Nachrichtlich - SVR Gesundheit

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Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.
Herrn Prof. Dr. F.W.Schwartz
Vorsitzender des Sachverständigenrates
für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
Bundesministerium für Gesundheit
Am Probsthof 78a
53121 Bonn
2.8.2000
Nachrichtlich
Herrn
Prof. Dr. Dr.h.c. P.C. Scriba
Direktor der Med. Klinik
Klinikum Innenstadt der LMU
Ziemssenstr.1
80336 München
Sehr geehrter Herr Prof. Schwartz!
Bitte erlauben Sie uns in Ergänzung unseres Schreibens vom 5.6.00 auf Grund der in der
Sitzung vom 17.7.00 in Berlin geführten Diskussion die Stellungnahme der DGM zu
erweitern und unsere an das Ministerium herangetragenen Anliegen zu konkretisieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke versteht sich als Selbsthilfeorganisation für
alle Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen in der Bundesrepublik, sowohl erbliche
als auch erworbene, deren Zahl mit 500 000 sicher nicht zu hoch gegriffen ist. Unter der
Vielzahl erworbener Erkrankungen sei die schicksalsschwer verlaufende, bisher
therapeutisch nur gering zu beeinflussende Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
(Inzidenz 1:50 000) herausgegriffen. Weiterhin seien die entzündlichen Muskelkrankheiten
(Polymyositis, Dermatomyositis, Einschlußkörpermyositis) und die Myasthenia Gravis
genannt, die nicht nur diagnostisch bedeutungsvoll, sondern in der Hand erfahrener
Experten auch schon gut behandelbar erscheinen. Deshalb ist eine schnelle und genaue
Diagnose, der die kompetente Behandlung folgt, bei diesen Erkrankungen ganz besonders
wichtig.
Die auf Initiative der DGM und nach dem Vorbild der Muscular Dystrophy Association
(USA) sowie der EAMDA ( European Alliance of Muscular Dystrophy Associations)
in Deutschland ins Leben gerufenen Muskelzentren sind flächendeckend und im Grunde
zahlenmäßig ausreichend( vgl. Anlage). Allerdings wird ihre Arbeitsfähigkeit durch
eingeschränkte Überweisungsmodalitäten sowie insbesondere durch eine ungenügende
finanzielle Vergütung der nötigen (interdisziplinären) ambulanten Leistungen ganz
erheblich behindert.
Hier bitten wir dringend um Unterstützung durch den Gesetzgeber, erfüllen wir doch mit
diesen Muskelzentren wesentliche Forderungen der Gesundheitsreform 2000 wie eine
weitgehend ambulante integrierte Behandlung Muskelkranker durch alle für sie relevanten
Disziplinen in enger Zusammenarbeit mit dem Hausarzt.
Mit freundlichen Grüßen
Anne Kreiling
1.Vorsitzende
Prof. Dr. D. Pongratz
2.Vorsitzender
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke zur Anfrage
des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
Neuromuskuläre Erkrankungen gehören zu den seltenen Krankheiten, für deren Diagnose
und Behandlung hochspezialisierte Leistungen erbracht werden müssen. Leider gibt es in
Deutschland bisher keine exakten epidemiologischen Daten, sodass hier noch ein
erheblicher Forschungsbedarf besteht. Insgesamt schätzt man die Zahl der Menschen mit
schwerwiegenden Muskelerkrankungen in der Bundesrepublik aber auf ca 150 000.
In den Muskelzentren wird neben hochspezialisierten technischen Verfahren zur
Diagnostik eine kompetente fachlich-medizinische Beratung durch mit den einzelnen
Krankheitsbildern und ihren unterschiedlichen Verläufen erfahrene Ärzte angeboten, nicht
zuletzt auch bezüglich der individuell angepaßten Ausstattung mit Hilfsmitteln und der
krankengymnastischen Beratung.
Bei den technisch-apparativen Leistungen sind zunächst die elektrophysiologischen
Untersuchungen wie die Elektromyographie und Elektroneurographie zu nennen, die zwar
zur Basisdiagnostik zählen, , aber nur in der Hand des erfahrenen und routinierten
Untersuchers unzweifelhafte Ergebnisse liefern. Fehlerhafte Untersuchungstechnik führt
hier zu Fehlinterpretationen und möglichen Zweit- und Drittuntersuchungen zur Kontrolle.
Dazu gehört auch die Muskelsonografie als nichtinvasives Verfahren, die nur in der Hand
des sehr erfahrenen Untersuchers die Aussagekraft und den Stellenwert erhält, der ihr auf
Grund der technischen Möglichkeiten zusteht.
Die Kernspintomographie ist auf Grund der sehr hohen Gerätekosten nur an ausgewählten
Orten vorhanden. Gerade bei der Beurteilung von unterschiedlichen Prozessen im
Weichteilgewebe sind kernspintomographische Untersuchungen von großer Bedeutung.
Computertomographische Untersuchungen haben in der Diagnostik von neuromuskulären
Erkrankungen nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die transcranielle Magnetstimulation ist eine zunehmend wichtige Untersuchung bei der
Einstufung der Motoneuronerkrankungen.
Bei den invasiven Verfahren sind die Muskel- und Nervenbiopsie weiterhin bei vielen
neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere den metabolischen Myopathien,
unabdingbar. Sie erfordern jedoch hochspezialisierte Labors für die besonderen
biochemischen Nachweistechniken; ihre Aussagekraft ist ganz entschieden abhängig von
der Erfahrung des Untersuchers.
Schließlich gewinnen im Bereich der Genetik immer mehr molekularbiologische
Verfahren für die Diagnose neuromuskulärer Erkrankungen an Bedeutung, die aber
in der Regel mit hohen Kosten verbunden sind und nur an wenigen
hochspezialisierten Zentren durchgeführt werden können.
Nur ein mit den in der Regel sehr seltenen Krankheitsbildern (Inzidenz und Prävalenz zum
Teil kleiner als 1:100.000) erfahrener Arzt kann gezielt und sinnvoll die unterschiedlichen
und zum Teil sehr aufwendigen und teuren Untersuchungsverfahren einsetzen und die
richtigen Folgerungen daraus ziehen.
Auf Grund fehlender Erfahrung werden falsche oder nur zum Teil nutzbare Hilfsmittel
verordnet, die dann keine Hilfe darstellen, unter Umständen sogar negativen körperlichen
Entwicklungen (Skoliose, Kontrakturen) Vorschub leisten und sehr bald durch Neue
ersetzt werden müssen. Dies führt zu vermeidbaren Kosten und zu einer unnötigen
Belastung der betroffenen Patienten. Durch die teilweise schnelle Progression der
Erkrankungen ist eine fortlaufende regelmäßige Betreuung und Beratung bei der
Versorgung von Hilfsmitteln notwendig.
Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. hat deshalb flächendeckend im ganzen
Bundesgebiet sogenannte Muskelzentren initiiert. Sie sind angesiedelt in den
neurologischen und neuropädiatrischen Abteilungen von Universitätskliniken oder
größeren kommunalen Kliniken. Basis sind die interdisziplinären Muskelsprechstunden,
die von Neurologen und Neuropädiatern angeboten werden und zu denen, je nach Bedarf
weitere Fachrichtungen wie Kardiologen, Orthopäden, Pulmologen oder Anästhesisten und
Humangenetiker zugezogen werden. Hier werden von erfahrenen Ärzten nach den von der
Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke und ihrem Wissenschaftlichen Beirat
entwickelten Qualitätsstandards die Diagnosen neuromuskulärer Erkrankungen gestellt und
die Betroffenen und ihre Angehörigen kompetent begleitet.
Es liegt auf der Hand, daß diese Arbeit in den Muskelsprechstunden nur mit einer
ausreichenden Ermächtigung zur ambulanten Behandlung möglich ist. Diese darf nicht auf
die Diagnostik begrenzt sein, sondern muß auch die weitere Begleitung der Patienten durch
das interdisziplinäre Team möglich machen. Auch eine Einengung auf die Überweisung
durch einen niedergelassenen Neurologen erschwert die Begleitung Muskelkranker
erheblich, da ein weiterer Arzttermin für die in ihrer Mobilität eingeschränkten Patienten
eine große Belastung darstellt.
Freiburg, den 5.6.00
Anne Kreiling
1. Vorsitzende
Prof.Dr.D.Pongratz
Stellvertr.Vors.
Sachverständigenrat
für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
Bundesministerium für Gesundheit
Am Probsthof 78a
53121 Bonn
Freiburg, den 5.6.00
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir beziehen uns auf Ihre Anfrage von Anfang April an die Teilnehmer der Konzertierten
Aktion im Gesundheitswesen und eine Reihe von Selbsthilfeorganisationen.
Wir versuchen Ihre Fragen so gut wie möglich mit der beiliegenden Stellungnahme zu
beantworten, die aber wegen mangelnder epidemiologischer Daten mehr einer
Situationsbeschreibung entspricht und die Antwort der Deutschen Gesellschaft für
Muskelkranke auf diese Situation beschreibt.
Mit der Initiierung von Muskelzentren versuchen wir, die Irrwege Muskelkranker bis zu
einer richtigen Diagnose abzukürzen und eine kompetente Begleitung der Betroffenen und
ihrer Familien sicherzustellen.
Dabei sehen wir die Unterversorgung der Patienten mit neuromuskulären
Erkrankungen ganz überwiegend im ambulanten Bereich. Es gibt sicher genügend
niedergelassene Neurologen in der BRD, aber nur ganz wenige mit speziellen
Kenntnissen auf dem Gebiet der seltenen neuromuskulären Erkrankungen. Es müßte
die Bereitschaft der niedergelassenen Ärzte erhöht werden, Patienten mit dem
dringenden klinischen Verdacht zu den entsprechenden Spezialuntersuchungen
einem der ausgewiesenen Muskelzentren zuzuweisen und nicht untauglich
„anzudiagnostizieren“. Letzteres schafft unnötige Kosten und u.a. auch eine unnötige
Belastung der Patienten sowie eine Verzögerung der Diagnosestellung. In den
Muskelzentren sollten die vielen ambulant durchzuführenden Untersuchungen zügig
abgewickelt werden können und nicht etwa aus Kostengründen auf mehrere Quartale
verteilt werden.
Im stationären Bereich ist keine Unterversorgung zu sehen. Allenfalls sollten in
kommunalen Krankenhäusern teilweise mehr neurologische Betten zur Verfügung stehen.
Die konsiliarische Betreuung einer neurologischen Erkrankung auf einer internistischen
Station ist oft nicht optimal.
Im Reha-Bereich gibt es sicher keinen Mangel an Betten. Qualifizierte Einrichtungen für
Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen sind jedoch eher selten, was die Qualität der
Reha-Maßnahmen für diese Patientengruppe deutlich mindert.
Wir hoffen, Sie damit über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von
Muskelzentrenüberzeugt zu haben und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
Anne Kreiling
1.Vorsitzende
Prof. Dr. D. Pongratz
Stellvertr.Vorsitzender
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