Genetische Forschung zur Epilepsie beim Hund Von Dr. Sommerfeld-Stur Genetische Forschung am und für den Hund hat noch keine sehr lange Geschichte. Da Forschung insbesondere im genetischen Bereich teuer ist, sind Wissenschaftler mehr und mehr auf die Zuteilung von Forschungsgeldern angewiesen. Und diese werden eher solchen Projekten zugesprochen die von großem Allgemeininteresse sind und weniger Projekten, die sich mit einer Tierart befassen, deren Bedeutung für den Menschen sich nach landläufigen Interpretationen im Hobbybereich bewegt. Erst die Aufmerksamkeit, die durch die Entschlüsselung des genetischen Codes bei Hunden der genetischen Ähnlichkeit zwischen Mensch und Hund geschenkt wurde brachte einen Anstoß in eine Richtung, die heute Entwicklungen in einem fast unglaublichen Tempo beobachten lässt. Dies ist eine Entwicklung, die vielleicht auf den ersten Blick für den Hund nur eine Rolle als wissenschaftliches Instrument vorsieht. Denn die Ähnlichkeit zwischen Krankheiten des Hundes und des Menschen lässt Analogien auch im molekulargenetischen Bereich erwarten und macht daher den Hund als Tiermodell für menschliche Erkrankungen interessant. Dazu kommt der Aspekt, dass im Gegensatz zum Menschen, der sich aus populationsgenetischer Sicht im Sinne von Zufallspaarung fortpflanzt, der Hund kleine, streng abgeschlossene Fortpflanzungsgemeinschaften in Form von Rassen bildet. Die genetische Isolation, die sich für die Rassen zwar zum Teil mehr als verhängnisvoll auswirkt, ist für die molekulargenetische Krankheitsforschung ein absoluter Glücksfall. Denn nur in solch abgeschlossenen Familienstrukturen lässt sich die gemeinsame Weitergabe von Genen von Generation zu Generation mit der Exaktheit verfolgen, die für die Entwicklung und Etablierung von molekulargenetischen Nachweismethoden erforderlich ist. Und das Prinzip bewährt sich. Die Entwicklung von molekulargenetischen Diagnoseverfahren boomt. Was von der Forschungsintention her dem Menschen nützen soll, nützt auch dem Hund. Laufende Projekte eröffnen die Hoffnung auch solche Krankheiten in Zukunft bekämpfen zu können, die sich bisher einer züchterischen Bearbeitung hartnäckig entzogen haben. Eine solche Erkrankung ist die Epilepsie. Epilepsie – das maskierte Problem Unter dem Begriff Epilepsie werden Anfallserkrankungen zusammengefasst, die sehr unterschiedliche Ursachen aber auch recht unterschiedliche Verlaufsformen haben können. Sowohl externe Ursachen wie Unfälle oder Vergiftungen als auch genetische Veränderungen können zu Anfallserkankungen führen. So können epileptische Anfälle z.B. im Zusammenhang mit genetischen Erkrankungen der Leber wie angeborenen Lebershunts oder aber als primäre Formen, die auf Veränderungen im Bereich des zentralen Nervensystems beruhen, auftreten. Epilepsie kann sich in sehr unterschiedlichem Lebensalter manifestieren, meistens erkranken die Hunde aber in einem Alter, in dem Zuchttiere bereits Nachkommen produziert haben. Die Diagnose ist immer schwierig, insbesondere die Zuordnung von Anfällen zu einer Primärerkrankung. Was die züchterische Bearbeitung aber besonders schwierig macht ist die Tatsache, dass Epilepsie nicht screenbar ist. Das heißt, dass ein Hund mit Epilepsie außerhalb eines Anfalls nicht als Epileptiker identifizierbar ist. Damit können Anfallsleiden einerseits nicht rechtzeitig erkannt werden, anderseits aber auch durch Züchter im allgemeinen gut geheim gehalten werden, eine züchterische Bekämpfung wird damit extrem schwierig bzw. so gut wie unmöglich. Der Krankheitswert von Epilepsie ist hoch. Im günstigsten Fall hat ein Hund nur selten Anfälle. In solchen Fällen ist auch eine Therapie im Allgemeinen nicht notwendig. Bei häufigeren Anfällen ist eine Therapie möglich, die aber in den meisten Fällen lebenslang und regelmäßig verabreicht werden muss. Nicht alle Fälle von Epilepsie sprechen auf die Therapie an und zudem haben die eingesetzten Medikamente mehr oder weniger starke Nebenwirkungen, die zum Teil auch massive Veränderungen der Persönlichkeit der betroffenen Hunde zur Folge haben. Bei zwei meiner eigenen Hunde musste ich mich bisher mit epileptischen Anfällen auseinandersetzen. Im ersten Fall hatte ich “Glück”. Die Anfälle kamen selten und verschwanden mit zunehmendem Alter von alleine wieder. Im zweiten Fall bestand das “Glück” nur darin, dass die Krankheit erst im Alter von 11 Jahren auftrat. Dann aber entfaltete sie ihre volle zerstörerische Wirkung. Häufige und heftige Anfälle, die eine ständige Therapie mit steigender Dosierung der Medikamente notwendig machten, führten zu einem zunehmenden Persönlichkeitsverfall bei meiner Hündin. Unsauberkeit, Hyperaktivität, Zwangswandern und zunehmende Demenz waren die für alle Beteiligten nur schwer zu ertragenden Folgen. Die Diagnose einer Epilepsie bedeutet somit in den meisten Fällen eine massive und andauernde Beeinträchtigung der Lebensqualität sowohl für den Hund als auch für den Besitzer. Epilepsie tritt in vielen Rassen in einer mehr oder weniger hohen Frequenz auf. Die fehlenden Möglichkeiten zur Detektierung von Merkmalsträgern lassen eine genaue Schätzung der Verbreitung nicht zu. Bedenkt man die verbreitete Verschwiegenheitstaktik vieler Hundezüchter muss man in den meisten betroffenen Rassen von einer recht hohen Dunkelziffer ausgehen. Wer sich näher über die klinischen und genetischen Aspekte der Epilepsie beim Hund informieren will, findet gute und ausführliche Informationen z.B. auf den folgenden Seiten: Epilepsie beim Hund Epilepsie-Fibel für Hundehalter Hundezeitung im Internet Canine Epilepsy Network Ein erster Schritt Die erste Hoffnung auf eine effiziente züchterische Bekämpfung der Epilepsie ergab sich aus einer Publikation einer kanadischen Forschungsgruppe um Hannes Lohi, die 2005 in der wissenschaftlichen Zeitschrift Science eine Mutation beschrieben, die beim Menschen mit einer bestimmten Form der Epilepsie, der “Lafora-Krankheit” assoziiert ist und die nach den Ergebnissen der publizierten Arbeit auch bei Miniatur-Rauhhaardackeln mit der entsprechenden Erkrankung nachweisbar ist. Nun ist diese Form der Epilepsie beim Miniatur-Rauhhaardackel zwar mit etwa 5% Merkmalsträgern recht häufig, bei den meisten anderen Rassen treten aber in erster Linie andere Formen der Epilepsie auf, die mit dem neuen Gentest daher auch nicht nachweisbar sind. Nichtsdestoweniger, der erste Schritt wurde weiter verfolgt und inzwischen arbeitet Dr. Lohi an der Universität in Helsinki weiter an der Entwicklung molekulargenetischer Nachweisverfahren für Erbkrankheiten und insbesondere der Epilepsie beim Hund. [Näheres dazu hier]. Diese Forschungsarbeiten laufen im Netzwerk einer umfangreichen internationalen Kooperation ab. Die Ausgangssituation speziell in Finnland ist günstig. Fast alle reinrassigen Hunde sind registriert, es existiert eine öffentlich zugängliche Datenbank in der alle Zuchtbücher enthalten sind und die Ahnentafeln der Hunde per Mausklick für jeden verfügbar sind. Auch die Kooperationsbereitschaft der Hundebesitzern scheint im Vergleich mit anderen Ländern recht hoch zu sein. Dank dieser Voraussetzungen konnten für die molekulargenetischen Studien bereits über 6000 Blutproben mit den dazugehörigen Ahnentafeln gesammelt werden, eine wichtige Voraussetzung für die Erarbeitung molekulargenetischer Marker. Vor kurzem wurde Dr. Lohi von der finnischen Akademie mit dem Preis für wissenschaftliche Courage ausgezeichnet, eine Auszeichnung, die an Wissenschaftler vergeben wird, “welche beispielslose Unerschrockenheit, Kreativität und Neuerungen in ihren Arbeiten an den Tag gelegt haben”. So paradox es klingen mag, aber diese Unerschrockenheit wird Dr. Lohi brauchen, wenn er sich in der Verfolgung seines Zieles mit den Züchtern und Zuchtverbänden auseinandersetzen muss. Denn so sehr Züchter Interesse an dem Ergebnis haben so wenig sind sie üblicherweise bereit ihr gewohntes Schweigen im Interesse der Forschung zu brechen. Das Problem ist jedenfalls, ohne die Mitarbeit von Züchtern und Hundebesitzern geht es nicht. Denn abgesehen von den finanziellen Mitteln, die zumindest zum Teil über Spenden aufgebracht werden müssen, sind für eine erfolgreiche Arbeit an der Entwicklung von Gentests auch Blutproben und Pedigrees von Hunden notwendig. Und zwar nicht nur von Merkmalsträgern sondern auch von gesunden Hunden. Finnische Vertreter einer der Rassen, die von Epilepsie betroffen ist haben in diesem Zusammenhang ein bemerkenswertes Projekt gestartet. Das Projekt Epidal forciert und unterstützt die Epilepsieforschung speziell für Dalmatiner. Auf der Website dieses Projektes finden interessierte Hundebesitzer alle notwendigen Informationen die für eine aktive Beteiligung notwendig sind. Da die finnische Dalmatinerpopulation zu klein ist um allein auf nationaler Ebene genügend Proben für die Entwicklung eines Gentests aufzubringen, ist speziell für dieses Projekt internationale Kooperation gefragt. Es sollte sich somit jeder Dalmatinerbesitzer von dem Projekt angesprochen fühlen und soweit möglich auch aktiv mitmachen. Es ist dem Projekt und seinen Initiatoren und Mitarbeitern zu wünschen, dass möglichst viele Hundebesitzer und Züchter sich an den Forschungsarbeiten beteiligen und dass durch die Zusammenarbeit zwischen betroffenen Hundebesitzern, Züchtern und engagierten Wissenschaftlern ein Weg zu einer effizienten Bekämpfung einer der problematischsten Erbkrankheiten, der Epilepsie gefunden wird. Und es ist zu hoffen, dass die Initiative Vorbildwirkung hat und vergleichbare Initiativen auch von Vertretern anderer Rassen und auch in Bezug auf andere Erkrankungen umgesetzt werden. Denn die molekulargenetische Forschung ist einer der stärksten Hoffnungsträger für die Hundezucht. • Ergänzung: Jänner 2008 Und es gibt bereits vergleichbare Initiativen. Eine Gruppe von Whippetzüchtern hat ein ähnliches Projekt auf die Beine gestellt um die auch in dieser Rasse bereits beobachtete Epilepsie züchterisch unter Kontrolle zu bringen. Besonders bemerkenswert an der Initiative dieser Züchter erscheint, dass hier versucht wird frühzeitig gegen die Verbreitung dieser Erbkrankheit vorzugehen. Denn die beobachtete Häufigkeit von Epilepsie in dieser Rasse (z.B. 2% nach einer amerikanischen Gesundheitserhebung) erscheint auf den ersten Blick gar nicht besonders hoch. Für die europäische Population liegen zwar keine gesicherten Studien über die Häufigkeit vor, dem Vernehmen nach soll die Prävalenz aber in Europa deutlich höher liegen. Völlig richtigerweise gehen die Initiatoren des Projektes zudem einerseits von einer recht hohen Dunkelziffer aus, anderseits von der bekannten Tatsache, dass die klinisch erkrankten Merkmalsträger immer nur nur die Spitze des Eisberges darstellen. Denn in allen Fällen von rezessiver Vererbung sind weit mehr klinisch gesunde Anlageträger als tatsächliche Merkmalsträger für die genetische Belastung der Population verantwortlich. Und nur dann, wenn Züchter rechtzeitig effiziente Maßnahmen zur Bekämpfung von Erbkrankheiten setzen, besteht die Chance den Defekt zu eliminieren ohne die genetische Varianz der Population zu stark einzuschränken. . Ergänzung: März 2014 Inzwischen ist für die Rasse der Lagotto Romagnolo ein Gentest für eine bestimmte Form der Epilepsie verfügbar.