inhalt der pressemappe

Werbung
GLÜCK – WELCHES GLÜCK
06.03.2008 – 04.01.2009
Ein Projekt des Deutschen Hygiene-Museums Dresden und des
Siemens Arts Program
AUSSTELLUNGSRUNDGANG
PROLOG ZUR AUSSTELLUNG
Raumgestaltung:
Bevor die Besucher die Ausstellung selbst betreten, erwartet sie im Foyer davor die
wandfüllende Reproduktion eines monumentalen Ölgemäldes aus dem 19. Jahrhundert:
Die Jagd nach dem Glück
Rudolf Friedrich August Henneberg (1826–1876)
Um 1863–1868, Öl auf Leinwand, 200 x 383 cm
Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie
Glück wurde nach der Aufklärung zu einer großen Vokabel. Der technische Fortschritt ermöglichte neue gesellschaftliche Aufstiege und damit neue gesellschaftliche
Klassen und Normen. Streben nach Glück wurde zur individuellen Befreiungsformel.
Allegorische Darstellungen des Glücks waren in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
ein beliebtes Thema. Hennebergs Gemälde gehörte zu den prominentesten der Zeit
und wurde auf den Weltausstellungen in Wien 1873 und Paris 1878 sowie den
Internationalen Kunstausstellungen in München 1868 und 1870 gezeigt.
Die Eingangstür zur Ausstellung ist gerahmt von einem Spalier aus roten Rosen.
Durch diesen Rosenbogen betreten die Besucher den ersten Raum.
1
AUSSTELLUNGSRAUM 01
LIEBE
Raumgestaltung:
Der erste Raum der Ausstellung wird beherrscht von einer Tapete, die Meschac
Gabas Variante des klassischen „locus amoenus“ zeigt. Ausgestellt sind eine Gartenlaube mit Exponaten zum Thema „Liebe“ und eine angedeutete Kirchenarchitektur,
die das Thema „Spiritualität“ markiert. Die großen Plexiglasbuchstaben „U-T-O-P-IE“, enthalten ein „Archiv der Utopien“.
Einführungstext:
Schon immer träumen die Menschen von einem paradiesischen Ort, an dem sich
ihre Glücksvorstellungen verwirklichen. Das Paradies gilt als ein idealer Ort, an dem
alle Widersprüche und Nöte des Alltagslebens aufgehoben sind. Das Christentum
und andere Religionen kennen Orte im Jenseits, an denen sich ihre Ideen höchster
Glückseligkeit vollenden. Manche visionäre Denker wollten das Paradies aber bereits
auf Erden errichten. In ihren Utopien schufen sie Modelle für eine neue Gesellschaft
und eine bessere Welt. Utopisches Denken fand seinen Niederschlag in Stadtplanung und Architektur, in Literatur und Kunst, aber auch in Forschung und Wissenschaft. Die meisten Menschen denken beim Paradies allerdings an etwas ganz
Naheliegendes: an ihr individuelles Glück in der Liebe, dass sich selbst genügt.
LIEBE
Paradiesvorstellungen verbinden sich für jeden einzelnen Menschen am
unmittelbarsten mit dem Liebesglück. Jedoch liegen Liebesglück und Liebesleid nahe
beieinander. Liebende erleben den Himmel auf Erden. Unglücklich Verliebte leiden
Höllenqualen. Die Bilder der Liebe sind zeitlos und vielfältig. Sie erzählen von Sehnsucht und Werbung, von Verführung und Glückseligkeit, aber auch von Vergeblichkeit und Enttäuschung, von Eifersucht und Abschied.
Exponate (Auswahl):
Spiegelkapsel mit sich umarmendem Paar,
Um 1150, Bronze, vergoldet
Frankfurt am Main, Museum für Angewandte Kunst
Der Spiegelgriff stellt ein eng umschlungenes Paar dar. Die Rückseite der Spiegelkapsel ziert die Darstellung zweier Liebender auf einem Lager, zu deren Füßen ein
Harfenspieler sitzt. Dieser früheste bekannte Spiegel aus dem Mittelalter, ein exklusiver Gebrauchsgegenstand, war wahrscheinlich ein Minnegeschenk an eine
Dame.
Der Kuss, 1886
Auguste Rodin (1840–1917)
Abguss vor 1912, Bronze
Halle, Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt
Der französische Bildhauer Auguste Rodin wurde durch das ebenso intensive wie
schmerzvolle Verhältnis zu der jungen Bildhauerin Camille Claudel zu sehr subtilen
und eindringlichen Plastiken angeregt. „Der Kuss“ ist eine der berühmtesten.
2
SPIRITUALITÄT
Ein Versprechen auf das Ende von Leid und auf Befreiung von irdisch erfahrenem
Unglück gibt die frohe Botschaft der Religionen. Diese kann unterschiedlich aussehen. In traditionalen afrikanischen Religionen steht der Ahnenkult im Zentrum der
„Versöhnung“: Bei rituellen Handlungen werden verstimmte Ahnen und üble Naturgeister beruhigt, um das Gleichgewicht von Natur und Menschen wieder herzustellen. Im Hinduismus bleibt der Mensch grundsätzlich eingebunden in den ewigen
Kreislauf von Leben und Tod, während im Buddhismus die Erkenntnis des Lebens
als Leiden zur Voraussetzung der Erlösung wird: Sie erfüllt sich im „Verwehen“ aus
dem ewigen Kreislauf. In Judentum, Christentum und Islam bildet Gott als Schöpfer
und Erbarmer die überirdische Macht, die den Gläubigen schon im Diesseits leitet
und ihm nach dem Tod persönliches Glück durch Begegnung mit dem Ursprung
schenkt. In keiner dieser Überlieferungen ist das Jenseits ein Ort: Es ist immer ein
Zustand von Glück oder wenigstens von „Leidfreiheit“.
Exponate (Auswahl):
Buddhistischer Schurz
Ladakh, Nordindien
19./frühes 20. Jahrhundert, Menschenknochen
Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst, Kunstsammlung, Süd-, Südost- und
Zentralasien
Diese Schurze finden bei rituellen Handlungen und Tänzen der tibetischen
Buddhisten Verwendung, wenn sie den Sieg über negative Kräfte feiern. Die reliefbeschnitzten rechteckigen Plättchen zeigen einige der acht buddhistischen Glückssymbole, wie Fische, den unendlichen Knoten oder die Schatzvase. Sie gelten als
Glück verheißend und sind gebräuchliche Dekorationselemente.
Gebetsteppich
Türkei, Milas
um 1700, Wolle, geknüpft
Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst
Gebetsteppiche dienen den Moslems zur Verrichtung ihrer Gebete. Sie sind meist
mit einer reich ausgestatteten Bordüre und in der Mitte mit einer Gebetsnische
versehen, die von einem Giebel bekrönt wird. Zum Gebet wird der Teppich nach
Mekka, dem Geburtsort Mohammeds und religiösen Zentrum des Islams ausgerichtet.
UTOPIE
Utopien sind Wunschvorstellungen. Erste gesellschaftliche Utopien entstanden nach
1500 als Gegenentwürfe zu den Jenseitsdarstellungen des Mittelalters. Sie fixierten
einerseits noch unentdeckte, ideale Orte, aber auch Zukunftsvisionen von Gemeinschaften, die sich als Kritik an der bestehenden Gesellschaft verstanden und auf
soziale, ökonomische, technische oder naturwissenschaftliche Ziele gerichtet waren.
Der Verwirklichung von Utopien stehen allerdings meist die jeweiligen konkreten
Voraussetzungen entgegen. Die menschliche Fantasie hat jedoch auch Dystopien,
negative Utopien, hervorgebracht, die zu Untergangsvisionen wurden.
3
AUSSTELLUNGSRAUM 02
RESTAURANT
Raumgestaltung:
Dieser Raum, in dem es um das Themenfeld Genuss, Gerechtigkeit und Migration
geht, ist beherrscht von einem großen Esstisch und einer Küchenzeile, die als
Exponatträger dienen.
Teile der Ausstattung wurden uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt von
Einführungstext:
Dass Geld allein nicht glücklich macht, weiß der Volksmund schon lange. Dennoch
ist das Streben nach materiellen Werten ein wichtiger Antrieb für viele Menschen. In
unserer Welt des immer schnelleren Umlaufs von Waren, Kapital und Dienstleistungen wird der Verteilung von Reichtum und Macht große Bedeutung beigemessen.
Der globalisierte Markt hat in den letzten Jahren auch zu einer weltweiten Steigerung
des Wohlstands geführt. Aber dieser Prozess geht gleichzeitig zu Lasten der
natürlichen Ressourcen, und die Schere zwischen Reich und Arm öffnet sich immer
weiter. Weil aber Wohlstand keine Garantie für Glück ist, beschäftigt sich die aktuelle
Glücksforschung intensiv mit der Frage, welche anderen Faktoren die Menschen
glücklich machen.
ESSEN
Essen ist der Anfang von allem, denn Menschen müssen sich ernähren. Essen stillt
nicht nur den Hunger, Essen kann trösten, zufrieden und glücklich machen, ablenken
oder belohnen. In den Wohlstandsgesellschaften gehen die Menschen allerdings
immer achtloser mit Essen und Trinken um. Das Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme scheint Nebensache zu sein. Ökonomisch gesehen ist der Wert des Essens
ständig zurückgegangen, doch für das Glück der Menschen bleibt es kostbar, sofern
sie es zu schätzen wissen. Einerseits verdrängen Convenience, Junk und Fast Food
die häusliche Kochkunst und Tischgemeinschaft immer mehr. Andererseits erleben
wir einen Boom der Naturkost und der regionalen Küche. In den letzten Jahren hat
sich eine regelrechte Slow-Food-Bewegung formiert, deren Anhänger Wert auf lokal
und saisonal verfügbare Gerichte legen, auf sorgfältige Zubereitung in eigener Regie
und genussvolles Essen.
Exponate (Auswahl):
Cimon und Pero
Italienisch
18. Jahrhundert, Öl auf Leinwand
Landesmuseum Joanneum, Alte Galerie Graz
Der Philosoph und Seher Cimon wurde zum Tode durch Verhungern verurteilt. Er
überlebte dank der Fürsorge seiner Tochter Pero, die ihm Vater an ihrer Brust
nährte. Im christlichen Denken ist diese Geschichte ein Symbol für Nächstenliebe
und Barmherzigkeit.
4
Kleine Insel, 1968
Dieter Roth (1930–1998)
Brot, Küchenabfall, Draht, Nägel, Schrauben, Gips, Acryl- und Ölfarbe auf Spanplatte
Hamburg, Dieter Roth Foundation
Dieter Roth thematisiert in seinen Arbeiten Zerfallsprozesse kunstfremder Materialien
wie Fleisch, Schokolade oder Brot. Aus den über die Zeit verschimmelnden Lebensmitteln entstehen zerfallene, verwitterte Landschaftsbilder.
MIGRATION
Glück hat sehr viel mit der Beschaffenheit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben.
Frieden und persönliche Freiheit, Arbeit und finanzielles Auskommen gehören zu den
elementaren Faktoren, die die Lebensqualität eines jeden Menschen ausmachen.
Kriege, politische und ökonomische Instabilität sowie religiöse Konflikte bewirken,
dass sich Menschen in Bewegung setzen, in der Hoffnung, anderswo auf bessere
Lebensbedingungen zu stoßen. Aber auch in den Wohlstandsgesellschaften fordert
der Arbeitsmarkt eine immer höhere geografische Flexibilität. Wer sich nicht darauf
einlässt, hat häufig deutlich weniger Chancen.
Exponate (Auswahl):
Weltkarte des Glücks / World Map of Happiness
Adrian White, University of Leicester, School of Psychology
2007
In den letzten 20 Jahren hat sich eine immer differenziertere Glücksforschung
entwickelt. Nationale und internationale Glücksstudien und -umfragen stehen vor
allem im Fokus von Psychologie und Ökonomie. Untersucht werden Faktoren, die
das subjektive Wohlbefinden beeinflussen. Das subjektive Wohlbefinden (subjective
well-being) steht dabei als „Maßeinheit“ für das Glück.
Aufstellung
Harun Farocki (*1944 Novy Jicin, Tschechien, lebt in Berlin)
2005, Video auf DVD, 16 Min.
Im Besitz des Künstlers
Harun Farocki hinterfragt in seinem Stummfilm die mediale Darstellung von Migranten. Darin wiederholen sich reduzierte Stereotypen, die direkt oder indirekt unsere
öffentliche Wahrnehmung von und Meinung über Migranten beeinflussen.
ÖKONOMIE
Die Jagd nach Glück war schon immer auch mit der Jagd nach Geld verbunden. Der
legendäre König Midas wünschte sich, dass alles, was er berühre, zu Gold werde.
Goethe konstatierte in seinem Faust: „Nach dem Golde drängt, an dem Golde hängt
doch alles“. In der westlichen Kultur wurde das Glücksstreben früh rationalisiert und
in die Hände ökonomischer Steuerungskompetenzen gelegt. Bereits die Kaufleute
der Renaissance wussten ihr Schicksal durch Handel und Geldgewinne günstig zu
beeinflussen. Heute rasen gigantische Geldströme auf den weltweit vernetzten
Finanzmärkten rund um den Globus. Sie bringen für viele Volkswirtschaften zwar
5
Wohlstand, bergen aufgrund ihrer oft unkontrollierbaren Dynamik aber auch große
Risiken.
Exponate (Auswahl):
Middlemen
Aernout Mik (*1962 Groningen, lebt in Amsterdam)
2001, Videoinstallation, Loop
Courtesy carlier│gebauer
Zum Zeitalter der Globalisierung gehören nicht nur eine rund um die Uhr verbörste
Welt, sondern auch rund um die Uhr agierende Anleger. Der Megamarkt der Weltbörse bietet ihnen eine stets wachsende Zahl von Produkten. Nichts darf börsenfrei
bleiben, auch politische Ereignisse nicht.
Paradies I–III
Miguel Rothschild (*1963, Buenos Aires, lebt in Berlin)
2004, C-Print, Glas, Leuchtstoffröhren
Im Besitz des Künstlers
Die heutige Warenwelt entpuppt sich als große bunte Klischeefabrik. Sie weckt
immer neue Sehnsüchte, manipuliert durch geschickte Inszenierungen und verspricht
stets ein immer glücklicheres Leben.
6
AUSSTELLUNGSRAUM 03
SPORT
Raumgestaltung:
Der Raum zum Thema Sport ist ganz in einem leuchtenden Blau gehalten, wie man
es aus Basketballhallen kennt. Fotografien und Filmcollagen zeigen Extremsportler in
Aktion: Freeclimber, Surfer, Skifahrer, Taucher etc. In der Mitte des Raums ragt eine
Wand auf, die auf beiden Seiten mit szenografischen Objekten Meschac Gabas bespielt ist: Einer Rakete, die auf Schwerelosigkeit und Weltraumeroberung verweist,
und einem Taucher, der in der Tiefe nach Erdölvorkommen taucht.
Einführungstext:
Viele Gefahren und Risiken des Lebens sind in unseren westlichen Gesellschaften
beherrschbar geworden. Gleichzeitig sind manche Menschen auf der Suche nach
Glücksempfindungen, die sie nur auf riskante Weise erleben können. So genannte
Risikosportarten erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Sie vermitteln das beglückende Gefühl, durch eigene Leistung mit seinen Ängsten fertig zu werden. Das freiwillig
gesuchte Wagnis wird so zum reinen Vergnügen und zum Experimentierfeld für das
Ich. Das eigene Leben wird dabei einem Kitzel ausgesetzt, der als extremes
Glückserlebnis erfahren wird.
KICK & FLOW
Im Extremsport geht es um das selbstvergessene, rauschhafte Verweilen in der
Gegenwart. Die Sportler suchen nicht-alltägliche Sinneseindrücke, den Zustand
kalkulierter Desorientierung. Sie spielen mit der Kontrolle über das Gleichgewicht,
streben eine körperliche Leichtigkeit an, die in der Utopie gipfelt, die Schwerkraft wie
im Flug zu beherrschen. Mit Hilfe technisch immer ausgefeilterer Sportgeräte lassen
sich dabei natürliche Bewegungsgrenzen des Körpers überwinden.
MODERNE HELDEN
Extremsportler begeben sich mit größter Radikalität auf die Suche nach ihrem
persönlichen Glück. Sie nutzen die stimulierende Wirkung der Angst und des
Scheiterns, um dadurch das eigene Lebendigkeitsgefühl zu steigern. Die
demonstrative Selbstgefährdung des eigenen Lebens verleiht ihnen die Aura des
Besonderen und Verwegenen, des modernen Helden. Risikosport hat immer ein
offenes Ende – sogar Todesfälle sind nicht ausgeschlossen.
7
AUSSTELLUNGSRAUM 04
NEURONEN
Raumgestaltung:
Der Boden dieses Raums ist von einer begehbaren Gehirnlandkarte bedeckt. Die
Besucher können über interaktive Objekte Licht-Reaktionen auslösen, die auf
elementare Weise die Vorgänge im Belohnungszentrum des Gehirns verdeutlichen.
Ein dreidimensionales Herz und ein bewegliches Gehirnmodell, das sich über die
Gehirnlandkarte bewegt, ergänzen diesen interaktiven Raum der Ausstellung.
Einführungstext:
Hirnforscher können dem Gehirn heute gleichsam beim Glücklichsein zusehen. Seit
etwa zehn Jahren untersuchen sie, wie das Glück in unserem Kopf zustande kommt.
Eine wichtige Erkenntnis lautet: Der Mensch ist neurobiologisch gar nicht darauf
angelegt, dauerhaft Glück zu empfinden. Vielmehr sorgt das so genannte Belohnungssystem dafür, dass der Mensch nach immer neuen Momenten des Glücks
streben muss. Glücksgefühle spielen somit eine wesentliche Rolle für seine Wünsche, Überzeugungen und Werte. Sie unterstützen Lernprozesse und beeinflussen
Entscheidungen und Handlungen. Allerdings stellen die von der Hirnforschung
beschriebenen Mechanismen immer nur einen Ausschnitt der vielfältigen Funktionen
und Bedeutungen des Glücks dar. Vollständig erklären können auch sie es nicht.
BOTENSTOFF UND HIRNREGION
Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Fragen nach dem Glück meist religiöser, philosophischer oder gesellschaftlicher Natur. Vorgänge in Körper und Kopf waren nur
dann von Bedeutung, wenn Krankheit oder Schmerz das Glück verhinderten.
Die Entdeckung, dass die elektrische Stimulation bestimmter Gehirnregionen positive
Gefühle hervorrufen kann, führte in den 1950er Jahren zur Beschreibung von
„Glückszentren“ im Gehirn. Heute vereint man unter dem Begriff „Belohnungssystem“
diejenigen Hirnregionen, Nervenbahnen und Botenstoffsysteme, die das Empfinden
von und das Verlangen nach Glück regulieren.
ESSEN UND SEXUALITÄT
Das Wohlgefühl, das sich beim Essen besonders guter Speisen oder beim Sex
einstellt, möchte man immer wieder verspüren. Denn Nahrung und Sex regen das
Belohnungssystem als „primäre Verstärker“ an.
Überlebensnotwendiges Verhalten – wie Ernährung und Fortpflanzung – wird dadurch gefördert, ohne erlernt worden zu sein. Auch das erfüllende Glück der Liebe
hängt mit der Aktivierung des Belohnungssystems zusammen. So sichern hohe emotionale Bindungen zum Kind und zum Partner das Überleben und Wohlbefinden des
Nachwuchses.
Ein besonders starkes Verlangen kann jedoch das Belohnungssystem derart verändern, dass Zufriedenheit in Unzufriedenheit umschlägt.
8
MACHT UND ANNERKENNUNG
Geld, Macht, Lob und Anerkennung sind sogenannte „sekundäre Verstärker“. Auch
sie aktivieren das Belohnungssystem, aber nur, wenn ihre Bedeutung und ihre positiven Auswirkungen erlernt wurden. Teure Prestigeobjekte, mutiges Verhalten und
intellektuelle Errungenschaften vermitteln soziale Überlegenheit und bringen Vorteile
mit sich, die zu besseren Überlebens- und Fortpflanzungschancen führen.
Es ist der Vergleich mit anderen, der glücklich oder unglücklich macht, wobei sich
rasch ein Gewöhnungseffekt einstellt. Daher verlangt der Mensch nach immer mehr
und befindet sich in einer Art Glücks-Hamsterrad – nur um das eigene Glücksniveau
halten zu können.
SUCHT UND DROGEN
Suchtmittel regen das Belohnungssystem stärker an als natürliche Belohnungsreize.
Im Gehirn findet eine Anpassung an die erhöhte Aktivierung statt. In der Folge
kommt es zu einem immer stärker werdenden Verlangen nach der Droge, schließlich
zu Gewöhnung, Entzugserscheinungen und Abhängigkeit. Auch exzessiv ausgeführte Handlungen, wie Spielen oder Einkaufen, können zu Veränderungen im Belohnungssystem führen und abhängig machen. Süchtige Menschen sprechen kaum
noch auf natürliche Belohnungsreize an. Das Belohnungssystem wird durch die
suchtbedingten Veränderungen zur lebensbedrohlichen Maschinerie.
GLÜCKSPILLEN UND ANTIDEPRESSIVA
Sind Schmerz und Unglück notwendig oder können Menschen zukünftig im Dauerglück leben? Eine Pille für anhaltende Freude gibt es bislang ausschließlich in der
Science Fiction.
Nicht nur Wissenschaftler interessiert, was den Miesepeter von der Frohnatur unterscheidet und auf welche Weise auch der ewig Unzufriedene zu seinem Glück
kommen könnte. Um Befindlichkeitsstörungen zu beheben, ist der Griff zum Medikament schon längst zur viel kritisierten Selbstverständlichkeit geworden. Dem
gegenüber steht die Depression als ernstzunehmende Krankheit, deren intensive Erforschung helfen soll, Betroffene vor oft tödlich endender Verzweiflung zu schützen.
LACHEN UND FREUDE
Lachen ist ein Zeichen von Freude und Glück. Es wirkt beruhigend und kann zu
einem umfassenden Wohlgefühl führen. Lachen löst Spannungen und macht das
Leben leichter. Mit einem Lächeln auf den Lippen lassen sich Stress und Ängstlichkeit überwinden. Gemeinsames Gelächter beschwichtigt erhitzte Gemüter. Die Wissenschaftler, welche die Auswirkungen des Lachens erforschen, nennen sich
Gelotologen (griech.: „gelos“ = Lachen). Sie konnten nachweisen, dass Humor und
Erheiterung das Belohnungssystem direkt aktivieren. Bei Lachtherapien und im
Lachyoga wird die heilsame Wirkung des Lachens für Körper und Seele genutzt und
gefördert.
9
GLÜCKSMESSUNG UND GLÜCKSGEFÜHL
Wollen Sie wissen, wie glücklich Sie sind? Glück kann auf viele Arten gemessen
werden. Glücksmomente können im Gehirn sichtbar gemacht werden; Gesichtsausdruck und Muskelanspannung verraten den Erregungszustand eines Menschen. Will
man allerdings wissen, wie glücklich sich Menschen fühlen, muss man Befragungen
durchführen. Meist geht es dabei nicht um die Erforschung eines momentanen
Glücks, sondern um die allgemeine Lebenszufriedenheit, deren Grundlagen erklärt
werden sollen. Dabei wird das Glück im Zusammenhang mit Faktoren wie Einkommen, Gesundheit, Familienverhältnisse, politische Veränderungen, Alter oder Bildung
untersucht.
Exponate (Auswahl):
Schädelabguss mit Beschriftungen
Franz Joseph Gall (1758–1828)
um 1800; Gips, Papier
Anthropologische Sammlung, Muséum national d'Histoire naturelle, Paris
Der Hirnforscher und Anatom Franz Joseph Gall glaubte durch Abtasten und
Vermessen der Kopfform den Charakter eines Menschen bestimmen zu können. Er
verortete 27 „Organe“ – jedes für eine besondere Charaktereigenschaft – auf dem
menschlichen Schädel. Die Gefühle, so schreibt er, sind aber ungewollte oder
passive Regungen, die entweder durch eines oder aber durch alle Organe hervorgerufen werden. Es sei daher nicht möglich, Stimmungen wie Trauer oder Freude auf
dem Schädel zu verorten.
Mécanisme de la physionomie humaine ou analyse électro-physiologique de
l'expression des passions (Mechanismen der menschlichen Physionomie oder
elektro-physiologische Analyse des Ausdrucks der Gefühle)
Guillaume Benjamin Amand Duchenne de Boulogne
1876; Paris
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Duchenne de Boulognes Fotografien aus den Jahren 1852–1856 gelten als die
ersten fotografischen Dokumente einer medizinischen Forschungsarbeit. Der französische Arzt schrieb damit Medizin- und Fotografiegeschichte. Duchenne konnte allein
durch elektrische Reizung jeden Gesichtsmuskel einzeln aktivieren und beschrieb als
erster die Zusammenhänge von Gefühlsausdruck und Muskeltätigkeit. Er erkannte,
dass man nur dann echt lächelt, wenn auch der Augenmuskel beteiligt ist. Erst beim
echten, nach ihm benannten Duchenne-Lächeln, treten die typischen Fältchen in den
Augenwinkeln auf.
Der Gänsehaut-Faktor
Auftragsproduktion DHMD, 2008
Mit freundlicher Unterstützung von Frederik Nagel, Hochschule für Musik und Theater, Hannover
Gibt es eine Musik, bei der jeder Mensch eine Gänsehaut bekommt? In einer Studie
der Hochschule für Musik und Theater, Hannover hörten 38 Personen zwischen 11
und 72 Jahren verschiedene Musikbeispiele. Sie beschrieben dazu ihre Gefühle und
die Herzfrequenz wurde aufgezeichnet. Eine Gänsehaut bekamen die Probanden vor
allem bei ihrer Lieblingsmusik – also individuell sehr unterschiedlich. Einige Grundregeln für den gefühlvollen Musikgenuss konnten dennoch aufgestellt werden. Der
Einsatz der Stimme, eine plötzliche Neuigkeit in der Musik, aber auch die gesammelten musikalischen Erfahrungen und die allgemeine Empfindsamkeit des Hörers,
entscheiden darüber, ob Musik ein starkes Gefühl hervorrufen kann. Musikalische
10
Knalleffekte rufen bei den meisten Menschen starke Gefühle hervor – das täte ein
Pistolenschuss wohl auch.
Die ferngesteuerte Ratte
Ausschnitt aus „Human Version 2.0“, BBC Horizon, 2006
Diese Forschungen werden kritisch diskutiert, da sie die Möglichkeit der Manipulierbarkeit von Menschen in Aussicht stellen. Das Forscherteam um John Chapin nutzte
die Kenntnisse über das Belohnungssystem zur Fernsteuerung von Ratten. Sie
implantierten drei Elektroden in das Gehirn von Versuchsratten: Zwei Elektroden
stimulierten die Gehirnregionen, die die Reize der Tasthaare verarbeiten; durch
deren Aktivierung wurde eine Berührung der jeweiligen Tasthaare simuliert. Die Ratte sollte daraufhin nach links bzw. rechts gehen. Die dritte Elektrode stimulierte das
Belohnungssystem. Wenn die Ratte eine korrekte Links- bzw. Rechtsbewegung
ausführte, bekam sie einen Belohnungsreiz. Chapin sagt: „Die Ratte arbeitet für die
Freude“.
11
AUSSTELLUNGSRAUM 05
MUSIK
Raumgestaltung:
Dieser Raum kommt ohne Objekte aus, denn er ist ganz dem Hören und dem Singen
gewidmet. In einer Karaoke-Box können die Besucher die Probe aufs Exempel machen: Macht Musik glücklich?
Einführungstext:
In Deutschland zählen Musikhören und Musizieren zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Musik macht aber nicht nur glücklich, sie kann auch traurig stimmen oder aggressiv. Musik weckt durch ihren unmittelbaren Einfluss auf emotional
bedeutsame Gedächtnisinhalte auch unser Erinnerungsvermögen. Sie aktiviert unser
Belohnungszentrum im Gehirn und kann sogar Leiden und Schmerzen lindern, indem sie Gehirnbereiche blockiert, die Angst und Furcht vermitteln. Aufgrund dieser
vielfältigen, teils gegensätzlichen Wirkungen wird Musik in der Werbung ebenso eingesetzt wie in der politischen Propaganda.
KARAOKE-BOX
Regelmäßiges Singen wirkt sich positiv auf Geist und Seele aus, auf Konzentrationsfähigkeit, Stress-Resistenz, soziales Verhalten und Lebenszufriedenheit. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen und Befunde belegen: Singen regt vielfältige Vernerungen im Gehirn an: Das Belohnungszentrum wird aktiviert und das Hormon
Oxytocin ausgeschüttet. Gleichzeitig wird die Konzentration der Stress- und Aggressionshormone Testosteron und Cortisol gesenkt. Musizieren und Singen unterstützen
nicht nur die Entfaltung der Persönlichkeit, sondern auch die Entwicklung von
Kreativität und Fantasie.
MUSIK UND EMOTIONEN
Ein Leben ohne Musik kann sich kaum jemand vorstellen. Musik begleitet den Menschen von der vorgeburtlichen Zeit bis hin zum Sterbebett. In allen Kulturen wussten
die Menschen um die heilende Wirkung der Musik. Denn das Ohr verschafft Zugang
zu Stimmungen und Gefühlen unmittelbarer als das Auge. Musik ist deshalb besoners geeignet, das zu entdecken, was im Unterbewussten liegt. Bewusstes Hören
bewirkt eine Entfaltung von Wahrnehmungs- und Erlebnisfähigkeit.
Die Kraft der Musik wird in vielen Bereichen eingesetzt. Die unterschiedlichen Religionen nutzen Musik zur Beeinflussung von Stimmungen: Die Kirchenmusik des
Abendlands stimmt feierlich, kann trösten oder einschüchtern. Im Gospel kann man
weinen und lachen. Die Rhythmen bei einer Voodoozeremonie versetzen Menschen
in Trance.
Im privaten Bereich nutzen wir Musik, um in andere Welten einzutauchen, zum Verführen und Lieben oder zum Tanzen. Musik kann Generationen und auch Völker
unterschiedlicher Traditionen verbinden. Sie wirbt von sich aus für das Nachvollziehen und die Faszination fremder Mentalitäten und Temperamente. Dies reicht
vom indischen Raga über spanischen Flamenco oder jüdischen Klezmer bis hin zur
afro-amerikanischen Rap-Musik. Allerdings mag nicht jeder Mensch jede Art von
12
Musik. Bewusst oder unbewusst schützt er sich dadurch auch vor ungewollten Stimmungen. Denn wir sind der Musik, die wir hören, emotional ausgeliefert.
13
AUSSTELLUNGSRAUM 06
KÖRPER
Raumgestaltung:
Prägend für diesen Raum ist das szenografische Bild eines Schönheitssalons. Er
bietet die Bühne für das Schaulaufen der Objekte zum Thema Schönheit und Unsterblichkeit, die sich vor dem kritischen Auge der Besucher ausbreiten.
Einführungstext:
Der menschliche Körper ist sowohl Medium als auch Projektionsfläche für Glücksgefühle und Glückssehnsucht. Seine Schönheit und Gesundheit sind Idealvorstellungen, die eng mit dem Glück verbunden sind. Für viele ist der Körper heute aber
auch zu einem Schauplatz für Identitätssuche und Selbstinszenierung geworden. Auf
einem sich ausweitenden Markt kann man aus einem breiten Angebot von Körperbildern wählen. Der perfekte Körper erscheint in diesen Images als ein Weg zum
Glück. Die Verbindung von Medizin, Biologie und Genetik eröffnet weitere Möglichkeiten einer „Verbesserung“ des Körpers. Doch die neuen Biotechnologien stellen
ehemals feste Größen der menschlichen Natur in Frage. Geburt, Krankheit und
Gesundheit, Altern und Tod scheinen dem Denken und Handeln heute frei verfügbar.
Aber was ist der Mensch eigentlich, was soll er sein und was kann aus ihm
tatsächlich werden?
SCHÖNHEIT
Schönheit nimmt in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein. Schöne
Menschen scheinen glücklicher zu sein als der Durchschnitt. Sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch im Beruf werden sie häufig besser eingestuft und
besser behandelt. Obwohl sich die Ideale und Normen stetig wandeln, bleibt
Schönheit offenbar ein knappes und daher begehrenswertes Gut. Die Wirtschaft profitiert in hohem Maß von der Sehnsucht nach dem perfekten Aussehen. Umgekehrt
beeinflusst die Schönheit die Lifestyle-Gestaltung breiter Massen. Dabei kann sich
die Lust an der Inszenierung des eigenen Körpers schnell in ihr Gegenteil verkehren.
Wenn das Streben nach Schönheit allerdings zum Zwang wird, kann es auch krank
machen.
Exponate (Auswahl):
Aphrodite / Venus Kallipygos
Gipsabguss
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturengalerie
Kallipygos bedeutet „schöne Hinterbacken“. Zwei schöne Mädchen stritten einst,
welche von ihnen das schönere Hinterteil besitze. Der als Schiedsrichter herbeizitierte Jüngling verliebte sich in die ältere, sein Bruder in die Jüngere. Zum Dank für
die Vermählung gründeten die beiden Schönen einen Tempel und weihten ihn der
„schönhintrigen Venus“.
Teilnehmerinnen der ersten Miss-Amerika-Wahl
1921, Fotografie
© Hulton Archive / Getty Images
14
UNSTERBLICHKEIT
Wohl kaum eine Erfahrung berührt die Menschen in ihrer Existenz so sehr wie die
Erfahrung ihrer Sterblichkeit. Das Nachdenken über den Tod bedeutete aber immer
schon zugleich eine Auseinandersetzung mit seiner Überwindung. Daher übt die
Vorstellung des ewigen Lebens seit jeher eine große Faszination aus. Beinahe alle
Religionen bieten Perspektiven der Unsterblichkeit oder Wiedergeburt an. In der
heutigen Zeit entwickelt die moderne Medizin stetig neue Technologien, um die
Lebenserwartung kontinuierlich zu steigern. Sie strebt danach, den Tod irgendwann
einmal besiegen zu können.
Exponate (Auswahl):
Der Jungbrunnen
Hans Sebald Beham (1500–1550)
um 1530, Holzschnitt
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Die Darstellungen von Jungbrunnen in der Renaissance verbinden religiöse Vorstellungen mit medizinischer Heilquellenkunde. Sie zeugen von dem Wunsch, die
christliche Idee von der Erneuerungskraft des Wassers (Taufe, Wunderheilung) ganz
konkret auf das Diesseits zu beziehen.
Organspende
Meschac Gaba (*1961, lebt in Benin und Rotterdam)
2008, Installation mit Feuchtpräparaten und Spalteholzpräparaten
Häufig ist für schwer kranke Patienten die Transplantation von Organen die einzige
Möglichkeit zur Lebenserhaltung und Lebensverlängerung. Organtransplantationen
gehören seit 1980 zu den Standardtherapieverfahren. Der Mangel an geeigneten
Spenderorganen stellt inzwischen ein zentrales Problem dar. Ein nicht minder gravierendes besteht im florierenden illegalen Organhandel.
15
AUSSTELLUNGSRAUM 07
FORTUNA
Raumgestaltung:
Im letzten Raum der Ausstellung befindet sich ein Labyrinth aus Glasbausteinen. In
die Steine sind Geldscheine eingelassen, die aus Ländern aller fünf Kontinente stammen. In den Sackgassen des Labyrinths können die Besucher die Exponate zu den
einzelnen Abteilungen entdecken. Im Zentrum des Labyrinths hat Meschac Gaba
eine Art Wohnzimmer inszeniert, dessen imaginäre Bewohner sich gegen ihre Umwelt abschotten und ihren Wohlstand mit einer Fülle von Amuletten und Talismanen
schützen.
Einführungstext:
Das Glück ist oft nur von kurzer Dauer. Im menschlichen Dasein folgen Gewinn und
Verlust, Erfolg und Misserfolg ständig aufeinander. Das Glück ist nicht logisch und
nie berechenbar. Es ist das irrationale Moment im Leben eines jeden. Verbindet das
Glück sich mit dem Zufall, nennt man es Schicksal, günstige Gelegenheit oder göttliche Fügung. Das Glücklichsein selbst kann in rauschhaften Momenten bestehen,
die man aber nicht ins Unendliche verlängern kann. Dennoch versucht der Mensch
seit jeher das Glück festzuhalten. Er will sein Schicksal beeinflussen durch Berechnungen, Vorhersagen, Beschwörungen oder Opfer. Aber die Jagd nach dem ganz
großen, dem immer währenden Glück ist aussichtslos. Und: Welches Glück suchen
wir überhaupt?
UNGLÜCK
Ins Unglück zu fallen gehört ebenso wie Glücklichsein zu den grundlegenden
menschlichen Erfahrungen. Unglück bedeutet nicht einfach nur die Abwesenheit von
Glück. Unglücksfälle konfrontieren mit Fragen nach der Vergänglichkeit, nach Zufall
und Sinn, nach den Grenzen unserer Handlungsfreiheit. Und sie erinnern Mensch
und Gesellschaft daran, dass sie potenziell unter Risiko stehen und Risiken zu bewältigen haben. Der technische Fortschritt vermag zwar die Lebenssicherheit zu
steigern und soziale Sicherungssysteme helfen, die Folgen von Unglück abzufedern.
Sie können jedoch nicht über die grundsätzliche existenzielle Abhängigkeit der
Menschen hinweg täuschen.
Exponate (Auswahl):
Zaubertischchen mit aufgelegter Zauberscheibe aus Pergamon
3. Jahrhundert n. Chr., Bronze, Drei Plättchen aus schwarzem Stein, beidseitig beschriftet,
Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin
Dieser antike Wahrsageapparat stellt eine große Seltenheit dar. In der Antike bestand neben dem offiziellen Götterkult ein volkstümlicher Aberglaube, der sich der
Zauberei bediente. Der griechisch-römische Zauberglaube beruht auf der Vorstellung, dass alle Teile des Kosmos miteinander in Verbindung stehen.
Unfallfotografien aus den Jahren 1961 bis 1981
Arnold Odermatt (*1925 Oberdorf, lebt in der Schweiz)
Fotografie
© Urs Odermatt, Windisch (Schweiz)
16
Courtesy Springer & Winckler Galerie, Berlin
Arnold Odermatt arbeitete 42 Jahre als Polizeifotograf. Seine Fotografien von Autounfällen waren ursprünglich zur rein juristischen Verwertung gedacht, als Beweisaufnahmen für polizeiliche Zwecke.
ZUFALL
Nach der Auffassung von Albert Einstein: „Gott würfelt nicht“ gibt es keinen Zufall,
auch nicht beim Kartenspiel oder bei der Ziehung der Lottozahlen, es gibt nur ein
Informationsdefizit. Inzwischen ist die Physik weiter, sie kennt „nichtdeterministische“
Prozesse, die sich prinzipiell nicht vorhersagen lassen. Das Alltagsleben ist voll von
guten und bösen Überraschungen, die wir manchmal dem Zufall zuschreiben. Man
kann dem Zufall nicht entgehen, aber man kann etwas daraus machen. Durch Zufall
kann Neues entstehen, das unsere Kreativität herausfordert.
Exponate (Auswahl):
Torso mit Kopf, eröffnet
1920er Jahre, Gipsguss nach Naturabformung
Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden
Die Intuition, die rechte Entscheidung im rechten Moment, beruht auf einem großen
unbewussten Wissen. Die Menschen aller Kulturen lokalisieren den Sitz der Intuition
im Bauch. Das Bauchgehirn fühlt, denkt mit und erinnert sich, und es lässt uns intuitiv
„aus dem Bauch heraus“ entscheiden.
Mind Ball
2007, interaktive Computerinstallation
Interactive Productline IP AB, Kista, Schweden
FORMELN
Was wäre das für ein Glück, das sich berechnen ließe? Wir hoffen auf den „Sechser“
im Lotto oder beim Würfeln. Die Zufälligkeit, mit der das Ergebnis eintritt, fordert das
Bestreben heraus, nach Formeln zur Berechnung von Glück oder Unglück zu
suchen. Wer aber die tatsächlich berechenbare Wahrscheinlichkeit von Glück oder
Unglück kennt, der wird sicher nicht zum Lottospieler. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich die relative Häufigkeit von Glück zwar vorhersagen, aber
bedarf das wirkliche Glück, um Glück zu sein, nicht gerade der Unvorhersagbarkeit?
Exponate (Auswahl):
Drei Fahrstuhlschilder
Christian Siekmeier (*1971 Berlin, lebt in New York)
2007, Fotografie auf Alu/Dibond
© Christian Siekmeier
Die Zahl 13 gilt in einigen Kulturen als Unglückszahl und in anderen als Glückszahl.
Menschen mit Triskaidekaphobie (irrationale Furcht vor der Zahl 13) meiden Räume,
Stockwerke oder allgemein die Zahl 13. Christian Siekmeier fotografierte in den USA
Aufzug-Schilder, auf denen die Etage mit der Nummer 13 nicht vorkommt.
17
TRESOR
Der Glaube an die magische Wirkung von Talismanen und Amuletten ist bis heute in
vielen Kulturen weit verbreitet, trotz des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Nach wie vor wird der Alltag von kleinen oder großen Unwägbarkeiten
bestimmt, die sich nicht rational erklären lassen. In einer als unsicher oder gar gefährlich empfundenen Welt bieten Talismane und Amulette das Gefühl von Sicherheit. Sie dienen der Stärkung und dem Schutz ihres Besitzers, sollen Unheil
abwehren und stattdessen Glück bringen.
Exponate (Auswahl):
Phallus-Amulett
um 500 v. Chr., Bronze
Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Phallusanhänger dieser Art wurden in der römischen Antike am Pferdegeschirr befestigt. Amulette mit sexuellen Symbolen sollten böse Menschen und Dämonen
ablenken und Schutz vor Neid und dem „Bösen Blick“ bieten.
Segenshand khamsa
Nordafrika/Tunesien
20. Jh., Silber
Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg
Die Hand ist schon in den steinzeitlichen Höhlenmalereien als Abwehrsymbol zu
finden. Die Khamsa (arabisch: fünf) als sogenannte „Segenshand“ (oder „Hand der
Fatima“ nach der fünften Tochter Mohammeds) in Form einer offenen Hand mit
geschlossenen Fingern soll Glück bringen und vor dem „Bösen Blick“ schützen.
18
Herunterladen