Herrn Dipl. Kfm. Bernhard Feldhaar

Vergiss es!
Vergessen ist hervorragend!
Die Hauptfunktion des Gedächtnisses liegt im Vergessen. (Soziologe Niklas Luhmann)
Auszug aus einem Zeitartikel, mit dem Titel: Vergiss es!
Vom 13-08-2015 – Die Zeit Nr. 33!
Um etwas zu behalten muss man zunächst sehr viel vergessen.
Sagt Vergessensforscher Prof. Douwe Draaisma, Uni Groningen. Er hat einen merkwürdigen
Widerspruch ausgemacht, Vergessen ist absolut essentiell, gerade für das Gedächtnis. Wenn wir nicht
vergessen würden, wäre unser Gedächtnis schnell überlastet. Nicht weil der Speicherplatz begrenzt
wäre, sondern weil wir Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden könnten.
Vergessen erscheint weder hilfreich noch fortschrittlich. Und doch ist das Vergessen nicht nur eine
Bedrohung, z.B. durch die Alzheimer Krankheit, in unserer Existenz , es ist eine ihrer wichtigsten
Bedingungen, denn ohne Löschen wären wir unfähig etwas zu speichern. Wir wären unfähig zu
handeln, zu lernen, ja sogar unfähig zu lieben.
Während Neurowissenschaftler und Psychologen den Nutzen des individuellen Vergessens
entdecken, diskutieren Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler heftig über den kollektiven
Umgang mit der Vergangenheit. Der Soziologe Harald Welzer, schreibt:
Die weitverbreitete Vorstellung, dass Erinnern grundsätzlich gut ist und Vergessen böse, ist totaler
Quatsch. Der Soziologe Niklas Luhmann schreibt in seinem Monumentalwerk,
die Hauptfunktion des Gedächtnisses liegt im Vergessen, im Verhindern der Selbstblockierung des
Systems durch ein Gerinnen der Resultate früherer Beobachtungen.
Das Vergessen räumt Kapazitäten für Aufmerksamkeit und Kommunikation frei. Sozialverhalten ist
demnach nur durch das Vergessen möglich.
Christian Meiers These, einer der bekanntesten Geschichtswissenschaftler Deutschlands, das
Schlimme wiederhole sich manchmal gerade deshalb, weil die Menschen sich daran erinnern.
Erinnerung erzeuge häufig den Drang zur Rache und zur Erwiderung der Rache.
Es herrscht einfach noch immer die Vorstellung vor, durch Unterdrückung von Erinnerungen bekomme
man psychische Probleme, sagt Psychologe Karl- Heinz Bäuml.
Die natürliche Fähigkeit, Erinnerungen abzuwehren, schützt vor psychischen Problemen.
Vergessen ist eine gesunde Reaktion, und ständiges Erinnern kann krank machen. Viele leiden unter
Depressionen, eine Krankheit des Nichtvergessenkönnens, die Erkrankten hängen in ihren dunklen
Erinnerungen fest, können Vergangenes, Verlorenes oder Versäumtes nicht loslassen.
Menschen mit dominierenden Erinnerungen konservieren auch Enttäuschungen und
Zurückweisungen, jeden Fehler, jedes ungerechte Wort. Das macht ihnen selbst das Leben schwer,
aber auch ihren Mitmenschen. Denen erscheinen sie häufig als nachtragend und rechthaberisch.
Vergessen macht ein Miteinander menschlicher.
Ist eine Beziehung gesund, tut Vergessen meist gut. Wer das Vergessen nicht aushält, spürt häufig
eine große Unsicherheit. Denn wer Unsicher ist, sucht in Erlebten, Bekanntem, Verrautem Halt und
hält es fest. Verzeihen wäre ein bewusster Akt, geschieht das Verblassen der Erinnerungen von selbst.
Die große Rolle des Löschens beim Speichern zeigt besonders die Funktion des Ultra-KurzzeitGedächtnisses. Visuelle Eindrücke kann es nur für Sekundenbruchteile bewahren, akustische nur für
wenige Sekunden.
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Auch unser autobiografisches Gedächtnis, das uns am wichtigsten ist, es formt unsere Identität, ist
vom Vergessen geprägt. Zu keiner Zeit löscht das Gehirn so eifrig wie in unseren ersten Jahren. Die
frühesten Erinnerungen setzen meist erst im Alter von 3- 4 Jahren ein .
Es liegt auch daran, dass Kinder beginnen, in routinemäßige Abläufe zu sortieren, sogenannte
Skripte. Z.B. Essen, Baden, Zoobesuch. Dabei gehen die einzelnen Erinnerungen verloren und werden
zu Wissen.
Unser Gedächtnis ist nicht für die Vergangenheit gemacht, sondern für die Zukunft.
Vorteilhaft ist nicht, alle Erfahrungen akribisch zu archivieren, sondern auf besonders wichtige schnell
zugreifen zu können.
Wer Opfer einer Gewalttat, eines Unfalls oder eines Terroranschlags wurde, leidet manchmal sein
Leben lang daran. Was hilft gegen die übermächtige Erinnerung? Vorbeugendes Erinnern! Das war
lange die Antwort vieler Psychologen. Das De-Briefing sollte posttraumatische Belastungsstörungen
vorbeugen. Mehr und mehr Studien zeigten, dieses Zwangserinnern lindert das Leid nicht, sondern
verstärkt es oft sogar.
Durch gezieltes Erinnern werden die natürlichen Erholungsmechanismen gestört,
sagt der Psychologe Richard McNally der Harvard- Uni.
Das liege an einer grundsätzlichen Eigenheit unseres Gedächtnisses.
Jedes mal, wenn wir eine Erinnerung abrufen, verändern wir sie unweigerlich
und speichern dann die neue Version ab.
Wir erinnern uns also nicht an das, was tatsächlich passiert ist, sondern an
die zuletzt gespeicherte Version.
Wenn beim gezielten Erinnern die Emotionen so richtig hoch kochen, wird der Schrecken
verfestigt. Gibt man den Gefühlen die Chance zu verblassen, sei das heilsam, so McNally.
(Ändern Sie im Computer eine vorhandene Datei, speichert dieser beim Wiederablegen das
neue Datum! Sie könnten erkennen, dass an dieser Datei gearbeitet wurde!)
Damit ein Erlebnis abgespeichert wird, müssen im Gehirn bestimmte Eiweiße gebildet werden.
Behalten ist ein stofflicher Vorgang.
Man könnte mit einer Arznei diese Eiweißbildung verhindern, so die Erkenntnis des Neurowissenschaftlers Joseph LeDoux von der Uni New York. Das gelang dem Psychiater Alain Brunet, der
McGill- Uni, Montreal.
Brunet nutzte den Betablocker Propranolol. Dieses blockierte die Rezeptoren für das Stresshormon
Adrenalin und senkt so den Blutdruck und die Produktion von Gedächtnisproteinen.
Auf eines laufen die Entdeckungen aller Forscher hinaus, ohne das Löschen wären wir nichts.
Wir sollten das Vergessen schätzen. Es befähigt uns, Neues wirklich zu verinnerlichen, denn erst wenn
der Vorgang des Lernens vergessen ist, beginnt das Können. So gesehen ist ein Sieb ein
lebenswichtiges Werkzeug.
P.S.
Der Filter im Kopf!
Unser Gehirn speichert Sinneseindrücke zunächst für sehr kurze Zeit und bewertet sie anschließend.
Ins Langzeit- Gedächtnis gelangt nur, was für wichtig befunden wurde.
Die Amygdala,
die beiden Mandelkerne, spielen für die emotionale Bewertung von Erinnerungen
eine wichtige Rolle
Der Hippocampus (Zwischenhirn),
diese beiden Strukturen sind, zusammen mit der Amygdala, für die Übertragung
vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis zuständig.
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Die Basalganglien (Kleinhirn).
Hier sitzt das prozedurales Gedächtnis, mit dem wir uns BewegungsMuster merken.
Die Großhirnrinde (Cortex)
Die grauen Zellen und die Verbindungen zwischen ihnen speichern
Faktenwissen, aber auch unsere Biografie.
Das Gedächtnis ist verrückt.
Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach ist, es zu manipulieren! Julia Shaw, Psychologin.
Erinnerungen sind datengestützte Erfindungen, sagt der Hirnforscher Wolf Singer. Unser Gedächtnis
ist keine Videothek, es ist ein Mosaik, das immer wieder neu zusammengesetzt wird.
Hirnforscher und Psychologen häufen immer mehr Belege dafür, wie unzuverlässig unser Gedächtnis
ist. Wir vergessen nicht nur, wir vereinfachen, wir verdrehen, wir fabulieren, halten Gelesenes und
Gehörtes für Erlebtes und erinnern uns sogar an niemals Geschehenes.
Solche falschen Erinnerungen entstehen besonders leicht, wenn jemand während des Abspeicherns
unter Stress steht. Die Stresshormone verändern die Reizweiterleitung im Gehirn und beeinflussen so,
was wir wahrnehmen und was wir uns merken.
Tatsächlich ist der Moment des Erinnerns einer der heikelsten für die Intaktheit einer
Erinnerung, sie wird nämlich genau in diesem Augenblick wieder formbar.
Probanden wird ein Foto gezeigt, mit der Frage, wie schnell waren die
Autos, als sie zusammenstießen?
Geschätzt wurden i.R. 55 km/h.
Das gleiche Foto, an andere Probanden, mit der Frage, wie schnell waren
die Autos, als sie zusammenkrachten?
Geschätzt wurden i.R. 65- 70 km/h.
Das Wort „krachten“ verursachte diese Verschiebung.
Bisher glaubten viele Psychologen, dass sich echte Erinnerungen genau daran erkennen ließen, dass
sie besonders detailreich und sinnlich waren. Weiterhin galt, die hohe Emotionalität, je
gefühlsbeladener so die Annahme, desto wahrer die Erinnerung.
Auch diese Erkenntnisse sind inzwischen widerlegt. (Elisabeth Loftus) Falsche und echte
Erinnerungen enthielten beide komplexe Beschreibungen und Sinneseindrücke, sie waren nicht zu
unterscheiden. Hirnscans förderten zu Tage, dass echte Erinnerungen so konstruiert waren wie
falsche Erinnerungen.
Nutzbar, wofür?
-in Streitgesprächen über etwas, was war
-in Fall von Nichtvergessen können, von Kränkungen/ Misserfolgen/Beleidigungen
-Familienstreit, man spricht seit Jahren nicht miteinander, weil der/ die Andere …
-Führende behandeln Schadensfälle/ Nichterfolge mit verbaler/ nonverbaler Härte
-im Trauerfall, immer wieder Hervorholen von Erinnerungen
-im Fall von Unfällen, was wer gesehen hat und was nicht
dipl. ing. hermann kutz
08-2015
Interessantes zum Nachlesen:
-Denken – Lernen- Vergessen von Vester, DVA
-Lernen ein Stoffwechselprozess – Gelerntes wird Materie
-Gehirn- Plastizität
-Stufen der Kompetenzentwicklung
1. Sie wissen davon nichts, unbewußteIn-Kompetenz, 2. Sie wissen, da gibt es etwas, bewusste Inkompetenz, 3. Sie lernen
es, bewusste Kompetenz, 4. Sie beherrschen es im Schlaf, unbewußte Kompetenz!
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