Brauchen wir ein anderes Weltwährungsregime?

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ZEITGESPRACH
Brauchen wir ein
anderes Weltwährungsregime?
Seit der Einführung des Euro im Jahre 1999 verfiel sein Wechselkurs insbesondere
gegenüber dem Dollar und dem Yen entgegen allen Erwartungen und im Widerspruch
zu den Fundamentaldaten. Ist die Abwertung des Euro eine Folge von Ineffizienzen
des Devisenmarktes? Brauchen wir ein anderes Weltwährungsregime?
Wolfgang File
Devisenmärkte brauchen stabilisierende Regeln
W
as ist der richtige, gar gleichgewichtige Wechselkurs des
Euro gegenüber US-Dollar, Yen
oder Pfund Sterling? Niemand
kann das wissen, aber viele äußern sich präzise zu dieser Frage.
Immer wieder ist von einem gewaltigen Aufwertungspotential des
Euro die Rede, es werden Zahlen
über angemessene Euro-Kurse
herumgereicht, geht es noch einmal nach unten, dann ist von
Attacken auf neue Widerstandslinien die Rede. Man gewinnt den
Eindruck, es werden Schlachten
geschlagen und kommentiert.
Sehr ernst zu nehmen ist das alles nicht. Der Euro ist eine Finanzinnovation, die sich am Markt
durchzusetzen hat. Europa hat seit
Anfang .1999 ein neues monetäres
Regime, das sich bewähren und
Reputation aufbauen muß. Beides
bedarf Zeit. Europa hat Erfahrungen mit monetären Neuerungen
gesammelt. Als im März 1979 das
EWS in Kraft gesetzt wurde, waren
die Leitkurse weit von Gleichgewichtswerten entfernt. Es bedurfte
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
lange Zeit, bis sich ein Netz von
Leitkursen herausbilden konnte,
das über Jahre hinweg und nicht
allein für einige Monate tragfähig
war. Warum sollten sich augenblicklich nach Start der Währungsunion starre Kurse des Euro gegenüber den Währungen großer Industrieländer herausbilden, und das
auch noch ohne jede Regel oder
Orientierungsgröße für Wechselkurserwartungen, wie im damaligen EWS, sondern im, wie man
sagt, freien „Spiel" der Marktkräfte
bei vollständiger Wechselkursflexibilität? Ja, es wird mit Devisen gespielt. In Europa war man das
Spiel leid geworden, deshalb hatte
man sich für einen einheitlichen
Währungsraum entschieden. Jetzt
hat sich das Devisenspiel verlagert, weg von D-Mark gegen Lira,
hin zu Euro gegen Dollar und Yen.
Wie lange noch wird man diesem
Spiel tatenlos zusehen?
Der Euro hat keine Vergangenheitserfahrung. Das Berechnen irgendwelcher hypothetischer und
vermeintlich angemessener Euro-
Kurse auf der Grundlage der
Kaufkraftpapritätentheorie vergeudet Zeit. Frühere Unterschiede der
Inflationsraten zwischen Ländern,
die jetzt zur Eurozone gehören,
von 15 Prozentpunkten und mehr
sind Vergangenheit. Damals war
die Kaufkraftparitätentheorie in ihrer absoluten Fassung ein wichtiger Maßstab, um die Bewertung
nationaler Währungen nationaler
Wirtschaftsräume zu beurteilen.
Euroland ist gegenüber der Welt
für den Außenhandel und den internationalen Kapitalverkehr aber
ein homogener Wirtschaftsraum.
Für international handelbare Güter
der elf Länder der Eurozone kann
es nun nur noch einheitliche Preise
geben, bleiben Transaktionskosten und Unvollkommenheiten des
Marktes unberücksichtigt. Das
künstliche und rückwärts gerichtete Zusammenfügen handelsanteilsgewichteter Preisindizes der
Länder der Eurozone, um kaufkraftparitätisch angemessene Euro-Kurse zu ermitteln, vermag deshalb keine klärenden Einsichten für
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ZEITGESPRACH
die Gegenwart zu erzielen. Nein,
einen verläßlichen Maßstab zur
Beurteilung des absoluten Kursniveaus des Euro gibt es derzeit
und für die nächsten zwei, drei
Jahre nicht.
In Europa mußten Erfahrungen
mit der Geldpolitik unabhängiger
Zentralbanken bei festen Wechselkursen gewonnen werden. Es hat
lange gedauert, bis akzeptiert wurde, daß feste Wechselkurse, weitgehende Freizügigkeit für den internationalen Kapitalverkehr und
autonome Geldpolitik von fünfzehn Zentralbanken der EU, allein
nach nationalem Gusto und an
Staatsgrenzen orientiert, nicht zusammenpassen. Nach dem Start
der Währungsunion sind in den
drei großen Währungszonen der
Welt - USA, Euroland und Japan ähnliche Erfahrungen mit dem
neuen monetären Regime zu gewinnen. Über das Potential des
Euro an den Finanz- und Devisenmärkten als Gegenposition zum
Dollar gibt es über Vermutungen
hinaus nichts, was eine in Zahlen
konkretisierbare Aussage über einen angemessenen Euro-Kurs erlaubt. Übergangsphasen sind ein
unsicheres Terrain. Bei Unsicherheit ist jeder gut beraten, sich eines Kooperationspartners zu versichern. Über den Atlantik, ja
selbst über den Ärmelkanal hinweg, ist aber die Einsicht noch
nicht vermittelt worden, daß internationale Kooperation der Wirtschaftspolitik und damit auch der
Geld- und Währungspolitik allen
Beteiligten dient, wenn sich selbst
überlassene Devisenmärkte nicht
stets zu effizienten Lösungen gelangen.
Optimale internationale
Allokation
Ist also alles gut wie es ist, weil
es Marktergebnisse sind? Ist jeder
Kurs des Euro hinzunehmen, weil
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er von den Marktteilnehmern bewertet und deshalb - so oder anders - notiert wird? Nein, nichts ist
gut, vieles läuft - wieder einmal in die falsche Richtung. Jede Bewertung bedarf eines Maßstabs.
Für den Devisenmarkt als Schaltstelle zwischen Märkten international handelbarer Güter und Leistungen und des Kapitals verschiedener Währungsräume ist zu
fordern, daß eine bei gegebenen
Preisen, Kursen und Renditen optimale internationale Allokation erreicht wird. Nur dann leisten Devisenmärkte einen Beitrag, um die
wirtschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.
Die Autoren
unseres Zeitgesprächs:
Prof. Dr. Wolfgang File, 56,
lehrt Volkswirtschaftslehre mit
dem Schwerpunkt Geld, Kredit und Währung an der Universität Trier. Er war unter
Bundesfinanzminister Lafontaine als Ministerialdirektor
Leiter der Abteilung Internationale Finanz- und Währungbeziehungen des Bundesministeriums der Finanzen in Bonn.
Prof. Dr. Hermann Remsperger, 50, ist Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank.
Dr. Klaus Friedrich, 61, ist Chefvolkswirt der Dresdner Bank
Gruppe; Dr. Armin Unterberg,
50, ist Direktor der Dresdner
Bank AG und Leiter des
Bereichs Grundsatzaufgaben.
Prof. Dr. Michael Frenkel, 45,
ist Lehrstuhlinhaber für VWL
mit dem Schwerpunkt Makroökonomie und internationale Wirtschaftsbeziehungen
an der Wissenschaftlichen
Hochschule für Unternehmensführung in Koblenz.
Kursänderungen am Devisenmarkt
sollten deshalb Ergebnis der Allokation sein, nicht selbst ursächlich
werden für internationale Kapitalbewegungen und den Außenhandel. Diese allgemeine Anforderung
ist zu konkretisieren. Die gegenwärtige Diskussion über Ursachen
der Abschwächung des Euro bietet hierzu Anschauungsmaterial.
Die vorherrschende Deutung
verweist auf Strukturprobleme in
der Eurozone, vor allem in
Deutschland. Konkret und in chronologischer Reihenfolge: Bundesfinanzminister Lafontaine, inflexibler Arbeitsmarkt, Finanzierung
des Systems der sozialen Sicherung, Holzmann AG, Übernahme
von Mannesmann durch Vodafone, Zwei-Säulen-Strategie der
EZB. Vieles mag auf den ersten
Blick plausibel erscheinen, weil jede Neuigkeit Wechselkurserwartungen irgendwie beeinflussen
kann, mit entsprechenden Kursbewegungen im Gefolge, ganz
gleich, ob Anforderungen an einen
für die internationale Allokation effizienten Devisenmarkt erfüllt werden oder nicht. Systeme der sozialen Sicherung in Europa, Probleme
eines Baukonzerns und ähnliches,
was an tatsächlichen oder vermeintlichen
Strukturproblemen
genannt wird - all das hat mit der
Bewertung international handelbarer Güter oder mit Bedingungen
der Lenkung von Kapital in Bereiche produktiver Verwendung
nichts zu tun.
Das System der sozialen Sicherung eines Landes ist kein international handelbares Gut, das am
Devisenmarkt zu bewerten ist.
Orientieren sich Wechselkurserwartungen und Wechselkurse dennoch an derartigen singulären
Sachverhalten oder Mutmaßungen, obgleich der allgemeine Preisauftrieb und Inflationserwartungen
sowie aktuelle und erwartete
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRACH
Renditen aus Finanzaktiva und
Sachkapital unberührt bleiben, so
muß es zu Fehlentwicklungen an
den Devisenmärkten kommen.
Dann ist die Wirtschaftspolitik gefordert - weniger die Strukturpolitik, vor allem die Währungspolitik.
Stetige Kursentwicklung
Größere Stabilität der Finanzmärkte und der internationalen
Kapitalbewegungen setzt eine stetige Kursentwicklung an den Devisenmärkten voraus, die sich an
monetären und realen ökonomischen Fundamentaldaten orientiert. Trennen sich Wechselkurstrends hiervon, so wird der Devisenmarkt Quelle gesamtwirtschaftlicher Fehlentwicklungen, löst außenwirtschaftliche und binnenwirtschaftliche Ungleichgewichte aus,
bewirkt Rezession und Arbeitslosigkeit oder Boom und Inflation,
kann das Finanzsystem eines
Landes schwer beschädigen.
Bei annähernd gleich hohem
Wirtschaftswachstum der Länder
sollten Wechselkurstrends an internationalen Inflationsdifferenzen
orientiert sein, die wiederum dem
Zinsgefälle zwischen Währungsräumen ungefähr entsprechen.
Dann sind die realen Wechselkurse
konstant, nominale Wechselkursänderungen gleichen Ertragsdifferenzen von Finanzaktiva aus, die
Kursentwicklung am Devisenmarkt
ist konjunkturneutral - neutral für
den internationalen Leistungsverkehr, für Wirtschaftswachstum,
Beschäftigung und Inflationsrate und kapitalverkehrsneutral. In diesem Fall reflektiert die Kursentwicklung Allokationsvorgänge. Umgekehrt stören Wechselkurstrends,
die sich vom internationalen Inflations- und Zinsgefälle lösen, die
gesamtwirtschaftliche Entwicklung, und sie erzeugen Spannungen, die später ruckartige Kurskorrekturen an den Devisenmärkten
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
und weitere
bewirken.
Fehlentwicklungen
Eine erhebliche reale Währungsabwertung wirkt in dem betreffenden Land oder Währungsgebiet wie eine subventionsgleiche Förderung der Güterausfuhr
und eine zollgleiche Belastung des
Imports. Der internationale Leistungsaustausch wird dann von
Wechselkursen dominiert, nicht
von der Qualität oder den Kosten
von Produkten. Hierfür gibt es
Beispiele:
D Im Europäischen Währungssystem fand Anfang 1987 eine umfassende Anpassung von Leitkursen statt. Danach bildete sich
bis 1992 eine wachsende reale
Abwertung der D-Mark und anderer Währungen im Kernbereich des
EWS gegenüber Peripherieländern
heraus. Die Folgen: Wirtschaftsboom und extreme Handelsbilanzüberschüsse im Zentrum, Wirtschaftsflaute und Rekorddefizite
des Außenhandels in der Peripherie, Krisen des EWS von 1992
und 1993.
D Der japanische Yen erfuhr in
drei Jahren bis 1996 eine reale
Aufwertung von 60%. Japan hat
sich von dem dadurch verschärften Konjunktureinbruch bislang
nicht erholt. Zudem legte das den
Keim für Finanzkrisen vieler Länder Südostasiens von 1997.
• Die Währungen der meisten
Länder Südostasiens, die 1997 in
Krisen gerieten, mußten innerhalb
von drei Jahren reale Aufwertungen in der Größenordnung von 20
bis 30% hinnehmen. Folglich passivierten sich die Leistungsbilanzen, die Auslandsverschuldung
wuchs, das endete in einem wirtschaftlichen Kollaps.
Die Kursentwicklung des Euro
wiederholt diese Deformationen
der Vergangenheit. Wenngleich es
gegenwärtig nicht möglich ist,
Gleichgewichtswerte des Euro ab-
zuleiten, steht eine reale Abwertung des Euro von 20 bis 25% gegenüber US-Dollar, Yen und Pfund
Sterling in krassem Mißverhältnis
zu gegenwärtigen und absehbaren
Fundamentaldaten - vor allem Inflations- und Zinsunterschieden.
Die Ergebnisse sind wie gehabt:
Exportboom der Eurozone, immer
wieder neue Rekorde von Defiziten
der Leistungsbilanzen in den USA
und in Großbritannien, mithin auch
Rekorde bei ihrer Auslandsverschuldung. Wiederholen sich die
Erfahrungen der Vergangenheit, so
ist es nur eine Frage der Zeit, bis
der Abwärtstrend des Euro eine
schlagartige Korrektur erfährt, mit
schweren güterwirtschaftlichen
Verwerfungen diesseits und jenseits des Atlantiks im Gefolge.
Wann wird man endlich lernen?
Ausgleich von Zinsdifferenzen
Wechselkursänderungen sollten
auch im Einklang mit internationalen Zinsdifferenzen stehen. Bei
globalisierten Finanzmärkten und
nahezu perfekter Kapitalmobilität
sollten internationale Zinsdifferenzen von Wechselkursänderungserwartungen kompensiert werden.
Dann ist es gleichgültig, ob Finanzaktiva eines Hochzins- oder
eines Niedrigzinslandes erworben
werden, weil die um Wechselkursänderungen bereinigten erwarteten Ertragsraten gleichhoch sind.
Nur bei Wechselkursillusion, also
der Auffassung, daß gegebene
Wechselkurse unverändert bleiben, kann es Abweichungen von
dieser Norm geben. Schwindet die
Wechselkursillusion, so kommt es
später zu um so drastischeren
Wechselkursanpassungen.
Auch hierfür gibt es Beispiele.
Seit Beginn der neunziger Jahre
waren aus Finanzaktiva Südkoreas
unter Berücksichtigung von Kursänderungen des Won gegenüber
dem US-Dollar weit höhere Erträge
329
ZEITGESPRÄCH
zu erzielen als an Märkten etablierter Industrieländer. So begann die
Finanzmarktkrise dieses Landes.
Die Entwicklung in Brasilien ab
1998 ist ein weiteres Beispiel für
diese Zusammenhänge.
Das Auseinanderlaufen von
Wechselkursänderungserwartungen, Wechselkursänderungen und
internationalen
Zinsdifferenzen
wurde auch für westliche Industrieländer nachgewiesen. Das ist
das „forward discount puz'zle".
Hochzinsländer locken ausländische Anleger mit der Verheißung
von Überrenditen, mit der Aussicht,
für einige Zeit zusätzliche Erträge
durch eine Währungsaufwertung
zu erzielen. Der internationale
Kapitalverkehr wird dann zu einer
vor allem spekulativen Angelegenheit, bestimmt von der Einschätzung, wann sich gesamtwirtschaftlich nicht fundierte Wechselkurstrends umkehren. Für Wechselkurse des Dollars gegenüber Währungen anderer Industrieländer ergibt sich immer wieder eine Abfolge von Über- und Unterbewertung, von Boom und Bust der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
in den verschiedenen Währungsräumen, bestimmt von realen
Wechselkursänderungen. Das gegenwärtige Spektakel um den
Euro ist hierfür ein erneuter Beleg.
Es ist deshalb ein riskantes Unterfangen, unter allen Bedingungen Preise und Renditen an Finanzmärkten einem „Autopiloten"
zu überlassen, der die Zukunft der
Weltwirtschaft zuverlässig steuern
soll. Für die Zinsentwicklung wird
das auch so gesehen, weil Zentralbanken durch das Festsetzen von
Zinssätzen für die Zentralbankgeldversorgung wesentliche Impulse auf das gesamte Zinsspektrum an monetären Märkten ausüben. Was die Kursentwicklung an
den Devisenmärkten angeht, wird
jedoch überwiegend kein Hand330
lungsbedarf
gesehen.
Diese
Asymmetrie ist eigentümlich, weil
ohne adäquate makroökonomische Konzeption, unter Einschluß
der Devisenmärkte und zwischen
den großen Währungsräumen abgestimmt, eine stabile internationale Finanzarchitektur nicht erreicht werden kann.
Institutionelle Regeln
erforderlich
Es bedarf passender institutioneller Regeln, um exzessive Volatilitäten sowie Fehlentwicklungen
von Wechselkurstrends zu vermeiden. Hierzu gibt es zwei Ansatzpunkte. Erstens sollten mögliche
Auswirkungen zinspolitischer Maßnahmen der Zentralbanken auf die
Wechselkursentwicklung stärker
beachtet werden. Zweitens sollte
den
Devisenmarktteilnehmern
Orientierung für eine mit dem gesamtwirtschaftlichen Umfeld der
großen Währungsräume verträgliche Kursentwicklung an den Devisenmärkten gegeben werden.
Diese Aufgabe könnte von den
Finanzministern und Notenbankgouverneuren der G 7-Länder,
möglicherweise ergänzt um internationale Institutionen wie den
IWF, wahrgenommen werden. Dieses Gremium sollte wechselkursrelevante Informationen sammeln,
auswerten und öffentlich interpretieren, also die Aufgabe eines
„Informations-Brokers" übernehmen. Das auf dem Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure der G 7-Länder vom
Februar 1999 aus der Taufe gehobene „Financial Stability Forum",
dessen Aufgabe die Überwachung
der MikroStruktur internationaler
Finanzbeziehungen ist, sollte deshalb von einem Makro-Forum ergänzt werden.
Bei scharfen Änderungen nominaler oder realer Wechselkurse
sollte dieses Gremium in öffentli-
chen Stellungnahmen die vollzogene Kursentwicklung kommentieren und, soweit erforderlich,
mögliche Reaktionen der Wirtschaftspolitik erläutern. Fehlt es an
klaren Orientierungen für das Herausbilden von Markterwartungen,
so bedarf es Leitplanken, um Erwartungen zu stabilisieren und an
ökonomische Fundamentaldaten
heranzuführen. Vor allem bei unklarer Informationslage können
glaubwürdige Erläuterungen eines
internationalen Gremiums mit hoher Reputation hierfür eine wichtige Orientierungshilfe bilden.
„System gestalteter
Wechselkursflexibilität"
Ein „System gestalteter Wechselkursflexibilität" könnte wie folgt
konzipiert werden:
D Für die Eingangsphase sind um
die aktuellen Wechselkurse obere
und untere Referenzwerte in einem
Abstand festzulegen, der einerseits Spielraum für notwendige
Anpassungen der Wechselkurse
als Reaktion auf geänderte Wirtschaftsdaten läßt, andererseits
aber rechtzeitig Konsultationen
zwischen den beteiligten Ländern
auslöst.
D Zudem sind Referenzwerte für
reale Wechselkursänderungen zu
bestimmen. Zu diskutieren ist die
Ermittlungsmethode. Unterschiedliche Verfahren der Deflationierung
von Wechselkursen gelangen zwar
zu übereinstimmenden Trendergebnissen - reale Auf- und Abwertung - aber zu unterschiedlichen Werten.
D Die Referenzwerte für nominale
und reale Wechselkurse sind öffentlich bekanntzugeben. Sie sollten in regelmäßigen Abständen
(z.B. halbjährlich) überprüft werden.
• Werden Referenzwerte erreicht,
sollten obligatorische KonsultatioWIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRÄCH
nen die Zentralbankgouverneure
und Finanzminister der beteiligten
Länder zu einer gemeinsamen
Interpretation der Entwicklung
und, wenn notwendig, zu einer abgestimmten Strategie mit dem Ziel
der Stabilisierung der Wechselkurse veranlassen. Interpretationen und möglicherweise als probat erwogene wirtschaftspolitische Maßnahmen sind zu veröffentlichen, um die Erwartungen
von Marktteilnehmern zu leiten.
Unter anderem mag gegen eine
derartige Konzeption vorgebracht
werden, daß Gleichgewichtswechselkurse schwer zu ermitteln sind,
insbesondere für den Euro als
Finanzinnovation. Das nicht befriedigend lösbare Problem, gleichgewichtige Wechselkurse zu bestimmen, stellte sich auch im EWS. Bei
seinem Start wurden deshalb die
Kurse des Vortags als Leitkurse
verwendet, weil sie Regierungen
und
Währungsbehörden
der
Teilnehmerländer als angemessen
erschienen. Analog hierzu sollten
die Referenzwerte bei gestalteter
Wechselkursflexibilität auf der
Grundlage aktueller Wechselkurse
festgelegt werden. Zudem erhalten
Gleichgewichte oder Ungleichgewichte am Devisenmarkt nur dann
Aussagekraft, wenn ihre Folgen für
andere Märkte, vor allem für Gütermärkte, Produktion und Beschäftigung beachtet werden. Die
Ergebnisse sind hierbei eindeutig:
Scharfe reale Wechselkursänderungen stören die internationale
Allokation von Gütern und Kapital,
lösen gesamtwirtschaftliche Deformationen und später ein drastisches Umschlagen von Wechselkurstrends aus.
Analogie zur
Geldmengensteuerung
Pragmatismus kennzeichnete
auch den Übergang zu einer geldpolitischen Konzeption, die auf die
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
Zuwachsrate der Geldmenge abzielt. Damals wurde nicht versucht,
zunächst die gleichgewichtige
Geldmenge zu bestimmen. Statt
dessen wurde der aktuelle Geldbestand unter Berücksichtigung
der für die Projektionsperiode voraussehbaren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung fortgeschrieben.
Um den so ermittelten Wert wurden „weiche" Grenzen für die angestrebte monetäre Expansion gezogen, also ein oberer und ein unterer Referenzwert festgelegt. Bei
dem Erreichen von Referenzwerten ergab sich keine Verpflichtung
für konkrete geldpolitische Maßnahmen, wohl aber zur Interpretation der monetären Entwicklung
und der sich daraus möglicherweise ergebenden Gefährdungen gesamtwirtschaftlicher Ziele. Diese
Praxis der Ableitung von Zielwerten für die monetäre Expansion zur
Stabilisierung von Finanzsystemen
und des Preisniveaus hat sich häufig als erfolgreich erwiesen. Es ist
nicht ersichtlich, warum eine vergleichbare Vorgehensweise bei der
Bestimmung von Referenzwerten
für Wechselkurse scheitern sollte.
Auch andere Elemente eines
„Systems gestalteter Wechselkursflexibilität" ähneln dem Konzept einer potentialorientierten
Geldmengensteuerung. Wichtigster Bestandteil ist ein verpflichtender Konsultationsprozeß zwischen Zentralbanken und Finanzministern der G 7-Länder. Anders
als bei festen Wechselkursen oder
in einem Zielzonensystem gibt es
dagegen keinen Zwang zu genau
definierten wirtschaftspolitischen
Maßnahmen, wenn Referenzkurse
erreicht werden. Verlangt aber wird
die Bereitschaft der größten Industrieländer der Welt, bei starker
Volatilität an den Devisenmärkten
oder erheblichen Wechselkursänderungen eine sorgfältige Analyse
der Ursachen vorzunehmen und
ihre Ergebnisse gemeinsam und
öffentlich zu interpretieren
Gelangen Analyse und Interpretation zum Ergebnis, daß die Kursentwicklung an den Devisenmärkten gerechtfertigt ist, etwa die reale Aufwertung einer Währung im
Zuge eines besonders starken
Wirtschaftswachstums
dieses
Landes, so sollte das erläutert
werden. Zudem könnten Referenzwerte für die Kursentwicklung angepaßt werden.
Institutionelle Globalisierung
Wenn das Gremium der Zentralbankgouverneure und Finanzminister dagegen Fehlentwicklungen an Devisenmärkten konstatiert, so sind weitere Aktionen einer erfolgversprechenden Währungskooperation erforderlich. Sie
reichen von gleichlautenden Erklärungen zur Neuorientierung der
Erwartungsbildung über abgestimmte zinspolitische Maßnahmen bis zu international koordinierten sterilisierten oder nicht sterilisierten Devisenmarktinterventionen, soweit dadurch die Preisstabilität nicht gefährdet wird. Alle
Maßnahmen sind allein daran zu
orientieren, zu verhindern, daß von
gesamtwirtschaftlichen Bedingungen und Perspektiven gelöste
Wechselkurserwartungen die Kursbildung am Devisenmarkt beherrschen und zu länger andauernden
Fehlentwicklungen führen.
Man mag darüber streiten, ob
der hier vorgeschlagene Weg
ausreichend und erfolgversprechend ist. Wie konkret vorzugehen
ist, um stabilere Währungsbeziehungen zu erreichen, ist eine Frage
der Durchsetzungsfähigkeit und
Zweckmäßigkeit. Zentral aber ist
es, in den Köpfen der für die internationale Wirtschaftspolitik Verantwortlichen zu verankern, daß
die marktmäßige Globalisierung
der Finanzbeziehungen wegen
mangelnder Effizienz von Finanz-
331
ZEITGESPRÄCH
markten eine flankierende institutionelle Globalisierung erfordert.
Notwendige strukturelle und deshalb mikroökonomisch orientierte
Reformen der internationalen Finanzarchitektur sind zu ergänzen
durch eine zwischen den großen
Wirtschafts- und Währungsräumen der Welt besser abgestimmte
makroökonomische
Stabilisierungspolitik. Beides ist durch ein
passendes internationales Orga-
nisationsdesign zu komplettieren.
Zusammengenommen kann es
dadurch gelingen, fundamental
falschen Wechselkursen präventiv
zu begegnen und sie nicht erst
nachträglich abzubauen.
Hermann Remsperger
Neues Weltwährungssystem nicht erforderlich
S
eit dem Zusammenbruch des
Bretton-Woods-Systems 1973
und den dabei gewonnenen Erfahrungen mit festen, aber anpassungsfähigen Wechselkursen wird
die Bestimmung der Kursrelationen zwischen den wichtigsten
Weltwährungen im Wesentlichen
dem freien Spiel der Märkte überlassen. Auf Grund der seither beobachteten kurzfristigen Wechselkursschwankungen und der zeitweise beachtlichen mittelfristigen
„Fehlbewertungen" von Währungen wurde die Entwicklung an den
Devisenmärkten mehr oder weniger kontinuierlich von der Diskussion um die Angemessenheit des
bestehenden Systems weitgehend
flexibler Wechselkurse und um
eine mögliche Rückkehr zu einer
stärkeren institutionellen Strukturierung der Währungsbeziehungen
begleitet. Während die Diskussion
über längere Strecken eher ein
Schattendasein abseits einer allgemeinen öffentlichen Beteiligung
führt, gewann sie zuweilen - und
meist im Zusammenhang mit stärkeren Wechselkursbewegungen,
wie beispielsweise Mitte der achtziger Jahre - deutlich an Intensität,
wobei sich die ausgetauschten
Argumente jedoch im Zeitablauf
nicht wesentlich veränderten.
Eine solche Wiederbelebung
der Debatte um die optimale Aus332
gestaltung des Weltwährungssystems kann auch in jüngster Zeit
wieder beobachtet werden. Ausschlaggebend hierfür ist zum einen
die Asienkrise, die von vielen
Beobachtern als durch die vorangegangenen Verschiebungen im internationalen Währungsgefüge zumindest mitverursacht angesehen
wird. Darüber hinaus erfuhr die
Diskussion auch durch die Einführung des Euro und die damit verbundene Erwartung einer beschleunigten Entwicklung hin zu
einem bi- bzw. tripolaren Weltwährungssystem Auftrieb. In den Augen vieler Kommentatoren gewann
die Frage dann in der Folgezeit zusätzlich an Dringlichkeit als die
junge europäische Währung während der ersten eineinhalb Jahre
ihres Bestehens zur Schwäche
neigte. Trotz niedriger Inflationsraten und geringer Inflationsdifferenzen gegenüber den USA und Japan hat sich der Euro von Anfang
1999 bis Anfang Juni diesen Jahres im Verhältnis zum US-Dollar
um 20% und gegenüber dem japanischen Yen um fast 25% abgewertet. Derartige Wechselkursbewegungen werden vielfach als unerwünscht angesehen und haben
den Ruf nach einer Verbesserung
der Funktionsweise des Weltwährungssystems durch eine entsprechende Umgestaltung laut werden
lassen.
In diesem Zusammenhang stellt
sich zunächst einmal die Frage, inwieweit vor allem die Entwicklung
des Euro seit seiner Einführung
tatsächlich eine Neubewertung
dieser Thematik erforderlich macht.
In Bezug auf kurzfristige Wechselkursschwankungen ist dabei festzustellen, dass die Volatilität monatlicher Veränderungsraten für
den Euro verglichen mit der vorangegangenen Erfahrung für die DMark bislang eher geringer ausgefallen ist. Empirische Untersuchungen haben darüber hinaus
gezeigt, dass kurzfristige Wechselkursschwankungen ohnehin - wenn
überhaupt - nur einen begrenzten
Einfluß auf die realen Bereiche der
Wirtschaft ausüben.
Aussagen über die erheblich
wichtigeren mittelfristigen Verzerrungen im Währungsgefüge sind
allgemein wesentlich schwieriger
zu machen. Durch den mit der
Einführung des Euro verbundenen
Regimewechsel und die damit einhergehenden möglichen Strukturbrüche in etablierten Beziehungen
zwischen Fundamentaldaten und
Wechselkursen gewinnt diese Aufgabe in der gegenwärtigen Situation noch einmal einige Grade an
Komplexität. Nähert man sich der
Vorstellung einer möglichen Fehlbewertung im Sinne der Kaufkraftparität durch die Betrachtung von
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRÄCH
Abweichungen des realen Wechselkurses von seinem längerfristigen Durchschnitt, so zeigt sich,
dass die gegenwärtige Wechselkurssituation in einigen Aspekten
durchaus von der historischen Erfahrung abweicht. So übersteigen
beispielsweise die gegenwärtig
beobachteten Entfernungen des
Euro-Wechselkurses von der Kaufkraftparität im Verhältnis zum japanischen Yen leicht die Werte, die
während der zwei vorangegangenen Jahrzehnte erreicht wurden.
Ähnliches lässt sich bezüglich des
britischen Pfundes sagen. Mit
Blick auf den US-Dollar lässt sich
feststellen, dass dieser zwar ein
gutes Stück von den Extremwerten Mitte der 80er Jahre entfernt
ist. Er liegt jedoch auf dem höchstem Niveau, das seitdem erreicht
wurde. Auch für den effektiven
realen Wechselkurs gegenüber
den Währungen der 13 wichtigsten
Handelspartner gehen die Abweichungen des Euro-Wechselkurses
etwas über in der Vergangenheit
für die D-Mark beobachtete Werte
hinaus.
Mittelfristige Abweichungen des
realen Wechselkurses vom durch
die Kaufkraftparität vorgegebenen
Gleichgewicht lassen sich in der
Regel relativ gut durch verschiedene Fundamentalfaktoren, wie
Realzins- oder Produktivitätsunterschiede, erklären. Allerdings ergeben sich beispielsweise für den
Euro-US-Dollar-Wechselkurs beträchtliche Abweichungen von
dem durch traditionelle Beziehungen zu diesen Fundamentalvariablen vorgegebenen Pfad. Diese
körinen durch den möglicherweise
mit dem Beginn der Währungsunion verbundenen Strukturbruch
bedingt sein, stellen jedoch wahrscheinlicher das Ergebnis von
durch die Eigendynamik des Devisenmarktes getriebenen Verzerrungen dar. Als Fazit dieser Betrachtungen lässt sich somit festWIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
halten, dass einige Aspekte der
Erfahrung mit der neuen europäischen Gemeinschaftswährung es
durchaus sinnvoll erscheinen lassen, die Frage nach einer möglichen Neuordnung des Weltwährungssystems noch einmal aufzugreifen und die wesentlichen Probleme, die sich im Zusammenhang
mit einer solchen Neuordnung ergeben, darzulegen.
Neuordnung der
Währungsbeziehungen?
Eine in diesem Zusammenhang
häufig ins Spiel gebrachte Möglichkeit zur Neuordnung der Währungsbeziehungen besteht in der
Rückkehr zu einem System prinzipiell fester, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen anpassbarer
Wechselkurse - ähnlich dem System von Bretton-Woods und
möglicherweise, ergänzt durch ein
System von Bandbreiten oder Zielzonen. Derzeit und für die absehbare Zukunft scheint ein solches
System jedoch kaum durchsetzbar. Und dies aus gutem Grund:
Wechselkursbewegungen sind trotz zeitweiliger Übertreibungen auf längere Sicht vor allem fundamental bedingt. Sie erfüllen im
Allgemeinen eine sinnvolle Ausgleichsfunktion und erhöhen somit
die Schockverarbeitungskapazität
des internationalen Wirtschaftsgefüges. Die Wechselkursstabilisierung innerhalb enger Bandbreiten
setzt somit eine entsprechende Anpassung und internationale Koordinierung der relevanten Fundamentalfaktoren voraus. Die damit
einhergehende Einschränkung des
wirtschaftspolitischen Handlungsspielraums birgt Konfliktpotentiale
zwischen internen und externen
Politikzielen, die sich, wie die Erfahrung in der Endphase des Bretton-Woods-Systems gezeigt hat,
vor allem im Bereich der Geldpolitik einstellen können. Ohne Kon-
vergenz der Fundamentaldaten
zwischen den großen Währungsblöcken würde die Volatilität, die
aus den Wechselkursen herausgenommen wird, teilweise lediglich
auf andere volkswirtschaftliche
Größen wie beispielsweise die Zinsen umgeleitet, die unter Umständen wesentlich schlechter geeignet sind, derartige Schwankungen
und Spannungen zu verarbeiten.
Wichtige Lehren in Bezug auf
die Ausgestaltung des Weltwährungssystems lassen sich auch
aus der Diskussion um die Optimalität von Währungsräumen - als
Extremform der Wechselkursfixierung - ziehen. Ein optimaler Währungsraum zeichnet sich unter anderem durch ein hohes Maß an
Schocksymmetrie, hohe Arbeitsmobilität sowie eine flexible Lohnund Preisfindung innerhalb des
Währungsraums aus. Der nominale Wechselkurs verliert in dem
Maße, in dem diese Bedingungen
erfüllt sind, an Bedeutung für die
wirtschaftliche Stabilisierung. Die
Voraussetzungen eines optimalen
Währungsraums sind im Fall der
G3-Länder sicher nicht gegeben.
Darüber hinaus lassen selbst bei
hinreichender Schocksymmetrie
unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der Reaktion auf Schocks
und die unterschiedliche Schockverarbeitung in den verschiedenen
Ländern ein Verzicht auf die stabilisierende Wirkung des nominalen
Wechselkurses wenig sinnvoll erscheinen.
Unabhängig davon ergäbe sich
im Zuge der praktischen Umsetzung das überaus schwierige Problem der Bestimmung von angemessenen Leitkursen, zu denen
das internationale Währungsgefüge zumindest zeitweilig festgezurrt werden sollte. Derzeit ist die
wirtschaftwissenschaftliche Forschung noch nicht in der Lage, ein
Wechselkursmodell anzubieten,
333
ZEITGESPRACH
welches die hierfür entscheidende
Frage der Gleichgewichtswechselkurse hinreichend präzise beantworten könnte. Steht das Problem
der Bestimmung des Gleichgewichtskurses einer Fixierung allgemein entgegen, so erhält dieses
Argument in. der gegenwärtigen
Situation zusätzliches Gewicht. So
sind Umfang und Auswirkungen
der durch die Euro-Einführung
ausgelösten Dynamik an den europäischen Finanzmärkten noch
nicht vollständig abzuschätzen.
Auch sind die internationalen Portfolioanpassungen an die veränderten Umstände bei weitem noch
nicht abgeschlossen. Darüber hinaus erschweren Unsicherheiten
über „new economy"-Effekte diesseits und jenseits des Atlantiks die
Bestimmung von Währungsgleichgewichten.
Der Zielzonenansatz
Um diesen Unsicherheiten bei
der Quantifizierung gleichgewichtiger Wechselkurse Rechnung zu
tragen, wird als Kompromisslösung mitunter vorgeschlagen,
das Wechselkurssystem mit entsprechend weiten Bändern auszustatten. Ein solcher Zielzonenvorschlag sieht sich jedoch im Prinzip
mit denselben allgemeinen Problemen fester Wechselkurse hinsichtlich der Bestimmung von Gleichgewichtskursen und der Politikkoordinierung konfrontiert - wenn
auch teilweise in abgeschwächter
Form. Legt man nur „weiche" Bänder ohne eindeutige Interventionsverpflichtungen fest, um diese
Problematik so weit wie möglich
zu umgehen, kann sich die Versuchung zu spekulativen Tests der
festgelegten Bänder sogar noch
erhöhen. Auch würde der von der
Existenz der Bänder ausgehende
Stabilisierungseffekt, dessen Bedeutung empirisch ohnehin eher
fragwürdig ist, bei mangelnder
Glaubwürdigkeit weiter vermin334
dert. Im Rahmen des Zielzonenansatzes wird zuweilen auch vorgeschlagen, häufigere Anpassungen
des nominalen Bandes vorzunehmen und dadurch den realen
Wechselkurs zu stabilisieren. Allerdings sollten bei einem solchen
Vorgehen gleichgewichtige Änderungen des realen Wechselkurses,
wie sie sich z.B. im Fall von unterschiedlichen Produktivitätsentwicklungen in den betreffenden Ländern ergeben, berücksichtigt werden. Dies setzt wiederum die Verfügbarkeit eines allgemein akzeptierten und darüber hinaus korrekten Modells voraus.
Neuere Entwicklungen im wirtschaftlichen Umfeld lassen im Übrigen Zweifel an der Funktionsfähigkeit globaler Festkurssysteme
angebracht erscheinen: Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie in Verbindung mit einem weitgehend liberalisierten Kapitalverkehr mit massiven privaten Kapitalströmen führen zu einer ausgesprochenen
Sensibilität der Märkte gegenüber
neuen Informationen. Da die G3Staaten keinen optimalen Währungsraum darstellen und der politische Wille zu einer Unterordnung
nationaler Politiken unter die Erfordernisse der Wechselkursstabilisierung zu Recht nicht erkennbar
ist, erscheint es mehr als fraglich,
ob ein System fester Wechselkurse glaubwürdig sein kann. Damit
ergibt sich bei hoher Kapitalmobilität sofort die Gefahr, dass das
System durch spekulative Attacken und Kapitalflüsse zu Fall gebracht wird. Diese können möglicherweise sogar selbsterfüllender
Natur sein, wie im Zusammenhang
mit der EWS-Krise der frühen
Neunziger oft argumentiert wird.
Somit wird vielfach behauptet, dass
sich die Wahl des Wechselkurssystems zumindest im globalen
Kontext auf die Wahl zwischen
den Extremen flexible Wechselkurse oder Währungsunion reduziert. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Probleme fester Wechselkurse besteht mit Blick auf die
Kurse zwischen den wichtigsten
Weltwährungen somit die einzig
realisierbare und ökonomisch
sinnvolle Alternative in der Beibehaltung des derzeitigen Systems
weitestgehend flexibler Wechselkurse.
Kein Bedarf an neuem
Weltwährungssystem
Schließlich werden Vorschläge
diskutiert, ein solches System flexibler Wechselkurse durch fallweise koordinierte Interventionen zu
ergänzen, um nicht-fundamental
begründete Übertreibungen von
Wechselkursentwicklungen aus
dem Markt zu nehmen. Ein derartiges Auseinanderlaufen von Fundamentalfaktoren und Wechselkursen kann beispielsweise in der
Form spekulativer Blasen auftreten, kann seine Ursache jedoch
auch im Zusammenspiel von sogenannten Chartisten und Fundamentalisten oder in Tendenzen
zum gleichgerichteten Verhalten
an den Devisenmärkten haben.
Neben der Frage, inwieweit Interventionen, insbesondere der sterilisierten Art, überhaupt effektiv
sind, ergibt sich das Problem,
mögliche Fehlentwicklungen nicht
nur allgemein zu erkennen, sondern sie zeitgleich zu erkennen. In
der Regel werden derartige Übertreibungen der Märkte ohnehin
durch die Selbstheilungskräfte der
Märkte innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens korrigiert und
zurückgebildet.
Zusammenfassend läßt sich
konstatieren, daß derzeit kein Bedarf an einem neuen Weltwährungssystem festzustellen ist. Solange die Weltwirtschaft durch unterschiedliche Wirtschaftsstrukturen in den verschiedenen Ländern
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRÄCH
gekennzeichnet ist, die unterschiedlichen Schocks ausgesetzt
sind, und darüber hinaus unterschiedliche wirtschaftspolitische
Präferenzen bestehen, ist eine durch
die eindimensionale Ausrichtung
auf den Wechselkurs bedingte
Einschränkung des wirtschafts-
politischen Handlungsspielraums
nicht sinnvoll. Der Wechselkurs ist
marktmäßiger Ausdruck einer Vielzahl von Einflussfaktoren, die sowohl fundamentale Faktoren als
auch Verhaltensweisen der Marktteilnehmer umfassen. Eine konsistente und nachvollziehbare Poli-
tikgestaltung ist der beste Beitrag
zu einer Stabilisierung von Markterwartungen, wodurch die Voraussetzung für eine Wechselkursentwicklung im - zumindest mittelfristigen - Einklang mit den relevanten Fundamentaldaten geschaffen
wird.
Klaus Friedrich, Armin Unterberg
Tripolare Währungsordnung zukunftsfähig
D
ie Fragestellung dieses Zeitgesprächs erinnert etwas an
den alten Neureichen-Witz: „Liebling, der Aschenbecher ist voll sollten wir nicht an den Kauf eines
neuen Autos denken?" Was wir in
den letzten Monaten beim Euro erlebt haben, ist nicht der Verfall einer Währung, sondern waren ganz
normale Marktbewegungen, denen jede große Währung ausgesetzt ist - auch und insbesondere
der Dollar. Im Fall des Euro sind sie
sicher verstärkt worden durch ein
gewisses hysterisches Selbstmitleid der Europäer, das in vielen
Kommentaren zum Ausdruck kam.
An den Märkten wirkten diese
Äußerungen „self-fulfilling" - so
wie der, der sich lange genug eine
Krankheit eingeredet hat, sich zum
Schluss wirklich krank fühlt.
Der Euro ist keine
Schwachwährung
Es ist an der Zeit, dass sich die
Europäer von ihrer Hypochondrie
ab- und den Fakten wieder zuwenden. Denn die sprechen eine andere Sprache.
D Der Euro ist keineswegs eine
schwache Währung, und von „Verfall" kann schon gar keine Rede
sein. Schwachwährungen sind
stets von hohen Inflationsraten
und hohen Zinsen gekennzeichWIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
net. Tatsache ist aber, dass Europa
in den letzten 40 Jahren keine so
niedrige Inflationsrate hatte wie
1999, dem ersten Jahr des Euro.
Auch heute besteht keine Inflationsgefahr. Und das europäische
Zinsniveau liegt deutlich unter dem
der Amerikaner.
D Ein im Außenwert gegenüber
dem Dollar relativ niedrig bewerteter Euro hilft sichtlich der europäischen Konjunktur und schafft
Arbeitsplätze. Ein zu hoch bewerteter Euro wäre'dagegen für das
zunächst noch zarte Pflänzchen
des europäischen Aufschwungs
äußerst schädlich gewesen. Die
Amerikaner haben ganz ähnliche
Erfahrungen gemacht. Die erste
Phase des mit Recht viel gerühmten langen amerikanischen Aufschwungs war begünstigt von einem niedrigen Dollarkurs. In den
entscheidenden Jahren 1992 bis
1995 lag der Dollar zeitweise unter
1,40 DM. Umgekehrt hat uns die
überbewertete D-Mark in diesen
Jahren massiv Arbeitsplätze gekostet. Ähnliche Erfahrungen macht
derzeit Großbritannien, wo der hohe Pfund-Kurs bereits den Rückzug der ausländischen Investoren
eingeläutet hat. Der Kurs einer
Währung ist eben kein Wert an
sich, sondern muss stets im ökonomischen Kontext gesehen werden.
D Wenn der Dollar in den letzten
Monaten um 2,10 D-Mark kostete,
so ist dies im historischen Rückblick durchaus nichts Außergewöhnliches und schon gar keine
Katastrophe. Dabei braucht man
gar nicht bis zur langen Periode
des 4,- DM-Dollarkurses zurückzugehen. Auch in den Jahren 1983
bis 1985 hatten die USA ein weit
höheres Wirtschaftswachstum als
Deutschland und Europa. Die DMark reagierte mit einem massiven
Wertverlust gegenüber dem Dollar.
Im Frühjahr 1985 stand der Dollar
bei 3,40 DM, doppelt so hoch wie
Anfang der achtziger Jahre. Im
Vergleich zur D-Mark damals hält
sich der Euro weit besser. Obgleich die USA in den letzten Jahren einen erheblichen Wachstumsvorsprung erzielt haben, hat der
Euro gegenüber dem Dollar lediglich rund 20% an Wert verloren.
Derartige Wertschwankungen sind
an den volatilen Devisenmärkten
„Routinegeschäft". Mit einem Vertrauensverlust in die Währung haben sie nichts zu tun.
D Der Euro hat sich in seiner jungen Geschichte bereits mehr bewährt als die D-Mark. Trotz einer
Verdreifachung des Ölpreises lag
die Inflationsrate in den letzten
Monaten in Deutschland und im
Euro-Raum unter 2%. Man erinne335
ZEITGESPRACH
re sich an die hohen Inflationsraten
zu Zeiten der D-Mark, als sich der
Ölpreis Mitte der siebziger Jahre
und Anfang der achtziger Jahre
schubartig erhöhte. Die Inflationsrate bewegte sich jeweils zwischen 5% und 7%. Demgegenüber verzeichneten die Länder des
Euro-Raums 1999 die niedrigste
Inflationsrate seit mehreren Jahrzehnten - eindeutig ein Erfolg der
neuen Währung. Der Euro macht
also nicht ärmer, wie gelegentlich
behauptet wurde. Er hat sich als
Bollwerk gegen Inflationsimpulse
bereits bewährt.
D Eine Momentaufnahme sagt
noch nichts über das Ende des
Films. Derzeit sprechen die Differenzen in Wachstumsraten und
Zinsniveaus noch für viele Anleger
eher für ein Investment in den USA
als in Europa. Aber die Schere
schließt sich. Die eindeutig in konjunktureller Spätphase befindliche
US-Wirtschaft wird nicht mehr
lange solch hohe Wachstumsraten
produzieren. Europa dagegen
steht am Anfang eines voraussichtlich langen Booms, in dessen
Verlauf auch die europäischen
Geldmarktzinsen deutlich ansteigen werden. Die Anleger werden
sich allein aufgrund der ökonomischen Fakten in nächster Zeit umorientieren müssen.
D Auf die Dauer haben noch immer die Fundamentaldaten über
den Wechselkurs entschieden auch wenn zeitweise emotionale
Faktoren den Marktteilnehmern
den Blick dafür verstellen. Und die
fundamentalen Daten sprechen
klar für den Euro. Neben dem begonnenen Aufschwung, der Inflationsfreiheit und dem niedrigen
Zinsniveau sind dies vor allem: der
Leistungsbilanzüberschuss des
Euro-Raumes, dem ein US-Defizit
von rund 420 Mrd. Dollar gegenübersteht; der Umfang der ausländischen Direktinvestitionen, die in
336
Deutschland seit dem letzten Jahr
gewaltige Zuwächse zeigen; die
Solidität der Europäischen Zentralbank, die sich allen Unkenrufen
zum Trotz als politisch unabhängige Instanz mit hervorragender
geldpolitischer Kompetenz erwiesen hat; die in Gang gekommene
Deregulierung der europäischen
Märkte, die in Flexibilität und
Freiheit des Marktzutritts teilweise
bereits die US-amerikanischen
Märkte übertreffen.
Feste Wechselkurse oder
Zielzonen wären keine Lösung
Welche Vorteile könnte ein anderes Weltwährungsregime bringen? Die Einführung des Euro
stellt einen Quantensprung für das
internationale Währungssystem
dar. Der Euro hat das Potenzial zu
einer Weltwährung. Damit entsteht
eine tripolare Währungsordnung
mit dem Dollar, dem Euro und dem
Yen als tragenden Säulen. Angesichts dieser Entwicklung hatten
zeitweise Vorschläge Konjunktur,
die auf eine Stabilisierung der
Wechselkurse zwischen diesen
Währungen abzielen. Sowohl aus
der Wissenschaft als auch - und
vor allem - aus der Politik wurden
dazu Ideen präsentiert, die von einer vagen Kooperation in der
Geld- und Wechselkurspolitik über
Zielzonen bis hin zu einem neuen
Bretton-Woods-System mit weitgehend festen Wechselkursen reichen.
Zur Beurteilung dieser Vorschläge muß man sich zunächst
eine zentrale Grundwahrheit internationaler Währungspolitik vor
Augen halten: Fixe Wechselkurse
sind nicht kompatibel mit freiem
Kapitalverkehr und autonomer
Geldpolitik der beteiligten Staaten.
Wer feste Wechselkurse und eine
autonome Geldpolitik will, muss
den Kapitalverkehr beschränken.
Wer feste Wechselkurse und einen
freien Kapitalverkehr will, muss auf
eine autonome Geldpolitik verzichten. Wer aber weder die eine noch
die andere Beschränkung hinnehmen will, muss flexible Wechselkurse akzeptieren und kann nicht
für Wechselkursziele zwischen den
beteiligten Währungen plädieren.
Dies ist das „magische Dreieck"
der internationalen Währungspolitik.
Grundlegende Beschränkungen
des Kapitalverkehrs zwischen den
drei großen Wirtschaftsregionen
der Welt sind weder ökonomisch
wünschenswert noch effizient
durchführbar. Daher läuft die Forderung nach stabileren Wechselkursen auf eine Einschränkung der
geldpolitischen Autonomie in den
beteiligten Währungsgebieten hinaus. Es geht also um eine Abwägung der Vorteile, die einerseits
mit stabileren Wechselkursen verbunden sind, und der Nachteile,
die andererseits mit einer eingeschränkten Autonomie der Geldpolitik einhergehen.
Eine Wechselkursbindung kann
überhaupt nur sinnvoll sein, wenn
die Konjunkturzyklen der so verbundenen Länder stärker korrelieren. Das Wirtschaftswachstum der
drei großen Wirtschaftsräume verlief aber in den neunziger Jahren
alles andere als gleichgerichtet.
Hier ist zwischen den kontinentaleuropäischen Ländern eine deutlich engere Beziehung festzustellen als für die Beziehungen des
Euro-Raums zu den USA. Wenn
aber die konjunkturellen Bewegungen stärker voneinander abweichen, empfiehlt sich für die USA,
Japan und die EWU eine Geldpolitik, die stärker den Binnenwert
als den Außenwert des Geldes in
den Blickpunkt ihrer Maßnahmen
rückt.
Spezifische Probleme bei
Wechselkursbindungen
Neben diesen grundsätzlichen
Überlegungen gibt es aber noch
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRÄCH
eine ganze Reihe spezifischer Probleme, die mit Wechselkursbindungen zwischen Euro, Dollar und
Yen verbunden wären:
D Die ohnehin schon schwierige
Frage, wo der „richtige" Wechselkurs zwischen zwei Währungen
liegt, ist für den Euro gerade in der
Anfangszeit der EWU kaum zu beantworten. Denn die Einführung
des Euro bedeutet einen Strukturbruch, der weitreichende Verhaltensänderungen von Wirtschaftssubjekten bewirken kann.
D Die Umsätze an den internationalen Devisenmärkten belaufen
sich heute auf ca. 1,5 Bill. US$ pro
Tag. Die Devisenreserven der Zentralbanken und damit das zur
Wechselkursstabilisierung
zur
Verfügung stehende Interventionspotenzial nehmen sich dagegen
verschwindend gering aus. Die
Märkte dürften daher die Glaubwürdigkeit solcher Arrangements
nicht als besonders hoch einschätzen. Wird die Glaubwürdigkeit von Wechselkurszielen jedoch
in Zweifel gezogen, dann sind Fixkurssysteme geradezu eine Einladung zur Spekulation.
D Fixkurssysteme benötigen eine
Ankerwährung. Die USA und die
Europäische Währungsunion sind
aber in fast jeder Hinsicht gleichgewichtige Wirtschaftsräume, so
dass es keine „natürliche" Ankerwährung gibt. Da kaum vorstellbar
ist, daß die USA den Dollar an den
Euro ankoppeln, müßten die Europäer den Euro an den Dollar koppeln und damit ein Stück geldund währungspolitischer Souveränität wieder aufgeben, das sie
mit der Einführung der gemeinsamen Währung gerade erst gewonnen haben.
D Eine Wechselkursanbindung
würde die europäische Geldpolitik
bei Eintritt eines außenwirtschaftlichen „Schocks" nachhaltig einschränken. Notwendige AnpasWIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
sungen müsste dann hauptsächlich die Fiskalpolitik übernehmen.
Letztere ist jedoch durch den
Stabilitätspakt rechtlich und institutionell gebunden. Wechselkurszielzonen erhöhen also die Gefahr,
dass die fiskalischen Vorgaben
des Amsterdamer Paktes gebrochen werden.
D Die aus geldpolitischen Gründen notwendige Sterilisierung von
Interventionsmäßnahmen zur Stützung eines Festkurses oder einer
Zielzone stellt in der Realität ein
beträchtliches Problem dar. Es ist
eine Illusion, zu glauben, dies sei
für eine Notenbank stets umgehend und zinsneutral möglich. Daraus folgt, dass nicht nur die
Effizienz der Geldpolitik gefährdet
ist - vor allem wenn es um große
Volumjna geht -, sondern auch die
Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft schwer vorhersehbar
bleiben.
D Die EZB als neu etablierte Institution muss sich ihre Glaubwürdigkeit erst noch verdienen. Da
Wechselkursziele eine stabilitätsorientierte Geldpolitik unterlaufen
können, würde es den Aufbau einer stabilitätspolitischen Reputation der EZB erschweren, wenn
diese gleich zu Beginn ihrer Arbeit
mit politischen Vorgaben konfrontiert würde.
Währungspolitische
Kooperation ist gefragt
Aus all diesen Gründen erscheinen institutionell untermauerte
Zielzonen für den Euro-Wechselkurs gegenüber anderen Währungen - abgesehen vom EWS-II nicht geeignet, zu dauerhafter
Wechselkursstabilisierung beizutragen. Die erfolgversprechendste
Methode, zu relativ stabilen Wechselkursverhältnissen zwischen Euro, Dollar und Yen zu gelangen und
unnötige Volatilitäten zu vermeiden, besteht weiterhin darin, in
den drei großen Währungsblöcken
eine solide, stabilitätsorientierte
Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Dies stabilisiert
die Erwartungen der Marktteilnehmer und reduziert die Wechselkursschwankungen. Sind diese
Politikbereiche aber nicht konsistent und stabilitätsorientiert, dann
werden auch Wechselkurszielzonen wenig helfen, Marktschwankungen zu vermeiden.
Es ist allerdings nicht ganz auszuschließen, dass es in der sich abzeichnenden tripolaren Währungsordnung zu stärkeren Volatilitäten
und vorübergehenden Misalignments kommen kann. Völliges
Ignorieren der Wechselkursentwicklung des Euro ist deshalb
ebenfalls nicht angebracht. Um
gravierende Fehlentwicklungen zu
verhindern, bedarf es aber keines
formalen „Bretton Woods II" mit
Leitkursen und Bandbreiten für die
beteiligten Währungen und Interventionsverpflichtungen für die
Zentralbanken. Dies wäre - wie die
Erfahrung zeigt - geradezu eine
Einladung an die Märkte, die festgelegten Kurse zu testen. Krisen
von weit größerem Ausmaß als im
EWS wären vorprogrammiert. Spekulationswellen würden nicht gedämpft, sondern angeregt. Riesige
Interventionsvolumina der Notenbanken müssten die Geldpolitik in
Bedrängnis bringen. Der Preis,
den Europa, die USA und Japan zu
zahlen hätten, wäre eindeutig zu
hoch.
Dagegen erscheint eine währungspolitische Kooperation in der
Triade sinnvoll. Eine Ad-hoc-Koordinierung im Rahmen der G7 könnte ausreichen, um Signale an die
Märkte auszusenden und gegebenenfalls auch zu intervenieren. Das
Plaza-Abkommen und der LouvreAkkord, mit denen man in den achtziger Jahren die Entwicklung des
Dollar-Kurses beeinflusste, sind
Beispiele für eine erfolgreiche
337
ZEITGESPRÄCH
Wechselkurskooperation. Noch
wichtiger wäre eine unmittelbare
Kooperation zwischen EZB und
Fed. Funktioniert sie, wäre ein
Fixkurssystem ohnehin überflüssig. Funktioniert sie nicht, so würden feste Kurse ungleich größere
Probleme verursachen als flexible.
Europa braucht den Euro
Das Fazit lautet also: Wir brauchen kein neues Wechselkursregime. Aber ebenso sicher gilt:
Europa braucht den Euro. So wie
es die alten Europäer Adenauer, de
Gasperi und Schuman von Anfang
an eingeschätzt haben: Die über
Jahrhunderte gewachsenen unterschiedlichen Kulturen der europäischen Nationalstaaten würden nur
durch gemeinsame ökonomische
Strukturen
zusammenwachsen
können. So drückt es auch das in
Stahl gegossene Schuman-Zitat
an der Europa-Brücke in Luxemburg aus: „Europa wird eins durch
das Schaffen neuer Fakten." Nach
Montanunion, EWG-Vertrag und
Binnenmarkt ist der Euro ein solches Faktum. Und wir haben bereits erlebt, wie der große Währungsraum die Europäer nicht nur
schützt (siehe Asien-Krise) und zusammenschweißt, sondern ihnen
auch ein ganz neues Gewicht, eine
neue Rolle in der Welt gibt. Dies alles ist völlig unabhängig vom jeweiligen Tageskurs an den Devisenmärkten.
Michael Frenkel
Euroentwicklung: Mögliche Ursachen und politische Optionen
D
er Kursverlauf des Euro rechtfertigt keine grundlegende Veränderung des internationalen Währungssystems. Dies gilt zumindest
solange, wie die großen Industrieländer bei der Gestaltung ihrer
Wirtschaftspolitik weiterhin mehr
die binnenwirtschaftlichen Ziele
als das außenwirtschaftliche Ziel
verfolgen. Die Unzufriedenheit mit
der Wechselkursentwicklung des
Euro basiert aus europäischer
Sicht meist auf der Überzeugung,
mit der Abwertung des Euro seit
Anfang 1999 sei inzwischen eine
deutliche Unterbewertung des Euro eingetreten.
Damit verbindet man die Vorstellung, dass der Wechselkurs
nicht durch Fundamentalfaktoren
gerechtfertigt sei und daher in „ungerechtfertigter" Weise .vom längerfristigen Gleichgewichtskurs
abweiche. Da eine Abweichung
des tatsächlichen Kurses vom längerfristigen Gleichgewichtskurs
mit einer Fehlallokation von Ressourcen einhergehe, weise dies
auf Ineffizienzen des Devisenmarktes hin. Außerdem wird hervorgehoben, dass die Abwärtsbe338
wegung des Euro auf eine sich
selbst verstärkende Dynamik
(auch Schneeballeffekt genannt)
zurückzuführen sei. Hieraus wird
dann gefolgert, dass eine solche
aus den Fugen geratene Wechselkursentwicklung mit erheblichen
Nachteilen für den internationalen
Handel und die Investitionen verbunden sei. Infolgedessen bedürfe
es eines korrigierenden Eingriffes
in das Marktgeschehen.
Im Folgenden soll erstens diskutiert werden, ob der Wechselkurs
des Euro in jüngerer Vergangenheit
in der Tat eine deutliche Unterbewertung der europäischen Währung darstellt. Zweitens soll die Frage geprüft werden, welche währungspolitischen Alternativen es
zur freien Kursbildung ohne Eingriffe der Zentralbanken gibt.
Ist der Euro
wirklich unterbewertet?
Betrachten wir zunächst die
Wechselkursänderung des Euro
seit Anfang 1999 und fragen, ob
sich diese Entwicklung ökonomisch sinnvoll erklären lässt. Im
Mittelpunkt dieser Betrachtung
steht aufgrund der inzwischen tripolaren Währungsordnung mit
Dollar, Euro und Yen der Wechselkurs des Euro gegenüber dem
Dollar. In eher traditionellen Ansätzen der Wechselkurstheorie werden aktuelle Werte verschiedener
ökonomischer Größen als Einflussfaktoren auf den Wechselkurs
betont. Wenn in jüngerer Vergangenheit von einer Unterbewertung
des Euro gesprochen wird, sind
implizit meist vier ökonomische
Größen angesprochen, die den
Verlauf des Euro-Wechselkurses
als fundamental nicht gerechtfertigt erscheinen lassen:
D Seit Beginn der EWU lag die
jährliche Inflationsrate im Durchschnitt der EWU-11-Länder um
rund einen Prozentpunkt unter der
der USA, so dass hieraus - zieht
man die Kaufkraftparitätentheorie
zu Rate - eher mit der gegenteiligen Wechselkursentwicklung hätte
gerechnet werden können. Allerdings kann aufgrund der langfristigen Ausrichtung dieser Theorie
nur schwerlich der relativ kurze
Zeitraum seit Bestehen der EWU
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRÄCH
beurteilt werden. Auch die DMDollar-Kursentwicklung zeigte in
der Vergangenheit zum einen erhebliche und zum anderen teilweise lang anhaltende Abweichungen
von der Kaufkraftparität.
D Beurteilt man die Wechselkursentwicklung auf Basis des Leistungsbilanzsaldos, lässt sich
ebenfalls keine Euro-Abwertung
erklären. Während die USA einselbst im Vergleich zu den Vorjahren erhebliches Leistungsbilanzdefizit aufweisen, ist die Leistungsbilanz der EWU-Länder im
Überschuss. Allerdings muss auch
hier einschränkend angeführt werden, dass es sich hierbei um ein
längerfristiges Kriterium der Wechselkursbeurteilung handelt.
D Traditionelle Erklärungen von
Wechselkursbewegungen, die über
die Kapitalbilanz argumentieren
(Zinsparitätentheorie oder Theorie
der realen Zinsdifferenz), erachten
die Zinsentwicklung als wichtige
Determinante des Wechselkurses.
Aber auch hiermit lässt sich die
Abwertung des Euro gegenüber
dem Dollar nicht erklären. Während der kurzfristige und der langfristige Zins in den USA seit Anfang 1999 um rund einen Prozentpunkt gestiegen sind, ist der Anstieg beider Zinssätze in der EWU
um rund 0,75% nur wenig geringer
ausgefallen.
D Betrachtet man schließlich die
Geldmengenwachstumsraten, so
wäre ein schwacher Euro mit Hilfe
traditioneller monetärer Wechselkursmodelle hur dann erklärbar,
wenn die Expansionsrate der
Geldmenge in der EWU größer gewesen wäre als in den USA. Dies
lässt sich aber ebenfalls nicht beobachten. Während die Geldmenge in den USA im Frühjahr 2000
um etwas über 7% über dem vergleichbaren Vorjahresniveau lag,
nahm sie in der EWU um etwas
über 6% zu. Die Differenz spiegelt
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
im Wesentlichen nur die unterschiedlichen Wachstumsraten des
Bruttoinlandsprodukts wider.
Andere Wechselkurstheorien
Auch wenn der Blick auf diese
einzelnen ökonomischen Größen
eine Abwertung des Euro seit
Anfang 1999 als fundamental nicht
gerechtfertigt erscheinen lässt, so
darf nicht übersehen werden, dass
sich bei Heranziehen anderer
Wechselkurstheorien auch ein gegenteiliges Bild ergeben könnte.
Hier seien nur zwei Argumentationsketten genannt:
D Berücksichtigt man das Zusammenwirken von Güter- und Finanzmärkten, so lassen sich bereits
aus den Arbeiten des letzten Nobelpreisträgers der Wirtschaftswissenschaften, Robert Mundell,
Erklärungen für die beobachtete
Entwicklung ableiten. Aus Mundells Arbeiten folgt, dass große
Volkswirtschaften, die aufgrund
des Anstiegs von Konsum und Investitionen besonders stark expandieren, bei relativ hoher internationaler Kapitalmobilität ausländisches Kapital anziehen, wodurch sich eine Aufwertung der
Inlandswährung bei gleichzeitig im
In- und Ausland steigenden Zinssätzen ergibt. Wendet man dies
auf die Entwicklung der letzten 18
Monate an, so ließe sich die beobachtete Wechselkursentwicklung
zwischen Euro und Dollar insbesondere als Stärke des Dollar erklären. Die USA haben in dieser
Zeit trotz des zuvor bereits erfolgten Aufschwungs eine besonders
starke Expansion gezeigt und galten daher bei vielen internationalen
Anlegern als attraktives Anlageland. Hieraus ließe sich eine Aufwertung des Dollar, eine Verbesserung der amerikanischen Kapitalbilanz und eine Verschlechterung
der Leistungsbilanz erwarten. Genau dies ist in den letzten einein-
halb Jahren erfolgt. Die Ende Mai
und Anfang Juni zu beobachtende
Trendwende des Eurokurses könnte mit dem Hinweis auf die nachlassenden Expansionskräfte in den
USA und die Anzeichen einer stärkeren Expansion in den Ländern
der EWU begründet werden.
• Eine Erklärung für einen vergleichsweise schwachen Euro
bzw. einen starken Dollar ließe
sich der Richtung nach auch auf
Basis modernerer Wechselkursansätze ableiten. Diese Ansätze betonen, dass Finanzmärkte vorwärtsschauend sind und die sich
dort bildenden Preise bzw. Kurse
die abdiskontierten Wirkungen der
für die Zukunft erwarteten ökonomischen Veränderungen beinhalten. Bezogen auf den Wechselkurs
heißt dies, dass der Wechselkurs
als Preis des Assets „Währung"
aufgefasst wird und sich in ihm die
zukünftige Entwicklung ökonomischer Größen widerspiegelt, von
denen ein Einfluss auf den Wechselkurs anzunehmen ist (man
spricht vom „Asset-Pricing-Ansatz"). Weil allerdings die zukünftigen Werte dieser Größen nicht
bekannt sind, kommt den Erwartungen der Devisenmarktteilnehmer, unabhängig davon ob sie
richtig oder falsch sind, eine entscheidende Rolle zu. Da Erwartungen nicht beobachtbar sind, ist es
für die empirische Wirtschaftsforschung schwierig herauszufinden, ob sich der tatsächliche
Wechselkurs mit den (nicht beobachtbaren) Erwartungen erklären
lässt. Man ist deshalb auf einige
eher qualitative Hinweise angewiesen, die sich jedoch in letzter Zeit
durchaus finden lassen. Bis vor
kurzem sind häufig Zweifel an der
wirtschaftlichen Dynamik in Europa und der Bereitschaft vieler
EWU-Länder zu den als erforderlich angesehenen wirtschaftspolitischen Reformen geäußert worden.
339
ZEITGESPRACH
Hiervon geht bei einer gleichzeitig
günstigeren Einschätzung der Situation in den USA eine entsprechend geringere Bewertung des
Euro aus. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wäre die in alierjüngster Zeit erfolgte Erholung des
Euro auf eine durch neue Informationen ausgelöste Korrektur der
Erwartungen in Richtung einer
schwächeren US-Konjunktur und
einer stärkeren EWU-Konjunktur
zurückzuführen.
Abweichungen nur kurzfristig?
Zu bedenken ist bei den voranstehenden Erklärungen, dass sie
lediglich auf die Richtung der Eurokursentwicklung hinweisen. Zu
fragen bliebe, ob der Umfang der
Euroabwertung bzw. der Dollaraufwertung tatsächlich damit erklärt
werden kann. So wird vielfach bezweifelt, ob die Abwertung des Euro seit Anfang 1999 von 1,18 $/€
bis auf unter 0,90 $/€, d.h. um
knapp 25%, und die Aufwertung
des Euro innerhalb einer Woche
Ende Mai bis Anfang Juni um 7%
damit begründet werden können.
Gleichwohl könnte man diesen
Zweifeln entgegenhalten, dass der
Euro Anfang 1999 mit einem vergleichsweise hohen Wechselkurs
startete, was sich aus einer Rückrechnung des hypothetischen Wertes des Euro für die letzten Jahre
ergibt. Außerdem lagen die Schwankungen der DM gegenüber dem
Dollar in den 20 Jahren vor Beginn
der EWU in einer deutlich größeren
Bandbreite als die Schwankungen
des Euro gegenüber dem Dollar.
Auf den Euro umgerechnet lagen
sie zwischen 0,56 und 1,47$/€.
Schließt man sich dennoch dem
Argument an, demzufolge die beobachtete Wechselkursänderung
des Euro stärker war, als sie mit
den vorgetragenen Argumenten
begründet werden kann, bleibt als
Erklärung für die Wechselkurs340
bewegung der Hinweis übrig, dass
die Dynamik des Devisenmarktes
zum beobachteten Umfang der
Wechselkursänderung beigetragen hat. Mit der Dynamik sind hier
vor allem Schneeballeffekte gemeint, die von kurzfristig orientierten Devisenmarkthändlern (Chartisten) ausgelöst werden. Aufgrund
ihres hohen Anteils am täglichen
Devisenhandel ist eine Verstärkung von Wechselkursbewegungen zu erwarten, wodurch es zu so
genannten „runs", d.h. länger anhaltenden Bewegungen in die eine
und anschließend in die andere
Richtung kommt.
Aus den diskutierten Argumenten zur Entwicklung und zur Höhe
des Wechselkurses lassen sich
zwei wichtige Schlussfolgerungen
ziehen. Erstens erscheint es praktisch unmöglich, ein fundamental
gerechtfertigtes gleichgewichtiges
Wechselkursniveau des Euro gegenüber dem Dollar zu bestimmen. Zweitens sprechen einige,
wenngleich nicht alle Argumente
dafür, dass der vor einigen Wochen beobachtete Wert des Euro
um 0,90 $/€ durch Chartisten mitT
bestimmt wurde, so dass dieser
Wert ein, gemessen an der tatsächlichen und möglicherweise erwarteten Entwicklung der Fundamentalfaktoren, zu geringes Wechselkursniveau darstellte.
Schließt man sich dieser Ansicht an, so stellt sich die Frage,
ob die Wirtschaftspolitik hierüber
besorgt sein sollte. Die Antwort
hängt von der Fristigkeit der Abweichung von einem als fundamental gerechtfertigt angesehenen Kursniveau ab. Solange die
Abweichungen von kurzfristiger
Natur sind, ist dies ohne größere
ökonomische Bedeutung. Unternehmen auf den Export- und Importgütermärkten könnten sich
durch Kurssicherungsgeschäfte
vor den Folgen der Schwankungen
schützen. Für längerfristige Investitionen ergäben sich ohnehin keine Nachteile bei nur kurzfristigen
Abweichungen.
Problematischer ist der Fall,
wenn eine solche Bewegung weg
vom längerfristigen Gleichgewicht
längere Zeit anhält, mithin jene
Situation vorliegt, die man als
Misalignment des Wechselkurses
bezeichnet. Dieses kann bei einem
Umfang von 20% und mehr durchaus nachteilige Wirkungen für einige Unternehmen haben, da der
Außenhandel verzerrt und Investitionsentscheidungen beeinträchtigt werden. Insofern entstehen
gesamtwirtschaftliche Kosten. Ob
währungspolitische Alternativen
zu einem System, in dem die
Wechselkursbildung den Marktkräften überlassen wird, daher vorzuziehen sind, hängt davon ab, ob
diese Alternativen mit geringeren
Kosten verbunden sind. Insofern
ist nicht allein schon die Existenz
der beschriebenen Kosten Grund
genug für eine Änderung der Währungsordnung.
Alternative Währungssysteme
überlegen?
Stellt man nun die Frage, ob alternative Währungssysteme dem
bestehenden überlegen sind, sei
zunächst an die Konzeption der
„impossible trinity" erinnert, derzufolge die drei Ziele Wechselkursstabilität, Autonomie der Geldpolitik und freier internationaler
Zahlungsverkehr nicht gleichzeitig
zu erreichen sind. Räumt man den
Zielen Wechselkursstabilität und
Freiheit des internationalen Zahlungsverkehrs die höchste Priorität
ein, gelangt man zu einem System
ähnlich des Goldstandards, in dem
möglicherweise erhebliche Abstriche bei der Autonomie der
Geldpolitik gemacht werden müssen, da sich die inländische Geldmenge bei erforderlichen IntervenWIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
ZEITGESPRÄCH
tionen am Devisenmarkt verändert. Eine starke Betonung der
Ziele Wechselkursstabilität und
Autonomie der Geldpolitik zur Verfolgung binnenwirtschaftlicher Ziele (hoher Beschäftigungsstand
und/oder Preisniveaustabilität) impliziert dagegen eine Währungsordnung ähnlich dem des BrettonWoods-Systems, in dem unter
Umständen Abstriche bei der Konvertibilität gemacht werden müssen.
Betont man allerdings die Ziele
Autonomie der Geldpolitik sowie
Freiheit des internationalen Zahlungsverkehrs, so führt dies zu einem System freier Wechselkurse.
Dies bedingt dann allerdings in der
Reinform eines flexiblen Wechselkurssystems auch, dass jene Wechselkurse akzeptiert werden, welche
sich durch die Marktkräfte einstellen. Übertragen auf den Euro folgt
hieraus, dass die Verfolgung eines
bestimmten Wechselkurszieles,
die mit der Kritik an der Eurokursentwicklung letztlich verbunden
ist, eine stärkere Prioritätsverlagerung innerhalb der EWU entweder
weg von der Autonomie der Geldpolitik oder der Freiheit des internationalen Zahlungsverkehrs bedingt. Es scheint allerdings, als ob
die Kritiker der Eurokursentwicklung den durch die „impossible trinity" beschriebenen Zielkonflikt
übersehen, da sie in aller Regel
nicht deutlich machen, welches
der beiden anderen Ziele untergeordnet werden soll.
Realistischerweise ist auszuschließen, dass es in absehbarer
Zeit zu einem System fester Wechselkurse zwischen den drei wichtigsten Haupthandelswährungen
der Welt, Dollar, Euro und Yen,
kommt. Hierfür müssten sich die
wirtschaftspolitischen Prioritäten
so stark in Richtung der Verfolgung außenwirtschaftlicher Stabilität verlagern, dass damit nicht
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
gerechnet werden kann. Dies ist
der Fall, weil die beteiligten Länder
vergleichsweise hohe Nachteile
bzw. Kosten mit anderen Währungssystemen verbinden. Die
USA müssten einem Aufwertungsdruck des Dollar mit Devisenankäufen entgegnen, so dass die
Geldmenge in den USA zunimmt
und es letztlich zu einem Inflationsanstieg käme, mit dem gesamtwirtschaftlich nicht zu unterschätzende Kosten verbunden
wären. In Europa müsste die EZB
Währungsreserven verkaufen und
damit eine Reduktion der Geldmenge zulassen, was einen kräftigen Zinsanstieg mit entsprechenden konjunkturellen Folgen nach
sich ziehen würde. Dies würde
ebenfalls zu gesamtwirtschaftlichen Kosten führen. Aus ähnlichen
Überlegungen ist eine Art Goldstandard für die großen Handelswährungen ebenfalls auszuschließen. Welche Problematik mit traditionellen Festkurssystemen verbunden ist, haben im übrigen die
Währungskrisen der 90er Jahre
gezeigt. Sie sind praktisch ausnahmslos in Ländern aufgetreten,
die ein Festkurssystem hatten.
Darüber hinaus ließe sich argumentieren, dass die Kosten der
Wechselkursschwankungen in einem System freier Wechselkurse
für die EWU-Länder deutlich geringer sind als zuvor, da der Offenheitsgrad der EWU viel geringer ist
als es jener der einzelnen EWUMitgliedsländer vor Errichtung der
EWU war. Insofern sind mit Wechselkursschwankungen erheblich
geringere Kosten für die EWULänder verbunden als mit vergleichbaren Schwankungen in der
Vergangenheit.
Diese Überlegungen schließen
nicht aus, dass es für kleinere Länder im Weltwährungssystem vorteilhaft sein kann, ihre Währungen
an eine große, stabile Währung zu
binden. Dies erfordert weniger
Koordinierung, weil es sich um eine einseitige Bindung handelt und
dem Nachteil der Aufgabe der
geldpolitischen Souveränität, der
Vorteil des Stabilitätsimports gegenübersteht. Gleichwohl muss
die Bindung glaubwürdig sein, weil
ansonsten Gefahren von spekulativen Attacken bestehen. Dies legt
es nahe, die Bindung so eng wie
möglich, z.B. in Form eines „currency board", auszugestalten. Insofern scheinen für solche Länder
ohnehin eine eindeutige Fixierung
der Kurse oder ein Floating die
einzigen nachhaltigen Alternativen
darzustellen.
Interventionen
bei flexiblen Kursen
Sind für das Gefüge zwischen
Dollar, Euro und Yen grundlegende
Veränderungen des Weltwährungssystems ausgeschlossen, so
kann gefragt werden, ob es im
Rahmen prinzipiell flexibler Wechselkurse Veränderungen gibt, die
eine Verminderung der Wechselkursvolatilität und eines eventuellen Misalignments bewirken. Eine
Möglichkeit bestünde in der Koordinierung der Wirtschaftspolitik.
Damit würde man aber wiederum
eine Veränderung der Prioritäten
der Regierungen und Zentralbanken in den beteiligten Ländern fordern. Gerade hierzu scheinen die
Regierungen aber nicht bereit zu
sein.
Ein anderer Vorschlag besteht
im Einsatz von Devisenmarktinterventionen der Zentralbanken. Um
z.B. eine Schwäche der eigenen
Währung zu beseitigen oder eine
weitere Schwächung zu verhindern, sollte die Zentralbank Währungsreserven verkaufen. Voraussetzung für die Durchführung von
Interventionen ist die Vorstellung
eines Wechselkursziels oder zumindest einer Wechselkursziel-
341
ZEITGESPRÄCH
zone. Ein solches Ziel würde sich
an einem wie auch immer definierten gleichgewichtigen Wechselkurs ausrichten. In letzter Zeit
scheinen eine Reihe von Politikern,
Zentralbankvertretern und Ökonomen Interventionen zugunsten des
Euro positiv gegenüberzustehen,
obwohl aus ihren Äußerungen eher
kritische Töne hinsichtlich der
Vorstellung eines Wechselkurszieles zu entnehmen sind. Dies erscheint jedoch inkonsistent. Es
kann vermutet werden, dass die
ablehnende Haltung gegenüber
Wechselkurszielen die Schwierigkeit, den fundamentalen Gleichgewichtskurs zu bestimmen, reflektiert. Hält man dessen Berechnung
jedoch für unmöglich, muss man
konsequenterweise auch Interventionen ablehnen. Hält man seine
Bestimmung dagegen für möglich,
wären Interventionen nur dann
sinnvoll, wenn davon ausgegangen werden kann, dass über Interventionen eine Wechselkursstabilisierung in die gewünschte Richtung möglich ist.
Bei der Diskussion der Wirkungen von Devisenmarktinterventionen ist zwischen sterilisierten und
nicht-sterilisierten Interventionen
zu unterscheiden. Bei nicht-sterilisierten Interventionen lässt die
Zentralbank jene Geldmengenänderungen zu, welche durch die
Veränderung der Währungsreserven herbeigeführt werden. Würde
die EZB den Euro durch solche
Interventionen stützen, müsste sie
Devisen verkaufen und es käme zu
einer Kontraktion der Euro-Geldmenge. Daraufhin würden die Zinsen steigen, wodurch letztlich die
Stärkung des Euro erfolgen würde.
Wäre dieser Übertragungsmechanismus jedoch durch Interventionen intendiert, so könnte die gleiche Wirkung von kontraktiven
geldpolitischen Maßnahmen ausgehen. Der Vorteil eines solchen
kontraktiven geldpolitischen Ein342
griffs bestünde darin, dass auf eine Intervention verzichtet und somit einem Verlust von Währungsreserven vorgebeugt würde.
Aufgrund der angeführten Überlegungen denken Befürworter von
Interventionen meist an die sterilisierte Form. Hierbei würde die EZB
bei einer Stützung des Euro durch
Verkauf von Währungsreserven die
entstehende Geldmengenreduktion durch eine parallele expansive
Geldpolitik kompensieren. Die
kontraktiven Geldmengeneffekte
der Intervention würden so neutralisiert, die Geldmenge und der Zins
blieben damit unverändert. Wenn
von einem derartigen wirtschaftspolitischen Eingriff anhaltende Wirkungen auf den Wechselkurs ausgingen, so besäßen Zentralbanken
neben der Geldpolitik ein zusätzliches Instrument. In der wirtschaftswissenschaftlichen
Forschung ist allerdings umstritten,
ob solche Interventionen den
Wechselkurs beeinflussen können.
Die bekannteste Veröffentlichung
hierzu stammt von Kathryn Dominguez und Jeffrey Frankel aus
dem Jahr 1993 („Does Foreign
Exchange Intervention Work"). Die
Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sterilisierte Interventionen den Wechselkurs nur unter
ganz restriktiven Voraussetzungen
beeinflussen können. Dazu gehört,
dass sie als gemeinsame Aktion
der beteiligten Zentralbanken erfolgen. Bezogen auf den Kurs des
Euro gegenüber dem Dollar müsste also die amerikanische Zentralbank bereit sein, Interventionen
zur Schwächung des Dollar durchzuführen. Hiervon ist aber momentan wohl kaum auszugehen, da
dies die Konjunktur in den USA
noch weiter anheizen würde.
Fazit
Insgesamt bleibt festzuhalten,
dass die mit dem Hinweis auf die
deutliche Euroabwertung vorgetragene Hypothese, das internationale Weltwährungssystem bedürfe
einer Änderung, sowohl unter
theoretischen als auch empirischen Gesichtspunkten problematisch erscheint. Wechselkursschwankungen können nur dann
reduziert werden, wenn die Regierungen der beteiligten Länder in
ihrer Politik stärker die außenwirtschaftlichen Wirkungen beachten.
Dies setzt eine Prioritätenverlagerung in der Wirtschaftspolitik voraus, die auch bedingt, dass die
Verfolgung anderer Ziele, wie sie in
der „impossible trinity" zum Ausdruck kommen, mehr in den Hintergrund tritt. Befürworter von Interventionen und Wechselkurszielen sollten deutlich machen, welches Ziel sie bereit sind zurückzustellen.
Bei der Abwägung der Vor- und
Nachteile der verschiedenen währungspolitischen Optionen ist zu
bedenken, dass die aus Schwankungen des Eurokurses entstehenden ökonomischen Kosten für
Handel und Investitionen für die
EWU als großem und vergleichsweise wenig offenem Währungsraum deutlich geringer sind, als
dies für die einzelnen Mitgliedstaaten vor Errichtung der EWU
der Fall war. Schließlich ist auch zu
bedenken, dass jeder Eingriff in
die Wechselkursbildung mit dem
Problem der Bestimmung eines
längerfristigen gleichgewichtigen
Wechselkurses verbunden ist. Somit mag man zwar die Wechselkursschwankungen zwischen den
großen Handelswährungen als
nachteilig ansehen, man könnte
aber gleichzeitig die Kosten, die
das aktuelle System für die einzelnen Volkswirtschaften mit sich
bringt, als geringer einschätzen als
die Kosten der angebotenen währungspolitischen Alternativen.
WIRTSCHAFTSDIENST 2000/VI
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