2 Die bikamerale Psyche

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PS Geschichtspsychologie
Göschl, Florian
Macek, Marlene
Mandak, Anna
Handout
09. 12. 2002
0151041
0104620
0008009
Der Ursprung des Bewusstseins.
Jaynes These der bikameralen Psyche
1 Einleitung
1.1 Bewusstsein- ein historischer Abriss
Das Problem der Definition des Bewusstseins hat eine ebenso lange Geschichte wie die Frage nach
seinem Ursprung. Jede Epoche hat das Bewusstsein in Begriffe gefasst, die den eigenen
vorherrschenden Themen und Interessen entsprachen; somit wurde die wahrgenommene Außenwelt
zur Metapher für die Innenwelt. Das sogenannte Leib- Seele Problem stellte lange Zeit eine reine
philosophische Fragestellung dar. Erst mit dem Aufkommen der Evolutionstheorie mauserte es sich zu
einer wissenschaftsgemäßeren Fragestellung und avancierte schließlich zu einem zentralen Problem
im Denken des zwanzigsten Jahrhunderts .Im folgenden seien einige Theorien zum Bewusstsein und
zu dessen Ursprung aufgelistet:
Bewusstsein als Eigenschaft der Materie
Monistische Lehre, ausgehend von Quantenphysik
Bewusstsein als Eigenschaft des Protoplasmas
Basierend auf Evolutionstheorie
Bewusstsein als Lernfähigkeit
Ursprung des Bewusstseins fällt zusammen mit
jenem des assoziativen Gedächtnisses
Bewusstsein als Folge einer metaphysischen
Intervention
Bruch zwischen Mensch- und Tierwelt nur durch
metaphysische Einflussnahme erklärbar
Theorie vom hilflosen Zuschauer
Bewusstsein als Epi- Phänomen
Die emergente Evolution
Bewusstsein als Neubildung des
Evolutionsprozesses
Der Behaviorismus
Existenz des Bewusstseins geleugnet
Bewusstsein als das retikuläre Aktivierungssystem Ort des Bewusstseins: Formatio reticularis
Die genaue Kenntnis dieser vorgeschlagenen Lösungen ist für die Beschäftigung mit Julian Jaynes
Ansatz nicht vonnöten, ihre Darstellung soll ausschließlich die (auch wissenschaftliche) Uneinigkeit
über die Definition des Bewusstseins und seines Ursprungs illustrieren.
Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie
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1.2 Was ist das Bewusstsein nicht?
Um das Bewusstsein zu definieren, seine Funktionen zu beschreiben und endlich seinen Ursprung
festzumachen bedient sich Jaynes einer etwas unkonventionellen Methode: Die Frage, die er sich
vorerst stellt, lautet: Was ist das Bewusstsein nicht?

Das Bewusstsein ist kein Abbild unseres Erlebens.

Das Bewusstsein ist nicht notwendig für die Begriffsbildung.

Das Bewusstsein ist nicht notwendig für das Lernen.

Das Bewusstsein ist nicht notwendig zum Denken.

Das Bewusstsein ist nicht notwendig für die Vernunfttätigkeit.
Auf die detaillierte Beweisführung im Sinne Jaynes soll hier der Kürze halber verzichtet werden;
exemplarisch sei der Punkt Das Bewusstsein ist nicht notwendig für die Vernunfttätigkeit
herausgestellt: Das Bewusstsein wird häufig als der Sitz der Vernunft bezeichnet. Diese Annahme ist
nicht nur aufgrund der Unbestimmtheit des Vernunftbegriffs problematisch, sondern auch wegen
dessen Vermengung mit Ideen von Wahrheit und Logik. Das Schließen- als praktische Anwendung
der Vernunft- ist für Jaynes nicht mehr als auf Generalisierung beruhende Erwartung (Beispiel: Holz
schwimmt an der Wasseroberfläche) und somit ein Funktionsprinzip des Nervensystems, nicht des
Bewusstseins.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass laut Julian Jaynes der Anteil des Bewusstseins an unserem
Alltagsverhalten ein sehr geringer ist, was ihn zu der Schlussfolgerung anregt, dass dereinst Menschen
gelebt haben könnten, die nicht mit Bewusstsein ausgestattet und doch imstande waren, beinahe alles
zu tun, was wir zu tun vermögen.
1.3 Metapher und Sprache
Das Kapitel Metapher und Sprache soll hier kurz erläutert werden, weil es wesentlich für das weitere
Verständnis von Jaynes Überlegungen ist. Vorab einige Begriffsdefinitionen:

Metaphorand:  Sache, die bezeichnet werden soll

Metaphorator:  Sache oder Relation, die als Bezeichnung dient

Paraphoratoren:  Dem Metaphorator zugestellte Assoziationen und Attribute
 Rückprojektion

Paraphoranden des Metaphoranden
Ein Bespiel soll die Begriffe noch verdeutlichen: Die Schneedecke. Metaphorand ist die
Lückenlosigkeit oder die Dicke des Belages, der die Erde bedeckt. Metaphorator ist in diesem Fall die
Bettdecke. Paraphoratoren sind: Wärme, Geborgenheit, angenehmer Schlaf, gefolgt von Erwachen.
Ebendiese Assoziationen kreieren letztlich unser Bild von der Erde, die unter der Schneedecke ihren
Winterschlaf hält, um im Frühling schließlich gestärkt zu erwachen und aufzublühen.
Laut Jaynes ist die Metapher der eigentliche Wesensgrund unserer Sprache. Das Wachstum der
Sprache beruht auf Metaphernbildung und selbst wissenschaftliche Theorien stellen Jaynes zufolge
nichts anderes dar als eine metaphorische Beziehung zwischen einem Modell und einem
Tatsachenzusammenhang. Auch die Begrifflichkeit in Zusammenhang mit Bewusstsein ist
metaphorischer Natur, ja, mehr noch: Jaynes meint, dass Bewusstsein sei ein Analogon der realen
Welt, ein Operator, ein per Metapher erzeugtes Bild des realen Raums.
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1.4 Eigenschaften des Bewusstseins
Was zeichnet nun dieses Bewusstseinsmodell aus? Was sind seine Eigenschaften?
Spatialisierung
Verschiedene Realitäten unserer DingVerhaltenswelt werden im Bewusstsein mit
räumlicher Qualität ausgestattet. (Beispiel Zeit)
Exzerpierung
Im Bewusstsein sehen wir nie etwas zur Gänze.
Exzerpierungen verkörpern unser Wissen vom
Ganzen in sich.
Das Ich (qua Analogon)
Vorstellungsselbst, das in einer Vorstellungswelt
agiert.
Das Ich (qua Metapher)
Blick auf uns selbst aus der Distanz:
autoskopische Vorstellungen
Narrativierung
Neue Situationen werden vermittels selektiver
Wahrnehmung zu Anschlussstücken in unserer
persönlichen Fortsetzungsgeschichte.
Ursachenzuschreibungen und Begründungen sind
ebenso der Narrativierung zuzuschreiben.
Kompatibilisierung
Einzelelemente werden zur Einheit eines
Bewusstseinsgegenstandes zusammengesetzt.
Zwei simultan eintretende Exzerpierungen werden
verschmolzen. (Beispiel: Turm und Bergwiese)
2 Die bikamerale Psyche
2.1 Einführung
Jaynes zufolge kann das Bewusstsein nur in der menschlichen Spezies und nach Entwicklung der
Sprache entstanden sein. Wie geht er nun aber methodisch vor, um diese Theorie zu verifizieren?
Julian Jaynes wählt folgenden Zugang: Durch die Untersuchung frühester Schriftdokumente der
menschlichen Kultur soll auf den jeweiligen Entwicklungsstand der Mentalität, auf den Stand der
Psychoevolution geschlossen werden. Die Ilias beispielsweise weiß im allgemeinen nichts von
Bewusstsein, es existiert keine Introspektion! Götter lenken und entscheiden- kurz: spielen die Rolle
des Bewusstseins. Wer aber waren diese Götter? Jaynes meint, es handelte sich um innere,
halluzinierte Stimmen, vergleichbar mit den Gehörshalluzinationen mancher Schizophreniepatienten.
Diese Götter stellten Organisationstypen des Zentralnervensystems dar, sie waren Halluzinationen der
bikameralen Menschen.
Der Mensch dieser Zeit war also gekennzeichnet durch eine bikamerale Psyche, eine 2- KammerPsyche. Er zerfiel laut Jaynes in zwei Teile: Einen Leiter und Lenker namens Gott und einen
Gefolgsmann namens Mensch; beide hatten kein Bewusstsein. Die Welt des bikameralen Menschen
bestand einfach in der Gesamtheit dessen, was ihm widerfuhr.
Was hat es tatsächlich mit Gehörshalluzinationen auf sich? Es ist erwiesen, dass es Stimmerlebnisse
gibt und dass sie sich in nichts von der Wahrnehmung realer Laute unterscheiden. Jaynes glaubt wie
gesagt, dass die Gehörshalluzinationen der bikameralen Menschen ganz ähnlich beschaffen waren wie
jene unserer Zeit. Als Auslöser halluzinierter Stimmerlebnisse bezeichnet er den Stress. Die
Stressschwelle zur Halluzinationsauslösung setzt Jaynes beim bikameralen Menschen extrem niedrig
an. Praktisch alles, was eine Entscheidung erforderte, reichte aus, um eine Gehörshalluzination zu
bewirken. Zur näheren Charakterisierung der Stimmen beschäftigte sich Julian Jaynes mit
Gehörshalluzinationen bei Psychotikern.
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Warum aber wurden diese Stimmen für real gehalten und warum wurde ihnen gehorcht? Zur
Beantwortung dieser Fragestellung ist es hilfreich, sich etwas eingehender mit dem Gehör zu
beschäftigen: Das Gehör nimmt eine Sonderstellung unter den Sinnesmodalitäten ein: Es ist nicht oder
nur sehr schwer manipulierbar und am wenigsten willkürlich beherrschbar. Es gibt laut Jaynes zwei
Methoden, um das Gehör und somit das Gehorchen unter die eigene Willensherrschaft zu bringen:

Variation der räumlichen Entfernung zum Gesprächspartner

Persönliche Meinung über andere
Bei halluzinierten innern Stimmen ist keine der beiden Methoden praktikabel. Es ist kein räumlicher
Fixpunkt, von dem die Stimme ausgeht, vorhanden und die Allgegenwart der Stimmen entzieht sich
jeder Einschränkung. Der bikamerale Mensch war somit stimmenhörig. Sein Wille war das
Stimmphänomen. Die Stimme hören hieß ihr gehorchen!
2.2 Neuropsychologischer Ansatz
Hier beschäftigt sich Jaynes mit den Fragen: Was geht im Gehirn des bikameralen Menschen vor und
wie war dieser Apparat organisiert, um eine Mentalität wie die bikamerale zu ermöglichen?
DIE SPRACHZENTREN
Das gesprochene Wort ist das Medium der bikameralen Psyche, also müssen die Sprachzentren des
Gehirns auf irgendeine maßgebliche Weise involviert sein. Die Erklärung nach Jaynes bezieht sich nur
auf Rechtshänder. Bei Rechtshändern befinden sich die Sprachzentren in der linken
Gehirnhemisphäre, die die rechte Körperseite steuert = dominante Hemisphäre. Die rechte Hemisphäre
steuert die linke Körperseite = nichtdominante Hemisphäre.
Es gibt 3 Sprachzentren, die sich bei der Mehrheit aller Menschen in der linken Hemisphäre
befinden.



Das motorische Sekundärrindenzentrum
Das Broca– Zentrum
Das Wernicke-Zentrum:
Es ist verantwortlich für den Wortschatz, Satzaufbau, für die Bedeutung und das Verstehen
gesprochener Sprache. Es ist also die für die normale Ausübung des Sprachvermögens am
wenigsten entbehrliche Region und absolut wichtig für die menschliche Kommunikation!
Aber warum befinden sich die Sprachzentren alle in der linken (dominanten) Hemisphäre, vor allem
wenn man bedenkt, dass der für die Sprachfunktion erforderliche neurologische Apparat in der rechten
Hemisphäre ebenso vorhanden ist wie in der linken!?
Die Vermutung Jaynes geht dahin, dass diese stummen Sprachzentren in der rechten Hemisphäre auf
einer früheren Etappe der Menschheitsgeschichte irgendeine Funktion ausübten, die sie heute nicht
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mehr haben. Nach Jaynes war die Menschensprache aus dem einen Grund nur mit einer
Gehirnhemisphäre verknüpft: damit die andere frei bleibt für die Sprache der Götter!
Wenn dem so ist, dürfen wir erwarten, gewisse Kanäle zu finden, über die die bikameralen Stimmen
aus dem rechten (nicht dominanten) Schläfenlappen in den linken gelangten. Beim Menschen besitzen
die Schläfenlappen ihren eigenen „Balken“ in der vorderen Kommissur (commissura anterior).
JAYNES HYPOTHESE:
Die Hypothese von Jaynes besagt also, dass die Rede der Götter unmittelbar in der Gehirnpartie
strukturiert wurde, die rechtsseitig dem entspricht, was linksseitig das Wernicke– Zentrum ist, und
dass sie dann über die vordere Kommissur den Hörzentren des linken Schläfenlappens „zugesprochen“
und also von diesen „gehört“ wurde.
5 BEWEISTHEMEN:
1. Jede der beiden Hemisphären versteht Sprache, doch selber sprechen kann nur die linke!
2. In der rechten Hemisphäre ist die gottähnliche Funktion noch rudimentär vorhanden!
Hierzu gab es Untersuchungen von Penfield und Perot. Es wurde das Gehirn in der rechten
Hemisphäre gereizt. Diese Untersuchungen wurden an Patienten mit Epilepsiediagnose durchgeführt.
Die Hirnoberfläche wurde mit einem leichten elektrischen Strom stimuliert. Wir dürfen also erwarten,
dass die Patienten diese Stimmen hörten. Bei vielen Patienten zeigten sich Reaktionen, sie hörten
Stimmen, die meist verschwommen klangen. Manche Patienten hörten Musik oder unbekannte
Melodien und wieder andere hörten Stimmen, die von absonderlichen, unbekannten Orten ausgingen.
Interpretation:
Nach Jaynes führen die Befunde zu Halluzinationen, die eine Verdichtung speziell von
Erziehungserlebnissen darstellen und die bei denjenigen Patienten, die auf Befragen Auskunft über sie
gaben, gegebenenfalls durch Wahrnehmungstäuschung oder Rationalisierung in das Realleben
integriert werden.
3. Jede der beiden Hemisphären kann sich unabhängig von der anderen betätigen.
Das Gehirnmodell der bikameralen Psyche geht davon aus, dass der göttliche Sektor und der
menschliche Sektor einigermaßen unabhängig voneinander agierten und dachten. Diese Annahme lässt
sich durch eine andere Gruppe von Epileptikern beweisen: Es handelt sich dabei um Patienten, die
einer kompletten Kommissurotomie unterzogen wurden. Eine Kommisurotomie ist ein Eingriff, bei
dem sämtliche Verbindungsbahnen zwischen rechter und linker Hemisphäre in der Mitte durchtrennt
werden. = Split-brain-Operation (Diese Operation bewirkt normalerweise die Heilung der Epilepsie)
Es wurde also ein Testverfahren an den Kommissurpatienten durchgeführt, bei dem bewiesen wurde,
dass nur von der rechten Hemisphäre erblickte Reize dort eingesperrt sind: sie können der linken
Hemisphäre, in der sich die Sprachzentren befinden, nicht mitgeteilt werden, weil die
Verbindungsbahnen der Kommissurpatienten gekappt sind. Die Untersuchungen an Split-brainPatienten haben also schlüssig erwiesen, dass die beiden Gehirnhemisphären unabhängig voneinander
funktionieren können, so als wäre jede eine Person für sich. Nach Jaynes waren diese 2 Personen in
der bikameralen Epoche der Geschichte das menschliche Individuum und sein Gott.
4. Die Unterschiede in den kognitiven Funktionen der beiden Hemisphären sind analog dem
Unterschied zwischen Gott und Mensch.
Die zum menschlichen Part gehörenden Funktionen sind in der linken Hemisphäre lokalisiert und die
den Göttern zugehörigen Funktionen in der rechten Hemisphäre. Die Funktion des Gottes bestand in
der Anleitung und Planung des Handelns in ungewohnten Situationen. Eine höchst wichtige Leistung
des menschlichen Urteilsvermögens war zu allen Zeiten die Identifizierung von Gesichtsausdrücken,
insbesondere im Hinblick auf etwaige freundliche oder feindliche Absichten ihres Trägers. Sah ein
bikameraler Mensch ein nicht identifiziertes Individuum auf sich zukommen, war es die Funktion der
Götter, Freund und Feind auseinanderzuhalten.
5. Das Gehirn in neuer Sicht
Wie ist es möglich, dass innerhalb relativ kurzer Zeit ein Wandel des Funktionsprinzips eintritt, in
dessen Verlauf jene erzieherischen Stimmen verstummen und eine neue Orientiertheitsform wie das
Bewusstsein entseht? Um diese Frage beantworten zu können müssen wir uns ein neues Bild vom
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Gehirn machen: Diese neue Perspektive betont vor allem die Plastizität des Gehirns. Es ist fähig zu
den vielfältigsten Formen und Graden der Vernetzung zwischen zusammenwirkenden Zentren. Der
Organismus als Ganzes ist also weitaus flexibler und anpassungsfähiger und kann besser auf sich
ständig wandelnde Umweltbedingungen antworten als früher angenommen. Die Region der rechten
Gehirnhemisphäre, die das Gegenstück zum Wernicke-Zentrum bildet, übte in der bikameralen
Epoche ihre bikamerale Funktion aus, aber nach Jahrtausenden der psychologischen Neugliederung, in
denen jeder aufkeimende Ansatz zur Bikameralität bereits in früher Kindheit unterdrückt wurde,
funktioniert sie jetzt ganz anders.
2.3 Der Ursprung der Kultur
Die bikamerale Psyche ist eine Form von sozialer Kontrolle, und zwar diejenige Form, die den
Übergang der Menschheit von Jäger- und Sammler- Kleingruppen zu ackerbauenden Gemeinschaften
möglich machte. Die bikamerale Psyche mit ihren göttlichen Kontrollinstanzen bildet das Endstadium
der Evolution der Sprache und in dieser Entwicklung liegt der Ursprung der Kultur.
GRUPPENEVOLUTION
Soziale Gruppenbildung als solche ist eine Erbanpassung zum Schutz gegen Räuber. Die
Sozialstruktur einer Gruppe hängt von der Kommunikation unter den Individuen ab. Unter
gleichbleibenden Umweltbedingungen ist es für die meisten Tierarten das gegebene
Kommunikationssystem, was über die Größe der Gruppe entscheidet. Die Lebensweise der
Frühmenschen vor 2 Millionen Jahren hat ebenso ausgesehen, wie die der Primatengruppen heute.
Nach Jaynes ist es so, dass die Götter aus dem Grund erschienen sind, um das Problem des
eingeschränkten Gruppenumfangs zu lösen.
Die notwendige Vorraussetzung für die Existenz von Göttern ist die
EVOLUTION DER SPRACHE
1. Zur Frage von Zeitpunkt und Zeitraum:
Jaynes ist der Ansicht, dass der Mensch erst im späten Pleistozän (70000 bis 8000 v.Chr.) anfing
Sprache zu entwickeln. Nach Jaynes kommunizierten die Menschen vor dieser Zeit genau wie alle
anderen Primaten, mit einer Fülle von visuellen und stimmlichen Signalen, die sehr weit entfernt
waren von der syntaktischen Sprache, die wir heute verwenden. Er meinte, dass die Klimaänderungen,
die das späte Pleistozän mit sich brachte, der Ursprung des Selektionsdrucks waren, der die
Entwicklung der Sprache prägte.
2. Zu den Stadien der Sprachentwicklung:
In der ersten Etappe der Evolution der Primaten waren nur mimische/gestische Signale wie
Drohgebärden, also visuell- intentionale Signale vorhanden. Das erste Stadium der Sprachentwicklung
ist der Übergang von zufallsbedingten „unwillkürlichen“ Ausrufen zu intentionalen Zurufen, die im
Prinzip solange wiederholt werden, bis sich Verhaltensänderung des Empfängers einstellt.
3. Ursprung von Gehörshalluzinationen:
Nach Jaynes waren sie eine Nebenwirkung des Sprachverstehens, das sich durch natürliche Selektion
als Mittel der Verhaltenskontrolle herausbildete. Erlernte Handlungsweisen ohne Endhandlung müssen
durch einen äußeren Faktor, der nicht zur Handlung selbst gehört, aufrechterhalten werden. Und
Sprachhalluzinationen können der Faktor sein, der das leistet.
4. Epoche der Eigennamen:
Jaynes meint die Eigennamen traten nicht vor dem Mesolithikum auf(10000 bis 8000 v. Chr.) Während
dieser Periode passte der Mensch sich den veränderten Umweltbedingungen der wärmeren Nacheiszeit
an. Die Populationsverhältnisse und die zwischenmenschlichen Beziehungen verfestigten sich und es
gab in der Gruppe jetzt mehr Menschen, die es auch galt auseinanderzuhalten. Es war also notwendig,
dass sich Eigennamen für das einzelne Individuum entwickelten. Sobald nun ein Stammesmitglied
seinen eigenen Namen hatte, konnte es in seiner Abwesenheit reproduziert werden. Man konnte also
an ihn oder sie denken, denken jedoch im Sinne von eingliedern in Sprachstrukturen ohne
Bewusstsein. Es stellte sich noch ein weiterer Wandel in Zusammenhang mit dem Auftauchen von
Eigennamen ein: Bis zu dieser Periode waren die Gehörshalluzinationen anonym und ohne Bedeutung
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im sozialen Interaktionszusammenhang. Sobald jedoch die Halluzinationen namentlich, als die
Stimme einer Person identifiziert wird, hatte die Halluzination sehr viel größeren Einfluss auf das
Verhalten des Individuums.
DIE NATOUFIEN- MENSCHEN
Sie sind die am gründlichsten untersuchte mesolithische Kultur, so benannt nach dem Fundort: Wadi–
el– Natuf in Palästina. Um 10000 v.Chr. waren die Natoufien – Menschen Jäger, um 9000 v.Chr.
bestatteten sie ihre Toten in formellen Gräbern und nahmen eine sesshaftere Lebensweise an. Die
Siedlung wurde 1959 entdeckt, sie bestand aus etwa 50 runden schilfgedeckten Steinhäusern mit
Durchmessern von bis zu 7 Metern. Die Häuser waren um einen Platz herum gerichtet, auf dem
zahlreiche glockenförmige Gruben ausgehoben waren, diese waren mit Gips ausgekleidet und dienten
zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln. Hier können wir einen bedeutsamen Wandel beobachten:
Statt eines Nomadenstammes von rund 20 Mitgliedern entwickelte sich eine Stadt mit ca. 200
Bewohnern.
1. Der halluzinogene König:
Die Natoufien- Menschen hatten nach Jaynes kein Bewusstsein, sie konnten nicht narrativieren und es
gab für sie kein „Ich“. Sie waren signalverhaftet, das heißt sie reagierten fortwährend reflektorisch auf
Hinweisreize aus der Umgebung und sie wurden durch diese Hinweisreize gesteuert. Die
Gehörshalluzinationen nahmen ihren Ausgang von lauten Befehlen, die das Individuum sich entweder
selbst erteilte oder vom Stammesoberhaupt erteilt bekam. Jaynes Ansicht nach waren die
Gehörshalluzinationen die Hinweisreize der sozialen Kontrolle. Jeder Mensch in der Gruppe trug diese
Stimme des Königs in sich, diese Stimme sorgte für den kontinuierlichen, ausdauernden Fortgang und
den Kollektivnutzen seines Tuns.
2. Der Gottkönig:
Der auslösende Faktor für die Halluzinationen ist Stress, und der durch den Tod eines Menschen
bewirkte Stress reichte schon aus um die halluzinierte Stimme des Toten zu evozieren. In Ain Mallaha
wurde auch ein Grabhaus entdeckt, aus der Zeit um 9000 v.Chr. Im Inneren lagen, in der Mitte des
Raumes, zwei vollständige menschliche Skelette mit abgetrennten und unnatürlich verdrehten Beinen.
Das eine Skelett trug einen Kopfschmuck und wird für das der Frau des Königs gehalten. Das zweite
war das Skelett eines erwachsenen Mannes, vermutlich des Königs. Dieses Skelett war mit Steinen
teils bedeckt , teils auf sie gestützt, und der Kopf war aufgerichtet. Zu irgendeinem späteren Zeitpunkt
wurde das Grabhaus mit einer gemauerten, mit Ocker bestrichenen Brüstung umgeben und die
Himmelsöffnung wurde mit großen, flachen Steinen zugepflastert. Die Vermutung von Jaynes ist, dass
der tote König in den Halluzinationen seines Volkes noch immer Befehle gab (deswegen wurde der
Kopf freigelassen) und dass die Ringmauer mit dem Terrassendach die Antwort auf die Zersetzung des
Leichnams darstellte. Die Anlage als solche sah Jaynes als den Quellpunkt der Halluzinationen, die
das soziale Leben in Ain Mallaha steuerten. Ist der König tot wird er zum lebendigen Gott!
3. Amtsnachfolge:
Über dem Skelett des Königs fand sich noch ein Schädel im Grab, das lässt darauf schließen, dass es
sich um den unmittelbaren Nachfolger handelte und dass nach und nach die halluzinierte Stimme des
alten mit der des neuen Königs verschmolz.
Hier haben wir also den Anfang der Zivilisation .
Und das Steuerungsorgan für diesen komplexen Prozess der Zivilisation der Menschheit war
nach Jaynes die bikamerale Psyche.
3 Belief- System in der bikameralen Ära
Welche Möglichkeiten und welcher Grad der Autonomie waren bei den Menschen im Denken, Fühlen
und Handeln vorhanden?
Um sich der Antwort auf die Frage anzunähern, ist die Hervorhebung der Gleichförmigkeiten
zwischen bikameralen Königtümern von Nutzen.
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3.1 Gleichförmigkeiten
GOTTESHÄUSER
In jeder Stadt aus dem Altertum, sowie auch bei heutigen Städten, finden wir ein Gebäude, das den
Mittelpunkt darstellt und schon von weitem Sichtbar ist. In der heutigen Zeit würden wir annehmen,
dass es sich um die Behausung des Lokalherrschers handelt, jedoch dürfen wir unsere Vorstellung
eines Herrschers nicht auf das Altertum übertragen. Es war vielmehr eine Halluzination, bzw. in den
häufigsten Fällen eine Statue, die von diesen prunkvollen Gebäuden aus die Stadt beherrschte.
LEBENDE TOTE
Die Leichen wichtiger Personen so zu bestatten, als ob diese noch am Leben wären, ist in sämtlichen
dieser alten Kulturen eine weitverbreitete Praxis. Dieser Brauch lässt sich nicht stichhaltig erklären, es
sei denn, man nimmt an, dass die Stimmen der Toten noch nach Ihrem Tod vernommen wurden.
SPRECHENDE IDOLE
Die dritte Eigenheit, die in den verschiedensten Kulturen des Altertums gemeinsam auftritt sind
plastische Menschendarstellungen. Sie spielten eine zentrale Rolle im Alltag der Menschen1. Jaynes
erklärt das damit, dass sie Hilfsmittel bei der Erzeugung von Stimmhalluzinationen waren.
Idole solcher Art hat man zu Tausenden gefunden und das lässt daran zweifeln, ob wirklich alle dazu
dienten, Gehörshalluzinationen auszulösen. Es könnte sich auch um allgemeine Erinnerungsstützen
gehandelt haben, weil der bikamerale Mensch nicht in der Lage war Erfahrungen per Willensakt zu
reproduzieren.
3.2 Unterschiede
INTERKULTURELLE STRUKTURDIFFERENZEN
Wir dürfen nicht annehmen, dass überall dort wo die bikamerale Psyche in Erscheinung trat, dies mit
ein und dem selben Ergebnis geschah. Die Bevölkerungszahlen der Königtümer waren
unterschiedlich, es waren unterschiedliche Umweltbedingungen vorhanden. Es gab verschiedene
Priester, Verwaltungshierarchien usw.
Dem entsprechend war die halluzinatorische Kontrolle bei verschiedenen Theokratien von markant
anderer Autorität und Intervalldichte. Das heißt, dass auch im Altertum die Möglichkeiten zur
Erstellung eines Belief-Systems zwischen verschiedenen Kulturen stark variierten.
INTERAKULTURELLER STRUKTURWANDEL
Wir haben heute eine radikal andere Geistesverfassung als die Menschen des Altertums. Sie hatten ja
kein Bewusstsein wie wir es kennen. Sie hatten auch keine Verantwortung zu tragen, es gab kein Lob
oder keine Schuld die man als Konsequenz einer Handlung auf sich nehmen musste. Ohne jegliche
Verantwortung ist auch keine Motivation vorhanden, eine angefangene Handlung fertig auszuführen
bzw. sie überhaupt erst zu beginnen. Vielleicht hat es ja in der Tat gar keine Motivation gegeben- oder
anders gesagt: gar kein Wollen!
Halluzinatorische Kontrolle schafft, dank ihres Erfolgs, soziale Komplexität. Bis zu einem Grad, an
dem die zivilisierten zwischenmenschlichen Beziehungen nicht mehr aufrechterhalten werden
konnten. In der Zeit vom 9. bis 2. JT v. Chr. änderte sich die Struktur sehr langsam, jedoch im 2. JT v.
Chr. hat das Entwicklungstempo eine Beschleunigung erfahren. Das Wachsen der Bevölkerung hatte
zu Folge, dass sehr viele unterschiedliche Probleme nach einer Lösung verlangten. Das führte zu einer
großen Anzahl von Gottheiten. Und nach und nach brachen die verschiedensten Theokratien in sich
zusammen. Ohne äußere Ursache. Jedoch gab es im südlichen Teil Mesopotamiens niemals einen
derartigen Kollaps, wie es in Ägypten oder Mittelamerika der Fall war.
1
Vgl. James Mellaart, Earliest Civilization of the near East, New York: McGraw-Hill 1965, Seite 106. Zit. nach
Jaynes Julian, Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche, Boston:
Houghton Mifflin Company, p. 206.
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2 Faktoren könnten dabei eine Rolle gespielt haben:
1. große Flexibilität der Theokratie
2. Verwendung der Schrift.
Die Schrift wurde von den Mesopotamiern schön sehr früh bei der Verwaltung eingesetzt. Das
Ermöglichte einerseits eine räumliche Streuung der Menschen, andererseits auch einen Zusammenhalt
in einer größeren Gesellschaft, wie so etwas wie „Recht“ möglich wurde. Die Schrift hat ein
Verfahren sozialer Kontrolle ermöglicht, das binnen kurzem die bikamerale Psyche ablösen sollte.
4 Bedeutung der Schrift
Im Allgemeinen ist die Schrift im 3. JT v.
Chr. aufgekommen. Über die Zeit
entwickelten sich Bilder visueller
Ereignisse zu Symbolen phonetischer
Ereignisse. Es vollzog sich also eine
Wandlung von erinnerungstechnischen
Hilfsmitteln (zur Aktivierung von
Informationen, die der Leser schon besitzt),
hin zu Schrift als Informationsquelle über
Inhalte, die der Leser noch nicht kennt.
Zwischen diesen zwei Extremformen gibt
es Schriften, die halb Bild, halb Symbol
sind, wie z.B. die Hieroglyphenschrift oder
die Keilschrift (weit mehr verbreitet). Die
differenzierter werdende Schrift trug dazu
bei, dass die auditive Sinnesmodalität an
Bedeutung verlor. Insgesamt brachte die
Schrift kulturelle Determinanten in
Bewegung, die im Zusammenspiel mit
anderen Kräften einen tiefen Strukturwandel
in der Psyche selbst bewirkten.
5 Bedingungen für Bewusstsein
Das 2. Jahrtausend v. Chr. steht im Zeichen von Kriegen, Katastrophen und Völkerwanderungen.
Hierarchien bröckelten und stürzten in sich zusammen. Ein Schatten entstand, der zwischen die
göttliche Stimme und das Handeln trat. Die halluzinatorische Kontrolle der Götter wurde immer
geringer. Verständlich, dass die Götter missvergnügt, hadernd und eifersüchtig wurden und sich die
Menschen dagegen schützen mussten.
Mit Hilfe der Sprache wurde ein Analog-Raum gebildet. Dieser Analog-Raum hatte eine Komponente
namens „Ich“. Er bot Schutz gegen die Tyrannei der Götter. So vollzog sich der Übergang von der
differenziell strukturierten bikameralen Psyche hin zum Bewusstsein.
5.1 Bedeutungsverlust der auditiven Sinnesmodalität
Die Schrift bewirkte eine Lockerung der Partnerbindung zwischen Gott und Mensch.
Gehörshalluzinationen wurden immer seltener. Gleichzeitig hat die Schrift dieses Leistungsdefizit der
Götter kompensiert. Da das Wort Gottes auf Steintafeln stand, konnten sich die Menschen den
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göttlichen Weisungen entweder zu- oder abwenden. Aus eigener Kraft! So war das Wort Gottes nicht
mehr die alleinige Macht, die unmittelbaren Gehorsam erzwang.
5.2 Brüchigkeit der halluzinatorischen Kontrolle
Bikamerale Staatsgebilde waren prinzipiell mehr vom Zusammenbruch bedroht als Staatsverbände der
Bewusstseins-Ära. Je größer die Städte wurden, umso größer wurde die Zahl der Götterstimmen. Die
Leute waren damit beschäftigt, die Götterstimmen nach Rang und Namen zu klassifizieren. Schon bei
der geringsten Erschütterung waren diese Hierarchien gefährdet, in sich zusammenzubrechen und in
der Tat war es so, dass diese frühen Theokratien oft ohne erkennbaren Grund kollabierten.
5.3 Praxisferne der Götter
Der bikamerale Mensch wurde in Alltagsituationen von unbewussten Gewohnheiten gesteuert. Wenn
ihm irgend etwas Neuartiges begegnete, wies ihm die göttlich Stimme den Weg. Das 2. JT v. Chr.
brachte eine enorme Fülle von neuartigen Situationen mit sich – die Götter waren total überfordert.
Die unmittelbare Ursache für den Zusammenbruch der bikameralen Psyche war genau der Umstand,
dass die Götter niemanden sagen konnten, wie er sich in einem solchen Chaos zu verhalten hatte, bzw.
wenn sie etwas sagten, führten ihre Anweisungen in den Tod. Oder zumindest zu einer Steigerung des
Stresses, der auf physiologischer Seite das Auftreten der Stimmen überhaupt erst bewirkt hatte. Dieser
Stress war aber so groß, dass ein undurchdringliches Stimmengewirr auftrat und die Menschen keine
Handlungsanweisung bekamen.
5.4 Annahme einer Inneren Ursache
Alle Menschen, die ein und dem selben Stadtgott gehörten, waren sich in Ansichten und
Handlungsweisen sehr ähnlich. Aber in dieser Umbruchphase vermischten sich die Völker zwangsweise. Es stellte sich heraus, dass Fremde anders sprachen, andere Ansichten hatten und ein
anderes Verhalten an den Tag legten, mochten sie auch noch so ähnlich aussehen. Das könnte zu der
Annahme geführt haben, dass irgend etwas anderes in ihrem Innern anders sein müsse.
Und genau da – in der Beobachtung kultureller Unterschiede – liegt möglicherweise der Ursprung des
Analog-Raums des Bewusstseins. Es könnte also sein, dass der Mensch, bevor er zu seinem eigenen
inneren Selbst kam, dieses zuerst bei anderen Menschen annahm. Und sich damit das andersartige
Verhalten erklärte.
5.5 Übernahme der Narrativierung
Narrativierung ist die Fähigkeit, Beziehungsganzheiten zu bilden. Das kann sich im kleinen Rahmen
abspielen aber auch in größeren Ganzheiten wie Lebensspannen Geschichten, Vergangenheit, Zukunft.
Und genau das Herstellen von größeren Ganzheiten wurde von den Göttern erlernt. Da die Götter im
physiologischen Sinn nichts anderes als Regionen der rechten Hemisphäre sind, können sie ja lernen.
Die ersten uns bekannten Epen wurden in der Mitte des 3. JT v. Chr. verfasst und handeln von den
Beziehungen zweier Nachbarstaaten. Jaynes vermutet, dass die Narrativierung durch die Verbindung
von vergangenen politischen Ereignissen entstand: Erinnerungen an Ereignisse, die in ein
Beziehungsgeflecht eingeordnet wurden.
5.6 Überlebenswert der Verstellung
Täuschendes Verhalten könnte ebenfalls zu den Ursachen des Bewusstseins gehören, jedoch muss
man unterscheiden zwischen kurzfristiger und langfristiger List. Zu Ersterem sind auch Schimpansen
fähig, zu einer längerfristigen List, einer richtigen Intrige sind aber weder Tier noch der bikamerale
Mensch in der Lage. Um sich auf längerfristige Zeit zu verstellen, muss ein Selbst vorausgesetzt sein.
Dieses Selbst muss in der Lage sein, etwas ganz anderes zu „tun“ und zu „sein“ als das, was die
Person tatsächlich „ist“ und „tut“. Man kann sich leicht vorstellen, was für einen bedeutenden
Überlebenswert eine solche Fähigkeit zur Intriganz- in diesen Chaos-Jahrhunderten– hatte.
Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie
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5.7 Natürliche Selektion
Obwohl das Bewusstsein eine kulturelle Schöpfung ist und keine biologische Notwendigkeit besitzt,
ist Jaynes der Ansicht, dass natürliche Selektion eine Rolle gespielt haben könnte. Einfach darum, weil
Bewusstsein einen Überlebenswert besaß und immer noch besitzt.
6 Literatur
Aschersleben G., Bachmann T. & Müsseler, J. (Hg.) (1999). Cognitive contributions to the perception
of spatial and temporal events. Amsterdam: Elsevier, 1999 (Advances in psychology; 129)
Jaynes, J. (1993). Der Ursprung des Bewusstseins, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Johnson-Laird, P. N. (1983). Mental models: Towards a cognitive science of language, inferences, and
consciousness, Cambridge: Cambridge University Press.
Siehe auch: http://www.si.umich.edu/ICOS/gentleintro.html
Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie
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