Hoffnung geben und praktisch unterstützen

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Wissen Psychosoziale Begleitung bei HIV und Kinderwunsch
Hoffnung geben und praktisch unterstützen
Viele Menschen haben den Wunsch eine Familie zu gründen. Auch
Menschen mit HIV. Daraus ergeben sich verschiedene Fragen und Notwendigkeiten für die
Begleitung der Frauen und Familien vor und nach der Geburt; medizinische und psychosoziale
Faktoren beziehungsweise besondere Voraussetzungen müssen berücksichtigt werden.
www.xxelle-nrw.de
Anja Wolff, Christine Weißkopf
Eine HIV-Diagnose kann eine dauerhafte
Belastung für die seelische Gesundheit sein,
denn HIV betrifft Gesundheit, Körper, Arbeit, soziale Beziehungen, Selbstverständnis,
Identität, Psyche, Verhalten, Partnerschaft,
Sexualität, Kinder, Elternschaft … Eine gut
begleitete Schwangerschaft bei einer HIVpositiven Frau kann durchaus Hoffnung
geben und Lebenssinn stiften. Andersherum
nehmen soziale, psychische und kulturelle
Aspekte erheblichen Einfluss auf den Umgang mit der Infektion: Krankheitsverständnis, religiöse und kulturelle Überzeugungen,
Bildung, psychische Gesundheit, familiäre
und soziale Bindungen, Sprachkenntnisse,
Rolle der Frau, wirtschaftliche Ressourcen,
Zugang zum Gesundheitswesen und das Sexualverhalten.
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Hebammenforum 10/2013
Kinderwunsch und
Schwangerschaft
HIV-positive Frauen im reproduktionsfähigen Alter sollten möglichst auf »nicht fruchtschädigende« antiretrovirale Medikamente
eingestellt werden, da grundsätzlich die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht. Abhängig von möglichen Resistenzen der HIViren und der individuellen Verträglichkeit
sollten die Medikamente angepasst werden.
Bei Kinderwunsch helfen eine intensive
Beratung und Begleitung durch kompetente
Schwangerschaftsberatung, Gynäkologinnen/Gynäkologen und Aidshilfen bei der
Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft. Gemeinsam mit Familienhebammen können Schwangere bei der Bewältigung praktischer Probleme unterstützt werden: zum Beispiel bei Anträgen auf Hilfen in
finanziellen Notlagen, Kindergeld und Elterngeld, bei der Wohnungssuche und bei
Behördenkontakten.
Bei Frauen, die während der Schwangerschaft eine HIV-Erstdiagnose erhalten,
wird in der Regel ab der 28. bis spätestens 32 . Schwan­gerschaftswoche eine antiretrovirale Therapie nach den Leitlinien der
«Deutsch-Österreichische Empfehlungen
zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft
und bei HIV-exponierten Neugeborenen«
eingeleitet, um die Übertragung der HIV
Infektion von der Mutter auf das Kind zu
verhindern. Da sich das Immunsystem des
Kindes ab der 20. Schwangerschaftswoche
bildet, kann auch schon früher eine Therapie
eingeleitet werden. HIV infiziert bestimmte
Zellen des Immunsystems und bei einer
frühzeitigen Kenntnis der Infektion der Mutter kann mit einer früheren Medikamentengabe eine mög­liche Infektion verhindert
werden. Ein früherer Therapiebeginn beinhaltet immer die Gabe von Medikamenten,
die nicht fruchtschädigend sind. Selbst kurz
vor oder während der Geburt kann noch mit
einer antiretroviralen Therapie begonnen
werden, das Risiko für eine Übertragung ist
dann allerdings höher als bei einem früheren
Therapiebeginn.
Auf eine invasive Pränataldiagnostik wird
in der Regel verzichtet, um das zusätzliche
Risiko einer intrauterinen Infektion zu vermeiden. Je nach Begleitung, Therapie und
medizinischem Setting kann sich eine Frau
für eine natürliche Geburt oder eine Sectio
entscheiden.
Weitere Risikofaktoren
Bei Mehrlingsgeburten besteht ein erhöhtes
Frühgeburtsrisiko, zusätzlich steigt dies auch
durch die HIV-Medikation.
Frauen mit zusätzlichen medizinischen
Komplikationen wie Diabetes und anderen
chronischen Erkrankungen werden intensiver begleitet und eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit ist notwendig.
Psychische und/oder Suchterkrankungen
gelten als weitere Risikofaktoren, die eine intensivere Begleitung notwendig machen. Hier
ist eine enge Zusammenarbeit mit der Suchthilfe, Fachärztinnen/-ärzten und Kliniken
erforderlich. In der Regel ist eine so genannte
Helferkonferenz sinnvoll und vorgesehen,
bei der alle Beteiligten des Hilfesystems die
Hilfsangebote koordinieren und abstimmen.
Dabei hat das Jugendamt häufig die letzte
Entscheidung zur Sicherung des Kindeswohls
(nach §8 KJHG und §86 c SGB VIII).
Soweit Familienhebammen im Sektor verfügbar sind, empfiehlt sich deren Einsatz, da
sie andere Zeitkapazitäten haben als reguläre
Hebammen, die dem möglichen höheren
Bedarf angepasst werden können und somit
auch stabilisierend wirken.
Psychosoziale Begleitung bei HIV und Kinderwunsch Wissen
Nach der Geburt
Abhängig von den örtlichen Voraussetzungen im klinischen Bereich, den Erfahrungen
der Mediziner(innen) und den Leitlinien
werden die Kinder entweder zehn Tage intravenös oder zirka zwei bis vier Wochen oral
mit Zidovudin (Retrovir®) behandelt, um
eine Mutter-Kind-Transmission zu vermeiden. Die Leitlinien werden sich jedoch zum
neuen Jahr ändern; Zidovudin wird dann
nicht mehr als Monotherapie empfohlen,
auch keine intravenöse Gabe, da sich an der
Einstichstelle das Risiko für eine weitere
Infektion des Babys erhöht.
Bei der oralen Gabe ist es wichtig, den
Müttern einen Stundenplan an die Hand
zu geben und zu erklären, dass es wichtig ist
die Zeiten einzuhalten, damit der Medikamentenspiegel immer annähernd gleich hoch
bleibt. Viele Mütter haben Schwierigkeiten,
ihr Kind für die Einnahme der Medikamente zu wecken. Kann die Mutter eine regelmäßige Medikamentengabe nicht gewährleisten, ist es sinnvoll, einen Kinderpflegedienst einzubeziehen. Dies ist zum Beispiel
notwendig bei Müttern mit mangelnder
Einsicht in die Behandlungsnotwendigkeit
des Kindes. Bei einer Suchtproblematik entscheidet das Jugendamt nach einer einzuberufenden Helferkonferenz, ob das Kind nach
Hause entlassen werden kann.
Der DHV empfiehlt einen Stillverzicht, da
es für Deutschland kaum gesicherte Daten
gibt, die ein Stillen HIV-positiver Mütter
trotz der Medikamentenspiegel in der Muttermilch als ungefährlich ansehen. In Ländern mit einer hohen HIV-Prävalenz kann
Stillen sinnvoll sein – allemal sicherer als mit
unsauberem Wasser zubereitete künstliche
Babynahrung.
Testungen des Kindes erfolgen in regelmäßigen Abständen nach der Geburt, nach
6 Wochen und 18 Wochen, vierteljährlich im
ersten Jahr und dann halbjährlich. Spätestens
nach 18 Monaten kann eine Infektion des
Kindes mit großer Sicherheit ausgeschlossen
werden, wenn die Tests negativ sind.
Für alle Beteiligten besteht eine Schweigepflicht über die HIV-Infektion der Mutter.
Dies bedeutet, dass weder im Mutterpass
noch im Untersuchungsheft des Kindes ein
offensichtlicher Vermerk enthalten sein darf,
der zur Stigmatisierung beitragen könnte.
Eine Verschlüsselung, zum Beispiel nach Behandlungsziffer, ist aussagekräftig genug.
Frauen mit Migrationshintergrund
Bei Frauen mit Migrationshintergrund empfiehlt sich eine zusätzliche Unterstützung
durch eine Hebamme mit entsprechendem
kulturellem Hintergrund oder entsprechender Kultursensibilität und passenden Sprachkenntnissen.
Frauen, die von Abschiebung bedroht
sind, haben drei Monate vor bis drei Monate
nach der Geburt einen Abschiebeschutz. Üblicherweise werden HIV-positive Mütter mit
ihren Kindern während der ersten 18 Lebensmonate des Kindes nicht abgeschoben. Auch
hier kann mit der Sicherung des Kindeswohls
nach den § 88 und § 86 c SGB III argumentiert werden, bis sicher bestätigt werden
kann, dass das Kind HIV-negativ ist. Die
Entscheidung liegt aber letztlich im Ermessen des zuständigen Ausländeramts.
Bei Frauen, die sich illegal im Land aufhalten, besteht die Möglichkeit, die Schweigepflicht des Arztes auf das Sozialamt zu
übertragen und so den Bezug von Leistungen
zu ermöglichen. Das Sozialamt steht dann
ebenfalls unter Schweigepflicht dem Ausländeramt gegenüber, damit eine Auslieferung
in dieser Notsituation abgewendet werden
kann. Diese sind dann allerdings auf lebensnotwendige medizinische Versorgungsleistungen beschränkt. Hebammenbetreuung
fällt in der Regel nicht darunter und müsste
gut begründet werden. Mehr Informationen
dazu gibt es zum Beispiel bei Pro Asyl und
der Medizinischen Flüchtlingshilfe.
Infos und weitere Hilfen
Für Fragen und Vermittlung weitergehender
Hilfen stehen die Mitarbeiterinnen der Aidshilfen ebenfalls zur Verfügung. Außerdem
können Informationen unter www.xxelleruhrgebiet.de oder bei der Aidshilfe NRW
unter www.xxelle-nrw.de abgerufen werden.
Anja Wolff, Dipl.-Pädagogin, Beratung/Begleitung,
Aidshilfe Bochum. Kontakt: Aidshilfe Bochum e.V.,
Harmoniestr. 4, 44787 Bochum, Tel. (0234) 519 19,
[email protected]
Christine Weißkopf, Dipl.-Pädagogin,
XXelle Frauen, AIDS-Hilfe Essen e.V..
Kontakt: AIDS-Hilfe Essen, Varnhorststr. 17,
45127 Essen, Tel. (0201) 105 37-00,
[email protected]
Wolff A, Weißkopf C: Hoffnung geben und praktisch
unterstützen. Hebammenforum 2013; 14: 938-939
10/2013 Hebammenforum
939
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