Text zur Sendung - verstehenlernen.ch

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"Mathe kann ich einfach nicht!"
Neue Forschungsergebnisse zur Dyskalkulie
Dyskalkulie - eine Rechenschwäche - ist fast so häufig wie eine Lese- und
Rechtschreibschwäche. Woher kommen die Probleme mit den Zahlen, und wie kann
man sie beheben? Erst in letzter Zeit haben Forscher mehr über die Dyskalkulie
herausgefunden.
Eine Sendung von Klaus Schuster
Stand: 29.03.2011
Luana, 17 Jahre alt, besucht die zehnte Klasse einer Gesamtschule. Sie litt an Dyskalkulie.
Durch eine Therapie hat sie ihre Rechenschwäche überwunden: "Die Zahlen, die waren sehr
verwirrend für mich und ich kam einfach damit nicht klar. Die Rechnungen fielen mir schwer,
ich konnte die einfachsten Sachen nicht zum Beispiel Plus- und Minus-Rechnungen, zehn
plus zehn, die ganz einfachen Sachen."
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"Mathe kann ich einfach nicht!" - Neue Forschungsergebnisse zur Dyskalkulie [IQ Wissenschaft und Forschung]
(siehe angehängte MP3-Datei)
Ähnlich geht es der 11-jährigen Gymnasiastin Mia, die schon mit einfachen mathematischen
Operationen ihre Schwierigkeiten hat: "Wenn ich jetzt zum Beispiel Stifte zählen muss oder
so, dann kann ich nicht eins, zwei, drei, vier, fünf, sondern muss das zusammensetzen. Also
sechs, da nehme ich einfach drei plus drei, aber ich kann jetzt nicht so eins, zwei, drei,
vier, fünf, sechs, das ist ein Problem."
Angeborener Zahlensinn?
Zitat
"Wir haben das Phänomen, dass in der Schule manche Kinder gut sind in allen möglichen
Fächern, aber in Mathematik oder im Rechnen besonders schwach sind."
Prof. Michael von Aster, DRK-Kliniken Berlin
Etwa sechs Prozent der Grundschulkinder eines Jahrgangs leiden unter der so genannten
Dyskalkulie. Gibt es einen angeborenen Zahlensinn? Und wenn ja, ist dann
Rechenschwäche eine angeborene Störung dieses Zahlensinnes? Konsens unter Forschern
besteht darin, dass diese Rechenschwäche nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun hat.
Doch die Risiken, die sich daraus für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung ergeben, sind
beträchtlich.
Fortschritte durch die Hirnforschung
In letzter Zeit macht die Erforschung der Ursachen und Verlaufsformen von
Rechenstörungen rasante Fortschritte. Eine besondere Rolle dabei spielen die Erkenntnisse
der Hirnforschung, die durch bildgebende Verfahren mittels der funktionellen
Magnetresonanztomografie (fMRT) gewonnen wurden.
Rechnen ist nicht für jedes Kind selbstverständlich.
"Wir haben aus der Hirnforschung gelernt, dass es verschiedene Hirnareale gibt, die für
verschiedene Rechen- und Zahlenverarbeitungsaufgaben zuständig sind und dass sich
diese Gehirnregionen entwicklungsbedingt verändern. Es gibt eine Spezialisierung
verschiedener Gehirnregionen für verschiedene Aspekte des Rechnens und der
Zahlenverarbeitung", sagt Professor Daniel Ansari von der Universität Western Ontario in
den USA.
Bei Kindern mit Dyskalkulie zeigte sich im Gehirn, dass verminderte oder veränderte
Aktivitäten vorliegen, wenn sie rechnen. Die Forscher vermuten, dass sich das für die
Zahlenverarbeitung notwendige neuronale Netzwerk weniger gut ausgebildet hat. Die
Forscher unterscheiden verschiedene Unterformen der Dyskalkulie, die verschiedene
entwicklungsbezogene Ursachen nahe legen und die auch in der Therapie berücksichtigt
werden.
Zitat
"Bei der Dyskalkulie haben wir gelernt, dass die Gehirnregionen anders aktiviert sind. Sie
sind atypisch aktiviert, es ist weniger Aktivität da. Also unterstützt die Hirnforschung die
Hypothese, dass die Dyskalkulie teilweise durch Störungen in sehr basisnumerischen
Fähigkeiten wie dem Schätzen, dem Zahlenvergleichen, dem Mengenverständnis fundiert
ist.“
Professor Daniel Ansari, Universität Western Ontario, Kanada
Bei den Grundlagen des Rechnens ansetzen
Hinter Zahlen stehen Mengen und an die Mengen angebunden sind Zahlen. Das weiß
eigentlich jeder und doch haben die meisten Kinder mit Dyskalkulie gerade damit große
Probleme. Eine Therapie muss deshalb bei den "mathematischen Wurzeln" ansetzen.
Wenn das Rechnen schwer fällt ...
"Bei der Therapie setzt man ganz klar bei der Basis an, beim Fundament, beim
grundsätzlichen Verständnis von Zusammenhang zwischen Mengen und Zahl und auch was
passiert wenn man rechnet, was passiert, wenn man mal nimmt, wie sieht es aus, wenn man
teilt, wie stellt sich das dar", sagt Psychologin Heidrun Novak aus München. Eines gilt: Je
früher die Rechenschwäche erkannt wird und je früher eine Therapie beginnt, desto besser
sind die Chancen für die betroffenen Kinder.
Verbesserte Diagnostik und frühe Prävention
Die Fähigkeiten zum Rechnen und mit Zahlen umzugehen, bilden sich schon im
Vorschulalter heraus. Daraus zieht der kanadische Hirnforscher Daniel Ansari eine Aufgabe
für die Forschung.
Zitat
"Wichtig ist, dass man jetzt schon früher beginnt zu diagnostizieren, dass man sich schon
Kinder im Kindergarten anschaut und diagnostische Methoden entwickelt, die auf den
Zahlensinn anspringen. Und dann kann man sehen: Dieses Kind, da müssen wir ein
bisschen was machen, das muss aufholen, dem müssen wir bestimmte Dinge besser
erklären. Wenn man das früher macht, dann kann man vielleicht auch die Probleme
eindämmen."
Professor Daniel Ansari, Universität Western Ontario, Kanada
Der Psychologie Wolfgang Schneider von der Uni Würzburg hat gemeinsam mit einem
Forscherteam das Programm "Mengen, Zählen, Zahlen" entwickelt, das auf die Entwicklung
früher mathematischer Kompetenzen im letzten Kindergartenjahr abzielt. Davon profitieren
alle, aber besonders sogenannte Risikokinder, wenn sie in die Schule kommen: "Kinder die
beispielsweise noch nicht richtig zählen können, die Schwierigkeiten haben, Mengen zu
unterscheiden, können schon im Kindergarten in eine Position gebracht werden, dass dieses
Anfangsstadium einigermaßen erfolgreich verläuft."
Linktipps
Mehr Infos im Netz
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Website zur Legasthenie und Dyskalkulie [www.legakids.net]
Landesverband Bayern des Bundesverbandes für Legasthenie und
Dyskalkulie [www.legasthenie-bayern.de]
Arbeitskreis Lernforschung [www.arbeitskreis-lernforschung.de]
Literatur
Karin Landerl und Liane Kaufmann: Dyskalkulie - Modelle, Diagnostik, Intervention.
Reinhardt Verlag 2008.
Sehr gut lesbares und verständliches Buch, das die entscheidenden Probleme behandelt.
IQ - Wissenschaft und Forschung - Feature
Dienstag, 29. März 2011, 18.05-18.30 Uhr, Bayern 2
Autor: Klaus Schuster
Redaktion: Bildungspolitik
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