Die Zukunft der Arbeit

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Friedrich Moshammer
Die Zukunft der Arbeit
Reportage vom September 2006
Friedrich Moshammer hat für uns einen Blick in die Zukunft getan, in der Form eines positiven Szenarios
über mögliche Veränderungen in der Arbeitswelt von morgen. Wie könnte sich Telearbeit und die
Entwicklung der Kommunikationstechnologie in den nächsten zehn Jahren auf den Lebensalltag der fiktiven
„Familie Glück" auswirken?
„Hallo, hier bin ich wieder", sagt Karl Glück zu seiner Frau Rita, die gerade das
Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler räumt, „unser Kleiner ist im Kindergarten, die zwei
anderen in der Schule; morgen kümmere ich mich ums Geschirr. Meine Kollegen warten
schon auf mich; wir haben heute eine Teambesprechung über unser neues Projekt."
Frau Glück stellt noch eine Kaffeetasse in den Spüler und sagt: „Ich habe heute um ein Uhr
einen Termin; um Drei kann ich die Kinder abholen.- Also dann bis später!" Herr Glück
macht die Tür auf und geht - in sein Arbeitszimmer. Dort setzt er sich an seinen
Schreibtisch, dreht den Schwenkarm mit dem flachen Großbildschirm zurecht, klappt die
Bedienungsfläche für den eingebauten Computer heraus und sagt: „Verbinden mit 'Lernsoft',
Team 3!"
Auf dem Bildschirm erscheint ein Sitzungszimmer mit einem halbkreisförmigen
Konferenztisch und Sesseln. „Guten Morgen, Karl", sagt eine Stimme. Teamkollege Berhard
Mayr hat auf seinem Sessel Platz genommen, dann wird die Verbindung mit Romana Berger
hergestellt, und auch Sie erscheint plötzlich auf ihrem Platz. Innerhalb einer Minute ist Karl
Glück mit allen acht Mitgliedern seiner Arbeitsgruppe verbunden. Alle sitzen um einen
Tisch.- So scheint es jedenfalls. Denn das Konferenzzimmer gibt es zwar in Wirklichkeit im Regionalbüro der Firma „Lernsoft" -, aber dort sitzt im Augenblick niemand.
Hintergrund für die Teambesprechung ist das im Computer gespeicherte Abbild des Zimmers,
und alle Mitarbeiter sitzen tatsächlich zuhause - vor sich eine Kamera und einen mehr als
einen Meter großen Bildschirm. Alle sehen ihre Kollegen - oder eine zeitlang auch nur einen
der Teilnehmer, wenn Sie sich gerade auf seine Ausführungen konzentrieren wollen.
Während die Besprechung ihren Lauf nimmt, geht auch Rita Glück in ihr Arbeitszimmer und
schaltet den Computer ein, der ähnlich aussieht wie der ihres Mannes, und sagt: "Zeitung
drucken!" Kurz darauf hat Sie ein aktuelles Exemplar des „Tele-Info", einer Online-Ausgabe
der regionalen Tageszeitung, in der Hand. Die Schlagzeile erregt sofort ihre Aufmerksamkeit:
„Die öffentliche Verwaltung wird total umorganisiert!" - Rita Glück ist Angestellte im
öffentlichen Dienst, „Beamtin" hätte man früher gesagt -, und der Computer liefert ihr jeden
Tag eine ganz nach ihren beruflichen und privaten Interessen zusammengestellte Zeitung. Die
ihres Mannes sieht deutlich anders aus. Sportberichte auf der ersten Seite braucht Sie
jedenfalls nicht.
Die Reform des öffentlichen Dienstes ist Frau Glücks berufliche Aufgabe: Sie ist
Kommunikationstrainerin in der Abteilung „allgemeine Bürgerberatung" der
Landesregierung. Unter anderem wegen der enormen Rationalisierung der Verwaltung durch
Computer und Telekommunikation ist allmählich immer mehr Arbeitszeit der öffentlichen
Angestellten für Beratung und Dienstleistung frei geworden.
Immer mehr von Ihnen übersiedeln nun in relativ kleine, lokale "Bürgerbüros", wo jeder
Bürger nicht nur fast alle Behördenwege erledigen, sondern auch Auskünfte und Beratung
über alle Angelegenheiten der öffentlichen Verwaltung und Dienstleistung bekommen kann,
ganz gleich ob es Finanzamt, Landesbehörde, Gemeindeamt oder Sozialversicherung betrifft:
Von der Steuererklärung, über die Passausstellung bis zur Beratung über öffentliche
Förderungen und Versicherungen - alles hat hier seinen Platz.
Alle Bürgerbüros sind per Computer nicht nur untereinander und mit der Zentrale, sondern
auch mit vielen Haushalten und Firmen vernetzt. In den Vorräumen der Büros sind
Bildschirme zur Selbstinformation installiert. Trotzdem steht das direkte Gespräch von
Mensch zu Mensch im Vordergrund, das von keinem Automaten übernommen werden kann.
Die Routinearbeiten erledigt der Computer, und sowohl die Kunden als auch die Berater
haben sich meistens schon auf elektronischem Weg vorinformiert, bevor Sie sich zum
persönlichen Gespräch zusammensetzen. Kommunikationstrainer und -trainerinnen wie Rita
Glück werden dringend gebraucht, weil sich im Verlauf der Verwaltungsreform herausgestellt
hat, dass all die schönen technischen Möglichkeiten alleine die Kluft zwischen öffentlicher
Verwaltung und den auf Sie angewiesenen Bürgern nicht überbrücken konnten. Die größten
Hindernisse waren der weit über jedes überblickbare Maß hinaus gewucherte
Vorschriftendickicht mit seiner für die meisten Menschen kaum verständlichen Sprache, die
veraltete Organisation und nicht zuletzt die "bürokratische Mentalität" vieler Mitarbeiter.
Familienfreundlich arbeiten
"Bevor ich selber in den Staatsdienst gegangen bin, war ich in einer ziemlich großen
Bürgerinitiative namens 'wir Bürger' aktiv, die sich für eine menschlichere Verwaltung
einsetzt", erzählt Rita Glück nicht ohne Genugtuung, "dann hat die Politik viele unserer
Vorstellungen übernommen, und man hat mir diese Stelle angeboten." Nun leitet Sie
Intensivseminare, die den Mitgliedern der Bürgerbüro-Teams helfen sollen, sich an die
Teamarbeit zu gewöhnen, und daran, die Kunden nicht "abzufertigen" sondern tatsächlich zu
betreuen und zu beraten. "'Wir sind nicht zuständig', muss in unseren Büros ein Fremdwort
sein", sagt Sie, "das ist sozusagen mein Motto."
Sie arbeitet in Teilzeit, etwa 70% der Vollarbeitszeit, - schließlich brauchen die Kinder,
besonders der vierjährige Hannes, aber auch die siebenjährige Anna und die neunjährige Lisa
noch Mamas Anwesenheit, wenn Sie vom Kindergarten oder der Schule nach Hause kommen.
"Nicht den ganzen Tag oder die ganze Woche zu arbeiten, ist heute ganz normal", erklärt Sie,
"die meisten Leute tun das irgendwann, zumindest ein paar Monate oder ein Jahr. Außerdem
verbringe ich fast die Hälfte der Arbeitszeit mit Vor- und Nacharbeiten in meinem Zimmer.
Mein Mann arbeitet ohnehin zu 80 % zuhause; also stimmen wir unsere Arbeit soweit wie
möglich aufeinander ab."
Damit sich beide auf ihre Berufstätigkeit konzentrieren können und trotzdem die Kinder nicht
zu kurz kommen, gibt es eine "interne Arbeitsteilung". Wenn notwendig, kann einer sich
ungestört der Arbeit widmen, während sich der andere, je nach Bedarf, mit den Kindern
beschäftigt. Auch für die gemeinsame Zeit der ganzen Familie ist gesorgt. Die Glücks achten
genau darauf, dass Arbeit und Freizeit einander in einem möglichst harmonischen Rhythmus
abwechseln. Auch wenn es keine starr festgelegten Tages- oder Wochenarbeitszeit gibt, lassen
Sie es nicht zu, dass überhand nehmender Arbeitsdruck jede Zeit und Energie für andere
Aktivitäten auffrisst. "Auch Haushaltsführung und diverse unbezahlte Tätigkeiten bedeuten
Arbeit; Geld ist nicht das einzige Kriterium", sagt Karl Glück, der in seiner Firma
Multimedia-Programme zum Lernen am Computer gestaltet und programmiert.
Wenn er wieder einmal zu lange über einem kniffligen Problem grübelt, erinnert ihn eine
Stimme aus dem Computer daran, dass es jetzt Zeit für die Kinder ist oder dass jemand die
nasse Wäsche aufhängen muss. Und wenn er nach einiger Zeit wieder zurück an den
Schreibtisch kommt, fällt ihm die Lösung oft sofort ein. "Ich bin kreativer und erfolgreicher,
wenn ich nicht ständig verbissen vor mich hinarbeite", meint er.
Berufswechsel als Chance
Draußen im Garten und in der freien Natur hält er sich ebenfalls gerne auf und bekommt dort
wichtige Inspirationen: Die Glücks wohnen in einem Reihenhaus am Rand eines
Waldviertler Dorfes; bis vor fünf Jahren haben Sie in der Großstadt gelebt. "Jetzt sind wir ja
recht gut dran", erzählt Herr Glück, "aber der Fortschritt der Technik, durch den heute unsere
Lebensumstände und unsere Arbeit um vieles besser sind, hat uns zeitweise auch schon ganz
schön in Schwierigkeiten gebracht. Ich war früher Leiter der zentralen EDV-Abteilung einer
Speditionsfirma mit 120 Beschäftigten und habe meistens unter einem starken Stress
gearbeitet. Dann wurde aus Kostengründen der gesamte Computerbereich einer externen
Firma übergeben, die zum Großteil mit Personal aus Osteuropa arbeitet." Das seien alle sehr
gut qualifizierte junge Leute, sagt er - trotz der bitteren Erfahrung mit einigem Respekt -, und
vor allem noch recht billig. Die meisten Standorte dieser spezialisierten EDV-Firma lägen in
Tschechien und der Slowakei. "Die größere Entfernung ist heute kein wesentlicher Nachteil
mehr, denn die Niederlassungen sind mit ihrer österreichischen Stammfirma und mit ihren
Kunden per 'Datenautobahn' verbunden, genauso wie ich mit meiner jetzigen Firma."
"Ich habe also meinen Job als leitender Angestellter verloren", erzählt er weiter, "und war
zuerst ziemlich orientierungslos, weil ich darauf fixiert war, wieder eine ähnliche Position zu
finden. Das war aber nicht möglich, weil die meisten Firmen dieser Art ähnlich reagiert und
ihre Computerbetreuung ausgelagert haben. In den fünf Monaten als Arbeitsloser ist mir
allmählich bewusst geworden, dass ich schon in meiner Ausbildung als Informatiker an der
Fachhochschule ganz darauf getrimmt worden bin, eine möglichst leistungsfähige und
effizient funktionierende Technik zu produzieren, ohne viel darüber nachzudenken, was diese
Produkte im Leben der Menschen bewirken oder bewirken sollen.
Weil ich nun Zeit hatte und mir der ständige Stress von früher abging, suchte ich nach einer
Beschäftigung. Ich saß nun tage- und nächtelang an meinem Bildschirm und streifte quer
durch die Computernetze der Welt. Dabei wurde mir bald klar, mit welchem technischen
Aufwand auch der bedeutungsloseste Unsinn rund um den Globus geschaufelt wird, während
Wichtiges in der Masse der Angebote fast unterzugehen droht. Ich wollte auch nicht, dass
meine Kinder einmal ihre ganze Zeit damit verbringen, sich - mit einer dieser Datenbrillen auf
dem Kopf - im Weltraum herumzutreiben und dort feindliche Raumschiffe abzuschießen."
Neue Lebensqualität
Karl Glück beschloss also, seine bisherigen Karrierevorstellungen aufs Eis zu legen und
begann, selber Computerspiele zu entwerfen und zu programmieren. Dabei kam es ihm
weniger auf "tolle Effekte" und "Action" am laufenden Band an, als auf Themen, die ihm
wichtig erschienen. Sie sollten sich aber per Computer mit den enorm gewachsenen
Möglichkeiten der so genannten "virtuellen Wirklichkeit" besonders gut vermitteln lassen.
Einige Spiele, zum Teil für Kinder und Jugendliche, zum Teil für Erwachsene, entstanden so.
Ein Verlag veröffentlichte Sie. Das brachte immerhin einen Schub neues Selbstvertrauen,
auch wenn dabei nicht viel Geld für den Autor übrig blieb.
Eines Tages lag in seinem elektronischen Brieffach eine Nachricht von Albert Mayr, dem
Gründer von "Lernsoft", den er dann - ganz altmodisch - in einem Kaffeehaus traf. Er suchte
neue Mitarbeiter: Ein spannendes Simulationsspiel sollte entstehen, mit dem Menschen
gemeinsam verschiedene Zukunftsvorstellungen ganz wirklichkeitsnah durchspielen konnten.
Nicht nur die äußeren Einflüsse, wie Umwelt, Wirtschaftslage und technische Entwicklung,
sondern auch menschliches Verhalten, vor allem das der Spieler selbst, sollte darüber
entscheiden, ob positive oder negative Zukunftsvorstellungen Wirklichkeit wurden. Nach
eineinhalb Jahren Entwicklung war das Spiel fertig, und es wurde tatsächlich ein großer
Erfolg. Seither bilden Lernprogramme und Lernspiele, in denen immer die
zwischenmenschlichen Beziehungen, ob privat oder im Beruf, eine große Rolle spielen, den
Schwerpunkt der Arbeit.
Karl Glück ist Mitglied eines Teams, in dem niemand "anschafft", sondern alle täglich
versuchen, am selben Strang zu ziehen. Und wie seine Frau arbeitet auch er in der Freizeit
noch für eine Bürgerinitiative: "Wir machen Aktionen gegen Zynismus, Gewalt und
Pornographie in den elektronischen Medien. Aber wir protestieren nicht nur, sondern zeigen
auch Alternativen auf und bieten Sie zum Teil auch an. Die Leute sehen, dass andere Inhalte
mindestens ebenso spannend sein können. Auf diese Weise sind wir recht erfolgreich, und
destruktive Inhalte können sich in der Öffentlichkeit nicht so breit machen, weil Sie nicht
mehr als schick oder cool gelten."
Mittlerweile ist es halb vier, Anna und Lisa werfen ihre Schultaschen auf die Couch. "Habt
ihr in der Schule mein neues Zukunftsspiel ausprobiert?" "Ja, Papa", sagt Anna, "es hat mir
gut gefallen, aber ich glaube, dass wir nicht so dumm sind wie manche Leute in dem Spiel."
"Nein, ihr natürlich nicht, ihr macht euch ja früh genug Gedanken über die Zukunft!" In
diesem Moment geht die Tür auf, und Hannes stürmt herein: "Papa, schau, die schöne, große
Wurzel! Heute waren wir im Wald! Und das habe ich nachher im Kindergarten mit echter
Farbe gemalt ..."
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