Die Zielsetzung für die Lernprozesse dieser Vorlesung

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Gerhard Steiner (Universität Basel)
Schwachstellen in schulischen Lernprozessen – eine lernpsychologische Sicht
Die Zielsetzung für die Lernprozesse dieser Vorlesung
Kein Lernen ohne Zielsetzung: Um welches Lernziel geht es eigentlich heute, hier und jetzt?
Ich will Ihren Blick auf den Prozesscharakter des Lernens lenken und Ihnen nahe bringen,
an welchen Stellen und auf welchem Niveau dieser komplexen Prozessabläufe sich
Schwachstellen lokalisieren lassen. Was Sie dazu mitbringen müssen, ist also ein mentales
Modell davon, was Lernprozesse konkret sind. Dieses Vorwissen will ich mit Ihnen
zusammen so elaborieren, dass Sie nach dieser Stunde Beispiele zu den kritischen Stellen
nennen können, an denen die Qualität des Lernprozesses gefährdet ist.
Einige grundlegende Vorbemerkungen
Lernen impliziert immer aktiven Aufbau und Konsolidierung. Sehr vereinfacht, aber
eindringlich formuliert, meint Aufbau die Prozesse bis zum Verstehen einer Wissensstruktur,
Konsolidierung die Prozesse des längerfristigen Kodierens, Speicherns, Abrufens und
Anwendens.
Unterrichtende geben Einführungen und lassen das neue Wissen anwenden. Schüler brauchen
aber mehr als das: Sie konstruieren während der Einführung des Lehrers neue
Wissensstrukturen, oft gut in Teilstrukturen gegliedert, erhalten aber kaum oder gar nicht
Gelegenheit bzw. Zeit, diese Teilstrukturen zu kodieren, d.h. abzuspeichern und mit ihnen
weiter zu konstruieren. Hier liegt eine der zentralen Schwachstellen im Lernprozess: Weil
Unterrichtende Experten in ihrem Fach sind und alle Wissensstrukturen, die sie vermitteln,
sehr gut kennen und gespeichert haben, denken sie kaum daran, dass Lernende über dieses
Wissen eben (noch) nicht verfügen und sie es zuerst in entsprechenden Portionen abspeichern,
d.h. sich einprägen müssen. Dazu wird einiges zu sagen sein!
Ich nehme eine konstruktivistische Grundhaltung ein; der Gegensatz wäre eine
abbildtheoretische Haltung, die mit den Empiristen bzw. den Sensualisten davon ausgeht,
dass „nichts im Geist ist, was nicht zuvor in den Sinnen war“: „nihil est in intellectu quod non
prius fuerit in sensu“, sagte John Locke, der Hauptvertreter des englischen Empirismus, in der
2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Diese Ansicht vom unverzichtbaren mentalen Weg der
Information durch die Sinnesorgane hat bei vielen Lehrenden zur völlig irrigen Annahme
geführt, dass es vor allem darauf ankäme, neue Information ästhetisch ansprechend, sicher
multimedial und sooft als möglich auch dynamisch-animiert vor Augen (bzw. in viele
Sinne) zu stellen; dadurch würde sich das entsprechende Wissen im Geist abbilden. Die
konstruktivistische Grundidee, auf die ich baue, ist die, dass zwar die Sinne durchaus eine
notwenige Stufe in der Informationsverarbeitung einnehmen, dass aber keine Abbildung
dessen stattfindet, was in den Sinnen ist, dass vielmehr die sinnesmodalitätsspezifisch
zwischengespeicherte Information einer gründlichen Verarbeitung bedarf, wenn daraus
individuelles Wissen entstehen soll. Das heisst zugleich, dass das lernende Individuum seine
konstruktiven Prozesse selber initiieren, ausführen und zu einem Abschluss bringen muss.
Was ist Lernen?
Lernen ist ein meist recht kontinuierlicher, kumulativer Konstruktions- und
Konsolidierungsprozess, also ein fortschreitendes Verstehen und Behalten. Begriffliche
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Elemente werden miteinander verknüpft, systematisch, der Sachstruktur der zu lernenden
Inhalte folgend; dafür sorgt der Unterrichtende: Er strukturiert, d.h. ordnet die Information.
Bevor die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses überschritten wird, müssen die Verknüpfungen
verdichtet werden, sodass neue Elemente höherer Ordnung entstehen. Das ist der Prozess des
chunking, des Bildens von Informationspaketen, die dann als neue Einheiten wiederum mit
anderen begrifflichen Elementen verknüpft werden können. Hier muss nun das Kodieren
seinen Raum bekommen; es muss eingeprägt werden, was verknüpft und verdichtet worden
ist, d.h. die Informationspakete müssen ins Vorwissen integriert werden, und aus der
Information wird so neues Wissen. Dieses Einprägen muss in relativ kleinen Portionen und
sofort erfolgen; andernfalls ist das Risiko gross, dass es gleich wieder zerfällt. Im Gedächtnis
Behaltenes muss aber auch abgerufen werden können, d.h. Einzelelemente müssen erinnert
und genannt und die verdichteten Elemente müssen wieder ausgefaltet werden können.
Für ein kumulatives Lernen ist es nun entscheidend, dass eben Wissenselemente greifbar,
sind, die ein Aufkumulieren von Information gestatten. Das bedeutet nichts anderes, als dass
die gebildeten Informationspakete in weiter führenden Lernprozessen als aktives Vorwissen
eingesetzt und mit dem neuen Wissen verknüpft werden können. Es kommt also darauf an,
dass das abgespeicherte Wissen unmittelbar zugänglich ist (die moderne
Gedächtnispsychologie kennzeichnet den Zustand dieses Wissens als accessible), damit es
mit neu hereinkommender Information reagieren kann; könnte es dies nicht, so wäre es
träges Wissen (inert knowledge), das nicht zum Lernen taugt. Einfach zu wissen, dass man
einen Inhalt einmal gehört hat, dass er gewiss irgendwo in der Erinnerung noch vorhanden
(available) ist – das genügt nicht zum Lernen. Nur greifbares, unmittelbar zugängliches
Wissen ermöglicht kumulatives Lernen; ohne dieses werden kumulative Lerndefizite
aufgebaut.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich zwingend das Postulat, dass einmal in den
Konstruktionsprozessen des Verknüpfens, Verdichtens und Strukturierens aufgebaute
Informationspakete für einen hohen Zugriff vorbereitet werden müssen. Und dazu sind
Konsolidierungsprozesse im Lernen unabdingbar. Das in diesen Informationspaketen
„versorgte“ Wissen muss in kleinen, aber rasch einsetzbaren Einheiten bereitstehen: nicht nur
als Wissen, sondern auch als Teil eines Lernverfahrens, als Prozedur für den weiteren
Wissenserwerb. Es müssen Wissens-, Operations- oder Handlungssubroutinen entstehen,
die rasch und leicht aus dem Gedächtnis abgerufen und gebraucht werden können.
Solche Lernprozesse dürfen freilich nicht ziellos vonstatten gehen; es müssen Lernziele
formuliert und akzeptiert werden. Auch muss der Lernprozess an einer sachstrukturell
günstigen Stelle angehalten werden, damit die Resultate evaluiert und aus dem Ergebnis
Konsequenzen für das weitere Vorgehen gezogen werden können. Abb. 1 zeigt diesen
Lernprozess als ganzen.
Hier Abb. 1 einfügen!
Abb. 1 zeigt den kontinuierlich und kumulativ voranschreitenden Lernprozess. Vieles vom bisher Gesagten muss
man sich im dritten Kasten vorstellen: begrifflicher Aufbau und Konsolidierung des aufgebauten Wissens bis zur
Ausbildung von Wissens- oder Handlungssubroutinen.
Eine vor allem bildungspolitisch fatale Schwachstelle ist der üblich gewordene Verzicht auf
die hier durch gepunktete Linien angegebenen Prozesse: die Evaluation der Lernergebnisse
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und das Nachfassen für den Fall, dass die Ergebnisse nicht den Zielsetzungen entsprechen.
Oft hört der Lernprozess beim Läuten der Pausenglocke brüsk auf, nicht bei der Vollendung
der Struktur. Oder es resultiert eine ungenügende Note; das interessiert niemanden: Für den
Schüler ist die Sache nach dem Test ad acta gelegt, für den Lehrer drängt das Curriculum zum
Weitermachen! Das ist vielleicht polemisch formuliert, kommt aber ziemlich nahe an die
Alltagsrealität heran.
Schwachstellen in schulischen Lernprozessen
Wenn im Folgenden von Schwachstellen die Rede ist, richte ich den Fokus immer auf die
Mikroprozesse des Lernens, diejenigen Prozesse also, die die Lernaktivität determinieren
und von denen ich meine, dass die Unterrichtenden ein wesentlich stärkeres Bewusstsein für
sie aufbauen sollten, weil die viel beschworene Qualität im Bildungswesen weit stärker durch
sie bewirkt wird als durch irgendwelche Höhenflüge in Schulreformen.
Es geht dabei um die Mikroprozesse der Aufmerksamkeitsfokussierung, um multiple
modalitätsspezifische oder semantische Enkodierungen, um inneres Wiederholen
(rehearsal, schlicht um das Einprägen), um Prozesse des Vergleichens (und dabei des
Kategorisierens), um Abruf- oder Rekonstruktionsprozesse, um sinnvolles Üben
(deliberate practice) und den Aufbau von Wissens-, Operations- und
Handlungssubroutinen, um Informationsselektion und Organisation der ausgewählten
(z.B. markierten) Elemente, um Verstehensprozesse, um Elaborationen und Reduktionen
von Information, um das Verdichten der Information (chunking) und das wieder Ausfalten
derselben.
Schwachstellen entwickeln sich immer dort, wo Lernende daran gehindert werden, selber
aktiv zu sein, d.h. diese Mikroprozesse bewusst auszuführen. Davon soll nun die Rede
sein.
Schwachstelle 1: Vorwissen gar nicht wirklich aktiviert
„Wir haben das letzte Mal...“ oder „In der letzten Stunde (oder Vorlesung) haben wir...“
Was bewirkt eine solche Standardeinleitung in eine neue Unterrichtssequenz
lernpsychologisch? Die Lernenden hören zu und erleben dabei bestenfalls ein
Wiedererkennen – die schwächste Form des Abrufs (retrieval) aus dem Gedächtnis – die
stärkste ist das freie Erinnern oder das völlig selbständige Rekonstruieren, das
zweitstärkste das Abrufen auf einen Hinweis (cued recall). Wiedererkennen führt zum „Ach
ja“- oder déjà-vu-Erlebnis, zur Erinnern also, das eine oder andere Stichwort tatsächlich
letztes Mal gehört, zur Kenntnis genommen zu haben. Solche Stichwörter nun noch einmal zu
hören, bringt vielleicht eine weitere Kodierung des Wortes, vielleicht die assoziative
Erinnerung daran, dass noch andere Begriffe mit diesem Stichwort zusammenhängen, die
Erinnerung auch daran, dass das irgendwo – vielleicht auf einem Arbeitsblatt – festgehalten
worden ist (es ist ja typisch, dass man oft noch weiss, wo etwas gestanden hat), ferner aber
auch, dass die Sache doch eher langweilig war, und falls sie hoch spannend war, so wird auch
das erinnert. „Letztes Mal haben wir...“ führt also ziemlich systematisch zu einer
Inaktivierung derjenigen Prozesse, die das Vorwissen aktivieren könnten.
Ziehen wir also die Konsequenzen! Notieren Sie mit je einem oder zwei Stichwörtern, wo Sie
weitere Schwachstellen beim Lernen im Unterricht sehen und erwarten, dass ich darauf zu
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sprechen komme. Ich fordere Sie also hinterhältigerweise auf, Vorwissen hinsichtlich
verschiedener Lernprozesse abzurufen bzw. zu reaktivieren. Nehmen Sie sich dafür jetzt eine
Minute Zeit.
Das ist die Form von Eigenaktivität, von Vorbereitung zum Lernen, wenn Lernen ganz simpel
und einfach das Integrieren von neuer Information in aktiviertes Vorwissen ist. Das ist
aber noch nicht alles: Validieren Sie nun Ihre Vorwissenspunkte mit Ihrem Nachbarn –
gegenseitig; das gibt dem Vorwissens-Aktivierungsprozess Verbindlichkeit, und diese ist im
Engagement gegen Schwachstellen im Lernprozess immer ein gewichtiger Faktor.
Schwachstelle 2: Äusserst magere Enkodierungen – vom Unterrichtenden völlig
ungewollt
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass Schüler beim Zuhören Wissensstrukturen
aufbauen, verstehen, aber kaum etwas davon behalten – u.a. weil sie gar keine Zeit für ein
Einprägen erhalten. Das ist das Problem der ungenügenden Kodierungen. Dazu noch etwas
mehr: Lehrmittel enthalten oft sehr anspruchsvolle, lange Texte mit Abbildungen, die nicht
leicht zu lesen und zu interpretieren sind. Unterrichtende tragen dieser Tatsache dadurch
Rechnung, dass sie für die Schüler Arbeitsblätter vorbereiten, die den Stoff aufbereiten
helfen. Für manchen Lehrer steckt ein enormer Aufwand darin (Stichwort powerpointFolien); es ist sein Einsatz für seine Schüler. Dabei erkennt er oft nicht, dass er mit seiner
Vorbereitung genau die Aktivitäten seiner Schüler blockiert oder einfach unnötig macht,
die für ein effizientes Zwichenspeichern, eben für ein Einprägen nötig sind.
Die Schüler erhalten als Arbeitsblatt eine Matrix, deren Randzellen in den Spalten und Zeilen
beschriftet sind; alle andern Zellen sind leer. Gemeinsam wird nun diese Matrix als
Zusammenfassung des vorangegangenen Unterrichts gefüllt. Abb. 2 zeigt die vollständige
Matrix, die im Moment nur der Lehrer besitzt.
Hier Abb. 2 einfügen!
Abb. 2 Matrixdarstellung der Eigenschaften dreier Kunststoffe als Zusammenfassung eines Lehrbuchtextes und
des entsprechenden mündlichen Unterrichts
Der Unterrichtende setzt die Inhalte Zelle für Zelle mit knappen Erklärungen in Handschrift
auf einer Projektorfolie ein, und die Schüler schreiben ab. Vielleicht präsentiert er aber auch –
mehr oder weniger raffiniert aufbereitet – PC-gesteuert power-point-Folien mit nacheinander
erscheinenden Einträgen und lässt dann abschreiben. Technisch zwar auf dem neuesten Stand,
lernpsychologisch keinerlei Mehrwert!
Es werden Stichwörter oder Wortgruppen visuell wahrgenommen und abgeschrieben. Weil
aber diese Stichwörter vor Augen gestellt bleiben, müssen sie kaum kodiert werden; man
kann beim Abschreiben beliebig oft hinsehen, wie sich ein Wort schreibt und in welche Zelle
es gehört. Daraus ergeben sich Lern- bzw. gedächtnispsychologisch höchstens ganz schwache
Kodierungen; eingeprägt wird nichts. Werden dicht hintereinander gleich viele dieser
Stichwörter abgeschrieben, so wird jedes Wort als Einzelelement behandelt und entsprechend
im Arbeitsblatt eingetragen, und es findet kaum eine Integration der Begriffe in einen
grösseren Zusammenhang statt, sodass auch kein semantisches Netzwerk aufgebaut wird.
Die Beschäftigung des – womöglich raschen – Abschreibens beansprucht die
Aufmerksamkeit weitgehend; das führt zu einem cognitive overload, zu einer Überlastung
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des Arbeitsgedächtnisses, und damit fehlen die Ressourcen für die weiterführenden,
entscheidenden Aufbauprozesse, hier für die systematischen Eigenschaftskategorien dieser
Kunststoffe. So wird kein jederzeit frei abrufbares und kohärentes Sachwissen aufgebaut.
Man mag einwenden, dass es sich hier um eine Zusammenfassung des vorangegangenen
Unterrichts handle, bei dem die Hauptsache an anschaulichem Material schon längst gelernt
worden sei. Das ist hoffentlich so! Umso mehr müsste dann aber das bereits vorhandene, noch
systematisch zu ordnende Wissen in die Bearbeitung dieses Arbeitsblattes einfliessen.
Lernpsychologisch gesehen, hat bis jetzt eine nachhaltige Kodierung der Wissenselemente
gefehlt, eine möglichst multimodale. Bei Berufsschülern ist oft halblautes Lesen angesagt,
um neben visuellem vor allem akustisches und artikulatorisches Enkodieren zu
provozieren. Dazu kommt die Schulung der sprachlichen Ausdrucksweise: „...engmaschige,
feste Vernetzung...“ ist gleichbedeutend mit „...engmaschig vernetzt...“.
Nachhaltige Kodierung trägt der Limitierung der Gedächtniskapazität Rechnung; es werden
also günstige Portionen gemacht, beispielsweise die ersten sechs Einheiten (chunks). Sie
sollen durch wiederholtes Lesen eingeprägt werden. Nun bewegen wird uns im
Mikroprozessbereich des Lernens: Die Selbstregulation des effizienten Einprägens besteht
darin, nach jedem Lesen von der Projektionswand wegzusehen und zu prüfen, ob man die
Zelleninhalte wiedergeben kann, ohne auf die Vorlage zu schauen: freies Erinnern also mittels
inneren Wiederholungsprozessen (rehearsal), und dies waagrecht und senkrecht. Dadurch
wird Abruf geübt (retrieval practice) und individuell selber kontrolliert, ob die multiple
Kodierung (visuell, auditiv und artikulatorisch) für ein Behalten und Abrufen – Einprägen
ist beides! – ausreichend war. Allfällige Lücken können am Schluss durch Konsultieren der
Vorlage gefüllt werden. Sechs Elemente kommen der Kapazitätsgrenze von 7±2 Elementen
für den Kurzzeitspeicher entgegen.
Wenn die Zelleninhalte auf diese Weise eingeprägt sind, ist der Moment gekommen, wo das
Eintragen in das Arbeitsblatt sinnvoll ist: als Überprüfung der kodierten Inhalte. Damit
entsteht auch ein hohes Mass an Verbindlichkeit! Wenn der Unterrichtende dann seine
Lösungen noch einmal einblendet, können alle die Qualität ihrer Lösungen kontrollieren und
allenfalls noch verbessern. Arbeitsblätter müssen auch Korrekturen ertragen; sie sind zum
Bearbeitetwerden da, sie sind keine Galablätter, und der Stolz darf sich nicht darauf richten,
dass sie graphisch perfekt sind; dazu könnte allenfalls ein zweites Blatt dienen. Es kommt
einzig und allein darauf an, dass mit ihnen Lernprozesse initiiert werden, die (1) zu
multiplen Kodierungen – visuell, akustisch und artikulatorisch, aber auch zu semantischen
führen: was gehört warum in Zeilen oder Spalten zusammen und was nicht – (2) zu inneren
Wiederholungsprozessen (rehearsal) und (3) zu erfolgreichen Abrufprozessen. So wird
paketweise einfaches, aber kohärentes Fachwissen aufgebaut, das durch systematisches Üben
(Wiederholen bei den Hausaufgaben) noch mittel- und langfristig konsolidiert werden kann.
„Das braucht aber Zeit, die wir nicht haben...“ tönt der Schlachtruf vieler Unterrichtender,
wenn man sie auf diesen Punkt aufmerksam macht. Meine Ansicht zu diesem Einwand: „Ja,
aber diese Investition wird hoch verzinst, (1) weil neben Inhalten auch Strategien für
Mikroprozesse des Lernens trainiert werden, die leicht selbst zu regulieren und zu
kontrollieren sind und die anderweitig leicht eingesetzt werden können (Prozesstransfer!),
(2) weil der Stoff so besser behalten und später nicht immer und immer wieder wiederholt
werden muss; denn dort geht dann wirklich Zeit verloren, und das wirkt sowohl für Lehrende
als auch für fähige Lernende demotivierend, und (3) weil dem Aufbau kumulativer
Lerndefizite nur so wirklich entgegengewirkt werden kann.
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Wir ziehen hinsichtlich der oft mageren Kodierungen während des Lernens wiederum die
Konsequenzen und setzen erneut eine Minute zum Festhalten (ohne Blick in die Unterlagen)
derjenigen drei Punkte ein, die Ihnen bisher relevant vorkamen oder wichtig schienen. Das ist
wiederum eine individuelle Aktivität: freies Abrufen (retrieval: free recall)
Schwachstelle 3: Begriffliches Baumaterial nicht als Wissenssubroutine einsetzbar,
daher keine Ressourcen frei für aktuell geforderte, relevante Lernprozesse
Hier Abb. 3 einfügen!
Abb. 3 Semantisches Netzwerk für Kalkulation bzw. für den Begriff Verkaufspreis inklusive Mehrwertsteuer
Mit dem Fall „Kalkulation“, den Sie vorab erhalten haben, geht es um den Umgang mit sehr
viel Information: Da wird ein Begriff aufgebaut, der aus Teilbegriffen gebildet wird, die
ihrerseits das Ergebnis anspruchsvoller Aufbauprozesse sind. Das semantische Netzwerk in
Abb. 3 ist übrigens niemals als Folienbild für den Unterricht gedacht. Es gibt die
Bedeutungsstruktur des Zielbegriffs wieder und dient dem Unterrichtenden zur Analyse der
Teilbegriffe und deren Verhältnis zueinander. Eine solche Analyse kann einen Effekt auf das
Vorgehen in der Erklärung des Unterrichtenden haben, d.h. auf die Abfolge der
Verknüpfungs- und Verdichtungsprozesse.
Oft kann man in der Fachausbildung feststellen, dass ein fortgeschrittener Aufbauprozess
läuft, bevor die Teilbegriffe genügend konsolidiert sind, d.h. bevor den Lernenden die
Inhalte jedes einzelnen dieser Teilbegriffe so vertraut sind, dass sie rasch und sicher
abgerufen und als verdichtete Informationspakete (chunks) wieder ausgefaltet werden können.
Ausfalten könnte im Falle der Teilbegriffe von Kalkulation, um die es hier geht, ganz
einfach heissen: in der Lage sein, sich zu den Teilbegriffen etwas Konkretes vorzustellen oder
ein Beispiel dazu abzurufen oder – im abstraktesten Fall – eine Definition verfügbar zu halten.
Zugängliches Wissen (accessible knowledge) ist unverzichtbar, wenn die hierarchische
Struktur des Zielbegriffs Kalkulation kohärent aufgebaut werden soll.
Sind die Elemente dieses Wissens nicht zugänglich, also nicht rasch und sicher abrufbar, wird
aufgebaut mit unzureichend konsolidiertem Begriffsmaterial. Das führt zwangsläufig zu
einem „der Spur nach“ lernen, mithin also zum Aufbau von völlig inkohärenten Strukturen
oder Wissensrepräsentationen. Die Folge davon sind grösste Schwierigkeiten beim Abruf
bzw. bei einer versuchten Rekonstruktion und beim Verstehen.
Zum Auswendiglernen der Bedeutungen dieser Teilbegriffe – meist in Form von Definitionen
oder Umschreibungen, manchmal mit Bildern und Beispielen – wird oft die
Kärtchenmethode verwendet: Auf der einen Seite steht der Begriff (der Name, das
Stichwort), auf der Rückseite die Definition oder Umschreibung. Auch findet sich oft eine
Schwachstelle im Lernprozess, nämlich dann wenn der Lernende vom dritten Lerndurchgang
an das Kärtchen in Eile umkehrt und die Lösung einfach nachsieht, bevor er selber eine
verbindliche Definition gesprochen hat. Lernpsychologisch bedeutet das, dass er gar keinen
verbindlichen Abrufprozess initiiert hat, dessen Ergebnis er dann mit der auf der Rückseite
des Kärtchens befindlichen Lösung vergleichen kann. Der Lernzuwachs ergibt sich aus dem
Vergleich zwischen der aus dem Gedächtnis abgerufenen und der vorgegebenen Definition.
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Ist-Soll-Vergleiche zeigen an, wie nahe die eigene Lernproduktion schon dem Zielprodukt
(im Wortlaut) entspricht. Worauf es ankommt, ist das Training des Abrufens. Mit dem zu
frühen Umkehren des Kärtchens und dem erneuten blossen Lesen der Lösung findet nur eine
weitere und erst noch recht zufällige Kodierung statt, ganz ähnlich der Situation „Das letzte
Mal haben wir...“ Es braucht eine wiederholte Rekonstruktion im freien Erinnern, bis das
Wissen als rasch einsetzbare Wissenssubroutine zur Verfügung steht, und nicht bloss ein
Wiedererkennen aufgrund mentaler Bequemlichkeit.
Hier Abb. 4 einfügen!
Abb. 4 Die Aufgabe mit der Tretkurbel am Velo
Ich wähle nun mit Bedacht noch ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich: Wirkt eine
Kraft im rechten Winkel auf einen Hebelarm, so wirkt sie maximal. Weicht dieser Winkel von
90° ab, so verringert sich das Drehmoment: Die Kraft bleibt durchaus gleich, aber der Hebel
wirkt nicht mehr in seiner ganzen Länge; man muss den wirksamen Hebel in Rechnung
stellen. Vollständig wirksam ist er, wenn das Pedal horizontal steht und der Fuss mit 650N
drückt; das Drehmoment beträgt dann die Länge des Hebels in m mal die Kraft in N. Steht
das Pedal aber diagonal, beispielsweise wie im Bild in einem Winkel von 35° zur
Horizontalen, so ist der wirksame Hebel kleiner, und er wird noch kleiner, wenn der Winkel
zunimmt auf 60° oder gar auf 90°.
Wie aber erfasst man die Grösse des jeweiligen wirksamen Hebels? Dies lässt sich zunächst
ganz praktisch-empirisch ausprobieren, indem die Lernenden solche Situationen skizzieren
und von 0° und 90° ausgehen. Bei 0° Abweichung wirkt der Hebel vollständig, bei 90°
Abweichung wirkt er überhaupt nicht mehr: Welche mathematische Operation oder Funktion
kann uns darüber etwas Systematisches sagen? Es kommt offensichtlich auf die
Längenverhältnisse zwischen zwei Seiten in einem konstruierbaren rechtwinkligen Dreieck
an: auf das Verhältnis zwischen der dem Winkel anliegenden Kathete und der Hypotenuse,
die in unserem Beispiel der Hebelarm selber ist. Ist der Winkel zwischen beiden 0°, so ist ihr
Verhältnis zueinander =1; ist er dagegen 90°, so ist die dem Winkel anliegende Seite =0 und
somit das Verhältnis zwischen dieser anliegenden Kathete und der Hypotenuse 0:1=0. Wie
sieht es bei andern Winkeln aus, etwa bei 30°?
Hier Abb. 5 einfügen!
Abb. 5 Darstellung der Drehmomente mit unterschiedlichen Winkeln im Einheitskreis
Betrachten wir zunächst die Tretkurbelsituation für den Winkel 1! Wir gehen davon aus,
dass die Tretkurbellänge oder der Hebelarm =1 sei und können dann durch Einzeichnen des
Lots vom Tretlager aus ein rechtwinkliges Dreieck bilden. Die dort entstehende Ecke
bezeichnet dann die Verhältniszahl: im Falle von 1 = 30° also etwa 0.85 (schon sehr nahe bei
1), und im Falle von 2 = 60° 0.5. Es ist nicht nur sinnvoll, sondern lernpsychologisch
unabdingbar, dass hier nun sehr viele Winkel gezeichnet und durch Fällen des Lots jeweils
die Grösse der Verhältniszahl abgeschätzt oder, wenn man will, durch Nachmessen und
Rechnen genau angegeben wird. Die jeweils herauskommende Verhältniszahl ist der cosinus
des jeweiligen Winkels: cos 0°= 1, cos 90°= 0, cos 60°= 0.5, cos 30°= ca. 0.85. Diese
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Verhältniszahl sagt nun etwas über den wirksamen Hebel aus für die Berechnung des
Drehmoments.
Sie erkennen die Schwachstelle: Die Lernenden sind sich zwar im Klaren, dass es sich hier
um ein Verhältnis zwischen Dreiecksseiten handelt; aber sie sind weder sicher noch rasch
genug darin, sich eine Vorstellung von der Grösse dieser Verhältniszahl, des cosinus, zu
machen und haben deshalb Mühe, sich die Grösse des Drehmoments vorzustellen. Der Abruf
oder die Rekonstruktion belastet das ganze Arbeitsgedächtnis. Wenn dann noch eine
Anwendung auf das physikalische Problem ansteht, resultiert unweigerlich ein memory
overload. Um dies zu vermeiden, braucht es zuvor intensive Konsolidierungsprozesse
sodass eine rasch anwendbare Wissens- bzw. Operationssubroutine aufgebaut wird, die
Ressourcen für den eigentlichen Problemlöseprozess frei macht – mit drei oder vier
Beispielen? Nein: eine Zehnerpotenz mehr: 30 oder 40 Beispiele!
Schwachstelle 4: Markierungen beim Lernen aus Text nicht zu kohärenten Strukturen
verarbeitet
Hier den Text „Franchising“ einfügen!
Lernen aus Text gehört zum Wichtigsten im schulischen Alltag – lernpsychologisch gesehen
zum Schwierigsten. Dazu gehört auch das Markieren wichtiger oder relevanter
Textstellen. Das geschieht oft, ohne dass sich der Lernende zuerst eine Übersicht über den
ganzen Textabschnitt verschafft hätte und ohne dass er diese Übersicht und das spontan
durch sie geweckte Vorwissen in einen Zusammenhang mit der Zielsetzung für dieses
spezifische Lernen gestellt hätte. Die eigentliche Schwachstelle, auf die ich hinweisen will,
bezieht sich auf die Tatsache, dass mit den Markierungen nichts Weiteres geschieht. Man
hat schliesslich gelesen und markiert und dabei gesehen, was wichtig ist, und das reicht doch
– aber wofür reicht das?
Lernen aus Text heisst ein mentales Modell des Inhalts des Textes aufzubauen, hier von
Franchising, dieser ganz besonderen Betriebsorganisation. Dies setzt aber voraus, dass die
konstituierenden Elemente – und das sind im Idealfall die markierten – durch Relationen
sinnvoll miteinander verknüpft werden. Erst so entsteht nach und nach eine kohärente
semantische Struktur (oder ein Netzwerk). Konkret sind dazu verbale Formulierungen von
mitteilbaren Aussagen – unter bewusster Verwendung der markierten Stichwörter – nötig, sei
es in Selbsterklärungen (self-explanations) oder Erklärungen zuhanden des Nachbarn. Nur
so lässt sich kontrollierbar, verbindlich und evaluierbar (1) ein mentales Modell konstruieren,
(2) erkennen, ob man verstanden hat, und (3) durch wiederholtes variiertes, vielleicht
paraphrasierendes Formulieren auch die Bedeutungen soweit konsolidieren, dass man sie auch
wieder abrufen oder rekonstruieren kann. Lernen besteht im Verknüpfen und vor allem
Organisieren (oder Strukturieren) von begrifflichen Elementen, somit im Aufbau
kohärenter Strukturen begrifflichen Wissens, des mentalen Modells, das in Worte gefasst
und durch Feedback evaluiert werden kann. Markieren allein heisst keinerlei Struktur
schaffen, auf halbem Weg stehen zu bleiben. Den Schülern eine Zusammenfassung zum
Einprägen abgeben, heisst das Verknüpfen und Organisieren der markierten Stellen durch
Inaktivieren der entsprechenden Mikroprozesse vollends zu torpedieren. Zwar werden
Lehrer, die dies tun, von den Schülern als Wohltäter empfunden; in Wirklichkeit sind sie
pädagogische Übeltäter.
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Schwachstelle 5: Handlungssubroutinen – hier Verbuchungen – gar nicht verstanden
Mit diesem Thema begebe ich mich freilich bei Wirtschaftspädagogen in die Höhle des
Löwen. Sie haben als Vorabdruck das Beispiel vom Bilden stiller Reserven erhalten. Ich will
aber – der dort erwähnten genetischen Stoffanalyse folgend – nur auf die ganz elementaren
kaufmännischen Verbuchungsroutinen eingehen, weil sie lernpsychologisch interessant sind
und exemplarisch auf eine in vielen ähnlichen Situationen auch in andern Fächern auftretende
Schwachstelle hinweisen: auf die Übernahme von Automatismen, hier von
Operationssubroutinen, die im Kern gar nicht verstanden sind. Es geht um das Verbuchen in
einer Bilanz bzw. in einem Hauptbuch.
Hier Abbildungen 6 und 7 einfügen!
Abb. 6 und 7 Verbuchungen von fünf Geschäftsfällen in einer Bilanz bzw. in einem Hauptbuch
Fassen wir den Geschäftsfall vom 1. Januar (1.1.) unter dem Aspekt einer zu frühen
Automatisierung ins Auge! „Zu frühe Automatisierung“ heisst, den Aufbau des nötigen
begrifflichen Wissens zwar zu berücksichtigen – es wird erklärt, worum es geht – aber die
begrifflichen Wissensstrukturen nicht zu konsolidieren. Wenn am 1.1. in der Eröffnungsbilanz
ein Aktivposten Bank 10'000 einem Passivposten Eigenkapital 10'000 gegenübersteht, so
heisst das, dass auf der Bank ein Geschäftsvermögen der entsprechenden Höhe zum Einsatz
bereitsteht. Die Aktivseite repräsentiert die Sicht dessen, der das Vermögen zu
Geschäftszwecken einsetzt. Die Passivseite fokussiert auf dieselben 10'000; hier wird aber die
Sicht des Geldgebers eingenommen: Der Firmenbesitzer selber hat 10’000 in seine Firma
investiert; damit hat die Firma rechnerisch 10'000 Schulden bei ihm, und darauf richtet sich
die Präsentation der Passivseite der Bilanz. Das Nehmen (auf der Aktivseite) und das Geben
(auf der Passivseite) sind die zugrunde liegenden Handlungen, von denen nach Piaget
abstrahiert wird (das ist seine „abstraction à partir de l’action“). Diese Handlungen
verhalten sich systematisch zueinander, nämlich reversibel, und das kennzeichnet sie als
Operationen im numerisch-mathematischen Sinne, wie Piaget sie in seiner genetischen
Erkenntnistheorie herausgearbeitet hat.
Dass sich die erwähnten Handlungen systematisch zueinander verhalten, spiegelt sich auch in
der Tatsache wider, dass sie ein gleichgewichtetes System bilden; daher ja auch der Begriff
der Bilanz (vom Italienischen bilancia; auch im Französischen balance noch erkennbar).
Denkpsychologisch handelt es sich bei den beiden Operationen um inverse Operationen: Sie
machen, wie gesagt, den Systemcharakter aus und werden später als rein formale
Operationen gehandhabt, wenn einmal der konkrete Bezug zur Handlung nicht mehr nötig
ist, d.h. wenn die Handlungen verinnerlicht sind und nur noch abstrakt mit den Zahlenwerten
gehandelt wird.
Lernpsychologisch formuliert heisst das, dass das begriffliche Wissen über jeden
Geschäftsfall (mit entsprechenden Vorstellungen über die Abläufe) von einem prozeduralen
Wissen abgelöst wird, genau so wie das begriffliche Wissen über die Anordnung der fünf
Vorwärts- und des einen Rückwärtsgangs im Auto durch das prozedurale Wissen über das
Schalten zu einer Prozedur wird. Das prozedurale oder Verfahrenswissen in der Buchhaltung
besteht dann gerade noch in der eingeübten Verbuchung der Zahlen, d.h. der
Handlungssubroutine des korrekten Positionierens von Zahlen in der Bilanz, der
Erfolgsrechnung oder in einem Aktiv-Passiv-Konto. Das kohärente begriffliche Wissen aber
sichert erst das Verstehen einer solchen Verbuchung; der Prozess des Konsolidierens des
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begrifflichen Wissens und das daraus hervorgegangene Verfahrenswissen lenkt dann das
numerisch-buchhalterische Operieren im kaufmännischen Rechnen.
Die Schwachstelle ist also dort zu lokalisieren, wo der begriffliche Aufbau zu rasch durch die
kaufmännische Routine im Sinne eines nicht verstandenen Automatismus abgelöst wird.
Diese Gefahr besteht schon beim Lernen des 1x1, zeigt sich später an vielen Stellen des
Algebra-Lernens etwa beim Ein- und Ausklammern, beim Faktorisieren oder beim Auflösen
von Gleichungen nach der Unbekannten und in der Anwendung solcher Operationen in der
Physik.
Die Konsolidierung, die am sichersten zu den anzupeilenden Operationssubroutinen führen,
beinhalten ebenso variantenreiche wie systematische Gedankenspiele mit Zahlenbeispielen
bzw. Geschäftsfällen aus der unmittelbaren Nachbarschaft der vorliegenden Situation. Solche
haben grundsätzlich einen wichtigen Effekt für den Aufbau der hier relevanten
kaufmännischen Operationen: Ein Freund des Unternehmers beispielsweise will diesen beim
Aufbau seines Geschäfts unterstützten und bietet ihm 12'000 zinsloses Darlehen an. Nun
beginnt der Denkprozess auf der Passivseite: die Passiven vergrössern sich um 12'000
(Fremdkapital, Schulden), ermöglichen gleichzeitig aber den Einkauf von dringend benötigten
Waren zum gleichen Betrag. Aus diesem Grund vergrössern sich die Aktiven um 12'000 bei
den Warenvorräten, die eine spezifische Art von Vermögen darstellen. Die Bilanz bleibt
ausgeglichen. Dieses Gedankenspiel ist in Abb. 6 nicht dargestellt. Andere Sponsoren,
möglicherweise mit Auflagen, liefern weitere Ansätze für Beispiele. Selbstverständlich ist es
angezeigt, zuerst alle eingetragenen Geschäftsfälle zu bearbeiten.
Lernpsychologisch betrachtet fällt auf, dass der immer zuerst erfolgende Aufbau
begrifflichen Wissens von verbalen Erklärungen begleitet, also mental stark kontrolliert
ist; er ist daher relativ langsam, impliziert mehr oder weniger detaillierte Vorstellungen von
den Geschäften, führt aber schliesslich doch zur Prozedur des korrekten Verbuchens, des
doppelten Eintragens ein und desselben Betrages, allerdings aus je 180 unterschiedlicher
Sicht. Die verbale Kontrolle und die bewusste Aufmerksamkeitsfokussierung auf die
einzelnen Schritte beanspruchen viel Kapazität; die entstehenden Subroutinen dagegen laufen
automatisch, sind kognitiv sparsam (kein overload) und spielen so Ressourcen für die
übergeordneten Lernaufgaben frei. Genau da finden – bei günstigem Konsolidieren – die
spezifischen fundamentalen Lernprozesse des kaufmännischen Denkens statt, die als
Grundlage auch dann noch Gewicht haben, wenn später sämtliche Verbuchungen on-line
erfolgen. Das Lesen von Bilanzen und Erfolgsrechnungen in Geschäftsberichten beruht
letztlich auf dem Verstandenhaben dieser elementaren Operationen. Das rechtfertigt die
Sorgfalt beim Anstossen und Begleiten solcher nur für den Experten einfachen Lernprozesse.
Übrigens: Primarschüler sind von ihrer Entwicklung her noch nicht imstande, solche
Überlegungen vorzunehmen; es ist formal-operatorisches Denken notwendig, wie Piaget
deutlich macht. Selbst Lehrlinge, die man längst der Primarschule entwachsen glaubt,
verfügen noch nicht alle über die Fähigkeit des formal-operatorischen Denkens, des Denkens
in Möglichkeiten, der Kombinatorik und des Umgangs mit abstrakten oder eben formalen
Aussagen. Diese brauchen sehr viele und erst noch variantenreiche Beispiele zur
Konsolidierung ihrer Wissensstrukturen, um die Art der Verbuchung in der Bilanz wirklich zu
verstehen und zu einer Operationssubroutine zu machen. Dieser Aufwand, den der Aufbau der
operativen Strukturen für diesen an sich einfachen Ausschnitt aus dem kaufmännischen
Rechnen braucht, wird von Experten (Lehrern oder Lehrlingsbetreuern vom Bankfach) oft
unterschätzt, weil sie längst über die prozeduralen Subroutinen verfügen. Wer sich als
Unterrichtender aber der grossen Experten-Novizen-Diskrepanz an diesem Punkt bewusst ist,
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trägt Wesentliches zur Vermeidung dieser Art von Schwachstelle im Lernprozess seiner
Schüler bei.
Hier Abb. 7 einfügen!
Abb. 7 (aus Leimgruber & Prochinig, 20008,Band 1, S. 21). Der Geschäftsgang abgebildet im sog. Hauptbuch, in dem man die Gesamtheit
aller für die Verbuchungen nötigen Konten sehen kann.
Abb. 7, die Ihnen als Geschulten in dieser Thematik vertraut ist, ist der Prüfstein dafür, ob die
Verbuchungen, die lernpsychologisch ein System von Operationen darstellen, auch
tatsächlich nachvollzogen und verstanden werden. Die Geschäftsfälle sind dieselben wie
schon in Abb. 6, nur werden sie auf verschiedene Aktiv-Passiv-Konten verteilt. Ich verzichte
hier darauf, wie ein variantenreiches Konsolidieren einer solchen elementaren Buchungsseite
aussehen könnte ebenso wie auf eine Stellungnahme zum Problem „Soll und Haben“ und
„links und rechts“, warum und wieso; Ihre Fachdidaktiker wissen darüber besser Bescheid.
Schwachstelle 6: Das „Lesen“ von Bildern: zum einen nicht sorgfältig vorbereitet, zum
andern nicht optimal genutzt
Hier Abb. 8 einfügen!
Abb. 8 Lehrbuchtext und zwei Graphiken zum Thema „Wer trägt die Zigarettensteuer?“
Veranschaulichungen werden entweder unter ästhetischen Gesichtspunkten hergestellt und
eingesetzt; die meisten power point-Folien stehen beispielhaft dafür, oder dann unter der
Annahme präsentiert, dass die in ihnen enthaltene Information ohnehin evident sei.
Veranschaulichungen haben lernpsychologisch vor allem einen Zweck, nämlich Lernprozesse
anzustossen. Das tun sie allerdings nur, wenn (1) das begriffliche Vorwissen zum, „Lesen“
eines Bildes bereit steht und (2) bei der Verarbeitung der Bildinformation die
Wahrnehmungsaktivität gelenkt wird.
Wir wählen als Beispiel ein Ihnen aus der Ökonomieausbildung mit Sicherheit vertrautes
Thema: die Tabak- oder hier die Zigarettensteuer und die Frage: Wer trägt die
Zigarettensteuer? Sie finden neben dem Text zwei Graphiken, von denen die obere jetzt die
im Fokus stehende ist.
Sprechen Sie doch bitte Ihren Nachbarn oder Ihre Nachbarin noch einmal an und lokalisieren
Sie mit ihr oder ihm Schwachstellen im Lernen der Inhalte auf dem letzten Blatt meiner
Unterlagen. Fokussieren Sie auf den Text und die obere Graphik. Es stehen Ihnen volle 3
Minuten zur Verfügung!
Im zweiten Abschnitt des Textes erkennt der Leser und Bildbetrachter, dass das Erheben der
staatlichen Steuer die Zigarettenpreise (pro Einheit) erhöht und damit die Angebotskurve
parallel um den Betrag t nach oben verschiebt. Hat der Schüler den
Preisbildungsmechanismus mit dem er sich im vorangegangenen Unterricht
auseinandersetzen musste, verstanden, so bereitet jetzt das „Lesen“ der parallel nach oben
verschobenen Angebotskurve „nach Steuer“ grundsätzlich keine Schwierigkeiten; auch die
Ausdrucksweisen „vor Steuer“ und „nach Steuer“ sind verständlich. Wichtig ist dabei das
zueinander in Beziehung setzen. Piaget hat dafür eigens einen Begriff geprägt: „la mise en
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relation“ – im Gegensatz zum blossen Ablesen figuraler Gegebenheiten, der „lecture des
données“. Hier werden die beiden Angebotskurven miteinander verglichen und zu einander in
Beziehung gesetzt: Sie folgen einander im Abstand t über die ganze Länge, was der
Textaussage entspricht: „Die Preise steigen...“ Dieses Wissen kann Punkt für Punkt bestätigt
werden, indem jedem Punkt auf der unteren ein solcher auf der oberen Kurve im Abstand von
t und beiden ein Punkt für die entsprechende Menge auf der x-Achse und für den Preis auf
der y-Achse zugeordnet wird.
Entscheidend ist dieses in Beziehung Setzen, was einen Vergleichsprozess impliziert, und
dieser typische Mikroprozess beim Lernen muss eingeübt werden. Die Schwachstelle liegt
genau hier: dass nämlich angesichts einer so schönen und transparenten Graphik jeder
Tatbestand a priori für evident gehalten wird. Dahinter steht die eingangs erwähnte Illusion,
dass sich bei guter visueller Präsentation ein Inhalt gleichsam automatisch einpräge. Nichts
ist lernpsychologisch so falsch wie diese Ansicht. Vielmehr braucht es ausgesprochen viel
mentale Verarbeitung: Diese kann beispielsweise mit Punkt G beginnen, dem ursprünglich
vereinbarten Marktpreis, dem Schnittpunkt der beiden Kurven Angebot vor Steuer und
Nachfrage. Der Lernende sieht durch Zuordnung der x- und y-Achsenwerte – erneut eine
„mise en relation“ - welche Menge (F) zu welchem Preis (A) die Konsumenten zu kaufen
bereit sind. Dazu sind aber Aufmerksamkeitsumfokussierungen und die Lenkung der
Wahrnehmungsaktivität vom Punkt G nach unten und nach links unabdingbar. Das sind
Mikroprozesse, die nicht selbstverständlich sind und auch nicht von selbst ablaufen. Diese
müssen als Verfahren des „Lesens“ einer solchen Darstellung in einem Koordinatensystem
eingeübt werden.
Muss der Produzent oder Anbieter nun aber die Preise infolge von Steuerauflagen des Staates
erhöhen, so verändert sich die Situation: Tatsächlich erhöht sich der Preis um den Steuersatz t
für jede Menge. Dabei verändert sich aber das Bild insofern, als der Schnittpunkt der Kurven
Angebot nach Steuer und Nachfrage an einer andern Stelle liegt, nämlich in C. Was ist die
Bedeutung von C? C bildet einen neuen Preis ab, den die Nachfrager zu zahlen bereit sind:
den Preis (B) nach Steuer, aber nur für eine Menge (H), die kleiner ist als die ursprünglich
vorgesehene (F). Die Differenz zwischen F und H fällt dabei – hoffentlich – als etwas
Besonderes auf: Sie bildet den Konsumrückgang ab. Wer die Entstehung des
Konsumrückgangs in Begriffen der Graphik erklären kann, hat verstanden, was er bedeutet
und wie er zustande gekommen ist. In FH liegt eine figurale Verdichtung vor, die dem Begriff
Konsumrückgang entspricht, der ebenfalls eine Verdichtung ist: eine begriffliche nämlich.
Nun entsteht ein interessantes Bild mit der senkrechten Geraden CDH, und es stellt sich
erneut die Frage, was die einzelnen Punkte auf dieser Gerade eigentlich abbilden, in
welchem Zusammenhang sie zueinander stehen (Verknüpfungen!) und welche begriffliche
Ganzheit (Verdichtung!) sie darstellen. Oft wird einfach vorausgesetzt, dass die Lernenden
kapieren, was diese Gerade mit ihren drei Punkten bedeutet, und es wird nicht näher darauf
eingegangen. Der Schwachpunkt besteht darin, dass an dieser und ähnlichen Stellen die
visuelle Information oder, wie Bruner sich ausdrückt, die ikonische Repräsentation, nicht in
Sprache, oder wieder mit Bruner: nicht in eine symbolische Repräsentation übersetzt wird.
Der Prozess des Verstehens hat mit dieser Transformation von bildhaft-figuraler in
symbolische Repräsentation (und manchmal auch umgekehrt) einer Wissensstruktur zu
tun. Konkret heisst dies, jeden Punkt und jedes Punktepaar zu interpretieren, d.h. in
sprachliche Aussagen zu fassen, sodass ein Zuhörer nachvollziehen kann, was da eigentlich
abgebildet ist. Bei der Aufgabe, in diesem Sinne nun den Punkt D zu interpretieren, wird
deutlich, dass eine solche Übersetzung vom Bild in Sprache eine durchaus anspruchsvolle
Sache ist und dass sich genau an solchen Stellen nämlich entscheidet, ob verstanden wird oder
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nicht. Denn Punkt D – als semantische Teilganzheit – ist wichtig für die spätere Beantwortung
der Frage, wer denn die Zigarettensteuer trage, wenn die entsprechen Flächen miteinander
verglichen werden.
Fassen wir die lernpsychologisch relevanten Mikroprozesse zur Behebung der
Schwachstelle noch einmal ins Auge: (1) Für das „Lesen“ der Graphik müssen die in diesem
Fall relativ einfachen fachlichen Begriffe aus der Theorie der Preisbildung vorausgesetzt
werden können. Das ist das bekannte Thema des „aktivierten Vorwissens“; (2) sind
Vergleichsprozesse relevant: Es werden Punkte und durch sie gebildete Geraden, später auch
Flächen miteinander verglichen und entschieden, was gleich und was anders sei. Das sind
Mikroprozesse des Verknüpfens und Verdichtens: Wenn am Schluss die Strecke FH als
Konsumrückgang erkannt wird, so stellt dieser Begriff das Ergebnis einer Verdichtung dar.
Das setzt aber (3) voraus, dass die Wahrnehmungsaktivität richtig fokussiert und
umfokussiert – oder: zentriert und umzentriert wird. Zu Beginn ist jeder Lernende darauf
angewiesen, dass seine Wahrnehmungsaktivitäten vom Unterrichtenden gelenkt werden;
später lenkt er sie selber. Und (4) müssen laufend während des ganzen Lernprozesses, hier
also während des Lesens des Textes wie auch der Betrachtung der Abbildung, bildhafte
Repräsentationen in sprachliche Repräsentationen übersetzt werden und auch umgekehrt
im Sinne von „Wo in der Abbildung findet sich das im Text verbal beschriebene Element oder
der erwähnte Zusammenhang?“ Durch entsprechende verbale Formulierungen werden
semantische Netzwerke konstruiert, neue Teilganzheiten aufgebaut, die das Verstehen
ermöglichen, sobald sie miteinander koordiniert werden.
Der Lernende ist aufgrund dieser Arten von Prozessen sowie aufgrund der zusätzlichen
Information aus Abb. 8 in der Lage, sein Wissen aus dem gelesenen Text konstruktiv so zu
ergänzen, dass er die Frage „Wer trägt die Zigarettensteuer?“ in dem Sinne beantworten kann,
dass sowohl Anbieter als auch Nachfrager je einen Teil der Zigarettensteuer tragen: Das wird
nämlich im Rechteck EDCB sichtbar. Während die Käufer den Betrag OHCB zahlen, erhalten
die Verkäufer lediglich OHDE. Die verbleibende Differenz geht als Zigarettensteuer an den
Staat. Im Blick auf die ursprüngliche Ausmarchung vor Steuer zwischen Anbietern und
Nachfragern wird sichtbar, dass die Steuer EDCB durch den Marktpreis aufgeteilt wird,
indem die Käufer (in Bezug auf die Menge H) mit dem Preis B etwas höher, die Verkäufer
mit E dagegen etwas tiefer liegen.
Was jetzt noch fehlt, sind die Prozesse des Konsolidierens. Dazu kann man die Schüler
selber Graphiken zeichnen und erklären lassen. Man kann auch den ganzen Prozess
einfach noch einmal laut denkend durchgehen. Noch intensiver wird die Konsolidierung der
neuen Wissensstruktur allerdings dadurch, dass aufgrund des Verstandenhabens der ersten
Graphik und einer Antwort auf die Zielfrage, wer die Zigarettensteuer zu tragen habe, die
erste Graphik mit der zweiten verglichen wird. Dadurch wird ein anspruchsvoller, da
komplexer Vergleichsprozess provoziert, vor allem dann, wenn keine Überschrift mitgeliefert
wird. Sie steht nicht im ökonomischen Lehrbuch; ich wollte Ihnen damit eine
Konsolidierungsmöglichkeit aufzeigen.
Schwachstelle 7: Fehlender Rückblick
Wir führen unseren doppelten Rückblick gleich im Hinblick auf unsere eigene Lernsituation
hic et nunc durch, nämlich hinsichtlich der Lerninhalte (Stoff) wie auch hinsichtlich der
eigenen Lernprozesse. Können Sie die Themen der sieben Beispiele ohne Blick in die
Unterlagen noch aufzählen?
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(1) Was waren die lernpsychologischen Lerninhalte heute? Es ging um Schwachstellen
in Lernprozessen, die wir zum Anlass für ein Nachdenken über folgende
Lernsituationen und die in ihnen ablaufenden Mikroprozesse genommen haben:
- Der entscheidende Prozess ist das Abrufen aus dem Gedächtnis und zwar in Form
eines freien Erinnerns ohne Gebrauch von Notizen oder andern Unterlagen zur
Aktivierung von Vorwissen
- Zu schwache Kodierungen: nicht multimodal (visuell, verbal, auditiv und
artikulatorisch) und schon gar nicht semantisch
- Kumulativer Aufbau versus kumulative Lerndefizite
- Keine kognitive Organisation (semantische Kodierung) des begrifflichen Materials,
wenn etwa markierte Stellen brach liegen bleiben
- Keine verfügbaren Wissens- oder Operationssubroutinen (Teilbegriffe für die
Kalkulation nicht auswendig verfügbar bzw. Schätzwerte für den cosinus nicht für
einen Zugriff bereit), daher „der Spur nach“ gelernt und
- permanente memory overload-Situation, da zu viele untergeordnete Mikroprozesse
das Arbeitsgedächtnis auslasten und keine Ressourcen für die wirklich wichtigen
Lernprozesse übrig blieben
- Begriffliches Wissen wird zu prozeduralem Wissen und zur Wissenssubroutine
- Begriffliches Wissen zu wenig konsolidiert, keine Subroutinen verfügbar, da zu
wenig Zeit für die entsprechenden Mikroprozesse zur Verfügung gestellt, daher
z.B. Buchungen als Handlungen zu früh unverstanden automatisiert
- Kein Rückblick über Lernergebnisse und Lernprozesse, daher auch keine Evaluation
und schon gar kein feedback hinsichtlich des Erreichungsgrades des Lernziels und
kein Nachfassen
(2) Worin bestand heute unser eigenes Lernen, was waren unsere eigenen
Lernprozesse?
Notieren Sie mindestens drei Ihrer Lernprozesse, die Sie während der letzten Stunde
erlebt und reflektiert haben!
Erweiterungen und Modifikationen der eigenen Wissensrepräsentationen: Verknüpfen
des Vorwissens mit der neuen Information
Neue Einsichten in ein bestehendes mentales Modell vom Lernen als Prozess integriert
Bewertungen oder Gewichtungen von vorhandenem lern- und
gedächtnispsychologischem Wissen, das eine spezifische Funktion für das
Unterrichten hat
Mentales Antizipieren von Lerneffekten unter verschiedenen Bedingungen.
Aufmerksamkeitsfokussierungen (inklusive eine gewisse Neugierde) auf
Mikroprozesse des Wissenserwerbs
Eigenes Vergessen erlebt
Den eigenen Konsolidierungsaufwand für das Behalten von neu aufgebautem Wissen
eingeschätzt.
Cognitive load erlebt
Die Rolle inneren Wiederholens hinsichtlich ihrer mittelfristigen Wirkung erkannt
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