Nils Förster & Alexander Gruß Methodik zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen. Der Businessplan und Paradoxien seiner Verwendung II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................. II 1 Einleitung ...................................................................................................................... 1 1.1 Herausforderung ..................................................................................................2 1.2 Zielsetzung ..........................................................................................................3 1.3 Vorgehensweise...................................................................................................5 2 Der Businessplan als Grundgerüst zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen .......6 2.1 Der Businessplanbegriff in der Literatur ............................................................. 9 2.1.1 Businessplanverständnisse ......................................................................9 2.1.2 Grobstruktur von Businessplänen ......................................................... 12 2.2 Nutzen des Businessplans .................................................................................12 2.3 Die Bestandteile des Businessplans ..................................................................14 2.3.1 Executive Summary ..............................................................................15 2.3.2 Produkt oder Dienstleistung ..................................................................16 2.3.3 Unternehmerteam ..................................................................................18 2.3.4 Markt und Wettbewerb .........................................................................21 2.3.5 Marketing und Vertrieb .........................................................................23 2.3.6 Geschäftssystem und Organisation ....................................................... 25 2.3.7 Realisierungsfahrplan............................................................................27 2.3.8 Chancen und Risiken ............................................................................28 2.3.9 Finanzplanung und Finanzierung .......................................................... 29 2.4 Ablauf von Businessplanwettbewerben ............................................................ 30 2.5 Zuordnung zur Definition von Geschäftsmodellen nach Stähler ...................... 32 2.6 Zwischenbilanz: Fußball, Einstein und eine unsichere Zukunft ....................... 33 3 Einführung in die Zukunftsforschung .........................................................................36 3.1 Einordnung der Zukunftsforschung als Wissenschaft .......................................37 3.2 Planung und Prognose ....................................................................................... 44 3.2.1 Der Prognosebegriff ..............................................................................45 3.2.2 Praktische Relevanz der Prognose ........................................................ 45 3.3 Praktische Relevanz und Planungsprozess ........................................................... 48 3.3.1 Strategische Ausgangslage .......................................................................49 3.3.2 Generierung strategischer Optionen ......................................................... 50 3.3.3 Bewertung der Optionen ..........................................................................50 3.3.4 Strategieentwicklung und -formulierung..................................................51 3.3.5 Strategieumsetzung ..................................................................................51 3.3.6 Strategiekontrolle ..................................................................................... 52 3.4 Der Planungsprozess im Kontext des Businessplans ............................................52 III 4 Paradoxie im Businessplanprozess .............................................................................56 4.1 Systeme und Komplexität .................................................................................57 4.1.1 Systeme .................................................................................................57 4.1.2 Kategorisierung von Systemen ............................................................. 59 4.1.3 Komplexität ........................................................................................... 60 4.2 Ein linear-kausaler Versuch ..............................................................................62 4.2.1 Teilversuch Prognose ............................................................................63 4.2.1.1 Zuverlässigkeitstheorie ........................................................... 64 4.2.1.2 Die Reliabilität des Geschäftsmodells Paraglide24 ................65 4.2.2 Teilversuch Planung ..............................................................................70 4.2.3 Zwang zur Reduktion ............................................................................72 4.3 Versuchsergebnis und Plausibilitätsparadoxon .................................................73 4.4 Zwischenbilanz: Verantwortung übernehmen...................................................77 5 Irritationen und Analogien .......................................................................................... 79 5.1 Toni Benders Alpenüberquerung ......................................................................79 5.2 Komplexitätsmanager mit Stoff und Leinen ..................................................... 82 5.2.1 Keine universelle Antwort ....................................................................83 5.2.2 Problemlösung ohne Lösung .................................................................85 5.3 Expertenstimmen ............................................................................................... 87 5.4 Gleitschirmfliegend Businesspläne schreiben? .................................................92 Literaturverzeichnis .........................................................................................................96 1 1 Einleitung Der Informatikstudent Christian Hogl hatte Mitte der 90er Jahre die Idee, mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologie ein Fahrradverleihsystem zu entwickeln, das jedem Bürger einer Stadt Tag und Nacht zur Verfügung stehen sollte. Fahrräder sollten an vielen Orten der Stadt zugänglich und in wenigen Sekunden fahrbereit sein. Im Jahre 2000 ging die Idee schließlich mit dem Namen ‚Call a Bike’ an den Start. Das Unternehmen wurde mit einem rasanten Zuwachs an Kunden belohnt, und schon nach einem halben Jahr konnte die neu gegründete Firma 27.000 Neukunden verbuchen.1 Dennoch musste der Gründer schon nach einem halben Jahr Konkurs anmelden. Das Startkapital von vier Millionen Euro war aufgebraucht. Sowohl die Kosten der Räder selbst als auch Aufwendungen für Servicerufnummern und Call-Center waren zu hoch. Die Einnahmen über den Verleih der Räder waren andererseits zu gering und ein unzureichender Rückfluss an Geldern versagte weitere Investitionen.2 Weiterhin summierten sich auch in einer relativ sicheren Stadt wie München die Schadenssummen durch Vandalismus an den Fahrrädern. Besonders ausschlaggebend und nicht kalkuliert war das schlechte Wetter in der Startphase. Viele Regentage reduzierten in der Hauptverdienstperiode des Sommers die Einnahmen erheblich. All diese Faktoren, verbunden mit einem zu optimistisch geschätzten Gründungszeitraum und dem damit verbundenen Kapitalmehraufwand brachten die Idee zum Scheitern, obwohl der Businessplan vielversprechend aussah. Immerhin hatten die Gründer ihr Startkapital von Eigenkapitalgebern und Venture Capitalists (VC) auf Basis eines Businessplans erhalten. Nach der Insolvenz von ‚Call a Bike’ entschied sich die Deutsche Bahn AG zum Kauf des Unternehmens. Die Idee blieb dieselbe, nur der Atem war länger. Neben München wurde das Projekt in weiteren Städten wie Berlin, Frankfurt am Main und Köln umgesetzt und bereits im Mai 2005 konnten über eine Million Fahrten registriert werden. Doch auch die Deutsche Bahn hat mit Vandalismus zu kämpfen, schafft es aber, dass sich der Geschäftsbereich fünf Jahre nach der Inbetriebnahme selbst trägt. Die Bahn verbucht ‚Call a Bike’ als eindeutigen Erfolg, denn sie kann nun als 1 2 Vgl. Maertins (2005) Vgl. Pfeil (2006) 2 Mobilitätsdienstleister verstärkt innerhalb von Städten präsent sein. Hinzu kommt, dass die Bahn durch das hochpräsente und umweltfreundliche Konzept bei den Bürgern einen Imageschub verzeichnen kann, dessen Mehrwert die Kosten weit übersteigt.3 Dieses Beispiel zeigt nur zu gut, wie nahe Erfolg und Misserfolg beieinander liegen können. Es kommt schnell die Frage auf, wie bereits im Vorfeld die Zukunft möglichst präzise und verlässlich geplant werden kann, um den Weg zum Erfolg vorzuprogrammieren. 1.1 Herausforderung Wer sich heute als Ideenträger oder zukünftiger Gründer sieht und den Weg des Unternehmertums einschlagen will, wird schon in den ersten Etappen seines Vorhabens mit dem Schlagwort ‚Businessplan’ konfrontiert. Spätestens bei der Anmeldung von Finanzbedarfen müssen die Ideen an Kapitalgeber kommuniziert werden. Auch die Teilnahme an Gründungswettbewerben, die mittlerweile in der Gründerlandschaft zur Norm geworden ist, fordert die Anfertigung von Businessplänen. Offensichtlich genießt der Businessplan als Schlüsselwort eine weite Verbreitung in Literatur und elektronischen Medien und gilt in der Gründerszene als das anerkannte Referenzmuster unter den Planungsinstrumenten für jegliche neue Geschäftsidee. Auch wenn die Literatur zur Businessplanthematik umfangreich ist, werfen doch unterschiedliche Tatbestände zahlreiche Fragen auf: Welche Ansprüche stellen Gründer und Bewerter an den Businessplan, und mit welcher Haltung wird er als Instrument eingesetzt? Kann der Plan diesen Ansprüchen gerecht werden, und welche Rolle spielt er innerhalb des Prozesses einer Plausibilisierung von Geschäftsmodellen? Können überhaupt alle wichtigen Faktoren im Businessplan erfasst werden, oder muss die Geschäftsidee ex ante viel genauer untersucht werden, um auch sicher sein zu können, alle Eventualitäten eingeplant zu haben? Schafft es also der Businessplan die Zukunft vorherzusagen und den Weg zum Erfolg vorzugeben? Auf welches methodische Fundament stützt er sich, wenn mit ihm prognostiziert und geplant wird? Auch stellt sich die Frage, welche Implikationen der Businessplan auf die 3 Vgl. Pfeil (2006) 3 Beziehung zwischen seinen Anspruchsgruppen hat. Ist er dabei Instrument, dessen Anwendung Mehrwerte für die einzelnen Parteien generieren kann? Ex post der Gründung stellt sich die Frage, ob der Businessplan die an ihn gestellten Ansprüche erfüllen konnte und als Bewertungsmaßstab die guten Geschäftsideen von den weniger guten und schlechten getrennt hat. War seine Antizipation verlässlich, oder muss der Businessplan eventuell mit einer grundlegend anderen Haltung betrachtet werden? Ein ausschlaggebender Impuls für die Anfertigung dieser Arbeit war die Teilnahme der Autoren am Münchner Businessplanwettbewerb 2006 mit ihrer Geschäftsidee ‚Paraglide24’. Auch wenn diese Teilnahme erfolgreich war, hat sie doch bei den Autoren einen Prozess angestoßen, durch den das Referenzmuster des Businessplans hinterfragt wurde. Die damit einhergehende Auseinandersetzung mit der Thematik weckte den Mut, den Mechanismus genauer zu analysieren und zu versuchen für alte Fragen aus neuen Perspektiven Antworten zu suchen. 1.2 Zielsetzung Die vorliegende Arbeit richtet sich an Gründer und Unternehmer, die sich selbst mit der Businessplanthematik befassen, aber auch an kritische Beobachter des Bewertungssystems, sowie an die Bewerter und Entscheider selbst. Zusammenfassend also genau an denjenigen Personenkreis, der sich mit dem Bewertungsmaßstab von Businessplänen auseinandersetzen will oder muss. Zusätzlich soll diese Arbeit jeden Leser bereichern der willens ist, für allgemeingültig erklärte Referenzmuster verbindlich zu reflektieren. Ziel der Arbeit ist es, zunächst über die Businessplanthematik zu informieren. Dazu wird dieses gängige Verfahren zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen dargestellt und damit ein Einblick in die Businessplanlogik gegeben. Weiterhin soll diese Arbeit die zugrunde gelegten Methoden und deren Implikationen für den Bewertungsprozess kritisch betrachten, um damit eine Reflexion bei der Evaluierung auszulösen. Darüber hinaus soll dem Leser eine alternative Betrachtungsweise der Thematik geboten werden, wodurch eine gewisse Irritation ausgelöst werden soll, die es ihm ermöglichen soll, einen ‚bunten Schwarz-Weiß-Film’ zu sehen. 4 Sicher sollen mit dieser Arbeit kein Allheilmittel gegen Probleme im strategischen Gründungsmanagement entwickelt und bereitgestellt werden. Natürlich kann diese Arbeit schon gar keinen Blick in die Glaskugel vornehmen, und auch aus diesem Grunde wird der Versuch vermieden, ‚mehr desselben’ im Sinne einer absoluten Unsicherheitsvermeidung darzustellen. 5 1.3 Vorgehensweise Nach der Klärung der grundlegenden Begrifflichkeiten im ersten Kapitel gibt das zweite Kapitel zunächst einen aktuellen Überblick über die Businessplanthematik, ihre Definitionen, Zielsetzungen, Kriterien und Inhalte. Dabei werden ausgewählte Methoden betrachtet, deren Verwendung als Standard bei der Erstellung von Businessplänen gilt. Vor diesem Hintergrund wird der Münchner Businessplanwettbewerb vorgestellt. Das dritte Kapitel ist in Form eines Exkurses konzipiert, der der Zukunftsforschung gewidmet ist. Schwerpunkte bilden hierbei die Felder der Zukunftsphilosophie sowie die Elemente Prognose und Planung. Zuletzt wird die Verknüpfung mit der Businessplanthematik praxisbezogen wieder hergestellt. Unter Berücksichtigung dieses Fundaments stehen im vierten Kapitel die Herausforderungen an die Plausibilisierung von Geschäftsmodellen im Vordergrund. Es wird untersucht, ob und inwieweit die zu Grunde gelegten Referenzmuster an ihre Grenzen stoßen, respektive ihre Anspruchsgruppen einer Paradoxie aussetzen. Diese Paradoxie wird anhand eines linear-kausalen Versuchs herausgearbeitet. Im fünften Kapitel wird, entkoppelt von den klassischen Referenzmustern der bis hierhin untersuchten Thematik, ein themenfremdes Fachgebiet vorgestellt. Der dortige Umgang mit Unsicherheiten soll den Leser verleiten, sich losgelöst von herkömmlichen Denkmustern durch neue Sichtweisen irritieren zu lassen. Abgeschlossen wird die Arbeit mit dem Versuch, unter dem Einfluss der alternativen Sichtweisen die alte Thematik wahrzunehmen und neu zu konstruieren. Dabei werden die Ausführungen durch Expertenstimmen gestützt. Abschließend werden zusammengefasst. . im sechsten Kapitel die gewonnenen Erkenntnisse 6 2 Der Businessplan als Grundgerüst zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen Deutschland möchte seine gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmensgründer öffentlichen verbessern.4 Diskussion als Unternehmensneugründungen Hoffnungsträger. Sie böten gelten Chancen in für der neue Beschäftigungsmöglichkeiten und werden häufig als Indikator für die Dynamik und die Zukunftsfähigkeit einer Volkswirtschaft angeführt. Allein im Jahre 2005 registrierte das Statistische Bundesamt in Deutschland rund 760.000 Gewerbeneuanzeigen. Abzüglich der ca. 225.000 Gewerbeummeldungen verbleiben demnach an die 535.000 Betriebsgründungen und Neueinrichtungen.5 Aus den unterschiedlichsten Beweggründen engagieren sich die verschiedensten Organisationen für eine Förderung dieses Trends. Das Angebot für potentielle Gründer reicht von einer eigens für diese Zielgruppe eingerichteten und umfangreichen Internetplattform des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, bis hin zu fragwürdigen Angeboten fertiger Geschäftsideen inklusive Businessplan gegen entsprechendes Entgelt. Vielversprechender und immer verbreiteter sind Gründungswettbewerbe, die sich nicht zuletzt durch ihren Erfolg rechtfertigen. Stellvertretend für diese Entwicklung sei hier der Münchner Businessplanwettbewerb (MBPW) genannt, der nach eigenen Angaben als eine Initiative von Hochschulen, Wirtschaft und Forschungseinrichtungen die Gründungsbereitschaft auf breiter Basis unterstützt.6 Ein Rückblick auf seine Erfolgsgeschichte lässt feststellen, dass in den letzten zehn Jahren mehr als 400 Unternehmen mittels des MBPW gegründet und mit € 238 Mio. Venture Capital finanziert wurden. Insgesamt wurden im Jahr 2005 in Deutschland Venture CapitalInvestitionen in einer Höhe von rund € 1,271 Milliarden getätigt und damit ca. 900 Unternehmen finanziert.7 Die gängige Logik verlangt, dass jede mit Venture Capital finanzierte oder anteilig finanzierte Neugründung im Vorhinein einem Investor plausibel darstellen muss, warum gerade das eigene Geschäftsmodell es wert sei, mit Venture Capital finanziert zu werden. Für den geschäftsführenden Partner der Kompetenz & Kapital Beteiligungsgesellschaft Herrn P. Dressel muss hierzu „[…] in Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie – Online (2006) Vgl. Statistisches Bundesamt (2006a) 6 Vgl. MBPW – Online (2006) 7 Vgl. Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (2005), Teilstatistik Venture Capital 2005 4 5 7 erster Linie erkannt werden, ob in absehbarer Zeit Umsatz zu machen ist, denn Umsatz ist der Einstieg zum Ertrag.“8 Herr W. Arndt, Geschäftsführer der Münchner MBPW GmbH, argumentiert in eine ähnliche Richtung. Für ihn ist eine Geschäftsidee plausibel, wenn „[…] glaubhaft gemacht werden kann, dass die Idee auch vom Markt angenommen wird. Also glaubhaft gemacht werden kann, dass jemand bereit wäre, Geld für die Idee bzw. das Produkt zu zahlen.“9 Menschen wie Herr Dressel und Herr Arndt befinden sich ständig in einem Prozess der Reflexion über Geschäftmodelle, um eines für einen potentiellen Investor als stimmig und nachvollziehbar, eben als plausibel, oder als nicht stimmig und nicht nachvollziehbar, eben als nicht plausibel, zu werten. Neben allen subjektiven Wahrnehmungen und Einschätzungen von Geschäftsideen und -modellen tritt der Businessplan auf, als dominiere er als Referenzmuster ihre Entscheidungen. Gründer und Investoren sind der Meinung, dass man ohne einen professionellen BP heutzutage fast keine Möglichkeit mehr hat, eine Finanzierung durch VC oder durch andere Geldgeber zu erhalten. Obligatorisch ist bei dieser Investitionsentscheidung, dass der Inhalt des BP vom Leser bzw. Investor als plausibel bewertet wird. Mit dem Ziel, Beifall und letztendlich Geld für ihre Geschäftsidee zu bekommen, werden jede Saison allein beim MBPW über 400 BP von potentiellen Unternehmensgründern eingereicht. Erfolgreiche Pläne schlagen sich nach einer Finanzierung durch überzeugte Kapitalgeber und Gewerbeanzeigenstatistik einer des registrierten Gewerbeanmeldung Statistischen Bundesamtes in nieder. der Diesen Neuanmeldungen steht die Statistik der Insolvenzen gegenüber. Sie misst im Gegensatz zur Neuanmeldungsstatistik monatlich die Insolvenzen von Unternehmen, Verbrauchern, ehemals selbstständig Tätigen und anderen natürlichen Personen, wie beispielsweise persönlich haftenden Gesellschaftern größerer Unternehmen. Den 535.000 Betriebsgründungen und Neueinrichtungen im Jahr 2005 stehen im gleichen Zeitraum 708.000 Betriebsabmeldungen gegenüber.10 Unter diesen Betriebsabmeldungen subsumieren sich auch die rund 136.500 in Deutschland registrierten Insolvenzen im Jahr 2005. Eine ernüchternde Bilanz, sind doch diese 8 Dressel (2006), S. 2 Arndt (2006), S. 17 10 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006c) 9 8 gescheiterten Versuche der Selbstständigkeit mit einem negativen Impuls für Beschäftigung und somit letztendlich mit einem negativen Effekt auf die Gesamtwirtschaft verbunden.11 Mit den damit einhergehenden Einflüssen durch persönliche Entmutigung und Frustration des gescheiterten Individuums und dessen Implikationen für Organisationen, deren Wertschöpfung und Kosten, befassen sich ganze Wissenschaftsbereiche. Umso mehr ist zu erkennen, dass selbst mit umfassenden Wissenschaftsmodellen ein genaues Ausmaß der Konsequenzen des oben erläuterten Sachverhalts der Betriebsabmeldungen und Insolvenzen nur grob abgeschätzt werden kann. Desto verständlicher erscheint der Wunsch nach einer möglichst umfassenden Planung und Antizipation der Zukunft für neue Geschäftsmodelle und -ideen. Wie bereits erwähnt, ist das zu Hilfe genommene Referenzmuster der nach spezifischen Methoden erstellte BP. Herr Arndt, der beruflich Geschäftsideen zu beurteilen hat, deren Existenzberechtigung sich immer erst in der Zukunft erweist, fasst die Funktion des BP wie folgt zusammen: „Der Businessplan versucht, die Zukunft zu antizipieren.“12 Es wird versucht, alle Eventualitäten zu berücksichtigen und für die unterschiedlichsten Zukunftsszenarien Handlungsoptionen im Voraus zu entwerfen. Dabei handelt es sich um keinen neuen, geschweige denn revolutionären Wunsch. Das Verlangen, zukünftige Entwicklungen und Ereignisse zu erkennen und zu gestalten, hat es in allen Kulturen und zu allen Zeiten gegeben. Beispielsweise versuchte man schon in der Antike, militärische, politische und wirtschaftliche Vorgänge vorherzusehen, meist mit spekulativen Mitteln.13 Wenn man heute von Zukunftsforschung spricht, dann ist die Rede von einer Entwicklung, die ihren Ursprung in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts hat. Wenn damals noch „[...] spekulative Zukunftsentwürfe und Gesellschaftsmodelle mit globalem Erkenntnis- und Entwicklungsanspruch [...]“14 mit ihren primären Wurzeln in Philosophie und Theologie galten, so bedient man sich heute modernerer Konzepte wie beispielsweise der Spieltheorie, der Kybernetik, der Systemund Modelltheorie, Szenariotechniken oder der Delphimethode.15 Auch der BP zieht Methoden heran, die diesen Konzepten zugeordnet werden können. Nagl kommt 11 Vgl. Neubauer (2001), S. 99 ff Arndt (2006), S. 17 13 Vgl. Gehrke/Schneider (2000), S. 85 14 Kreibich (2006), S. 5 15 Vgl. Steinmeier (1997), S. 28 12 9 beispielsweise zu der Erkenntnis, dass sich in der Praxis „[...] immer stärker eine Chancen-Risiken-Analyse in Form von Szenarien [...]“16 durchsetzt, wobei dieser Analysetyp ein elementarer Bestandteil eines jeden BP ist. 2.1 Der Businessplanbegriff in der Literatur Bereits in den vorhergegangenen Abschnitten wurde die Relevanz des Businessplans angedeutet. Allein eine Eingabe in die Internetsuchmaschine ‚Google’ liefert unter ‚Businessplan’ binnen Bruchteilen einer Sekunde 56,2 Mio. Einträge.17 Ein Umfang, der die Relevanz des Themas bereits erahnen lässt, jedoch die Aufgabe in sich birgt, innerhalb der undifferenzierten Informationsvielfalt zu selektieren. Auch wurde bereits erwähnt, dass der Businessplan das Referenzmuster bei der Planung neuer Geschäftsmodelle und ihrer Umsetzbarkeit ist. Aufgrund dieses Sachverhalts ist der BP-Begriff in der wissenschaftlichen Literatur weit verbreitet. Seien es Werke zur Unterstützung der Unternehmensgründer vor, während oder nach der Gründungsphase, allgemeine wie branchenspezifische Arbeiten und natürlich Bücher über die Erstellung eines Businessplans selbst – in allen Fällen dreht sich der Inhalt um den Businessplan und seine inhaltlichen Bestandteile. Um einen Überblick zu schaffen, wird zunächst referiert, was man üblicherweise in der Literatur unter einem Businessplan versteht; anschließend werden die Unterschiede der einzelnen Definitionen inhaltlich gegenübergestellt. 2.1.1 Businessplanverständnisse Bei einer genauen Betrachtung tauchen mehrere relevante Bezeichnungen auf, die es in einen Zusammenhang zu bringen gilt: Der Geschäftsplan findet i.d.R. in seiner englischen Übersetzung business plan Verwendung. Dabei wurde lange Zeit „[…] der Begriff ‚Businessplan’ mit der Gründung von Unternehmen und deren Finanzierung in Zusammenhang gebracht. Unter einem Geschäftsplan […] wurde ein 16 17 Nagl (2003), S. 64 Ein Versuch, sich der Begrifflichkeit anzunähern. Methode war die Eingabe des Suchbegriffes ‚Businessplan’ unter www.Google.de, Stand 29.05.2006 10 Konzept für die Unternehmensstrategie verstanden. Diese Unterscheidung beginnt sich zu verlieren.“18 Denn „[…] in Wirklichkeit ist ein Businessplan nichts anderes als ein traditioneller strategischer Plan für ein neu zu gründendes Unternehmen.“19 Auch „[…] die Bezeichnung Unternehmenskonzept [… wird, Geschäftsplan, A.d.V.] in der Unternehmensplan Praxis der Banken oder und Beteiligungsgesellschaften […] synonym verwendet.“20 Aufgrund der fehlenden Differenzierung in seiner heutigen Verwendung wird die Bezeichnung ‚Businessplan’ im Folgenden weiterführend und anhand inhaltlicher Definitionen untersucht. Zuvor gilt es aber noch die Begriffe ‚Geschäftsmodell’ und ‚Businessplan’ in einen Zusammenhang zu bringen. Beide Begriffe haben ihren Ursprung in der Gründerwelle, die mit der Entstehung des Internets einherging. Stähler bringt diese Begrifflichkeiten in folgende Verknüpfung: „Mittels des Businessplans wird geprüft, ob ein Geschäftsmodell vollständig durchdacht und wirtschaftlich nachhaltig ist. Erst in der Umsetzung des Business Plans […] in ein durchführbares Geschäftsmodell zeigt sich, ob das Geschäftsmodell Werte schafft.“21 Folglich ist das Geschäftsmodell die Umsetzung des niedergeschriebenen Businessplans. In der Literatur wird der Businessplan inhaltlich nach Dowling und Drumm wie folgt definiert: „Ein Businessplan fasst die kritischen Annahmen eines neu zu gründenden Unternehmens in einem Dokument zusammen, enthält eine Beschreibung der Idee plus ihrer Umsetzbarkeit und letztendlich eine Zusammenfassung Finanzierungsbedarfs.“22 Zusätzlich enthält dieses schriftliche Dokument nach Nagl die 18 Nagl (2003), S. 13 Dowling/Drumm (2003), S. 240 20 Struck (1990), S. 1 21 Stähler (2002), S. 48 22 Dowling/Drumm (2003), S. 240 19 des 11 „[…] Realisierungsstrategie der Unternehmensziele mit allen wesentlichen Voraussetzungen, Planungen und Maßnahmen in einem Zeithorizont von meist drei bis fünf Jahren.“23 oder umfassend nach dem MBPW – Teilnehmerhandbuch das sich an Kubr et al. orientiert: „So beschreibt ein Businessplan im Detail das unternehmerische Gesamtkonzept für ein Geschäftsvorhaben. Er erfasst genau das wirtschaftliche Umfeld, die gesetzten Ziele und die aufzuwendenden Mittel.“24 Besonders deutlich wird die Ähnlichkeit der zitierten Businessplandefinitionen im Abgleich der Ausprägungen ihrer Grobstrukturen. Im nächsten Abschnitt werden vor dem Hintergrund der vorgestellten und zugrunde gelegten Definitionen die Grobstrukturen von Nagl, Kubr et al. und Dowling/Drumm betrachtet und einander gegenübergestellt. 23 24 Nagl (2003), S. 13 MBPW-Teilnehmerhandbuch (2006), S. 22 12 2.1.2 Grobstruktur von Businessplänen Von den Autoren wird zur Erstellung von BP immer eine Strukturierungshilfe mitgegeben. Wie aus der folgenden Abbildung deutlich wird, ähneln sich ihre Inhalte stark. Executive Summary Executive Summary Executive Summary Leistungs- und Produktportfolio Produkt- oder Dienstleistung Produktdesign und technische Entwicklung Management, Personal und Organisation Unternehmerteam Management Team Zielmarkt Markt und Wettbewerb Branchenanalyse Marketing und Vertrieb Marketing und Vertrieb Marletingplan Geschäftsmodell/ Unternehmenskonzept Geschäftsystem und Organisation Ziele und Strategie Realisierungsfahrplan Chancen und Risiken Chancen und Risiken Finanzplanung Finanzplanung und Finanzierung Finanzplan Nagl Kubr Dowling Produktion Abbildung 1: Businessplanstrukturen nach Nagl, Dowling/Drumm, MBPW/Kubr25 Da die in obiger Abbildung präsentierten Businessplanstrukturen in ihren Hauptmerkmalen im Wesentlichen übereinstimmen, kann im Folgenden die Gliederung des MBPW verwendet werden. Diese lehnt sich an die Gliederung von Kubr et al. an. Hier wird in die Abschnitte Executive Summary, Produkt oder Dienstleistung, Unternehmerteam, Markt und Wettbewerb, Marketing und Vertrieb, Geschäftsystem und Organisation, Realisierungsfahrplan, Chancen und Risiken, sowie Finanzplanung und Finanzierung unterschieden. 2.2 Nutzen des Businessplans Grundsätzlich wird ein Businessplan zu folgenden Anlässen benötigt: 25 Ebenda 13 - Bei der Gründung eines Unternehmens - Bei der laufenden Beschaffung von Fremdkapital - Bei der Suche nach Investoren und VC zur Stärkung der Eigenkapitalbasis - Beim Kauf und Verkauf von Unternehmen - Für die strategische Planung - Zur Bewertung unternehmerischer Initiativen und Projekte jeder Art im Unternehmen Der Gründer und Unternehmer entscheidet sich für die Anfertigung eines Businessplans, weil „[…] es heutzutage fast unmöglich [ist, A.d.V] ohne einen professionellen Businessplan eine Finanzierung durch Venture Capital oder durch andere Geldgeber zu erhalten.“26 Für den Gründer ist zusätzlich der Planungsprozess als solcher entscheidend. Er wird gezwungen, sich sowohl über die Idee als auch ihre Umsetzbarkeit, aber auch bis dato unbearbeitete Themenfelder Gedanken zu machen. Also ist für den Gründer der Businessplan Kommunikationsmedium bei der Beschaffung von Fremd- oder Eigenkapital, aber auch gleichzeitig Methode zur umfassenden Analyse von für die Gründung relevanten Aspekten. Für Investoren, VC und Banken dient der Businessplan als Akquisitionsinstrument. Zum einen bekommen diese Anspruchsgruppen erst dadurch neue Gründungen vorgeschlagen, auf der anderen Seite erwarten Investoren auch einen umfangreichen Einblick in die Gründungsidee und die damit verbundenen Vorhaben in allen betriebswirtschaftlichen Themenfeldern. Der Businessplan schafft hier Transparenz, da er vor der Entscheidung über Kapitalbeteiligungen über die damit einhergehenden Risiken informiert. Der Businessplan ist damit als Entscheidungsinstrument und Bewertungsgrundlage für obige Anspruchsgruppe zu sehen. „Neben dem Einsatz als Planungsinstrument sind [… Businesspläne, A.d.V.] auch als Kontrollinstrument geeignet.“27 Sie eignen sich damit für die strategische Planung, da aus ihnen nebst grundsätzlichen Strategien sowohl Bereichsziele, als auch 26 27 Dowling/Drumm (2003), S. 240 Struck (1990), S. 2 14 Bereichsstrategien abgeleitet werden können. Innerhalb eines ganzheitlichen Controllings kann der Businessplan als strategischer Prüfmaßstab zur Zielerreichung genutzt werden. Folgende Abbildung fasst diese Beziehungen zusammen: Businessplan Planungs-/ Kontrollinstrument Investoren VC Banken Entscheidungsgrundlage Kommunikationsmedium Gründer Unternehmer Akqusitionsinstrument Abbildung 2: Nutzendimensionen des Businessplans Wie in Abbildung 3 dargestellt, kann der Nutzen von Businessplänen in den vorher erwähnten Anwendungsfällen Entscheidungs-, in vier Kommunikations-, Dimensionen Akquisitions- unterteilt sowie werden: Planungs- Die und Kontrolldimension. Zentraler Nutzen ist insbesondere die Verbindung von Gründer und Unternehmer mit den Investoren, VC und Banken. Hier wird die zwischen den beiden Anspruchsgruppen angestrebte Win-Win-Situation erzeugt, eine Ausgangslage, aus der jede Partei zusätzlichen Nutzen ziehen kann. 2.3 Die Bestandteile des Businessplans Der Erfolg eines Unternehmens kann letztendlich nur am bereits umgesetzten Geschäftsmodell gemessen werden. Dennoch wird der Erfolg, auf Annahmen gestützt im Businessplan antizipiert. Damit ist der Businessplan als Planungswerkzeug ein essentieller Bestandteil bei der Gründung des Geschäfts. Er entscheidet im Vorfeld über Erfolg oder Misserfolg – zumindest im Rahmen seines Blicks in die Zukunft. Damit ist es für die weitere Argumentation der Arbeit notwendig, nicht nur Definitionen und Struktur des Businessplans zu erfassen, sondern auch die einzelnen Bestandteile selbst zu beschreiben. Hierbei wird die im vorangegangenen Kapitel dargestellte Struktur verwendet. 15 Die einzelnen Elemente werden zunächst über ihr jeweiliges Ziel und ihren Inhalt beschrieben. Weiterhin werden die in der Businessplanliteratur zur Verwendung empfohlenen Tools genannt. Dabei werden auch die in der Literatur gestellten Leitfragen präsentiert, um dem Leser einen Überblick über den Blickwinkel der Bewertenden und die Anforderungen an die Erstellenden zu geben. Auch wenn formale Kriterien eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen und Anforderungen wie Sachlichkeit, Verständlichkeit, Stringenz und Optik Ausschlusskriterien bei Nichtbeachtung darstellen, wird darauf im Folgenden nicht eingegangen. Es sei nur gesagt, dass sich der Umfang des Businessplans an formell festgelegten Kriterien orientieren muss, durch die die Tiefe der Darstellung zwangsläufig gering zu halten ist, und damit eine eindeutige Fokussierung auf das Notwendigste eingehalten werden muss. Weiterhin wird auch die in Businessplanbüchern übliche Ansammlung von Tipps und Tricks nicht übernommen, da der Fokus eindeutig auf die Konzipierung des Businessplans gelegt wird. Im Anschluss daran wird auf den MBPW als exemplarischen Ablauf einer Bewertungssituation von Businessplänen eingegangen und zum Abschluss dieses Kapitels werden die Elemente des Businessplans den in der Definition von Stähler genannten Bestandteilen eines Geschäftsmodells zugeordnet. 2.3.1 Executive Summary Das Executive Summary eines Businessplans ist nicht als Einleitung zu verstehen, sondern als komprimierte Zusammenfassung der Businessplaninhalte. Deshalb wird durchgehend empfohlen, dass diesem Abschnitt besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Potentielle Investoren werden davon zwar keine Investitionsentscheidung abhängig machen, dennoch können diese zwei Seiten Anlass dafür sein, dass die gesamte Idee nicht beachtet wird. „Das Executive Summary wird den Investor nie dazu bewegen, Ihr Vorhaben zu fördern, es kann ihn jedoch überzeugen, dieses nicht zu tun!“28 Das Executive Summary darf zu den späteren, um ein Vielfaches umfangreicheren Kapiteln keine Überraschungen bezüglich der Inhalte bieten. Dem unter Zeitdruck stehenden Leser soll das grundlegende Konzept offengelegt werden und die Entscheidung zum Weiterlesen vorbereiten. Zusätzlich hat diese komprimierte Darstellung für den Gründer den Nutzen, sein Projekt in nur wenigen Sätzen kommunizierbar zu machen. Die eben erwähnten Inhalte werden in der Literatur oft in Prüffragen zusammengefasst, um einen Leitfaden für die Erstellung des Plans zu geben. Den Bestandteilen des 28 Ludewig (1999), S. 63 16 Businessplans ist nach jedem Unterkapitel eine Aufstellung der Leitfragen gewidmet, die zum einen die Kerninhalte zusammenfassen und darüber hinaus weitere Informationen über geforderte Inhalte liefern. Leitfragen Executive Summary · Was ist die Zielsetzung des Unternehmens/Projektes? · Mit welchen Produkten und Leistungen werden welche Märkte/Segmente bedient? · Wer sind die Zielkunden/Umsatzträger? · Wie soll der Marktzugang erreicht werden? · Wie groß ist das derzeitige und zukünftige Marktpotential? · Welche Alleinstellungsmerkmale besitzt das Unternehmen und wo liegt der Kundennutzen? (USP) · Welche Ziele werden kurz-, mittel- und langfristig angestrebt? · Welche wichtige Meilensteine der Unternehmensentwicklung sind bis jetzt erreicht worden? · Wie sieht die Umsatz- und Gewinnplanung für die nächsten drei bis fünf Jahre aus? · Wie hoch ist der Kapitalbedarf, der Return on Investment (ROI)? Abbildung 3: Leitfragen Executive Summary 29 2.3.2 Produkt oder Dienstleistung „In diesem Kapitel des Businessplans stellen Sie klar und einfach dar, welches Problem Ihre Geschäftsidee mit welchem konkreten Angebot überzeugend löst.“30 Das Produkt oder die Dienstleistung müssen dem Investor in seiner Funktionalität vorgestellt werden, da sich auf dieser Basis das Geschäft begründet. Dabei sind allerdings weniger Details vonnöten als der übergeordnete Gesamtzusammenhang. Entscheidend dabei ist, dass in der Geschäftsidee eine Unique Selling Proposition31 liegt. Klar soll hierbei sein, wie sich das neue Produkt oder die neue Leistung von bereits bestehenden Angeboten unterscheidet. Insbesondere wird die Unterscheidung wichtig, wenn sich bereits vergleichbare Produkte/Leistungen auf dem Markt befinden. Es ist also zu klären, ob es sich um ein neues technisches Prinzip handelt, oder eine Verbesserung bereits existierender Produkte Zielsetzung des Vorhabens ist. Bei Dienstleistungen stellt sich besonders die Frage, ob sich die Unternehmung in einer Marktlücke oder aber in einem Markt mit nur geringen Wettbewerbskräften befindet. Die zuletzt genannten Punkte haben im Bereich Markt und Wettbewerb des Businessplans erneut eine hohe Relevanz. 29 Vgl. Nagl (2003), S. 19 Kubr et al. (1999), S. 55 31 Unique Selling Proposition (USP) beschreibt Alleinstellungsmerkmale von einzelnen Produkten oder Dienstleistungen. Diese versprechen aus Sicht der Zielgruppe einen dominanten Nutzen gegenüber Konkurrenzprodukten oder –leistungen. Vgl. Meffert (2000), S. 711 30 17 Die zentrale Forderung der Businessplanliteratur bei der Erarbeitung des Abschnitts Produkt und Dienstleistung liegt insbesondere in der Erklärung der Nutzengefüge für den Kunden. Um den Nutzen für den Kunden zu ermöglichen und das Alleinstellungsmerkmal für den Unternehmer zu erhalten, soll sich der Unternehmensgründer Gedanken über den Schutz seiner Geschäftsidee machen. Hier werden die Fragen nach der Möglichkeit und dem Stand der Patentierung, aber auch mögliche gesetzliche Anforderungen diskutiert. Weiterhin fordert der Bereich Produkt/Dienstleistungen Aussagen zu Umfang und Art der Serviceleistungen, um zu vermeiden, dass dem Kunden nur ein Produkt und keine Lösung angeboten wird. Aussagen zum Entwicklungsstand geben Einblick in die Reife des Produkts an sich, da sich hieraus Folgerungen für den zukünftigen Kapitalbedarf ableiten lassen. Auch der Bereich Qualitätssicherung muss berücksichtigt werden, da diese Aspekte besonders im Hinblick auf das Risiko der Unternehmung entscheidend sind. Portfolioanalyse BCG Produkt-Markt-Matrix Ansoff Marktwachstum niedrig hoch Märkte Neu Gegenwärtig Gegenwärtig Marktdurchdringung Marktentwicklung Neu Produktentwicklung Diversifikation Produkte Nachwuchsprodukte (‚Question Marks’) ‚Stars’ Problemprodukte (‚Poor Dogs’) ‚Cash Cows’ niedrig hoch Relativer Marktanteil Abbildung 4: Portfolioanalyse BCG32, Produkt-Markt-Matrix Ansoff33 Um die Positionierung von Produkt, Dienstleistung oder eines Leistungsspektrums übersichtlich zu veranschaulichen, wird das Portfolioanalysetool der Boston Consulting Group von Nagl zur Verwendung empfohlen. In der weit verbreiteten Vier-Feld-Matrix wird das Leistungsspektrum nach Marktwachstum und relativem Marktanteil unterteilt. Daraus lassen sich Normstrategien ableiten, die sich wiederum in Investition, Selektion und Deinvestition kategorisieren lassen. Abbildung 5 gibt hierzu einen Überblick. 32 33 Vgl. Wöhe (2000), S. 141 Vgl. Ansoff (1966), S. 13 ff 18 Um die strategische Stoßrichtung der Unternehmung bezüglich der Zielmärkte in Verbindung mit den eigenen Produkten oder Dienstleistungen festzulegen, schlägt die Businessplanliteratur die Verwendung der verbreiteten Ansoff’schen Produkt-MarktMatrix vor. Dabei werden anhand möglicher Kombinationen von gegenwärtigen/neuen Produkten sowie gegenwärtigen/neuen Märkten Aussagen zu angepassten Normstrategien getroffen. Ableitbare Strategien sind Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung und Diversifikation. Auch hier veranschaulicht Abbildung 5 die Zusammenhänge. Leitfragen Produkt/Dienstleistung · Worin besteht der innovative Charakter des Leistungs- und Produktportfolios? · Wie sieht der aktuelle Stand der Technik aus? · Welche Garantie- und Servicepolitik wird verfolgt? · Durch welche Merkmale erringt das Produkt oder die Dienstleistung eine Alleinstellung? · Sind Partnerschaften oder zusätzliche Dienstleistungen erforderlich, um das Produkt und die Dienstleistung voll zur Geltung zu bringen? · Welche gesetzlichen Vorschriften, Normen oder Standards sind zu erfüllen? · Wie sind die Patent- bzw. Schutzrechtsituationen? · In welchen Entwicklungsstadien befinden sich die Produkte und Dienstleistungen? · Welche weiteren Entwicklungsschritte sind geplant? · Welche Ressourcen sind für eine Weiterentwicklung vorhanden? · In welchen Bereichen liegen Entwicklungsrisiken und wie wird diesen Risiken begegnet? Abbildung 5: Leitfragen Produkt/Dienstleistung 34 Die elementaren und weiterführenden Leitfragen für diesen Abschnitt sind in Abbildung 6 zusammengefasst. 2.3.3 Unternehmerteam Da das Management ein Kernelement für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens darstellt, wird dieser Abschnitt von potentiellen Investoren oft unmittelbar nach dem Executive Summary gelesen. Auch deshalb sollte auf diesen Bereich ein besonderes Augenmerk gelegt werden, selbst wenn Gründer diesen oft unterschätzen. 34 Vgl. Nagl (2003), S. 43 19 Zunächst muss sich das Unternehmerteam darüber klar werden, welche Kompetenzen, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften in ihrem Unternehmen erwartet werden. Diese sind sehr eng mit der Vision und den strategischen Zielen des Unternehmens verknüpft. Aus den Visionen leiten sich die Ziele ab, aus den Zielen die Maßnahmen, und weiterhin benötigen diese wiederum die Fertigkeiten und Fähigkeiten der beteiligten Akteure. Merkmale eines schlagkräftigen Unternehmerteams beschreibt Kubr et al. mit folgenden Elementen:35 - Komplementäre Eigenschaften und Stärken - Gemeinsame Vision – alle wollen den Erfolg - Mindestens drei, selten mehr als sechs Personen - Flexibilität bei Schwierigkeiten - Miteinander verschweißt – auch in schwierigen Situationen - Keine Resignation bei Rückschlägen, sondern neue Formation, um die Hürden im zweiten oder dritten Anlauf zu nehmen Da es schwierig ist, die genannten Fähigkeiten zu verbalisieren, und dabei ein hohes Maß an Subjektivität zu fragwürdigen Aussagen führen dürfte, werden bei Interesse der Investoren die Soft-Skills36 der Gründer natürlich im persönlichen Gespräch bewertet. Dennoch wird im Businessplan auf die Darstellung von Kompetenzprofilen Wert gelegt, um erste Eindrücke über das Unternehmerteam zu gewinnen. Als adäquate Darstellungsart wird von Kubr et al. die Fähigkeitsprofilmatrix vorgeschlagen: 35 36 Vgl. Kubr et al. (1999), S. 61 Bei Soft-Skills, oder auch weichen Fähigkeiten, handelt es sich um das Wissen im Umgang mit Menschen und Entscheidungen. Vgl. Zellweger (2004), S. 13 20 Durchsetzungsvermögen Verhandlungsgeschick Verkaufsfähigkeit Kommunikation Initiative Sozialkompetenz Personalwesen Weiche Faktoren Produktion Marketing/Verkauf Beziehungen Projektmanagement Finanzen Technologie Harte Faktoren W. Hüthrich O. Dometz T. Hym Lücke 1 Zur Ergänzung gesucht: - Produktionsleiter - Erfahrener Verkäufer Lücke 2 Abbildung 6: Fähigkeitsprofilmatrix37 Dabei werden sowohl geforderte harte, aber auch weiche Faktoren an einer Achse eingetragen, und an der anderen Achse der Matrix werden die Teammitglieder in Relation gesetzt. So lassen sich Fähigkeitsaspekte einzelnen Personen zuordnen. Bei einer Analyse der Felder werden eventuell Lücken im Kompetenzprofil deutlich, die möglicherweise durch Maßnahmen des Unternehmerteams geschlossen werden können, um ein ausgeglichenes Team zu erhalten. Im Businessplan sollen diese Maßnahmen ebenfalls eine Würdigung erhalten. Leitfragen zum Feld Unternehmerteam sind folgender Grafik zu entnehmen: Leitfragen Unternehmerteam · Über welche komplementären Fähigkeiten verfügt das Führungsteam? · Bestehen Lücken im Führungsteam? · Welche entscheidenden Positionen müssen besetzt werden? · Was sind die Schlüsselpositionen des Unternehmens? · Welche Qualifikationen und Erfahrungen besitzen die Mitarbeiter in Schlüsselpositionen? Abbildung 7: Leitfragen Unternehmerteam38 37 38 Vgl. Kubr et al. (1999), S. 63 Vgl. Nagl (2003), S. 63 21 2.3.4 Markt und Wettbewerb Im Abschnitt Markt und Wettbewerb des Businessplans werden im Wesentlichen zwei Kriterien der Geschäftsidee mit Leben gefüllt, die Spiegel dafür sind, ob die Geschäftsidee den Anforderungen des Marktes entspricht und gegenüber der Konkurrenz bestehen kann: - Wie groß ist der Markt und in welchem Ausmaß wächst er? - Was kennzeichnet den Wettbewerb? Die Beantwortung dieser Fragen setzt vorher erworbene Kenntnisse über den Markt voraus. Um den Umfang möglichst gering zu halten und trotzdem aussagekräftig zu sein, verlangt die Marktanalyse nach gezielter Erhebung von Informationen, aber auch nach der Aufstellung von Annahmen und ihrer Abwägung. Die Aussagen über Größe und Wachstum des gesamten Marktes geben Aufschluss über die Wachstumschancen des neu zu gründenden Unternehmens. Nach diesen allgemeinen Erläuterungen muss der Businessplan Einblick in die Wahl der Zielkundengruppe, aber auch in Eckdaten des geplanten Markterfolges wie Absatz, Umsatz, Marktanteil oder Gewinn geben. Dafür ist das Mittel der Marktsegmentierung zu wählen. Hierbei werden Teilbereiche des vorher identifizierten Gesamtmarktes nach verhaltensorientierten (Preisverhalten, Produktwahl, Mediennutzung etc.), psychographischen (allgemeine Persönlichkeitsmerkmale und produktspezifische Merkmale), soziodemographischen (demographische und sozioökonomische Merkmale) und/oder geographischen (Klima, Infrastruktur etc.) Kriterien unterteilt. Neben der Analyse der Marktsegmente mit ihren Zielkundengruppen muss auch die im Markt agierende Konkurrenz betrachtet werden. Hierfür eignet sich das Branchenstrukturmodell zur Analyse der fünf maßgeblich beeinflussenden Wettbewerbskräfte (‚Five Competitive Forces’) nach Porter. Die zu analysierenden Komponenten des Modells sind die Rivalität unter den vorhandenen Wettbewerbern, die Bedrohung durch potenzielle neue Wettbewerber, die Verhandlungsmacht der Lieferanten, die Verhandlungsmacht der Abnehmer/Kunden sowie die Bedrohung durch Ersatzprodukte. 22 SWOT-Analyse (Wettbewerbsposition) Five Competitive Forces (Porter) Potentielle neue Konkurrenten Stärken Schwächen Chancen Gelegenheiten Wagnis Unternehmen Risiken Unternehmen Wagnis Markt Bedrohungen Bedrohung durch neue Konkurrenten Wettbewerber in der Branche Lieferanten Abnehmer Rivalität unter den bestehenden Unternehmen Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste Verhandlungsmacht der Abnehmer Markt Verhandlungsstärke der Lieferanten Ersatzprodukte Abbildung 8: Five Competitive Forces39, SWOT40 Zur Abrundung des Kapitels wird in der Literatur die Anwendung der SWOT-Analyse empfohlen. Sie gibt einen sehr verdichteten Einblick in die zukünftigen Entwicklungen, die in diesem Fall in besonderer Abhängigkeit des Zielmarktes stehen. Dabei werden Stärken und Schwächen des Unternehmens in relativer Abhängigkeit zur Konkurrenz skizziert (Strength, Weaknesses), aber auch Chancen und Risiken (Opportunities, Threats) als Essenz der strategisch relevanten Zukunftsentwicklungen, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht, zusammengefasst. Folgerungen aus den erarbeiteten Inhalten werden allerdings erst im eigens dafür vorgesehenen Abschnitt ‚Chancen/Risiken’ eingebracht. Beide Methoden sind in Abbildung 9 schematisch dargestellt. Weitere Leitfragen zur Ausarbeitung des Bereichs Markt und Wettbewerb finden sich in Abbildung 10 in komprimierter Darstellung. 39 40 Vgl. Porter (1999), S. 26 Vgl. Meffert (2000), S. 65 ff 23 Leitfragen Markt und Wettbewerb · Welches mengenmäßige und wertmäßige Marktpotenzial und Marktvolumen wird für die einzelnen Marktsegmente prognostiziert? · Wie entwickelte sich die Branche in der Vergangenheit und wie sehen die Prognosen aus? · Was sind die Erfolgsfaktoren der Branche? · Welche Rolle spielen Innovation und technischer Fortschritt? · Welche Unternehmen treten als Wettbewerber um die Gunst der Käufer im Markt auf? · Wie ist die derzeitige Marktposition der Wettbewerber? · Welche Ziele verfolgen die Mitbewerber? · Über welches Know-how verfügen die Mitbewerber? · Wie hoch sind die finanziellen Ressourcen der Wettbewerber? · Wie werden die Wettbewerber gegebenenfalls auf den Markteintritt des eigenen Unternehmens reagieren? · Inwieweit ist das Unternehmen von einzelnen Lieferanten und Kunden abhängig? · Wie werden die aktuelle und zukünftige Rendite in den Marktsegmenten beurteilt? Abbildung 9: Leitfragen Markt/Wettbewerb41 2.3.5 Marketing und Vertrieb „Im Einzelnen geht es um die überzeugende Darstellung der Strategie für den Markteintritt, des Absatzkonzepts und der geplanten Maßnahmen zur Absatzförderung.“42 Hierzu wird die komprimierte Darstellung des Marketing-Mix als „[...] zielgerichtete Auswahl und qualitative, quantitative sowie zeitliche Kombination der absatzpolitischen Instrumente zu einem konsistenten Maßnahmenbündel [...]“43 verlangt. Die zweckmäßige Darstellung des Marketing-Mix wird durch Bearbeitung des 4PRasters erreicht. Die vier Felder, die mit dieser Methode bearbeitet werden, sind die Produkt-, Preis-, Distributions-, und Kommunikationspolitik (product, price, placement, promotion). Im Folgenden werden Fragen aufgezeigt, die es in den einzelnen Teilbereichen zu beantwortet gilt. Beispiele für die einzelnen Bearbeitungsfelder komplettieren die Darstellung. 41 Vgl. Nagl (2003), S. 31 MBPW – Teilnehmerhandbuch (2006), S. 43 43 Hüttner/Pingel/Schwarting (1994), S. 287 42 24 Product: Welche Eigenschaften haben die angebotenen Produkte und Leistungen, um die relevanten Kundenbedürfnisse zu erfüllen? (Qualität, Zusatzoptionen, Produktlinien/Sortiment, Service, Garantieleistung etc.) Price: Welcher Preis kann berechnet und welche Ziele können mit der Preisstrategie verfolgt werden? (Listenpreis, Rabatte, Mengenzuschläge und -abschläge, Zahlungsziele etc.) Placement: Wie soll das Produkt zum Kunden gelangen? (Absatzkanäle, Absatzmittler, Standard, Warenlogistik etc.) Promotion: Mit welchen Kommunikationsmitteln soll der Kunde die Vorteile des Produkts vermittelt bekommen? (Werbung, Direktmarketing, Verkaufsförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungen, Messen, Kundenbesuche etc.) 4P Strategietypen (Porter) Strategischer Vorteil Price Place Variety Quality Design Features Brand name Packaging Services Warranties Advertising Promotions Personal selling Publicity List price Discounts Allowances Payment period Credit terms Channels Coverage Assortments Locations Inventory Transport Target market Branchenweit Promotion Beschränkung auf ein Segment Product Strategisches Zielobjekt Marketing Mix Singularität aus Sicht des Käufers Kostenvorsprung Differenzierung Umfassende Kostenführerschaft Konzentration auf Schwerpunkte Abbildung 10: 4P44, Strategietypen nach Porter45 Innerhalb dieser vier Felder werden damit auch Aussagen zur strategischen Ausrichtung der Unternehmung getroffen. So ist der Bereich ‚Price’ unter anderem hergeleitet aus der Preisstrategie, die im Wesentlichen die Entscheidung zwischen einer Abschöpfungsstrategie - von Beginn an hohe Erträge - oder Penetrationsstrategie rasche Marktdurchdringung - darstellt. Zur Herleitung der passenden Strategie schlägt die Businessplanliteratur eine Strategiematrix nach Porter vor. Abbildung 11 gibt einen Überblick über die 4P-Methode und die Klassifizierung von Wettbewerbsstrategien. Nachfolgend sind auch hier die Leitfragen des Bearbeitungsabschnittes beschrieben: 44 45 Vgl. Kotler et al. (1996), S. 97 Vgl. Porter (1995), S. 67 25 Leitfragen Marketing und Vertrieb · Welchen Absatz (Menge) und Umsatz (Wert) strebt das Unternehmen an (Prognose)? · Welche Preise sollen erzielt werden? · Nach welchen Kriterien werden die Preise gebildet? · Wie hoch soll die Gewinnspanne sein? · Welche Zahlungsziele räumt das Unternehmen ein? · Welche Zielgruppen werden durch welche Vertriebskanäle am besten erreicht? · Wie wird die Aufmerksamkeit der Zielgruppenkunden auf die Produkte und Leistungen gelenkt? · Welche Art von Werbemittel soll genutzt werden? · Wie hoch ist der Kostenaufwand, um einen Kunden dauerhaft zu binden? · Welche Anforderungen (Anzahl, Qualifikation und Ausrüstung der Mitarbeiter) sind seitens des Vertriebs zu erfüllen, um die Marketingstrategie erfolgreich umzusetzen? · Welche Ausgaben sind dafür eingeplant? · Wie werden sich der Absatz und das Ergebnis auf die einzelnen Vertriebskanäle verteilen? · Welcher Marktanteil je Vertriebskanal kann erreicht werden? · Welche Ausgaben fallen bei der Einführung der Produkte und Dienstleistungen sowie im weiteren Verlauf voraussichtlich ab? Abbildung 11: Leitfragen Marketing und Vertrieb46 2.3.6 Geschäftssystem und Organisation Nachdem in den vorausgehenden Absätzen Sinn und Zweck des Unternehmens aus Sicht des Kunden beschrieben wurde, soll nun im Bereich Geschäftssystem und Organisation die physische Realisierung des Unternehmens erklärt werden. Im Rahmen des Geschäftssystems ist darzulegen, wie die Erstellung des Produkts oder Erbringung der Leistung systematisch und kostendeckend durchgeführt werden kann. Um dieses Geschäftssystem jedoch zu realisieren, gilt es organisatorische Aspekte festzulegen. Hierzu gehören Arbeitsaufteilung, Verantwortungen, Personalplanung, Führung, Unternehmenskultur sowie die Rolle von Geschäftspartnern. Für die Bearbeitung dieser Anforderungen empfiehlt die Literatur entsprechende Vorgehensweisen: Zunächst ist das Geschäftssystem anhand der Wertschöpfungskette zu beschreiben. Dabei muss eine eindeutige Fokussierung auf die für die Wertschöpfung relevanten 46 Vgl. Nagl (2003), S. 58 26 Felder gelegt werden. Eine Fixierung auf Kernkompetenzen hat eindeutig erkennbar zu sein, um hierdurch den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen zu ermöglichen. Hinzu kommen Aussagen über die Wertschöpfungstiefe, die Implikationen auf die einzugehenden Partnerschaften zur Folge haben. Tätigkeiten außerhalb der Kernkompetenz des eigenen Unternehmens können im Rahmen unterschiedlicher Kooperationsformen an Partner abgegeben werden. Der Businessplan hat darüber Auskunft zu geben. Neben der Ablauforganisation sind die Verantwortlichkeiten im Unternehmen zu klären. Ein Organigramm liefert ein geeignetes Übersichtsformat. Nachfolgende Grafik stellt die Porter`sche Wertschöpfungskette Unternehmensverantwortlichkeiten dar: und ein typisches Value Chain (Porter) Organigramm der Organigramm ne pan inns Gew Unterstützende Aktivitäten Infrastruktur des Unternehmens Personalmanagement Technologische Entwicklung Geschäftsführer Hr. Hauswälder Hr. Kudak Hr. Foster Produktion Hr. Cruise Marketing Hr. Elschaft Finanzen Fr. Busch Forschung & Entwicklung Primäre Aktivitäten Personal & Administration nne Gew inns pa Kundendienst Ausgangslogistik Marketing & Vertrieb Operationen Eingangslogistik Beschaffung Abbildung 12: Value Chain47, Organigramm48 Zusätzlich zu den bereits erwähnten Inhalten werden in der beschriebenen Phase Aussagen zur Personalplanung, den damit verbundenen Personalkosten aber auch zu kulturellen Merkmalen der Organisation sowie konstituierenden Merkmalen, wie zum Beispiel dem Standort, getroffen. Hier bietet folgende Grafik einen Überblick über die Leitfragen: 47 48 Vgl. Porter (1992), S. 59 ff Vgl. MBPW – Teilnehmerhandbuch (2006), S. 49 27 Leitfragen Geschäftssystem und Organisation · Wo liegen die Kernkompetenzen? · Welche Leistungen werden selbst erbracht, was wird zugekauft (make-or-buyEntscheidung)? · Welche Geschäftspartner werden in den Leistungserstellungsprozess miteinbezogen? · Können Kapazitäten kurzfristig angepasst werden? · Existieren Maßnahmen zur Qualitätssicherung? · Wie sieht die Organisationsstruktur des Unternehmens aus? · Wo liegen die Schwachpunkte der derzeitigen Organisationsstruktur? Abbildung 13: Leitfragen Geschäftssystem und Organisation49 2.3.7 Realisierungsfahrplan Der Realisierungsfahrplan ist in seinem Umfang ein geringer Teil des Businessplans, er erfordert allerdings einen nicht unerheblichen Aufwand an Vorleistungen. Die Vorleistungen für diesen Anschnitt sind in der Realgüterplanung zusammengefasst. Diese enthält die Preis- und Absatzplanung, die Investitionsplanung die Produktionsund Beschaffungsplanung, die Personalplanung sowie die Finanzplanung. Die dafür benötigten Daten wurden als Vorleistungen in den im Businessplan vorstehenden Kapitel bearbeitet oder zusammengefasst. Im Realisierungsfahrplan müssen diese nun verdichtet werden, um daraus auf der einen Seite Investitionen über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren quantifizierbar machen zu können, aber auch um wesentliche Meilensteine in der Geschäftsplanung zeitlich festzulegen. Zur Darstellung genügen in der Regel drei Elemente: - GANTT-Chart50 zum Realisierungsablauf - Wichtige Meilensteine - Wichtige Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen den Arbeitspaketen Dabei zu berücksichtigende Leitfragen sind nachfolgend zusammengefasst: 49 50 Vgl. Nagl (2003), S. 63 Ein Gantt-Diagramm oder auch Balkenplan ist ein nach dem amerikanischen Berater Henry L. Gantt (1861–1919) benanntes Instrument des Projektmanagements, das die zeitliche Abfolge von Aktivitäten grafisch in Form von Balken auf einer Zeitachse darstellt. Vgl. Dietrich (1997), S. 575 28 Leitfragen Realisierungsfahrplan · Was sind die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung Ihres Unternehmens, und wann müssen sie erreicht werden? · Welche Aufgaben und Meilensteine hängen direkt voneinander ab? · Bei welchen Aufgaben/Meilensteinen gibt es Engpässe? · Wieviel Sachkapital/Personal ist erforderlich, um erste Umsätze zu erzielen? · Wie wollen Sie diese Meilensteine als Arbeitspakete angehen? · Wie sieht Ihre kurz- und längerfristige Investitionsplanung aus und an welchen Meilensteinen wird investiert? Abbildung 14: Leitfragen Realisierungsfahrplan51 2.3.8 Chancen und Risiken Dieser Abschnitt des Businessplans baut auf den bei Markt und Wettbewerb hergeleiteten Chancen und Risiken auf. Im Falle ihres Eintreffens muss der Businessplan plausible Antworten geben, wie die Unternehmer reagieren könnten. Deshalb bietet es sich an, unterschiedliche Szenarien zu entwerfen. Hierzu ist die Ausarbeitung von drei Fällen verbreitet: Best, normal, und worst case. Diese Fälle beschreiben den Schwankungsbereich, in dem sich das Planergebnis bewegt. Dieser Bereich ist eingegrenzt durch das positive, aber auch das negative Extremszenario. Durch die Kombination verschiedener Parameter (z.B. Preis und Absatz) sowie ihrer Ausprägungen ergeben sich entsprechend der Fälle mögliche Geschäftsresultate, die eine wichtige Grundlage für weitere Berechnungen im Finanzierungsteil bieten. Die weitere Betrachtung dieser drei genannten Fälle ist ein Versuch des Businessplans, der Unsicherheit der Zukunft Rechnung zu tragen. Die zu berücksichtigen Leitfragen sind der nachfolgenden Aufstellung zu entnehmen: 51 Vgl. MBPW – Teilnehmerhandbuch (2006), S. 55 29 Leitfragen Chancen und Risiken · Welche außerordentlichen Chancen bieten sich? · Existieren grundsätzlich Risiken (Markt, Wettbewerb, Technologie)? · Sind die möglichen Unwägbarkeiten allen Führungskräften bekannt? · Sind deren Auswirkungen auf Kapitalbedarf, Cash-flow und Rendite bekannt? · Wurde in Szenarien geplant? · Wie realistisch sind diese Szenarien? · Gibt es eine ausreichende Variation, d.h. eine Sensitivitätsanalyse dieser Szenarien? Abbildung 15: Leitfragen Chancen und Risiken52 2.3.9 Finanzplanung und Finanzierung „Im Businessplan werden Aussagen zur zukünftigen finanziellen Entwicklung erwartet, untermauert mit einem groben Finanzplan. Eine ausgeklügelte Finanzrechnung ist nicht notwendig, da Voraussagen von Natur aus ungenau sind, bei einer neuen Firma um so mehr.“53 Dennoch umfasst dieser Bereich annähernd ein Drittel des gesamten Businessplans. Da für die weitere Bearbeitung im Rahmen dieser Arbeit die genauen Inhalte der Finanzplanung nicht relevant sind, werden im Folgenden nur die Inhalte angesprochen jedoch nicht vertieft. Die Minimalanforderungen an diesen Abschnitt sehen folgendermaßen aus: - Liquiditätsplanung, Gewinn- und Verlustrechnung, Cashflow-Rechnung, Bilanz - Voraussagen über drei bis fünf Jahre, mindestens ein Jahr über den Break-Even hinaus - Detaillierte Aufteilung der ersten zwei Jahre - Unterlegung sämtlicher Zahlen mit Annahmen Für die erstgenannte Planungsdimension werden die zuvor benötigten quantifizierten Aussagen über Preis- und Absatzplanung sowie Personal- und Produktionsplanung benötigt. Diese wiederum ergeben die eigentliche Finanzplanung und den daraus 52 53 Vgl. Nagl (2003), S. 65 Kubr et al. (1999), S. 120 30 entstehenden Finanzierungsbedarf. Aus diesen Informationen wird wiederum die Rendite für die möglichen Kapitalgeber berechnet. Diese Aussage ist letztendlich der Zielpunkt des Businessplans, der i.d.R. das Angebot an den Kapitalgeber darstellt. Insgesamt soll durch die detaillierte Bearbeitung der finanziellen Zukunft des Unternehmens eine Signalwirkung für zukünftige Kapitalgeber erzeugt werden. Durch die gedankliche Antizipation möglicher Zukünfte beweist der Unternehmer, dass er sich umfassend mit Handlungsoptionen befasst hat. Andererseits bedeutet die genaue Bearbeitung dieses Bereiches eine Sicherheit für die Kapitalgeber, da sie mögliche Risiken abschätzen können, oder aber für das Unternehmen existenzbedrohende Entwicklungen bereits im Voraus erkennen können. Auch für diesen hier letzten Abschnitt ergeben sich folgende Leitfragen: Leitfragen Finanzplanung und Finanzierung · Wie werden sich Umsätze , Aufwendungen und Erträge entwickeln? · Wie wird sich die Liquidität entwickeln? Ab wann wird mit dem Break-Even gerechnet? · Wie hoch ist der sich aus der Liquiditätsplanung ergebende Finanzbedarf des Unternehmens? Wie viele flüssige Mittel werden im ungünstigsten Fall benötigt? · Auf welchen Annahmen basiert der Finanzplan? · Welche Quellen stehen zur Deckung des Finanzbedarfs zur Verfügung? · Wie lautet das Angebot an potentielle Kapitalgeber? · Welche Rendite können die Investoren erwarten? · Wie realisieren die Investoren ihren Gewinn (Exit-Optionen)? Abbildung 16: Leitfragen Finanzplanung und Finanzierung54 2.4 Ablauf von Businessplanwettbewerben Wie bereits in der Einleitung erwähnt, finden seit einigen Jahren zahlreiche Gründungswettbewerbe statt, die im Wesentlichen die Aufgabe haben, Unternehmensgründer mit Kapitalgebern zu verbinden. Im Folgenden wird exemplarisch der Ablauf des MBPW stellvertretend für die Vielzahl der existierenden Wettbewerbe vorgestellt. Die Informationen ergeben sich neben den Quellen des MBPW auch aus den von den Autoren gesammelten Erfahrungen. 54 Vgl. MBPW – Teilnehmerhandbuch (2006), S. 64 f 31 Der Wettbewerb findet in drei Stufen statt. In der ersten Phase, der Ideas Stage, werden ausschließlich Ideen in Form von verkürzten Businessplänen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zugelassen. In einer zweiten Stufe, der Development Stage, werden Grob-Businesspläne bewertet, die nun auch von Unternehmensgründern aus privatem Umfeld und von bereits bestehenden Unternehmen eingereicht werden können. Die letzte Stufe ist die Excellence Stage, in der vollständige Businesspläne bewertet werden. Die Preisgelder steigen mit jeder Stufe. Ziel des sukzessiven Aufbaus ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Teilnehmer und ihrer Businesspläne. Der Gesamtzeitraum eines Wettbewerbszyklus beläuft sich auf ca. neun Monate. Parallel zu jeder Stage finden Treffen, so genannte ‚Jours Fixes’, mit Fachberatern, Coaches, Venture Capitalists und Business Angels statt, um schon von Beginn an den Teilnehmern eine Anbindung an dieses Netzwerk zu ermöglichen. Neben der Bildung des Netzwerkes stehen die Coaches, aber auch Unternehmer und Investoren für Beratungsgespräche zur Verfügung. Darüber hinaus wird ein Ausbildungsangebot bereitgestellt, das die Bearbeitung der einzelnen Themenfelder des Businessplans auch für Teilnehmer ohne oder mit geringen betriebswirtschaftlichen Vorkenntnissen möglich machen soll. Im Laufe jeder einzelnen Stage werden nach der Abgabe der Businesspläne deren Inhalte durch zwei Coaches bewertet. Nach Abgleich aller Bewertungen der einzelnen Teams werden die besten zehn Teams nominiert. Zusätzlich zu der Einreichung des Businessplans steht für diese potentiellen Gründer nun ein so genannter ‚Dry Run’ an. Das Team muss nun in einem kurzen Vortrag die Idee vor Juroren und Coaches vorstellen und sich den Fragen der Jury stellen. Nach diesen Vorträgen findet die Auslese derjenigen statt, deren Geschäftsidee am plausibelsten erscheint. Dies führt zur Feststellung der Sieger, die eine erhöhte Aussicht auf eine Zuteilung von Wagniskapital haben. Neben der Ideenpräsentation haben die Teams ab der Development-Stage auch vor einer Finanzjury zu bestehen. Unabhängig von der Jury wird hier durch Investoren ausschließlich das Finanzierungspotential der Businesspläne geprüft. Abbildung 18 stellt die Ablauforganisation des Wettbewerbs schematisch dar: 32 Ablauf MBPW Ideas Stage Ziel: Entwicklung einer Geschäftsidee Inhalt: Beschreibung von Idee, Markt und Kundennutzen Zielgruppe: Entrepreneure ausschließlich aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen Preisgelder: 10 x 500 € Ausbildung Development Stage Ziel: Grob-Businessplan Inhalt: Konzept zur Ausschöpfung des Marktpotenzials und Ermittlung des Grob-Finanzbedarfs Zielgruppe: Teilnehmer der Ideas Stage und Unternehmensgründer in Südbayern Preisgelder: 1. Preis 4.000 € 2. Preis 2.000 € 3. Preis 1.500 € 4. Preis 1.000 € 5. Preis 750 € Excellence Stage „Sprinter & Marathon“ Ziel: Komplett-Businessplan Inhalt: Umsetzung des Geschäftskonzepts und ausführliche Beschreibung des Finanzbedarfs Zielgruppe: Unternehmensgründer in Südbayern 1. Sprinter: Aus allen Branchen, Markteintritt < 18 Monate, Kapitalbedarf < 1 Mio. € 2. Marathon: Hohes Wachstumspotenzial, Markteintritt > 18 Monate; Kapitalbedarf > 1 Mio € Preisgelder: 1. Preis 2x 15.000 € 2. Preis 2x 10.000 € 3. Preis 2x 5.000 € 7x Crash Kurse / 8x Workshops Anleitung durch MBPW-Coaches, Unternehmer und Investoren Netzwerk 8x Jour Fixe / 1x Ringvorlesung Abbildung 17: Ablauf Businessplanwettbewerb am Beispiel MBPW55 2.5 Zuordnung zur Definition von Geschäftsmodellen nach Stähler Da hiermit Definition, Struktur und Inhalte eines Businessplans knapp umrissen wurden, fehlt nunmehr die Verbindung zum Begriff des Geschäftsmodells. Schon zu Beginn wurde erklärt, dass die Begriffe Businessplan und Geschäftsmodell in naher Verwandtschaft stehen, da „[…] mittels des Business Plans […] geprüft [wird, A.d.V.], ob ein Geschäftsmodell vollständig durchdacht und wirtschaftlich nachhaltig ist.“56 In der Gegenüberstellung der Struktur eines Geschäftsmodells nach Stähler mit der Struktur des Businessplans wird deutlich, dass alle Elemente eines Geschäftsmodells auch im Businessplan enthalten sind. Darüber hinaus wird allerdings auch sichtbar, dass der Businessplan zusätzliche Felder abdeckt. Besonders klar wird dieser Zusammenhang an den Elementen Realisierungsfahrplan sowie Chancen und Risiken. Während der Inhalt eines Geschäftsmodells per definitionem eine Momentaufnahme darstellt, die die statische Funktionsweise einer Geschäftsidee erklärt, beinhaltet der Businessplan darüber hinaus Aussagen über die Zukunft, die anhand von Annahmen getroffen werden. In Teilen wirkt sich dies auch auf weitere Bestandteile aus: So werden im Rahmen der Finanzplanung und Finanzierung Aussagen über die finanzielle Entwicklung des Unternehmens in den folgenden fünf Jahren getroffen, in Produkt oder Dienstleistung die technischen 55 56 Vgl. MBPW – Teilnehmerhandbuch (2006), S. 7 ff Stähler (2002), S. 48 33 Entwicklungen und damit Auswirkungen auf das eigene Portfolio vorhergesagt, sowie in Markt und Wettbewerb zukünftiges Angebot und Nachfrage und damit auch die Reaktion der Marktteilnehmer auf diese Zustände antizipiert. Nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über die beschriebenen Zusammenhänge: Businessplan Value Proposition (Executive Summary) Für Kunden Produkt oder Dienstleistung Für Wertschöpfungspartner Unternehmerteam Architektur der Leistungserstellung Markt und Wettbewerb Produkt-/Marktentwurf Marketing und Vertrieb Interne Architektur Geschäftsystem und Organisation Externe Architektur Realisierungsfahrplan Grad der Stabilität der Architektur Chancen und Risiken Ertragsmodell Finanzplanung und Finanzierung Primär statische Aufnahme eines bereits existierenden Geschäfts Durch Annahmen legitimiertes zukünftiges Geschäftsmodell Annahmen (mehr oder minder starke Determinierung) Geschäftsmodell Abbildung 18: Verknüpfung Geschäftsmodell - Businessplan Es lässt sich somit festhalten, dass sich die im Businessplan erklärten Elemente zum einen aus den Anforderungen an ein Geschäftsmodell und zum anderen aus Zukunftsannahmen zusammensetzen. Letzteres und die damit verbundenen Implikationen auf die Businessplanthematik werden in den nachfolgenden Kapiteln wieder aufgegriffen und vertiefend behandelt. 2.6 Zwischenbilanz: Fußball, Einstein und eine unsichere Zukunft Rekapitulierend lässt sich festhalten, dass die Businessplanbestandteile und ihre einzelnen Inhalte eine äußerst stark komprimierte Zusammenfassung einer 34 Beschreibung eines gesamten Unternehmens in einem fern liegenden zukünftigen Zustand darstellen. Bereits das Gefühl dürfte in diesem Moment Alarm schlagen. Denn wie gut ist ein Zeitraum von fünf Jahren in umfassendem Maße vorhersehbar? Das oft bemühte Beispiel Wettervorhersage beschäftigt die Menschheit im Gegensatz zum Businessplan schon seit Jahrtausenden. Heute reden wir von einer Vorhersagewahrscheinlichkeit von 75% über einen Zeitraum von drei Tagen. Weitaus erfolgloser orakelt der Mensch bei der Vorhersage eines einfachen Fußballspiels: Räumlich stark begrenzt auf maximal 1,08 Hektar57 kämpfen nur 22 Spieler aufgeteilt in nur zwei Teams über einen Zeitraum von 2x45 Minuten darum, den Ball einmal oder mehrmals, auf jeden Fall aber öfter als der Gegner, in das gegnerische Tor zu befördern. Ohne dies weiter begründen zu müssen, ist einleuchtend, dass eine genaue Vorhersage eines Sieges über die pure Angabe von Wahrscheinlichkeit hinaus nicht möglich ist. Beim Businessplan ist der Bezugsrahmen die Welt, die Zeit fünf Jahre und mehr, die Gegner oftmals zahlreicher, mit Sicherheit aber stärker als elf Personen, und die Regeln werden täglich neu erfunden. Die Herausforderung diese Zusammenhänge vorherzusagen scheint ungleich schwerer zu sein. Der Businessplan ist aber das Instrument, das die Vorhersage bewältigen soll. Sofort stellt sich die Frage, ob etwa 30 Seiten dieser Anforderung gerecht werden, noch dazu wenn die Inhalte dogmatisch mit Prüffragen und Bewertungsrastern vorgegeben sind. Dabei lassen sich einige bereits angedeutete Vermutungen wieder aufgreifen: Reicht der Detaillierungsgrad aus oder muss mit der Berücksichtigung der zukünftigen Herausforderung viel mehr gründlicher analysiert werden? Sind die betrachteten Inhalte die ‚richtigen’ oder schließen die Kriterien zu betrachtende Felder aus? Damit geht auch die Frage einher, ob der Businessplan in seiner heutigen Form überhaupt die an ihn gestellten Anforderungen erfüllen kann. Dennoch ist sich die Literatur über Idee, Form und Inhalt des Businessplanes weitgehend einig. Dies könnte oberflächlich den Anschein erwecken, dass die beschriebene Form von den Autoren nicht mehr verändert wird, weil das System bereits ausgefeilt ist. Dennoch fällt bereits im Werk von Kubr et al. ein Kuriosum auf: In diesem weit verbreiteten Businessplanbuch wird ein Beispielplan als Referenzmuster über das Internetunternehmen ‚CityScape’ beschrieben. Das Ziel dieses Unternehmens ist es, mittels Internettechnologie Alltagsinformationen wie Veranstaltungen, lokale Events, Restaurant-Infos, Adressen etc. bereitzustellen. Der dazugehörige Businessplan versprach in der Erfolgsrechnung nach einem Bestehen von fünf Jahren (2002) einen 57 FIFA (2006), S. 6 35 prognostizierten Gewinn von 11 Mio. Euro vor Steuern. Allerdings waren bereits im Jahr 2002 sämtliche Informationen durch Foren, Communities und kostenlose private, aber auch kommunale Seiten abgedeckt. Heute ist klar, dass die zugrunde gelegten Annahmen unhaltbar waren und bei tatsächlicher Umsetzung des Unternehmens zum Scheitern dieses Planes geführt hätten. Dieser Irrtum scheint kein Einzelfall zu sein, wie folgende Zitate prominenter Persönlichkeiten beweisen:58 „Das Radio hat absolut keine Zukunft.“ (Lord Kelvin, Mathematiker und Erfinder 1879) „Die weltweite Nachfrage nach PKW wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren“ (Gottlieb Daimler, 1901) „Es gibt nicht das geringste Anzeichen, dass wir jemals Atomenergie entwickeln können.“ (Albert Einstein, 1932) Prof. Scheer, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrats der IDS Scheer AG macht zur Problematik von Zukunftsaussagen bei Unternehmensgründungen folgende Aussage: „Wenn ich mich mit Unternehmensgründern über ihre Pläne unterhalte, so liefert der Business-Plan zwar eine gute Diskussionsgrundlage, ist für mich aber für die Erfolgsbeurteilung des Unternehmens nicht von größerer Bedeutung. Im High-TechUmfeld verlaufen die Marktentwicklungen so schnell, dass ein auf Jahre ausgelegter Business-Plan in der Regel keine Chancen hat, in der veranschlagten Form realisiert zu werden. Die für mich wesentlichen Kriterien sind deshalb die Wachstumsaussichten des Marktsegments […], der Innovationsgrad der Anfangsidee, weil er etwas über die generellen Ideenfähigkeiten der Gründer aussagt, und die Managementqualifikation der Gründer.“59 Auch wenn der Plan in der Aussage von Scheer als Diskussionsgrundlage hilfreich zu sein scheint, sieht er den Schlüssel des Erfolges nicht im Konglomerat von Ideen sondern in den Ideenentwicklern, also dem funktionierenden Unternehmerteam. Dieser Blickwinkel wirft die Frage auf, ob im Businessplan Felder anders gewichtet werden sollten. Unabhängig von den in der Problemstellung erwähnten Fragen zu blinden Flecken in den Kriterien, falschen Gewichtungen, dogmatischen Vorgehensweisen oder Subjektivität in der Bewertung, scheint die schwerwiegende Problemgrundlage eine unsichere Zukunft zu sein. Nachfolgende Abschnitte werden sich mit dieser Grundproblematik und ihren Ausprägungen genauer beschäftigen. 58 59 Holler (2000), S. 49 f Scheer (2000), S. 49 36 3 Einführung in die Zukunftsforschung In den vorangegangenen Abschnitten wurden der Businessplanbegriff, seine unterschiedlichen Interpretationen und Anwendungsbereiche eingehend untersucht. Nach einer Darstellung der einzelnen Elemente wurde am Praxisbeispiel MBPW gezeigt, wie der Prozess der Plausibilisierung von Geschäftsmodellen exemplarisch abläuft. Dabei musste sich eine neue Geschäftsidee bzw. ein Geschäftsmodell stellvertretend und sukzessive einem Bewertungsprozess unterziehen. Der Anspruch, der an diesen Prozess der ex ante Plausibilisierung einer Geschäftsidee oder eines Geschäftsmodells gestellt wird, ist der einer möglichst genauen Treffsicherheit der Vorhersage. Wie in Kapitel zwei dargestellt, erfüllt dazu jedes der einzelnen Elemente des BP seine Aufgabe für das Gesamtziel einer möglichst genauen Antizipation der Zukunft. Der BP ist also an dieser Stelle „[…] die Dokumentation des Planungsergebnisses […]“60 und seine einzelnen Bestandteile mit ihren methodischen Vorgehensweisen die Werkzeuge für die Antizipation der Zukunft. Trivial mag an dieser Stelle erscheinen, wenn behauptet wird, dass der Planungsprozess als solcher immer mit einem bestimmten Grad von Unsicherheit verknüpft ist. Dem entgegenstehend existiert das permanente Bestreben der Menschheit, in die Zukunft zu blicken und damit Unsicherheit im besten Fall zu eliminieren, um gleichzeitig Gewissheit über zukünftiges Geschehen zu erlangen. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb der Nationalökonom Friedrich List, dass eine ganz neue Wissenschaft zu gründen sei, „[…] nämlich die Wissenschaft der Zukunft, die zum mindestens so großen Nutzen leisten dürfte als die Wissenschaft der Vergangenheit.“61 Im Feld der Businessplanthematik gilt es weiterführend zu untersuchen, wie genau und mit welcher Erfolgswahrscheinlichkeit der BP es zu leisten vermag, zukünftige Entwicklungen zu ermitteln. Dazu wird zuerst ein Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft im Bereich der Möglichkeiten von Voraussagen gegeben. Unzweifelhaft existieren in diesem Untersuchungsumfeld Unmengen von Bedürfnissen nach Weltinterpretationen auf metaphysischen Fundamenten und dementsprechend ein Markt für Schamanentum. Diese Arbeit ist sich an dieser Stelle ihrer Aufgabe bewusst, diese undurchsichtigen Praktiken von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu trennen und 60 61 Teich (1976); S. 1 Flechtheim (1971), S. 46 37 darzustellen. Nichtsdestotrotz nehmen sie eine wichtige Rolle im Bereich der Historie der Zukunftsforschung ein. Im folgenden Abschnitt wird neben einem historischen Exkurs und der Klärung der relevanten Begrifflichkeiten auf die gängige Segmentierung der Zukunftsforschung eingegangen. Abschließend für dieses Kapitel werden die damit verbundenen Potentiale, aber auch Schwächen und Implikationen für die Praxis betrachtet und erneut mit der Businessplanthematik verknüpft. 3.1 Einordnung der Zukunftsforschung als Wissenschaft Die Zukunftsforschung62 beschäftigt sich im weitesten Sinne: „[…] mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart.“63 International wird die wissenschaftliche Disziplin der Zukunftsforschung in erster Linie mit den Begriffen Future Research oder auch Future Studies bezeichnet. Der synonym verwendete Begriff Futurologie tritt aktuell als Bezeichnung in den Hintergrund. Historischer Exkurs Obwohl es schon seit Jahrtausenden im Interesse des Menschen lag, zukünftige Entwicklungen zu erkennen – man denke an dieser Stelle nur an das Orakel von Delphi oder die Prophezeiungen des Nostradamus64 – hat sich die erfahrungswissenschaftliche Zukunftsforschung erst in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts herausgebildet. Bis dahin dominierten in der Theologie, der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften zweifelhafte Gesellschaftsmodelle, spekulative Zukunftsentwürfe, ja Utopien, die für sich einen omnikompetenten Erkenntnis- und Entwicklungsanspruch beanspruchten. Beispielhaft sei hier die vielfach als klassische 62 Der synonym verwendete Begriff der Futurologie wurde erstmals 1943 von dem Juristen und Politikwissenschaftler Ossip K. Flechtheim benutzt. Vgl. Flechtheim (1971), S. 13 63 Kreibich (2006), S. 3 64 Eigentlich Michael de Nostredame der im 16. Jahrhundert in Frankreich für seine jährlich veröffentlichten Almanache, in Form von Prophezeiungen, berühmt wurde und noch heute seine Anhänger findet. Vgl. Brockhaus (1999a), S. 33 38 Ur-Utopie bezeichnete Politeia Platons genannt, die den Staatstheorien zuzuordnen ist. In ihr wünscht sich Platon den von ihm entworfenen Drei-Stände-Staat mit besitzlosen Kriegern und Philosophen sowie den Erwerbstätigen mit Privateigentum. Gleichzeitig bezeichnet er diese Staatsform als Utopie, indem er abschließend ihre Umsetzbarkeit auf die Örtlichkeit des Himmels reduziert. Der englische Humanist Thomas Morus schreibt im 15. Jahrhundert mit seinem Werk Utopia diesen Trend der utopischen Staatsformen fort und verweist dabei auch immer wieder auf Platons Politeia zurück. Die Liste der exemplarischen Ideen utopischer Zukunftsformen und Zukunftsgestaltungen ließe sich an dieser Stelle weiter fortsetzen. Abschließend seien nur noch die Werke von Campanella (Der Sonnenstaat), Wells (The Time Machine) aber auch die der Frühsozialisten Marx und Engels (Das Kommunistische Manifest) erwähnt. Die Beschäftigung mit solchen wünschenswerten Zukunftsbildern, seien sie auch utopisch oder vielleicht visionär, finden heute noch in der Zukunftsphilosophie, einem Teilgebiet der Zukunftsforschung, Beachtung. Ausgehend von der Herausbildung der Zukunftsforschung in den 30er und 40er Jahren wurden in den 60er Jahren Studien zur „[…] wissenschaftstheoretischen und methodologischen Absicherung der Zukunftsforschung […]“65 in den USA durchgeführt. Hierbei sollten die damals neuen Methoden wie verschiedene „[…] Optimierungs- und Entscheidungsverfahren, verschiedene Systemtechniken, Brainstorming und andere Kreativmethoden […]“66 ihre wissenschaftliche Legitimation erhalten. Man orientierte sich interdisziplinär an der Spieltheorie, der Kybernetik und der allgemeinen Systemtheorie. Mit der Etablierung der oben aufgezählten Methoden fanden innerhalb der Zukunftsforschung immer mehr erkenntnistheoretische, psychologische und forschungspraktische Fragen Interesse. Ursache hierfür war unter anderem die Öffnung hin zu einem Diskurs mit unterschiedlichen sozialen Bewegungen wie Abrüstungsinitiativen oder der Friedensbewegung, aber auch die Etablierung der Delphi-Methode. Letztere dient im weitesten Sinne der Konsensfindung innerhalb einer Expertengruppe. 65 66 Steinmüller (1997), S. 6 Ebenda 39 Bis in die 80er Jahre hatten sich innerhalb der Zukunftsforschung und bzgl. ihren Grundfragen verschiedene wissenschaftstheoretische Zugänge entwickelt. Für die hier vorliegende Arbeit ist insbesondere der wirtschaftswissenschaftliche und unternehmensbezogene Zugang von Bedeutung. Dieser lässt sich wiederum in eine Makro- und Mikroebene unterteilen. Auf der ersten Ebene geht es um die Krisenüberwindung und die Sicherung der langfristigen Handlungsfähigkeit, auf der Zweiten, der Mikroebene, um ein unternehmerisches Handeln in einer von Unsicherheiten geprägten, hochkomplexen und dynamischen Umwelt. Hier lässt sich wieder die Verbindung zu der Ausgangssituation des BP und sein Verständnis als Katalog von Zukunftsantizipationsinstrumenten für die zukünftige Unternehmung finden. Heute sieht die Zukunftsforschung ihre größte Herausforderung in der Aufgabe, „[…] neue Erkenntnisse über das Verhalten komplexer dynamischer Systeme zu adaptieren und fruchtbar zu machen.“67 Durch das Zurücktreten kausal-linearer und älterer Zukunftsanalysen und -prognosen gilt es, sich verstärkt mit Ereignissen und Entwicklungen zu beschäftigen, die durch Unordnung, Unsicherheit, Vielfalt, Interdependenz und Instabilität geprägt sind. Selbstorganisationskonzepte subsumieren diese Charakteristiken, und in Zukunft muss sich die Zukunftsforschung noch verstärkt der Herausforderung stellen, in einer „[…] prinzipiell nicht vollständig bestimmbaren Welt […]“68 Erfahrungen mit komplexen Systemen und deren evolutionären Verhaltensweisen zu machen und zu reflektieren. Nachfolgend sind beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit aktuelle Themenfelder aufgelistet, in denen die internationale Zukunftsforschung tätig ist und sich soeben beschriebener Herausforderung annimmt. Sie finden ihren Ursprung unter anderem in globalen ökologischen, ökonomischen und sozialen Disparitäten, Machtungleichgewichten, religiösen und ethnischen Spannungen und der damit verbundenen Herausforderung, globale Risikopotentiale und zukünftige Entwicklungen abzuschätzen. 67 - Zukunft der Arbeit und der Arbeitsorganisation69 - Wirtschaftswachstum und ökologische Folgen70 Kreibich (2006), S. 18 Ebenda 69 Weiterführende Literatur zu diesem vielschichtigen Themenkomplex liefert u.a. Osmetz/Wüthrich (2003) 68 40 - Bevölkerungsentwicklung71 - Technikfolgenabschätzung72 Diese unterschiedlichen Themenfelder verdeutlichen die hier bereits erwähnte interdisziplinäre Tätigkeit der Zukunftsforschung auf. Eine Dreiteilung der Futurologie in drei Teilgebiete, angelehnt an Gausemeier, Fink und Schlake (1995), soll den Überblick über diese facettenreiche Wissenschaft erleichtern. Die Autoren unterscheiden zwischen den Teilbereichen der Zukunftsforschung im eigentlichen Sinne, der Zukunftsphilosophie und der Zukunftsgestaltung. Dabei hat diese Unterteilung in allen interdisziplinären Untersuchungsgebieten der Futurologie ihre Gültigkeit. Zukunftsforschung im eigentlichen Sinne In diesem ersten Teilbereich der Zukunftsforschung beschäftigt man sich mit den Entwicklungsmöglichkeiten der Zukunft. Dies geschieht in Form von Prognosen, Vorhersagen oder Projektionen. Der Schwerpunkt der Zukunftsforschung im eigentlichen Sinne liegt also auf der Untersuchung möglicher und wahrscheinlicher Zukunftsbilder. Man stellt sich die Frage: „Wie wird die Zukunft aussehen?“73 Unter diesem Abschnitt lassen sich auch die eingangs erwähnten Prognoseversuche in der Antike subsumieren. Viel später und erst mit einer durch das Gedankengut der Aufklärung gestützten neuzeitlichen Sicht, kam es zu der Auflösung der alleinigen Zukunftsprognostik durch den Klerus, dessen Prognosen durch christliche Dogmen geprägt waren. Erfolge der empirischen Naturwissenschaften förderten diese Entwicklung, und die Vorstellung, „[…] mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden Prognosen über gesellschaftliche, technische und auch kulturelle Entwicklungen 70 Eine bekannte Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft und Lage der Menschheit lieferte 1972 der Club of Rome. Vgl. Meadows et al. (1972) 71 Ein Beispiel liefert das statistische Bundesamt Wiesbaden, u.a. mit seiner Studie über die deutsche Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2050. Vgl. Statistisches Bundesamt (2003) 72 Dabei handelt es sich ursprünglich um ein parlamentarisches Instrument zur Beratung von Politikern. Sie hat sich jedoch weit über ihr ursprüngliches Tätigkeitsfeld hinaus entwickelt und beschäftigt sich heute unter anderem mit Einsatzbedingungen und Auswirkungen von Techniken in den unterschiedlichsten Feldern und versucht diese systematisch abzuschätzen und zu bewerten. Vgl. Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag unter http://www.tab.fzk.de/ 73 Gausemeier/Fink/Schlake (1995), S. 29 41 machen zu können […]“74, verbreitete sich. Als Beispiel sei an dieser Stelle der englische Physiker, Mathematiker und Astronom Isaac Newton (1643 – 1727) erwähnt. Mit seinen Theorien der Mechanik und der Gravitationslehre verhalf er den exakten Naturwissenschaften zum Durchbruch und gleichzeitig zu einer gesellschaftlich prägenden Kausalität und Immanenz. Wenn Newton nachweislich noch alles, was nicht exakt gemessen werden konnte bzw. sich nicht in Experimenten wiederholen ließ, aus den Naturwissenschaften zu Gunsten einer kausal-linearen Logik verbannte, ist spätestens seit dem deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) laut über die grundsätzlichen Schranken der linearen Steuerbarkeit und Vorhersage von Systemen nachgedacht worden. Im Jahr 1755 formulierte Kant die Frage, „[…] unter welchen Bedingungen man die Entstehung der Ordnung des Planetensystems auf dieselben Prinzipien zurückführen kann, die für ihre Existenz verantwortlich sind.“75 Antworten darauf lieferten Erkenntnisse über sich selbstorganisierende Systeme, in denen ablaufende Prozesse sich selbst Ursache und Wirkung sein können. Diese Selbstorganisation ersetzt den Anspruch einer linearen Kausalität, die im Gegensatz zur Selbstorganisation eine Wirkung immer als zeitlich folgend auf eine Ursache definiert hatte. Beispielhaft für diese lineare Kausalität sind die Newtonschen Mechanikgesetze, welche besagen, dass sich ein in der Ruhe befindender Körper abhängig von seiner Masse genau in die Richtung bewegt, in die die auf ihn einwirkende Kraft zielt. Die Wirkung kann also nie Ursache ihrer selbst sein. Die damit verbundenen Implikationen für eine verlässliche Prognose von zukünftigen Zuständen, und für die Businessplanthematik im Speziellen, werden in dieser Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen. Zukunftsphilosophie Der zweite Bereich der Zukunftsforschung, die Zukunftsphilosophie, beschäftigt sich mit wünschenswerten Zukunftsbildern. Sie untersucht in diesem Zusammenhang Visionen, Utopien oder auch Ideologien, wobei sie sich permanent die Frage stellt: „Wie sollte die Zukunft aussehen?“76 Hierunter lassen sich auch die eingangs erwähnten Staatsmodelle von Platon, Morus, Wells etc. subsumieren, die alle ein aus ihrer Sicht 74 Gausemeier/Fink/Schlake (1995), S. 31 Küppers, G. (1993), S. 14 76 Küppers, G. (1993), S. 14 75 42 wünschenswertes Zukunftsbild zeichnen. Betrachtet man das Werk ‚1984’ von George Orwell, so stellt man fest, dass Orwell in seinem Werk ein Zukunftsbild des totalitären Staates zeichnet, also ein nicht wünschenswertes Zukunftsbild. Dies bedeutet nicht, dass sein Werk nicht utopisch wäre, es ist vielmehr den Anti-Utopien zuzuordnen, die ein Bild der Zukunft zeichnen, das nicht erstrebenswert ist. Gemeinsam mit den Autoren der klassischen Utopien wurde mit diesen Veröffentlichungen das Ziel verfolgt, Menschen im Hier und Jetzt zum Nachdenken und letztlich zum „[…] Gestalten der Zukunft in der Gegenwart anzuregen.“77 Damit zählt laut gewählter Definition die Auseinandersetzung mit Utopien zur Disziplin der Zukunftsforschung, auch wenn man sich bewusst ist, dass es sich bei ihnen um einen als unausführbar geltenden Plan ohne reale Grundlage handelt. Damit lässt sich die Utopie in die Form der Zukunftsbilder einordnen, die als nicht erreichbar gelten. In Anlehnung an Kirsch können zur Vereinfachung noch drei weitere Ausprägungen von wünschenswerten Zukunftsbildern anhand ihrer Erreichbarkeit klassifiziert werden. Im Folgenden handelt es sich dabei um technologisch erreichbare Zukünfte, argumentativ erreichbare Zukünfte und Visionen. Bei den technologisch erreichbaren Zukunftsbildern handelt es sich um solche, die auch in der Praxis realisierbar sind. Diese sind in der Regel am schärfsten gezeichnet, d.h. ihre Ausgestaltung ist am stärksten detailliert. Als Beispiel kann hier die Pauschalreise zum Mond angeführt werden. Seit der ersten Landung des Menschen auf dem Mond am 20. Juli 1969 ist zwar die technologische Machbarkeit einer Mondlandung bewiesen, das Angebot einer Pauschalreise ist aber aufgrund der viel zu teuren und notwendigen Ressourcen noch nicht realisierbar. Die nächste Ausprägung von Zukunftsbildern ist nach Kirsch das Zukunftsbild, das argumentativ erreichbar ist. Diese können über ‚Wenn-Dann-Beziehungen’ entwickelt werden, eine Umsetzung in der Praxis ist aber zu einem geringeren Grad möglich als bei technologisch realisierbaren Zukunftsvorstellungen. Um bei dem Beispiel der Mondreise zu bleiben, sei als Beispiel der Roman ‚Von der Erde zum Mond’ von Jules Verne erwähnt. In seinem Werk beschreibt er schrittweise Abfolgen, wie der Mensch zum Mond gelangen könnte. Dabei geht er immer von der gegenwärtig beobachteten Welt aus, in seinem Fall von einer Welt um das Jahr 1865. Heute, zu Beginn des 21. 77 Gausemeier/Fink/Schlake (1995), S. 35 43 Jahrhunderts, würde man argumentativ ‚Wenn-dann-Beziehungen’ entwickeln, die eine Reise des Menschen zum Mars erreichbar erscheinen ließen. Die dritte und vorletzte Klassifizierung von Zukunftsbildern ist die Vision. Der Visionär geht davon aus, dass seine Vorstellung irgendwann verwirklicht werden kann und versteht unter ihr ein konkretes Zukunftsbild, das zeitlich nahe genug liegt, um sich die Realisierung noch vorstellen zu können, aber gleichzeitig noch fern genug ist, um Begeisterung für eine neue Wirklichkeit wecken zu können. Besonders in der Organisationspsychologie ist das Führen mit Visionen zu einem wichtigen Gegenstand der Forschung und Praxis geworden. Ausschlaggebend hierfür ist das Potential einer Vision, welches es ermöglicht, alle vorhandenen Ressourcen, Talente und Fähigkeiten innerhalb einer Organisation für das Erreichen des formulierten Zukunftsbildes zu mobilisieren. So war es lange Zeit die Vision der NASA, als erste einen Mann auf den Mond zu bringen. Beim vierten und letzten Typ handelt es sich um die bereits zu Beginn beschriebene Utopie, dem unschärfsten und nicht zu realisierenden Zukunftsbild. Folgende Grafik gibt über die Klassifizierungen der Zukunftsphilosophie einen zusammenfassenden Überblick: Argumentativ Visionen erreichbare Technologisch Zukünfte erreichbare Zukünfte Ja! Nein! Ja! Nein! Sind die Zukunftsbilder technologisch erreichbar? Wird die Realisierung der Zukunftsbilder über ‚Wenn-dannBeziehungen’ beschrieben? Utopien Ja! Nein! Sind die Zukunftsbilder realisierbar? Abbildung 19: Klassifizierung der Zukunftsphilosophie78 78 Vgl. Gausemeier/Fink/Schlake (1995), S. 36 44 Zukunftsgestaltung Unter dem dritten Teilbereich der Zukunftsforschung, der Zukunftsgestaltung, versteht man in erster Linie den Prozess der Planung. Dies bedeutet, dass man sich mit den möglichen Konsequenzen Zukunftsforschung im beschäftigt, eigentlichen die Sinne, aus also den der Zukunftsbildern Prognostik, und der der Zukunftsphilosophie gezogen werden. Man stellt sich die Frage: „Wie können wir die wünschenswerte Zukunft erreichen?“79 Der hier zentrale Begriff der Planung wird in der Literatur zumeist als Folgeschritt der Prognostik definiert und steht so in unmittelbarer Abhängigkeit zu den Prognoseergebnissen, bzw. baut er auf diesen auf. Um den genauen Zusammenhang und die damit verbundenen Implikationen für die Planung in der Praxis differenziert zu beleuchten, wird dem Zusammenhang von Prognose und Planung im weiteren Verlauf ein eigenes Kapitel gewidmet. Zuvor gibt folgende Grafik einen zusammenfassenden Überblick über die dargestellte und zugrunde gelegte Dreiteilung der Zukunftsforschung in ihre Bestandteile Zukunftsforschung im eigentlichen Sinne, Zukunftsphilosophie und Zukunftsgestaltung: Zukunftsgestaltung (Planung) Die Planung beschäftigt sich mit den Konsequenzen, die aus den Zukunftsbildern der Prognostik und Futuristik gezogen werden sollen: Zukunftsforschung (Prognostik) „ Wie können wir die wünschenswerte Zukunft erreichen?“ Zukunftsphilosophie (Futuristik) Im Rahmen der Prognostik werden Prognosen, Vorhersagen und Projektionen über Entwicklungsmöglichkeiten erarbeitet: Die Futuristik beschäftigt sich mit den wünschenswerten Zukunftsbildern. Ihre Grundbegriffe sind Visionen, Utopien und Ideologien: „ Wie wird die Zukunft aussehen?“ „ Wie soll die Zukunft aussehen?“ Futorologie - Wissenschaft von der Zukunft Abbildung 20: Dreiteilung der Zukunftsforschung80 3.2 Planung und Prognose Im vorangegangenen Kapitel wurde eine kurze Einführung in die Zukunftsforschung als interdisziplinäre Wissenschaft gegeben und die zugrunde liegende Dreiteilung in die 79 Gausemeier/Fink/Schlake (1995), S. 35 45 Elemente Zukunftsforschung im eigentlichen Sinne, Zukunftsphilosophie und Zukunftsgestaltung dargestellt. Damit ist ein wichtiges Fundament für die weitere Vorgehensweise dieser Arbeit gelegt. Wie bereits angekündigt, steht im Folgenden die Verknüpfung und Wechselwirkung zwischen den Elementen der Zukunftsforschung im eigentlichen Sinne (Prognose) und der Zukunftsgestaltung (Planung) im Fokus. Hierzu werden die verschiedenen Begrifflichkeiten der Planung und Prognose untersucht. Weiterführend wird untersucht, welche Implikationen die Besonderheiten der Prognose auf die darauf folgende Planung haben. Abschließend und wie bereits in der Einführung dieses Kapitels angekündigt, erfolgt dann die Rückkopplung zur eingangs gewählten Businessplanthematik. 3.2.1 Der Prognosebegriff In der Literatur wird die ‚Prognose’ als solche als die Grundlage der Planung und in der Form von vielfältigen Annahmen über die Zukunft beschrieben. Teich beschreibt sie allgemein als „[…] die mit Wahrscheinlichkeitscharakter behaftete Aussage / Annahme über den Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse.“81 Hansmann definiert die Prognose weiterführend als das Bemühen aus verschiedenen „[…] Analysen vergangener Ereignisse Gesetzmäßigkeiten zu gewinnen, die einen Schluss auf zukünftige Ereignisse ermöglichen.“82 Für diese Arbeit und dessen weiteren Verlauf wird letztere Definition als Prognoseverständnis zugrunde gelegt. Von diesem Verständnis ausgehend wird deutlich, dass die Prognose einen erheblichen Teil der Informationsbasis der Planung stellt und somit Bestandteil der Planungsgrundlage ist. Dieser Sachverhalt wird im Zusammenhang mit der Darstellung von Interdependenzen zwischen Prognose und Planung wieder aufgegriffen. 3.2.2 Praktische Relevanz der Prognose „[...] die einen Schluss auf zukünftige Ereignisse ermöglichen.“83 Die im vorherigen Abschnitt zugrunde gelegte Definition wird an dieser Stelle ausschnittsweise 80 Vgl. Gausemeier/Fink/Schlake (1995), S. 30 Teich (1976), S. 13 82 Hansmann (1983), S. 11 83 Ebenda 81 46 wiederholt, da sie im Kern die Fragestellung beinhaltet, die seit Jahrtausenden die Menschheit bewegt. Die Frage nach zukünftigen Ereignissen. Bereits im Jahre 2770 v. Chr. wurde in Ägypten versucht, das jährlich auftretende Nilhochwasser vorherzusagen bzw. die Periodizität dieses Naturereignisses zu ermitteln. Ergebnis war unter anderem die Einteilung des Kalenderjahres in 365 Tage, um das Auftreten des Hochwassers zeitlich zu bestimmen. Ein Prognosebeispiel, das die heutige Wissenschaft beschäftigt, sind die Kondratieff-Zyklen. Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew (1892-1938) veröffentlichte im Jahr 1926 seine Erklärungsansätze der wirtschaftlichen Wachstumstheorie und baute damit auf den Theorien von Josef Schumpeter (1883-1950) auf. Dabei stellte er auf der Basis historischer Untersuchungen fest, „[…] dass etwa alle 40-60 Jahre ein Technologieschub festzustellen ist.“84 Die Technologieschübe haben Auswirkungen auf die Produktionsstruktur und sind mit ihren Wachstumsimpulsen ein Erklärungsansatz für die periodischen Konjunkturzyklen. Viel diskutiert wird, auf welcher Innovation der nächste, und damit seit der Industrialisierung sechste, Kondratieff-Zyklus aufbaut. In der Diskussion sind Technologie- und Innovationsschübe durch die Laser- oder Gentechnik, aber auch die ‚Gesundheitswelle’. Ist das Modell der Kondratieff-Zyklen auf der einen Seite ein Versuch, Konjunkturschwankungen und Wachstum ex post zu erklären, ist es doch auch der Versuch, zukünftige Ereignisse, in diesem Fall die Konjunkturentwicklung, vorherzubestimmen. Gemäß der gewählten Definition also ein typisches Beispiel für eine Prognose. Folgende Grafik stellt die Kondratieff-Zyklen schematisch dar: 84 Neubauer (2001), S. 119 47 Dampfmaschine Textilindustrie Eisenbahn Stahl Elektrotechnik Chemie Automobil Informationstechnik Lasertechnik Petrochemie Gentechnik Gesundheit Prognose 1. Kontratieff 1800 2. Kontratieff 1850 3. Kontratieff 1900 4. Kontratieff 5. Kontratieff 1950 1990 6. Kontratieff 20xx Abbildung 21: Kondratieff-Zyklen85 Weitere Beispiele, die die Relevanz von Prognosen verdeutlichen, lassen sich mit einem geringen Aufwand identifizieren. Man denke an die nationalen und internationalen Aktien- und Wertpapiermärkte mit ihren vielen Akteuren, die auf dem Fundament verschiedenster Prognoseverfahren versuchen, die zukünftige Entwicklung von Wertpapieren jeder Art zu antizipieren. Häufig beobachtet wird in diesem Fall die Anwendung von statistischen Prognosetechniken, wie das der gleitenden Durchschnitte86 oder der exponentiellen Glättung87. Als letztes Beispiel seien der allgegenwärtige Wetterbericht und seine Wetterprognosen angeführt. Wie bei dem Phänomen der Wertpapierkurse handelt es sich auch bei dem Wetter um komplexe Zusammenhänge, so dass Prognosen immer wieder fehlschlagen. Zusammenfassend für diesen Abschnitt lässt sich festhalten, dass der Mensch für die unterschiedlichsten Themenfelder das Bedürfnis nach zuverlässigen Prognosen hat. Vereinfacht ausgedrückt möchte der Mensch wissen, wie die Welt morgen und übermorgen aussieht. 85 Vgl. Neubauer (2001), S. 119 Das Verfahren des gleitenden Durchschnitts gehört zu den Transformationsverfahren von Zeitreihen. Dabei wird eine Zeitreihe Y in eine Zeitreihe G gemäß einer gewählten Transformationsvorschrift umgewandelt. Als Ergebnis entstehen in diesem Fall Mittelwerte über Trend- und Konjunkturkomponente, auf deren Basis man auf die weitere Entwicklung schließt. Vgl. Schira (2003), S. 142 ff 87 Das Verfahren des exponentiellen Glättens ermittelt die glatte Komponente einer Zeitreihe, d.h. durch die Verrechnung eines Wertes der vorherigen Zeitperiode t mit dem aktuellen Beobachtungswert t0, gemäß einer gewählten Gewichtung, entsteht ein geglätteter Kurvenverlauf. Ein Beispiel wäre das Glätten von Spitzen in Aktienkursverläufen auf dessen Grundlage wiederum auf die weitere Entwicklung geschlossen wird. Vgl. Schira (2003), S. 147 ff 86 48 3.3 Praktische Relevanz und Planungsprozess „Wir leben heute, um mit Tom Peters zu sprechen in ‚an era of unprecedented uncertainty’.“88 Unsere Umwelt wird immer stärker geprägt durch zunehmende Komplexität und Dynamik. Permanente Veränderungen lassen sich dabei nicht nur auf „[…] die zunehmende Internationalisierung der Wettbewerbsverhältnisse […]“89 reduzieren, sondern bestimmen auch soziale, ökologische und technologische Felder. Trotz umfangreicher Daten können Vorhersagen und darauf aufbauende Planungen oft nicht mehr exakt gemacht werden. Ein möglicher Weg wäre, das System so lange zu analysieren, bis bekannt ist, wie es funktioniert. Wenn aber von einem ständigen Wandel des Systems ausgegangen wird und folglich alles in Bewegung ist „[…] können wir nie alles über den jeweiligen Zustand des Systems wissen.“90 Eine verlässliche Planung erscheint unter dieser Prämisse unmöglich. Trotz aller Unsicherheit und der angedeuteten Relativierung der Planung ist die Alternative, jede Planung aufzugeben ebenfalls nicht zielführend. Diese Problematik der Planungsillusion wird nach einer Verknüpfung der Themenkomplexe Prognose und Planung mit der Businessplanthematik wieder aufgegriffen. Zunächst und vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung der Planungsthematik in der wissenschaftlichen Literatur, soll der Planungsprozess exemplarisch dargestellt werden. Dabei dienen die Ausführungen der strategischen Planung von Ulrich und Fluri zur Orientierung. Bei einer Strategie im ursprünglichen Sinne handelt es sich um die „[…] Kunst oder Lehre der Führung von Kriegshandlungen, die entscheidenden Einfluss auf den Ablauf des Krieges haben.“91 Dritte Planungsdimensionen, wie etwa die operative Planung oder Spezialitäten, wie die Finanzplanung, werden an dieser Stelle nicht zusätzlich untersucht, da es sich auch bei dem Businessplan als späteren Verknüpfungsgegenstand in erster Linie um ein Strategiepapier handelt. Heute werden die Handlungen oder Handlungsalternativen selbst als Strategien bezeichnet. Besonders hervorzuheben sind der instrumentale Charakter von Strategien zur Erreichung übergeordneter Ziele und ihr entscheidender Einfluss auf das Ganze. Aufgabe der strategischen Planung ist es also, zukünftige Entwicklungen der Unternehmung konkret festzulegen. Der Prozess der strategischen Planung kann in seiner Logik in die zuvor erwähnten Bereiche weiterer Planungsdimensionen übersetzt werden. Auch wenn beispielsweise in der operativen Planung Entscheidungen in der Regel in einem Subsystem der Unternehmung getroffen werden, und der Planungsspielraum ein anderer ist, so ist doch das Muster des Prozesses ähnlich. Es geht also im weiteren Verlauf mehr um die Logik des Ablaufes als um die 88 Boos (1992), S. 91 Bleicher (1991), S. 12 90 Ulrich/Probst (1988), S. 60 91 Ulrich/Fluri (1995), S. 114 89 49 umfassende Thematik der Strategieentwicklung. Wie im vorherigen Kapitel festgehalten, hat es Planung zum Ziel, das Auswahlproblem von möglichen Alternativen der zukünftigen Unternehmensentwicklung einer Lösung näher zu bringen. Der iterative Planungsprozess ist dabei ein informationsverarbeitendes Ablaufschema, das Zielerreichungsgrößen bestimmt. Unterteilt ist der Planungsprozess in die Abschnitte der Situationsanalyse, der Generierung strategischer Optionen, der Bewertung der Optionen, der Strategieumsetzung und –kontrolle. 3.3.1 Strategische Ausgangslage Die erste Phase des Prozesses ist die Ausgangsanalyse, denn „[…] die Schaffung einer Informationsbasis […] bildet den logischen Ausgangspunkt jedes Planungsprozesses.“92 Elemente der ersten Phase sind die Analyse der Umwelt, die Analyse des eigenen Unternehmens und die Ermittlung der strategischen Schlüsselfaktoren mittels einer Gegenüberstellung der Ergebnisse der vorangegangenen Analysen. Umweltanalyse Im Rahmen der Umweltanalyse sind besonders die Bereiche ökologische Umwelt, Technologieentwicklung, demographische und sozialpsychologische Entwicklungstendenzen sowie politische und rechtliche Rahmenbedingungen von besonderer Bedeutung. Auch die Bereiche Branchenstruktur, Wettbewerbssituation und Marktanalyse erhalten in dieser Phase eine besondere Beachtung. Hier ist die Verbindung zum Themenfeld der Prognostik zu erkennen, die auch im Rahmen der Umweltanalyse versucht, Vorhersagen und Projektionen über Entwicklungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Unternehmensanalyse Mittels der Unternehmensanalyse sollen in erster Linie die Schwächen und Stärken der Unternehmung erkannt werden. Dabei werden nach Möglichkeit alle Ressourcen, Funktionsbereiche und Aspekte des Systems Unternehmung betrachtet. Zweckmäßigerweise empfiehlt sich die Darstellung der Ergebnisse in einem Stärken/Schwächen Profil, das Auskunft über die Potentiale der Organisation gibt. 92 Vgl. Ulrich/Fluri (1995), S. 117 50 Ermittlung strategischer Schlüsselfaktoren Für die Ermittlung der strategischen Schlüsselfaktoren werden Umwelt- und Unternehmensanalyse gegenübergestellt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Identifikation von Zusammenhängen der einzelnen Faktoren, um das System der Wechselwirkungen abschätzen zu können. Angewandte Instrumente in diesem Segment sind unter anderem das Erfahrungskurvenkonzept, die Portfolio-Analyse und die Produkt/Markt-Matrix. 3.3.2 Generierung strategischer Optionen In dieser zweiten Phase steht die Erarbeitung von Handlungsoptionen im Mittelpunkt. Der rahmengebende Faktor wird durch die Prognosen und Ermittlungen der ersten Phase, der Ausgangslage, bestimmt. Auf diesem Datenfundament werden in der Regel zunächst die strategischen Geschäftsfelder (SGF) identifiziert und ebenso unternehmensintern die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten (SGE). Erfolgspotentiale der Unternehmung und somit auch die einzelnen Handlungsmöglichkeiten werden durch eine möglichst hohe Kongruenz der Risiken und Chancen der SGF und der Stärken und Schwächen der SGE erlangt. Weitere Ansätze zur Generierung strategischer Optionen bietet Pümpin mit dem Konzept strategischer Erfolgspositionen oder Krüger/Homp mit dem verwandten Konzept der Orientierung an strategischen Kernkompetenzen. Pümpin zielt auf eine möglichst hohe Deckungsgleichheit zwischen Unternehmensstärken und Marktchancen und Krüger/Homp wählt das zu bearbeitende SGF anhand der vorhandenen strategischen Kernkompetenzen der Unternehmung. Eine weitere Ausführung dieser mannigfaltigen Überlegungen ist an dieser Stelle der Arbeit nicht zielführend und würde den Bearbeitungsrahmen sprengen.93 3.3.3 Bewertung der Optionen Die in den vorangegangenen Phasen ermittelten Handlungsoptionen sind in der dritten Phase zu beurteilen um dann diejenigen auszuwählen, die realisiert werden sollen. Die Beurteilungskriterien richten sich hierbei nach dem übergeordneten Zielsystem. Oft spielen Maßstäbe wie Wirtschaftlichkeit, Risiko, Zeitverhältnisse oder andere subjektive Kriterien eine wichtige Rolle. Besteht die Möglichkeit der Quantifizierung der einzelnen Kriterien, so werden häufig Beurteilungsverfahren aus der Spieltheorie 93 Für eine Vertiefung dieses Themenkomplexes empfehlen sich Pümbin (1982) und Krüger/Homp (1997) 51 oder anderen mathematischen Disziplinen herangezogen. Wie schon im Kapitel 3.4 dieser Arbeit beschrieben, wird bei mangelnden Quantifizierungsmöglichkeiten häufig auf Methoden wie die der Delphi-Methode oder Szenario-Technik ausgewichen. Das Phänomen der individuellen Beurteilung, fußend auf subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen, soll zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden. 3.3.4 Strategieentwicklung und -formulierung Mit der vierten Phase, der Bestimmung der zu realisierenden Strategien, wird die eigentliche strategische Planungsphase abgeschlossen. Hierzu werden aus einer Mehrzahl der beurteilten Optionen diejenigen ausgewählt, die ein hohes Erfolgspotential versprechen. Übergeordnet wird die Grundstrategie oder auch Mission formuliert und darauf folgend Teilstrategien in allen Geschäfts- und Teilbereichen. Erste Maßnahmen und Ressourcenanforderungen können getroffen werden. Bevor jedoch eine erfolgreiche Realisierung gewährleistet werden kann, muss im Idealfall die Phase der Strategieumsetzung und Strategiekontrolle geplant bzw. durchlaufen werden. Letztere zwei Phasen spielen im Kontext dieser Arbeit eine untergeordnete Rolle, da in der Businessplanthematik und insbesondere im Businessplanwettbewerb der Planungsprozess nach der Strategieformulierung für die zukünftige Unternehmung unterbrochen wird. Eine Dritte Partei, in der Regel VC oder im Wettbewerb eine Jury, legt am vorgelegten Plan Maß an und entscheidet über Plausibilität des Konzepts und somit auch über eine Umsetzung der Geschäftsidee. So ist es möglich, dass es gar nicht zu einer Strategieumsetzung und damit auch –kontrolle kommt. Daher werden nachfolgend diese letzten zwei Phasen sehr knapp dargestellt. 3.3.5 Strategieumsetzung Die Phase der Realisierung der gewählten Strategien führt in allen Bereichen der Unternehmung zu bestimmten Teilaufgaben, um eine ganzheitliche Umsetzung gewährleisten zu können. Der Strategie als Primus inter Pares folgen die möglichst simultan zu entwickelnden Felder der Unternehmenskultur und Struktur. Beispielsweise sei an dieser Stelle die Vorbereitung und Einführung einer strategiegerechten Organisation und Führungskonzeption, eine gezielte Ausbildungsstruktur oder die Entwicklung und Förderung einer bestimmten Unternehmenskultur genannt. 52 3.3.6 Strategiekontrolle Der vielseitige Themenkomplex der Kontrolle im Management bestimmt die letzte Phase. Ulrich und Fluri sprechen sich für eine permanente Kontrolle und Überwachung des Zielerreichungsgrades aus und empfehlen die Installation eines Frühwarnsystems. Die Möglichkeiten und Vorteile, die durch einen stattdessen vergrößerten Handlungsspielraum der Mitarbeiter entstehen können, wie auch die Opportunitätskosten, die aus dem angestrebten Ziel einer absoluten Unsicherheitsvermeidung resultieren, werden zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert. Mit dieser letzten Phase schließt sich der Planungsprozess. Wie bereits eingangs erwähnt, handelt es sich um einen iterativen Prozess. Nachfolgende Grafik gibt einen schematischen Überblick über den vorgestellten Ablauf: Strategieentwicklung/ formulierung Strategieumsetzung Bewertung der Optionen Strategiekontrolle Strategische Optionen Strategische Ausgangslage Abbildung 22: Der Planungsprozess in Anlehnung an Ulrich/Fluri 94 3.4 Der Planungsprozess im Kontext des Businessplans Wie bereits angedeutet lässt sich der Businessplan als Prozess von der Idee zum Unternehmen auf den vorher beschriebenen Planungsprozess abbilden. Deshalb werden nun die einzelnen Felder des Planungsprozesses mit den zugehörigen zeitlich gestaffelten Feldern des Businessplans abgeglichen. Als gewähltes Referenzbeispiel dient an dieser Stelle der Development-Stage-Businessplan der Geschäftsidee Paraglide24, der im Rahmen der zweiten Phase des MBPW angefertigt wurde. Auch wenn der Businessplan in bereits bestehenden Unternehmen im Rahmen des Strategieaudits erstellt werden kann, wird im Folgenden der Businessplan als Methode 94 Vgl. Ulrich/Fluri (1995), S. 114 ff 53 betrachtet, die in einen Fremdbewertungsprozess eingebettet ist. Diese Verwendungsform findet sich insbesondere in Businessplanwettbewerben und im Allgemeinen in allen Fällen, in denen Startups eine Erweiterung ihrer Kapitalbasis benötigen, und dieses Ziel über die Darstellung der Geschäftsidee gegenüber Investoren erreichen wollen. Strategische Ausgangslage Da der Businessplan eine „[...] Dokumentation aller Annahmen [...]“95, die getroffen wurden, enthält bzw. diese ihm zugrunde liegt, muss im Rahmen der strategischen Ausgangslage sowohl die Idee analysiert und verfeinert, als auch mit eben diesen Annahmen in Einklang gebracht werden.96 Dieses Konglomerat von Zukunftsaussagen bildet die Grundlage für die Erstellung des Plans, wie bereits im vorangestellten Kapitel erläutert. Im Businessplanbeispiel Paraglide24 wurde beispielsweise für die Analyse der strategischen Ausgangslage die Entwicklung des Gleitschirmfliegens in den definierten Schlüsselländern trendextrapoliert und so die künftige Wachstumsrate abgeleitet. Weiterhin lassen sich in diesem Dokument Analyseformen bezüglich des Marktes, Wettbewerbs und der Branche identifizieren. Unter anderem wurde das Modell der Porter`schen ‚Five Forces’ für eine Analyse der Wettbewerbskräfte auf dem Gleitschirmmarkt herangezogen. Zusätzlich wurden anhand von Trends und Werttreibern strategische Schlüsselfaktoren abgeleitet. Damit lässt sich festhalten, dass die Phase der Analysen, Prognosen und Annahmen als erster Bestandteil im Businessplan dem Planungsschritt einer Feststellung der strategischen Ausgangslage entspricht. Strategische Optionen und Bewertung der Optionen Da auf Basis der Annahmen eine Vielzahl von strategischen Optionen denkbar ist, müssen wahrscheinliche Zukunftszustände des Geschäftsmodells beschrieben und bewertet werden. Auch im Businessplan Paraglide24 wurden Chancen und Risiken verschiedenster Geschäftsfelder analysiert und bewertet. Zusätzlich wurden insbesondere Optionen im Marketingbereich generiert und in Bezug auf die besondere Situation von Paraglide24 abgewogen. An dieser Stelle wurde mittels des ‚4P’-Schemas modelliert. In dieser Phase leistet die Szenariotechnik besonders bei einem Vorliegen von stark qualitativen Bewertungsmaßstäben ihren Beitrag. Die Phase der Modellierung 95 96 Dressel (2006), S. 3 Arndt (2006), S. 17 54 der Geschäftsidee sowie möglicher Zustände und Variationen im Businessplan entspricht dem zweiten und dritten Schritt im Planungskreislauf, nämlich denen der Findung und Bewertung strategischer Optionen. Strategieentwicklung/-formulierung und anschließende Fremdbewertung Diese Phase beschreibt die endgültige Fertigstellung des gesamten Businessplans in der in Kapitel 2.4 vorgestellten Struktur. Im Beispielbusinessplan Paraglide24 wurden auf der Grundlage der vorherigen Phasen erste Strategieableitungen im Modell des ‚VierAktionen-Formats’97 entwickelt und abschließend in den einzelnen Geschäftsbereichen ausformuliert. Das Geschäftskonzept wird nun den potentiellen Investoren übermittelt und zur Bewertung überlassen. Der Zeitrahmen, der sich für die bis zu diesem Punkt abgelaufenen Prozessstufen veranschlagen lässt, liegt im Bereich von einem Jahr. Die Formulierung der grundsätzlichen Strategien und ihrer implizierten Teilstrategien im Businessplan entspricht damit der Phase Strategieentwicklung und –formulierung des vorgestellten Planungsprozesses. Ab diesem Zeitpunkt ist der Businessplan aus Sicht der Gründer ein Verkaufsinstrument, denn ergänzend zu dem im vorherigen Kapitel beschriebenen Planungsprozess wird nun die gewählte Strategie zusätzlich einer Fremdbewertung unterzogen. Je nach Bewertungssituation - Wettbewerb oder Beurteilung durch Kapitalgeber - wird der Plan von einer Jury oder unmittelbar von Investoren überprüft. Diese entscheiden nach Bewertungsmustern über die Plausibilität des Geschäftsmodells. Strategieumsetzung/Strategiekontrolle Nur wenn durch die Investoren eine erweiterte Kapitalbasis zugesagt wird, befinden sich die Unternehmer in der Gründungsphase und bauen ihr Unternehmen entsprechend dem vereinbarten Fahrplan auf. Die gängige Logik verlangt, dass dann auch der Businessplan als plausibel gewertet wurde. Erst nach einem Zeitraum von mehreren Jahren kann festgestellt werden, ob die Aussagen im Businessplan zu einer rentablen Umsetzung geführt haben. Diese wird durch die Kontrollphase beschrieben, in der überprüft wird, ob das Vorhaben den vorhergesagten Unternehmenswert tatsächlich generiert. Im Erfolgsfall dreht sich der strategische Planungskreislauf im nun konsolidierten Unternehmen weiter. Diese beiden Phasen lassen sich den gleichnamigen Elementen des Planungsprozesses zuordnen. 97 Vgl. Kim/Mauborgne (2005), S. 26 55 Die Phasen mit ihren Ausprägungen im Kontext des Businessplans sind in folgender Grafik zusammenfassend beschrieben: Fremdbewertung Prüfung der Plausibilität durch Jury oder Investoren Formulierung der grundsätzlichen Strategien und ihrer implizierten Teilstrategien Fertigstellung des Businessplandokuments Übermittlung an Bewerter/Investoren Strategieentwicklung/ formulierung Gründungsund Aufbauphase Bewertung der Optionen Strategieumsetzung Strategiekontrolle Konformitätsprüfung von Businessplan und aktueller Entwicklung Modellierung der Geschäftsidee und möglicher Zustände und Variationen Methoden/Modellverwendung Paraglide24: Chancen/Risiken Szenarien Strategische Optionen 4P-Methode Strategische Ausgangslage Prozess der Businessplanerstellung Methoden/Modellverwendung Paraglide24: Vier-Aktionen-Format Geschäftsfeldstrategien Analyse – Prognose – Annahmen Methoden/Modellverwendung Paraglide24: Five Forces/ Trendextrapolation/ strat. Schlüsselfaktoren Bewertung durch Dritte Ex-Post der Fremdbewertung Abbildung 23: Planungsprozess im Kontext des Businessplans 56 4 Paradoxie im Businessplanprozess Zu Beginn des vierten Kapitels erscheint es sinnvoll, dem Leser bei seiner Standortbestimmung in diesem facettenreichen Themengebiet eine Orientierungshilfe in Form einer Rekapitulation zu geben. Einleitende Überlegungen im Rahmen dieser Arbeit waren Fragen, die im Feld der Businessplanthematik angesiedelt sind. Dabei wurde unter anderem angeregt zu reflektieren, welche Rolle der Businessplan bei der Plausibilisierung von neuen Geschäftsideen und -modellen einnimmt. Im Kern wurde nach der Leistungsfähigkeit von Businessplänen als Methode zur Antizipation der Zukunft in Form von unternehmensrelevanten Tatbeständen gefragt. Weiterhin wurde nach den Implikationen gesucht, die aus einer Planung von Geschäftstätigkeiten auf der Basis dieser Annahmen und Prognosen aufbauen. Zuletzt wurden Fragen zur Leistungsfähigkeit von Businessplänen in Bewertungssituationen gestellt. Um sich diesen Fragen anzunähern, wurde im ersten Teil der Arbeit nach einer Klärung der zugrunde gelegten Begriffe und Zusammenhänge ein allgemeiner Überblick über den Businessplan als solchen und sein Umfeld gegeben. Diese Themenzusammenhänge wurden daraufhin unter den Gesichtspunkten Prognose, Planung und Zukunftsphilosophie in einem weiteren Kontext gestellt. Den Rahmen bildete hierbei ein Exkurs in die Zukunftsforschung. Die Legitimation, den Themenkomplex weiter zu bearbeiten, bietet an dieser Stelle die bereits angesprochene Frage nach dem Leistungspotential von Businessplänen als Methodik zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen. Zum jetzigen Stand wird vom Businessplan verlangt, mit ihm als Werkzeug ex ante eine erfolgreich erscheinende Geschäftsidee zu erkennen und umzusetzen. Erfahrungen aus der Vergangenheit zwingen aber zu einer verbindlichen Reflexion über die Nachhaltigkeit des Instrumentes in Anbetracht der geringen Erfolgsquote plausibilisierter und realisierter Geschäftsideen. „Hypothesen erwerben im Lauf der Zeit eine Art ‚Gewohnheitsrecht’.“98 Da der Businessplan primär durch Hypothesen determiniert ist, stellt sich die Frage, ob er nicht gleichzeitig ein Sammelbecken kollektiver Wahrheiten ist, das uns unseren Weg der Problemlösung im Sinne einer kausal-linearen Logik vorschreibt. Mit dieser Prämisse kann der Verlauf einer angestoßenen Billardkugel und mit erheblichen Mehraufwand die Logik eines Uhrwerkes verstanden werden. Entwicklungen wie die des Wetters oder Verläufe von Aktienkursen können jedoch nur noch mit unkalkulierbaren 98 Wüthrich/Osmetz/Kaduk (2006), S. 186 57 Unsicherheitsfaktoren vorhergesagt werden. Dieser Gedanke weitergedacht lässt vermuten, dass auch das System Businessplan unberechenbaren Einflüssen unterliegt. In den folgenden Abschnitten soll zuerst das hier zugrunde gelegte Verständnis von Systemen und Komplexität dargestellt werden. Weiterführend soll mit dem Wissen um diese Komplexität der systemischen Zusammenhänge untersucht werden, welche Verhaltensweisen die Anwendung der klassischen Businessplanansätze in solch einer Umwelt impliziert und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. 4.1 Systeme und Komplexität „Zunehmende Komplexität zeigt sich in politischen, wirtschaftlichen, technischen, sozialen und ökologischen Systemen [...]“99. Wenn man nur einen kurzen Moment zum ganz naiven Reflektieren der Alltagsumwelt innehält, so ist schnell festzustellen, dass viele Vorgänge, die zunächst isoliert betrachtet wurden, in Zusammenhängen stehen. Sieht man genauer hin, ist außerdem zu erkennen, dass vielfältige Beziehungen und gegenseitige Einflussnahmen existieren. In der Praxis resultiert aus der Komplexität der Systeme und ihren Umwelten die Herausforderung, mit einer gestiegenen Anzahl und Varietät von „[...] politischen, kulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, wachsenden Unternehmensgrößen, zunehmenden Kapitalverflechtungen, Variantenvielfalt, verstärkter Dynamik, kürzeren Innovations- und Produktlebenszyklen […]“100 umzugehen. Im Zusammenhang mit dieser Managementherausforderung sind die damit eng verbundenen Begrifflichkeiten der Komplexität und des Systems zum Schlagwort geworden. Umso mehr ist es von Bedeutung, für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ein einheitliches Begriffsverständnis als Fundament zu legen. Nachfolgend stellt diese Arbeit ein System- und Komplexitätsverständnis vor. 4.1.1 Systeme „System bedeutet Zusammenstand [… und, A.d.V] lässt sich als Synonym für Einheit begreifen.“101 Seine vielfältige Verwendung fußt auf der Tatsache, dass es Systeme in allen Bereichen des Lebens gibt. Jedes System besteht aus einer Vielzahl von einzelnen Bestandteilen und Ereignissen, die als Systemelemente bezeichnet werden. „Im Allgemeinen kann man als Element die kleinste noch auflösbare Einheit eines Systems 99 Kirchhof (2003), S. 1 Ebenda 101 Dieckmann (2005), S. 190 100 58 oder einer Menge in einem bestimmten Betrachtungszusammenhang verstehen.“102 Im weit gefassten Systembeispiel ‚Welt’ können also Atome, Menschen, Tiere, Staaten etc. als Elemente bezeichnet werden. Charakteristisch für Systeme sind bestehende Beziehungen oder Relationen zwischen diesen Elementen. Dabei können die Zusammenhänge verschiedenster Natur, also zum Beispiel „[...] physischer, energetischer, gedanklich-abstrakter, gesellschaftlich-kultureller […]“103 Natur sein, und durch die Gesamtheit der Relationen entsteht eine bestimmte Ordnung bzw. Struktur. Diese entstandene Struktur oder Ordnung führt innerhalb des Systems zu einer Selektion von Relationen oder ganzen Elementen und schränkt das System infolge dessen ein. Diese Limitation geschieht dadurch, dass aufgrund einer bestimmten Struktur oder Ordnung einzelne Ereignisse als Folge von determinierenden Relationen und Elementen wahrscheinlicher werden als andere. Schlussfolgernd bestimmt die Systemstruktur und/oder –ordnung die Abläufe im System. Neben diesen zuvor beschriebenen Systemmustern können Einheiten mittels bestimmter Ausprägungen von Art, Zustand und Verhalten der Elemente und Relationen beschrieben werden. Aus diesen Klassifizierungen entstehen dann Systemzustände und Systemverhalten, wobei ersteres die konkrete Ausgestaltung der Systemeigenschaften hinsichtlich „[…] der Anzahl, Art und Richtung der Elemente und Relationen […]“104 darstellt. Dagegen wird unter dem Systemverhalten die Veränderung der Charakteristika durch bestimmte Ereignisse verstanden. Um ein System letztendlich zu erkennen, ist es immer in Relation zu seiner Umwelt zu sehen. Dabei legt es selbst mittels einer Definition der zum System gehörenden Elemente fest, welche kleinsten Einheiten nicht zu ihm gehören, sondern Bestandteil der Systemumwelt sind. Luhmann spricht im Zusammenhang mit dieser Beziehung auch von „[...] Identitäten [...], die sich in einer komplexen und veränderlichen Umwelt durch Stabilisierung einer Innen/Außen-Differenz erhalten.“105 Denn einerseits entsteht eine Systemumwelt dadurch, dass Elemente von der Zugehörigkeit zu einem System ausgeschlossen werden, die dann gleichzeitig seine Umwelt bilden. Andererseits orientiert sich die Festlegung, ob ein Element Bestandteil eines Systems ist oder nicht, an der Zielsetzung und dem Zweck der Einheit. Diese Orientierungen leiten sich aber wiederum aus dem Bezugsrahmen des Systems ab und entstehen nicht aus diesem heraus. Es ist also wieder die Umwelt des Systems, die über ihren Bezug zum System diesem Ziel und Zweck vorgibt und es so entstehen und bestehen lässt. Zwischen dem 102 Kirchhof (2003), S. 8 Ebenda 104 Kirchhof (2003), S. 9 105 Luhmann (1991), S. 175 103 59 System und seiner Umwelt existiert eine permanente „Input-Output-Beziehung“106, wobei als Input die Wirkung der Umwelt auf das System und als Output die Rückwirkung des Systems auf die Umwelt beschrieben wird. Ausgehend von diesem Beziehungsverständnis wird auch von offenen Systemen gesprochen. 4.1.2 Kategorisierung von Systemen Nach dieser grundlegenden Kennzeichnung von Systemen soll im weiteren Verlauf dieses Abschnitts eine Kategorisierung von Systemen anhand ihrer Struktur und ihres Verhaltens erfolgen. Subsysteme Hinsichtlich der Struktur von Systemen besteht die Möglichkeit, dass innerhalb einer Teilgesamtheit von Systemelementen die Beziehungsintensität wesentlich höher ist als zu den restlichen Elementen oder weiteren Teilgesamtheiten des Systems. Man spricht in diesem Fall von einem Subsystem, welches aber wiederum in einzelne Elemente als dessen Bestandteile zerlegt werden kann. Für einzelne Subsysteme stellt das übergeordnete System die Systemumwelt dar, und folglich existiert auch eine SystemUmwelt-Beziehung zwischen Subsystem und dem Ausgangssystem. Konsequenz dieser Unterteilung ist eine Systemhierarchie, die von einem übergeordneten System, auch Supersystem, über einzelne untergeordnete Systeme und deren Subsysteme bis hin zu den einzelnen Elementen verläuft. Was dabei jeweils als das Supersystem, System oder Subsystem gewertet wird, hängt von der jeweiligen Betrachtungsebene ab. Statische und Dynamische Systeme Hinsichtlich des Verhaltens von Systemen können statische und dynamische Systeme unterschieden werden. Der äußerst seltene Extremfall des statischen Systems impliziert eine Bewegungslosigkeit seiner Elemente im Zeitablauf und beschreibt lediglich die potentiell möglichen Zustände seiner selbst. Auf der Basis des zugrunde gelegten Systemverständnisses ist es fraglich, ob der Zustand des statischen Systems überhaupt jemals anzutreffen ist. Ausgehend von Atomen und Molekülen als kleinste Bestandteile alles Physischem müssten diese auf den absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius oder auch Null Grad Kelvin abgekühlt werden, um zum Stillstand zu kommen. 106 Luhmann (1991), S. 175 60 Nach den Hauptsätzen der Thermodynamik ist dieser Nullpunkt aber nicht zu erreichen.107 Die vielfältigen dynamischen Systeme hingegen verändern ihren Zustand im Zeitablauf genau wie auch deren Umwelt einer Dynamik unterliegt. An dieser Stelle ist es konsequent, festzustellen, dass sowohl die Zugehörigkeit von Elementen zu Systemen als auch ihre Beziehungen und Eigenschaften relativ sind. Eine Input-OutputBeziehung zwischen dynamischen Systemen und dynamischen Umwelten bewirkt systeminterne Reaktionen auf Veränderungen der Umwelt, und über eben diese offene Beziehung rückkoppelnd eine erneute Umgestaltung des Systems. Nach dieser Vorstellung des Systemverständnisses, welches gleichzeitig Fundament für den Aufbau der nächsten Abschnitte ist, wird im nächsten Kapitel der Begriff der Komplexität als wesentliches Resultat von Interaktionen zwischen Elementen dargestellt. 4.1.3 Komplexität Der Komplexitätsbegriff nimmt in den Medien, dem alltäglichen Sprachgebrauch und in der Managementliteratur einen erheblichen Stellenwert ein. Umgangssprachlich wird er dabei oft im Sinne von Kompliziertheit, Undurchschaubarkeit, Unverständlichkeit oder Verwirrung verwendet. Weitestgehend wird damit auch der ursprünglichen Wortbedeutung entsprochen, die mit dem Wort complexus bzw. complectere eine lateinische Quelle hat und übersetzt soviel wie ‚verschlungen’, ‚verflochten’, ‚umfassend’ und ‚zusammengebunden’ bedeutet. Eine Verwendung des Komplexitätsbegriffes unter diesen Gesichtspunkten ist grundsätzlich akzeptabel und bringt in seiner Anwendung meistens eine „[…] gewisse Ohnmacht des Menschen gegenüber den Vorgängen um ihn herum zum Ausdruck […]“108. Darüber hinaus ist es dieser Arbeit ein Anliegen, Komplexität mittels einer differenzierten Herangehensweise zu betrachten. In diesem Zusammenhang steht die Überlegung, ob Komplexität als Problem zu beschreiben ist, „[…] dessen Lösung in bestimmten Formen des Managements zu suchen ist […]“109, oder ob Komplexität gar die Lösung selbst ist, „[…] dessen Problem erst noch zu finden ist.“110 Nach Fredmund Malik liegen Welten zwischen diesen unterschiedlichen Deutungen des Komplexitätsproblems, und als Konsequenz hat sich der Beobachter der Thematik zwischen einem analytischreduktionistischen oder systemisch-interaktionistischen Ansatz der Herangehensweise 107 Vgl. Brockhaus (1999b), S. 22 ff Malik (1984), S. 185 109 Baecker (1998), S. 21 110 Ebenda 108 61 zu entscheiden.111 Diese Entscheidung bringt wiederum differierende Fragestellungen, Vorgehensweisen und Antworten mit sich. Doch noch losgelöst von dieser Grundsatzentscheidung, die im späteren Verlauf dieser Arbeit wieder aufgegriffen wird, resultiert Komplexität aus der Tatsache, dass „[…] reale Systeme ungeheuer viele Zustände aufweisen können.“112 Hinleitend zu diesem Verständnis sind die Messgrößen Varietät (V) und Konnektivität (C) eines Systems. Unter der Varietät wird die Anzahl der unterschiedlichen Elemente bzw. Elementgruppen eines Systems verstanden. Die Konnektivität quantifiziert die Anzahl der tatsächlichen Relationen zwischen den Elementen bzw. Elementgruppen eines Systems. Die Komplexität (K) ergibt sich aus der Anzahl der maximal möglichen Interaktionen von Elementen, die von der Systemvarietät und –konnektivität abhängt. Ein System ist dabei umso komplexer, je größer die Varietät und Konnektivität ist. Folgende Funktion (F) drückt den Sachverhalt aus: K F V , C Anhand dieser Abhängigkeit der Komplexität von Varietät und Konnektivität lässt sich erkennen, dass Komplexität ein systemrelativer Begriff ist, denn letztere Messgrößen sind immer in Bezug auf ein bestimmtes System zu werten. Bei dem Versuch die tatsächliche Komplexität zu messen, stößt man schnell an die Grenzen des Machbaren. Sobald man kleine Systeme mit zwei oder drei Elementen und drei oder vier Beziehungen überschreitet, hat man es mit einer unübersichtlichen Anzahl möglicher Interaktionen zu tun. Folgendes kurzes Beispiel stellt diesen Anstieg der kombinatorischen Möglichkeiten dar: Ausgehend von einem System, das aus fünf Glühbirnen besteht, von denen jede entweder ein oder aus geschaltet werden kann, existieren bereits 25 = 32 mögliche Zustände des Systems. Geht man von einem System aus, das aus 25 statt aus fünf Glühbirnen besteht, von denen jede auch wieder ein oder aus geschaltet werden kann, ergibt sich die Möglichkeit von 225 = 33.554.432 verschiedenen Zuständen. Ausgehend von diesem einfachen kombinatorischen Zahlenbeispiel haben sich also 33.554.432 mögliche Zustände des Systems identifizieren lassen, woraus sich eine relativ hohe Komplexität ableiten lässt. Relativ, weil das menschliche Gehirn dementgegen zehn Milliarden Gehirnzellen besitzt, und jede Zelle nach Erkenntnissen der Neurophysiologie entweder den Zustand der Erregung oder Nicht-Erregung einnehmen kann. Daraus ergibt sich eine Varietät von 21010. Berücksichtigt man jetzt 111 112 Vgl. Malik (1984), S. 185 Malik (1984), S. 186 62 noch die möglichen Interaktionen der einzelnen Zellen, ergibt sich eine nicht mehr fassbare Komplexität des Systems ‚Gehirn’. Der Businessplan weist sämtliche Charakteristika eines Systems auf, und wird im Folgenden als solches betrachtet. Abstrahiert geht es dabei um den Prozess der Plausibilisierung von Geschäftsmodellen, der das System abbildet und wiederum im Businessplan Ausdruck findet. In Anbetracht der unterschiedlichen Subsysteme und Elemente, deren Abhängigkeiten und Interaktionen, erweist sich das System Businessplan nach Einschätzung der Autoren zusätzlich als komplex. Subsysteme werden unter anderem durch Bestandteile wie Unternehmerteam, Produkt oder Marketing/Vertrieb dargestellt. Diese stehen wiederum in einer dynamischen InputOutput-Beziehung zu ihrer definierten Umwelt. Was hier als Supersystem, Subsystem oder Element gewertet wird, hängt wieder von der gewählten Betrachtungsebene ab. Nach dieser Darstellung des zugrunde gelegten Systemverständnisses und dem damit eng verbundenen Phänomen der Komplexität wird im weiteren Verlauf untersucht, welche Schwierigkeiten entstehen können, wenn mit Denkweisen wie ‚viel hilft viel’ oder ‚mehr desselben’ innerhalb des komplexen Systems eine Plausibilisierung von Geschäftsmodellen versucht wird. 4.2 Ein linear-kausaler Versuch Die meisten Menschen haben im Laufe ihres Lebens ein Verständnis der Wirklichkeit entwickelt, das auf dem Glauben beruht, dass alle Dinge auf Alltagskonstrukten basieren, die wiederum einfache Denk- und Handlungsanweisungen nahe legen. „Linearität, ‚starke’ Kausalität und verzögerungsfreie Rückkopplung sind Bausteine eines Realitätsbildes, das unseren Umgang mit vielen Personen und Situationen erfolgreich regelt.“113 Dominant für diese Wirklichkeitskonstruktionen sind isolierte Sichtweisen auf verschiedenste Teile eines Ganzen, was wiederum impliziert, dass davon ausgegangen wird, beliebig Dinge entfernen oder hinzufügen zu können, ohne Auswirkungen befürchten zu müssen. Auf die Businessplanthematik übertragen ist also auch in diesem Bereich ein für allgemeingültig erklärtes Referenzmuster geschaffen worden, das einfache Lösungen für die meisten Probleme favorisiert. Im weiteren Verlauf wird deshalb bewusst der Versuch unternommen, sich mittels einer analytisch-reduktionistischen Betrachtungsweise dem Businessplan als Methodik der Plausibilisierung von Geschäftsmodellen zu nähern. Die Vorgehensweise orientiert sich 113 Dörner/Buerschaper (1998), S. 83 63 an dem oben vorgestellten Planungsprozess im Kontext des Businessplans. Ausschlaggebend für diesen Versuch ist die Dominanz der kausal-linearen Betrachtungsweisen, mit denen Geschäftsmodelle durch den Businessplan als Legitimationswerkzeug plausibilisiert werden, und die sich aus den oben erwähnten Alltagkonstruktionen ableiten. Ziel ist ein möglicher Rückschluss von den sich daraus ableitenden Erkenntnissen auf die eingangs gewählte Problemstellung; sie versucht die hohe Quote scheiternder Unternehmensneugründungen, die auf der Basis eines Businessplans als plausibel gewertet werden, zu erklären. 4.2.1 Teilversuch Prognose Um die Schwierigkeiten des Umgangs mit einem komplexen System bei der Anwendung linear-kausaler Logiken zu zeigen, wird nun der Businessplan als Erkenntnisobjekt und unter dem Blickwinkel seiner Prognoseverlässlichkeit geprüft. Für diesen Versuch werden einige vereinfachende Grundannahmen getroffen: Zunächst wird die vollständige Kenntnis von den in der strategischen Ausgangslage getroffenen Annahmen unterstellt. Das bedeutet zum einen, dass alle entscheidenden Grundannahmen bekannt sind, und diese auch zum anderen über die Anwendung von Prognosemethoden auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit untersucht werden können. Daraus resultiert wiederum die Folgerung, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit jeder Grundannahme bekannt ist. Weiterhin sei festgelegt, dass nur die entscheidenden Grundannahmen, so genannte K.O.-Annahmen, ausschlaggebend sind und damit auch nur diese berücksichtigt werden. Anpassungseffekte, die die Eintrittswahrscheinlichkeit zu einem zukünftigen Zeitpunkt beeinflussen könnten, werden vernachlässigt. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird über den Betrachtungszeitraum als konstant erachtet. Die Unterstellung einer linear-kausalen Logik als Basis lässt also folgern, dass unter der Berücksichtung aller zugrunde gelegten Annahmen der Geschäftsidee eine beste Reaktion des Gründers auf diese identifizierbar sein muss. Vereinfachend bedeutet dies, dass bei einer hypothetisch totalen Vermeidung von Prognosefehlern das daraus entwickelte Geschäftsmodell auch funktionieren muss. Im Rückschluss bedeutet dies aber auch, dass bei Versagen einer K.O.-Annahme auch das Versagen der Geschäftsidee vorprogrammiert ist. Alle diese Annahmen sind nun in folgender Abbildung zusammengefasst: 64 Annahmen Prognoseversuch · Vollständige Kenntnis der Beschaffenheit von Hauptannahmen (Vollständigkeit, Eintrittswahrscheinlichkeit) · Nur Berücksichtigung von K.O.-Annahmen, keine Nebenannahmen · Keine Anpassungseffekte · Linear-kausale Ableitung des auf Basis dieser Annahmen entwickelten Geschäftsmodells und des damit verbunden Erfolges/Mißerfolges Abbildung 24: Annahmen Prognoseversuch Der Erfolg oder Misserfolg des konstruierten Geschäftsmodells hängt also in diesem Versuch nur von den einzelnen Eintrittswahrscheinlichkeiten des zugrunde liegenden Annahmensystems ab. Im Weiteren wird die Konsequenz dieser Betrachtung untersucht. 4.2.1.1 Zuverlässigkeitstheorie „Die Strukturfunktion eines n-Komponenten Systems [Φ, A.d.V.] ist eine dichotome Zufallsvariable, die die Werte 1 oder 0 annehmen kann. Die Reliabilität eines Systems kann dann wie folgt angegeben werden: R P X 1 , X 2 ,..., X n 1 [wobei P(X) die Eintrittswahrscheinlichkeit von X beschreibt, A.d.V.] Die Reliabilität eines Reihenfolgensystems kann dann durch: R PX 1 X 2 X n 1 PX 1 1, X 2 1,... X n 1 ausgedrückt werden.“114 Das heißt, in Reihe geschaltete Einzelkomponenten können nur dann zu einem funktionierenden Gesamtsystem führen, wenn jedes Subsystem funktioniert. Im Fall des Ausfalls einer Komponente fällt auch das gesamte System aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass das System nicht ausfällt, wird durch die Reliabilität beschrieben. Ein Beispiel hierfür wäre der Motor-Getriebe-Block eines Fahrzeuges, der nur solange intakt ist, solange sowohl Motor als auch Getriebe funktionstüchtig sind. 114 Hillier/Lieberman (1997), S. 727 65 In einem Reihenfolgensystem ergibt sich zur Quantifizierung der Reliabilität folgende Berechnungsgrundlage: 115 R( p1 , p2 ,..., pn1 ) p1 p2 pn 4.2.1.2 Die Reliabilität des Geschäftsmodells Paraglide24 Die gewonnene Grundlage wird nun auf das Businessplanbeispiel Paraglide24 angewendet. Hierzu werden Grundannahmen, die aus Sicht der Autoren als K.O.-Annahmen für das Modell Paraglide24 gewertet worden sind, betrachtet. Alle diese Annahmen (A) wurden auf Basis von Prognosemethoden (M) erhoben. Nachfolgend sind diese mit einem Hinweis auf die bei ihnen zugrunde gelegte Prognosemethode aufgelistet: A1 Konstantes jährliches Wachstum des Gleitschirmmarktes Schlüsselländern von 3% (M: Trendextrapolation) A2 Margen der Produkte Expertenbefragung) betragen ca. 30% des in den Verkaufspreises (M: A3 Verhalten anderer Marktteilnehmer wie Flugschulen und Hersteller bei Markteintritt von Paraglide24 (M: Spieltheorie) A4 Nutzungsbereitschaft und Vertrauensbildung gegenüber einer modernen IuK seitens der Gleitschirm-Community (M: Expertenbefragung) A5 Kaufverhalten der Gleitschirm-Community (M: Szenariotechnik) A6 Effizienz des BeschaffungsExpertenbefragung) und Absatzwegs der Produkte (M: Weiterhin sei angenommen, dass die beschriebenen Annahmen einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit von 90% unterliegen. Dies bedeutet also, dass der Eintritt der prognostizierten Zukunft in neun von zehn Fällen richtig vorhergesagt wird. Der Leser mag nun die Wahrscheinlichkeiten anzweifeln, weswegen hier erneut darauf hingewiesen sei, dass dieser Versuch lediglich zur Darstellung von Zusammenhängen gilt. In Anbetracht der Schwierigkeiten, die in den Beispielen zu ausgewählten Prognosemethoden und ihren Aussagefähigkeiten aufgezeigt wurden, kann 115 pn ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des Ereignisses n 66 angenommen werden, dass die zu Grunde gelegten Wahrscheinlichkeiten ‚sehr hoch’ bzw. ‚optimistisch’ sind. Bei geringeren Eintrittswahrscheinlichkeiten wird die spätere Herleitung des Sachverhaltes jedoch noch deutlicher. Daraus abgeleitet können die gewählten Wahrscheinlichkeiten als obere Grenze gesehen werden. Aus den gewählten Werten ergibt sich folgendes Zuverlässigkeitsschaltbild: A1 p1 = 0,9 A2 p2 = 0,9 A3 p3 = 0,9 A4 p4 = 0,9 R P A1 , A2 ,..., A6 1 p1 p2 p3 p4 p5 p6 0,96 0,5 A5 p5 = 0,9 A6 p6 = 0,9 è Reliabilität ≈ 0,5 è Zuverlässigkeit indifferent Abbildung 25: Zuverlässigkeitsschaltbild In der Konstellation des gewählten Beispiels kann also eine Zuverlässigkeit des Annahmensystems von 0,5 berechnet werden. Übersetzt bedeutet dies, dass bei einem Eintritt der prognostizierten Ereignisse zu 90%, die gleichzeitig Grundlage des Businessplans sind, das Gesamtsystem einen indifferenten Zustand als Prognoseergebnis liefert. Bei kausaler Planung des darauf aufbauenden Modells ist damit auch dessen Erfolgswahrscheinlichkeit indifferent. Hierbei sei angemerkt, dass bei geringeren Einzelwahrscheinlichkeiten die Verlässlichkeit des Gesamtsystems überproportional sinkt. Bei Wahl von pn=0,7 ergibt sich so eine Verlässlichkeit von nur noch ca. 10%. Erste rationale Reaktion auf den Versuch Der rationale Beobachter des Versuchs wird sofort stutzig bei diesen Behauptungen, da er sich sicher ist, dass bei ausführlicherer Untersuchung der Annahmen die Verlässlichkeit einer Zukunftsaussage gesteigert werden kann. Dominant ist die Schlussfolgerung, dass eine genauere Untersuchung das Problem lösen würde. Dieses Verhalten finden wir an uns selbst in unterschiedlichsten Situationen wieder: Wenn wir versuchen, eine Tür zu öffnen und dann feststellen müssen, dass sie verschlossen ist, werden wir uns immer wieder dabei ertappen, dass wir ein zweites oder drittes Mal die Türklinke drücken bis wir akzeptieren können, dass die Türe wirklich verschlossen ist. Die Denkweise eines scheinbar hilfreichen ‚mehr desselben’ determiniert diese Erscheinung. 67 Ein ähnlicher Erfolg wird sich im gewählten Versuch einstellen, wenn Prognosemethoden in ihrer Genauigkeit erweitert werden. Sicherlich werden Wahrscheinlichkeiten genauer oder richtiger werden, dennoch wird sich Wahrscheinlichkeit nicht zur hundertprozentig sicheren Aussage wandeln lassen. die Nachkommastellen werden feiner, nicht aber die globale Aussage. die die die Nur Die Größenordnung dieser Unsicherheit wird also erhalten bleiben. Die erste Reaktion erreicht somit nicht ihr Ziel, da sie lediglich das Aufwand/Nutzen Verhältnis ungünstig verschiebt. Diese Probleme ergeben sich bereits in dem angeführten Beispiel mit nur sechs K.O.-Annahmen. Bei einer umfassenderen Betrachtung im bisherigen Format impliziert dies einen weitaus größeren Aufwand mit den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten. Dennoch wird der Versuch weitergeführt, und eine weitere Reaktion in der bisherigen Denkweise soll untersucht werden. Zweite rationale Reaktion auf den Versuch Folgende Annahme ist ein gängiges Denkmuster: Wenn sich ein Fehler nicht in der Ursache lokalisieren lässt, dann aber zumindest in der Reaktion. Der Gegenstandsbereich wird dann oft mit übertriebener Detailtreue untersucht, um mittels dieser Überplanung die richtige Reaktion auszumachen. Die rationale Folgerung aus dem Debakel der Unsicherheit im Sinne der Reliabilität des Systems müsste aber aus Sicht des rationalen Betrachters steuerbar gemacht werden. Wenn also die Vorgaben variabel sind, so müssen die vorgefertigten Reaktionen auch variabel sein. Um also doch eine zuverlässige Basis für die Planung zu liefern, könnte der Rationalist multiple mögliche Zukünfte kreieren, die wiederum als strategische Ausgangslage dienen könnten. Diese lägen damit wiederum als Prognosefundament der Planung zu Grunde. Solche Zukünfte berücksichtigen also Alternativwelten, die durch ihre Unbestimmbarkeit relativ zum jetzigen Zeitpunkt parallel existieren können. Beispielsweise können also unterschiedliche Wachstumsentwicklungen, diverse Strategien von Wettbewerbern oder auch die Kombination unterschiedlicher Ausprägungen Gegenstand solcher Zukunftsbilder werden. Am Beispiel Paraglide24 könnte also angenommnen werden, dass im Rahmen von A1 die Marge nicht 30%, sondern etwa auch 20% oder 10% beträgt. Im ersten Schritt des Planungskreislaufes spaltet sich in der Konsequenz die strategische Ausgangslage in diverse mögliche Zukünfte (Zn) auf. Der zugehörige modifizierte Ausschnitt des Planungsprozesses findet sich in Abbildung 39 wieder: 68 ? Zukunftsraum zum Analysezeitpunkt mit seinen parallel prognostizierten Zukünften Z1 Z2 Z3 Z4 Z5 ... Zn Strategische Ausgangslage Abbildung 26: Planungsprozess mit Erweiterung um Parallelzukünfte Damit hat der rationale Planer die Unsicherheit berücksichtigt und kann sich nun in seiner Planung vermeintlich auf ihre Willkür einstellen. Eine Variante der Schaffung dieser Parallelzukünfte wäre zum Beispiel die Einteilung nach Annahmen und deren Erfüllung. Am Beispiel des aktuellen Versuchs müssten jetzt in jeder Zukunftswelt die einzelnen K.O.-Annahmen berücksichtigt werden und weiterhin nur digital, also als erfüllt oder nicht erfüllt betrachtet werden. Somit müsste der Gründer im Businessplan schon 64 mögliche parallele Zukünfte als Basis seiner Plausibilisierung verwenden.116 Nachfolgende Grafik stellt dieses Annahmensystem mit seinen möglichen kombinierten Zuständen schematisch dar: 116 26 = 64; Nach der Kombinatorik ergeben sich aus sechs Annahmen mit jeweils zwei möglichen Zuständen 64 mögliche Kombinationen. 69 A1 A2 A3 Z1 0 0 0 … 0 0 0 Z2 0 0 0 … 0 0 1 Z3 0 0 0 … 0 1 0 Zx 0 1 1 … 1 1 0 Zx+1 0 1 1 … 1 1 1 Zx+2 1 0 0 … 0 0 0 Zn-1 1 1 1 … 1 1 0 Zn 1 1 1 … 1 1 1 … An-2 An-1 An ... … ... … Parallel mögliche Zukünfte Annahmen (An) 0 = Annahme trifft nicht zu 1 = Annahme trifft zu Abbildung 27: Kombinationsmatrix Zukünfte/Annahmen Bevor dieser Prozessschritt im nächsten Abschnitt weiter besprochen wird, werden zunächst noch einige Anmerkungen zur Fehlertoleranz dieses Versuchs gemacht. Fehler durch vereinfachte Annahmen Um den Versuch überschaubar zu gestalten, wurden, wie bereits zu Beginn erwähnt, vereinfachend einige Annahmen zugrunde gelegt. So sind zum Beispiel Nebenannahmen vernachlässigt worden, und es wurde der Fall der absoluten Information unterstellt. So könnten bei der Geschäftsidee Paraglide24 zum Beispiel weitere Faktoren, wie die Ausstattung mit einer erweiterten Kapitalbasis oder die Fähigkeiten des Unternehmerteams ausschlaggebend für den Geschäftserfolg sein. Weiterhin könnten zusätzlich noch unbekannte Faktoren Einfluss haben. Ein rein hypothetisches Beispiel wäre in diesem Kontext die Veränderung von rechtlichen Grundlagen, die in ihrer Konsequenz den Flugsport in seiner heutigen Art beschränken oder sogar fundamental verändern könnten. Unabhängig von den Ausprägungen der Faktoren wird durch den Versuch deutlich, dass die Berücksichtigung weiterer Annahmenfelder die Verlässlichkeit des Systems rein rechnerisch immer geringer werden lässt. Bei Ausblendung der Versuchsannahmen wird 70 also das Ergebnis noch drastischere Aussagen in Bezug auf die Reliabilität des Systems haben. Bevor jedoch weiter auf den gängigen Umgang mit dieser Unsicherheit eingegangen wird, soll im nächsten Abschnitt untersucht werden, was geschehen kann, wenn auf diesem Fundament weiter gearbeitet, also geplant wird. 4.2.2 Teilversuch Planung Nachdem die strategische Ausgangslage als Welt möglicher paralleler Zukünfte identifiziert wurde, liegt es in der Hand des Businessplaners, diese vielfältige Systemumwelt zu berücksichtigen. Da die Planung als Auswahlproblem identifiziert wurde, müssen wie bereits besprochen, Optionen generiert werden, die dann wiederum nach einer internen Bewertung den Handlungsplan ergeben. Konsequent wäre also eine Berücksichtigung aller generierten Handlungsmöglichkeiten aller parallelen Zukünfte. Im Rahmen eines rationalen Vorgehens kann dieser Form der Unsicherheit also nur begegnet werden, wenn jede einzelne mögliche Zukunft als Planungsgrundlage berücksichtigt wird. Die zu generierenden Optionen müssten also auf der Grundlage jeder möglichen Zukunft erarbeitet werden und in ihren zukünftigen Verläufen voneinander getrennt beobachtet werden, um eine konsequente Fortsetzung des Planungskreislaufes sicherzustellen. An dieser Stelle sei zur Verdeutlichung wieder das Beispiel Paraglide24 angeführt: Falls sich die Annahme A2, die von einer Marge in der Höhe von 30% des Verkaufspreises ausgeht, auf Grund von individuell ausgehandelten Preisen bei Verkäufen seitens der Flugschulen nicht mehr halten ließe, wären die Implikationen auf ein mögliches Geschäftsmodell evident. Hierbei sei angemerkt, dass sich im Rahmen des herangezogenen Beispiels genau diese Situation der Preisabsprache ereignet hat. Die Annahme A2 konnte von den Autoren nicht mehr gehalten werden. Diese damals betrachtete Parallelzukunft hatte impliziert, dass das ebenfalls im Businessplan berücksichtigte Geschäftsfeld der Gleitschirmreisen ein geringeres Gewinnpotential versprach als das identifizierte eigentliche Kerngeschäft, eben der Verkauf von Gleitschirmen. Im Planungsprozess wurde also auf dieser falschen Annahme ein Geschäftsmodell ausgearbeitet, das dem potentiell erfolgreicheren strategischen Geschäftsfeld der Flugreisen vorgezogen wurde, und zudem seine kalkulierten Margen niemals hätte generieren können. Mit der Priorisierung des SGF des Gleitschirmverkaufs gegenüber dem Angebot von Flugreisen wurde also die potentiell ertragsreichere Parallelzukunft aussortiert. Wie dieses Beispiel zeigt, hätten aber auch 71 konsequent die Planung des SGF der Flugreisen und eine Generierung von Handlungsoptionen in diesem Geschäftsfeld weitergeführt werden müssen, woraus sich wieder Optionen andersartiger Geschäftsideen ergeben hätten. Die einzelnen Optionen innerhalb einer Zukunft sind wiederum abhängig von zugrunde liegenden Annahmen, können aber ohne ein Wissen über ihre Validität nicht vollständig bewertet werden. In letzter Konsequenz können die generierten Optionen auch nicht im Sinne einer besten Lösung verglichen werden. Um dies zu verdeutlichen, wird exemplarisch versucht, die Optionen O21 und O53 gegenüberzustellen. Bei einer Betrachtung der nachfolgenden Grafik stellt der Leser fest, dass beide Optionen auf unterschiedlichen Zukunftsannahmen aufbauen. So besteht zwar die Möglichkeit, die eine Option attraktiver oder wünschenswerter als eine andere zu bewerten, da aber entweder nur Zukunft Z2 oder Z5 mit ihren jeweiligen Zustandsannahmen eintritt, ist ein Vergleich abwegig. Neben den bereits existierenden Parallelzukünften erweitert also die zusätzliche Dimension der Optionengenerierung erneut die bereits bestehende Vielfalt. Eine zuverlässige Auswahl der besten Handlungsoption ist nicht möglich. Folgende Grafik stellt diesen Zusammenhang dar: ? O11 O12 O13 O21 O22 O23 O31 O32 O33 O41 O42 O43 O51 O52 O53 ... On1 On2 On3 Bewertungsdimension O11 O12 O13 O21 O22 O23 O31 O32 O33 O41 O42 O43 O51 O52 O53 ... On1 On2 On3 Generierte Optionen (Onm) Z1 Z2 Z3 Z4 Z5 ... Zn Strategische Ausgangslage Zukunftsraum zum Analysezeitpunkt mit seinen parallel prognostizierten Zukünften Onm = im Bewertungsprozess ausgeschlossene Optionen Abbildung 28: Planungsprozess mit generierten Optionen und Bewertungsdimension An dieser Stelle lässt sich rekapitulieren, dass der potentielle Unternehmensgründer vor der Herausforderung steht, mit dieser Zunahme der Handlungsoptionen umzugehen. Im aktuellen Versuch wurden durch die Berücksichtigung der Parallelzukünfte und die vielfältigen Optionen mehr und mehr Informationen erzeugt. Konsequent müsste dieser Prozess so lange weitergeführt werden, bis der analysierte Gegenstand mikroskopisch genau repräsentiert ist. Spätestens dann steht der potentielle Gründer im Kontext des 72 angeführten Planungsprozesses vor der Herausforderung, aus dieser Vielfalt heraus seine Strategie zu formulieren. Dies bedeutet, dass er sich für ein grundlegendes Annahmensystem entscheidet und auch die auf diesem Fundament besten Handlungsoptionen ausgewählt hat. 4.2.3 Zwang zur Reduktion Wie im vorangegangenen Kapitel hergeleitet und jetzt als Ausgangsbasis verwendet, steht der Unternehmensgründer und Verfasser des Businessplans vor der Herausforderung, aus der vorherrschenden Optionenvielfalt ein bestimmtes Geschäftsmodell zu konzipieren. Zur Bewältigung dieser komplexen Ausgangslage existieren, wie bereits angedeutet, unterschiedliche Strategien. Zur Erinnerung sei erwähnt, dass neben der Möglichkeit, „[…] Komplexität nicht als ungewollten Nebeneffekt einer ansonsten geordneten oder in Ordnung zu bringenden Welt, sondern als Form der Welt selbst […]“117 zu sehen, die Variante dominiert, Komplexität als das Problem selbst zu beschreiben. Der Gründer wird in der Phase der letztendlichen Strategieformulierung regelrecht zur zweiten Betrachtungsweise forciert. Im weiteren Verlauf wird nun beschrieben, wodurch dieser Zwang entsteht. Wie bereits aufgezeigt, verwenden VC eingereichte Businesspläne als Entscheidungsgrundlage über mögliche Investitionen. Um diese Geschäftsideen einheitlich bewerten zu können, hat sich auch die Form der Ausgestaltung des Businessplans im Wesentlichen nach den oben dargestellten Referenzmustern zu richten. Aus Sicht des VC steht dabei der langfristige Ertrag eines Geschäftsmodells, also die Vermehrung des eingesetzten Kapitals, im Vordergrund. Der VC könnte theoretisch also nur anhand der Aussage über eine Rendite seine Investitionsentscheidungen treffen. Um jedoch Risiken zu vermeiden und sich zusätzlich abzusichern, verlangt er Informationen zur Unsicherheitsreduktion, wie sie letztendlich im Businessplan anzutreffen sind. Dies impliziert, dass genau ein Modell mit seinen besonderen Ausprägungen dem VC präsentiert wird. Das heißt, der Gründer muss sich vorab auf eine Zukunft mit ihrem Annahmensystem fixieren und daraus sein Geschäftsmodell entwickeln, und dieses gegenüber dem VC plausibilisieren. Das bedeutet wiederum, dass es sich bei diesem Modell um eine Auswahl der vorherrschenden Vielfalt handelt. Der Berücksichtigung von anderen möglichen Zukunftsentwicklungen wird im schon festgelegten Geschäftsmodell nur noch untergeordnet Rechnung getragen. Exemplarische Bestandteile im Businessplan sind hierfür die Abschnitte ‚Chancen und Risiken’ oder ‚Finanzierung’, oft unter der 117 Baecker (1998), S. 22 73 Verwendung von Szenarien. Dabei werden aber meistens nicht etwa ganze Zukunftssysteme betrachtet, sondern lediglich einzelne Ausprägungen einer Zukunft werden variiert. Beispiele hierfür sind Kennzahlen wie der Return on Investment (ROI) oder der Umsatz, von denen meist nur drei Möglichkeiten (worst case, normal case, best case) im Businessplan berücksichtigt werden. Diese wiederum sind dem Systemzusammenhang Businessplan reduktionistisch entnommen und verblassen unter der Prämisse einer ganzheitlichen Betrachtung. Es entstehen so genannte ‚Insellösungen’. Oberflächlich suggeriert diese reduktionistische Betrachtung den Entscheidern, in diesem Fall Juroren oder Investoren, ein klar strukturiertes Bild über die vermeintliche Realität. Die Anspruchsgruppen fühlen sich in dieser Situation wohl, da die menschliche Informationsverarbeitung grundsätzlich selektiert, und sich dabei Mustern wie der „Vereinfachung, Auslassung, Ignorieren von Informationen, Übergeneralisierung und ungeprüfte Übertragung von Wissenstatbeständen auf neue Realitätsbereiche […]“118 bedient. Mit Hilfe dieser wird geglaubt, Missstände sofort korrigieren zu können. Vor diesem Hintergrund kommen Gründer und Investor überein. Im Idealfall erfolgt die Entscheidung über die Zuteilung von Wagniskapital. Mit der Setzung des Budgets, das dem Gründer zur Umsetzung des Geschäftsmodells zur Verfügung steht, wird gleichzeitig sichergestellt, dass er den selbst erstellten Plan stringent einhält und umsetzt. Der Gründer wird in seiner Fähigkeit eingeschränkt, flexibel auf Änderungen der Ausgangslage zu reagieren. 4.3 Versuchsergebnis und Plausibilitätsparadoxon In den letzten Abschnitten wurde im Rahmen eines Versuchs der Planungsprozess im Businessplankontext nachvollzogen. Beginnend bei der strategischen Ausgangslage und ihrem Prognosefundament stand die Untersuchung der Reliabilität des Annahmensystems im Vordergrund. Dazu wurde ein äußerst vereinfachtes System mit nur wenigen Annahmen betrachtet und darauf ein Zukunftsraum mit seinen Optionen aufgebaut. Ausgehend von Grundannahmen wurde festgestellt, dass sich der Planer bereits bei dem Versuch die Realität rational-objektiv zu erfassen, einer Vielfalt von Optionen ausgesetzt sieht. Dies ließ wiederum die einfache Reduktion auf eine beste Lösung fraglich erscheinen. 118 Dörner/Buerschaper (1998), S. 85 74 Versuchsergebnis Dennoch verlangt der VC als Anspruchsgruppe, dass bei ihm genau eine beste Lösung im Sinne eines Geschäftsmodells durch den potentiellen Gründer eingereicht wird. Um dies zu bewerkstelligen, muss sich der Planer dem Zwang zur Komplexitätsreduktion seines Annahmensystems aussetzen. Die Konsequenz ist, dass Komplexität als solche verdrängt wird und Vernetzungen sowie Zusammenhänge ausgeblendet werden. Die eingangs erwähnten Denkmuster, die den Versuch der Meisterung unseres Alltags determinieren, bestimmen also auch den Planungsprozess zukünftiger Geschäftsmodelle. Aus Sicht des Planers bedeutet das, dass er sich trotz ihrer Vielfalt für eine Zukunft entscheiden muss, um diese dem Businessplan zugrunde zu legen. Wie gezeigt, versagen in diesem Moment die Methoden der Prognose, da sich ausgehend von der strategischen Ausgangslage die weitere Entwicklung nicht mit absoluter Sicherheit vorhersehen lässt, und die Komplexität der Situation keine rationale Entscheidung empfiehlt. Doch das befreit den Unternehmensgründer nicht vom Zwang, eine Entscheidung zu treffen. Weitergedacht gilt es zu überlegen, ob nicht die Rationalität der im Businessplan getroffenen Entscheidungen eine Form nachträglicher Rechtfertigung durch kollektive Wahrheiten ist. Der Managementdenker Karl Weick behauptet in diesem Kontext, dass „[…] Rationalität keine wirkliche Handlungsanleitung [liefert, A.d.V], sie ist vielmehr eine Rhetorik, die man verwendet, um sich und sein Handeln auf eine bestimmte, für andere leicht verstehbare Weise zu präsentieren, obwohl man bei den kleinsten Umweltveränderungen und Problemverschiebungen eigentlich willkürlich, zufallsabhängig, launisch, opportunistisch oder wie auch immer agiert.“119 Der Unternehmensgründer könnte der verfrühten Entscheidung und somit der Rhetorik der Rationalität entgehen, wenn er sich selbst Freiheitsgrade offen lässt, und dadurch auf Umweltveränderungen und Problemverschiebungen flexibel reagieren könnte. Dies würde bedeuten, dass er sich vom Zwang der rationalen Logik frei macht und kollektive Wahrheiten verbindlich reflektiert. Dies würde aber wiederum implizieren, dass der Gründer für jede im Businessplan getroffene Entscheidung die Verantwortung allein übernehmen müsste. Aus Sicht des VC ist aber die vollständige Abgabe dieser Verantwortung an den Gründer verbunden mit einer Erhöhung der Unsicherheit des VC. Ausgehend von einer reduktionistischen Betrachtungsweise verliert er das klar strukturierte Bild der 119 Weick (2001), S. 125 75 vermeintlichen Realität und Eingriffsmöglichkeiten in Form von Steuerung. Folglich verlangt er von den Gründern weiterhin die stringente Einhaltung des Plans und erwirkt gleichzeitig eine ‚Entantwortung’ der Unternehmensgründer durch die Beschneidung ihrer Freiheitsgrade. Unbeirrt wird geglaubt, dass „[…] jedes System dank Intelligenz und Technik gesteuert werden kann […]“120 und auch der VC bekommt suggeriert, er hätte alles unter Kontrolle. Komplexität wird in diesem Versuch eindeutig als Problem beschrieben, dessen Lösung in bestimmten Formen des Managements zu suchen ist. In der hier speziell untersuchten Thematik ist die Managementantwort verbunden mit einem Selektionszwang. Wie oben beschrieben, legt der Gründer sich auf eine Entscheidung im Sinne seines Geschäftsmodells fest. Aus diesem Zwang zur Reduktion entsteht Kontingenz, „[…] denn man muss zwar selegieren, um überhaupt Bestimmbarkeit zu gewinnen, könnte jedoch jeweils auch anders selegieren.“121 Daraus ergibt sich das Risiko, in einer unsicheren Zukunft nicht zu wissen, welche Selektion nun die ‚richtige’ oder ‚falsche’ ist, und die Möglichkeit, so zu wählen, „[…] dass man es anschließend bereuen muss. Und es impliziert das Risiko, sich selbst festzulegen, während andere ihre Wahl noch aufschieben beziehungsweise Möglichkeiten wahrnehmen, die erst dank der Festlegung […] dessen, der dies riskiert, entstanden sind.“122 Diese weiteren Möglichkeiten können sich unter anderem durch die Zufuhr zusätzlicher Elemente und die damit einhergehende gestiegene Beziehungsmöglichkeit im Handlungssystem eröffnen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass genau die Steigerung von Konnektivität und Varietät auf den Grad der Komplexität ebenfalls erhöhenden Einfluss hat. Für den Businessplan bedeutet dies, dass die Erhöhung der Komplexität dieses Antizipationssystems die Option eröffnen könnte, mögliche Beziehungen im Zukunftssystem weitaus deutlicher wahrzunehmen und Sachverhalte besser zu erfassen. Diese Erkenntnis ist im Grunde nicht neu, denn Ashby hat bereits 1956 festgestellt, dass die Varietät eines Systems nur mit gleicher oder höherer Varietät absorbiert werden kann.123 Diese systemisch-interaktionistische Betrachtung steht im Gegensatz zur gewählten Sichtweise des Versuchs, sich dem Problem mit einer analytischreduktionistischen Herangehensweise zu nähern. In diesem Zusammenhang erscheinen auch die Aussagen von Weick (2001) durchaus einleuchtend. Letztendlich muss sich der Gründer, für den der Erhalt oder die Erhöhung der Variationsvielfalt sinnvoller wäre, der Rhetorik der rationalen Logik bedienen, um seine Entscheidungen im Sinne seines 120 Wüthrich (2003), S. 8 Baecker (1998), S. 26 122 Baecker (1998), S. 26 f 123 Vgl. Ashby (1974), S. 299 121 76 Geschäftsmodells und durch kollektive Wahrheiten zu plausibilisieren. Zusammenfassend lässt sich folgendes Plausibilitätsparadoxon formulieren: Plausibilitätsparadoxon Der Gründer ist konfrontiert mit der Vielfalt seiner multiplen möglichen Zukünfte. Durch die Anforderungen des VC, die sich aus dem Wunsch nach Sicherheit ergeben, unterliegt der Gründer dem Zwang der Reduktion. Damit einher geht der Prozess der Selektion, der den Gründer um Handlungsoptionen in der Zukunft beschneidet. Aus Sicht des VC ist aber genau dieser Weg die einzige Möglichkeit, vermeintliche Sicherheit zu erzeugen. Dem Gründer bleibt nur der Weg der Selektion, nicht zuletzt wegen der Kontrollfunktion des VC durch dessen gesetztes Budget. Besonders in der dynamischen und komplexen Umwelt, in der sich beide Anspruchsgruppen befinden, wäre der Erhalt oder die Erhöhung der Varietät eine Option, flexibler auf Umweltveränderungen und Problemverschiebungen zu reagieren. Die Erfolgsaussichten des Modells würden damit erhöht werden. Aus Sicht des VC erscheinen aber gerade varietätserhaltende oder sogar -erhöhende Strategieformulierungen, die nicht mehr der Form des Referenzmusters ‚Businessplan’ entsprechen, als ein Weg, der die Einflussnahme und Kontrollfunktion des VC schwächt. Diese Geschäftsideen werden womöglich nicht mehr mit Wagniskapital bedacht und werden somit im Bewertungsprozess mit dem Prädikat ‚nicht plausibel’ belegt. Da der Gründer als primäres Ziel die Zuteilung von Wagniskapitel hat, kann er ebenfalls vom bekannten Referenzmuster nicht abweichen. Gleichwohl könnte aber der Erhalt oder die Steigerung der Optionenvielfalt den Geschäftserfolg erhöhen. Obwohl beide Anspruchsgruppen das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Partizipation an einem ertragsreichen Geschäftsmodell, manövrieren sie sich in diese paradoxe Situation. Dieses Plausibilitätsparadoxon ist schematisch in Abbildung 42 dargestellt. 77 On1 On3 O 21 Z4 Z2 O 41 O 22 Zwang zur Komplexitätsreduktion (nur eine Zukunft) O 43 On2 O 23 O13 Z3 O O32 O11 53 52 O33 Z5 O 51 O 42 O Unsicherheitsvermeidung (nur Sicherheit ist plausibel) Zn O31 Z1 O12 Businessplan = Strategieformulierung O 32 Abbildung 29: Plausibilitätsparadoxon 4.4 Zwischenbilanz: Verantwortung übernehmen Zu Beginn dieser Arbeit wurde unter anderem nach der Antizipationsfähigkeit des Businessplans mit seinen Methoden gefragt. Weiterführende Fragen beschäftigten sich mit der Verlässlichkeit des Prognosefundaments und den sich daraus ergebenden Implikationen für den Planungsprozess. Ebenfalls sollte die Leistungsfähigkeit des Businessplans in Bewertungssituationen kritisch untersucht werden. Unter der Berücksichtigung des Plausibilitätsparadoxons ergeben sich hinsichtlich der Fragestellungen neue und zugleich irritierende Sichtweisen. ‚Schwarz-weiß’ gesehen beinhaltet das Plausibilitätsparadoxon die Implikation, dass der Businessplan als Methodik zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen nicht aussagekräftig ist. Eine voreilige Konsequenz könnte also die grundsätzliche Infragestellung der Legitimationsberechtigung dieses Instruments sein. Konsequenz dieser digitalen Sichtweise wäre unter den aufgezeigten Widersprüchen gegebenenfalls die Beendigung dieser Arbeit an jetziger Stelle. Dies entspräche aber nicht der Intention, die Thematik differenziert und konstruktiv zu betrachten, sondern käme nach Heinz von Foerster 78 einem „[…] beliebten Gesellschaftsspiel [gleich, A.d.V.], die eigene Verantwortung irgendwie wieder loszuwerden […].“124 Eine Weiterführung erscheint nicht zuletzt deshalb als sinnvoller. Dennoch soll diese ohne Anspruch auf allgemeingültige Handlungsanweisungen, also ohne die Berufung auf Objektivität, erfolgen. Denn es ist gerade diese beliebte Berufung auf eine Allgemeingültigkeit, die das Individuum schnell verleitet, das Referenzmuster der eigenen verbindlichen Reflexion vorzuziehen. Um das Risiko zu vermeiden, ebenfalls ‚mehr desselben’ im Sinne allgemeingültiger Referenzmuster zu schaffen, soll im Folgenden versucht werden, weiterführende Irritationen in einem themenfremden Gebiet aufzuzeigen. Dieser Bereich ist ebenfalls geprägt durch die Herausforderung, sich im Spannungsfeld zwischen Referenzmustern und allgemeingültigen Vorgehensweisen auf der einen Seite, und dem Vorherrschen von Unsicherheit und komplexen Zuständen auf der anderen Seite, zu bewegen. Diese methodische Vorgehensweise bietet die Chance, über eventuelle Analogien dieser Themenkomplexe die Wahrnehmung des bisherigen Bereichs neu zu konstruieren und so gegebenenfalls ‚blinde Flecken’ farbig auszugestalten. 124 Foerster/Pörksen (1998), S. 94 79 5 Irritationen und Analogien Wie bereits im letzten Kapitel thematisiert, steht der Beobachter vor der grundlegenden Fragestellung einer Interpretation von Komplexität. Der vorangegangene Versuch stand im Zeichen einer analytisch-reduktionistischen Herangehensweise und wurde somit abgeleitet aus dem Verständnis von Komplexität als Problem einer ansonsten geordneten Welt. Die konsequente Weiterführung dieser Sichtweise führte zum Plausibilitätsparadoxon als Versuchsergebnis. Wie bereits angedeutet, wird im weiteren Verlauf nicht versucht, diese Paradoxie mit methodischen Kniffen aber unter gleichem Komplexitätsverständnis zu lösen. Auch sich einer dualistischen Denkweise hinzugeben, also einfach die bisherige Verfahrensweise zu negieren und anstatt dessen entgegengesetzt zu handeln, wäre naiv. Vielmehr soll untersucht werden, ob sich nicht „[…] Anschlussmöglichkeiten für synthetische Kombinationen […]125 durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundannahmen, also einem alternativen Komplexitätsverständnis ergeben können. Wie die Arbeit bis zu dieser Stelle aufgezeigt hat, ist der Prognose-, Planungs-, und Bewertungsprozess im Rahmen der Businessplanerstellung stark geprägt durch ein lineares und kausales Realitätsverständnis, auf dessen Basis zukünftige Geschäftsmodelle plausibilisiert werden. Anstatt im weiteren Verlauf ein Prämissenbollwerk aufzubauen, unter dem sich ein anderes Komplexitätsverständnis ergeben könnte, erscheint es sinnvoller, ein Themengebiet zu betrachten, in welchem die durch Komplexität verursachte Unsicherheit bewusst aufgenommen und verarbeitet wird. Durch Rückführung auf die Ausgangsthematik und unter dem Einbezug von themenrelevanten Expertenmeinungen entstehen so möglicherweise mehrwertschaffende Irritationen. Nach Meinung der Autoren erweist sich der Gleitschirmpilot in der Ausführung seines Sportes als richtungsweisender Komplexitätsmanager. Diese Idee soll in den folgenden Seiten zugänglich gemacht werden. 5.1 Toni Benders Alpenüberquerung „Toni Bender, 39 Jahre alt, hat aus seinem Kindheitstraum einen Beruf gemacht und ist heute einer der weltbesten Gleitschirmflieger. Er fliegt internationale Meisterschaften und ist Testpilot für neue Gleitschirme.“126 Auch erfahrene Piloten wie er haben noch Träume. Toni Bender nahm sich vor, als erster Gleitschirmpilot die Nord-Süd 125 126 Wühtrich/Osmetz/Kaduk (2006), S. 39 Brög (2000) 80 Alpenüberquerung zu fliegen. Für dieses Vorhaben musste er nur mit Hilfe von thermischen Winden immer wieder hunderte von Metern mit seinem Gleitschirm aufsteigen, um über die 3500 Meter hohen Berge zu kommen. Insgesamt mussten so über 40.000 Höhenmeter überwunden werden, um dann im Gleitflug letztendlich in Bassano del Grappa, kurz vor Venedig, anzukommen. Ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Diese Reise wurde von Leykauf Film unter der Regie von Wolfgang Brög und in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk und Arte in einem Dokumentarfilm mit dem Titel ‚Glücklicher Ikarus’ festgehalten. Zu Beginn des Films hört sich die geplante Aufgabe, vom Brauneck in Lenggries bis Bassano del Grappa zu fliegen, denkbar einfach an. So berechnet der Internetdienstleister ‚Map24’ doch nur eine Strecke von 346 km. Mit den Möglichkeiten heutiger Mobilität ist dies schon lange keine Herausforderung mehr. Jedoch wird schon ab dem Zeitpunkt des Starts von Toni Bender deutlich, dass es sich um eines der letzten großen Abenteuer Mitteleuropas handelt. Dies wird zum einen an der umfangreichen Planung des Vorhabens, aber besonders während des eigentlichen Fluges klar. Schon im Inntal sah sich Toni Bender bereits fast gezwungen, den Flug wegen den dort vorherrschenden Talwindausprägungen abzubrechen. Nur seine ausgezeichneten fliegerischen Fähigkeiten und seine flexiblen Reaktionen ermöglichten ihm den Weiterflug. Nach der erfolgreichen Überquerung des Inntals war das nächste Etappenziel der Überflug des Alpenhauptkamms. Erschwerend kam hinzu, dass sowohl ein Gewitter, als auch die begrenzte Wolkenbasis den Weiterflug behinderten. Im Film wird deutlich, dass Toni Bender während des Fluges permanent auf die tatsächlich vorherrschenden Wetterbedingungen reagieren musste, um sein Ziel weiter verfolgen zu können. Nicht nur das Überwinden von geringsten Aufwindbedingungen beschränkten das weitere Fortkommen, sondern auch extreme Steigwerte und Turbulenzen forderten dem Piloten höchste Konzentration ab, um nicht in lebensgefährliche Situationen zu geraten. Er selbst sagt dazu während des Fluges: „Ich glaube, dass das was ich gerade erlebe, nur wenigen ganz guten Piloten vorbehalten bleibt.“127 Die Autoren können besonders die letzte Aussage nachvollziehen, da sich Toni Bender mit seinem Gleitschirm als kleines Element im permanent unkalkulierbaren System Wetter bewegt. Es handelt sich hier um ein System, dass einem nichtlinearen Aufbaumechanismus unterliegt und sich durch Unberechenbarkeit auszeichnet. Solche unberechenbaren Systeme werden auch als chaotisch bezeichnet. Im Umkehrschluss überrascht der Pilot mit seiner Fähigkeit, sich mit ständig wechselnden Bedingungen 127 Brög (2000) 81 auseinandersetzen zu können. Er ist sich bewusst, dass Unsicherheit vorherrscht, aber akzeptiert dieses Phänomen als Determinante seiner Umwelt. Dies wird auch in einer späteren Phase des Alpenfluges beeindruckend vermittelt. Da der gesamte Flug innerhalb eines Tages nicht möglich gewesen wäre, war Toni Bender gezwungen, auf dem äußerst kleinen Gipfelplateau der Marmolata, dem höchsten Berg der Dolomiten, zu landen. In seiner Vorabplanung waren die vorherrschenden Wetterbedingungen zum Zeitpunkt der Landung jedoch nicht ohne Unsicherheit kalkulierbar und Toni Bender konnte sich erst vor Ort ein Bild der Lage machen. Die Gefahr bestand darin, dass eine zu späte Landung den Absturz über eine Steilklippe und eine zu frühe Landung das Abrutschen über einen Gletscher hätte bedeuten können. Diese permanente Unsicherheit war aber auch nach einer glücklich verlaufenen Landung trotz turbulenter Windverhältnisse und dem erneuten Start vom Plateau am nächsten Morgen nicht aufgehoben. Bis zu der Punktlandung in Bassano del Grappa waren auch die letzten 50 Kilometer geprägt durch unvorhersehbare Risiken, in diesem Fall durch dichten Hochnebel. Toni Bender selbst beendet die Dokumentation mit der Aussage: „Ich hätte nie gedacht, dass es überhaupt möglich ist, hierher zu kommen.“128 Das erfolgreiche Verhalten des Gleitschirmpiloten in einer von Unsicherheiten geprägten Umwelt fasziniert. Augenscheinlich begibt sich der Pilot bewusst in die jeweilige komplexe Situation, wobei dieses Verhalten aber fälschlicherweise nicht mit Fahrlässigkeit oder Waghalsigkeit verwechselt werden darf. Er akzeptiert sich vielmehr als Element eines komplexen Systems und begreift Komplexität mit ihren Konsequenzen nicht als „[…] ungewollten Nebeneffekt einer ansonsten geordneten oder in Ordnung zu bringenden Welt, sondern als Form der Welt selbst.“129 Wie zu Beginn des Kapitels beschrieben, ist die kritische Auseinandersetzung mit den Grundannahmen, in diesem Fall in Form des Komplexitätsverständnisses, der Ansatzpunkt für eine mehrwertschaffende Irritation. Das auf den ersten Blick erkannte Komplexitätsverständnis des Gleitschirmpiloten in seiner Disziplin gibt den Autoren Anlass, die Thematik weiter zu untersuchen. Um weitere Informationen zu erhalten, wurde ein Interview mit einem professionellen Gleitschirmlehrer durchgeführt. Das nächste Kapitel skizziert das Bild, das uns Christian Feil im Interview zeichnete. 128 129 Brög (2000) Baecker (1998), S. 21 82 5.2 Komplexitätsmanager mit Stoff und Leinen „Das besondere für mich ist, dass ich beim Fliegen total abschalten kann.“130 Christian Feil geht es dabei vermutlich ähnlich wie vielen der 30.000 Gleitschirmflieger in Deutschland, wenn sie sich nur mit ihrem Gleitschirm frei in der dritten Dimension bewegen. Dabei ist das Sportgerät im Grunde denkbar einfach aufgebaut. Nur ein paar Quadratmeter Stoff und einige Meter Leinen ergeben zusammen ein vollwertiges Fluggerät. Wie die Alpenüberquerung von Toni Bender gezeigt hat, ist man bei sachgemäßer Handhabung dennoch in der Lage, damit Erstaunliches zu vollbringen. Man bedenke, dass das Gerät nur über zwei Steuerleinen gelenkt wird, mit denen der Pilot seinen Flug permanent variiert. Um in den Genuss des freien Fliegens kommen zu dürfen, muss jeder künftige Gleitschirmpilot eine Ausbildung durchlaufen. Zu Beginn startet der Flugschüler fast ebenerdig, um zu lernen, wie der Schirm beim Start und in der Luft reagiert. Schritt für Schritt wird dabei die Starthöhe vergrößert, und schon nach wenigen Tagen Ausbildung gleitet der Schüler über einen Höhenunterschied von 80 Metern ab. In der zweiten Ausbildungsphase vertieft und erweitert der Flugschüler innerhalb von 40 Höhenflügen unter Funkanleitung seinen Erfahrungshorizont, indem er Höhenunterschiede von mindestens 500 Metern mit seinem Gleitschirm überwindet. Parallel dazu absolviert er eine 25-stündige Theorieausbildung, die neben dem praktischen Anteil am Ende seiner Ausbildung abgeprüft wird. Bei Bestehen erhält er seine Fluglizenz, die ihm das selbstständige Fliegen erlaubt. Christian Feil betont, dass gerade jetzt in den ersten selbstständigen Flügen das eigentliche Lernen beginnt. Mit fortschreitender Erfahrung fängt der Pilot an, sich der Unterstützung von technischen Helfern wie GPS und Variometer zu bedienen. Das Verlangen vieler fortgeschrittener Piloten ist es, den Hausberg zu verlassen und weite Strecken zu fliegen. Wie auch bei Toni Benders Alpenüberquerung beginnen diese Flüge mit einer umfassenden Planung. Im Vorfeld werden Prognosen über die Großwetterlage, besondere überregionale Winde, Talwindsysteme, den Temperaturgradienten und die Güte der Thermik abgerufen. Die geographischen Gegebenheiten müssen dem Piloten ebenfalls bekannt sein. Gestützt auf diesen Informationen plant er seine mögliche Flugroute. Trotz umfassender Planung ist sich der Pilot bewusst, dass er die Situation am Startplatz vor Ort erneut beurteilen muss. Das kann im Extremfall bedeuten, dass sich der Pilot unmittelbar vor dem Start entscheidet, den Schirm wieder einzupacken und nicht zu 130 Feil (2006), S. 24 83 starten. Wenn er sich aber für den Start entscheiden sollte, ist er sich dennoch bewusst, dass er trotz Planung die vorherrschende Situation permanent beobachten muss. Die Flugphase setzt den Piloten den Veränderungen des komplexen Wettersystems aus und fordert von ihm eigenständige Reaktionen auf seine Umwelt. Wetterphänomene wie Gewitter und Föhn mit ihren unkalkulierbaren Auswirkungen stellen für den Piloten eine Gefahr dar und können die vorherige Flugplanung zur Makulatur werden lassen. So können in Gewitternähe Steigraten auftreten, „[…] die auch mit extremen Notabstiegsmanövern keine schnelle Landung mehr ermöglichen.“131 Der Pilot läuft Gefahr, in direkten Kontakt mit Hagel, Blitzschlag und extremer Kälte zu kommen. Auch die durch den Föhn verursachten hohen Windgeschwindigkeiten stellen nur schwer abschätzbare Risiken für den Piloten dar. Ebenso können auch geringste Veränderungen im Wettersystem weitreichende Konsequenzen für den Piloten und seine Planung haben. „Es muss sich nur ein Talwindsystem anders entwickeln als prognostiziert. Der Wind könnte zu stark sein, ich komme nicht mehr dagegen an und sinke nur noch ohne Vorwärtsbewegung. So ist vielleicht mein geplanter Flug schon nach halber Strecke beendet.“132 Der fliegende Pilot ist sich bewusst, dass ihn eine weitere Detaillierung seiner Flugplanung dennoch nicht jede Veränderung des Systems vorhersehen lässt. Für ihn ist das entscheidende Verhalten die flexible Reaktion auf die Veränderung seiner Umwelt. Er weiß, dass er auf„[…] Biegen und Brechen […] sein Ziel nicht erreichen [kann, A.d.V.].“133 Christian Feil ist davon überzeugt, dass bei diesen Entscheidungen sein Bauchgefühl die dominante Rolle spielt. „Wenn ich ein schlechtes Gefühl im Bauch habe, der Kopf mir aber sagt, es könnte realistischerweise funktionieren, dann höre ich lieber auf meinen Bauch.“134 5.2.1 Keine universelle Antwort Auf den ersten Blick scheint dieser Exkurs in den Sport des Gleitschirmfliegens gänzlich von der ursprünglichen Thematik entkoppelt zu sein. Bevor im weiteren Verlauf diese Darstellung jedoch ihre Legitimation erhalten wird, soll nochmals die Ausgangsproblematik in Erinnerung gerufen werden. 131 Feil (2006), S. 25 Feil (2006), S. 26 133 Ebenda 134 Feil (2006), S. 27 132 84 Zum Ende des vorangegangenen Kapitels wurde der Leser mit dem Plausibilitätsparadoxon konfrontiert. Die Vielfalt der möglichen Optionen resultierte aus einer unsicheren Zukunft. Der VC fordert vom Gründer eine Reduktionsstrategie, der sich somit bei der Erstellung seines Businessplans einem Selektionszwang unterwerfen muss. Mit dem gemeinsamen Ziel, an einem erfolgreichen Geschäftsmodell partizipieren zu können, stehen sich die beiden Anspruchsgruppen mit unterschiedlichen Sichtweisen gegenüber. Auf der einen Seite beraubt der VC, durch eine frühzeitige Beseitigung der Offenheit in Entscheidungen, den Gründer seiner Handlungsoptionen. Der VC präferiert also den Aufbau einer eher robusten Gewissheitskultur. Auf der anderen Seite kann sich aber gerade eine frühzeitige Festlegung des Endziels erschwerend auswirken, da der freie Blick auf mögliche zukünftige Entwicklungen fahrlässig beeinträchtigt wird. „Je offener die Zukunft sich darstellt, desto mehr Möglichkeiten bietet sie […]“135 für den Gründer. Unter diesem Gesichtspunkt scheint die frühzeitige Festlegung paradox. Der Umgang mit dieser Paradoxie wird uns erschwert durch die Axiome der aristotelischen Logik. Diese baut auf dem Gesetz der Identität 136, dem Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch137 und dem Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten138 auf. Konsequenz ist also, dass bei sich widersprechenden Aussagen mindestens eine falsch sein müsste. Aber wie schon zu Beginn des Kapitels erwähnt, sehen die Autoren die Chance in einer mehrwertschaffenden synthetischen Kombination, das heißt, in einem pluralen Verständnis, das auf einer Denkweise des ‚Sowohl-als-auch’ aufbaut. Damit einher geht auch die Wertung eines Paradoxons als einen Zustand, der nicht grundlegend schlecht sein muss. Nach Heinz von Foerster ist es „[…] vielmehr etwas Gutes, wenn man die Dynamik des Paradoxen ernst nimmt.“139 Ein bewusster Umgang mit dieser Dynamik, anstatt einer reduzierenden Simplifizierung der Zusammenhänge, impliziert aber auch die Konfrontation mit einer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten. Der alltägliche Ruf nach einfachen Antworten und einer Reduktion der Komplexität muss so an bestimmten Stellen bewusst überhört werden. Vielmehr gilt es zu überlegen, wie mit der Explosion der Möglichkeiten umgegangen werden kann, damit kein Gefühl der Überforderung oder Hilflosigkeit zurückbleibt. Denn treten sie auf, ist der Griff nach einfachen Antworten oft die naheliegende scheinbare Lösung, und alte Muster geben somit erneut die Richtung vor. An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass es nicht die Lösung sein kann, alles Bewährte zu leugnen und in einen strengen Dualismus 135 136 137 138 139 Vgl. Gross (2003), S. 1 A A A A A kann nur wahr oder falsch sein Foerster (1995), S. 98 85 überzugehen. Stattdessen „[...] ist Kontingenzmanagement angesagt.“140 Der Mehrwert liegt also in der zweiseitigen Möglichkeit verborgen, was aber unweigerlich mit der Unbestimmbarkeit der Antwort einhergeht. Eindeutige Antworten auf komplexe Fragen lassen sich unter dieser Betrachtung nicht mehr finden und die Vorstellung einer Unterscheidung anhand der Kriterien ‚richtig/falsch’ oder ‚wahr/unwahr’ verblasst. Die Konsequenz ist, dass es keinen besten Weg bzw. keine beste Strategie und keine optimale Entscheidung mehr geben kann. In einer Welt, die permanent versucht ihre Unsicherheit in eine operativ handhabbare Form zu bringen, erscheint diese Aussage geradezu ironisch und ist mit einem Gefühl der Ohnmacht verbunden. Akzeptieren wir dies aber und erkennen, dass wir „[...] die Konstrukteure unserer eigenen Wirklichkeit und Wahrheit sind [...]“141, ergibt sich ein Bewusstsein der totalen Freiheit aber ebenso von Verantwortung. Heinz von Foerster macht dies mit folgender Formulierung sichtbar: „Es ist so, wie Du es sagst“142 und nicht „Ich sage es, weil es so ist.“143 So ist auch der Gleitschirmflieger ein Konstrukteur seiner Wirklichkeit und hat seinen Weg im Umgang mit seiner komplexen und ungewissen Umwelt gefunden. Bewusst und verbindlich setzt er dabei auf eine Denkweise des ‚Sowohl-als-auch’. In diesem Sinne sind also weder hektische Betriebsamkeit noch die reine Reduktion auf - in seinem Bereich bewährte Referenzmuster - die allgemeingültige Antwort auf ein universelles Komplexitätsproblem. Im weiteren Verlauf wird versucht, sich durch seine Handlungen und Denkmuster inspirieren zu lassen, wobei aber nicht der Anspruch erhoben wird, trotz der Feststellung es gebe keine optimale Strategie, doch eine anzubieten. 5.2.2 Problemlösung ohne Lösung Die Aussagen Christian Feils lassen erkennen, dass sich der Gleitschirmflieger, genau wie der Businessplaner und auch der VC, in einer turbulenten und unsicheren Umwelt befindet. Der große Unterschied liegt jedoch in der Interpretation dieser Komplexität. Versuchen der Businessplan und seine Anspruchsgruppen Komplexität zu reduzieren, und somit Unsicherheiten auszuschließen, akzeptiert sich der Gleitschirmflieger bewusst als Element eines unkalkulierbaren Systems. Auch wenn beide Instrumente der Prognose und Planung verwenden, stellen sie doch grundlegend verschiedene Ansprüche an deren Gültigkeit. Während die Anspruchsgruppen um den Businessplan, insbesondere der VC, davon ausgehen, dass ihnen der Businessplan die Zukunft 140 Gross (2003), S. 3 Wüthrich/Osmetz/Kaduk (2006), S. 167 142 Foerster (1998), S. 50 143 Ebenda 141 86 verlässlich antizipieren kann, ist sich der Gleitschirmflieger bewusst, dass bereits die geringste Wechselwirkung in seiner Systemumwelt im extremsten Fall sogar die vollständige Revision seiner Ziele bedeuten kann. Daraus ergeben sich als Konsequenz verschiedene Implikationen für ihr weiteres Verhalten. Wie im linear-kausalen Versuch aufgezeigt, verfällt der Businessplaner dem Reflex, detaillierter und umfassender zu prognostizieren und zu planen, um so vermeintlich die Reliabilität seines Annahmensystems zu erhöhen. Dabei bedient er sich scheinbar altbewährter Referenzmuster, die in ihrer Anwendung aber lediglich simplifizieren und letztendlich Handlungsmöglichkeiten per se ausschließen, denn „[…] Sachverhalte [werden, A.d.V.] so lange reduziert und vereinfacht, bis sie schließlich in ein bestimmtes formales Gerüst passen.“144 Der Gleitschirmflieger hält sich dagegen diese Variantenvielfalt offen. Ursache dafür ist seine direkte Beziehung zum chaotischen System ‚Wetter’. Durch den Erhalt seiner Optionenvielfalt ist es ihm so möglich, flexibel auf die für ihn relevanten Einflüsse zu reagieren. Beide unterliegen dennoch dem Risiko, ihr Ziel nicht zu erreichen, also zu scheitern. Neben der subjektiven Beurteilung des Scheiterns selbst, also der Entscheidung, wann etwas letztendlich als Misserfolg zu werten ist, besitzt derjenige, der sich die Variantenvielfalt erhält, die optimistischeren Aussichten, nicht zu scheitern. Während der Businessplaner mit seinem deterministischen Annahmensystem bereits fehlschlägt, wenn eine seiner Annahmen versagt, kann dementgegen der Gleitschirmflieger so anpassungsfähig sein, dass er sich in letzter Instanz sogar die Möglichkeit offen hält, sein Ziel zu revidieren. Fälschlicherweise könnte an dieser Stelle der Eindruck entstehen, dass im dualistischen Sinne auf Planung verzichtet werden könnte. Aber „[…] wir bewegen uns in einer Welt, in der wir in die unterschiedlichsten Systemrealitäten mit je verbindlichen Ansprüchen und Forderungen eingebunden sind.“145 Kenntnisse über die verbindlichen Ansprüche und Forderungen verspricht die fachspezifische Grundlagenausbildung, die im Falle des Nichtvorhandenseins beide, sowohl Gleitschirmflieger als auch Businessplaner, vom sicheren Umgang in ihrem Umfeld ausschließt. Auch die Kenntnis gängiger Referenzmuster ist dabei nicht pauschal als negativ zu werten, sondern gibt vielmehr eine Orientierungshilfe im Verständnis von Zusammenhängen. Damit einhergehende „[…] Automatismen sind notwendig; sie entlasten uns davon, ständig über jede Kleinigkeit nachdenken zu müssen.“146 Im Rahmen dieser Grundkenntnisse sind sich der Businessplaner als auch der Gleitschirmflieger bewusst, dass auf dieser Basis Planung als „[…] so etwas wie Probehandeln […]“147 Sinn macht. Die Ausprägung der 144 Dörner (1989), S. 250 Wüthrich/Osmetz/Kaduk (2006), S. 33 146 Dörner (1989), S. 255 147 Königswieser/Lutz (1993), S. 47 145 87 Planungsintensität unterscheidet sich allerdings bei beiden aufgrund der unterschiedlichen Ansprüche an diese. Während beim Businessplaner versucht wird, seine Geschäftsidee durch eine möglichst umfassende Prognose und Planung zu konstruieren und auf dieser Basis zu plausibilisieren, betrachtet der Gleitschirmflieger seine Planung als weit gefassten Korridor. Innerhalb dieser Leitplanken hört der Gleitschirmflieger auf sein Bauchgefühl als dominierende Entscheidungsinstanz und löst sich somit vom Zwang der Logik, indem er der Emotionalität Raum gibt. Diese unterschiedlichen Interpretationen sind wieder Spiegelbild der zugrunde gelegten Komplexitätsverständnisse. Die Auswertung des Verhaltens eines Gleitschirmfliegers erweckt den Eindruck, dass eine Übersetzung seines Handelns auf die Businessplanthematik das Ausgangsproblem lösen könnte. Dies würde aber implizieren, dass das Verhalten des Businessplaners ‚falsch’ wäre und das des Gleitschirmfliegers ‚richtig’. Es müsste also nur Planung durch Nichtplanung, Festlegung durch Spielraum, Zwang durch Freiheit, Detaillierung durch gezielte Unsicherheit etc. ersetzt werden und es gäbe, um den Ausgangspunkt wieder aufzugreifen, keine scheiternden Geschäftsideen mehr. Diese Vorgehensweise wirkt nicht nur fahrlässig und unseriös, sondern ist schlicht und einfach undifferenziert und nicht erfolgsversprechend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Anspruchsgruppen des Businessplans, insbesondere der VC, immer noch aus ihrer bisherigen Konditionierung heraus ‚wahr’-nehmen. Denn nach wie vor besteht der Anspruch an den Businessplan, Methode zur Plausibilisierung von Geschäftsmodellen zu sein. 5.3 Expertenstimmen Wie im vorangegangenen Kapitel festgestellt, ist die vermeintliche Problemlösung, in Form einer rein dualistischen Substitution der Paradigmen, keine Lösung. Jedoch eröffnet sich zwischen den beiden dargestellten divergierenden Betrachtungsweisen, mit ihren unterschiedlichen Komplexitätsverständnissen und den unterschiedlichen Ansprüchen an eine Planung ein Spielraum, in dem vielfältige Kombinationen möglich sind. An dieser Stelle sei angemerkt, dass auch im Bereich der Businessplanthematik bereits Stimmen existieren, die ganz klar die Tendenz einer Relativierung des Anspruchs einer totalen Unsicherheitsvermeidung durch Prognose und Planung widerspiegeln. Wurde im linear-kausalen Versuch die Annahme, auf Probleme mit ‚mehr desselben’ antworten zu können, ad absurdum geführt, so werden weiterführend genau die Stimmen gehört, die den Businessplan als Methode und in seiner jetzigen Form bereits kritisch betrachten und damit eine differenzierte Betrachtung abrunden. Dabei handelt es sich um Experten, die im Bereich der Businessplanthematik aktiv sind 88 und in diesem Gebiet mehrjährige Erfahrung vorweisen können. Im späteren Verlauf wird dann zu dem Versuch übergeleitet, auf Basis der gewonnen Erkenntnisse Sichtweisen aufzuzeigen, die Mehrwerte im Businessplanprozess schaffen könnten. Akzeptanz von Unsicherheit Peter Dressel, Geschäftsführer der Kompetenz & Kapital Unternehmensberatung sowie Coach und Juror des MBPW, erkennt ganz klar das Dilemma, das sich aus einer Zukunft, die wir nicht kennen und dem Versuch, diese trotzdem mit vermeintlich vagen Kriterien vorherzusagen, ergibt. „Sie werden immer das Risiko haben, dass der Businessplan annimmt, dass das Modell funktioniert, es aber in der Realität nicht aufgeht.“148 Auch Werner Arndt fällt eine vorherige Beurteilung des Erfolges einer Geschäftsidee schwer, und das trotz seiner weit reichenden Erfahrung als Geschäftsführer des MBPW; er führt dies auf die komplexen Umweltbedingungen zurück. „Ich habe schon ca. 4000 Businesspläne gelesen, und ich tue mich immer noch sehr schwer zu sagen: Das wird eine sehr erfolgreiche Idee und das nicht. Dafür sind die Einflussfaktoren zu komplex und nur wenn die Mixtur stimmt, kann [… der Gründer, A.d.V] unter diesen Umständen erfolgreich sein, was aber meist dem Plan nur vage zu entnehmen ist.“149 Das ist für Peter Dressel eine Konsequenz aus der Tatsache, dass wir „[…] von so vielen Faktoren abhängig [sind, A.d.V.], die wir nicht beeinflussen können.“150 Ebenfalls erkennt Peter Monien, Existenzgründungsberater sowie Coach und Juror des MBPW, die Problematik, eine Zukunft deren Morgen wir nicht kennen, trotzdem mit einem verlässlichen Annahmensystem zu bestimmen. Denn „[…] wenn von zehn vorher getroffenen Grundannahmen nur eine nicht stimmt, kann das dazu führen, dass das gesamte Geschäftsmodell umgestellt werden muss.“151 Genau aus dieser Notwendigkeit der Umstellung des Geschäftsmodells, aufgrund der Tatsache, dass im Vorhinein nicht alles bestimmt werden kann, folgt, dass „[…] das Planungsinstrument [der Businessplan, A.d.V.] nur am Tag des Schreibens gültig ist und dann schon wieder verändert werden muss […]“152. Es kann aber nicht die Lösung sein, alle erwarteten Veränderungen im Vorfeld im Plan schon zu berücksichtigen, denn minutiöses Planen führt nicht zur Reduktion von Unsicherheit. Auch die reine Nichtplanung, als Ersatz für die Planung, sehen die Experten als undifferenzierte Lösung und bevorzugen die 148 Dressel (2006), S. 5 Arndt (2006), S. 19 150 Dressel (2006), S. 6 151 Monien (2006), S. 12 152 Arndt (2006), S. 19 149 89 Kombination aus beidem. „Alles ist in Bewegung und nichts ist stabil, und in genau diesem Umfeld stellt der Plan das Grundgesetz dar, in dessen Korridor sich bewegt wird.“153 Grundgesetz und Handlungsspielraum „Das Leben holt die Planung ein.“154 Der Mix zwischen Methoden oder Automatismen sowie der bewussten Schaffung eines Korridors, in dessen Leitplanken flexibel gehandelt werden kann, scheint die überzeugte Antwort der Experten auf die alles bestimmende Unsicherheit zu sein. Anstelle einer dogmatischen Auslegung des Businessplans mit seinen Zielen glaubt Peter Dressel, dass es sich vielmehr um variable Zielsetzungen handeln muss. „Sie haben ja nicht ein einzelnes fixes Ziel, sondern es handelt sich in der Regel um eine Evolution.“155 Eine Evolution setzt voraus, dass der Plan in sich selbst flexibel ist und variieren kann. Diese Variation kann so weit führen, dass das gesamte Businessmodel umgestellt wird. Das bedeutet dann auch in der Regel die vollständige Zielrevision. Neben diesem Variationsanspruch an den BP gehen die Experten aber davon aus, dass ein verlässliches Fundament vorhanden ist. Nicht zuletzt deshalb, weil der VC nach wie vor den Businessplan als Kommunikationsmedium und Vergleichsinstrument verlangt. Der Planer wird „[…] nicht umhinkommen, die normalen Kriterien als Messlatte anzulegen.“156 Meist scheint aber ein Grundstock an festgesetzten Kriterien und den dazugehörigen Methoden dem Anspruch des VC nicht genüge zu tun. Stattdessen greift der VC verstärkt auf bewährte Automatismen zurück, die sich aber letztendlich als Kontroll- und Eingriffsversuche in den Planungskorridor des Businessplaners enttarnen. So fordert der VC beispielsweise die Aufnahme eines Realisierungsfahrplans im Businessplan, der dem Planer im eigentlichen Sinne eine Hilfestellung in der Ausprägung einer zeitlichen Strukturierung seines Vorhabens geben soll. Tatsächlich kommt es aber oft durch die Anwendung des Meilensteinkonzepts, „[…] das bis zu einem gewissen Punkt bestimmte Resultate vorschreibt [, aber, A.d.V.] bei nicht Erreichen den sofortigen Ausstieg [des VC, A.d.V.] zur Folge hat […]“157, zu einer fragwürdigen Einschränkung des Planers und seines Handlungsspielraums. Am Unternehmensbeispiel ‚Call a Bike’ lassen sich die möglichen Konsequenzen eines solchen Eingriffs erkennen: 153 Arndt (2006), S. 19 Monien (2006), S. 12 155 Dressel (2006), S. 6 156 Monien (2006), S. 15 157 Dressel (2006), S. 5 154 90 Der VC der Geschäftsidee ‚Call a Bike’ versagte dem Gründer Christian Hogl bereits nach dem Ablauf der ersten Saison weitere Investitionen. Durch Anschlussinvestitionen hätte die Schlechtwetterphase möglicherweise überbrückt werden können und das Unternehmerteam hätte eventuell eine Konsolidierung des Geschäftsmodells realisiert. Für eine Optimierung auf der Basis von Erfahrungswerten ließ der zu früh gesetzte Meilenstein, mit dem Anspruch den Break-Even zu erreichen, keine Zeit. Heute zeigt die Deutsche Bahn AG, dass die Geschäftsidee durchaus Erfolgspotential hat. Natürlich wird an dieser Stelle nicht der Anspruch erhoben, den alleinigen Grund des vorläufigen Scheiterns von ‚Call a Bike’ identifiziert zu haben, aber dennoch hatte diese Entscheidung weitreichende Auswirkungen. Es geht also nicht primär um die hier beschriebene Entscheidung mit ihren Ausprägungen als solche, sondern um die Tatsache, dass der Planer mit diesem Eingriff in seiner Planungsfreiheit beschränkt und somit entantwortet wurde. Dies bedeutet wiederum nicht, dass der Planer ohne jegliche grundlegende Absprachen willkürliche Handlungsfreiheit genießen soll. Trägt aber der Gründer die vollständige Verantwortung für seine im Planungskorridor getroffenen Entscheidungen allein, so verspricht dies die besseren Aussichten auf adäquate Reaktionen gegenüber Umweltveränderungen. Die vorher besprochene Zielrevision befindet sich damit in einer problematischen Grauzone, da sie nicht Bestandteil des Korridors im Sinne einer uneingeschränkten Handlungsfreiheit des Planers ist, sich aber aus den getroffenen Entscheidungen innerhalb diesem ergeben kann. Je schmaler der vereinbarte Korridor innerhalb des Businessplans definiert ist, desto wahrscheinlicher wird durch eine Veränderung der Umweltbedingungen die Zielabweichung eintreten, da die Variantenvielfalt innerhalb des Handlungsspielraums und somit die Reaktionsmöglichkeiten des Planers geringer werden. Wie auch die Expertenstimmen unterstreichen, ist eine Variation in der Planung unumgänglich. Der VC muss sich bewusst sein, „[…] dass sich die Businesspläne von den Teams, die an den Start gegangen sind und gegründet haben, zu einem großen Teil durch einen Prozess stark verändert haben, und nicht mehr der ersten Variante entsprechen.“158 Es gilt deshalb zu überlegen, inwieweit der VC diese Veränderung determinieren will, oder die Freiheit der Entscheidung beim Planer lässt. In Anbetracht dessen, dass die Legitimation des Plans in erster Linie an Kenngrößen festgemacht wird, und allein die Rendite auf unterschiedlichste Weise berechnet werden kann, geht die Frage einher, ob die Kenngrößen in einem vielfältigen System aussagekräftig genug sind, und sich der VC auf diese als Steuerungsinstrument berufen sollte. Werner Arndt widerspricht sofort, denn „[…] es gibt 25 Wege, diese Rendite zu berechnen, und mindestens genauso viele Formeln, aber ich entscheide nach meinem Bauch. Bauch 158 Arndt (2006), S. 19 91 bedeutet Individuum, und es zählt der Faktor Mensch, der vielleicht fernab aller Regeln entscheidet.“159 Anscheinend treten nicht nur beim Gleitschirmpiloten, sondern auch beim Businessplanbewerter nach dieser Aussage Rationalität gegenüber dem Bauchgefühl in den Hintergrund. Auch Karl Weick behauptet, dass Rationalität den Menschen als ein „[…] Ideal oder Ziel dient, […aber, A.d.V.] hinter verschlossenen Türen Freiräume […genutzt werden, A.d.V], um nicht-rational zu handeln.“160 Gerade mit diesem Handeln werden Angleichungen und Anpassungen an die Umwelt vollzogen. Wie Werner Arndt bereits angeführt hat, steht das Bauchgefühl für das Individuum, also den Faktor Mensch. Es wäre also fahrlässig, dessen Bedeutung im Businessplanprozess nicht weiter zu betrachten. Kenngrößen und Soft-Skills Nach der Konzeption von Businessplanwettbewerben steht, wie der Name schon sagt, der Businessplan im Vordergrund. Die Idee wird eingereicht, bewertet, und die Schreiber hoffen auf ein erfolgreiches Funding, nämlich durch die Zusage von Wagniskapital. Dieser Weg lässt auf den ersten Blick die Verfasser, bis auf den vergleichsweise kleinen Abschnitt ‚Unternehmerteam’, in den Hintergrund rücken. Tatsächlich besteht auch die Möglichkeit außerhalb von Wettbewerben Businesspläne direkt und ohne persönlichen Kontakt bei VC einzureichen. Interessanterweise zeigt Peter Monien auf, dass auf diesem Wege „[…] nur eine verschwindend geringe Anzahl von eingereichten Businessplänen zum Funding […]“161 kommen. Gleichzeitig fügt er an, dass Ideen, die über persönliche Verbindungen und Netzwerke an die VC getragen werden, die größeren Chancen auf die Zusage von Wagniskapital haben. Seine persönlichen Erfahrungen sind noch drastischer. „Ein befreundeter VC hat mir erst vor kurzem erzählt, dass in den letzten drei Jahren kein Businessplan, der über deren Webseite eingereicht wurde, zum Funding kam. Ähnlich geringe Aussichten gebe es wohl auch bei anderen VC.“162 Diese Aussage ist insbesondere in Anbetracht der umfassenden Ausführungen im Feld der Businessplanthematik dramatisch. Zur Erinnerung seien nur die umfangreichen Erstellungshilfen zu Plänen in der Literatur, aber auch ein großer Teil, der in dieser Arbeit zugrunde gelegten wissenschaftlichen Fundamente, genannt. Die Anzeichen, dass der Faktor Mensch die Messlatte im Businessplanprozess ist und diesen zur Formalität degradieren könnte, verdichten sich. 159 Arndt (2006), S. 18 Weick (2001), S. 124 161 Arndt (2006), S. 11 162 Monien (2006), S. 11 160 92 Die Verschiebung der bisher vermuteten Relation wird erneut von Peter Monien gestützt. „Eine sehr gute Idee und ein mittelmäßiges Unternehmerteam werden kein Funding bekommen, während eine [nur, A.d.V.] gute Idee mit einem exzellenten Team unterstützt wird.“163 Hier wird deutlich, dass das Team gegenüber dem Plan eine übergeordnete Rolle spielt, wenn auch auf den Plan nicht verzichtet werden kann. Selbst hervorragende Businesspläne wurden bereits vor der MBPW-Jury abgelehnt. Ausschlaggebend dabei war, dass schon bei den ersten persönlichen Kontakten zwischen dem Unternehmerteam und der Jury kein Vertrauensverhältnis entstehen konnte, und dem Team die erforderlichen Potentiale für eine erfolgreiche Umsetzung der Idee nicht zugesprochen wurden. Zusammenfassend bringt es der Geschäftsführer des MBPW auf den Punkt: „Der Plan alleine taugt nichts.“164 Die eingangs formulierte Überlegung, dass eine dualistische Substitution der Paradigmen nicht zielführend sein kann, wird durch die Expertenstimmen bestätigt. Deutlich wurde, dass diese ausgehend von der Unsicherheit aller Prognosen eine Denkweise des ‚Sowohl-als-auch’ priorisieren. Dies zeichnet sich in der Annahme ab, dass eine Kombination aus einem Fundament im Sinne von für VC und Gründer allgemeingültige Referenzmuster auf der einen Seite und einem variabel zu gestaltenden Handlungskorridor auf der anderen Seite, richtungsweisend ist. Die Herausforderung liegt also darin, das richtige Maß im ‚Sowohl-als-auch’ zu finden. Dies wird allerdings erst dadurch möglich, indem der Mensch als handelnder Akteur dem Dogmatismus des Plans an sich übergeordnet wird und somit die Verantwortung erhält, selbstständig und losgelöst von Kontroll- und Handlungseingriffen des VC zu entscheiden. 5.4 Gleitschirmfliegend Businesspläne schreiben? Das zugrunde gelegte Plausibilitätsparadoxon war für dieses Kapitel Ausgangspunkt und schuf gleichzeitig die Motivation, die Thematik weiter zu vertiefen. Vorgehensweise war dabei, über den themenfremden Bereich des Gleitschirmfliegens den Mut zu finden, sich aus der verfahrenen Situation des Paradoxons zu lösen und neue Sichtweisen für die letztendlich gleiche Ausgangsproblematik zu eröffnen. Es hat sich dabei herausgestellt, dass der Gleitschirmflieger in seiner komplexen Umwelt seinen Weg gefunden hat, mit dieser Unsicherheit umzugehen. In einer Gegenüberstellung zur Businessplanthematik haben sich aber stark unterschiedliche Gegenpole identifizieren lassen. Mit dem Anspruch keine dualistische Übersetzung anstellen zu wollen, wurden 163 164 Monien (2006), S. 10 Arndt (2006), S. 20 93 Experten befragt, die den Weg bereiten und aufzeigen, wie der Umgang mit Komplexität und Unsicherheit auf die Businessplanthematik übertragen werden kann. Die eingangs gestellten und wiederholt aufgegriffenen Fragen erhalten unter der hergeleiteten Sichtweise einen ganz anderen Stellenwert, die impliziert, dass Komplexität eine Unsicherheit erzeugt, die auch mit Hilfe von Prognose und Planung nicht zu reduzieren ist. Wird diese Sichtweise akzeptiert und konsequent weitergeführt, so muss man zugeben, dass es sich unter der bisherigen Betrachtungsweise um prinzipiell unbeantwortbare Fragen handelt. Dies folgt daraus, dass für eine Beantwortung der eingangs gestellten Fragen wiederum auf der Basis konstruierter Wirklichkeiten Annahmensysteme gebaut werden müssten, wobei der Anspruch einer Problemlösung auf deren Basis, nach allen bisherigen Ausführungen, doch sehr bedenklich erscheinen würde. Unter der bisherigen Haltung ist der Businessplan nicht in der Lage, zukünftige Geschäftsmodelle zu plausibilisieren. Seine Anwendung generiert nicht automatisch Mehrwerte für alle beteiligten Parteien, sondern kann sich sogar belastend auf deren Beziehungen auswirken. Unter einer anderen Betrachtungsweise verliert er aber durchaus nicht seine Legitimation. Allein das Bewusstsein, zu sehen, dass wir nichts sehen, ist ein fundamentaler Gewinn. Doch nachhaltige „[…] Lösungen für komplexe Probleme entstehen durch Wissens-, Erfahrungs- und Interessenvielfalt, die in einem dialogisch geführten Diskurs zu einer höheren Qualität von Lösung verdichtet werden.“165 Unter diesem Anspruch stehen auch die nachfolgenden Ausführungen, die den Versuch unternehmen, einen Beitrag zur Diskussion zu leisten, wenn auch ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es zeichnet sich ab, dass bei dem Versuch, eine synthetische Kombination zu kreieren, der Mensch die entscheidende Rolle spielt. Der Appell dieser Arbeit liegt deshalb darin, den Menschen im Businessplansprozess so zu platzieren, dass sein Potential vollständig zur Geltung kommen kann. Der Anteil an bestehenden Referenzmustern als Grundgesetz muss aus Sicht der Autoren zu Gunsten des eigenverantwortlichen Handelns von Gründern geringer gewichtet werden. Der Komplexitätsmanager mit Stoff und Leinen - der Gleitschirmpilot - stellte uns eine interessante Kombination zwischen diesen Anteilen vor, wie auch die Experten bestätigen. Der Gleitschirmflieger lebt die angedeuteten Erkenntnisse der Experten in seiner deutlichsten Ausprägung. Nach Meinung der Autoren imponiert der Gleitschirmpilot mit drei grundlegenden Einstellungs- und Verhaltenscharakteristiken: 165 Wüthrich (2005), S. 299 94 · Akzeptanz der Komplexität und Unsicherheit ohne Anspruch, diese reduzieren zu wollen · Selbstverantwortete flexible und angepasste Reaktion auf seine Umwelt innerhalb eines weitgesteckten Korridors · Dominante Gewichtung seiner selbst als Komplexitätsmanager Auch wenn die Experten dies im Wesentlichen als erfolgsentscheidende Faktoren im Businessplanprozess erkennen, wirkt dennoch die Mächtigkeit der Rahmenbedingungen durch die dogmatische Auslegung des Businessplans entgegen. Eine Handlungsempfehlung könnte damit lauten: Gleitschirmfliegend Businesspläne schreiben! Übertragen bedeutet dies, dass die Anspruchsgruppen erkennen müssen, dass sie mit ihrer Forderung, Unsicherheit in einer unsicheren Welt zu reduzieren, Gefangene ihrer eigenen Reflexe sind. Das vermeintliche Ordnen der Welt durch methodische Planungskniffe versagt ihnen vielmehr die Möglichkeit, mit einer gesteigerten Varietät auf ihre Umwelt zu reagieren und so zu einer höheren Qualität der Lösung zu kommen. Stattdessen muss dem Gründer zuerkannt werden, dass er längst - noch bevor er in den Businessplanprozess einsteigt - die Motivation besitzt, für sein kreatives Handeln die Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Ziel einer Unternehmensgründung muss zusätzlich davon ausgegangen werden, dass er längst den Korridor konstruiert hat innerhalb dessen er sich, mit dem Ziel seine Vision zu erreichen, orientiert. Ausgehend von diesem neuen Menschenbild wird deutlich, dass der Zwang zur Reduktion, ausgelöst durch das stringente Verfolgen von Planungsschemata, die Option einer angepassten Reaktion behindert. Der Gründer darf nicht bloß Passagier sein, sondern muss die Steuerleinen selbst in die Hand nehmen, um wie der Gleitschirmflieger die Möglichkeit zu haben, eigenverantwortlich in seinem Handlungskorridor zu agieren. Der Gründer muss also als Komplexitätsmanager im Mittelpunkt stehen. Konkret könnte es also für den Businessplanprozess mehrwertschaffend sein, wenn die unterstützenden Kräfte um den Gründer, seien es Juroren, Coaches oder der VC, ihren Wahrheitsanspruch an die Referenzmuster zugunsten einer Ermächtigung des Unternehmers zurückstellen. Nach der Meinung der Autoren kann dieses Loslassen und Zurücktreten im Steuerungsprozess nur auf einer Basis geschehen - dem zwischenmenschlichen Vertrauen - oder mit den Worten von Heinz von Foerster ausgedrückt: 95 „Wäre es nicht möglich, so denke ich manchmal, den Verweis auf die Wahrheit durch die Idee des Vertrauens zu ersetzen?“166 166 Foerster/Pörksen (1998), S. 34 96 Literaturverzeichnis Adam, Dietrich (1983): Kurzlehrbuch Planung, Mit Aufgaben und Lösungen; 2., grundlegend überarbeitete Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 1983 Adam, Dietrich (1992): Planung und Entscheidung, Modelle – Ziele – Methoden, Mit Fallstudien und Lösungen; 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 1992 Aerolas (1997): Vorbild USA belegt Dynamik einer neuen Gründerkultur, o.V.; http://www.aerolas.de/de/main/mbpw.htm, München, 17. Juni 1997, Abruf am 18. 05. 2006 Ansoff, H. Igor (1966): Management-Strategie; Verlag Moderne Industrie, München 1966 Arnold, J. 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