ESSSTÖRUNGEN

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ESSSTÖRUNGEN
Darunter fasst man ANOREXIA NERVOSA, BULIMIA NERVOSA, BINGE EATING
STÖRUNG und ADIPOSITAS sowie verschiedene Mischformen zusammen.
Insbesondere die Bulimieerkrankungen haben in den letzten 10 Jahren rasant zugenommen.
(Absolute Zahlen für Amerika weisen darauf hin, dass bereits 8 Mill. AmerikanerInnen
essgestört sind, 1 Million davon sind Männer). Nicht nur das Schlankheitsideal lässt
Menschen ein unnatürliches Essverhalten annehmen, auch der Hunger nach Liebe oder der
Mangel an Austausch und /oder Wertschätzung im Familienleben führt dahin.
Unter evolutionsbiologischer Betrachtung ist festzustellen, dass der menschliche Organismus
wirkungsvolle Adaptationsmechanismen entwickelt hat, um nutritive Mangelzustände
möglichst gut zu kompensieren. Offenbar aber sind Anpassungsmechanismen an
Überflussbedingungen in unserem „Schlaraffenland“, in dem Land, in dem Milch und Honig
fließen , dass in der westlichen Welt Realität geworden ist, wenig effektiv ausgeprägt.
Die gegenwärtige Situation ist geprägt von Paradoxien:
 Die gute Lebensmittelqualität erlaubt theoretisch eine ausgewogene Ernährung der
gesamten Bevölkerung. Die Praxis zeigt etwas anderes.
 Die Erkenntnisse der Ernährungsmedizin und Ernährungswissenschaften sind
beachtlich vermehrt worden. Dennoch orientieren sich weite Teile der Bevölkerung an
Ernährungsempfehlungen von Außenseitern (Trennkost, Fit fürs Leben,…)
 Während Experten die Lebensmittel für gesundheitlich unbedenklich und sicher
einstufen, besteht bei den Verbrauchern beträchtliche Angst und Verunsicherung vor
Schadstoffen in den Lebensmitteln.
 Während die Versorgungslage mehr als ausreichend ist, persistiert ein normatives
Schlankheitsideal im Bereich des beginnenden Untergewichts und motiviert Millionen
Menschen freiwillig zu verknappter Nahrungsaufnahme, vergleichbar einer
Hungersnot.
 Trotz des Schlankheitsdruckes steigt in den westlichen Industrieländern das
durchschnittliche Körpergewicht weiter an.
Essstörungen reflektieren diese Doppelproblematik.
Ein interessanter Aspekt ist vielleicht noch dieser: In den 60-iger Jahren entstand die
Empfehlung des Idealgewichts, aufgrund der zunehmender Adipositas. Der Name „Twiggy“
wird noch ein Begriff sein. Damals galt der Broca-Index (Normalgewicht = Körpergröße
in cm minus 100), was nach gegenwärtiger Klassifikation im Body-Mass-Index an der
Grenze des Untergewichts liegt.
( BMI = Körpergewicht : Körperhöhe in Meter zum Quadrat)
In dieser Zeit als das Idealgewicht propagiert wurde, kamen die Schlankheitsdiäten auf, und
die Inzidenz von Essstörungen wie Bulimie steigen sprunghaft an. Inzwischen gelten Blitzund Crashdiäten, die die Nahrungsaufnahme rigide und restriktiv in der Energieaufnahme
beschränken als begünstigende Umstände unter der sich Essstörungen entwickeln. Die
exakten Ernährungsvorschriften, wie die Einteilung in Dickmacher und Schlankmacher, in
gesunde und ungesunde, die 1000- Kalorien Diäten, die Vorsätze: ab morgen esse ich z. B.
keine Schokolade mehr oder nur mehr Vollkornbrot, sind Beispiele für rigide
Kontrollstrategien, die den Menschen scheitern lassen. Die geringste Abweichung von dem
Vorsatz wird als totaler Misserfolg erlebt, der das Essverhalten kompensatorisch entkoppelt
und durch Schuldgefühle und Selbstwertzweifel zu einer neuen rigiden Vorsatzbildung führt.
Das rigide Verbot wirkt wie eine totale kognitive Verknappung des Lebensmittels, was
zwangsläufig auf eine Präfenzierung des verbotenen Lebensmittel hinausläuft, da es real
weiterhin verfügbar ist.
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Der Süßhunger ist ein typisches Beispiel für die Aktivierung von Gegenregulation:
Süßigkeiten gelten als Dickmacher und werden einer rigiden Verhaltenskontrolle
unterworfen. Unvermeidbar kommt früher oder später das Bedürfnis nach dem süßen
Geschmackserlebnis auf. Die Gegenregulation wird ausgelöst. Gerade bulimischen
Patientinnen lassen eine extrem rigide Kontrolle ihres Essverhaltens erkennen, die in eine
Heißhungerattacke im Sinne einer Gegenregulation einmündet.
Flexible Kontrollstrategien zielen darauf ab, eine längeren Zeitraum zu definieren, innerhalb
dessen Verhaltenskorrekturen möglich sind: Keine Nullvorgaben, sondern z.B. bei 1-2 Tafel
Schokolade/tgl., einen Vorrat von 10 Tafeln Schokolade für eine Woche anlegen- damit
auskommen und statt Schokolade einmal eine Apfel essen.
Ein großer Denkfehler in der ersten Dekade des neuen Überflusses, war die Überzeugung, die
menschliche Figur lasse sich über eine Manipulation der Nahrungskalorie modellieren. Jede
Beschränkung der Nahrungsenergie setzt den Widerstand biologischer
Überlebensmechanismen in Gang, die unter naturgegebenen Hungersnöten das Überleben
tatsächlich möglich machten, während freiwillig auferlegte Hungerdiäten unter permanenten
Überfluss jedoch nur zu erheblichen Essverhaltensstörungen führen.
Essstörungen stellen den Versuch dar unter bestehenden Bedingungen, also ohne etwas außen
zu verändern, seelisches Gleichgewicht auf Kosten des Körpers zu erlangen.
Es gibt in unserer Gesellschaft des Nahrungsüberflusses einen ziemlich massiven Auftrag an
die Mädchen sich beim Essen sehr zurückzuhalten. Der Auftrag wird in den Medien,
Werbung, über peer-groups, aber vor allem auch über die Mutter transportiert. Der Auftrag
lautet: “Sei schlank!“ Schlanksein ist die Voraussetzung für Glück, Erfolg und
gesellschaftliche Anerkennung. Dicksein ist verachtenswürdig, Ausdruck von Faulheit,
Schwäche, Dummheit und Gier. Da Schlanksein in unserer Gesellschaft die Lösung aller
Probleme verspricht, erscheint es nur logisch, dass mit dem Essen und Diät versucht wird, die
innere Welt wieder in Ordnung zu bringen.
FORMEN DER ESSSTÖRUNGEN
Unter Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge Eating leiden 5% der Frauen im Alter
von 14 bis 35 Jahren. Bulimie hat ein höheres Manifestationsalter, um 18 Jahren, eine starke
Zunahme in den letzten Jahrzehnten erfahren, auch die Behandlungsfälle haben in den letzten
20 Jahren stark zugenommen, betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten, wobei Anorexie
gehäuft in höheren Sozialschichten auftritt. Restriktives Essverhalten, extremes
Schlankheitsideal, Sorgen um das Gewicht und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper
sind mit der Zugehörigkeit zu höheren sozialen Schichten- dem entsprechenden Wertesystem
verbunden. Diätverhalten ist ein wesentlicher Vorläufer für Essstörungsentwicklung. Die
Hochrisikogruppe für Essstörungen in der EU beträgt lt. einer Studie, die an 4400
Schülerinnen in Westeuropa durchgeführt wurde, 8% der Mädchen zwischen11-13a. 14% bei
den 14-19-jährigen Mädchen. 40% der normal oder untergewichtigen Mädchen zw.11 und 19
Jahren fühlen sich zu dick. Eine besondere Risikogruppe stellen Sportlerinnen,
Ballettschülerinnen, Gymnasiastinnen und Studentinnen und auch juvenile Diabetikerinnen
dar. Weiterhin spielen genetische, familiäre und Persönlichkeitsfaktoren eine Rolle, wobei
genetische und Umweltfaktoren unklar bleiben.
Ein größerer Teil der Bevölkerung beiderlei Geschlechts leidet unter Adipositas.
Definitionsgemäß ist Adipositas keine Essstörung und nicht zwangsläufig mit pathologischem
Essverhalten verbunden. In den USA sind 35% bei beiden Geschlechtern übergewichtig,
wesentlich mit bedingt durch Bewegungsmangel, Nahrungsmittelüberfluss und drastisch
veränderte Lebensgewohnheiten der westlichen Gesellschaften. Die Betroffenen leiden zwar
unter der gesellschaftlichen Ablehnung ihres Übergewichts sehr, eventuell auch unter ihrer
körperlichen Beeinträchtigung. Sie lassen sich aber eher passiv hängen, genießen auch das
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Essen zum Teil sehr und ergeben sich ihrem Schicksal des Dickerwerden. Die daraus
resultierende Scham ist aber nicht so groß, die Hilflosigkeit nicht so unerträglich wie bei der
Bulimikerin, der es aus narzisstischen Gründen unerträglich ist dick - also schwach nach
außen zu erscheinen. Oft ist die bulimische oder magersüchtige Jugendliche ein dickes Kind
gewesen.
ADIPOSITAS
Man spricht von Adipositas Grad I: BMI 30-34
Grad II: BMI 35-39,9
Grad III: BMI > 40
Liegt der BMI zwischen 25,5 bis 29,9 so spricht man von Übergewicht
In den westlichen Gesellschaften findet sich ein negatives Verhältnis zwischen sozialem
Status und Adipositas- je höher die soziale Schicht, desto weniger verbreitet ist Adipositas.
Signifikante Unterschiede zeigen sich schon bei Kindern. In den traditionellen Gesellschaften
scheint dies umgekehrt zu sein. Je größer der Wohlstand und die Angleichung an westliche
Standards, desto stärker die Neigung zu Übergewicht. Auch das Alter hat eine entscheidenden
Einfluss – die höchste Prävalenz ist in der Altersgruppe der 45 -65 Jährigen zu finden. Die
ethnische Zugehörigkeit und genetische Faktoren spielen eine Rolle.
Emotionale Faktoren haben einen erheblichen Einfluss. Emotionelle Schwankungen
beeinflussen das Essverhalten und das Gewicht. Bei einer Reihe Übergewichtiger und
Adipöser lassen sich familiendynamische Einflüsse beobachten. Es sind das Körperschema
und das Sättigungsgefühl gestört. Es scheint als ob Esssüchtige im Sinne einer
Selbstmedikation kohlenhydratreiche Kost essen, um ihren Serotoninspiegel zu heben, damit
einen antidepressiven Effekt erzielen und nach dieser Kost eine Gier entwickeln. Nahezu
jeder psychische Konflikt auf jeder Entwicklungsstufe, nicht nur der oralen Phase wie
ursprünglich angenommen, und alle Gefühlszustände können mit zuviel Essen verbunden
sein.
Adipöse zeigen folgende Untergruppen:
<Rauschesser, die zur Hyperphagie neigen, wobei Fressattacken oft durch Unlustspannungen
ausgelöst werden. Dieses Binge Eating tritt nicht periodisch auf und ist mit auslösenden
Situationen verbunden. Hierunter fallen weniger als ca. 5% der Adipösen.
< Daueresser
, deren Appetit fast ständig merklich erhöht ist.
<Nimmersatte bei denen Appetit und Sättigungsempfinden fehlt.
<Nachtesser, die am Tage ein restriktives Essverhalten zeigen, an Ein - und
Durchschlafstörungen leiden, nächtliche Hungergefühle entwickeln und den Essvorgang nicht
beenden können. Dies findet sich bei10% der Adipösen
Adipositas wird als chronisches Krankheitsbild mit hoher Resistenz gegen Behandlungen und
hoher Rückfallneigung angesehen:
< Die meisten Adipösen kommen nicht in Behandlung
<Von denen, die sich behandeln lassen, brechen die meisten die Therapie ab.
<Die meisten, die Gewicht verlieren, nehmen wieder zu.
Psychodynamische Therapie kann Adipöse helfen, zufriedener zu leben, indem sie befähigt
werden, schmerzliche Gefühle besser zu ertragen, insbesondere solche, die mit
Trennungserfahrungen zu tun haben, sich selbst wertzuschätzen und ihren Körper weniger
abzuwerten. Damit vermindert sich die Gefahr des Zuviel-Essens. Psychodynamische
Therapien führen zu Gewichtsreduktion. Sie fördert die Abnahme von Depressivität, sozialen
Ängsten und Selbstwertproblemen. Der derzeitige Standard der Adipositasbehandlung ist die
Kombination von Psychotherapie, Diätetik und aktive Bewegung.
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BINGE EATING STÖRUNG
Etwa 30% der Adipösen leiden unter dieser Störung. Binge Eater können auch
normalgewichtig ein. Das Kernsymptom, das auch bei der Bulimie zu finden ist, ist der
Fressanfall, denen sich die Patienten ausgeliefert fühlen und sich nicht dagegen wehren
können. Beide Erkrankungen haben ein hohes Maß an psychiatrischen (Major Depression,
Angst und Persönlichkeitsstörungen) oder psychopathologischen Symptomen. Beim Binge Eating fehlen die unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen, wie Erbrechen oder
Hungern, Diätversuche und rigide Gewichtskontrolle. Die Häufigkeit der Fressanfälle ist
geringer als bei Bulimie, die Patienten sind älter, haben ein höheres Gewicht und es sind mehr
ältere Männer davon betroffen. Das Essen dient meist zur Selbstberuhigung und zur
Stimmungsregulation. Die Patienten brechen häufiger signifikant Therapien ab. Ätiologie
und Pathogenese sind noch unklar.
Diäten sind, wie bei Essverhaltensstörungen allgemein, ein wesentlicher Vorläufer für
Fressanfälle. Sie führen zu Sorgen und Kummer, die die Gefahr für Binge Eating erhöhen.
Diäten und Binge Eating sind mit einem niedrigen Selbstwertgefühl assoziiert, ebenso
affektive Symptome, Ängste, dysphorische Zustände und emotionale Instabilität. Binge Eater
neigen zu dichotomen Denken wie Hungern oder Vollstopfen. Wenig empathische und
nährende Eltern und negatives oder feindliches, vernachlässigendes Familienklima erhöhen
das Erkrankungsrisiko.
Triggerfaktoren, die Essanfälle auslösen und aufrechterhalten sind
< die zeitweilige Unterdrückung von Kummer und Sorgen und anderen negativen Affekten
< Isolation und sozialer Rückzug (Laboruntersuchungen konnten zeigen, dass Patienten mehr
essen und dazu neigen, sich zu überessen, wenn sie alleine sind, was zahlreiche Betroffene
immer wieder berichten)
Das Essverhalten wird von vielen als Versuch unangenehme emotionale Zustände nicht
spüren zu müssen oder Stress zu bewältigen, beschrieben. Dies scheint den Betroffenen
bewusstseinsnäher zu sein als Bulimikerinnen. Die Binge Eating Störung wird auch oft mit
einer Suchterkrankung verglichen, bisher liegen noch keine empirischen Ergebnisse über den
Vorteil von Suchttherapien bei Essstörungen vor.
ANOREXIA NERVOSA
KRITERIEN DER DIAGNOSE
Nach dem ICD-10( International Classification of Mental and Behavioral Disorders) besteht:
 Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten BMI von 17,5 oder weniger
 Gewichtsverlust selbst herbeigeführt durch Vermeidung von hochkalorischen Speisen
und eine oder mehrere der folgenden Möglichkeiten:
 Selbstinduziertes Erbrechen
 Selbstinduziertes Abführen
 Übertriebene körperliche Aktivitäten
 Gebrauch von Appetitzüglern und oder Diuretika
 Körperschemastörung, als eine tiefverwurzelte überwertige Idee , sehr niedrige
Gewichtsschwelle
 Endokrine Störung(Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden Achse): Amenorrhoe bei
Frauen, bei Männern Libido-und Potenzverlust)
Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären
Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt.
Die Betroffenen haben große Angst davor, dick zu werden und halten ihr Körpergewicht
bewusst unter der altersentsprechenden Norm. Die Beeinflussung des Körpergewichts kann
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durch extreme Nahrungsrestriktion, durch Erbrechen, Abführmittel, Appetitzügler oder
Diuretikaabusus erreicht werden. Das Verhältnis zum eigenen Gewicht, zur eigenen Figur und
die Wahrnehmung der eigenen Körpererscheinung sind auffällig verändert. Die Betroffenen
erleben sich unabhängig vom eigenen Gewicht als zu dick und können die eigene Figur und
ihren Körper nicht realistisch wahrnehmen und darstellen. Hinzu kommen eine intellektuelle
und körperliche Hyperaktivität, ein erstaunliches Leistungsstreben trotz körperlicher
Einschränkung und eine sekundäre Amenorrhoe. Eine Amenorrhoe wird dann angenommen,
wenn die Periode nur unter Hormoneinnahme auftritt. Die Amenorrhoe tritt bei 50% der
Patientinnen schon vor oder zu Beginn der Gewichtsabnahme auf.
Charakteristisch ist, dass diese Patientinnen erst auf Drängen von Familienmitgliedern den
Arzt oder Therapeuten aufsuchen, erste Gespräche finden in deren Begleitung statt.
Vordergründig fehlen psychische Probleme und Konflikte. Sie leiden höchstens unter dem
Verlust ihrer Leistungsfähigkeit. Ein Krankheitsgefühl fehlt, sie verleugnen den bedrohlichen
körperlichen Zustand und seelische Probleme, die Magerkeit ist weitgehend ichsynton (zum
Ich gehörend), sie möchten wegen ihres Strebens nach Besonderheit nicht als krank gelten.
An körperlichen Veränderungen sind auffällig: eine trockene, schuppige Epidermis;
Lanugobehaarung, Akrozyanose und Cutis marmorata; Minderwuchs, Haarausfall,
Speicheldrüsenschwellung,( Schwielen an Fingern, Läsionen am Handrücken durch häufiges
manuelles Auslösen des Würgereflexes)
Im Labor finden sich Bultbildveränderungen wie Leukopenie, Anämie und
Thrombozytopenie, Elektrolytstörungen, Erhöhung der Transaminasen, Amylase und
harnpflichtige Substanzen; Veränderungen im Lipidstoffwechsel; Erniedrigung des
Gesamteiweiß und Albumin;
Weitere Veränderungen sind im CT als Pseudoatrophia cerebri zu erkennen, Ösophagitis,
EKG-Veränderungen: durch Laxantienabusus induzierte Komplikationen z.B. Osteomalazie,
Malabsorbtionssyndrome, schwere Obstipation, hypertrophe Osteoarthropathie, Osteoporose.
KOMORBITITÄT:
Anorexie
Bulimie
 Depressive Verstimmung--------------------------------------------------------------(durch
Hungern, Fasten und Fehlernährung kann es zu kognitiven, affektiven und sozialen
Veränderungen kommen, die einer Depression ähnlich sind)
 Zwanghafte Züge, Zwangssymptome
(Verhaltensweisen beziehen sich auf die
Beschäftigung mit Ernährung, Essen, Gewicht
und sportliche Betätigung)
 Angststörungen---------------------------------------------------------------------------------(91% der Bulimikerinnen leiden unter Angststörungen wie soziale Phobie,
Agoraphobie)
 Substanzmissbrauch und Sucht, vor allem Alkohol; enger Zusammenhang von
Abhängigkeitstörungen und Bulimie - beide dienen zu Bewältigung negativer Affekte
und werden heimlich praktiziert , auch in der Familie vermehrte Abhängigkeiten
 Persönlichkeitsstörungen Borderlinestörungen bis zu 79%
zwanghafte Persönlichkeitsst.
Histrionische Persönlichkeitsstör.
Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung.
Die stärkste Persönlichkeitspathologie wird insgesamt der anorektisch-bulimischen
Patientengruppe zugeschrieben
 Posttraumatische Belastungsstörung
In beiden eine Gruppe schwer gestörte Patientinnen, die durch sexuellen Missbrauch
oder Misshandlung traumatisiert wurde
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ZUR PSYCHODYNAMIK DER ANOREXIE
Hungern dient der Sicherung der Selbst-Grenze: das Syndrom dient der Bannung einer Angst,
zu der ein Kampf an zwei Fronten geführt wird: nach außen gegen die Nahrung, nach innen
gegen das Dicksein. Diese Angst wird in der Pubertät manifest und kann durch die
Betrachtung der gesamten Entwicklung bis dorthin verstanden werden. Kern der Störung ist
die Unsicherheit des Subjektes die Grenzen zum Objekt aufrechterhalten zu können. Die
Patientin ist existentiell auf dieses Objekt angewiesen, das dieses Objekt bedrohlich bzw.
überwältigend erscheinen lässt oder die Welt erscheint ohne dieses Objekt bedrohlich und
überwältigend. Die Anorexie ist der Versuch, die Raumgrenze zwischen der eigenen Person
und anderen Personen, den Abstand zu Mutter, Vater und anderen aufrechtzuerhalten, ohne
sich von ihnen trennen zu müssen, also eine Kompromissbildung.
Als Kinder werden sie gut versorgt, Schwierigkeiten werden ihnen abgenommen,
Trennungserfahrungen, Ängste und Trauerreaktionen, mit dem daraus folgenden
Autonomiegewinn, bleiben ihnen erspart. Bewegung und Erprobung eigener Kräfte, Kämpfe
Rivalitäten und Niederlagen in der Gruppe der Gleichaltrigen, Erfahrungen der eigenen
Kompetenz erscheinen ihnen gefährlich und bedrohlich. Aggressive Impulse werden
abgewehrt, sie erleben sich als macht- und einflusslos. Eigene Abhängigkeitsbedürfnisse
können uminterpretiert werden in Abhängigkeiten der Beziehungspersonen, sodass der
goldene Käfig ( Hilde Bruch1978) entsteht. Dieses Unterminieren der Eigenständigkeit kann
schon früh beginnen, auch beim Essen, wo Sättigung oder Hungergefühl von außen, durch
Eltern kontrolliert wird und nicht lustvoll erlebt werden kann.
Auch forcierte Selbständigkeitsforderungen tragen zu einem brüchigen Autonomiegefühl bei.
Sie passen sich den Erwartungen der Eltern in Haushalt, Kindergarten und Schule an,
spontane eigene Impulse werden abgewehrt als störend, fremd und bedrohlich erlebt. Der
emotionale Austausch zwischen der späteren Patientin und den Beziehungspersonen ist oft
eingeschränkt und ritualisiert. Auf Zuwendungsbedürfnisse wird zwar eingegangen, aber in
einer rationalen, kühlen Weise. Die Ambivalenz der Mutter ist ihnen spürbar, die sich hinter
der Zugewandtheit verbirgt, sie sind neben ihren Wünschen nach Zugewandtheit und Nähe
aggressiv. In den Familien finden sich gehäuft zwanghafte und soziöphobische Züge, oft wird
Nähe und Intimität über Essen hergestellt.
Das Klima in Esssuchtsfamilien ist oft sehr bestimmt von gegenseitiger Verstrickung, die
Abgrenzung der Familienmitglieder untereinander ist schwach, jeder denkt, fühlt und handelt
für den anderen. Meist mischen sich auch noch die Eltern der Eltern ein. Konflikte und
Spannungen in der Familie werden verleugnet. Die Mutter hat selbst ein Gewichtsproblem
oder eine Essstörung. Die Grenzen der Familie sind nach außen hin starr, die Kinder haben
wenig außerfamiliäre Beziehungen, Anderssein wird als Bedrohung erlebt, Gleichklang und
Harmonie sind wichtig. Das Kind kann seine Erfahrungen nicht wahrnehmen und entwickelt
ein falsches Selbst. Es legt sich eine Fassade äußerer Anpassung zu, indem es sich den
Forderungen der Umgebung unterwirft.
Lange Zeit wurde die dyadische Problematik zwischen Mutter und Tochter alleine
beschrieben, auch die Väter spielen eine große Rolle bei der Entwicklung der Anorexie.
Häufig lässt sich eine negative oder umgekehrte Lösung des ödipalen Konfliktes beobachten.
Statt mit der Mutter um den Vater zu konkurrieren, identifiziert sich die Patientin mit dem
Vater und konkurriert mit ihm um die Mutter. Sie bietet sich gleichsam als die bessere
Partnerin an. Es lassen sich drei Muster erkennen:
< Der bekämpfte Vater und die umworbene Mutter
<Der enttäuschende Vater und die abgelehnte Mutter
<Der heimlich bewunderte Vater und die bekämpfte Mutter
In allen Modellen wird das Frausein, wie es die Mutter vorlebt, abgelehnt, weil im ersten Fall
die Mutter schwach ist, sich unterwirft aber die Patientin kontrolliert. Im zweiten Fall ist der
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Vater unterwürfig, schwach, die Mutter übermächtig, so dass eine Identifizierung mit ihren
kontrollierenden und kastrierenden Zügen nicht möglich ist. In der dritten Konstellation
identifiziert sich die Patientin mit dem dominierenden, willkürlichen oft auch gewalttätigen
Vater, sie hält innerlich zu ihm, gleichzeitig ist diese Nähe gefährlich, weil sie für den Vater
attraktiv ist. Die Anorexie hindert sie am Frausein, sie kostet den ödipalen Triumph nicht aus.
Der Gewissensanteil ihres Über-Ichs betont Harmonie, Aggressionsfreiheit, Verbundenheit,
Aufopferung und Verzicht. Um sich etwas gönnen zu dürfen, muss man gelitten haben. Im
Ich- Ideal werden Leistung, Perfektion, Selbstkontrolle und Autonomie betont.
Perfektionistische Züge findet man schon in deren Kindheit. Die angestrebte Stärke besteht
darin, Bedürfnissen nicht einfach nachzugeben. Aggression wird selten geäußert, sondern in
Form von moralischen Werturteilen und Anklagen zur Darstellung gebracht. Konflikthaft
sind die Autonomiestrebungen, wegen des Verstoßes gegen das Harmonie- und
Gemeinsamkeitsgebot. Auch Versorgungs- und Intimitätswünsche sind ein Konflikt, sie rufen
Angst vor Kontrollverlust und Gier, vor Rivalität, vor Trennung vom Objekt und
Verlassensein, vor Kritik und Beschuldigung, aber auch vor Passivität und Weiblichkeit,
verbunden mit Ausgeliefertsein bzw. der damit verbundenen Konkurrenz, hervor.
VERLAUF UND PROGNOSE:
Diese Ergebnisse hängen stark von der Katamnesedauer ab: Eine Heilung kann bei 50%, eine
Besserung bei 20 -30% erreicht werden, bei 25% sind chronifizierte Verläufe zu finden. Nach
9 Jahren zeigt sich bei 76% eine Normalisierung des Gewichts und des
Menstruationszykluses, 2/3 sind noch stark mit dem Gewicht beschäftigt, ein normales
Essverhalten entwickelt sich bei ca. 1/3 der Patientinnen, viele berichten über eine bulimische
Phase im Langzeitverlauf. Häufig bleiben weiterhin Depressionen, Zwangssymptome ,
Alkohol und Drogenmissbrauch, soziale Phobien und Schizophrenien bestehen.
Schwierigkeiten bestehen auch im psychosozialen und psychosexuellen Bereichen. 40%
heiraten, bekommen Kinder, Angst und Ablehnung von Sexualität berichten bis zu 37%. Die
berufliche Integration scheint besser zu gelingen.
Die Mortalitätsrate liegen nach 20jähriger Katamnese bei 15%, nach über 20Jahren bei20%.
Todesursachen sind die Folgen der Abmagerung, insbesondere Herzstillstand und
Suizidhandlungen aufgrund der gravierenden psychosozialen Folgeprobleme chronischer
Anorexie. Unbehandelt bleibt anorektisches Essverhalten bei der Mehrzahl bestehen, die
Mortalität beträgt 12%, eine Chronifizierung bei 40%, 10% entwickeln Psychosen.
Prognostisch günstig sind ein früher Krankheitsbeginn, ein kurzer Intervall bis zum
Therapiebeginn, eine gute prämorbide psychosoziale Anpassung und Leistungsfähigkeit, eine
Verbesserung der familiären Beziehungen und eine Verbesserung der sozialen Kontakte
während der Therapie.
THERAPIE
Bei der Behandlung der Essstörungen werden zahlreiche Therapieverfahren angewandt. Die
meisten empirischen Untersuchungen liegen über kognitive Verhaltensstrategien vor.
Außerdem werden tiefenpsychologische, psychoanalytische und familientherapeutische
Behandlungen, Suchttherapien, frauenspezifische Therapien und Selbsthilfegruppen
angeboten. Neben ambulanten und stationären Therapien gibt es auch Wohngemeinschaften
für Essgestörte. Bislang gibt es keinen empirischen Beweis für die bessere Wirksamkeit einer
spezifischen Psychotherapie, aber sie ist unerlässlich und erstreckt sich idealerweise über
Jahre. Bei schwerer Symptomatik ist die stationäre Therapie mit Zwangsernährung nötig(in
der Regel bei einem BMI von 14,5). Medikamente als erste oder einzige Therapiemaßnahme
sind nicht indiziert. Aufgabe der Psychotherapie bei allen Essstörungen ist die Entwicklung
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von Coping-Strategien für die Gefühlsbereiche, vor allem der Bereich der
Konfliktwahrnehmung, der konstruktiven Selbstbehauptung, der Ich-Abgrenzung notwendig.
Denn bei allen Essstörungen ist die Hungerwahrnehmung gestört, wie die Wahrnehmung von
anderen Gefühlen, Bedürfnis und Erlebnisbereichen ist sie unzureichend differenziert.
PSYCHODYNAMIK DER BULIMIE:
Typischer Weise zeigt die Bulimie einen tief greifenden Identitätskonflikt- er besteht aus dem
Anteil der Aktivität, Selbstkontrolle und Autonomie, was die Patientinnen nach außen hin
zeigen möchten, und einem anderen Selbstanteil, der Bedürftigkeit, Schwäche und
Unkontrolliertheit- was als Defekt und Makel erlebt und verborgen wird. Sie leben eine
doppelte Realität, Gewichtszunahme über eine gewisse Grenze hinaus, macht den Makel
deutlich. Dieser Makel ist sehr tiefgehend, sie empfinden sich in der Regel als nicht liebens –
und beachtenswert, dies bestimmt ihr Erleben weitgehend.
Basale Bedürfnisse nach Anlehnung, Resonanz und Bestätigung durch ihre
Beziehungspersonen bleiben unbeachtet und unbeantwortet, oft erlebten sie den Wechsel
zwischen Zuwendung und Missachtung, so dass die späteren Patientinnen sich nicht
verlässlich orientieren konnten. Diese Erfahrung ist ein durchgehendes Muster, es bleibt nicht
nur auf die präödipale Zeit beschränkt.
Eine Missachtung der Intimschranken und ein taktloses Eindringen in die persönliche Sphäre
finden sich in der Genese vieler Patientinnen. Sexueller Missbrauch, als die extreme Form
dieser Missachtung der Intimschranken, kann erheblich zu Bildung von Essstörungen
beitragen. Gerade die Bulimie ist stark mit Missbrauchserfahrung korreliert. Scham, selbst
erniedrigende Vorstellungen auf den Körper bezogen, erlebter Kontrollverlust, dissoziative
Mechanismen und Blockierung von Affekten und Kognitionen werden bei der bulimischen
Handlung, wie auch beim sexuellen Missbrauch erlebt. Aber nur eine Minderheit von
Bulimikerinnen ist von Missbrauchserfahrungen betroffen.
In den Familien lassen sich oft Väter, die zu impulsiven Handlungen, wie Alkoholabusus,
Jähzorn bis hin zu Gewalthandlungen neigen, finden. Einerseits lehnen die Patientinnen
diesen Aspekt des Vaters ab, aber in einer tieferen Schichte, bewundern sie den Vater darin,
sehen es als Zeichen von Stärke, wie sich der Vater über Regeln, die die Mutter vertritt,
hinwegsetzt. Im Brechanfall ist diese Identifikation mit dem Vater sichtbar. Zwischen Mutter
und Tochter besteht starke Rivalität, insbesondere um die Attraktivität, die offen ausgetragen
wird.
In einer anderen Familienkonstellation, wo der Vater verachtet und die Mutter bekämpft
wird, neigt die Mutter zu Impulsivität. Der Vater ist enttäuschend, weich und nachgiebig.
Oder es gibt einen distanzierten, unzuverlässigen Vater und eine hilfsbedürftige Mutter, wo
die Patientin zum Ersatzpartner für die überforderte Mutter wird. Sie selbst erhält weniger als
sie gibt. Der Vater, der auch zu Impulshandlungen neigt, wird bewundert dafür wie er sich
entziehen kann und einfach seiner Wege geht.
Auslösesituationen sind Zeiten in denen sich die Patientinnen exponiert fühlen und meinen
sich bewähren zu müssen, sich dabei aber ungenügend erleben und zurückgewiesen fühlen.
Deshalb treten die Symptome in der Verselbständigungsphase bei Studienbeginn,
Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, Auslandsaufenthalten oder Berufseinstieg auf.
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Grenzverletzungen durch Lächerlichmachen, Verletzung von Gefühlen, unvorhersehbares
Verhalten und Unzufriedenheit mit dem Körper scheinen bei der Entstehung oft bedeutsamer
zu sein. Relevant sind häufiger die alltäglichen, weniger die spektakulären Grenzen und
Integrität verletzenden Interaktionen, die das Gefühl der Schwäche, Hilflosigkeit und
Ausgeliefertsein entstehen lassen. Ausplaudern von Anvertrautem oder Ironisieren von
wichtigem Erleben, fördern die zentrale Angst der Patientinnen, dass jede Form der Intimität
in einer Bloßstellung endet.
Bulimikerinnen fallen durch ihr Normal bzw. Idealgewicht vom äußeren Aspekt her vorerst
nicht auf. Die Ess – und Brechattacken werden streng geheim gehalten, vor allem der Freund
darf nicht wissen, unter welch schwierigen Bedingungen die körperliche Attraktivität erreicht
und aufrechterhalten wird. Viele haben altersadäquate sexuelle Beziehungen, was nicht
bedeuten muss, dass sie Sexualität genießen können. Sie suchen eher die Geborgenheit und es
ist aus Selbstwertgründen wichtig einen Freund zu haben. Sie haben eine starken
Leidensdruck und das Bewusstsein an einer schweren Essstörung zu leiden. Fremde Hilfe
wird aber erst dann akzeptiert, wenn es ihnen nicht mehr gelingt den äußeren Schein zu
wahren. Wenn die Leistungsfähigkeit sinkt und der Alltag nur mehr von Essen und Erbrechen
beherrscht wird, steigt auch die Neigung Alkohol und Drogen zu konsumieren, ebenso
tauchen Selbstmordgedanken auf.
Die Nahrungsmengen sind für uns kaum vorstellbar, die an einem Tag verschlungen und
erbrochen werden. Während eines Essanfalles werden bis zu 29 000kcal verschlungen. Auch
wie viel Geld, Erspartes und Zuwendungen darin aufgehen, die Lebensmittel zu beschaffen,
ist schwer vorstellbar. („ Ich habe einen Porsche ins Klo gekotzt!“) Kriminelle Handlungen
werden oft nötig.
Somatische Befunde sind eine ausgeprägte Karies, Haarausfall, Elektrolytstörungen, Mineral
– und Vitaminmangel, Anschwellen der Parotis, chronische Ösophagitis, Hypotonie und
chronische Obstipation, EKG -Veränderungen durch Hypokaliämie.
VERLAUF UND PROGNOSE
Etwa 50% der bulimischen Patientinnen sind nach 10 Jahren symptomfrei, 20% haben
weiterhin bulimische Symptome, 15% eine Bulimie. Die übrigen haben einen unsteten
Verlauf mit symptomfreien Intervallen, Rückfällen und subklinischen Symptomen.
Übergänge in Anorexie sind selten, eher umgekehrt. Psychotherapie verbessert den Verlauf in
jedem Fall. Prognostisch ungünstig wirken sich eine Chronifizierung der Krankheit, eine stark
ausgeprägte Symptomatik, familiäre Depressivität und Alkoholismus, sexueller Missbrauch in
der Anamnese, sowie eine Borderline – Persönlichkeitsstörung, aus.
Die Mortalitätsrate ist vermutlich gering, wird aber möglicherweise unterschätzt.
Unterlage für statistisches Material aus: “Psychotherapie der Essstörungen“, Hsg. Günther
Reich., Manfred Cierpka, Thieme Verlag
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