft und Offenheit entgegenzubringen und sich auf den individuellen Gesprächspartner einzulassen. Dieses Bemühen kann ein Stück weit erleichtert und unterstützt werden, wenn man sich erst einmal einige grundsätzliche Gedanken zur Situation macht (vgl. Leupold 1995, S. 98). Eltern wollen das Bestmögliche Eltern wollen bis auf wenige Ausnahmen, das Beste für ihr Kind bzw. das, was sie aus ihrer Sicht und im Rahmen ihrer Erfahrung und Lebenskonzepte für das Beste halten. Deshalb wird der Nachwuchs vieler ehrgeiziger Eltern schon früh zur Erfüllung einer Vielzahl von Leistungsansprüchen gezwungen. Überdies bemühen sich Eltern, auch wenn es nicht immer gelingt, Fehler der eigenen Eltern zu vermeiden (vgl. Leupold 1995, S. 99). Eltern sind verunsichert Eltern unterwerfen sich in der Erziehung einer Reihe von Wert- und Normvorstellungen, entstanden aus den eigenen Erfahrungen, mit denen sie in ihrem Leben und in dieser Gesellschaft konfrontiert worden sind. Demgegenüber betonen Psychologie und Pädagogik vielfach ganz andere Werte. Eltern müssen mit diesen Widersprüchen ebenso leben wie mit der starken Verwissenschaftlichung der Erziehung. Erziehungsratgeber, sicher alle wohlmeinend, scheinen die Bedenken und Zweifel dabei eher zu schüren als zu vermindern. So erklären sich die doch recht erheblichen Unterschiede in den Erziehungsvorstellungen und im Erziehungsverhalten in den einzelnen Familien (vgl. Leupold 1995, S.99). Eltern gestehen sich Versagen nicht gerne ein Niemand gesteht sich Versagen und Niederlagen gerne ein, am allerwenigsten, wenn es um die Erziehung der Kinder geht. Je größer der allgemeine Erfolgszwang, um so schwerer Amato und Keit relativiert (vgl. Oerter/Montada 1998, S. 1104). Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 20 wird es, Fehler zuzugeben. So wehren Eltern ärgerlich alle Hinweise auf Schwierigkeiten beim Kind ab, um sich gegen Beschuldigung und Bloßstellung zu schützen (vgl. Leupold 1995, S. 101). Eltern unterliegen sozialem Druck Der Erfolgszwang in der Kindererziehung und die Tendenz, Schwierigkeiten der Kinder mit einem Versagen der Eltern zu verknüpfen, verstärken das Bestreben, vor der Umwelt einen „guten Eindruck“ machen zu wollen. Überdies unterliegen Probleme im psychischen oder zwischenmenschlich - familiären Bereich, anders als körperliche Krankheiten, vielfach einer verschämten Geheimhaltung (vgl. Leupold 1995, S. 102). 4.2 Die Frei(will)igkeit der Erziehungsberatung An dieser Stelle müssen nun zuerst die Frage geklärt werden warum melden sich Eltern zur Beratung an und eventuell durch wen sind sie auf die Möglichkeit aufmerksam geworden? Denn Ratsuchende sollen ja hier, ihre innere Welt thematisieren, die sie vor anderen oft auch vor sich selbst verschlossen halten, deshalb braucht es eigentlich eine besondere auf freiwilliger Basis aufgebaute Beziehung, um sich einem im Grunde fremden anderen Menschen anzuvertrauen (vgl. Flügge1991, S.75). „Mit dem Grundsatz der Freiwilligkeit der Inanspruchnahme hängt der Grundsatz des freien unmittelbaren Zugangs zur Erziehungsberatung zusammen: Jeder Ratsuchende kann die EB-Stelle seines Vertrauens unmittelbar aufsuchen. Dies trägt – wie der Grundsatz der Schweigepflicht – dazu bei, die Vertraulichkeit der Beratung abzusichern“ (Jans, Happe, Saurbier 1994, S. 15; in Hundsalz 1995, S. 170). Das heißt für die Motivationsklärung ist es wichtig zu erfahren, ob die Eltern wirklich auf Eigeninitiative, Empfehlung oder Überweisung einer anderen Institution erscheinen. Ich denke, dass Beratung nicht immer freiwillig wahrgenommen wird. Auch Lehrer, Erzieherinnen und Mitarbeiter des ASD geben nicht immer nur unverbindliche Hinweise auf Beratung, sondern machen deutlich, dass die ausbleibende Veränderung im Verhalten der Kinder, Konsequenzen haben kann. Solche Voraussetzungen sind weder für die Ratsuchenden selbst noch für den Berater eine günstige Ausgangslage. Auch gibt es eine ganze Reihe von Gründen, wie vorher benannt, warum Ratsuchende Zugangsbarrieren zur institutionellen Beratung haben. Dazu kommt z.B. die Meinung, dass Alltagsprobleme keine Probleme sind oder die Distanz zum Berater – der praxisferne Akademiker (vgl. Belardi u.a. 2001, S. 59 f). Jedoch braucht Erziehungsberatung als Arbeitsgrundlage die Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 21 unmissverständliche Bejahung der Beratung durch den Ratsuchenden. Sollte dies nicht so sein bietet es sich an die Eingangsbedingungen zum Thema der Beratung zu machen um so eine Eigenmotivation herbei zu führen. 4.3 Der Meldeanlass Bei der Frage nach den Meldeanlässen ist zu bedenken, wie schon vorher erwähnt wurde, dass die Schwierigkeiten des Kindes auch immer etwas mit den Problemen der gesamten Familie zu tun haben. Deshalb spricht man beim vorgestellten Kind auch vom Symptomträger innerfamiliärer Spannungen. Laut der Bundesstatistik13 suchen zu 59,3% der Mütter eine Beratungsstelle auf, wenn ein Kind Beratung benötigt. Dabei ist einer der häufigsten Beratungsanlässe, die Entwicklungsauffälligkeit (38%). Meist haben diejenigen die sich bei einer Beratungsstelle anmelden, bereits einen längeren Leidensweg hinter sich und die Situation „brennt“. Aus diesem Grund sollte Beratung ohne längere Wartezeiten möglich sein (vgl. Hundsalz 1995, S. 233). 4.4 Der Einstieg in die Beratung Schon bei der Anmeldung (telefonisch o. persönlich) sollten einige wichtige Abklärungen erfolgen, nämlich: - um welche Problematik handelt es sich von wem geht der Beratungswunsch aus Termine werden abgesprochen Wichtig ist nach Flügge, dass die Klienten auf die voraussichtliche Dauer des Gesprächs vorbereitet werden. (vgl. Flügge 1991, S. 94 f) Fiktives Beispiel: Frau M. eine alleinerziehende Mutter 38 J. mit zwei Kindern, meldet sich wegen ihrem ältern Sohn 9 J., der Verhaltensauffälligkeiten (Clownerien, Konzentrationsschwächen) zeigt, in einer Beratungsstelle an. Sie bekommt einen Termin. Bereits bei diesen ersten Abklärungen, beginnt die Kooperation zwischen dem Ratsuchenden und dem Berater. Weiter müssen noch folgende Überlegungen angeschlossen werden: - 13 Wer kommt zur Beratung bzw. wer hat sich angemeldet? Wer wird benötigt, um das Problem zu lösen? (vgl. Flügge 1991, S. 94f) Die Bundesstatistik klassifiziert grob nach Beratungsanlässen und Anmeldern. Die Berater dürfen auf dem Personalbogen (s. Anhang) mehr als einen, aber höchstens zwei Beratungsanlässe und Anmelder ankreuzen (vgl. Hundsalz 1995, S. 233). 22 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Dieser erste Kontakt sollte nicht als eigentlicher Beginn angesehen werden, trotzdem wird ihm von vielen Autoren ein wichtiger Stellenwert beigemessen. Denn in den ersten Kontakt gehen bereits Vorinformationen ein, aus denen sich für den Berater eine Reihe von Hypothesen ableiten lassen, die im späteren Beratungsprozess der Überprüfung bedürfen, und gleichzeitig eine wichtige Hilfe für die Vorbereitung des ersten Gesprächs sind. Auch die Ratsuchenden erkundigen sich vorher über Beratung oder sogar über den jeweiligen Berater. Mindestens haben sie aber Mutmaßungen und Phantasien darüber (die erheblichen Einfluss auf das konkrete Verhalten im Erstgespräch haben), was sie im Rahmen des Erstgespräches erwarten wird. Deshalb hat die Klärung von Erwartungen, Vorinformationen und Zugangswegen im Erstgespräch, sowie die Zuständigkeit und Aufgabenverteilung in Hinblick auf das angesprochene Problem eine besondere Bedeutung. Unter der Voraussetzung des Einverständnisses der Sorgeberechtigten kann es sinnvoll sein, die für den Prozess wichtigen Personen oder Institutionen (Erzieher, Lehrer, Therapeuten usw.) bereits im Erstgespräch einzubeziehen und in die Beratungsarbeit zu integrieren. Wenn dies gelingt, sind wichtige Bündnispartner auf dem Weg zur Lösung des Problems gewonnen. Es kann natürlich auch sein, dass Eltern erst einmal alleine mit dem Berater sprechen möchten (vgl. Hundsalz 1995, S. 196). Fiktives Beispiel: Frau M. wurde von der Schule auf die Beratungsstelle verwiesen. Sie möchte sie erst einmal alleine mit dem Berater sprechen. Der Berater kann jetzt schon aus diesen wenigen Informationen einige Hypothesen entwickeln. 4.4.1 Die Rolle des Kindes Eine besondere Rolle kommt dem Kind oder Jugendlichen in der Beratung zu. Denn einige Autoren fordern dazu auf, Kinder ihrem Alter gemäß aufzuklären, sie an den für sie wichtigen Entwicklungen teilhaben zu lassen und ihre Zustimmung einzuholen. Damit wird nichts anderes gefordert als das Gesetz, welches in § 8 KJHG festlegt, dass die Kinder und Jugendlichen an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand zu beteiligen sind. Deshalb sollte sich die Wahl der eingebundenen Bezugspersonen daran orientieren, wie sinnvoll es gelingt das Kind stärker in den therapeutischen Prozess einzubeziehen, allerdings muss dabei bedacht werden, wie und in Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 23 welcher Weise das Kind hiervon profitieren kann bzw. wie und in welcher Weise dem Kind durch die Einbeziehung in die Beratung geschadet wird (vgl. Hundsalz 1995, S. 201). Fiktives Beispiel: Frau M. entschließt sich ihren Sohn beim ersten Gespräch nicht mitzunehmen. Sie erhofft sich einen Rat durch den Berater wie sie mit dem Verhalten ihres Sohnes umgehen kann. 4.5 Das erste Gespräch Dann treffen sich Berater und Ratsuchender zum ersten Mal und es kann sich langsam eine Beratungsbeziehung entwickeln. 4.5.1 Wichtige Informationen Dies bedeutet, dass der Berater zunächst wichtige Informationen hinsichtlich der Lebensumstände und der Problemlage der Ratsuchenden sammelt. Zu beachten ist dabei, dass sich der Berater auf das Sprachniveau seines Gegenüber einstellt (vgl. Flügge 1991, S. 19). In der Regel wird ein kurzer Personalfragebogen14 ausgefüllt, der Vorgeschichte und allgemeine Daten aus der Familie erfragt. Weiter gehören hier wichtige Informationen über die Rahmenbedingungen der Beratung wie Freiwilligkeit, die Verpflichtung des Beraters zur Verschwiegenheit (denn hier kommen Dinge zur Sprache, über die sonst nicht gesprochen wird), und über etwaige Kosten, dazu. Ferner sollten die Klienten aufgeklärt werden, wie Beratungen im allgemeinen in groben Zügen verlaufen soll und etwas über ihre Rolle im Beratungsprozess, z.B. über die Angewiesenheit des Beraters auf ihre aktive Mitarbeit. Zum Schluß sollten die Klienten die Erwartungen des Beraters kennenlernen, z.B. was die Termineinhaltung und gegebenen falls die Rechtzeitigkeit von Absagen betrifft (vgl. Flügge, 1991, S. 92). Fiktives Beispiel: Der Berater erfährt das der Arbeitsplatz von Frau M. gefährdet ist und sie möglicherweise bald arbeitslos wird. Hinzu kommen Beziehungsprobleme mit ihrem derzeitigen Freund. Seit dieser Zeit häufen sich die Probleme ihres Sohnes, die ihr zu Hause auch aufgefallen sind. Der auslösende Schritt Beratung aufzusuchen war, ein Gespräch mit der Lehrerin in der Schule. Sie gab der Mutter zu verstehen, dass die Versetzung gefährdet sie, wenn sich nichts am Verhalten des Sohnes ändere. 14 Personalfragebogen siehe Anhang Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 24 4.5.2 Einfühlung gegenüber Distanz Wie nun die weitere Strukturierung und Form der Beratung im ersten und in den weiteren Gesprächen aussieht, hängt maßgeblich vom Berater selbst und der eigentlichen Situation ab. Wendet der Berater eine sehr weitgehende, weisende Gesprächsstruktur an (z.B. anhand von vorbereiteten Fragen) kommt vielleicht die Einfühlung, Mitschwingung und das „szenische Verstehen“15 (Argelander 1970, Lorenzer 1970; in Hundsalz 1995, S. 202) zu kurz. Identifiziert er sich jedoch zu sehr mit dem Problem des Ratsuchenden birgt das die Gefahr der mangelnden Distanz und damit mangelnder Erkenntnis in sich. Ungereimtheiten in den Aussagen wahrzunehmen ist jedoch wichtig für die Informationsgewinnung. Dabei sollten die von den Ratsuchenden vermiedenen Themen nicht ebenfalls umgangen werden. Nach Hundsalz soll also die Bewegung zwischen den Polen Verstehen und Distanz dynamisch sein, da der Erkenntnisgewinn aus dieser Spannung entsteht. Werden noch die daraus resultierenden Gefühle zugelassen und analysiert kann verstanden werden, was vorher unverständlich war (vgl. Hundsalz 1995, S. 202). 4.6 Problemanalyse mit den Eltern Bei der Problemanalyse befinden sich die Eltern in einer schwierigen Doppelrolle. Da sie sowohl Betroffene als auch vielleicht an der Problematik ursächlich Beteiligte sind. Deshalb kommt es darauf an, gemeinsam mit den Eltern aus ihrer subjektiven Sichtweise die relevanten Sachverhalte, die das in Frage stehende Verhalten des Kindes betreffen, herauszufiltern. Dabei können dann schon wichtige Informationen über das Kind, wie auch über Einstellungen und Verhalten der Eltern eingehen. Leitende Fragen können bei der Problemanalyse zur Aufschlüsselung der Problemsicht der Eltern, helfen z.B.: Wie nehmen die Eltern das in Frage stehende Verhalten und Befinden des Kindes bzw. seine Situation wahr? (Eltern sollten das betreffende Verhalten so konkret wie möglich beschreiben oder sogar vormachen.) Wie ordnen die Eltern das in Frage stehende Verhalten ein? Als was nehmen sie es wahr? 15 In dem Begriff szenisches Verstehen liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Konflikte von Ratsuchenden, ihre – möglicherweise vor sich selbst verborgenen – eigentlichen Anliegen und die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander sich in „Szenen“ verdichten, (z.B. eingenommene Sitzordnung) (vgl. Hundsalz 1995, S. 202). 25 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten (Ist es in ihren Augen z.B. spontane Aggressivität oder eine Reaktion auf Provokation durch andere?) Wie beurteilen die Eltern das in Frage stehende Verhalten? (Vergleiche mit anderen Kindern.) Wie bewerten sie das betreffende Verhalten? Was bedeutet es für sie? – Welche ich oder kind-bezogenen Ziele liegen den Bewertungen zugrunde (Die Bewertungen führen oftmals schon zu Soll-Analysen.) Wie erklären sich die Eltern das problematische Verhalten? Welche Folgen schreiben sie ihm zu? (Ursachen und Folgenanalyse) Was haben die Eltern bisher versucht? Welche Erfahrungen haben sie dabei gemacht? (Analyse der bisherige Wege) (vgl. Flügge 1991, S. 98 ff). Fiktives Beispiel: Frau M. berichtet, das ihr Sohn es kaum schafft seine Hausaufgaben zu erledigen ohne dabei mehrmals aufgestanden zu sein und sich von anderem ablenken zu lassen. Manchmal habe sie den Eindruck, dass er sie mit diesem Verhalten provozieren möchte. Sie müsse sich dann zu ihm setzen, sonst würde er die Arbeit nie beenden. Außerdem habe er immer das letzte Wort und wäre das ganze Gegenteil von seinem kleinen Bruder. Sie äußert weiter, „das er es später einmal besser haben soll“. Deshalb brauche er auch einen guten Schulabschluss. Sie glaubt, dass dieses ganze Verhalten auch mit ihrem derzeitigen Freund in Verbindung stehen könnte. 4.7 Diagnose über das Verhalten des Kindes Der diagnostische Prozess besteht aus mehreren Schritten, der erste ist nach Hinweisen auf Fehlentwicklungen oder Entwicklungsrückstände im geistig - seelischen und sozialen Bereich zu fragen. Der zweite ist der Problembewältigungsaspekt für die Eltern. Dazu bedarf, der Bildung von Hypothesen, welche Bedingungen für die problematischen Sachverhalte verantwortlich sein könnten und zum anderen der Überprüfung, ob die in den Annahmen genannten Bedingungen tatsächlich vorliegen . Die Hypothesenüberprüfung läuft also wieder auf eine feststellende, beurteilende und bewertende Diagnostik hinaus. Die gründliche und sorgfältige Hypothesenbildung hat für den weiteren Fortgang der 26 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Beratung eine weichenstellende Bedeutung. Werden hier wesentliche Bedingungen ausgeblendet und legt man sich vorzeitig auf bestimmte Störungsursachen fest, so können daraus ein gänzlich ungeeigneter Beratungsansatz und vermeidbare Umwege resultieren. Deshalb sollten für die Gewinnung der Daten im wesentlichen drei Informationsquellen bedacht werden (vgl. Flügge 1991, S. 108 f). 1. Die Anamneseerhebung Da nach tiefenpsychologischem Störungsursachen im Vordergrund Verständnis, stehen, bei sollte frühkindliche der Verlauf Konflikten der frühen Entwicklungsphasen möglichst genau erörtert werden. So kommen Informationen zustande, welche Kompetenzen und Gewohnheiten bisher ausgebildet werden konnten. Die Anamnese gibt vor allem Aufschluss über mögliche Bedingungen des problematischen Sachverhaltes. Zusätzlich informiert sie über die jetzigen Lebensumstände (vgl. Flügge 1991, S.113 ff). 2. Die Verhaltensbeobachtung Die Methode der Verhaltensbeobachtung vor Ort, bietet eine weitere Möglichkeit, insbesondere das interaktionale Verhalten, der am Problem beteiligten Bezugspersonen (z.B. Kindergartengruppe, Geschwister...) zu beobachten. Grund für die Anwendung dieses Verfahrens ist die Situationsabhängigkeit von Verhalten. Allerdings müssen bei dieser Methode auch vielerlei Fehlerquellen (z.B. Anwesenheit des Beobachter) bedacht werden, die die Situation maßgeblich verändern können (vgl. Flügge 1991, S. 117 ff). 3. Der psychologische Test Ein anderer Teil der Informationsgewinnung bzw. Diagnostik sind psychologische Tests, auf die ich hier kurz eingehen. Nestmann will trotz seiner scharfen Kritik den Einsatz psychologischer Tests nicht ausschließen und empfiehlt einen sinnvollen Einsatz. Zurückhaltung scheint seiner Meinung nach immer dann angebracht, wenn Tests zur Legitimation einer Entscheidung, z.B. im Rahmen der Schullaufbahn dienen sollen. Sinnvoll erscheinen sie dagegen, wenn sie eine Hilfe für neue Beratungswege und für die Entdeckung von Ressourcen bilden können (Nestmann 1984, S. 109ff; in Hundsalz 1995, S. 206). Das Testergebnis selbst sollte in einem gemeinsamen Auswertungsgespräch besprochen und im Hinblick auf seine Gültigkeit eingeschätzt werden. Psychologische Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 27 Tests können also durchaus als Informationsquelle dienen, um neue Beratungswege zu entdecken. Sie sollte jedoch nicht überbewertet werden (vgl. Hundsalz 1995, S. 207). 4.8 Gemeinsame Problemdefinition Auf der Basis der Erfahrungen der Eltern und den Erkenntnissen des Berater, die durch die Ergebnisse der Gespräche, der Ergebnisse evtl. durchgeführter Tests und der gebildeten Hypothesen erworben wurden, kann die Problemdefinition erfolgen. Dafür sollte als Voraussetzung eine realitätsgerechte Sicht der Eltern vom Kind, erarbeitet worden sein. Manchmal kann die Problemdefinition dann ganz reibungslos erfolgen. In anderen Fällen gibt es größere Schwierigkeiten, wenn das gemeinsame Verständnis über Entstehung und Hintergründe der eigentlichen Problematik nicht klar ist. Sie ist zuvor zwischen den Eltern, dem Berater und evtl. anderen beteiligten Personen zu erreichen. In der Praxis ist dies ein sehr komplizierter Prozess, dem viel Zeit eingeräumt werden sollte. Sind Eltern nämlich ursächlich am Problemverhalten durch z.B. Fehlformen in der Erziehung verantwortlich und werden darauf angesprochen kann dies offene und verdeckte Schuldgefühle hervorrufen. Für die Eltern sind die Unterschiede zwischen ursächlichem Zusammenhang und Schuldzuschreibung schwer zu trennen. Sie sind dann besonders sensibel und verletzbar. Deshalb ist es hier die Anforderung an den Berater äußerst sensibel vorzugehen, dabei aber nicht „drum herum“ zu reden. Dies ist nur ein Beispiel für evtl. Schwierigkeiten bei der Problemdefinition, denn es können sich noch weitere Schwierigkeiten zeigen. Um auf diese Schwierigkeiten zu reagieren, muss der Berater versuchen, bei den Eltern, Einsichten oder Einstellungsänderungen zu erreichen und dazu an ihren ganz persönlichen Erfahrungen anknüpfen (vgl. Flügge 1991, S. 129 ff). Die Problemdefinition sollte dabei nicht der Versuchung erliegen, alle genannten Konfliktthemen zu beschreiben, sondern sie sollte eine zentrale Thematik herausgreifen und diese in den Mittelpunkt stellen (vgl. Hundsalz 1995, S. 207 f). Fiktives Beispiel: In Beispiel von Frau M. fallen natürlich mehrere Dinge auf die an der Problementstehung ursächlich beteiligt sein könnten. Gemeinsam mit dem Berater arbeiten sie verschiedene Ansätze heraus: - Mutter hat wenig Zeit steht unter Druck, - die Beziehung ist im Wanken, - Leistungsansprüche sind sehr hoch, - unstrukturierter Tagesablauf, - Kind muss Bezugsperson mit dem neuen Freund und seinem kleineren Bruder teilen (nimmt sehr viel Aufmerksamkeit in Anspruch). 28 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 4.9 Die Zielsetzung Das oben genannte sollte zu einem realistischen Ergebnis zwischen allen Beteiligten geführt haben, ob bei dem Kind eingegriffen werden soll, oder nicht. Ferner sollten Prinzipien darüber entwickelt worden sein, die die Ursachen des in Frage stehenden Verhaltens des Kindes erklären. Daraus können dann Ziele formuliert werden, die als nächstes beim Kind erreicht werden sollen. Dazu muss überlegt werden, welche Bedingungen zur Erreichung hergestellt, oder beseitigt werden müssen (vgl. Flügge 1991, S. 140). Zu erreichen sind veränderte Perspektiven und Änderungen in Teilbereichen des Verhaltens mit der Erwartung, dass diese Veränderungen auch in andere Verhaltensbereiche übernommen werden (vgl. Schrödter 1995, S. 7; in Hundsalz 1995, S. 209). Dabei kommt es auch besonders darauf an die Ressourcen in der Familie zu stärken, die aufgrund der Vielfalt von Lebenslagen und möglichen Lebensentwürfen, oftmals geschwächt sind. Sie sollen darin befähigt werden, notwendige Entscheidungen selbst treffen zu können, die sich angesichts unklar gewordener Ziele und brüchig gewordener Normen, ständig neu orientieren müssen (vgl. Rauschenbach 1992, S. 51; in Hundsalz 1995, S. 210). Die eigentliche Zielsetzung und Planung der Beratung sollte den Eltern nicht übergestülpt werden, sondern mit ihnen in einem ständigen gemeinsamen Klärungsprozess ausgehandelt werden, der Korrekturen zulässt. Dabei sollen besondere Wünsche der Eltern berücksichtigt werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Berater diesen Wünschen kritiklos folgt (vgl. Hundsalz 1995, S. 210). Wichtige Gesichtspunkte sind dabei, die kindgerichteten Ziele. Sie sollten: - mit den Erklärungen des Problemverhaltens und mit dem Kindkonzept der Eltern stimmig und in sich widerspruchsfrei sein. - vor allem an seinen Fortschritten, die es im Verhältnis zum früheren Entwicklungsstand gemacht hat, gemessen werden. - auf der Ebene des Tuns ausformuliert werden - müssen positive Alternativen zum unerwünschten Verhalten anbieten. (vgl. Flügge 1991, S. 140 ff). Diese Ausformulierungen sind wichtig, weil es 29 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 1. den Eltern leichter gelingt eindeutige Aufforderungen und Verbotssituationen herzustellen 2. erleichtert wird funktionalere Reaktionen auf das Verhalten des Kindes anzuwenden (vgl. Flügge 1991, S. 142). Wenn es möglich ist sollten an der Zieldefinition alle beteiligten Personen teilnehmen, um ein möglichst aufeinander abgestimmtes vorgehen zu erreichen. Außerdem sollten besonders die Eltern über Grundprinzipien von Lernvorgängen aufgeklärt werden. In diesem Sinne entsteht von Anfang an eine lebendige Beziehung, in der nicht nur die Eltern, sondern auch der Berater als Person mit Konturen und Überzeugungen und einer institutionellen Identität in Erscheinung tritt, die den Eltern über den Weg von Einfühlung, Nachfragen, eigenen Gedanken und Konfrontation zu einer veränderten oder präzisierten Problemsicht verhilft. Allerdings sollten die Eltern auch darauf hingewiesen werden, dass die Erprobung der Wege im Alltag mit einer ganzen Reihe von realen Risiken mit sich bringt (vgl. Flügge 1991, S. 142 ff). Fiktives Beispiel: Berater und Mutter einigen sie darauf, dass sie zunächst die Beziehungskrise mit ihrem Freund klärt. Dann soll ein Belohnungssystem eingeführt werden: Erledigt das Kind seine Hausaufgaben in vorgegebener Zeit (mit anfangs Hilfestellung) bekommt es eine Belohnung z.B. ein Kärtchen. Hat das Kind mehrer Kärtchen zusammen, bekommt es z.B. etwas Süßes. Es soll damit erreicht werden, dass das Kind lernt, je eher es fertig ist, desto länger hat es Freizeit. 4.10 Die Möglichkeiten der Veränderung durch Therapie Manchmal können in diesem Prozess auch therapeutische Zwischenphasen erforderlich sein. Auf der einen Seite können dies Maßnahmen für die Eltern sein, auf der anderen Seite Maßnahmen für das Kind. Denn für das Kind ist es einfacher, sich zu ändern, wenn synchron auch Veränderung bei den Eltern stattfinden (vgl. Flügge 1991, S. 146 ff). 1. Förder- und Therapiemaßnahmen mit dem betroffenen Kind Bei schweren Verhaltensauffälligkeiten ist therapeutischer Maßnahmen notwendig. Verhaltenstherapie und Verhaltensmodifikation häufig der Einsatz pädagogisch – 30 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Nicht – direktives Gespräch Spieltherapie und psychoanalytische Therapie Selbstentspannung, Meditation und Hypnose Systemische Familientherapie Psychomotorische Behandlung und Mototherapie Wahrnehmungstraining (vgl. Hobmair 2002, S. 367). 2. Elternberatung und Elterntraining Wie ich bereits erwähnt habe sind Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern häufig ein Ausdruck innerfamiliärer Spannungen. Deshalb werden Eltern angeleitet, die Verhaltensweisen ihres Kindes auch als Folge ihrer bisherigen Erziehungspraxis zu verstehen und ihr eigenes Erzieherverhalten gegebenen falls zu verändern. Eine Möglichkeit hierzu sind verschiedene Formen des Elterntrainings (vgl. Hobmair 2002, S.368). 3. Schule für Verhaltsauffällige/Heimunterbringung Eine Einweisung in eine Förderschule zur Erziehungshilfe oder in ein Heim kann erfolgen, wenn die vorliegende Verhaltensauffälligkeit im familiären und sozialen Umfeld nicht abgebaut werden kann. In diesen Institutionen wird häufig im Sinne einer der genannten psychologischen Richtungen gearbeitet (vgl. Hobmair 2002, S. 368). Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 31 5. Reflexion und Abschlussbetrachtung In der Reflexion und Abschlussbetrachtung werde ich zu Beginn, meine Arbeit kurz zusammenfassen. Dabei nehme ich Stellung zu den in der Einführung gestellten Fragen zum Thema Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten. Danach werde ich meine persönlichen Schlüsse darstellen, die für meine weitere pädagogische Arbeit von Bedeutung sind. Ich habe in meiner Arbeit die verschiedenen Arten von Verhaltensauffälligkeiten ihre Symptome und Ursachen dargestellt. Bewusst wird hier, dass eine ganze Reihe von Verhalten bereits als Auffälligkeit eingestuft wird. Gemessen wird die Auffälligkeit an der Norm des Betrachters, das heißt, so wie er das Verhalten beurteilt, vergleicht und bewertet. Dazu stehen verschiedene Klassifikationssysteme zur Verfügung, die bei der Einstufung des Verhaltens helfen. Sind Eltern mit dem Verhalten ihres Kindes überfordert, können sie sich an eine Erziehungsberatungsstelle wenden. Hier wird mit Hilfe kommunikativer Möglichkeiten versucht, eine Lösung für das vorliegende Problem zu finden. Warum allerdings immer mehr Kinder diese Verhaltsweisen zeigen, ist vielleicht zum einen mit den veränderten Lebensbedingungen vieler Familien zu erklären, die sich von gesellschaftlichen Bedingungen wie z.B. Arbeitslosigkeit und damit verbundene Armut bedroht sehen und oftmals innerfamiliäre Spannungen auslösen. Solche Einflüsse gelten als ursächlich an der Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten beteiligt. Zum anderen können auch Fehlformen in der Erziehung zu einer Auffälligkeit führen. Meist suchen Eltern dann selbst nach einer möglichen Ursache und bleiben schnell bei biologischen Erklärungen des Verhaltens stehen (in diesem Zusammenhang möchte ich auf den Text von DeGrandpre „Der Verlust der Langsamkeit“; in „Psychologie Heute“, S. 44 im Anhang verweisen), und sehen aus diesem Grund keinen Anlass, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Kommt es dann doch zu einer Beratung, liegt es am Berater, sehr einfühlsam und behutsam darauf einzugehen, dass die Eltern in den meisten Fällen sowohl Betroffene als auch ursächlich Beteiligte an der Situation sind. Dabei ist das Zusammenspiel vieler persönlicher Einstellungen und Lebenserfahrungen zu beachten. Auch bedarf es einer bewussten Entscheidung, über den Nutzen der Beteiligung des Kindes in diesem Prozess. Der eigentliche Beratungsprozess ist nicht ganz einfach, in ihn fließen viele Faktoren der subjektiven Wahrnehmung der Eltern ein. Deshalb ist es manchmal nötig, dass der Berater sich selbst ein Bild von diesem Verhalten macht. Oftmals entsteht durch Beratung ein neuer Blickwinkel auf das ursächliche Problem, durch das es verständlicher wird und eine Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 32 Besserung der Situation bewirkt werden kann. In anderen Fällen kann es auch nötig sein, weitere Maßnahmen einzuleiten (Therapie usw.). In meiner pädagogischen Arbeit möchte ich Kinder in ihrer Entwicklung und in ihren Fortschritten begleiten und unterstützen. Hierbei sollten sie als eigenständige Persönlichkeiten mit individuellen stärken und schwächen angesehen werden. Durch den Kontakt entwickelt sich meist eine enge emotionale Bindung zwischen Erzieher und Kind, die zu einem starken Gefühl der Verantwortlichkeit und Engagement führt. Infolge dessen wird es für uns wahrnehmbar, wenn Kinder durch ihr Verhalten Hilferufe aussenden, und es unbedingt notwendig wird mit den Eltern darüber in Kontakt zu treten. In der fachlichen Ausbildung zum Erzieher haben wir gelernt, die Ursachen dieses Verhaltens zu deuten. Es entsteht dann oftmals der Wunsch zu helfen, der dabei bei den Eltern häufig auf Unverständnis und Empörung stößt. Wichtig ist, dass sich das Engagement für das Kind mit einem Verständnis für die Eltern verbindet. Durch die Bearbeitung der Thematik wurde mir klar, dass die eigenen Gefühle zunächst Anlass sind für eine Initiative, dann jedoch sehr gefiltert werden müssen. Von entscheidender Wichtigkeit ist die Gestaltung der ersten Ansprache der Eltern. Sie ist prägend für den Verlauf des weitern Kontaktes und den Veränderungsmöglichkeiten. Dabei bildet das Wissen um menschliche Motivationen und Verhaltensweisen, um die Eingebundenheit der Eltern in soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge und um die Verwobenheit der Familienmitglieder in ihrem System die Grundlage für eine realistische Einschätzung der Kooperationsmöglichkeiten mit Eltern. Als Erzieherin kann man die Eltern nicht verändern oder sie zu etwas bewegen, was sie nicht selbst wollen, aber man kann auf dem Hintergrund einer verständnisvollen Grundhaltung klar sein, im eigenen Standpunkt und in den Aussagen. Dazu gehört das Handeln mit persönlichem Engagement und professioneller Distanz. Das bedeutet den Eltern Beobachtungen mitzuteilen, Entwicklungstendenzen zu verdeutlichen, Gefahren aufzuzeigen, Hilfsmöglichkeiten anzubieten. Dabei sollte man aber vermeiden, sich sozusagen als die bessere Mutter oder der besser Vater zu fühlen und den Eltern mit dieser Haltung gegenüberzutreten. Es gilt, die Grenzen der Familie zu sehen und zu akzeptieren und gleichzeitig zu wissen, in welchen Situationen eine gezielte, wohlüberlegte Grenzüberschreitung möglich, unter Umständen sogar unumgänglich notwendig ist. Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 33 6. Literatur und Quellenverzeichnis Baacke, Dieter (1995). Die 6- bis 12jährigen: Einführung in Probleme des Kindesalters, 6. Auflage, Beltz Verlag, 1995. Belardi, Nando u.a. (2001). Beratung: Eine sozialpädagogische Einführung, 3. Auflage, Beltz Verlag, 2001. Bittner, Günther (1996). Problemkinder: Zur Psychoanalyse kindlicher und jugendlicher Verhaltensauffälligkeiten, 2. Auflage, Sammlung Vandenhoeck, 1996. 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Hüther, Gerald, „Kindergehirne sind keine Maschinen“, S. 42. DeGrandpre, Richard, „Der Verlust der Langsamkeit“, S. 44. Pohl, Peter, „Wer hilft Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen in dieser Gesellschaft?“, S. 46. Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 36 Anhang _________________________________________________________________________ Abkürzungsverzeichnis Informationsblatt der Jugend- und Elternberatungsstelle Lauterbach Personalbogen der Jugend- und Elternberatungsstelle Lauterbach Berichte aus „Psychologie Heute“: Paulus, Jochen, „Mutter kümmert sich. Vater auch“, S. 10. Gründler, Elisabeth C., „Eine Pille gegen die Überforderung“, S. 40. Hüther, Gerald, „Kindergehirne sind keine Maschinen“, S. 42. DeGrandpre, Richard, „Der Verlust der Langsamkeit“, S. 44. Pohl, Peter, „Wer hilft Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen in dieser Gesellschaft?“, S. 46. Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Abkürzungsverzeichnis Aufl. = Auflage bzw. = beziehungsweise evtl. = eventuell f. = folgende ff. = fortfolgende Hrsg. = Herausgeber o. = oder s. A. = siehe Anhang S. = Seite(n) u.a. = unter anderem(n) usw. = und so weiter vgl. = vergleich(e) z.B. = zum Beispiel z. dt. = zu deutsch ASD = Allgemeiner sozialer Dienst WHO = Weltgesundheitsorganisation DSM = Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (z. dt. Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen). ICD = International Classification of Diseases (z. dt. Diagnoseschlüssel und Glossar psychiatrischer Krankheiten). KJHG = Kinder- und Jugendhilfegesetz DGB = Deutscher Gewerkschaftsbund BKfE = Bundeskonferenz für Erziehungsberatung 37 Beratung für Eltern bei kindlichen Verhaltensauffälligkeiten 38 Eidesstattliche Versicherung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe. Die Stellen der Vordiplomarbeit, die anderen Werken im Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich unter Angabe der Quellen kenntlich gemacht. Wartenberg, 09. Dezember 2002