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PRESSEKONFERENZ - “NASSE NÄCHTE” - 20.1.2015 – BILLROTHHAUS - WIEN
“Tabuthema Enuresis” (K. Zwiauer)
Enuresis definiert sich als unwillkürlicher Harnabgang ab einem chronologischen Alter von fünf bzw. einem
Intelligenzalter von vier Jahren nach Ausschluss organischer Ursachen.
Die Symptome müssen länger als drei Monate bestehen und mindestens zweimal pro Monat auftreten –
bei über Siebenjährigen genügt hier bereits eine einmalige Episode pro Monat. Dabei kann das Einnässen
tagsüber (E. diurna) oder nachts (E. nocturna) bzw. primär (noch nie dauerhaft trocken) oder sekundär
(nach mindestens sechs Monaten des „Trockenseins“) auftreten.
Bei primärer Enuresis wird von einer Entwicklungsverzögerung des Kindes ausgegangen, sie kann familiär
gehäuft auftreten und ist genetisch mitbedingt. Psychische Probleme werden eher als eine Folge der
Störung betrachtet.
Eine wichtige Rolle spielt dabei das antidiuretische Hormon (ADH, Vasopressin). Normalerweise wird
dieses Hormon in einem tageszeitlichen Rhythmus ausgeschieden, der dafür sorgt, dass nachts weniger
Harn in die Blase gelangt. Diese hormonelle Regulation kann bei primärer Enuresis nocturna gestört sein.
Auch das Zusammenspiel zwischen Kontrolle der Blase und der Schlaftiefe ist dabei noch unterentwickelt.
Eine primäre Enuresis nocturna ist gekennzeichnet durch:
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scheinbar tiefen Schlaf (aber mit nur kurzen REM Schlafphasen)
schwere Erweckbarkeit bei normalem Schlafverhalten
häufiges Einnässen mit großen Urinmengen bei hoher Einnässfrequenz
Variation der circadianen ADH-Sekretion
seltene psychische Begleitsymptome
Bei sekundärer Enuresis spielen wahrscheinlich psychische Ursachen die Hauptrolle. Einnässen kann ein
unbewusstes Signal sein: „Etwas stimmt nicht“. Es lassen sich oft unerwartete Veränderungen im Leben
des Kindes finden - die Geburt eines Geschwisterkindes, der Verlust eines Familienmitgliedes,
Streitigkeiten in der Familie, häusliche Gewalt gegen das Kind, ein Trennungserlebnis, ein Umzug oder
Ähnliches sein. Bei der sekundären Enuresis nocturna finden sich:
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ein Rückfall nach einer trockenen Periode von mindestens 6 Monaten
häufig psychische Begleitsymptome
Die Enuresis kann mit den Zeichen einer gestörten Blasenfunktion kombiniert sein. Die Abgrenzung zu
einer Harninkontinenz erfolgt abhängig von der Symptomatik. Bei struktureller, neurogener oder
funktioneller Blasendysfunktion spricht man von einer Harninkontinenz. Für eine Blasenfunktionsstörung
sprechen folgende Symptome:
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häufiges Wasserlassen
Einsatz von „Haltemanövern“, z. B. Aneinanderpressen der Oberschenkel, von einem Bein aufs
andere hüpfen, Hockstellung
ungewollter Harnabgang bei starkem Harndrang
staccattoartiges Wasserlassen mit unvollständiger Entleerung der Blase
Harninkontinenz bei abdomineller Anspannung, wie beim Husten oder Niesen
Einnässen gehört zu den häufigsten Störungen des Kindesalters. Nachts nässen etwa 25% der
Vierjährigen, 10-15% der Siebenjährigen und 1–2% der Jugendlichen ein. Das Geschlechterverhältnis
zwischen Jungen und Mädchen beträgt 2:1. Die spontane Remissionsrate beträgt etwa 13-15% pro Jahr.
Mit 15 Jahren sind fast 99% aller Jugendlichen „trocken“.
Tags nässen 2–3% der Siebenjährigen und unter 1% der Jugendlichen ein. Untersuchungen zufolge haben
etwa % der Erwachsenen ihre Harnblase nachts nicht unter Kontrolle. Demnach gibt es in Österreich rund
80.000 Kinder, das sind 2 pro Volksschulklasse und immer noch ca. 160.000 Erwachsene Bettnässer.
Die pathophysiologischen Erklärungsmodelle reichen von genetischen Ursachen über Störungen der
zirkadianen ADH-Sekretion bzw. pathologischen Schlafmustern bis hin zu psychosozialen Risikofaktoren
und konstitutionellen Entwicklungsverzögerungen. Wissenschaftlich belegt ist eine familiäre Häufung –
war ein bzw. waren beide Elternteil(e) davon betroffen, so erkranken rund 44 bzw. 77 % der Kinder. Häufig
sind psychiatrische Begleitsymptome bei sekundärer Enuresis zu beobachten.
Die familiäre Häufung der Enuresis ist seit den dreißiger Jahren bekannt. Es wird ein autosomal
dominanter Erbgang mit einer Penetranz von über 90% vermutet. Allerdings tritt die Erkrankung in 30%
Kontakt: Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Karl Zwiauer , T: 0664 3573 573 Email: [email protected]
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der Fälle sporadisch auf. Bis zum Jahr 2001 waren alle vermuteten Kandidatengene ausgeschlossen
worden.
Wesentliche Fragestellungen
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Bei ADHS werden im Gehirn nicht alle ankommenden Reize angemessen verarbeitet. Dazu gehören auch
die Signale von Harnblase und Darm. Bei Kindern mit ADHS treten Enuresis und Enkopresis wesentlich
häufiger auf als bei nicht betroffenen Kindern.
ADH-Plasmaspiegel bei Enuresis nocturna
Puri hatte bereits 1980 ADH-Spiegel im Urin bei Enuresis untersucht. Seitdem wird bei nächtlichem
Bettnässen von einer Störung der ADH-regulierten Harnausscheidung ausgegangen. Man nimmt an, dass
die Ursache für die Enuresis ein ADH-Mangel in der Nacht ist.
Nächtliches Einnässen durch gebremste Gehirnentwicklung?
Nässt ein älteres Kind noch ins Bett, sind die Nervenbahnen im Gehirn möglicherweise noch nicht
genügend ausgereift, sodass Bettnässen bei diesen Kindern eine rein körperliche Ursache hat. Einige
Betroffene sprechen auf Behandlung mit dem antidiuretischen Hormon (ADH) jedoch nicht an. Es wird
vermutet, dass bei diesen Kindern die Verbindung zwischen verschiedenen Gehirnbereichen und daher
die willkürliche Blasenkontrolle im Schlaf noch nicht ausreichend entwickelt ist.
Schlafmuster
Das Schlafmuster der Enuretiker ist zwar prinzipiell vergleichbar mit jenem beschwerdefreier Kinder, die
Betroffenen sind aber ausgesprochen schwer weckbar. Es wird eine pathologisch erhöhte
Aufwachschwelle bzw. eine verzögerte Reifung des Aufwachmechanismus postuliert. Der Reiz der
gefüllten Blase reicht nicht aus, das Kind zu wecken …
Flüssigkeitszufuhr und nächtliches Einnässen
Eine hohe abendliche Flüssigkeitszufuhr hat möglicherweise einen verstärkenden Einfluss auf das
nächtliche Einnässen, mehr als 25ml pro Kilogramm Körpergewicht haben in einer Studie enuretische
Episoden hervorgerufen. Die pathogenetische Bedeutung der verminderten funktionellen Blasenkapazität
wird unterschiedlich diskutiert. Bei therapieresistenten Kindern konnte ein hoher Prozentsatz an
pathologischer funktioneller Blasenkapazität nachgewiesen werden.
Psychosoziale Ebene
Es gibt keine spezifische Assoziation mit bestimmten psychischen Auffälligkeiten. Risikofaktoren vor allem
bei der sekundären Enuresis beziehen sich einerseits auf Verluste im weitesten Sinn, wie zum Beispiel
Trennung, Scheidung, Todesfälle, Geburt eines Geschwisters, extreme Armut, Delinquenz der Eltern,
Deprivation, Vernachlässigung, mangelhafte Unterstützung bei Entwicklungsschritten, andererseits auf
einen Krankheitsgewinn durch Regression: die Ausscheidung zieht Zuwendung in Form von
Versorgungshandlungen durch die Eltern nach sich.
Tabulisierung
Einnässen zählt zu den häufigsten Störungen des Kindesalters – Dennoch verhindern Tabuisierung wie
auch Bagatellisierung oftmals eine adäquate Diagnostik und Therapie. Diese für Kinder wie Eltern
gleichermaßen belastende Erkrankung kann durch gezieltes routinemäßiges Ansprechen
aufgedeckt und nach entsprechender Abklärung unter Ausschluss organischer Ursachen durch
umfassende Information und konsequente (Kombinations-) Therapie in den meisten Fällen sehr
gut behandelt werden.
Diagnostik & Therapie
Die Therapie der Enuresis nocturna iat nur in Ausnahmefällen vor dem 5. Lebensjahr indiziert.
Entscheidend für den Therapiebeginn sind der Leidensdruck und die Motivation der Kinder.
Die therapeutischen Möglichkeiten reichen von allgemeinen Maßnahmen bzw. Urotherapie über
Verhaltenstherapie, u. a. dem Einsatz von Bettnässeralarmgeräten bis hin zum Einsatz verschiedener
Medikamente. Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen nächtlicher Harnausscheidung und nächtlicher
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Blasenkapazität auszugleichen bzw. durch Verhaltenstherapie zu erreichen, dass das Kind rechtzeitig
aufwacht, bevor es zum Einnässen kommt.
Wichtige sind eine exakte Anamnese sowie das Miktions-Trink-Stuhl-Protokoll. Ohne Protokoll kann
keine spezifische Therapie eingeleitet werden.
Das ideale Miktions-Trink-Stuhlprotokoll beinhaltet Angaben über
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Tagesablauf (Wann geht das Kind zu Bett? Wann steht es auf?)
Trinkverhalten (Wann, was, wie viel? Abends Flüssigkeitseinschränkung? Abendliches
„Milchflascherl“
Miktionsverhalten (Wie häufig ? Miktionsvolumen wie groß? Nässt das Kind auch am Tag ein?
Entleert das Kind direkt vor dem Schlafengehen die Blase oder geht es mit voller Blase zu Bett?
Wann nässt das Kind nachts ein – vor/nach Mitternacht, erst in den frühen Morgenstunden?
Nässt es gar mehrfach in der Nacht ein?)
Nachtharnmenge (Liegt eine nächtliche Polyurie vor?)
Stuhlgewohnheiten (Wie häufig? Konsistenz? Obstipationsneigung?).
Die Basisdiagnostik umfasst weiters eine körperliche Untersuchung, die Harndiagnostik z. B. zum
Ausschluss eines Harnwegsinfektes und ggf. eine Sonographie des Harntrakts inklusive SonoRestharnbestimmung. Bei Bedarf erfolgt eine Beobachtung der Blasenentleerung und ggf. eine
Harnflussmessung. Eine weiterführende z. T. invasive Diagnostik wird heute nur sehr selten notwendig.
Der erste Schritt besteht in der Aufklärung und motivierenden Beratung u. a. um Schuldgefühle zu
nehmen. Die normale Blasenfunktion wird erläutert, individuelle Abweichungen und bestimmte
Verhaltensmaßnahmen erklärt. Die Haupttrinkmenge soll in der ersten Tageshälfte aufgenommen
werden. In der zweiten Tageshälfte und vor allem in den Abendstunden nur noch wenig trinken.
Insbesondere kohlensäurehaltige Getränke oder Milchprodukte sollten vor dem Schlaf vermieden
werden. Obligat: Toilette vor dem Schlafengehen aufsuchen. Positive Rückmeldungen/Belohnungen
insbesondere für trockene Nächte fördern die Motivation. Durch diese unspezifischen Maßnahmen kann
bei etwa 18% der Betroffenen innerhalb von 8 Wochen Trockenheit erzielt werden.
Reichen die allgemeinen Maßnahmen nicht, gibt das Miktionsprotokoll Hinweise, welche Strategie den
besten Erfolg verspricht.
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Desmopressin (Minirin®, Nocutil®): Erste Wahl, wenn die Ursache in einer zu hohen nächtlichen
Harnausscheidung bei normalem Miktionsvolumen liegt. Das Strukturanalogon des
antidiuretischen Hormons (ADH) reduziert die nächtliche Harnproduktion durch vermehrte
Wasserrückresorption in der Niere und damit das nächtliche Harnvolumen. Desmopressin gleicht
so einen zu Grunde liegenden ADH-Mangel als Ursache aus, bis der Körper selbst in der Lage ist,
das Hormon in ausreichender Menge zu produzieren. Der Vorteil liegt in einem raschen
Wirkungseintritt, einmalige Gabe vor dem Schlafengehen reicht. Die Wirkung hält 8-10 Stunden
an. Nebenwirkungen sind selten. Desmopressin ist als Tablette oder orale Schmelztablette
erhältlich.
Die Erfolgsrate der Therapie liegt bei richtiger Dosierung und korrektem Dosierungsschema bei
70-80%. Desmopressin ist aufgrund des raschen Wirkungseintrittes auch geeignet, um
bestimmte „kritische Situationen“ wie Klassenfahrten, Übernachtungen bei Freunden etc. zu
überbrücken.
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Alarmtherapie: Mittel der Wahl, wenn die Ursache der Enuresis laut Miktionsprotokoll in einem
zu geringen aktuellen Ausscheidungsvolumen bei normaler nächtlicher Harnproduktion liegt. Bei
der Alarmtherapie mit Klingelhose oder -matte führt jedes nächtliche Einnässen zum Auslösen
eines Alarms und zum Erwachen des Kindes. Durch Konditionierung lernen die Kinder
letztendlich, bei voller Blase aufzuwachen bzw. die Miktion zu unterdrücken und weiter zu
schlafen. Die Alarmtherapie muss über einen längeren Zeitraum (3-6 Monate) durchgeführt
werden , ehe mit ein Therapieerfolg erwartet werden kann. Bei konsequenter Anwendung ist mit
Erfolgsraten bis zu 80% nach acht- bis zehnwöchiger Therapie zu rechnen.
Kontakt: Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Karl Zwiauer , T: 0664 3573 573 Email: [email protected]
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Alarmtherapie + Desmopressintherapie: Findet man im Miktionsprotokoll sowohl ein
vermindertes aktuelles Miktionsvolumen als auch eine erhöhte nächtliche Harnausscheidung, so
kann eine Kombinationstherapie erwogen werden.
Anticholinerge Therapie: Eine anticholinerge Therapie als Monotherapie reicht bei Enuresis meist
nicht aus. Sie kann bei Bedarf in Kombination mit Desmopressin eingesetzt werden.
Antidepressiva: sind heute auf Grund der zum Teil massiven Nebenwirkungen, die sogar einige
Todesfälle verursacht haben, praktisch obsolet.
Laserakupunktur: Die Akupunktur stellt eine alternative, nicht pharmakologische und
schmerzfreie Behandlungsform bei Kindern mit Enuresis dar und erweitert das Spektrum der
Behandlungsmöglichkeiten. Zu einer Verbesserung der Enuresisfrequenz kommt es bei 87,5% der
Kinder.
Therapie von Komorbiditäten wie z. B. einer obstruktiven Atemwegserkrankung
Immer noch häufig praktizierte Maßnahmen wie nächtliches Wecken, Strafen, Verhaltenstherapie
ohne Klingelgeräte sind nicht effektiv und sollten nicht mehr angewendet werden.
Da es gelegentlich lange dauern kann bis sich ein Behandlungserfolg einstellt, sind eine enge
Beziehung zwischen Kind, Eltern und Arzt bzw. Urotherapeut sowie regelmäßige
Kontrolluntersuchungen mit Motivation der Kinder und Eltern zum Durchhalten ein wichtiger Schlüssel
für den Therapierfolg.
Kontakt: Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Karl Zwiauer , T: 0664 3573 573 Email: [email protected]
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