Einleitung

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Einleitung.
Die Kunst ging aus dem Handwerk hervor. Auch der vollendetste Künstler hört
nicht auf, Handwerker zu sein. Wer sich der darstellenden Kunst weihen will,
muß vorerst den beschwerlichen Weg des Handwerks durchwandeln. Man sagt:
"Der Dichter wird geboren." Das ist vollkommen wahr; auch der Künstler ist ein
Dichter und auch er wird geboren, d. h. die Grazien müssen ihm das Genie als
Angebinde des Himmels in die Wiege legen. Trotzdem bleibt ihm das
handwerksmäßige Erlernen der Anfangsgründe nicht erspart. Er muß sich eine
technische Gewandtheit aneignen, die durch unverdrossene Übung der Hände
erzielt wird, bevor er daran denken kann, seine künstlerischen Gedanken, die
Ideale seines Genius durch materielle Stoffe und Werkzeuge zum sichtbaren
Ausdruck zu bringen. Auch die idealste Sphäre der Kunst muß auf der
Wirklichkeit basiren, wenn sie Anspruch auf innere und äußere Wahrheit
machen soll. Der Künstler muß darum sich zuerst die Fähigkeit erobern, die
Wirklichkeit, das ihn umgebende Reich der Erscheinungen nachbilden zu
können, bevor er befähigt wird, mit der voll bemusterten Formenwelt einen
geistigen Inhalt zu verbinden.
Wie der Mensch aus Leib und Seele besteht, so hat auch das Werk des
darstellenden Künstlers einen Leib - Stoff und Form - und eine Seele, die dem
Kunstwerk innewohnende Idee. Beides muß bei einem echten Kunstwerk vereint
sein, keines darf fehlen. Was nützen dem Kunsteleven die herrlichsten
Gedanken, die höchsten Ideen, die sein Geist in der Stunde der Begeisterung
empfing, wenn die Hand in der Darstellung derselben erlahmt, weil sie nicht
gewohnt ist, das Stoffliche im
Dienste dieser Idee zu bemeistern? Was nützt die treueste Nachahmung der
Wirklichkeit, wenn sie nicht der Träger einer künstlerischen Idee sein kann, weil
die himmlische Berufung fehlt?
Wie für jeden einzelnen angehenden Kunstjünger, war dieser Weg der
Vorbereitung auch für die Entwicklung der Kunst im Allgemeinen ein
beschwerlicher und diese brauchte Jahrhunderte, ehe ihr das Morgenroth echter
Kunstweihe aufbrach. Gewiß besaß das Volk der Griechen eine ausgesprochene
Anlage zur Kunst und doch, vom ersten mythischen Schattenriß, den die Tochter
des Dibutades beim Licht der Lampe nach dem Kopfe ihres Geliebten an die
Wand fixirt, bis zum Phidias und seinen classischen Werken, welch' ein weiter
Weg! Aber in diesem Drang nach dem Vollkommeneren lebt doch eine echte
Kunstidee, der Gedanke, die Überzeugung, daß im Formen der Göttergestalt die
Kunst zur Reise gedeihen muß. Und diese Reise, diese Verklärung der Kunst ist
in der That eingetreten, weil man das rechte Mittel wählte, sich von der starren
archaistischen Form durch eifriges Studium nach der Natur zu befreien. Dieser
Drang nach Freiheit war nicht so leicht zu befriedigen, da die Religion um die
Cultusbilder, die in der unbeholfenen Gestalt vergangener Jahrhunderte die
Tempel zierten, einen geheimnisreichen pietätvollen Schleier wob. Es hat sich
ein gleicher Umstand nochmals in christlicher Zeit wiederholt, als alte
Holzschnitzereien, obwohl aller Kunst baar, doch im höchsten Ansehen blieben,
weil sie eben alt waren oder weil ihnen eine Wunderkraft zugeschrieben wurde.
Welches war nun das Mittel, daß die primitive griechische Kunst zur idealen
Vollendung kam? Das Studium nach der Natur. Dieses Studium bestand aber
nicht etwa in dem bloßen sklavischen Abschreiben derselben, in dein
Nachbilden der Menschengestalt. Es war ein echtes, wahres Studium, da man
die ganze Welt der Erscheinungen concentrirte, die Unterschiede der einzelnen
Objekte gegen einander abwog, um daraus die classische oder ideale
Schönheitform zu gewinnen. Einer der griechischen Kunstheroen, Polyklet,
hatte das gewonnene Resultat in einer besonders abgefaßten Schrift theoretisch
dargelegt und in seinem "Kanon" ein Gesetz für die Schönheit und Harmonie
des menschlichen Körpers aufgestellt. (Vergleiche Klassikerbibliothek der
bildenden Künste. Antike Plastik. S. 116 flg.)
Die äußeren Verhältnisse, die Sitten und Gebräuche des griechischen Volkes
unterstützten wesentlich ein solches Studium. Nie seitdem hatten die Künstler
solche günstige Gelegenheiten, die Krone der Schöpfung, den menschlichen
Körper, in unentwegter Jugendfrische, unbeengt von einer Bekleidung, in Ruhe
wie in Bewegung zu sehen und zu studiren.
Dem geübten Künstlerauge setzte übrigens selbst die Bekleidungsart der
Griechen keine großen Hindernisse in den Weg. In der Gewandung herrschte die
größte Einfachheit, die des Körpers Formen besonders im Augenblick der
Bewegung errathen ließ. Der Chiton, kurz bei den Männern, lang bei den
attischen Frauen, war besonders in der langen Sommerzeit von leichtem Stoffe,
auch vertrat er die Stelle unserer Hemden, wenigstens in den meisten Fällen.
(Attische Frauen trugen wohl noch ein Gewand unter dem Chiton, aber wie
Vasenbilder zeigen, war es dünn und durchsichtig wie ein sehr leichter Schleier,
so daß es kaum auf den Namen eines Kleidungsstückes Anspruch machen
konnte). Die Falten fielen leicht herab und verriethen, wie ein nasses Kleid, die
unter denselben befindlichen Körperformen. Man kann sich bei weiblichen
Statuen der griechischen Künstler von der Wahrheit des Gesagten leicht
überzeugen. Die Karyatiden am Erechtheion, sechs attische Mädchen in der
Blüthe der Jugend, vertreten an der Vorhalle des Bauwerks die Säulen. Der
unbekannte Künstler derselben wurde offenbar durch die athenischen
Bürgertöchter, welche bei dem Feste der Panathenäen Körbe mit Opfergeräth
über dem Haupte trugen, auf diese eben so originelle als reizende Idee gebracht.
Die Symposien oder Gastmäler der vornehmen Athener gaben auch den
Künstlern erwünschte Gelegenheit, in erwähnter Richtung Studien zu machen;
denn wenn auch den Damen des Hauses der Saal des Symposion's verschlossen
war, die Künstler nahmen gewiß oft an denselben Theil und hier fand ihr Auge,
was es suchte: Schöne Knaben, würdig einem Eros als Vorbild zu dienen,
besorgten Ganymed-Dienste den Geladenen, die nur nachlässig bekleidet die
Früchte der Gastfreundschaft genossen; dann traten Flötenspielerinen und
Tänzerinen in der frischesten Jugendblüthe in den Saal, um auch das Ohr und
das Auge der Gäste zu ergötzen. Der Tanz der Griechen war ein Mimenspiel; die
Art der Bewegung sollte ein Lied ohne Worte sein, das doch die inneren Gefühle
offenbarte. "Das ist der Hauptvorzug des griechischen Tanzes," sagt W. A.
Becker im Charikles, "der ihn zur wirklichen Kunst erhebt, daß er nicht in
sinnlosem Drehen und Springen bestand, sondern jederzeit Darstellung einer
inneren Vorstellung war, an deren Ausdrucke alle Theile des Körpers ihren
verhältnismäßigen Antheil hatten."
Welch' eine Schule für das seine Künstlerauge! Wenn der Saal der Anatomie in
der Zergliederung der Leiche die prosaische Theorie des Körperbaues bietet,
hier wurde die Poesie des lebenden, in Entzückung und vibrirender Lust
harmonisch bewegten Körpers gelehrt.
Es hatten die Griechen aber noch bei anderen Gelegenheiten Tänze; so die
öffentlichen bei Festlichkeiten, die wir als einen Theil des Gottesdienstes
aufzufassen haben und die gewiß, schon um dieses Umstandes willen die
Aufmerksamkeit des Künstlers auf sich ziehen mußten. Wir werden weiter von
ihnen zu reden haben.
Um unserem Gegenstand näher zu treten, dürfen wir die Gymnasien nicht mit
Stillschweigen übergehen, wo sich die Jugend durch gymnastische Übungen
Leib und Seele stählte. Wie wichtig diese Übungen des Körpers sind, hat die
Gegenwart eingesehen und sie, natürlich mutatis mutandis wieder in unseren
Turnhallen zum neuen Leben erweckt. Die männliche Jugend Griechenlands
tummelte und übte sich aber auf der Palaestra ohne jedes Gewand und der
Künstler fand hier in reicher Fülle, was er brauchte und suchte, gesunde,
jugendliche Körper, die in ihrer mannigfaltigen Bewegung dem Künstler jede
Art der Muskelthätigkeit offenbarten. Das waren die Vorbereitungen für die
großen olympischen Wettkämpfe und die Siegespalme Olimpia's gehörte zu den
schönsten und kühnsten Träumen des griechischen Jünglings, insbesondere, als
es üblich wurde, olympische Sieger in Statuen zu verewigen.
So hat das alle vier Jahre wiederkehrende Fest Olimpia's dem Bildhauer die
herrlichsten Vorbilder für seine Kunst geschaffen und die berühmtesten Künstler
haben sich diese Gelegenheit zu Nutzen gemacht, wie sie auch in der
Darstellung olympischer Sieger diese und ihre eigene Kunst unsterblich
machten.
"Doch höher stets, zu immer höhern Höhen Schwang sich das schaffende Genie.
Schon sieht man Schöpfungen aus Schöpfungen erstehen, Aus Harmonien
Harmonie.
Was hier allein das trunk'ne Aug' entzückt, Dient unterwürfig dort der höhern
Schöne; Der Reiz, der diese Nymphe schmückt, Schmilzt sanft in eine göttliche
Athene:
Die Kraft, die in des Ringers Muskel schwillt,
Muß in des Gottes Schönheit lieblich schweigen;
Das Staunen seiner Zeit, das stolze Jovisbild
Im Tempel zu Olympia sich neigen."
(Schiller.)
Olympia war darum für den griechischen Künstler ein rechter Markt für
männliche Modelle. Wir nennen ein Modell die concrete Menschengestalt, die
dein Künstler - Bildhauer oder Maler - zum Studium dient. Dieses Studium hat
kein Ende, der beste Künstler lernt nicht aus,
immer wieder muß er zur alten Lehrmeistern, der Natur, dem Modell
zurückkehren. Er braucht es aber nicht allein dann, wenn er einen nackten
Körper zu bilden oder zu malen hat, sondern auch bei bekleideten Figuren, wenn
die Gewänder sich wirklich an einen lebenden Körper an schmiegen und nicht
wie an einem hölzernen Gestell hängen sollen.
Wir haben nun gesehen, wie günstig sich der männliche Actsaal für den
griechischen Künstler gestaltete. Wie war es dann mit weiblichen Modellen
bestellt?
Wollte der griechische Künstler in's volle Leben reisen, dann brauchte er nichts
anderes zu thun, als einen Ausflug nach Sparta zu unternehmen, wo er bei
besonderen Festlichkeiten die herrlichsten weiblichen Modelle, die alle seine
Erwartungen übertreffen mußten, sehen und studiren konnte.
Die Strenge der lykurgischen Gesetze ist bekannt; sie erstreckte sich auch auf
die Erziehung der Kinder, ja diese mußten abgehärtet werden, damit sie die
Strenge des Gesetzes nicht als eine Last empfinden. Der Körper wurde
frühzeitig gestählt durch Arbeit, Kampfspiele, gymnastische Übungen, aber
auch indem man dem Körper nur die nöthigste Hülle ließ, damit er gegen alles
Ungemach des Wetters abgestumpft werde. Die gymnastischen Übungen
wurden von Knaben und Mädchen gemeinsam gehalten. Erstere waren ganz
nackt, letztere trugen einen ärmellosen Chiton, der so kurz war, daß er über den
Knieen endigte. Der Chiton selbst, der nur auf den Achseln durch Agraffen
zusammen gehalten wurde, war an den Seiten geschlitzt, so daß dabei fast aller
Begriff eines Gewandes illusorisch wurde. Nach Zeugnissen alter Schriftsteller
gab es aber auch besondere Festlichkeiten, an denen auch noch dieses
problematische Kleidungsstück abgelegt wurde, so daß Jünglinge und
Jungfrauen hüllenlos ihre Festspiele betrieben. Eine sittliche Gefahr glaubte
wohl Lykurg dadurch unmöglich gemacht zu haben, als er die Festspiele, Tänze
u. s. f. unter Aufsicht alter Leute stellte und in Gegenwart der Götterstatue
(Artemis) abhalten ließ. Offenbar hatte Lykurg dabei den Gedanken, den jungen
Männern die Wahl ihrer künftigen Gattinen zu erleichtern und durch die volle
Enthüllung das der Jugend oft so verderbliche, von ungeregelter Phantasie
geschürte Geheimniß unschädlich zu machen. Ob Lykurg Recht hierin hatte,
mögen Pädagogen entscheiden; wir halten uns hier nur an die Thatsachen und
nur aus dem Grunde, um zu zeigen, daß diese Verhältnisse notwendig die
Künstler zu Studien nach der Natur herausfordern mußten. Daß sie es wirklich
thaten, ist leicht zu beweisen; man kann nur die leichtgeschürzten Amazonen
griechischer Künstler (etwa eines Polyklet oder Kresilas) oder
die Diana von Versailles betrachten und man wird alsbald anerkennen, daß die
hochgeschürzten spartanischen Mädchen ihnen zum Modell gedient haben.
Noch deutlicher und ausgesprochener weist aus den dorischen Ursprung ein
Kunstwerk des Museo Pio-Clementino im Vatican hin; es ist die Statue einer
spartanischen Siegerin im Wettlauf.
Wir dürfen hier auch nicht einen besonderen festlichen Tanz mit Stillschweigen
übergehen, den nach dem Zeugnisse des Paufanias lakedämonische Jungfrauen
zu Ehren der großen Artemis zu Kariae jährlich aufführten. Es war dies ein ganz
eigentümlicher Nationaltanz, den die Jungfrauen als Hierodulen oder Dienerinen
der Göttin veranstalteten. Leider hat uns Paufanias die Art des Tanzes nicht
beschrieben und wir sind nur auf Vermuthungen angewiesen. Ein namhafter
Archäolog (Böttiger) stellt sich denselben also vor: Die drei schlanksten und
erwähltesten Jungfrauen vereinten sich zu einer malerischen Gruppe und hielten
mit ihren Händen über den Köpfen ein Gefäß oder einen Korb mit Opfergaben
empor, mit der Geberde der Anbetung. Die übrigen Jungfrauen tanzten, im
geschlossenen Kreise sich anfassend, einen Ringeltanz um die Gruppe. Wir
müssen uns alle hier mitwirkenden Jungfrauen, als dorische Mädchen, leicht
bekleidet und hoch geschürzt vorstellen. Sie werden Karyatiden genannt - vom
Orte, wo die Göttin Artemis ans diese Art verehrt wurde. Sie waren die
eigentlichen Karyatiden, während jene von Athen vielmehr Kanephoren waren,
ans die der Name "Karyatiden" übertragen wurde.
Wenn Böttiger's Deutung recht ist - und sie wird durch Erscheinungen auf dem
Kunstgebiete unterstützt - so fanden die Künstler in diesen Mädchengruppen die
herrlichsten Motive. Man denke sich eine schöngebaute Mädchengestalt im
leichten, nirgends beengenden, ärmellosen Gewande, den Arm hoch gehoben.
Dieses Emporheben des Armes allein bringt Leben und Schwung in die
Umrißlinien des Körpers, die auch zur vollen Geltendmachung eines schönen
weiblichen Arms nichts vortheilhafter beitragen kann, als eine solche Thätigkeit
desselben. Die Künstler haben dies instinktmäßig empfunden und auch mit
großem Vortheil benützt. Man braucht nur eine Artemis anzusehen wie sie den
Arm emporhebt, um einen Pfeil aus dem am Rücken befindlichen Köcher zu
ziehen, oder eine Venus, die nach dem Bade ihren Haarschmuck in Ordnung zu
erhalten sich bemüht und wir werden die Wahrheit des Gesagten bestätigt
finden.
Möglich auch, daß die Gruppe der drei Karyatiden Jungfrauen, die
das Weihgeschenk emporhielten, den Künstlern das Motiv für die
Graziengruppe lieferte - und welch' ein glückliches Motiv! Es war so lebensvoll,
daß es selbst die griechische Kunst überlebte und in den Grazien Raphael's eine
neue Auferstehung feierte, wie in der Gruppe der drei ganz in griechischem
Geiste gezeichneten Mädchen, welche das Rauchgefäß emporhalten. Und noch
auf dem einen seiner berühmten Tartone in Hampton-Court, auf dem die
Heilung des Lahmen dargestellt wird, sehen wir eine Frau, die den Korb über
dem Kopfe trägt, die uns vollkommen an ihre Schwestern, die Karyatiden Jungfrauen erinnert.
Es möge genügen, in diesen flüchtigen Umrissen auf die Äußerungen
griechischen Lebens hingewiesen zu haben, die dem Künstler Motive und
Modelle für seine Thätigkeit in reicher Fülle darboten.
Aber mit den auf diese Weise produzierten Modellen war dem Künstler nicht
vollkommen gedient. Wenn ihm das warm pulsirende Leben des griechischen
Volkes, besonders in Bezug aus die schöne Hälfte desselben, zu irgend einer
Komposition begeisterte und er seinen Gedanken in einem Entwurfe bereits
fixirt hatte, so mußte dieser, wenn er ihn kunstgemäß durcharbeitete, auf seine
Naturwahrheit geprüft werden. Diese Prüfung konnte nur bewerkstelligt werden,
indem er während der Ausführung seines Werkes immer wieder dieses mit dem
Leben, mit der Wirklichkeit verglich; den menschlichen Körper mit einer
lebenden Person, die Thiergestalt mit dem lebenden Thiere, die Gewandung mit
einer schön geordneten Draperie. Ein Gewand konnte er sich leicht in schöne
Falten legen, das Thier besorgen und auch ein männliches Modell sich aus der
Palästra aussuchen. Wie aber war es mit dem nackten weiblichen Modell
bestellt?
Wir wissen, daß die griechischen Matronen und ihre Töchter sehr eingezogen
lebten und daß, wenn auch ihre strenge Tugend nicht schon eine
unübersteigliche Scheidewand zwischen sie und den Künstler (und selbst den
besten) ausgebaut hätte, auch der Gatte und Vater es nie zugelassen haben
würde, daß sein Weib oder seine Tochter sich vor dem Künstler enthülle.
Die Künstler - Maler wie Bildhauer - waren darum an die Hetären gewiesen, aus
deren Reihen sie sich taugliche Exemplare auszuwählen gezwungen waren.
Aber auch hier hatten sie mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Hetären (d. h.
Freundinen) nannten die stets sein denkenden und redenden Griechen jene
unglücklichen Personen, die mit dein edelsten Gefühle des Menschenherzens,
das selbst eine öde Existenz zum Paradieses-Dasein umzaubert, Handel trieben,
es in den Schlamm animalischer Naturnotwendigkeit hinabzogen.
Nun gab es aber verschiedene Klassen derselben; die öffentlichen, gemeinen
Dirnen, die von einem Wirthe wie Sklavinen in besonderen
Häusern gehalten wurden und die ihrem Herrn als Sachen galten, mit denen er
Handel trieb und sich bereicherte, während die armen Opfer einem sicheren
endlichen Elend und Untergang preisgegeben waren. Dann trieben Viele das
unselige Geschäft privat auf eigene Rechnung und diese rekrutirten sich aus der
Klasse der Freigelassenen. Als Flötenspielerinen und Tänzerinen erhöhten sie
die Freuden der Symposien und benützten diese Gelegenheiten, Verhältnisse
anzuknüpfen, so daß sie oft das wurden, was man heutzutage eine Femme
soutenue nennt. Das war das Gebiet, wo der Künstler sein Modell zu suchen
hatte. Während aber oft das öffentliche Mädchen, das täglich der Leidenschaft
zum Opfer fiel, auch natürlich allen Reiz und alle Schönheit eines jugendlichen
Körpers zerstört hatte, für ein Modell also werthlos wurde, stand der Wahl eines
Modells der zweiten Klasse das bestehende Verhältnis mit einem Manne
entgegen, der für die Dauer des Contraktes das Mädchen für sein Eigenthum
ansah.
Es blieb also noch die Wahl aus der bevorzugten Klasse übrig, die indessen auch
zuweilen durch die Höhe der geforderten Taxe illusorisch wurde. Es gab
nämlich auch einzelne Hetären, die in den Städten, insbesondere Athen, eine
exzeptionelle Stellung einnahmen, indem sie nicht allein durch hohe Schönheit,
sondern auch durch Witz, Geist und Liebenswürdigkeit sich auszeichneten, eine
hinreißende Gewalt über ihre Zeit-genossen ausübten und in nahe Beziehungen
zu den bedeutendsten Männern ihrer Zeit traten. Es wird nicht überflüssig sein,
hier daran zu erinnern, daß wir diese Verhältnisse nicht einseitig auffassen, nicht
mit unseren modernen Ansichten messen und beurtheilen dürfen. Daß diese
Damen (der Demi-monde würde man heutzutage hinzusetzen) sich durch ihre
Kenntnisse, an welche die der vornehmsten und edelsten freien Athenerin nicht
im entferntesten heranreichte, sich berühmt zu machen verstanden, bezeugt die
Geschichte, die uns die Namen vieler derselben erhalten hat. Alle kamen aus der
Fremde nach Athen; Aspasia, die berühmte Freundin eines Perikles, und Lais
stammten aus Korinth, dem Vaterlande der Hetären, wo der Tempel der
Aphrodite allein über tausend Hetären als Hierodulen besaß; Phryne kam als
armes ehrliches Madchen ans Thespiae nach Athen, nur Lamia war die Tochter
eines freien Atheners.
Wird ein Künstler hoffen dürfen, im Kreise dieser hochgefeierten Schönheiten
ein williges Modell zu finden und im Studium desselben seine Kunst zu fördern?
Wir wollen sehen!
Ein armes Mädchen kam aus der Ferne nach Athen. Mnesarete ist ihr Name,
Thespiae in Böotien ihre Vaterstadt. Das Mädchen war von blendender
Schönheit, ungetrübt war auch ihre Unschuld. Ein verfängliches Unternehmen,
nach Athen zu gehen, wo die erste Eigenschaft die zweite früher oder später zu
Falle bringen mußte. Was hatte sie in Athen zu suchen? Wir wissen es nicht. Sie
sammelte Tapern von den Sträuchern und verkaufte sie an die Händler; damit
fristete sie ihr Leben. Eine karge Einnahme fürwahr! Und die schlechten
Beispiele, die sie in Menge umgaben und ihre Armuth und Unschuld
verhöhnten! Und sie war sehr schon, es kostete sie nur ein Wort, nur ein Schritt
war zu thun, um Genuß, Freude und Reichthum zu gewinnen. Kein guter Genius
stand ihr zur Seite und so war, von der Noth getrieben, dieser leichte erste
Schritt auch gethan, sie wurde eine Hetäre. Man nannte sie Phryne, die Kröte,
ihrer blassen Gesichtsfarbe wegen, die sie wohl sehr reizend erscheinen lassen
mußte, da sie es für immer verschmähte, die Schminke zu gebrauchen.
Der Ruf ihrer Schönheit erfüllte die Stadt und wer sie sah, glaubte, daß ihr die
gütigen Götter diese Gnadengabe verliehen haben. Dennoch hatte sie einen
Feind; Eythias, vielleicht von ihr verschmäht, klagte sie vor dem Gerichtshof der
Heliaea der Gottlosigkeit an und es drohte ihr dasselbe Loos, das kurz vordem
einen Sokrates ereilt hatte, zum Tode verurtheilt zu werden, wenn nicht der
Redner Hyperides, ihr Liebhaber, der sie vor Gericht vertheidigte, im kritischen
Augenblicke zu einer wohl berechneten List Zuflucht genommen hätte. Er
entfernte mit einem kühnen Griff plötzlich ihr Gewand und die Richter glaubten,
Aphrodite selbst oder eine ihrer Priesterinen vor sich zu sehen. Keiner wagte es,
sie
zu verurtheilen und ein so vollkommenes Gebilde der Schönheit der Zerstörung
zu weihen.
Nach dieser Freisprechung konnte sie es wagen, öffentlich dem zahlreich
versammelten Volke, sich als Aphroditen's Priesterin in ihrer vollen Schönheit
zu offenbaren. Es war die Zeit, da in Eleysis die Mysterien gefeiert wurden, die
stets große Volksmassen an das Ufer des faronischen Meerbusens herbeilockten.
Im Angesicht der Menge legte sie ihre Gewandung ab, löste ihr Haar auf und
stieg in das Meer. "Venus Anadyomene steigt aus dem Meer!" rief in größter
Bewunderung das Volk. Apelles und Prariteles befanden sich unter der
staunenden Menge. Beide waren von demselben Gedanken durchzückt: also die
Anadyomene, die dem Meer entstiegene Aphrodite darzustellen, Ersterer mit
Farben im Gemälde, Letzterer in Marmor als Statue.
Prariteles aber hatte das Glück, Phryne als seine Freundin und als sein Modell zu
gewinnen. Wie es ihm glückte, wissen wir nicht. Aus dem Erfolge nur können
wir abnehmen, daß Phryne es instinktmäßig herausgefunden, ein Anschließen an
den berühmten Künstler werde ihren Ruhm erhöhen, ihren Namen unsterblich
machen. Und sie hat sich in ihrer Berechnung nicht geirrt; der Ruhm Beider ist
unzertrennlich verbunden und in den ernstesten Werken über antike Plastik,
wird im Kapitel, das sich mit der classischen Kunst eines Prariteles befaßt, auch
seines reizenden Modells gedacht.
Die ganze Kunst des Prariteles verräth den wohltuenden Einfluß, den seine
Freundin, sein herrliches Modell auf sie ausgeübt hat. Sie scheint den Cultus
ihrer Vaterstadt Thespiae, der dem Eros und den Chariten geweiht war, der
Kunst ihres Freundes eingehaucht zu haben.
Unter den classischen Schöpfungen seines Meißels sind besonders die Statuen
der Aphrodite, des Eros und aus dem Dionysoskreise hervorzuheben. Viel
gepriesen wurde auch ein Satyr Staphylos (mit der Traube). Dieser und ein Eros
standen einst vollendet in seiner Werkstätte. Der Künstler versprach seiner
geliebten Phryne, die ihm mehr als Freundin war, sein bestes Werk zum
Geschenk zu geben. Sie aber getraute sich selbst nicht ein Urtheil über ein
Kunstwerk und so nahm sie zu einer List Zuflucht, um zu erfahren, welches
seiner Werke er selbst für das beste halte. Sie ließ einen Sklaven herbeieilen und
die Meldung thun, in seiner Werkstätte sei Feuer ausgebrochen. "Rettet meinen
Satyr und meinen Eros, sonst bin ich verloren!" rief in voller Angst der
erschreckte Künstler. Phryne aber beruhigte ihn, sie wußte nun zu wählen und
ihre Wahl fiel auf den Eros. Nicht ohne Vorbedacht! Man konnte sie des
Eigennutzes zeihen, sie verfuhr aber aus Patriotismus also, denn
sie schenkte den Eros ihrer Vaterstadt, die ihn im Tempel aufstellte. Es war ein
kostbares Geschenk, seine 200 Talente werth (etwa 800000 Mark unseres
Geldes).
Wir haben bereits erwähnt, daß die aus dem Meere steigende Phryne dem
Künstler die Idee eingab, eine Aphrodite zu bilden. Nicht ein Tempelbild, nicht
die Venus Urania nahm seine Gedanken gefangen; die Göttin der Liebe, die den
Olymp der Götter erst zum Himmel macht und die Erde in ein Paradies
verwandelt, sollte in tadelloser Schönheit, hüllenlos, den Keim, das Wachsthum,
die Vollendung der Liebe darstellen. Und Prariteles wurde der Schöpfer des
Aphrodite -Ideals. Gewiß hat ihn Phryne dabei beeinflußt und der tadellose
Körper derselben mag den ersten Gedanken eingegeben haben, die meisterhafte,
jugendlich frische Schöpfung gewandlos aufzunehmen und sie zu einer Göttin
umzuwandeln. Denn das müssen wir bei einem Prariteles bedingungslos
voraussetzen, daß seine Aphrodite keine bloße Copie des Modells war; durch
Reflexion und mehr noch durch das Genie verlieh er dem nackten Frauenkörper
erst die Würde, den Charakter der Göttin.
So wie er sie am Meeresufer in Eleysis gesehen, wie sie das nasse Haar mit
ihren Händen ausdrückt, konnte er sie als Bildhauer nicht brauchen.
Er wählte darum den Augenblick vor dem Bade; die letzte Hülle ist von dem
schönen Leibe abgestreift und die Linke läßt sie über die Urne herabgleiten,
während die Rechte, den Schooß deckend, der Göttin Unschuld und
Schamhaftigkeit betont. Am meisten rühmte die alte Welt an ihr die Lieblichkeit
des Ausdrucks, das reizende Lächeln des Mundes, den feuchten Glanz des
Auges.
Fünfmal bildete Prariteles die Liebesgöttin, darunter eine bekleidete, die auf die
Insel Kos kam und auch sehr gerühmt wurde, aber der Preis galt der
Gewandlosen, die auf die Insel Knidos gekommen ist und dieselbe zu einem
berühmten Wallfahrtsorte machte, wo alljährlich taufende von Menschen
zusammenkamen, um das Meisterwerk Prariteles zu sehen und zu bewundern.
Wenn Phryne sich an den Künstler anschloß, nicht etwa weil er eine angenehme
Persönlichkeit, sondern weil er eben Prariteles war und wenn sie glaubte, am
Ruhme desselben theilhaftig zu werden, so hat sie sich nicht getäuscht. Daß sie
keine gewöhnliche Dirne war, hat sie gezeigt, als sie großmüthig ihres Freundes
Geschenk ihrer Vaterstadt schenkte. So erscheint auch die Erzählung des
Kallistratos ganz glaubwürdig, nach der sie die Mauern des im Jahre 333 durch
Alexander zerstörten Thebens aus ihren Mitteln wieder ausbauen lassen wollte,
nur sollten diese die
Aufschrift tragen: "Alexander zerstörte sie, Phryne, die Hetäre, baute sie wieder
auf."
Jedenfalls nimmt Phryne in der Geschichte des weiblichen Modells eine
bevorzugte Stellung ein und wenn wir auch verhältnismäßig wenig von dem
Künstlerroman : "Prariteles und Phryne" wissen, so ist es doch mehr, als von den
taufenden von Modellen aller künftigen Jahrhunderte.
Den amerikanischen Bildhauer William Story hat Phryne zu einem Gedichte
begeistert, das in Adolph Stahr's Uebersetzung hier einen Platz finden möge:
Wohl zwei Jahrtausende sind's her - der Sonne letzter Strahl Umflammte die
Akropolis hoch ob der Stadt im Thal, Als zu Athen ein Bildner that den letzten
Meißelschlag In seiner Werkstatt an dem Haupt, schön wie der junge Tag.
Tief seufzend zog er ab die Hand von seiner Marmorpracht Und sprach zu ihr,
die seitab stand: jetzt, Liebste, ist's vollbracht! Soviel ist's, was ich retten mag
vor der Vergänglichkeit! Soviel - so wenig, ach! bewahrt vor Tod und
Endlichkeit!
Verbleichen wird dein rother Mund, verblüh'n der Glieder Pracht, Kein liebend
Flehn bewahret sie vor der Zerstörung Macht. Doch soll dein Lächeln marmorn
stehn in ew'ger Heiterkeit; Denn Kunst gewährt, was Lieb' versagt, gewährt
Unsterblichkeit.
Ach, dieser kalte Marmor wird in ew'ger Jugend blüh'n,
Wenn längst die Hand, die ihn beseelt, längst du und ich dahin!
Wenn uns're heißen Herzen längst zu Asche, still und kalt, Und uns're Liebe wie
ein Ton Jahrhunderte verhallt:
Dann wird der kalte Marmor hier, dem Nichts kann Leben leih'n, Noch lächeln,
wie er heute lacht, noch schön, wie heute sein. Kein Kummer stört den Frieden
ihm, nicht Gram und Mißgeschick, Nicht Alter und Enttäuschungspein wird
trüben je den Blick.
Geschlechter, ungeborene, sie schauen tiefbewegt, Hier Jugend und
Holdseligkeit für ewig ausgeprägt, Und wenn wir längst zu Staub verwest, wohl
manch ein Fremdling spricht : "So lächelt' aus Prariteles einst Phrynen's
Angesicht!"
Wenn wir uns mit Phryne etwas länger beschäftigt haben, so ist der Grund darin
zu suchen, daß man über sie, als ein Künstlermodell, verhältnismäßig am
ausführlichsten unterrichtet ist. Daß auch die anderen Künstler, welche
classische Kunstwerke schufen, ihre Studien an lebenden Modellen machten,
braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden. Einzelne Beispiele aus der
Kunstgeschichte deuten übrigens ganz deutlich auf das Modell hin.
Zu den vorzüglichsten Malern der griechischen Kunstblüthe gehört Polygnotos,
der durch mehrere große historische Compositionen seinen Namen unsterblich
gemacht hat. So malte er zu Delphi die Einnahme Ilion's, in der Poikile zu Athen
mehrere Gemälde, darunter den Kamps der Athener unter Theseus gegen die
Amazonen, die Schlacht bei Marathon u. a.. Auch im Tempel der Dioskuren und
des Theseus in Athen waren Werke seiner Kunst bewahrt. Nun heißt es von ihm:
Polygnotos war der erste, welcher Frauen mit durchsichtigen Gewändern malte.
Es kann die Bezeichnung "durchsichtig" auf zweifache Art aufgefaßt werden.
Der Maler kann entweder den Frauengestalten auf seinen Bildern durchsichtige
Florgewänder gegeben haben, so daß der nackte Körper durchschien und dessen
Farbe durch den Schleier nur ein wenig gedämpft wurde; oder er hat ihnen seine,
wenn auch nicht durchsichtige Kleider verliehen, die sich an die Körperformen
so innig anschmiegten, daß diese, wenn auch nicht ihre Farbe, deutlich
hervortraten. Im zweiten Sinne haben auch die Bildhauer durchsichtige Kleider
ihren weiblichen Statuen oft angepaßt, so daß man unter dem Gewande die
Körperformen deutlich wahrnehmen konnte. Diese Behandlungsweise wird ja
überhaupt von der Kunst streng gefordert, wenn die Gewandung nicht wie auf
einem Stock, sondern auf einem wirklichen Körper liegend und von dessen
Formen beeinflußt erscheinen soll.
Mag nun der erste oder der zweite Fall bei Potygnotos anzunehmen sein, immer
muß vorausgesetzt werden, daß er zuerst Studien des nackten Körpers nach dem
Leben machen mußte, bevor er diesen bekleidete. Wir werden denselben Fall bei
vielen Künstlern der Neuzeit durch ihre erhaltenen Studien beglaubigt
wiederfinden, so namentlich bei Raphael.
Plinius berichtet uns auch im Leben des Pausias von dessen Modell, das den
Künstler zu einem sehr gefeierten Genrebilde begeisterte. Pausias von Sikyon
war mit Apelles ein Schüler des Pamphilos und hatte eine Geliebte, die früher
seine Jugendgespielin war. Glykera hieß diese und war ein Blumenmädchen, das
Blumen zu Kränzen wand und sie dann verkaufte. Zuerst waren es die Blumen
selbst, die seine Kunst herausforderten. Wie Plinius sagt, ahmte er seine
Geliebte im Wetteifer nach;
wie sie wirkliche Blumen zu einem gefälligen Strauß oder Kranz
zusammenband, so vereinte er mit Farben die schönen Kinder Flora's in reichster
Mannigfaltigkeit durch Zusammenstellung derselben. Seine Blumenstücke, in
wetteifernder Liebe gemalt, wurden sehr geschätzt. Doch blieb er bei dieser
Beschädigung nicht stehen. Mußte er nicht schließlich von den leblosen Blumen
sein Auge zu der lebenden erheben, die von jenen umgeben, wie eine
Blumenkönigin waltete? Und er malte in der That seine reizende Glykera,
zwischen Blumen sitzend und einen Kranz bindend. "Die Kränzewinderin"
nannte man das Bild und es fand die allgemeinste Anerkennung, so daß der
Künstler seine Idylle noch oft wiederholen mußte, um den vielen Bestellungen
zu genügen. Um hohen Preis wurden diese Wiederholungen verkauft, auch
Lucullus aus Rom erwarb eine solche in Athen; das Modell dazu aber blieb als
lebendes Original
dem glücklichen Künstler.
Zeuxis von Herakleia ist ein anderer Maler, dessen Ruf alle seine Werke
überdauerte. Diese wurden sehr theuer bezahlt, so daß der Künstler damit Ehre
und Reichthum zugleich erwarb. Später soll er einzelne seiner Bilder verschenkt
haben, weil ihm, wie er sagte, doch Niemand den Preis zahlen könne, dessen
diese werth wären. In Olympia erschien der Künstler einmal in einem Gewande,
in dessen Muster sein Name mit goldenen Buchstaben eingewebt war. Nach
alten Nachrichten muß der Künstler auf allen Gebieten der Malerei gleich
vorzüglich gewesen sein. Auch das Stillleben verschmähte er nicht, wie wir aus
seinem Wettkampfe mit Parrhasios erfahren. Es ist die bekannte Geschichte mit
den Weintrauben, die Zeuxis so täuschend darstellte, daß die Vögel denselben
zuflogen, während sich der Künstler selbst durch einen gemalten Vorhang des
Parrhasios täuschen ließ. Eine solche naturalistische Auffassung des
Gegenstandes setzt natürlich fleißige Beobachtung und treues Naturstudium
voraus.
Eine solche Naturnachahmung müssen wir bei dem Meister auch bei figürlichen
Darstellungen voraussetzen, bei denen es der Künstler oft bis zur sinnlichen
Illusion gebracht zu haben scheint, wie uns die alten Nachrichten errathen
lassen. So hatte er die alte häßliche Hekuba so täuschend mit allen Merkmalen
des Alters und Gebrechens dargestellt, daß er, wie Plinius erzählt, über sein
vollendetes Werk selbst so intensiv lachen mußte, daß er in einen Lachkrampf
verfiel und darüber starb. Wenn wir auch das Letztere in das Gebiet der
Anekdote oder des Epigramms verweisen, jedenfalls war hier ein Bild
geschaffen worden, dessen sich der beste Naturalist unserer Gegenwart nicht zu
schämen brauchte. Daß der Künstler, dem man sonst nachrühmt, den schönen
weiblichen Körper in idealer Vollendung gemalt zu haben, hier seinen Pinsel an
der Häßlichkeit verschwendete, darf uns nicht befremden. Leonardo da Vinci
that es zweitausend Jahre später auch nicht anders.
Zu seinen gerühmtesten Werken gehört ein Eros, der von Rosen bekränzt war;
ferner eine Kentaurenfamilie, die sich eines besonderen Rufes erfreute. Sulla
wollte sie nach Rom versetzen, sie ist aber beim Vorgebirge Malea im Meer
untergegangen. Wenn sich unsere Taucherkunst noch weiter entwickelt haben
wird, welche Schätze und auch welche Kunstschätze wird man den
Meeresfluthen wieder abringen können! Lucian, der eine Copie des Bildes in
Athen fand, beschreibt uns die Composition recht ausführlich und sie möge hier
im Auszug Platz finden: "Die Kentaurin liegt aus dem Rasen in ihrer ganzen
Roßgestalt, der weibliche Körper ist sanft erhoben "und deutet aus Höheres,
mehr als Menschliches" (Goethe). Von den Jungen hält sie eins empor in den
Armen und nährt es auf menschliche Weise, indem sie ihm die weibliche Brust
darreicht ; das andere aber säugt sie an dem Euter nach Art eines Füllens. Oben
in dem Bilde, wie von einer Warte, hält der Roßkentaur das Junge eines Löwen
empor." Lucian bewundert dann insbesondere die Kentaurin, sowohl die schöne
Bildung des Rosses als die obere Hälfte, das eigentliche Weib. "Die
Vermischung und Verknüpfung der Leiber, wo das Roß mit dem Weibe
zusammengefügt und verbunden ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen
Uebergang; durch die allmähliche Umwandlung wird das Auge ganz unvermerkt
von dem Einen in das Andere übergeführt."
Interessant dürfte die Thatsache erscheinen, daß Joh. Stradan (1523 bis 1608)
nach Lucian's Beschreibung die verlorene Composition des Zeuxis zu
reconstruiren versuchte, die uns wieder I. Collaert in einem Stiche erhalten hat.
(In neuerer Zeit hat Riepenhausen Polignot's Bilder in der Lesche nach der
Beschreibung derselben von Pausanias wieder zu erwecken versucht.) Wenn
auch Lucian's Beschreibung sehr genau mit Stradan's Zeichnung übereinstimmt,
wer wird behaupten wollen, daß sie auch mit dem Original (trotz der
Unterschrift: .Adspice Zeuxis opus) in
gleicher Treue gleichförmig ist? (Siehe Abbildung.)
Jedenfalls mußte Zeuxis umfassende Naturstudien gemacht haben, wenn er sich
an eine solche Ausgabe, zu der ihm thierische und menschliche Modelle nur
theilweise Hilfe leisten konnten, heranwagte. Es ist übrigens ein poetischer
Gedanke, das Familienleben des Thieres durch Beifügung der Menschenleiber
aus dem Thierleben in's Menschliche zu übertragen und es eben dadurch seine
Weihe finden zu lassen.
Von den Einwohnern von Kroton erhielt Zeuxis den Auftrag, für den Tempel
der lakinischen Hera eine Helena zu malen. Hier fand er Gelegenheit, sein
weibliches Schönheitsideal zu verkörpern. Es ist für unseren Gegenstand höchst
wichtig, auf welchem Wege, durch welche Mittel Zeuxis sein Ideal gewinnen zu
können meinte. Helena, das Original, konnte dem Künstler natürlich nicht als
Modell stehen; sie galt als das Prototyp vollendeter Frauenschönheit. Zeuxis
wußte wohl aus Erfahrung, daß er kein Modell finden werde, das seinen
Anforderungen entspräche. Er ersuchte darum die Auftraggeber, daß sie ihm
erlauben, von den schönsten Jungfrauen, die die Stadt befaß, sich die
allerschönsten zum Modell auszuwählen, damit er die Reize, die sich bei den
Mädchen vereinzelt fänden, in seinem Bilde zu einer Gesammterscheinung
vereine und so das Ideal weiblicher Schönheit gewinne. Dies wurde ihm auch
zugestanden, und die Künstler aller Jahrhunderte haben in der That Urfache,
Zeuxis um diese Begünstigung zu beneiden. Es ist zu verwundern, daß der
Künstler an den wenigen Auserwählten alle dreißig Reize vereint fand, die zu
einer vollendeten Schönheit gefordert werden. Iean de Nevizan (16.
Jahrhundert) zählt sie in seinem Gedichte: "Sylvia Nuptialis" einzeln auf. Die
betreffende Stelle beginnt:
"Triginta haec habeat, quae vult formosa videri
Formina! Sic Heleman fame fuisse refert."
Und er schließt mit einem Seufzer die Aufzählung:
"Cum nullae rarae sint haec, formosa vocari
Rara puella potest - nulla puella potest!"
Zeuxis vollendete sein Bild, das im ganzen Alterthum als ein Wunder der Kunst
gefeiert wurde. Er selbst war von seinem Werke so befriedigt, daß er sich von
den Besuchern, die es sehen wollten, Eintrittsgeld zahlen ließ, weshalb der
Volkswitz seine Helena eine Hetäre nannte. Wer würde heutzutage nicht gern
und selbst ein hohes Eintrittsgeld bezahlen, wenn ihm Gelegenheit geboten
wäre, dieses Hauptwerk eines der berühmtesten Künstler Griechenlands, in
ursprünglicher Frische und Schönheit, wie es aus seiner Meisterhand
hervorging, schauen zu dürfen?
Es soll später nach Rom gekommen sein, wo es das Schicksal so vieler anderer
Meisterwerke theilte. Auch nicht eine schwache Nachbildung tröstet uns über
den Verlust eines Bildes, in dem sich die Reize der schönsten Jungfrauen einer
griechischen Stadt widerspiegelten.
Mit Zeuxis theilt Apelles den Ruhm, einer der größten Maler des Alterthums
gewesen zu sein. Auch seine Thätigkeit bietet uns Stoff für unsere
Untersuchung. Wir haben bereits früher erwähnt, daß er mit Prariteles in Eleysts
anwesend und Zeuge war, als Phryne öffentlich die Venus Anadyomene in
Szene setzte. Wie Prariteles nahm auch er sich vor, das Bild, das hier sein
Künstlerauge erschaut hat, zu siriren und in einem Gemälde zu verewigen.
Natürlich mußte er als Maler es anders auffassen, als es der Bildhauer gethan. Er
konnte das Meer selbst und die Göttin von dessen Flutheu umspült darstellen,
was dem Bildhauer verwehrt war. Wahrscheinlich stand Aphrodite, die eben aus
den Fluthen emportauchte, fast zur Hälfte im Wasser, da sie mit ihren Händen
nicht wie bei Prariteles das Gefühl der Schaam über ihre Hüllenlosigkeit
andeuten konnte. Es wird nämlich berichtet, daß sie mit den Händen ans dem
ausgelösten Haar die Feuchtigkeit und den Schaum ausdrückte. (Aequoreo
madidas quae premit imbre comas. Ovid). Die alten Schriftsteller rühmen das
Kunstwerk über alle Maaßen; insbesondere wird der liebreizende, sehnfüchtige
Blick, der schwellende Busen, das Ebenmaaß der Glieder und der Glanz des
nassen Haares hervorgehoben. Tizian's Anadyomene ist natürlich keine Copie
des Originals von Apelles, aber sicher in dessen Geiste aufgefaßt, weshalb sie
hier als Ersatz für jene in Abbildung stehen soll. Die Bewegung ist graziös, mit
durchdringendem und verführerischem Blick steht sie den Beschauer an, wie
sich auch in ihrer ganzen Erscheinung nicht die Unschuld der Anadyomene,
sondern bereits das Bewußtsein ihres Berufes offenbart. Die Fülle, die größer ist,
wie sonst bei einer classischen Venus, gehört dem Kunstcharakter Tizian's an.
(Das Original bei Lord Ellesmore in London. - In einem Bande des Musee
Napoleon zeigt uns ein Frontispice von Moreau jun. Apelles, der die Phryue als
Venus Anadyomene malt. Diese steht in ganzer Figur auf einem Trittbrett. Der
Oberkörper ist nach Tizian copirt. Drei junge Mädchen (Grazien?) sind als
Zeugen gegenwärtig.)
Das Original, das auf die Insel Kos kam, brachte Augustus um den Preis von
hundert Talenten nach Rom, wo es unter Nero zu Grunde ging.
Apelles malte noch ein zweites Gemälde der Aphrodite, das aber unvollendet
blieb. Fertig war bereits der Kopf, und die Brust; diese waren aber von so hoher
Vollendung, daß es nach des Meisters Tode kein Künstler wagte, das Fehlende
hinzuzufügen.
Ein eigentümlicher Umstand führte dem Meister ein weibliches Modell zu.
Apelles war, was man heutzutage zu sagen pflegt, der
Hofmaler Alexander's des Großen. Wie sich dieser nur von Prariteles in Marmor
hauen ließ, so saß er auch nur dem Apelles zum Bildniß. Plinius sagt: Wie oft
Apelles den Alexander gemalt hat, ist auszuzählen überflüssig. Besonders
berühmt wurde das Bild, das für den Tempel der Artemis zu Ephesus gemalt
war; es stellte Alexander mit dem Blitze in der Hand vor und man bewunderte
an dem Bilde besonders, daß die Finger und der Blitz von der Tafel sich
gleichsam losschälten und hervortraten. Der Künstler verstand es also, die
Gegenstände plastisch zu geben.
Alexander hatte nun in seinem Harem ein Mädchen, das besonders schön war
und das der Herrscher vor anderen auszeichnete und liebte. Pankasta hieß die
Favorite und Alexander wünschte, daß ihre Schönheit durch die Kunst verewigt
werde, nicht allein der schöne Ausdruck des Gesichtes, sondern auch die
herrlichen Formen des ganzen Körpers. Wer hätte sonst als Apelles diesen
königlichen Wunsch zur Zufriedenheit erfüllen können? Und so mußte Pankasta
hüllenlos sich vor die Augen des Künstlers hinstellen, damit diesem kein Reiz
entgehe und er ein getreues Bild der Wirklichkeit geben könne. Wie viele
taufend Künstler der Nachzeit mögen Apelles um ein solches Modell beneidet
haben.
Aber Apelles, dem es ein Leichtes war, die glänzende Schönheit auf die Tafel zu
bannen, erlahmte, je weiter das Bild in die Erscheinung trat, immer mehr in
seinem Kunsteifer. Der Künstler hatte neben seinem Auge auch ein Herz und
dieses fing im Anblick so vieler Reize Feuer; Apelles verliebte sich in sein
Modell und da er wußte, daß er sich dem Eigenthume seines königlichen
Freundes nicht nähern dürfe und mit der Vollendung des Bildes der ganze
Zauber vorbei sei, so suchte er den Genuß des Anschauens wenigstens zu
verlängern; er konnte mit dem Bilde nicht fertig werden. Alexander erkannte
bald die Ursache dieser Zögerung und war großmüthig genug, dem Künstler das
Original zu schenken und sich mit der Kopie, dem gemalten Bilde, zu begnügen.
Govaert Flink hat diese Scene in einem Bilde verewigt, die wir in Abbildung
bringen. Schön muß sie gewesen sein, denn Lucian, der ein Muster der
vollendeten Frauenschönheit ausstellt, will, daß der Körper einer solchen Frau
nach dem Vorbilde der Pankasta dargestellt werden müsse, nicht zu weiß,
sondern etwas, wie durch das Blut geröthet. Pankasta soll dann dem Künstler
auch zum Modell für seine oben erwähnte Anadyomene gedient haben, da
Phryne, welche die erste Anregung zu der Composition gab, nicht zu haben war.
Ueberhaupt scheint Apelles einen divinatorischen Blick für weibliche Schönheit
gehabt zu haben. Einmal, da er Korinth besucht hatte, kam
ihm bei einem Spaziergange vor der Stadt ein Mädchen entgegen, noch halb ein
Kind. Sie trug nach Sitte des Landes einen Krug über dem Haupte, mit dem sie
Wasser ans der Quelle Peirene geholt hätte: eine wandelnde Kanephore. Wir
haben bereits erzählt, wie in solchem Falle sich die Schönheit des
Körperwuchses am vortheilhaftesten auspräge. Man kann es noch heute an den
italienischen Landmädchen erproben. Das Mädchen war aber noch keine
ausgebildete Schönheit, es fehlten noch alle runden Formen, die zum weiblichen
Schönheitsideale gehören. Apelles aber sah in die Zukunft und bewunderte die
Schönheit der Jungfrau, wie Athenaeus berichtet, nicht die gegenwärtige,
unentwickelte, sondern die zukünftige. Er sah in der zarten Knospe die
aufgeblühte Rose. Unser Gewährsmann berichtet uns leider nicht, ob Apelles die
Jungfrau später zu seinem Modell erwählte; Wir glauben aber, daß dieses sehr
wahrscheinlich ist, denn das Mädchen wurde später eine. Hetäre und war wegen
ihrer großen Schönheit berühmt. Athenaens nennt sie sogar "eine große Zierde
der Stadt". Ihr Name hat sich erhalten. Sie hieß Lais. So schön war Lais, sagte
derselbe Schriftsteller, daß die Maler sie besuchten, um ihre herrliche, classisch
geformte Brust mit dem Pinsel auf der Tafel darzustellen. Warum hätte Apelles,
der Entdecker dieses Modelljuwels, nicht die Reihe derselben eröffnen sollen?
Die Sitten jener Zeit waren andere, als heutzutage, die Gesetze des Anstandes
von unsren verschieden. Xenonphon erzählt, daß Jemand in Gegenwart des
Sokrates die Hetäre Theodota, die Freundin des Alcibiades, wegen ihrer
Schönheit rühmte: sie besitze eine Büste, meinte er, deren Pracht man mit
Worten nicht beschreiben könne. Darauf sagte Sokrates: "Gut, dann wollen wir
zu ihr gehen, um sie zu sehen, denn nach dem Gehörten kann man über ihre
Schönheit kein Urtheil fällen." Und er ging mit einigen seiner Schüler dahin.
Theodota aber stand eben einem Maler als Modell und obwohl sie vollständig
ohne Gewand da stand, ließ sie sich doch durch die Ankunft der Fremden nicht
im Geringsten stören, so daß Sokrates sich durch eigene Anschauung ein Urtheil
über ihre gepriesenen Reize bilden konnte. Und Sokrates konnte dieses mit
vollem Rechte thun, denn er war ja auch ein wenig Künstler.
Es ist dieselbe Theodota, die ihrem Freunde Alcibiades nach dessen Tode ein
Grabmal errichten ließ.
II.
Das Christenthum drang wie ein Keil in die heidnische Gesell schaft ein,
anfangs unmerklich seine Gewalt ausübend, aber stets vorwärts schreitend, bis
sich die Gesellschaft der antiken Welt verändert fand, man wußte nicht wie es
geschah; die alten Märchen waren abgethan und Altäre einem Gotte errichtet,
der Anspruch auf ein persönliches Dasein machte, als Besitzer aller Macht die
Welten regierte und als liebender Vater die Menschen umfing.
"Einen zu bereichern unter allen
Mußte diese Götterwelt vergehn." (Schiller.)
Bis zu welchem sittlich verkommenen Zustande die römische Welt unter der
Herrschaft dieser Götterwelt schließlich herabgesunken ist, wird wohl allgemein
bekannt sein. Die sittliche Regenerierung der Menschheit mußte darum, im
Gegensatz zu den früheren Monstrositäten einen aller Luft widersprechenden
Ernst, eine rauhe Strenge offenbaren. Diese Erscheinungen sind psychologisch
begründet. Auch ließ die Zeit der Verfolgungen, in der jeder erlebte Morgen die
Dornen und Marterkrone in Aussicht stellte, keine Freude, keinen Jubel
aufkommen. In einer solchen Zeit konnte die Kunst keine Triumphe feiern. Nur
ein Gemüth, das von keinen Sorgen und Aengsten bedrängt das Leben für eine
süße Gewohnheit nimmt und mit ruhigen Wechsel der Horen sich an jedem
Blümchen, das am Wege blüht, erfreuen kann, ist auch für die Schönheiten und
Genüsse, die ihm die Kunst bereitet, empfänglich. Gewiß sind auch heidnische
Künstler Christen geworden, aber das, was früher ihre Kunst fördern konnte,
hatte Bedeutung und Werth verloren. Die Malereien in den Katakomben sind
keine eigentlichen Kunstwerke mehr,
denn ihr Zweck liegt auf einem anderen Gebiete, als dem künstlerischen, wie
auch die Formen sich verändert haben. Sie wollen auch nicht als Kunst gelten,
da diesem Worte in jener Zeit noch der Makel des Heidentums anklebte. Die
Darstellungen in den Katakomben sind Hieroglyphen, unverständlich dem
heidnischen Auge, inhaltreich nur dem Gläubigen, dem sie des Priesters Wort
aufgeschlossen hat. Zwei Fische, ein Korb mit Broten, ein Hirt mit dem Schaf
auf dem Rücken und ähnliche Darstellungen, die sich stets in derselben
Einfachheit wiederholen, sind leicht hingemalt und setzen bei ihrem Verfertiger
keine Phantasie, keine Thätigkeit des Genie's und keine besondere Anstrengung
voraus. Auch als die Kirche siegreich aus dem Kampfe hervortrat, änderte sich
die Sache nicht beträchtlich. Es wurden zwar Basiliken gebaut, heidnische
Tempel in christliche umgewandelt; diese gaben vielfach zu künstlerischen
Darstellungen Anlaß, da man das Gotteshaus auch aus jede Weise geschmückt
haben wollte. Die Künstler aber, die zu diesen Arbeiten herangezogen wurden,
konnten sich nicht sogleich zur rechten Kunsthöhe emporschwingen, denn die
alten Kunsttraditionen waren vergessen, der Faden zwischen ihnen und den alten
classischen Künstlern zerrissen. Anderntheils wären auch die antiken
Kunstformen von der Kirche nicht acceptirt worden, da der Gefahr eines
Rückfalles in das Heidenthum vorgebeugt werden mußte. Es soll nicht geleugnet
werden, daß die altchristliche Kunst, was sie an äußerer Kunstform verlor, durch
den geistigen Inhalt erfetzte. Sie spricht nicht zum Auge, sondern zum Gemüth,
zum Herzen. Es war bereits kein gewöhnlicher Maler, der in der Katakombe der
heiligen Agnes die majestätische Gestalt der Maria auf die Mauer malte. Sie
sitzt mit ausgebreiteten Händen (das Beten bezeichnend) und das Christkind ruht
über ihrem Schooße, mit eigener Macht sich ausrecht haltend. Die Zeichnung ist
unbeholfen, anatomische Vorstudien fehlen gänzlich, dennoch ist die
Darstellung von ergreifendster Wirkung. Von dieser Composition beginnt
langsam das Erwachen und Fortschreiten christlicher Kunst. In der
morgenländischen Kirche erstarrten diese primitiven Formen und blieben
unverändert bis in die Gegenwart. Die Kirche des Abendlandes aber weist eine
fortwährende Entwicklung aus. Daß dieser Fortschritt nur sehr langsam vor sich
ging, hatte verschiedene Ursachen. Die Kunst war gänzlich von der Kirche
absorbirt, weil von ihr allein in Thätigkeit gefetzt. Eine vollkommenere
Durchbildung der menschlichen Gestalt nach Naturstudien war, wenn nicht
unmöglich gemacht, doch erschwert, weil dem Künstler die Anatomie nicht zu
Hilfe kam; ein Studium nach dem Nackten war verpönt, auch glaubte es der
Künstler für seine kirchlichen Darstellungen entbehren zu
können. Hatte doch das frühe Mittelalter selbst Christus am Kreuze ganz
bekleidet, weil man an dem nackten Körper Anstoß nahm.
Erst mit der Zeit, in der die Kunst sich von der Kirche zu emancipiren begann,
nicht ausschließlich für diese thätig war, sondern auch in den bürgerlichen
Kreisen freundliche Aufnahme fand, nahm die Kunst die lange vernachlässigten
Studien nach der Natur wieder auf, um ihren Kunstgebilden auch in der äußeren
Erscheinung Wahrheit und Naturtreue zeigen zu können.
Der erste Anstoß zu dieser Regulirung der Kunstform ging von Italien aus und
es waren eigentümliche Umstände und Verhältnisse, die diesen gewaltigen
Umschwung hervorbrachten.
Die Scholastik des Mittelalters hatte abgewirtschaftet, die Geister sehnten sich
nach edlerer Geisteskost. Ein Zurückgreifen nach der antiken Literatur war um
so natürlicher, als noch immer alte Reminiscenzen im Volke lebten, als die
Italiener sich für Nachkömmlinge und Erben der alten Römer hielten. Dante
hatte in seiner göttlichen Comödie diese Saite berührt, indem er das Alterthum
neben das Christentum stellte und so das erstere zum Leben heraufbeschwor und
diese Saite vibrirte fort, immer lauter, immer kräftiger. Petrarca gab dieser
Geistesrichtung seiner Zeit einen weiteren Impuls; Gelehrte vereinten sich, die
alten Autoren aus ihren staubigen Verstecken in den Klosterbibliotheken an's
Tageslicht zu ziehen und diese dann zu erklären, um neue Schüler für das
Studium der alten römischen und griechischen Klassiker zu begeistern. In
diesem Studium glaubte man das wahre Ziel des Lebens und die Hoffnung aus
einen unsterblichen Namen zu finden. Deßhalb wurde diese Bestrebung
Humanismus genannt und es blieb nicht allein beim Studium der alten Autoren,
man befliß sich auch, im Geiste der Alten zu denken, zu sprechen und zu
schreiben. Man hatte schließlich selbst das Kirchliche mit der Antike verquickt,
nannte Christum den Lenker des Olymps und den Papst einen Herrscher, der den
Thron des olympischen Jupiter einnehme. Ein innerer Widerspruch in der
ganzen humanistischen Richtung trat freilich im praktischen Leben zu Tage. Der
antiken Anschauungsweise hätte folgerecht auch eine heidnische Lebensweise
entsprechen müssen; vor dieser letzten Tonfeauenz wichen aber die Meisten
zurück; gerade, welche die Emancipation des Fleisches am lautesten predigten,
wollten schließlich doch nicht unchristlich sterben. Ein scheinbar unlöslicher
Widerspruch, der sich aber doch psychologisch erklären läßt.
Eine für die Nachwelt ersprießliche Folge hatten aber die humanistischen
Bestrebungen insofern, als mit ihnen der Drang zu einem besseren
Verständniß der Natur erwachte. Die Entdeckung neuer Welten förderte
geographische, astronomische und Naturwissenschaften. Dazu gesellte sich die
Mathematik und schließlich, da man doch auch die Natur des Menschen selbst
besser erkennen und begreifen wollte, die Anatomie.
Die Kunst verstand es alsbald, aus diesen Verhältnissen Nutzen für sich zu
ziehen. Sie fand für ihre speziellen Bestrebungen auch in dem Umstande neue
Nahrung, als in dieser Zeit so viele Denkmäler antiker Kunst entdeckt, aus dem
Erdreich hervorgezogen und dem prüfenden Künstlerauge vorgeführt wurden.
Damit war der Kunst der Weg vorgezeichnet, auf dem sie die verlorenen Posten
wieder erobern und sich zur idealen Höhe emporarbeiten konnte. Das Studium
der alten Bauwerke und Sculpturen mußte den Künstler nothwendig zu der
Erkenntniß führen, daß er, wie die Alten, zum Studium der Natur zurückkehren
müsse.
Diese Wiederbelebung der alten Kultur nennt man die Renaissance.
Es darf nicht befremden, daß bereits vor der völligen Herrschaft der Renaissance
einzelne Künstler sich zur antiken Kunst hingezogen fühlten. So werden wir in
einem Relief der Kanzel des Battisterio in Pisa von Nicolo Pisano (gestorben um
1280), welches die Geburt Christi darstellt, unschwer den Einfluß der Antike auf
den Künstler erkennen. Maria, in halbliegender Lage, erscheint ganz im
Charakter einer Juno und das Ganze ist offenbar dem Relief eines antiken
Marmorsarkophags nachgebildet. Dem Künstler gefiel das Vorbild und er ahmte
die Form nach, ohne ihr den Geist des Inhalts, den er zur Darstellung wählte,
eingeprägt zu haben.
Auch Lorenzo Ghiberti (1378 bis 1455) überraschen wir bei einer ähnlichen
Plünderung antiker Formen, wie bei der Bildsäule des heiligen Stephan in Or
San Michele in Florenz oder in dem Relief der Thüre des Battisterio, das die
Erschaffung der Eva zum Gegenstande hat. Immer sind es nur einzelne
Stellungen und Motive, die er dem Alterthum entlehnt. Für die nackte Eva
mußte er nun freilich Studien nach der Natur machen. Man weiß, daß der
Künstler eine reiche Sammlung griechischer Antiken besaß, deren Anblick und
Studium seine Kunst nothwendig beeinflussen mußte.
Bewußt im Geiste der Renaissance arbeitet bereits Filipo Brunellesco (1379 bis
1446), der als Architekt zum Maaßstab und Verhältniß der alten Römer
zurückkehrt und als Bildhauer, durch die zahlreichen Antikenfunde seiner Zeit
angeregt, sich auf das Studium derselben und der Natur wirft.
Einen entscheidenden Wendepunkt zur lebensvoll entwickelten Renaissence
bekundet aber Masaccio (1401 bis c. 1428) durch
seine Compositionen in der Brancocci-Capelle der Kirche del Carmine in
Florenz. In den beiden Wandbildern (der Sündenfall und die Vertreibung aus
dem Paradiese) hat sich bereits mit der antiken Form ein lebendiger Geist
vermählt. Besonders in der zweiten Composition, der Vertreibung aus dem
Paradiese, ist die lebendigste, innere und äußere Bewegung ausgedrückt; Adam
deckt mit beiden Händen sein Gesicht, um die Reue auszudrücken, während Eva
ihre Hände gleich der mediceischen Venus bewegt, freilich in freier
Nachbildung. Diese Gemälde mußten aus die jüngere Künstlergeneration einen
ungemeinen Eindruck machen; Raphael hatte die Vertreibung in den Loggien
des Vaticans fast vollständig copirt. An die mediceische Venus erinnert uns
noch lebendiger ein Hauptwerk des Sandro Botticelli (1446 bis 1310) in den
Uffizien zu
Florenz. Die schaumgeborene Göttin steht aus der Muschel, die von zwei
fliegenden Windgöttern zum Ufer getrieben wird, wo eine Nymphe in
kostbarem Gewande ihrer am Saum eines Loorbeerhaines wartet, um ihr ein
herrlich verziertes Kleid, das sie mit beiden Händen ausgebreitet hält,
umzuwerfen. Von den Winden werden Rosen gestreut. Hier sehen wir, was die
Renaissance aus der Antike gemacht hat; der Marmor ist lebendig geworden.
Naiv unschuldig und doch auch sich ihrer Schönheit bewußt und zur Liebe
herausfordernd, so erscheint die moderne Venus vor unseren Blicken und zeigt
in ihrer ganzen realistischen Erscheinung, daß das lebende Modell zu ihr der
Zeit des Künstlers angehört. Wie gerne möchten wir über dieses etwas Näheres
erfahren; vergebens! über die liebreizende Gestalt, die den Künstler zur
Vollendung eines solchen Meisterwerkes entflammen, begeistern konnte, geht
die Kunstgeschichte mit Stillschweigen hinweg! Was uns des Künstlers Werk
nicht verräth, oder doch ahnen läßt, das erfahren wir vom Kunsthistoriker nur in
den seltensten Fällen. Wir müssen es, wie leider oft, dem Leser überlassen, sich
vor dem Gemälde das diesem zu Grunde liegende Modell vorzustellen, die
ideale Erscheinung im Bilde zum lebenden Modelle zurückzudatieren.
Drei Meister sind es, welche die Renaissance ihrer höchsten Blüthe
entgegenführten: A. Mantegna, L. Signorelli, L. da Vinci.
Andrea Mantegna (1431 bis 1506) zeigt uns in allen seinen Werken, daß er den
Geist der Renaissance voll auffaßte; die antike Kunst ist so zu sagen in sein Blut
übergegangen und er verstand es, mit diesem Capital tausendfältige Zinsen zu
erwuchern; sie beherrscht seine Hand vollständig, auch wenn er die lebende
Natur vor sich hat. Was er im Bilde oder auf der Kupferplatte darstellt, verräth
die Verwandschaft mit dem Alterthum. Immer ist ihm aber die Antike nur die
Form; der Gedanke,
der sie belebt, ist sein Eigenthum. Da seine Kupferstiche in allen reicheren
Sammlungen vorkommen, so kann man sich leicht von der Wahrheit des
Gesagten überzeugen. Das Naturstudium aus Grundlage der Antike springt
überall in die Augen. Zu bewundern ist, wie er das derb realistische Element in
den Rahmen antiker Objecte bannt. So seine tanzenden Musen, seine beiden
Bacchanale, ein Tritonenkopf (alle gestochen). Das berauschte dicke nackte
Weib, das aus einem Bacchanale der Satyr aus dem Rücken trägt, läßt uns
freilich auf kein jugendlich schönes Modell rathen, aber ihm hat es in diesem
Falle seine Schuldigkeit gethan. Dürer hat zwei seiner Stiche nachgezeichnet,
um sich in das Wesen der Renaissance einzuweihen (die Zeichnungen jetzt in
der Albertina zu Wien) und Rubens ging bei seiner italienischen Reife nicht
ohne Nutzen an ihnen vorüber.
Luca Signorelli (144l bis 1523) war der zweite Künstler, den wir als
Bahnbrecher der Renaissance genannt haben. Es ist hier gleich ein
merkwürdiges Bild zu nennen, welches das Berliner Museum 1873 in Florenz
erwarb und das die Schule Pan's heißt. Eine merkwürdige Composition, ganz
nach dem Recept der Mythologie componirt und doch ganz selbstständig
austretend. Pan, der für "den göttlichen Vortänzer und Pfeifer schlechthin galt"
(Preller) ist nicht ohne Flöte und ohne den Chor seiner Nymphen zu denken. So
sitzt Pan in der Mitte, gleichsam thronend, von Hirten umgeben. Links steht eine
nackte Nymphe, hinter derselben sind zwei andere sichtbar. Was dem feinen
Beobachter des Bildes auffallen muß, ist, daß das Nackte der Figuren sich nicht
vordrängt, d. h. keinen sinnlichen Gedanken aufkommen läßt. Bedingt durch den
Inhalt der Composition erscheint es als etwas Natürliches; es ist aber durch des
Künstlers Genie über alles Natürliche erhoben. Wir können vor dem Bilde den
männlichen und weiblichen Modellen, die dem Künstler dienten, nachspüren,
aber im Bilde finden wir sie nicht. denn jeder Körper ist durch den Künstler zu
dem umgewandelt, was er im Bilde sein und vorstellen soll.
Der Künstler mußte jedenfalls über schöne Modelle verfügt haben. Das allein
hätte ihn freilich noch nicht zum großen Künstler gemacht, wenn er nicht die
Fähigkeit besessen hätte, die Erscheinung der Natur getreu auffassen und dem
gewonnenen Bilde den künstlerischen Adel verleihen zu können. Signorelli war
auch ein äußerst fleißiger Beobachter der Natur und ein unermüdeter Zeichner.
Das zeigt sich insbesondere an seiner berühmten Freske in Orvieto, welche den
Sturz der Verdammten vorstellt. Man kann die Bewegung einer stürmischen
Handlung nicht natürlicher und auch nicht genialer geben; das Bild ist eine
vollständige
Akademie des Nackten, ein Actsaal einerseits, aber auch eine treffliche Vorlage
zum psychologischen Studium der Affecte. Ein solches Gemälde mußte
natürlich einen verwandten Geist zu gleichem Streben erwecken.
Wie das Zeichnen und das Naturstudium ein Lebensbedürfniß für Signorelli
war, so sollte es auch sein Trost werden in einer trüben Stunde. Sein einziger
Sohn, den er unendlich liebte, wurde ihm in Cortona getödtet. Lassen wir Vasari
selbst berichten: Dicesi, che essendogli, stato occiso, che Luca cosi addolorato
lo fece spogliare ignudo, e con grandissima constanza d'animo, senza piangere o
gettar lacrima, lo ritrasse, per veder sempre che volesse, mediante i'opera delle
sue mani, quello che la natura gli avea dato, e tolto la nimica fortuna."
Ein ewig grübelnder Philosoph unter den Künstlern des Cinquecento ist
Leonardo da Vinci (1452 bis 1519). Ihm war es nicht genug, die Natur in ihrer
äußeren Erscheinung zu studiren, und diese dann in einer Darstellung
festzuhalten, er bemühte sich auch, zum Urgrund jeder Erscheinung zu
gelangen. Maler, Bildhauer und Architekt, suchte er immer und überall eine
sozusagen wissenschaftliche Grundlage für seine künstlerische Thätigkeit. Wie
wichtig das lebende Modell für des Künstlers Studium sei, sah er wohl ein; aber
das speciell zu diesem Zwecke hingestellte Modell befriedigte ihn keineswegs.
Er fischte zuerst dem Grunde der äußeren Erscheinung des menschlichen
Körpers nachzuspüren und warf sich auf die Anatomie, die er mit eisernem
Fleiße betrieb. Was Goethe lange nach ihm aussprach, war sein Grundsatz
geworden: "Das Aeußere einer organischen Natur ist nichts anderes, als die ewig
veränderte Erscheinung des Innern. Dieses Aeußere, die Oberfläche, ist einem
mannigfaltigen, verwickelten, zarten, inneren Bau so genau angepaßt, daß sie
dadurch selbst ein Inneres wird." Das heißt, die äußere Erscheinung des
lebenden Körpers muß auch dessen inneren Inhalt, den Knochenbau, die Lage
der Muskeln, errathen lassen. Für den Ausdruck des Charakters wird dann
freilich ein anderes Studium gefordert. In seiner Akademie, die er gestiftet hatte,
wies er seine Schüler stets zum Zeichnen nach der Natur an. Er verlangte von
ihnen, daß sie nie ohne ein Skizzenbuch ausgehen, daß sie Orte aufsuchen, wo
ihnen Menschen verschiedenen Alters, Standes und Geschlechtes vor die Augen
treten; hier werden sie Köpfe, Körper, Bewegungen, hier auch verschiedene
Charaktere im Gesichtsausdruck finden, die sie, wenn auch flüchtig, in das
Büchlein eintragen sollen, wie der Botaniker die Pflanzen aus seinem Wege
einsammelt.
Die also gewonnenen Vortheile kann ihm keine Belehrung, kein correctes
Zeichnen nach der Antike und auch kein lebendes Modell bieten, letzteres ist,
wie wir bereits erwähnten, für den fertigen Künstler ein Mittel, sein Kunstwerk
mit der Natur zu confrontiren, für den Kunstjünger, wie Goethe richtig bemerkt,
"nur ein roher Stoff, von dem er sich nicht muß einschränken lassen, sondern
den er zu verarbeiten trachten muß."
Was Leonardo von seinen Schülern forderte, das that er auch selbst. Wie Vasari
erzählt, konnte er oft Tage lang einem auffallenden Menschengesichte, sei's
Mann oder Frau, nachlaufen, nur um es in seinem Geiste gründlich aufzufassen
und zu Papiere zu bringen. Man findet in London, Florenz und anderen sehr
reichen Sammlungen viele Zeichnungen von ihm, welche die bizarrsten
Gesichtsformen darstellen. Woher diese Carricaturen bei einem Meister, dem
der Ausdruck vollendeter Schönheit so sicher zu Gebote stand? Wir glauben,
daß er das Charakteristische eines beobachteten Gesichtes oder Körpers maßlos
übertrieb, um eben dieses Charakteristische seinem Gedächtniß besser
einzuprägen und durch die Milderung der Carricatur wieder die Naturwahrheit
zu gewinnen. Es wäre nicht schwer, nachzuweisen, wie aus diesem Wege die
Apostelköpfe seines Abendmahles entstanden sind.
Wie fleißig er Anatomie studirte, bezeugt der Band mit 235 großen
anatomischen Zeichnungen, den das Britische Museum besitzt. Vergessen wir
nicht, daß er auch die Musik übte, als Dichter und Mechaniker thätig war, der
künstliche Mühlenwerke, Maschinen aller Art construirte - und noch Zeit fand,
als Künstler Wunderwerke zu schaffen! Sein Abendmahl ist leider wie zerstört,
von seinem Modell zur Reiterstatue des Lodovico Sforza, an dem er zwanzig
Jahre arbeitete, ist nichts übrig geblieben; was aber von seiner Kunst blieb, zeigt
uns seinen Titanengeist. Daß er zur Darstellung nackter Schönheiten über
vorzügliche Modelle verfügt hat, beweisen seine mythologischen
Compositionen, die in Bildern oder in Zeichnungen vorhanden sind. So malte er
die Leda mit dem Schwan öfters (wenigstens zweimal) und der Gegenstand
mußte ungemein angesprochen haben, da sich sehr viele Wiederholungen in
verschiedenen Sammlungen vorfinden. Eine fleißig ausgeführte Zeichnung wird
auch erwähnt, welche ein junges nacktes Mädchen in den Armen eines Alten
darstellte. Diese fand aber an dem Questor Melzi einen strengen Richter; er ließ
sie (1775) durch den Pfarrer verbrennen.
Leonardo war auch Portraitmaler und besonders die Frauen-Bildnisse wurden
sehr gerühmt. Das Bildniß setzt natürlich das lebende Original voraus und so
könnte man sagen, daß die Damen, die er
portraitirte, seine Modelle waren. Ganz richtig ist dieses aber nicht, dein es giebt
einen Unterschied zwischen Modell und Portrait. Ein Modell ist nur ein
Hilfsmittel des Künstlers, mit dessen Hilfe er seine Arbeit regulirt und der
Naturwahrheit anpaßt; das Portrait ist die künstlerische Darstellung einer
Persönlichkeit mit treuer Wiedergabe der Gesichtszüge und des Charakters. Das
Modell dient zum Studium der Gattung, das Portrait verlangt Betonung des
Individuums. Und doch kann das Portrait für den Künstler auch insofern als
Modell dienen, als er beim Portraitiren Studien nach dem Leben macht.
So war die Mona Lisa, die Gemahlin des Francesco Giocondo für Leonardo, der
sie portraitirte, auch ein lebendes Modell zugleich. Wie können wir dieses
begründen? Vier Jahre malte er an dem Meisterstück eines Bildnisses und als er
es weggab, hielt er es noch keineswegs für vollendet. Er hätte müssen im
höchsten Grade in das Original verliebt sein und die langjährige Arbeit hätte die
Bedeutung gehabt, daß er sich deshalb vom Anschauen des Originals nicht
trennen könne. Dies war aber keineswegs der Fall; die reizende Dame war
zugleich ein Gegenstand des intensivsten Studiums für ihn. Darauf deutet auch
der Umstand, daß er durch raffinirte Mittel den Ausdruck im Gesichte der
darzustellenden Dame regulirte. Vasari erzählt, daß immer, wenn er sie malte,
Jemand dabei sein mußte, um durch Gesang, Spiel oder Scherze sie zu erheitern.
Auf diese Art entstand nicht ein bloßes Portrait, sondern zugleich ein Ideal.
Worin bestand das Ideale? ,,Über diesem Angesicht," sagt Vasari, ,,schwebte ein
so liebliches Lächeln, daß es eher von himmlischer Hand zu sein schien und es
galt für bewundernswerth, weil es dem Leben
völlig gleich war."
Franz I. von Frankreich zahlte 4000 Thaler in Gold für das Bild, es befand sich
dann in Fontainebleau und ist jetzt, obwohl es durch Waschen viel vom
ursprünglichen Reiz verloren hat, noch immer eine Perle des Louvre.
In derselben Gallerie befindet sich noch ein zweites weibliches Portrait von
Leonardo. Es gilt dort als das Bildniß der Geliebten Franz I. und führt die
Bezeichnung "La belle Ferroniere", weil die Dame die des Königs Herz besaß,
die Tochter eines Eisenhändlers gewesen sein soll. Diese Annahme ist aber
durch nichts gerechtfertigt. Einige glauben vielmehr in dem Bilde eine andere
Dame wiederzufinden. Leonardo war nämlich viele Jahre am Hofe des Lodovico
il Moro in Mailand beschäftigt und dieser hatte ein solches Vertrauen in den
Künstler gefetzt, daß er ihm den Auftrag gab, seine beiden Maitressen Caecilia
Galleram und Lucretia Crivelli zu portraitiren. Es wird nun von manchen
Kunstforschern angenommen, daß die sogenannte "Ferroniere" des Louvre das
Bildniß der Crivelli sei. Gründe lassen sich freilich für diese Annahme nicht
beibringen.
Wenn wir den Charakter der Zeit in Anschlag bringen, wie auch den Umstand,
daß die beiden genannten Maitreffen des Herzogs, eben dem Zeitcharakter
entsprechend, wahrscheinlich in prononcirt leichtem Costum aufgefaßt und
dargestellt waren, so könnte am ehesten das Bild in Petersburg, das sich früher
in der Gallerie zu Houghton befand und das eine Schöne darstellt, deren
Oberkörper hüllenlos erscheint, Anspruch darauf machen, die Lucretia Crivelli
vorzustellen. Freilich ist in der Stellung, in der Lage der Hände eine gewisse
Verwandtschaft mit der Mona Lisa unverkennbar, aber hätte sich die ehrbare
Frau des Giocondo in dieser Art malen lassen? Waagen glaubt, das Petersburger
Bild wäre ein Studium nach dem Modell für das Portrait der Mona Lisa. Es ist
nicht möglich, aus allen Widersprüchen herauszukommen. Wir geben das
Petersburger Bild als Illustration, um zu zeigen, welch herrliche Modelle damals
Glück und Sitte (oder Unsitte?) dem Künstler zuführten.
Leonardo's großer Nacheiferer, Michael Angelo Buonaroti, geboren 6. März
1475, gestorben 18. Februar 1564, ladet uns nun ein, in sein Studio einzutreten
und zuzusehen, wie er in das Geheimniß des Lebens und der Naturwahrheit
einzudringen sich bemühte. Wie Leonardo genoß auch Michel Angelo eine
sorgfältige gelehrte Erziehung; es gehörte auch sein Riesengeist dazu, um neben
Poesie und reicher Wissenschaft auch Architektur, Bildhauerei und Malerei
umfassen und in allen drei Kunstformen sich auszeichnen zu können.
Und wo sollen wir in Florenz sein Studio ausfischen? Dort, wo wir es am
wenigsten vermuthen. Ueber die Brücke S. Trinita, die den Arno überspannt,
gelangt man zum Kloster und zur Kirche San Spirito. Hier lebte als Zeitgenosse
unseres Künstlers ein Prior (sein Name wird nicht genannt), der ihm sehr
wohlwollte. Der Meister hatte nämlich für die Kirche ein beinahe lebensgroßes
Crucifix ausgeführt. Vielleicht hatte er dem Prior gegenüber von der
Schwierigkeit gesprochen, anatomische Studien machen zu können. Sein
geistlicher Freund wußte Rath; er verschaffte von Zeit zu Zeit Leichname, die
geheim in den Klosterkeller wanderten und hier, beim schwachen Lichte der
Kerze, studirte
Michel Angelo die Anatomie, zergliederte die Leichen, um die Structur des
Skelettes, die Verzweigungen der Muskeln, die Lage des Fleisches kennen zu
lernen. Die Werke des Todes durchwühlend, suchte er die Gesetze des Lebens.
Männliche und weibliche Leichen wurden so von dem Meister mit einer wahren
Heißgier zersetzt, zuweilen das gewonnene Resultat in flüchtigen Umrissen auf
ein Papier gezeichnet. Das ist der Actsaal des großen Künstlers! Es ist ganz
erklärlich, daß er bei einer lang fortgefetzten Beschäftigung dieser Art, umgeben
von Leichen, einathmend die schädlichen Miasmen der Verwesung, selbst fast
zu einer Leiche wurde. In der Sammlung Lawrence befand sich eine flüchtige
Zeichnung, die uns eine Scene dieses anatomischen Theaters vergegenwärtigt.
Man sieht den Meister mit dem Anatom Antonio della Torre bei einer Leiche
beschäftigt, die auf dem Brette liegt; in der Höhle der geöffneten Brust steckt die
brennende Kerze, die das Ganze düster und grauenhaft beleuchtet.
Es konnte nicht verhindert werden, daß diese geheim gehaltene Beschäftigung
doch zur Kenntniß der Welt kam. Natürlich wurde sie noch mit abenteuerlichen
Zusätzen ausgestattet, da man es nicht begreifen konnte, wie ein Künstler, der
nur den Linien und der Form der Schönheit nachgehen soll, sich mit der
Negation des Schönen, mit der zerstörten Form desselben so unausgesetzt
beschädigen könne. Höchst wahrscheinlich in Folge dessen ist das
abenteuerliche Märchen entstanden, das sich an ein Werk seiner Kunst anlehnt.
In der Karthause zu Neapel ist ein Trucisir von ihm und es geht die grauenvolle
Sage, der Künstler habe ein lebendes Modell dazu benutzt und den Mann
kreuzigen lassen, um den Ausdruck der höchsten Natürlichkeit vor sich zu haben
und ihn seinem gekreuzigten Heilande zu geben. Es ist diese Sage natürlich eine
durch nichts begründete Erzählung, deren Wurzel wohl bis in den Klosterkeller
hinabreicht. Vielleicht hat der natürliche Ausdruck des Leidens im Antlitz des
Gekreuzigten die Vermuthung entstehen lassen, der Künstler hätte diesen nur
unmittelbar nach der Wirklichkeit so naturwahr geben können.
Uebrigens ist diese Mythe nicht einmal neu; schon vom griechischen Maler
Parrhasios erzählte man, daß dieser, als Philipp die kriegsgefangenen Olympier
verkaufte, einen Greis gekauft habe, den er bis zum Tode foltern ließ, um in
dessen Anblick die Leiden des gefesselten Prometheus recht wahrheitsgetreu
schildern zu können.
Außer seinen anatomischen Studien hatte Michel Angelo auch fleißig nach dem
lebenden Modell, nach männlichen und weiblichen Körpern gezeichnet. Es
finden sich in öffentlichen Sammlungen viele solcher
Zeichnungen vor, die auf seinen Namen gehen, wenn auch darunter viele sind,
die ihm sicher nicht angehören. So namentlich kommen viele Acte vor, die als
Studien für die einzelnen Figuren des Jüngsten Gerichtes in der Sixtinischen
Kapelle des Vaticans gedient haben. Indessen brauchen wir für diese Studien
nicht immer gleich ein lebendes Modell voraus zufetzen. Durch seine
vollkommenen anatomischen Kenntnisse war der Meister sicher befähigt, solche
Zeichnungen auch ohne Gegenwart eines lebenden Modells, aus Grundlage
seiner Erfahrungen, die er am Secirtische gesammelt hat, auszubauen. Viele
seiner Zeichnungen, welche einzelne Theile des Körpers, Muskellage u. s. f.
zum Gegenstande haben, gehören jedenfalls der Zeit an, in der er im Kloster San
Spirito als Anatom arbeitete. Eine zwölfjährige angestrengte Beschäftigung mit
der Anatomie mußten einen Geist vom Charakter des Michel Angelo befähigen,
den menschlichen Körper in jeder Stellung und Lage, in Ruhe wie in der
Thätigkeit auch ohne gegenwärtiges Vorbild getreu dar zustellen.
Für den Ausdruck sanfter Gefühle, der Milde, der Geduld war Michel Angelo's
Kunst nicht gestimmt. Was er erdachte, ist vom höchsten Ernst durchdrungen;
das Große, ja Gigantische ist seinem Geiste verwandt. Beweis dafür sein Moses,
diese Personification des alttestamentlichen Gesetzes, das nur Trotz und keine
Versöhnung durch duldende Liebe kennt. Deshalb ist es ihm auch nicht
gegeben, den jungen weiblichen Körper, wo er ihn hüllenlos darstellt, mit dem
Reiz und der Anmuth der Jugend auszustatten. Wann gäbe es wohl für einen
großen Künstler eine günstigere Gelegenheit, den weiblichen Körper in seiner
herrlichsten Vollendung zur Darstellung zu bringen, als bei einem Kunstwerk,
das die Erschaffung der Eva zum Gegenstande hat? Makellos, in jungfräulicher
Schöne durch die allmächtige Hand des Schöpfers in's Dasein gerufen, ist sie
weder durch anstrengende Arbeit noch durch Sorge und Leiden dein Ideale
entfremdet. Michel Angelo hat diese Scene in der Sixtinischen Capelle des
Vaticans gemalt. Entspricht aber seine Eva den angedeuteten Verhältnissen?
Keineswegs! Nicht die Jungfrau, die reizende, unentweihte, in Schönheit
prangende Braut Adam's erblicken wir hier; unter dem Einflusse der in's
Kolossale arbeitenden Kunst Michel Angelo's ist seine Eva mehr der "Mutter der
Lebendigen", als dem Ideale weiblicher Anmuth ähnlich. Dasselbe Modell
(freilich michelangelesk verarbeitet) finden wir ebenda in der Eva, da diese mit
Adam aus dein Paradiese vertrieben wird. Und nahe verwandt mit Buona roti's
Eva sind auch die beiden allegorischen Figuren an den Grabmälern der
Mediceer in San Lorenzo zu Florenz. Der Künstler wollte
die Zeit darstellen, die er, um Gruppen zu gewinnen, in die vier Theile des
Tages zerlegte. Der Abend (il Crepusculo) und der Tag sind durch hünenhafte
männliche Gestalten dargestellt. Die Morgendämmerung (Aurora) und die Nacht
durch Frauengestalten. Tag und Nascht liefen über dem Sarkophag, der oben die
Statue des Herzogs Lorenzo trägt; der Abend und die Aurora ebenso auf dem
anderen, mit der sitzenden Statue des Herzogs Giuliano.
Uns interessieren hier nur die weiblichen Gestalten. Wenn wir vielleicht im
großen Vorrath antiker Sculpturen für die männlichen Figuren leicht Vorbilder
auffinden könnten, für die weiblichen würde man vergeblich nach solchen
suchen. Kein griechischer Künstler würde eine Allegorie in solche Körper
eingeschlossen haben. Wenn wir sie freilich mit Augen betrachten, deren Pupille
sich an die Kunst des großen Floren tiners angewöhnt hat, dann werden wir
diesen in seiner ganzen Größe in seinem Werke erkennen. Die Nacht kann nicht
plastischer charakte-risirt sein, als in dieser schlafenden Gestalt, wie auch das
Erwachen des Tages in der zweiten. Aber ideale Körperformen sind es
keineswegs, die uns hier entgegentreten; beide strotzen von Leben, aber es ist
das Leben der realen Wirklichkeit, wie es sich im Geiste des Meisters
abspiegelte und riesige Formen annahm. Man sieht, wie Michel Angelo die
Natur ansah und wie er sie in seiner Kunst verkörperte.
Wir werden dann freilich gezwungen sein, das Urtheil Vasari's niedriger zu
stellen, wenn er sagt, durch dieses Werk sei Alles verdunkelt worden, was selbst
die antike Kunst hervorgebracht habe.
Wir schalten hier einen Künstler ein, der, wenn wir uns an die Chronologie
streng halten wollten, bereits früher uns hätte beschädigen müssen. Wir glauben
aber, bei unserem Gegenstande nicht mit aller Strenge den chronologischen
Faden festhalten zu müssen.
Wir meinen den Florentiner Maler Filippo Lippi (geb. 1412 (?), gest. 1469),
dessen Leben sich wie ein Roman entwickelt, dem ein reizendes Modell die
gehörige Folie verleiht.
Nachdem dessen Mutter bald nach seiner Geburt gestorben war und auch der
Vater, als Filippo kaum zwei Jahre zählte, dem Tode verfiel, nahm sich der
Waise eine Tante an, die für dessen zeitliches und ewiges Heil am besten damit
zu sorgen glaubte, daß sie ihn in das Carmeliterkloster gab, wo er zum Mönche
herangebildet werden sollte. Im Kloster behagten ihm aber die gelehrten Studien
keineswegs und da er Talent für die Kunst zeigte, so sollte er Laienbruder (Fra
oder Frate) bleiben und sich im Malen ausbilden. Masaccio, der eben im Kloster
eine Kapelle ausmalte, nahm auf die Kunstweise des jungen
Lippi den entscheidendsten Einfluß. Bald brachte er es dahin, daß man
allgemein sagte, der Geist Masaccio's hätte in ihm seinen Wohnsitz genommen.
Die Ausübung der Kunst hätte ihn nicht hindern können, im Kloster zu bleiben;
er mag aber, zum Jüngling geworden, eingesehen haben, daß er keinen rechten
Berns zum Klosterleben habe und so trat er mit 17 Jahren aus dem geistlichen
Orden aus, um nur der Kunst zu leben. Man stritt darüber, ob er noch vor der
Prozeß ausgetreten sei oder bereits durch diese au den Orden gebunden war.
Sicherheit läßt sich darüber nicht gewinnen, es ist nur sicher, daß er durch sein
ganzes Leben Fra Filippo genannt wurde.
Wir wollen übergehen, wie er dann bei einer Lustfahrt aus dem Meere von
Piraten gefangen genommen und als Sklave nach der Berberei gebracht wurde
und wie es die Kunst war, die ihm wieder die Freiheit brachte. Er kehrte über
Neapel nach Florenz zurück, wo er viele Kirchenbilder malte, so schön und
reizend durch Auffassung und Farbe, daß sich sein Ruf weit verbreitete und er
mit Aufträgen überhäuft wurde. Es wurde ihm aber vorgeworfen, daß er nicht
fleißig genug bei der Arbeit bleibe und Vasari giebt uns auch die Ursache an, die
oft hindernd in seine Arbeit trat und ihn von der Staffelei fernhielt. Er sagt, Fra
Filippo sei so sehr zur Zärtlichkeit (d. h. Liebelei) geneigt gewesen, daß, wenn
er Frauen von ausgesuchter Schönheit sah, alles hingegeben hätte, um sie zu
besitzen. Um wenigstens ihres holden Anblickes theilhaftig zu werden, malte er
dieselben, um durch die Kunst gleichsam seine Gluth zu kühlen. In solchen
anfragenden Stimmungen mußte dann freilich die monumentale Kunst feiern.
Einmal hielt sich der Künstler in Prato bei Florenz bei Verwandten auf. Bei
dieser Gelegenheit erhielt er von den Nonnen von S. Margherita den Austrag,
für den Hochaltar ihrer Kirche die Geburt Christi zu malen. Während der Arbeit,
die vielleicht innerhalb der Klosterräume ausgeführt wurde, fand der Künstler
Gelegenheit, eine reizende Novize des Karmeliterklosters zu sehen, die seine
verliebte Natur sogleich in helle Flammen brachte. Ein Verkehr mit dem
schönen aufgeblühten Mädchen war natürlich unmöglich, aber des Künstlers
Erfindungsgeist, durch den verliebten Sinn erhöht, wußte das Unmögliche
möglich zu machen. Er wurde in der Arbeit lässig und als ihn die Nonnen
fragten, was die Urfache dieser Nachlässigkeit sei, meinte der schlaue Künstler,
es fehle ihm ein Modell für die h. Jungfrau. Wollen die Nonnen ihr Bild fertig
bekommen, so müssen sie ihm erlauben, die Novize als Modell für die Madonna
benutzen zu dürfen. Diese hieß Lucretia Buti und war die Tochter eines
angesehenen Florentiners.
Was sollten die Nonnen thun, wenn ihr Bild nicht unvollendet bleiben sollte?
Lucretia diente zum Modell und je mehr sie der Künstler sah, desto mehr
verliebte er sich in dieselbe. Es dauerte nicht lange und die Liebe fand die
rechten Worte, sich kund zu tun und schließlich fand der Künstler volle
Gegenliebe. Verliebte wissen nichts von Skrupeln, Bedenken und Furcht vor
dem öffentlichen Urtheil. Eines Tages war der Maler mit seinem Modell ans
dem Kloster verschwunden
Die Nonnen machten ein großes Geschrei, weil sie sich durch dieses Ereigniß
beschämt fühlten, der Vater des Mädchens versuchte alles, um seine Tochter aus
den Armen des Künstlers zu reißen und zur Rückkehr zu bestimmen, aber diese
blieb ihrem Geliebten treu und gebar ihm einen Sohn, den die Kunstgeschichte
unter dem Namen Filipino ebenfalls, wie den Vater, als einen vorzüglichen
Künstler kennt.
Fra Filippo hat das Bildniß seiner Geliebten noch öfters aus verschiedenen
Gemälden angebracht. Wie bei Prariteles schmolz bei dem Künstler die Kunst
mit der Liebe zusammen; in dieser Verschmelzung bot das Modell demselben
mehr, als Studium nach der äußeren Erscheinung; der Meister wird darin auch
eine intensive Anspornung zum freudigsten Kunstschaffen gewonnen haben.
Wenn es unser Vorhaben wäre, Romane zu schreiben und den Stoff zu
denselben aus den Künstlerkreisen zu wählen, so hätte bei einiger Phantasie und
Erfindungsgabe uns Filippo Lippi's schönes Modell Lucretia dazu begeistern
können. Vielleicht noch in erhöhtem Maße der Künstler, mit dem wir uns jetzt
beschäftigen wollen, der große Urbinote Raphael (1483 bis 1520). "La bella
Fornarina" sagt Alles!
Nichts ist interessanter, als in der Biographie Raphael's das intensive Wachsen
der Kunstvollendung zu verfolgen. Drei vorzügliche Meister theilen sich
nacheinander in die hohe Bestimmung, den angehenden Künstler die Wege zur
sonnigen Höhe des Weltruhms zu ebnen; dessen Vater Giovanni in Urbino, P.
Vannucci in Perugia, Fra Bartolommeo in Florenz. Vergebliche Mühe, den
Jünger sanft führen zu wollen. Spielend überflügelt er in kurzer Zeit Alle! In
dem Alter, wo Andere allenfalls zur Erkenntniß kommen, was sie überhaupt
wollen und wie sie es anzupacken haben, um es durchzuführen, steht Raphael
bereits als vollendeter Meister da. Die berühmte Grablegung im Palast Borghese
ist des Meisters Maturitätszeugniß.
Nur noch etwas fehlt ihm: Rom und in diesem ein Papst, der die Kunst liebt und
seiner Kunst fehlen würdige Räume, die er mit dem Glanz seines Genius
erfüllen darf. Und Alles wurde ihm zu Theil. Im Jahre 1508 betritt er Rom,
findet in Julius l^. seinen Mäcen und im Vatican herrliche Räume, in denen er
seinen Ruhm in den höchsten Meisterwerken verewigen kann.
Was Raphael in der kurzen Zeit von zwölf Jahren in Rom geschaffen hat, ist
erstaunlich. Es ist hier nicht der Ort, diese Kunstthätigkeit eingehend zu
besprechen. Wir haben hier nur zu untersuchen, welche Behelfe ihm zu Gebote
standen, welche Modelle er bei seinen Studien zu Rathe zog, wie er diese
benutzte.
Seine Künstlerseele befaß einerseits eine erstaunliche Assimilirungsgabe, die
Alles, was der Kunst Leben und Kraft zuführt, sich mit großer Leichtigkeit
aneignet und anderenteils eine wunderbare Elasticität, die das gewonnene und
verarbeitete Material ebenso leicht in die Wirklichkeit setzte. Wo Andere sich
abmühen und bei aller Arbeit doch nichts Großes erringen, da kam es dem
gottbegnadeten Künstler wie im Traume. "Fortunato garzon", glücklicher
Jüngling, wird Raphael von Francia genannt.
Raphael war aber auch des ihm angeborenen Genie's vollkommen würdig, denn
er studirte so fleißig, so anhaltend, als ob er nur ein mäßiges Talent besessen
hätte. Beweis dafür sind die vielen Zeichnungen, Entwürfe, Studien zu seinen
unsterblichen Werken.
Doppelt aber war die Quelle, aus der er schöpfte: es war die antike Kunst und
die lebende Natur.
Er kam gerade zu rechter Zeit nach Rom. Der Schutt der alten, längst
untergegangenen Stadt gab seine in ihm verborgenen Schätze antiker Kunst der
staunenden Welt zurück. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurde im alten
Antium (Porto d'Anzo) die berühmte Statue des Apollo (von Belvedere)
entdeckt, im Jahre 1506 der Laokoon. Außerdem kamen unzählige Basreliefs an
Sarkophagen und anderen antiken Gegenständen zur Kenntniß der Archäologen.
Wie stellte sich Raphael diesen neuentdeckten Kunstschätzen entgegen? Daß er
Verständniß und Liebe zur alten Kunst fühlte und entgegen-brachte, dürfen wir
schon daraus schließen, daß ihn Leo X. zum Aufseher der alten Bauten wie der
Ausgrabungen ernannte.
Daß ihm die Antike dann zum Modell diente, an dessen Hand er sich mit dein
Geiste antiker Kunst vertraut zu machen bestrebte, beweisen einesteils
Zeichnungen, die er entweder selbst nach den Antiken ausführte, oder von
seinen Schülern fertigen ließ, wie auch die häu-
figen Reminiscenzen an die Antike, die sich in seinen Werken nachweisen
lassen.
Bereits einige Jahre vor seiner Ankunft in Rom (etwa 1503) hatte Raphael bei
einem Besuche in Siena Gelegenheit gehabt, in der Bibliothek des Domes
daselbst die antike Gruppe der drei Grazien zu sehen, von denen er zwei
abzeichnete. (Die Zeichnung ist jetzt in Venedig.) Angeregt durch diese antike
Gruppe hatte er dann ein Gemälde in Florenz gemalt (jetzt bei Lord Ward in
London). In Rom hatte er dann, wie beglaubigt ist, mit seinen Schülern die
Reliefs der Trajansäule abgezeichnet, zu welchem Zwecke er sich mit
besonderen Maschinen in die Höhe aufziehen ließ.
Wenn wir Raphael's Compositionen mit Aufmerksamkeit durchgehen, so
werden uns oft in denselben Erinnerungen an antike Vorbilder entgegentreten.
So namentlich: "Alexander läßt Homer's Werke in das Grab des Achilles legen",
welche Komposition offenbar einem antiken Reliefbild nachgebildet ist, ferner
im "Parnaß", in verschiedenen Venusdarstellungen, so namentlich in jener
sitzenden, die sich den Dorn aus dem Fuße zieht, zu der ihm der Dornauszieher
als Vorbild diente. Auch für die herrliche Composition des Paris-Urtheils, die
Marc Anton gestochen hat, läßt sich ein antikes Vorbild nachweisen, zu diesem
dienten ihm zwei Reliefs (das Mediceische und das der Villa Pamfili).
Wir dürfen aber nicht glauben, daß Raphael diese Modelle einfach abschrieb. Es
war ihm wohlbekannt, daß fast alle erhaltenen Antiken nur ein abgeschwächter
Widerschein alter griechischer Kunst waren. Und so beseelte ihn der Wunsch,
das Bild der minder vollkommenen Ueberreste in sich aufzunehmen und sie
gleichsam in den ursprünglichen Zustand umzufetzen, als neues Ideal in seinen
Werken der Nachwelt zu hinterlassen. Wir begegnen hier der Renaissance, als
einer Wiedergeburt des Alterthums in ihrer schönsten und edelsten Form. (Mehr
über diesen Gegenstand in Thode's: "Die Antiken.")
Neben dem Modell, das Raphael die Antike bot, fand derselbe ein zweites in der
lebenden Natur. Das mußte ihm ja klar sein, daß kein echter Künstler die
lebende Schöpfung, die er eben durch die Künstler klären will, umgehen dürfe.
Sie bildet das fortwährende Regulativ für die Gebilde der Phantasie. Mag die
Letztere noch so hoch emporsteigen ihre Kinder sind für die Irdischen bestimmt
und müssen in irdische Form gekleidet werden.
Hier aber beginnt der Roman Raphael's.
In der Straße S. Dorothea in Trastevere, d. h. jenseits des Tiberflusses, bei S.
Cecilia stand und steht bis ans den heutigen Tag ein
Häuschen, das eine altertümliche Fenstereinfassung von gebrannter Erde besitzt.
Zu dem Häuschen gehörte einst ein kleiner Garten, der mit einer niedrigen
Mauer umfriedet war. In diesem Garten pflegte ein schönes Mädchen oft zu
verweilen und es fanden sich bald junge Zöglinge der Kunst ein, die über die
Mauer die eben aufgeblühte Schönheit bewunderten. Auch Raphael hörte von
der reizenden Trasteverin und suchte die ihm bezeichnete Mauer auf. Ein
wundersames Bild fesselte seinen Blick: das Mädchen, sich unbelauscht
wähnend, badete die Füße im Bassin. Kaum hatte Raphael das holde Naturkind
gesehen, war er in heftiger Liebe ergriffen und gab sich alle Mühe, ihre
Gegenliebe zu gewinnen. Da er selbst ein schöner Jüngling war, so glückte es
ihm bald, sie sein nennen zu dürfen. Er fand, daß sie ein edles Gemüth besitze
und das Feuer seiner Liebe wurde immer mächtiger, so daß er ohne sie nicht
mehr leben zu können meinte. Aus Liebe zu ihr hat er die Ehe mit der Nichte
des Cardinals Bibiena, für den er viel beschäftigt war, nicht eingehen wollen.
Sie blieb ihm auch treu bis zu seinem frühzeitigen Tode, an ihr fand er die
sorgfältigste Hüterin in seiner letzten Krankheit. Leider hat uns die Geschichte
ihren Namen verschwiegen, nicht einmal ihren Taufnamen kennen wir; die Welt
nennt sie "Fornarina", weil man glaubt, daß sie eine Bäckerstochter war.
Das eben Erzählte würde uns ein anmuthiges Bild aus dem Leben des großen
Künstlers bieten. Da kommt aber die poesielose kalte Kritik dazwischen und
erklärt die ganze Erzählung und auch den Namen Fornarina für eine Mythe, eine
müßige Erfindung. Wenn aber dieselbe Kritik noch weiter geht und das ganze
Dasein einer Geliebten Raphael's wegleugnet, so geht sie offenbar zu weit und
schüttet das Kind mit dem Bade aus. Raphael's Geliebte kann sich trösten,
nachdem man auch einen Homer in das Gebiet der Sage verwiesen hat.
Wir wollen der Kritik das Zugeständniß machen, daß der Beiname "Fornarina"
sich nicht historisch begründen lasse. Die Person, welche dieser Name deckt,
existirte aber wirklich, denn Vasari berichtet einfach und ausdrücklich, daß
Raphael ein Mädchen geliebt habe, das bei ihm gewohnt und dem er bis zum
Ende seines Lebens zugethan war. Da aber das schöne Kind doch einen Namen
haben muß, so wollen wir bei dem hergebrachten, wenn auch unbeglaubigten
Zunamen bleiben und sie Fornarina nennen.
Raphael hat ihr Bildniß gemalt, es befindet sich im Palast Barberini. Es ist ein
wunderbares Bild. Sie ist als Kniestück, sitzend aufgefaßt, der Oberkörper ist
gewandlos, über den Schooß ist ein rothes Gewand gelegt. Gleichsam um der
Schamhaftigkeit genug zu thun, hebt
sie mit der Rechten einen weißen durchsichtigen Schleier zur Brust empor,
während die Linke über dem Schooße ruht. Der Arm der letzteren ist von einem
schmalen Band eingefaßt, auf dem in goldener Schrift die Worte: RAPHAEL
VRBINAS stehen. Der Künstler konnte keinen geeigneteren Ort für seinen
Namen wählen; während er damit das Bild als sein Werk bezeichnete, wollte er
gleichsam andeuten, daß, wie das Band den Arm umspannt, seine Liebe das
Original umarme. Auge und Braunen sind schwarz, die Wangen, Arme und
Hände leicht bräunlich, über dem rabenschwarzen Haar lagert ein buntes Tuch.
Es ist ein frisches Kind der Natur, daß wir hier in einer Laube von Myrthen- und
Lorbeersträuchern sitzend vor uns sehen. Wie sieht sie uns aber an! Was birgt
sich in diesem Blick, welche Geheimnisse ruhen hinter dem Auge, in der Seele!
Und mit welcher Wahrheit und Feinheit ist das Bild durchgeführt! Können wir
uns Raphael in dem Augenblicke denken und vorstellen, da er vor dem lebenden
Mädchen saß und es abbildete? in dein seligen Augenblicke, da Liebe und Kunst
so innig vereint das Modell zu einem Kunstwerke erhob, den Gegenstand seiner
Liebe durch
die Kunst verklärte? (S. Abbildung.)
Ingres hat es versucht, uns diese Scene darzustellen (Klassikerbibl.
d. bild. Künste. Franz. Maler von Dr. H. A. Müller. Seite 256);
aber sein Bild kann uns nicht befriedigen, weil es nicht wahr ist. Eine Kälte, wie
sie Raphael in diesem Bilde zeigt, ist unnatürlich; man glaubt, Modell und
Künstler sitzen nur hier, um gesehen zu werden. Ein Blick aus Fornarina's
schönen Augen belehrt uns, daß sie von Raphael nicht wie ein lebloses Bild
angesehen und behandelt wurde, das man mechanisch copirt!
Der Künstler hat sich auch in der Dichtkunst versucht; es sind nur vier Entwürfe
zu Liebesgedichten erhalten, in denen sich die volle Glut erster und wahrer
Liebe ausspricht. Wir wissen nicht, welcher Schönheit sie gelten; bilden wir uns
ein, daß ihn Fornarina zum Dichter machte.
Man hat auch ein Bild im Palast Pitti zu Florenz für ein Portrait der Fornarina
ausgegeben. Aber das Bildniß stellt eine andere und zwar vornehme Frau vor,
auch ist es nach neuesten Forschungen kein Werk Raphael's, sondern des
Sebastiano del Piombo.
Daß Fornarina dem Raphael bei vielen seiner Arbeiten zum Modell saß, ist
selbstverständlich und auch an einzelnen Gemälden oder Compositionen
nachweisbar. Freilich dürfen wir nicht mit dem Zollstab messen; Raphael hätte
kein Künstler, der er war, sein müssen, wenn er das Modell unverarbeitet in
seine Kunst übertragen hätte. Am deutlichsten erkenntlich erscheint sie, wie
ganz natürlich, in manchen Zeichnungen,
namentlich in derjenigen, welche die Hochzeit des Alexander und der Roxane
darstellt. Der Künstler hatte in dem ersten Entwurf zu dieser reizenden
Komposition alle Figuren nackt gezeichnet und die ans ihrem Lager sitzende
Roxane ist ein ganz treues Abbild der Fornarina. In fertigen Gemälden ist der
Nachweis schwerer, da eben der Künstler seine Studien durch das Genie
gleichsam in ein höheres ideales Leben erhoben hat. Dennoch dürsten die
Wandgemälde in der Farnesina (ursprünglich Palazzo Chigi), welche den Stoff
der Fabel der Psyche entlehnen, uns in einzelnen weiblichen Figuren auf
Fornarina hinweisen. Vasari berichtet, daß Raphael, als er an diesen Bildern
malte, oft ans Sehnsucht nach der Geliebten in seiner Arbeit lässig war; es hatte
darum Agostino Chigi, der die Arbeit vollendet sehen wollte, auf Anrathen
Anderer, das Mädchen nach dem Haufe bringen lassen, wo sie in der Nähe
Raphael's verweilen durfte. So hat sie wohl das Verdienst, daß die Gemälde so
trefflich gerathen sind, daß insbesondere die Hochzeit der Psyche so poetisch
das Glück des errungenen Besitzes zum Ausdruck bringt.
Uebrigens ist nach einem Ausspruch Raphael's zu vermuthen, daß er noch
andere Modelle benützte. Er schreibt nämlich an den Grasen Castiglione: "Ich
muß viele Frauen gesehen haben, die schön sind, daraus bildet sich dann in mir
das Bild einer einzigen." Er destillirt also gleichsam aus dem Anblick mehrerer
lebender Schönheiten die Essenz der idealen Schönheit. Wir fanden schon bei
Zeuxis, daß er aus gleiche Weise sich das Ideal der Helena schuf.
Die concreten Gestalten der Modelle werden durch diese Abstraction freilich
nicht zerstört; immer werden sie mehr oder weniger auf die äußere Form
gestaltend wirken, aber der Geist, der sie belebt, gehört dem Künstler an. Man
kann es sehr wohl beobachten, daß jeder große Künstler seinen eigenen Typus
der Frauenschönheit besitzt. Wir sind überzeugt, wenn dasselbe Modell einem
Leonardo, Michel Angelo, Raphael, Tizian, einem Rubens oder van Dyck
gesessen wäre, jeder dieser Künstler hätte es nach seinem Kunstnaturell seiner
Idee dienstbar gemacht. Darin besteht eben die Weihe der Kunst, die sich von
der äußeren Erscheinung zwar anregen, aber nicht beherrschen läßt. Wo sich an
einem Kunstwerke das Modell vordrängt und alleinige Berechtigung in
Anspruch nimmt, da ist es kein echtes Kunstwerk mehr. Diese Wahrheit wird
bestehen, wenn sie auch vom Materialismus mit allen Kräften befehdet wird.
Zu den Koryphäen italienischer Kunst ist ohne Widerspruch auch Tizian zu
rechnen (1477 bis 1576). Er hat bis jetzt unter den Künstlern das höchste Alter
erreicht, ein sehr beglücktes Alter, das ihn nicht hinderte, bis zum letzten
Athemzuge als Künstler thätig zu sein. Und als Künstler bewahrt er zugleich
eine beneidenswerthe Jugend, die sich in allen seinen Werken offenbart.
Es wird uns nicht wundern. wenn sich an diesen Nestor in der Künstlerwelt,
besonders rücksichtlich seiner Jugend, die Sage heranwagt. Jedenfalls meint es
diese recht gut mit dem Meister, wenn sie dem aufblühenden Jünglinge, dem
angehenden Künstler das Original, welches uns Palma Vecchio in seiner
sogenannten Violante (im Belvedere zu Wien) (Klassikerbibl. d. bild. Künste.
Venez. Schule I. Seite 236) vorführt, als dessen Jugendgeliebte zuschreibt. Sie
galt als eine Tochter Palma's, der aber keine Kinder besaß. Doch ist es erwiesen,
daß sie des Künstlers Modell war, die ihn zu mehreren anmuthigen Bildern
begeisterte. Tizian, als Palma's Schüler, wird dasselbe reizende Modell benützt
haben. Wir glauben es in einem Jugendwerke des Meisters zu erkennen. Man
nennt es gewöhnlich "Himmlische und irdische Liebe". Man steht zu beiden
Seiten eines Brunnens zwei Mädchengestalten, zwischen beiden plätschert
Amor im Wasser des Bassins. Wie uns scheint, haben Trowe und Tavalcaselle,
die neuesten Biographen Tizian's, das Richtige getroffen, wenn sie meinen, der
Künstler habe hier allegorisch die gesättigte Liebe und die unbewußte
Liebessehnsucht darstellen wollen. Erstere sitzt links, angethan mit reicher
Modetracht; "ihr Gesichtsausdruck ist bestimmt, stolz und befriedigt", deshalb
wendet sie Amor den Rücken zu. Die ganze Glut des Empfindens, den Reiz
seiner Kunst hat Tizian über die andere Gestalt ausgebreitet, die ihren schönen
Körper fast hüllenlos und doch in reinster Unschuld dem Auge preisgiebt. Sie
lehnt sich nur halb an den Rand des Brunnens an und hebt mit der Linken das
mit dem Weihrauch der Liebe gefüllte Gefäß in die Höhe. In dieser reizend und
edel gezeichneten Gestalt glauben wir das Original zu erkennen, das durch
Palma's Kunst zu einer Violante geworden ist. Und diese Apotheose des schönen
Kindes, das hier zum Modell diente, mag Ursache gewesen sein, daß man dieses
zu einer Jugendliebe Tizian's stempelte. Eine poetische Licenz der Sage, wer
wird mit dieser rechten wollen, wenn die Geschichte schweigt und die Fabel so
einschmeichelnd zu uns spricht?
Tizian hätte übrigens wie ein türkischer Pascha leben müssen, wenn die Modelle
für viele seiner Bilder in der That auch dessen Geliebte gewesen wären, wie man
sie als solche bezeichnet hat. "Maitresse du Titien"
ist leicht gesagt und geschrieben, überdieß eine pikante Zuthat, die das Bild für
Viele um so begehrenswerther machen mochte. Wir wissen nun aber, daß
Tizian, der Maler weiblicher Grazie, oft von den italienischen Großen mit
Aufträgen bedacht wurde, deren Maitreffen zu portraitiren. Jedenfalls führte ihm
dieser Umstand mannigfache Schönheiten vor sein Künstlerauge, aus dem er
großen Nutzen für seine Kunst zu ziehen verstand.
Wir erwähnen beispielsweise das Bild im Louvre, das uns ein schönes Mädchen
im Neglige vorführt, welchem ein vornehmer Herr zwei Spiegel vorhält. Man
glaubt in Letzterem Alfonso d'Este und in dem einfachen Mädchen in voller
Fülle und Gesundheit ihrer Formen dessen Geliebte Laura Diauti zu erkennen.
Es galt aber und wird auch noch unbegreiflicher Weise : Tizian und seine
Geliebte genannt. Es ist schwer, solche Irrthümer abzuweisen, da sie bereits sehr
veraltet sind. Rubens copirte einige Bilder Tizian's, welche weibliche
Schönheiten darstellen ^sogenannte Existenzbilder) und nannte sie kurzweg:
Venezianische Courtisanen. Auch das herrliche Bild der Flora in den Uffizien zu
Florenz galt als Bildniß einer Geliebten Tizian's. Wen stellt nur diese Flora in
allem Zauber ihrer Jugendherrlichkeit vor? Im vollen Bewußtsein ungetrübter
Mädchentunschuld reicht sie, mit der Linken das Gewand über dem Busen
zusammenhaltend, mit der Rechten einem Unbekannten. den man sich außerhalb
des Bildes denken muß, Blumen dar. Wer ist dieser beneidenswerte
Unbekannte? ist es Tizian selbst? Sandrart, der das Bild gestochen hat, glaubt es
und kleidet seinen Glauben in ein lateinisches Gedicht, das wir in deutscher
Uebersetzung wiedergeben (nach M. Jordan):
Blühend athmet die Erde im Lenz, sanft säuselnde Winde Schwellen, von
Zephyr gesandt, üppig den duftenden Flor;
Flora war Tizian's Lenz, ihm knospet von Liebe das Herz nun:
Ihn und Andere mehr zieht sie verlockend in's Netz.
Wohin verleitet selbst einen ernsten Gelehrten, wie es Jac. von Sandrart doch
war, die Phantasie!
Es ist überhaupt bei Bildern dieser Art an ein Portrait nicht zu denken; sie setzen
zwar ein schönes Modell voraus, sind aber vom Künstler zu einer idealen Höhe
emporgehoben.
Tizian war mit der Formenwelt antiker griechischer Kunst sehr wohl vertraut, er
nahm sie mit Verständniß in seinem Geiste aus, nicht um sie in sklavischer
Nachbildung zu wiederholen, sondern zu verarbeiten und seinen Genius
entsprechend neu zu gebären. Einer der schönsten
Belege für das Gesagte ist die Venus Anadyomene, die wir bereits bei Apelles
erwähnten und in Abbildung brachten.
Tizian fand oft Gelegenheit, nackte weibliche Körper zu malen; er fand bei
seinen Zeitgenossen nicht allein Verständniß dafür, er kam auch dem Wunsche
aller Freunde und Pfleger der Renaissance damit entgegen.
Vergessen wir auch nicht, daß die Gesellschaft damals eine andere war, als jetzt.
Dichtkunst und gelehrte Erörterungen waren in Gesellschaften an der
Tagesordnung, die freieste Bewegung durch nichts, auch nicht durch die
Gegenwart schöner junger Damen der höheren Stände gehindert. Man war
allseitig entzückt über die Schönheit der Muttersprache, die selbst Boccaccio's
"Decamerone" und andere Ergüsse lieber trunkener Dichter in diesen Kreisen
hoffähig machte. Sollte es uns dann Wunder nehmen, daß Damen dieser Kreise,
vollbewußt ihrer Schönheit, dem berühmten Künstler ihre Reize zu enthüllen
nicht anstehen? Wußten sie doch, daß die vergängliche Schönheit durch den
Künstler in ihrer herrlichsten Vollblüthe firirt, das Verwesliche zur
Unsterblichkeit gehoben wird.
So entstanden die Venusbilder, die in reizenden Variationen stets das eine
Thema behandeln, dessen Inhalt die Verherrlichung der Krone der Schöpfung
ist. Welche Modelle dem Meister dabei zum Vorbilde dienten, wie sie hießen,
ob sie höheren Lebenssphären angehörten, oder aus den Kreisen des Volkes
erwählt wurden, das Alles ist unbekannt und wir haben die Freiheit, vor einer
Venus, wie sie in Madrid, Darmstadt, Florenz oder Dresden zu sehen ist,
nachzudenken, was an den liebreizenden Körpern der paphischen Göttin der
künstlerischen Begeisterung und was dem etwa vorauszufetzenden Modelle
angehört. Eine solche Zurückführung des Meisterwerkes auf die Vorlage ist für
den Laien besonders schwer, da man von der Naturwahrheit, die im Bilde ihren
Triumph feiert, leicht annimmt, daß sich Bild und Vorbild genau decken.
Jedenfalls hat des Meisters kunstgeübtes Auge sich nur schöne Modelle
ausgewählt; in ihrer Verwendung hat er das Höchste geleistet, was auf diesem
Gebiete geleistet werden kann. Man weiß nicht, soll man mehr die seine delikate
Zeichnung, die sicheren Umrisse und Formen des weiblichen Körpers, oder die
lebensvolle Wahrheit des Colorits, oder endlich den reizenden Ausdruck der
naiven Unschuld, der kindlichen Unbefangenheit bewundern. Wenn Tizian auch
in der Zeichnung der Antike nicht gleichkommt, der Geist derselben lebt
unverkennbar in seinen Werken. Oft ist es schwer, zu entscheiden, ob wir
bestimmte
Individuen oder ideale Erscheinungen vor uns haben: so in der Madrider Venus.
Diese ruht auf üppigem Lager, kein Gewandstück verbirgt ihre Reize dein Auge.
Es ist nicht die jungfräuliche Göttin, wie sie eben dem Meerschaum entsteigt,
sondern das schöne Weib in völliger, schwellender Reife ihrer Gliederpracht. Im
Grunde zu ihren Füßen sitzt ein Mann und spielt die Orgel, sich umsehend nach
der Göttin, die ein Schooßhündchen streichelt, damit es durch sein Bellen den
Musiker nicht störe. Man hat in dem Manne Ottavio Farnese erkennen wollen,
der seine zur Venus umgewandelte Geliebte mit Musik und Gesang erheitert.
Wer kann es mit Sicherheit behaupten? Der Künstler hat sein Geheimniß nicht
verrathen; wie man auf Altarbildern den Heiligen die Donatoren beigesellt, hat
er die Göttin ihrem Verehrer sich offenbaren lassen, mit seiner Kunst
Himmlisches und Irdisches vermählend.
Wir haben bereits oben erwähnt, daß sich der Künstler bis in sein hohes Alter
eine wunderbare, jugendliche Frische des Geistes bewahrt habe.
Im Jahre 1559, also im Alter von 82 Jahren, schrieb er an König Philipp Il. von
Spanien einen längeren Brief, in dem er unter Anderem den König bittet, das
Portrait einer Dame gnädig anzunehmen, das er ihm übersendet. Er bezeichnet
die Dame als die unumschränkte Herrin seiner Seele (che e patrona assoluta dell'
anima mia). Wird man in dem Bilde auch wieder nach dem liebevollen
Ausdruck, dessen sich der Künstler bedient, an eine Geliebte des Greises denken
wollen? Hier macht die Geschichte eine solche Annahme unmöglich, denn das
Portrait stellte Lavinia, Tizian's einzige und von ihm angebetete Tochter dar, die
er mehrmals gemalt, und im Bilde meisterhaft verewigt hatte. Bekanntlich
besitzt auch das Berliner Museum ein Bild der Lavinia. Offenbar hat hier
Vaterliebe die Künstlerhand geführt, denn in der freien Auffassung, in der
schmiegsamen Wendung des Kopfes, in der Emporhebung der Hände, in der
vollendeten Durchführung verräth sich offenbar das Gefühl, das der Vater für
sein schönes Kind empfand. Wie ein Augenblicksbild erscheint die lebensvolle
Venezianerin. Wie leicht ist die Scene außerhalb des Bildes zu ergänzen. Tizian
war gastfrei, im Garten waren oft viele Freunde desselben zum geselligen
Vergnügen vereint. Lavinia muß die Dame des Hauses machen, denn die Mutter
war längst todt. Als solche holt sie die kostbare silberne Schale, die sie mit
saftigen Früchten angefüllt hatte, zur Erfrischung der Gäste herbei. So erscheint
sie uns auf dem Bilde wie ein Genius der Gastfreundschaft.
Wir können immerhin annehmen, daß Tizian bei manchem seiner Meisterwerke
der Kopf seiner Tochter wenn nicht zum Modell gedient, doch vorgeschwebt
hat. Hier war die Liebe der goldene Faden, der das concrete Bild in die ideale
Sphäre hinüberleitete.
Die Kreise, in denen der Meister sich bewegt und gewirkt hatte, sind längst in
Staub und Asche gesunken und der Künstler mit ihnen. Das Schöne in denselben
hat seine Künstlerhand gerettet, im Bilde firirt und Jahrhunderte freuen sich im
Anblick seiner Meisterwerke wenigstens im Bilde eine schöne Welt zu schauen,
die reizvoll, wie geisterhafter Zauber, in die prosaische Gegenwart herüberragt.
Wir müssen, ehe wir von Italien Abschied nehmen noch eines Künstlers
Erwähnung thun, der uns in seinen Gemälden einen reichen und interessanten
Stoff zu unserer Abhandlung liefern könnte - wenn nicht sein Leben in tiefes
Dunkel gehüllt wäre.
Es ist Antonio Allegri, bekannt unter dem Namen Correggio (gest. 1527). Schon
das Prädicat, das ihm von jeher beigelegt wurde: "Maler der Grazien" und das er
auch im vollsten Maaße verdient, ließe uns interessante Ergebnisse erwarten.
Leider sind wir nur auf seine Werke angewiesen und es ist uns überlassen, hinter
denselben den Vorhang des Geheimnisses zu lüften, was immerhin große
Schwierigkeiten hat. Obgleich durch seine Kunst den ersten Kunstheroen seiner
Zeit vollkommen ebenbürtig, weiß doch die Geschichte nichts von ihm zu
erzählen. Aus kleinen Bemerkungen einzelner Schriftsteller erfahren wir, daß
der Künstler zaghaft war, über die Grenzen eines bescheidenen Daseins nicht
hinaus strebte. Und seine Landsleute, die Bewohner der kleinen Städte, in denen
Correggio seinen Wohnsitz abwechselnd hatte, wußten auch nicht des Künstlers
Ehrgeiz und Selbstgefühl zu heben. So geschah es, daß einige Jahre nach des
Meisters Tode die Erinnerung an ihn erstirbt oder falsche Berichte und
Erfindungen sein Leben und seine Kunst überwuchern.
Und doch hat er Kunstwerke hinterlassen, die heute die Glanzpunkte der
Galerien, in welchen sie aufbewahrt werden, bilden. Wo hat Correggio gelernt?
Wo sind ihm die wunderbaren Geheimnisse der Farbenharmonie und der Grazie
offenbart worden? Wir wissen es nicht. Aber der Zauber besteht, wenn wir ihn
auch nicht erklären können. Wenn wir schon in seinen kirchlichen Bildern den
milden, freundlichen Ernst bewundern, den er den heiligen Historien zu
entlocken
verstand, wie werden wir dann erst recht entzückt, wenn der Gegenstand des
Bildes selbst es dem Meister zur Pflicht machte, das Reizende, die Grazie in
ihrer höchsten Vollendung zu betonen.
Zum Glück fand der Künstler öfters Gelegenheit, seine Kunst in dieser Richtung
zu erproben. Die erste Gelegenheit kam von einer Seite, von welcher sie kaum
hätte erwartet werden können, von einem Nonnenkloster. Das Stift S. Paolo in
Parma war sehr reich, die Aebtissinen desselben, meist von den vornehmsten
Familien des Landes stammend, ließen ein weltliches Genußleben in die
heiligen Mauern einziehen und fischten, dem Beispiele der Hohen folgend, auch
durch Kunst ihr Heim zu einem prachtvollen Wohnorte umzugestalten. So berief
die Aebtissin Donna Giovanna unseren Meister, daß er ihren Speisesaal in
weltlicher Weise mit mythologischen Bildern ausschmücke. Der Künstler
wählte die von der Jagd heimkehrende Diana. Diese Wahl könnte in uns die
Meinung entstehen lassen, Correggio wäre ein eifriger Pfleger der Antike; es
wäre aber diese Meinung sehr irrig. Der Maler entlehnte wohl der Mythologie
verschiedene Stoffe, aber er verarbeitete sie aus eigentümliche Weise; die antike
Formenwelt war ihm gänzlich fremd. Das zeigt sich in demselben Kloster
vornehmlich in der Gruppe der drei Grazien, die neben anderen mythologischen
Darstellungen in den Lunetten desselben Gemaches grau in grau gemalt sind.
Die Grazien, die sich ganz ungezwungen gruppiren, scheinen nur den Zweck zu
haben, die schönen nackten Körper von verschiedenen Seiten zu zeigen.
Zu den glänzendsten Meisterstücken dieses Genre's, die aus der Werkstätte des
bescheidenen Künstlers hervorgegangen sind, zählt man folgende: Venus, Amor
und der Satyr (fälschlich Jupiter und Antiope genannt) im Louvre, die Erziehung
Amor's in London, die Danae im Palast Borghese zu Rom. Daran schließen sich
dann aus den Liebesmythen Jupiter's die Io in Wien und die Leda in Berlin.
Wenn man mit modernem Bewußtsein die beiden letztgenannten Bilder
betrachtet und den Inhalt der Fabel in ihrer ganzen Ausdehnung zum Wegweiser
der Betrachtung macht, so wird man, wie es auch geschehen ist, die Darstellung
zweideutig, sogar unmoralisch finden. Es ist wahr, Correggio steht hier hart an
der Grenze, welche die Kunst von der Libertinage scheidet; aber er überschreitet
sie nicht. Er stellt die nackte Schönheit in ihrer höchsten Vollendung, in ihrem
leuchtendsten Glanze dar, so daß das Auge bei Betrachtung derselben keine Zeit
findet, sich zur sinnlichen Lust anreizen zu lassen. Für Naturen, die in der Kunst
nur den sinnlichen Theil, den natürlichen Reiz suchen, hat Prariteles seine
Venus und Torreggio seine Göttinen nicht erfunden.
Im Ansehen dieser Meisterwerke Correggio's dürfte der Wunsch wohl
gerechtfertigt erscheinen, das Wesen kennen zu lernen, das ihm als Modell für
seine Kunstschöpfungen diente. Wenn wir aber über die Lebensverhältnisse des
Künstlers selbst so wenig unterrichtet sind, so können wir um so weniger
erwarten, daß uns der Vorhang, der über seinem Atelier gebreitet ist, bei Seite
geschoben werde.
Wir wissen, daß sich Correggio Ende 1519 vermählte; Girolama Francesca,
Tochter des Bart. Merlini, die Braut, die er heimführte, war erst sechszehn Jahre
alt. Es wird unserer Phantasie nicht schwer fallen, uns in dieser aufblühenden
Jungfrau eine zarte, freundliche, schönheitbegabte Erscheinung zu denken. Kein
Künstler, selbst Leonardo nicht, verstand es, die innere Freude und Seligkeit in
einem verklärten Lächeln auszudrücken, wie eben Correggio ein Meister darin
war. Denken wir uns, daß Girolama mit diesem Lächeln Glück und Seligkeit in
die Werkstätte des Meisters brachte und daß es, durch desselben Kunst firirt, aus
seinen Heiligen und Göttinen, demüthig dort, siegreich hier uns ansieht. Die
Hauptfache daran, die künstlerische Durchführung, ist doch nur Eigentum des
Künstlers.
Genügt dem Unzufriedenen unsere Vermuthung und Erklärung nicht, dann
rathen wir ihm, sich an Vafari zu wenden, der am Schlusse seiner Biographie
des Correggio uns mit dessen Modellen bekannt macht:
"Als der berühmte Maler noch unter den Sterblichen weilte,
Trat der Grazien Thor bittend zu Jupiter hin: Laß, erhabener Vater, uns von
Niemandem malen
Als von diesem Genie, Keinem sonst sei es erlaubt. Ihnen winkt Erhörung der
Herrscher des hohen Olympos,
Zieht den Jüngling auch schnell zu den Gestirnen empor, Auf daß er die
lebenden Grazien sehe und male,
Wenn vom reizenden Leib jegliche Hülle verschwand."
III.
Wir verlassen nun die Werkstätten italienischer Künstler, um uns in den
deutschen umzusehen. Wenn wir uns in das fünfzehnte Jahrhundert
zurückversetzen, so wird der Unterschied zwischen Italien und Deutschland
doch so groß sein, daß man meint, einen herrlich erleuchteten Prunksaal
verlassen zu haben und in eine düstere Hütte gerathen zu sein.
Die statuarische wie Malkunst des frühen deutschen Mittelalters macht aus uns
den Eindruck, als ob von einem Studium nach der Natur keine Rede sein könnte.
Die Extremitäten des Körpers erscheinen unnatürlich, in die Länge gezogen; die
Gewandung läßt kaum eine Stange, geschweige einen lebenden Körper unter
ihrer Hülle vermuthen. Nackte Körper, wie eines Christus am Kreuz oder eines
heiligen Sebastian, verrathen keine oder doch ungenügende Kenntniß der
Anatomie.
Einestheils finden diese Mängel ihre Erklärung in dem Umstande, daß die
Künstler meist der Klosterzelle angehörten und darum keine Gelegenheit
fanden, sich anatomische Kenntnisse zu erwerben, dann aber auch in dem
ausgesprochenen Bestreben, das Nackte alles Reizes baar darzustellen, um am
heiligen Orte keine Gelegenheit zum Aergerniß zu geben. Beim Christus am
Kreuz dürfte auch das biblische Wort. "Es war keine Schöne an ihm", das auf
den verwundeten, gekreuzigten Heiland bezogen wird, die Künstler d. h.
Darsteller eines Crucifires beeinflußt und sie gleichsam autorisirt haben, der
Unnatur und Häßlichkeit Monumente zu errichten.
Das Studium nach der Natur beginnt erst um die Mitte des fünfzehnten
Jahrhunderts. Es zeigt sich zuerst als schüchterner Versuch, indem die Köpfe in
ihrem seelischen Ausdruck auf lebende Vorbilder notwendig hinweisen.
Beispiele ließen sich in Fülle anführen. Hatte man sich einmal überzeugt, daß
die Kunst, wenn sie auch über der Natur stehe, doch in dieser ihre Wurzel haben
müsse, daß sie, obwohl ideal doch nicht im Gegensatz zur äußeren Erscheinung
treten dürfe, so war auch schon der Weg vorgezeichnet, aus dein das richtige
Ziel zu erreichen ist.
Wir besitzen noch so manche Kunstwerke, die dem erwachten Studium nach der
Natur angehören und können uns überzeugen, mit welcher Frische die Künstler
diesen Weg betraten, nachdem einmal die Schranke gefallen war.
Wir wollen hier aus eine Holzschnitzerei dieser Zeit aufmerksam machen, die
uns das Gesagte vollkommen klar macht. Es ist eine Gruppe von drei nackten
Figuren, die mit dem Rücken gegeneinander stehen. Die eine der Figuren stellt
einen Jüngling dar, sein Körper ist schön und sein modellirt, der Ausdruck des
Kopfes unter dem reichen gekrausten Haar sehr lebendig. An seine Rechte, aber
zurückgewichen, reiht sich ein Mädchen an. Obgleich hüllenlos, wenn man etwa
ihr langes Haar nicht als Hülle ansehen will, giebt sie sich in voller Unschuld,
als ob ihr ein Gefühl der Schaam gänzlich unbekannt wäre, was der Künstler
insbesondere durch das leicht niedergeschlagene Auge schön charakterisirte. Die
dritte Gestalt, die den Kreis abschließt, stellt
ein altes Weib dar, von höchster Naturwahrheit, in abschreckender Häßlichkeit,
mit allen Gebrechen des Alters. Jedenfalls predigt die Gruppe,
die sich in der Ambraser Sammlung in Wien befindet und dem T.
Riemenschneider zugeschrieben wird, die alte Moral: Memento mori. Um diese
Lehre eindringlicher auszudrücken, stellte er im vollen Gegensatz der Jugend
das Alter entgegen. Bei dem kunstvollen Auffassen des Charakters in den
Köpfen, bei der sich bis in's Kleinste zeigenden vollen Beherrschung der
Zeichnung dürfte uns befremdlich erscheinen, daß der Künstler die Körper des
jugendlichen Paares so dünn gehalten hat, was sich besonders an den
Extremitäten und bei dem Mädchen auch an den auffallend kleinen, wenn auch
vollen Brüsten bemerkbar macht.
Wenn wir dieselben Erfahrungen auch bei anderen Kunstwerken bis tief in das
sechszehnte Jahrhundert machen, so werden wir fast zu dem Schlusse berechtigt,
daß sich den Künstlern ihre Modelle eben nicht anders zeigten; denn wir werden
doch nicht annehmen können, daß der Künstler einen schönen Körper
absichtlich in's Magere übertragen
hätte, nachdem im Einzelnen eine treue Wiedergabe der Natur bestrebt ist.
Wir werden übrigens das Gesagte auch bei Künstlern finden, die bereits mit der
italienischen Renaissance in Berührung kamen und denen man darum die
Kenntniß des Ideals eines weiblichen Körpers, wie es die Kunst Italiens
geschaffen hat, zumuthen kann.
Hier ist in erster Reihe Albrecht Dürer ^14^ bis 152^) zu nennen. Lange, bevor
er Italien gesehen hat, fand er Gelegenheit, sich mit italienischer Kunst vertraut
zu machen. Zwischen Italien und Nürnberg bestand ein lebhafter Verkehr; mit
den Waaren, die von dort nach Nürnberg kamen, wurden auch Bücher, Stiche,
Gemälde und Werke des Kunsthandwerks importirt. Dürer lernte alte
italienische Kupferstiche kennen und copirte dieselben mit allem Fleiße, wenn
sich auch, wie natürlich, in die Copie etwas vom deutschen Charakter
einschleichen mußte. Zwei Federzeichnungen, die sich in der Albertina in Wien
befinden, sind nach dem Tritonenkampfe und dem Bacchanale Mantegna's
ausgeführt. Besonders interessant ist eine Federzeichnung (jetzt in der
Kunsthalle zu Hamburg), die den Tod des Orpheus darstellt. Zwei Bacchantinen
schlagen mit Knitteln auf Orpheus los, der unter ihren Streichen bereits aus sein
rechtes Knie gesunken ist, während ein kleiner Putto nach links entflieht. Diese
Zeichnung ist nach einem italienischen anonymen Stiche gemacht, der sich
ebenfalls in Hamburg als eine große Seltenheit befindet. Während des Copirens
scheint Dürer bereits zu einer Verwendung der Zeichnung inspirirt worden zu
sein; auf seine Idee Bedacht nehmend, hat er das Bergschloß und den Baum des
Stiches wie auch den Felsen links ausgelassen und dafür im Grunde eine
Baumgruppe seiner Erfindung angebracht. Dürer's Zeichnung trägt sein älteres
Monogramm und das Jahr 1494. Derselben Zeit gehören auch die beiden Copien
nach Mantegna. Die Composition, welche Dürer, von diesem italienischen
Stiche angeregt, einige Jahre später (etwa 1506) ausführte und in einem großen
Stiche herausgab, wird der große Satyr oder die Wirkung der Eifersucht
genannt. Aus der erwähnten Copie des Stiches nahm er die eine Bacchantin und
den fliehenden Knaben, nebst der Baumgruppe in seinen Stich auf. Deshalb fällt
hier auch sogleich die italienische Provenienz der weiblichen Figur auf. Aber
auch die anderen Figuren sind durch ähnliche Studien nach italienischen
Mustern beeinflußt und zeigen offenbare Verwandtschaft mit den beiden nach
Mantegna gemachten Zeichnungen. (Dürer's Stich für eine Copie nach
Wohlgemuth zu halten, wie Thausing in seinem Werke über Dürer es thut,
verbietet die erwähnte echte Zeichnung Dürer's wie auch, daß sich im
beglaubigten Werke Wohlgemuth's auch nicht entfernt eine Komposition findet,
die eine stoffliche oder ideale Verwandtschaft mit dem Stiche Dürer's besäße.)
Dürer muß übrigens außerdem aus Italien allerlei Anregung empfangen haben,
so daß wir annehmen können, daß solche Vorbilder ihn nicht allein zu neuen
Ideen anregten, sondern ihm gleichsam das lebende Modell ersetzten. Vom
Jahre 1504 ist sein Prachtblatt Adam und Eva, mit dem er als erster
Kupferstecher Deutschlands auftrat. So durch und durch auch Composition und
Ausführung sein volles Eigenthum sind, so ist doch ein fremdes Modell
nachweisbar, das ihm den Stoff zur freien Verarbeitung bot. Thode ("Die
Antiken") glaubt, daß sich in Adam der Apollo von Belvedere abspiegele, indem
im Britischen Museum sich eine Handzeichnung Raphael's vorfinde, die dem
Adam als Studie voranging. Die Handzeichnung, welche Apollo vorstellt, soll,
wie Thode bemerkt, nach der Antike, dem Belvederischen Apollo,
aufgenommen sein. Wenn wir auch zugeben, daß Dürer irgend eine Zeichnung,
die in Rom nach der Antike aufgenommen wurde, immerhin bekommen konnte,
um sie dann seinerseits zu bearbeiten, so finden wir in der Zeichnung des
Britischen Museums doch die Verwandtschaft mit der Antike nur eine sehr
entfernte und wir glauben vielmehr, daß Dürer Jac. Barbarj's Stich: Apollo und
Diana vorlag, den er nach seiner Weise copirte. Darauf deutet die gestreckte,
magere Gestalt des Sonnengottes hin. Eine andere Frage wäre dann freilich, ob
Barbarj, als er seinen Stich ausführte, die Antike nicht bereits gekannt habe. Für
die Hände Adam's mußte der Künstler dann selbständige Studien machen; ein
Blatt mit solchen befindet sich auch im Britischen Museum.
Für die Eva sind dann die Studien etwas complicirterer Natur. Als Dürer 1494
von seiner Lehrreise zurückgekehrt war, so hat er höchst wahrscheinlich bereits
in Nürnberg den italienischen Maler Iacopo dei' Barbarj angetroffen. Dieser, um
zwanzig Jahre älter als Dürer, übte aus den jungen Nürnberger einen großen
Einfluß aus. Vorzüglich gewann er dessen Zuneigung dadurch, daß er ihn mit
der Theorie bekannt machte, wie man das menschliche Maaß machen, d. h. die
künstlerischen Verhältnisse des menschlichen männlichen wie weiblichen
Körpers bestimmen solle. Dürer warf sich mit allem Feuer, dessen die Jugend
fähig ist, aus diesen Gegenstand und wie wir wissen, beschädigte er sich mit der
Proportionslehre bis zu seinem Tode. So wurde die Theorie sein Modell und er
glaubte, auf diesem Wege alles erreichen zu können. Wahrscheinlich hatte er um
diese Zeit bereits die Idee zu seinem Stiche mit Adam und Eva gefaßt und er
beginnt die Proportionen des Weibes
festzustellen, deren Ausgangspunkt sich deutlich in der Eva des Paradieses
erkennen läßt. Eine solche Proportionsstudie des Weibes findet sich jetzt im
Berliner Museum. Er mußte aber bald eingesehen haben, was später Goethe in
die Worte faßte: "Grau, Freund, ist alle Theorie" und er zeichnet ein nacktes
Weib, zu dem ihm höchst wahrscheinlich sein Weib, Frau Agnes, stand. Diese
Zeichnnng, die sich in Oxford befindet, weist schon deutlicher aus die Eva des
Kupferstiches hin, sie hält mit der nach rückwärts gewendeten Rechten den
Apfel. Diese Pointe verräth uns aber wieder die Quelle, aus der der Meister
schöpfte. Es existirt nämlich ein Bronzerelief in Privatbesitz zu Paris, dessen
Guß P. Vischer zugeschrieben wird. Es stellt Orpheus vor, wie er Eurydice aus
dem Hades entführt. Das Relief ist mit dem Mercurstab, dem Zeichen Barbarj's
bezeichnet. Es ist höchst wahrscheinlich, daß dem Gießer eine Zeichnung des
Meisters vorlag. Die Eurydice ist aber leicht als das Vorbild zu erkennen, das
Dürer bei seiner Eva vorschwebte; auch hier ist dieselbe Wendung der Hand
angebracht.
Wir hätten also bei Adam und Eva die Zeichnung des italienischen Renaissance
Künstlers, desselben Theorie der Proportion und schließlich das Studium nach
der lebenden Natur, die in ihrer Verbindung und wechselseitigen Durchdringung
dem Nürnberger Künstler als Vorbild gedient haben, aus dessen freier
Benützung sein Meisterwerk hervorgegangen ist. Wenn wir das Blatt genau
betrachten, wir erblicken überall Dürer, den deutschen Künstler, und doch
fühlen wir die Renaissance heraus, wenn wir auch diese erst nachweisen
können, nachdem uns die Vorarbeiten und Studien klar geworden sind.
Das Schwelgen in Renaissanceformen hielt aber nicht lange an und es machte
sich bald eine energische Reaction geltend. „Naturam expellas furca, tamen
usque recurret.“ Das Naturell des deutschen Künstlers war dem Realismus
zugewandt und dieser überwand in ihm bald die Schwärmerei der Jugend.
Bezeichnend sind Dürer's Worte in der Vorrede zu seiner Proportion: "Etliche
reden davon, wie die Menschen sein sollten. Darüber will ich mit ihnen nicht
streiten. Ich aber halte darin die Natur für Meister und der Menschen Wahn für
Irrsal. Der Schöpfer hat einmal die Menschen gemacht, wie sie sein müssen und
ich glaube, daß die rechte Wohlgestalt und Hübschheit unter dem Hausen aller
Menschen begriffen sei. Wer das Rechte herausziehen kann, dem will ich mehr
folgen, als dem, der eine neu erdichtete Maaß machen will, deren die Menschen
kein Theil gehabt haben." Damit wirft Dürer Antike und italienische
Renaissance bei Seite und wirft sich der Natur ohne Rückhalt in die Arme. Aber
er kann es nicht hindern, daß die
genossene Frucht zuweilen gegen seinen Willen auf seine Kunstthätigkeit einen
klärenden, wohltuenden Einfluß übt.
Aus welche Art Dürer die lebende Natur befragt, wie und wo er seine Modelle
sucht und findet, können wir nur aus seinen Werken errathen. Weibliche
Modelle, die er gegen Bezahlung sich hätte verschaffen können, waren wohl in
Nürnberg kaum oder doch äußerst schwer zu bekommen. Er mußte also aus
Umwegen denselben beizukommen suchen.
Da finden wir, daß in Deutschland bis in das sechszehnte Jahrhundert hinein die
Badestuben eine solche Gelegenheit dem Künstler bieten konnten. Das Volk
besaß in allen größeren Städten seine öffentlichen Badestuben, wie auch die
Reichen in ihren Häusern ein "kleines gemachtsames Badestüblein" sich
einrichteten. Wie in den privaten Badestuben die ganze Familie
gemeinschaftlich das Bad nahm, so tummelten sich in den öffentlichen beide
Geschlechter gemeinschaftlich herum. Da durch diesen Umstand natürlich
manches Ungebührliche, trotz der strengen Aufsicht des Bademeisters, vorfiel
und manches Aergerniß entstand, so eiferten schließlich geistliche und weltliche
Obrigkeiten gegen diese Art öffentlicher Bäder und diese hätten sich durch das
Verbot nicht beirren und einschränken lassen, wenn nicht die Pest und die
Furcht vor ansteckenden Krankheiten die Bäder zu Anfang des sechszehnten
Jahrhunderts geleert hätten. (S. des Verfassers "Deutschlands Lehrjahre". .l.
Band. S. 157 flg.)
In solchen öffentlichen Bädern konnte also Dürer Umschau auf weibliche
Modelle halten. Freilich konnte er nicht verlangen, daß ihm diese nach seinem
Bedarf stille saßen, er mußte sie gleichsam stenographisch abschreiben, was ein
gutes Auge, Gedächtniß und eine schnell zeichnende Hand voraussetzte.
Dürer hat in der That an bezeichneten Orten dergleichen Studien gemacht, wie
wir uns an mehreren seiner Zeichnungen leicht überzeugen können. Eine solche
Zeichnung, die aber ein exclusives Weiberbad darstellt, besitzt das Museum in
Bremen. (S. Abbildung.) Man sieht sechs nackte Frauen und zwei Kinder, die
sich dem Badevergnügen ergeben. Im Grunde wäscht sich eine, wahrscheinlich
mit einem Schwamm die Brust, eine zweite sortirt sich mit einem Bündel
Kräuter, eine dritte kämmt ihre Haare, während ein unförmlich dickes Weib sich
von einer jungen Frau den Rücken waschen läßt. Es sind keine schönen
Modelle, die sich hier dem Auge des Künstlers darbieten (er hat sich selbst in
wenig geöffneter Thüre lauschend dargestellt), aber dafür macht die Zeichnung
den Eindruck vollständigster Realität und der Meister ist zu bewundern, wie
naturwahr er hier ans dem Leben schöpfte. Es ist kein
Bad der Diana mit ihren Nymphen eines italienischen Künstlers, aber es ist ein
Stück Leben, ein Bad von deutschen Weibern, die sich unbeobachtet glauben.
Datirt ist diese Zeichnung vom Jahre 1496 Nach der Zeichnung ist auch ein
Holzschnitt gemacht worden, der sehr selten ist. Es besitzt nur das Pariser
Cabinet zwei Exemplare davon.
Es ist die beschriebene Zeichnung nicht die einzige dieser Art, die wir von Dürer
besitzen. Eine Federzeichnung im Besitz des Herzogs von Devonshire in
Chatsworth stellt gleichfalls ein Weiberbad vor. Demselben Genre gehören auch
die Studien nackter Weiber im Cabinet zu Frankfurt a. M. und gewissermaßen
auch das junge Mädchen im Bade, das sich das Haar ordnet und mit der Rechten
den Spiegel hält. während in ihrem Rücken der Tod ihr das Stundenglas
entgegenhält. Man liebte es, neben der aufgeblühten Schönheit den
unheimlichen Feind derselben, der gern die Blume pflückt, hinzustellen. In den
weichen Umrissen des zarten Mägdleins scheinen Renaissance-Erinnerungen
sich beigemischt zu habend oder hätte Dürer das Glück gehabt, einem ideal
geformten Frauenkörper zu begegnen?
Wie Dürer in seiner späteren Zeit sich Modelle verschaffte, darüber sind wir
vollkommen im Dunkeln. Nur die Tradition, die sich auf einen seiner Stiche
bezieht, giebt uns einigermaßen einen Wink. Kreß von Kreßenstem, der Ende
des sechszehnten Jahrhunderts ein Manu script begonnen hatte, um allerlei
gesammelte Notizen über Dürer zu fixiren und der auch Manches sehr wohl
wissen konnte. da Dürer mit der Familie befreundet war, bemerkt in diesem
Buche, das sich im Berliner Cabinet befindet, daß das sogenannte "große
Glück", auch Nemesis genannt, Dürers Hausfrau vorstelle. Bekanntlich hatte die
Nachwelt über Frau Agnes allerlei Ehrenrühriges erfunden, wie daß sie geizig
war, den Meister schlecht behandelte und schließlich dessen frühen Tod
verschuldet habe. Sie galt darum für Viele eine zweite Auflage von Sokrates'
Xantippe. Thausing hat sich der Mühe unterzogen. ihren guten Namen von
solchen Verdächtigungen rein zu waschen. Wenn wir ihrem Anwalt auch in
Allem Recht geben, so glauben wir doch der historischen Wahrheit nichts zu
vergeben, wenn wir sagen : Frau Agnes kann eine recht fromme, brave,
haushälterische Frau gewesen sein, aber den Künstler Dürer hat sie doch nie
verstanden. Die Kunst galt in ihren Augen doch nur als ein Handwerk, das einen
goldenen Boden hat, d. h. Geld einträgt. Alles Hohe, Erhabene, was des
Künstlers Mühen und Schaffen erst zur Kunst macht, blieb ihrer Seele ein
Geheimniß, ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Und so mag sie in ihrer
frommen Einfalt die Hände gerungen haben in
eifersüchtigem Leid über ihren Albrecht, wenn er nach weiblichen Modellen
Jagd zu machen sich anschickte. Vielleicht hat des Mannes eindringliche Rede
sie von der Notwendigkeit solcher Studien überzeugt dann aber wußte sie Rath.
Sie legte die züchtigen Gewänder bei Seite und diente dem Künstler selbst zum
Modell, übersehend, daß sie sich damit nicht allein vor dem Maler, der ihr Mann
war, sondern vor der ganzen Welt, der Gegenwart und Zukunft enthülle. Mit
großer Virtuosität hatte Dürer den Kupferstich, der ihr Konterfei zeigt,
ausgeführt, ein Meisterstück des Grabstichels und der Modellierung, aber eine
Venus oder Iuno konnte er aus diesem Modell nicht machen. In dieser Hinsicht
hätte die Benennung "Nemesis" auch einen satyrischen Inhalt, der sich mit
seiner Spitze gegen das Modell selbst kehrt. (Siehe Abbildung.) Nach vielen
anderen weiblichen Körpern, die sonst aus Dürer's Bildern und Stichen
wiederkehren, muß Frau Agnes noch oft als Modell gedient und Dürer vor
Abwegen (in ihrem Sinne) bewahrt haben.
Als der Meister 1520 die Reise nach den Niederlanden unternahm, nahm er
seine Frau mit. Möglich wird die Pest, die eben in Nürnberg wüthete, die
Hauptursache gewesen sein, daß der Künstler auch seine Frau der Lebensgefahr
entzog. Es wird aber auch dieser sehr erwünscht gewesen sein, den Meister zu
begleiten, daß im fernen Lande weder dem Manne noch dem Künstler eine
Gefahr begegne.
Nur eine Begebenheit interessirt uns hier aus dieser Reise, es ist das Fest des
Einzugs Karl's V. in Antwerpen, welchem Dürer beiwohnte. Solche Feste
wurden mit dem möglichst größten Pompe ins Werk gesetzt; die besten Künstler
wetteiferten, großartige Gemälde auszuführen, obgleich sie nur für wenige
Augenblicke ihrem Zwecke dienten, die Straßen, durch welche sich der Zug
bewegte, wie die Fronten reicher Patrizierhäuser zu schmücken. Auch in
Antwerpen sah Dürer mit staunendem Auge diese künstlerische Pracht und
Herrlichkeit; es war für ihn ein Bild aus der Feenwelt; Gemälde, wie diese,
welche die schönsten Frauen in reizendster Tracht darstellten, hatte er nie
gesehen. Was ihn aber als Maler besonders, mehr noch als die gemalten Damen,
mit Entzücken erfüllte, das war der Einzug des Kaisers selbst. Es waren die
schönsten Jungfrauen der Stadt auserwählt gewesen, dem Kaiser
voranzuschreiten und wahrscheinlich eine mythologische Pantomime
darzustellen. Dürer hat später Melanchthon erzählt, wie ihn dieser Anblick
überraschte und entzückte; denn die Jungfrauen waren fast ganz nackt und nur
mit einem dünnen durchsichtigen Schleier verhüllt. "Der Kaiser sah sie gar nicht
an," erzählt Dürer weiter, "aber ich, weil ich ein
Maler bin, schaute mich ein wenig unverschämter um." Da sah der alte Dürer
freilich Modelle, wie er sie bisher nicht gesehen hatte und seine Künstlerseele
mußte ihm im Leibe erzittern.
Bekanntlich ging Makart von diesem kurzem Berichte Dürer s aus, als er seinen
"Einzug Carls V. in Antwerpen" componirte. Es ist vielfach dem Künstler der
Vorwurf gemacht worden, daß er, was eben die Jungfraueu anbelangt, zu weit
gegangen wäre, da Viele nicht glauben wollten, daß dergleichen auf offener
Straße möglich gewesen wäre. Es giebt nämlich Leute, die auf ihrem
Standpunkte fest stehen und es nicht so weit bringen können, eine Sache vom
Standpunkte einer anderen Zeit und anderer Verhältnisse zu betrachten. Dann ist
freilich ein objectives Urtheil nie möglich. Schon den Alten waren die
sogenannten "gläsernen", d. h. durchsichtigen Gewänder bekannt. Seneca
schreibt: "Du siehst Seidenkleider, wenn man sie noch Kleider nennen kann, da
sie weder den Körper noch die Scham schützen können."
Die Glaubwürdigkeit an Dürer's Bericht wird aber durch viele historisch
beglaubigte Thatsachen bewiesen. Der Curiosität wegen seien einzelne hier
erwähnt.
Beim Einzuge Ludwig's XI. in Paris (1461) wurden am Brunnen von Ponceau
mehrere schöne, völlig nackte Mädchen aufgestellt, welche Sirenen vorstellten
und als der König in ihre Nähe kam, Schäferlieder sangen.
Carl der Kühne besuchte 1468 die Stadt Lille; um den Herzog zu erheitern, ließ
man vor ihm Mysterien ausführen und zwar das Urtheil des Paris. Auch hier
erschienen die drei Göttinnen vollständig nackt. Für Venus wählte man ein sehr
großes und dickes Frauenzimmer, das über zwei Centner wog, Iuno hatte auch
eine sehr hohe Gestalt, war aber sehr mager, Minerva endlich war klein,
dickbäuchig und höckerig (der Bericht sagt, sie hätte einen Höcker vorn und
hinten gehabt).
Noch im Jahre 1577 bedienten bei einem Feste Heinrich's IlI. Mädchen mit
nacktem Oberkörper bei Tisch. Von den geheimen Hofgeschichten unter
Ludwig XIV. und Ludwig XV. wollen wir schweigen. Wir erinnern nur daran,
daß es eine Zeit zur Mode gehörte, mit vollständig nackter Brust öffentlich zu
erscheinen.
Und nicht allein in Frankreich und Brabant waren Feste aus solche Weise pikant
gemacht, auch in Italien ging es nicht besser. Wie wir bereits an einer anderen
Stelle erwähnten, waren die vornehmen Damen daselbst vollständig in dieser
Richtung emancipirt und sich enthüllen hieß Gelegenheit bieten, der Schönheit
Weihrauch zu streuen.
Nach dem Berichte Macchiavelli's hatte Castruccio nach der Schlacht bei
Serravalle Volksfeste angestellt; ein Glanzpunkt derselben
war ein öffentliches Wettrennen von freien Mädchen, die nackt nach dem Ziele
laufen mußten; die Siegerin erhielt als Preis ein Stück Seidenzeug.
Uebrigens dürfen die Deutschen auf solche Gebräuche auch nicht mit stolzem
Selbstgefallen herabsehen, im Mittelalter wurden öffentliche Dirnen, die in der
Stadt großes Aergerniß gegeben haben, öffentlich vor dem Rathhause ganz
nackt ausgestellt und dann aus der Stadt gepeitscht.
Im Ganzen müssen wir annehmen, daß die alten deutschen Künstler mit großen
Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, wenn sie nach dem lebenden weiblichen
Modelle Studien machen wollten. Personen üblen Rufes konnten ihnen nicht
genügen, auch würden diese der Ehre ihres Hauses geschadet haben. Man kann
es wohl einer Frau Agnes zumuthen, daß sie ein solches Modell mit dem Besen
aus ihres Mannes Werkstätte herausgejagt haben würde.
Etwas anders und leichter gestaltete sich die Sache bei den Künstlern, die zu
Dürer's Schülern gerechnet werden, den sogenannten Kleinmeistern, so genannt,
weil sie Kupferstiche meist in kleinen Formaten ausführten. Es waren ledige
Gesellen, die sich weniger darum kümmerten, was die öffentliche Meinung über
sie denke.
Wenn Dürer sich in der Vollkraft seines Schaffens gegen die Renaissance
ablehnend stellte (in jeder Hinsicht, namentlich im Ornament, war es ihm
freilich nicht möglich), so stehen die erwähnten Kleinmeister schon mitten im
Fahrwasser der Renaissance, die sie mit dem deutschen Geiste durchdringen und
zum Eigenthum der deutschen Kunst machen.
Bartel Behani (1502 bis 1540) copirt Blätter des Marc-Anton und dringt muthig
in die italienische Kunstanschauung ein, so daß diese auch in seinen originellen
Compositionen überall durchblickt. Noch deutlicher zeigt sich diese Wendung
nach Italien, auch nach der Antike bei seinem Bruder H. S. Beham (1500 bis
1550). In seinen mythologischen Figuren weht schon ganz offenbar der Geist
der Renaissance. Seine Dido ist ganz nach der Venus, die Marc Anton nach
Raphael gestochen hat, componirt. Seine nackten Figuren setzen bereits schöne
Modelle voraus, die auch mit großem Verständniß anfgefaßt sind und eine
Formenschönheit verrathen, die den Künstler an der Seite der Italiener ganz
ebenbürtig erscheinen lassen. Und dennoch ist keinem hohlen Idealismus
nachgejagt; wenn wir Umriß und Modellierung der nackten
Körper aufmerksam zergliedern, so erscheint der Künstler doch wieder als
Realist, wie auch sein Bruder Bartbel^ dessen Kunst ihn übrigens sebr
beeinflußte.
Im Berliner Museum befindet sich eine gemalte Tischplatte von H. S. Beham
vom Jahre 1530, aus welcher Bade, Schifffahrt und Jagdscenen dargestellt sind.
Hier wiegt, besonders bei den Badescenen, das realistische Princip vor. Hier hat
er das deutsche Modell gegeben, wie er es vor sich sah. In noch höherem Maaße
ist dies bei einer anderen Tischplatte desselben Meisters der Fall, vom Jahre
1534, welche von den Franzofen aus Mainz entführt wurde und die sich jetzt im
Louvre befindet. Sie war für den Cardinal Erzbischof von Mainz Albrecht von
Brandenburg gemalt, für den der Künstler seit 1531 beschäftigt war. So
illuminirte er für denselben in Gemeinschaft mit A. Glockenton ein Gebetbuch,
das sich jetzt in der Bibliothek zu Aschaffenburg befindet. Oben erwähnte
Tischplatte enthält vier Darstellungen aus der Geschichte David's. Hier bleibt
besonders die zweite derselben her vorzugeben. Wir sehen Bethsabe im Bade,
die der König vom Balcon betrachtet. Damit wäre der biblischen Scene Genüge
gethan. Der Künstler hat aber in die Nähe des Bassins den Cardinal selbst mit
seinem Hofstaate angebracht. Damit wird in der Composition neben dem
biblischen auch ein anderer, der Gegenwart entlehnter Vorfall betont. Die
Tradition glaubt nämlich in der Bethsabe die Herzensfreundin des Cardinals,
Margaretha Ridinger, zu sehen, und die Gegenwart desselben scheint die
Tradition zu bestätigen. Damit würde uns also ein weibliches Modell des
Künstlers namentlich genannt, das derselbe freilich nur für diesen einen Fall in
solchem Zustande benützen durfte. Es wäre eben nur eine Wiederholung dessen,
was wir bei Alexander und sonst noch erwähnt haben, daß ein Mächtiger seiner
Geliebten Reize durch einen Künstler darstellen ließ.
Wie bei Dürer hervorgehoben wurde, hat auch Beham in den Frauenbädern
Gelegenheit gefunden, nach der Natur zu zeichnen. Wir besitzen zwei
Holzschnitte desselben, welche Frauenbäder darstellen und die ganze
Composition verräth es, daß der Künstler die Wirklichkeit ganz getreu copirte,
wie sie sich seinen Augen darstellte. Die weiblichen Körper sind dieselben, die
wir bei Dürer gesehen haben.
Hierher ist auch der Jugendbrunnen zu rechnen, der auch in einem großen
Holzschnitt vorhanden ist. Alte Leute werden zu einem halb mit Arkaden
gedeckten Bassin getragen, damit sie darin ihre Jugend wieder erlangen.
Arkaden wie der Springbrunnen sind im schönsten Renaissance styl ausgebaut.
Die meisten Personen, Männer wie Weiber, sind offen
bar nach lebenden Modellen aufgenommen. Dazwischen aber sind einzelne
Figuren italienischen Künstlern entlehnt; so erinnert im Grunde ein aus dem
Bassin steigender Mann an einen der berühmten "Kletterer" Michel Angelo's
und das nackte, vom Rücken gesehene Weib, das ein Gewand anlegen will, ist
genau einer Göttin in Raphael's Urtheil des Paris nachgebildet. Bei einzelnen
Stichen aber hat er das Modell geradezu benützt, um in cynischer Weise die
Unzucht zu verherrlichen.
Ein anderer Künstler derselben Zeit, Georg Pencz (1500 bis 1550) schlägt
indessen ganz aus der Art des Vorigen. Das hat seinen guten Grund. Er befischte
Italien, war als Kupferstecher Schüler des Marc Anton, dem er alle Ehre macht.
Seine Arbeiten sind vollständig von der Renaissance durchdrungen und so
müssen wir auch voraussetzen, daß ihm italienische Modelle standen. Seine
Frauen sind meist in der Weise Raphael's und anderer Italiener aufgefaßt, nur
einige (in seinen biblischen Figuren) erinnern durch die Tracht an sein Vaterland
und selbst diese sind von der Noblesse der Schule Raphael's durchdrungen. Die
Thomiris, eine nackte Figur vom Rücken gesehen, kann man muthig einem
Italiener dieser Zeit zuschreiben und auch die glanzvolle Stichweise würde
selbst einem Marc Anton Ehre machen.
G. Pencz hat dann nach seiner Rückkehr einen anderen deutschen Künstler (wie
man glaubt) stark beeinflußt. Es ist Heinrich Aldegrever (circa 1502 bis 1562),
der sich anfangs nach A. Dürer bildete. Er ist ein geborener Westphale und lebte
meist in Soest. Er war ein entschiedener Anhänger der Reformation; wenn er als
solcher zuweilen zu weit geht, so darf es uns nicht befremden, da in seiner Zeit
die Ideen sich noch nicht geklärt, die Gemüther beruhigt hatten. Zu solchen
Uebergriffen seiner Kunst gehört das übertriebene Hervorkehren des Nackten,
um damit seinen neuen Standpunkt zu documentiren. Damit hörte das Modell
auf, Gegenstand des Studiums zu sein und wurde Selbstzweck. Es wurde ihm
sehr übel gedeutet, daß er in Soest den Richter Johann von Holk und dessen
Geliebte "nackend und bloß" neben einander stehend gemalt habe. Nichts mehr
als ein Modell ist auch sein Stich: Die Nacht, ein nacktes aus dem Bette
schlafendes Mädchen. Die Verkürzung ist trefflich, aber selbst die moralische
Inschrift: "Nox et Amor vinumque nihil moderabile suadent" (Weder die Nacht,
noch der Wein, noch Amor rathen was Gutes) macht die Darstellung nicht
moralischer.
Seine Modelle, männliche wie weibliche, verrathen übrigens einen ganz
eigentümlichen Menschenschlag; sie haben hohe Beine und kleine Köpfe.
Einzelne weibliche Köpfe sind übrigens von reizender Naivität.
In der Kunst Aldegrever's, also auch in der Behandlung der Studien nach
Modellen, kann man leicht zwei ganz verschiedene Perioden unterscheiden. In
seiner ersten Zeit (etwa von 1527 bis 1538) ist er ein Naturalist. Er stellt sich
sein Modell und bei nackten Figuren giebt er es getreu, so wie er es sieht, in
seinem vollen natürlichen Charakter. Man sehe sich seinen Stich an, der "die
Erinnerung an den Tod" genannt wird (1529). Ein nacktes Weib, in Profil nach
rechts, hält Apfel und Sanduhr; eine bauschige Gestalt vorn und hinten, eine
Schwester des großen Glückes von Dürer. Respice finem (bedenke das Ende)
lautet die Moralsentenz.
Wir finden dasselbe Modell auch an den Göttinen im Paris-Urtheil (1538) und
an den Weibern, die dem Sprunge des Marcus Curtius in den Abgrund zusehen
(1532).
Im Jahre 1539 stach Aldegrever nach G. Pencz ein Blatt: Tarquin und Lucretia
und seit diesem Augenblick giebt er seine prononcirte naturalistische
Auffassung auf und bemüht sich, nach und nach in den Geist der Renaissance
einzudringen. Bei vielen seiner Stiche dieser späteren Periode finden wir die
Umwandlung besonders hervortretend, die Körper erscheinen nicht so gestreckt
und mit Fettpolstern besetzt, die Modellirung zeigt wohlverstandene
Rundungen. Es ist nicht anzunehmen, daß er jetzt andere Modelle für seine
Studien benützte oder diese aus Italien sich kommen ließ. Er sah eben jetzt die
Natur mit anderen Augen an und gewöhnte sich, das Gesehene einer Regel,
einem Schönheitsgesetze zu unterordnen. Zum Beweise des Gesagten nennen
wir die
Thisbe (1553), die Leda (1550), die Luna (1558), das Glück (1555).
Letztes Blatt ist offenbar unter dem Einflusse der Fortuna Dürer's entstanden;
auch hier sehen wir unten eine Landschaft, aber Fortuna ist keine Frau Agnes
mehr, sondern eine schöne Erscheinung, welcher der Künstler eine anmuthvolle
Stellung zu geben wußte.
Schließlich sei noch erwähnt, daß sich auch Aldegrever in irgend einem
gemeinschaftlichen Bade umgesehen hat. Virgil Solis hat nach ihm ein solches
Bad gestochen. Man nennt es ohne allen Grund Anabaptistenbad. Die
Composition gehört offenbar der früheren Periode des Meisters an, denn die
Körper sind fast in's Unnatürliche gestreckt und die liegenden und sitzenden
Frauen müßten ganz sonderbare Gestalten vorstellen, wenn sie sich erheben
würden. Lassen wir sie ruhig liegen!
(S. Abbildung.)
Es gab übrigens zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts noch viele deutsche
Künstler, die von der Renaissance unberührt blieben und darum bestrebt waren,
in ihren Werken einzig die unverfälschte Natur,
ohne fühlbaren Drang nach dem Idealisireu derselben, darzustellen. Sie
verrathen uns in dieser Auffassung, wie die Modelle, die sie benützten,
beschaffen waren, über deren Persönlichkeit wir freilich nichts erfahren, wie wir
auch im Dunkeln sind, woher sie diese entlehnten.
Wir erwähnen hier beispielweise den schwäbischen Maler, Kupfer-stecher und
Formschneider Hans Baldung, genannt Grien (1470 bis 1552). Ein Holzschnitt
zeigt uns zwei deutsche Mütter von vielen Kindern umgeben, die wie jene nackt
sind. Alle Figuren sind ohne allem Hauch von Idealität gegeben, aber treu nach
der Wirklichkeit aufgefaßt. Und doch muthen sie den Betrachter poetisch an, der
Reiz liegt in der ungeschminkten Wiedergabe des deutschen Familiensinnes.
Eigentümlich dagegen hat Baldung ein mythologisches Thema aufgefaßt: die
drei Parzen (1515), die an einem Spinnrocken beschäftigt sind. Sie erscheinen
nackt und der Künstler wollte offenbar (wie es auch Barthel Behani gethan hat
das Weib in drei Stadien des Alters darstellen, die Jungfrau mit langem, lockig
herabfallendem Haar hält den Spinnrocken; das Weib, neben dem ein Kind die
Blume pflückt, hat volle runde Formen, die eines der fetten Jahre Egyptens
symbolisiren könnten; sie spinnt den Faden, den ein altes Weib mit der Scheere
durchschneidet. Letztere ist mager, die Knochen treten vor, die Brüste hängen
schlaff herab. Es ist unschwer zu errathen, daß die drei Schicksalsweiber treu
nach lebenden Modellen ausgenommen sind.
Wenn der Künstler sich etwa Modifikationen und Correcturen an der
Wirklichkeit erlaubte, so dürfte es bei dem Holzschnitte geschehen sein, welcher
nackte Hexen vorstellt, die ihre Vorbereitungen für den Hexensabbath treffen.
Ich glaube nämlich nicht, daß er in der Wirklichkeit Weiber von solcher
Häßlichkeit gefunden hat und daß er darum den wohl schon an sich genug
unschönen Modellen aus eigener Phantasie noch etwas zugegeben hat. Es ist die
Zeit der Hexenprocesse , welche die Gemüther der Menschen wohl sehr stark
aufregen mußte; kein Wunder, daß sich auch der Künstler versucht fühlt, in
diesen Stoss sich zu vertiefen. Eine Zeichnung des Meisters (jetzt in der
Albertina) belehrt uns, daß es auch junge Hexen gab; wir sehen hier eine alte
häßliche, gleichsam als Lehrerin, und zwei junge, deren eine sich so knieend
bückt. daß sie durch die Füße hervorsteht, jedenfalls für ein Modell eine
schwierige Lage. Es ist aber der Zeichnung abzusehen, daß sie ein Stndium nach
der Natur ist.
Daß der Künstler auch über jugendliche Modelle verfügte, sehen wir an seiner
Eva und an dem jungen Weib, die der Tod umarmt (letzteres
als Bild in Basel).
Zu den größten Künstlern, die uns das sechszehnte Jahrhundert geschenkt hat,
gehört unstreitig Holbein der Jüngere (1497 bis 1543). Er ist auch der Meister,
der wie keiner unter den Deutschen, die Renaissance spielend in seine Kunst
aufnahm und doch bis zum Tode seinen ausgesprochen deutschen Charakter
nicht verleugnete. Die Renaissance ist seiner Kunst nicht angepfropft, sondern
dem Meister so zusagen in Fleisch und Blut eingedrungen. Das Merkwürdige
daran besteht darin, daß er, wenn er überhaupt Italien besucht hat (was vielfach
bezweifelt wird), sich daselbst nur kurze Zeit aufhalten konnte. Als
zwanzigjähriger Jüngling schmückt er in Luzern ein Haus mit Wandgewälden
und wählt zur Darstellung den Triumphzug Cäsar's von Mantegna, der ihm wohl
in dessen bekannten Kupferstichen vorlag.
Durch welche Studien nach der Natur er das in seiner Seele schlummernde Ideal
verkörperte, wie er sich Modelle verschaffte und benützte, davon ist weder in
Nachrichten noch in seinen Werken eine Spur zu finden.
Seine Frau, die er als Wittwe ehelichte (um 1520), war viel älter als er, auch
keine Schönheit, weder in Bezug auf das Gesicht, noch auf die Körperform.
Holbein hat uns ein Bild derselben hinterlassen, das uns eine Hausmutter zeigt,
die gern unter ihren Kindern weilt. Man sieht ihr im Gesichte die Sorge, wohl
auch etwas Unmuth an. Kein Wunder! Holbein hielt sich lange Jahre in der
Fremde auf und so stand sie ohne Hilfe und Rath, auf sich selbst angewiesen, in
der Welt da.
Eigentümliche Umstände brachten den Künstler mit einer Dame in Berührung,
die sich in Basel eines sehr zweideutigen Rufes erfreute. Es ist Dorothea
Offenburg, eine gepriesene Schönheit, die ihres mehr als freien Lebens wegen
von ihrem Manne geschieden wurde und nun sich den Meistbietenden hingab.
Holbein dürfte von einem Verehrer derselben, der sich eben ihrer Gunst erfreute,
den Auftrag erhalten haben, sie zu malen. Er that es zweimal, einmal stellte er
sie als Venus mit Amor dar, in der Tracht der Zeit modisch gekleidet, dann in
fast gleicher Tracht hinter einem Tische, auf welchem viele Münzen liegen. Sie
streckt die Rechte aus und zeigt damit ihr Verlangen an, noch mehr zu erhalten.
Schon dieser Zug charakterisirt sie; damit aber kein Zweifel obwalte, fügt der
Künstler die Inschrift hinzu. Lais corinthiaca. Damit ist ihr Charakter als Hetäre
außer allen Zweifel gestellt.
Ist die Portrait-Aehnlichkeit, wie wir bei Holbein voraussetzen müssen, eine
vollkommen gelungene, so ist auch die Behandlung des Portraits als eines
Sittenbildes, die seine Charakterisirung des Kopfes
und der ganzen Haltung eine staunenswerte. Macht das Bild nicht den Eindruck
eines Werkes von Palma Vecchio oder Tizian? Woher kam dem deutschen
Künstler diese Offenbarung?
Wir haben leider über Holbein im Gebiete unserer Untersuchung nicht viel zu
sagen. In England finden wir den Künstler oft in Berührung mit Damen, aber
diese waren Damen der Aristokratie, des Hofes, die er im Bildniß verewigen
mußte. Nackte weibliche Gestalten kommen höchstens in Zeichnungen oder
Holzschnitten vor, wie z. B. aus dem Entwurf zu einer Dolchscheide (jetzt in der
Bibliothek in Bernburg), auf einer zweiten mit Venus, die Lützelburger in Holz
geschnitten hat und andere mehr.
In solchen, meist kleinen Figuren, ist die Renaissance trefflich betont, ohne das
Natürliche des lebenden Modells auszuheben. In London lebte ein Mädchen bei
ihm, mit dem er zwei Kinder zeugte. Vielleicht haben wir in diesem das
officielle Modell des Künstlers zu vermuthen.
Wenn der Leser Gelegenheit und Muse hat, den Inhalt dieses Buches auch
immer mit den zum Beweise herbeigezogenen Kunstwerken der einzelnen
Künstler zu vergleichen, so wird er, an dieser Stelle angelangt, und mit
Holbein's classischer Ausdrucksweise vertraut gemacht, gewiß stutzen, wenn er
die Thätigkeit des jetzt zur Sprache kommenden deutschen Meisters betrachtet
und sich wundern, wie in Deutschland zu gleicher Zeit so grundverschiedene
Kunstcharaktere sich bilden konnten. Holbein ist auch eine Ausnahme; er setzt
sich über die Einflüsse seiner Umgebung hinweg, was nur besonders begnadeten
Künstlern möglich wird.
Anders bei Lucas Cranach dein Aelteren (1472 bis 1553); nicht als ob wir
dessen Kunsttüchtigkeit in Zweifel ziehen wollten. Er stand eben in der Mitte
von Verhältnissen, die ihm eine nähere Bekanntschaft mit italienischer Kunst
oder gar der Antike unmöglich machten, auch sein ganzes Naturell wies ihn auf
die Richtung hin, in der er als Künstler sich auszeichnen konnte. Er war ein
Deutscher durch und durch und als er mit dem Reformator in Berührung und in
Freundschaft trat, mußte sich sein Geist noch mehr der italienischen Kunstweise
abwehrend entgegenstellen. Durch die Reformation wurde das Individuum
hervorgekehrt, in erste Linie gestellt und so war Cranach, der zeichnende und
malende Apostel der Reformation, vorzüglich auf das Bildniß hingewiesen und
auf diesem Gebiete hat er seine Meisterwerke geschaffen.
Unter den vielen Gemälden, Zeichnungen und Holzschnitten, die ihm
angehören, finden wir auch Compositionen, deren Stoff der heid-
nischen Fabel entlehnt ist, doch dürfen wir nicht glauben, daß er dabei auf die
Antike Rücksicht nahm. Es galt ihm nur, nackte weibliche Körper darzustellen.
So kommt Venus mit und ohne Amor sehr oft vor, wie als Gemälde in Berlin,
Weimar, Paris, als Holzschnitt vom Jahre 1506; eine Quellennymphe (1518) in
Dresden, Adam und Eva unzählige Mal, öfters auch das Urtheil des Paris, als
Bild und im Holzschnitt, eine Maria Egyptiaca, die nackt von Engeln in den
Himmel getragen wird, im Holzschnitt vom Jahre 150^. Meist entstanden diese
Kunstwerke in früherer Zeit seines Lebens. Eine Ausnahme macht der
Jugendbrunnen in Berlin, der vom Jahre 1546 datirt.
Alle diese Compositionen setzen offenbar Studien nach der Natnr voraus. Das
Modell, dessen sich Cranach bediente, befaß keinen schönen Körper und der
Meister that nichts hinzu, um in seiner Zeichnung die Natur zu corrigiren. Er
giebt die weiblichen Körper nach dem Leben. Meist ist die Brust wenig
entwickelt, der Bauch stark hervortretend, Hände und Füße leiden an großer
Magerkeit. Nur in dem Holzschnitt mit der Venus erhebt er sich über die
prosaische Wirklichkeit und schafft einen Körper, den man mit Vergnügen
betrachtet. Im Holzschnitt mit dem Paris-Urtheil, der nur zwei Jahre später ist,
erscheinen die Göttinen gar nicht göttlich; die eine hat krumme, die andere
kurze, wulstige Füße. Die Venus des Braunschweiger Museums leidet an
abschreckender Magerkeit (früher war ein Amor neben ihr, der, weil ruinirt,
gedeckt wurden Mit dem rothen Barret, wie es im Mittelalter feilen Dirnen
vorgeschrieben war, erscheint sie also als "Venus vulgivaga". ( Siehe
Abbildung.)
Dagegen ist fast bei allen diesen nackten Damen zu bemerken, daß das
Gesichtchen schön, naiv, oft lüstern und begehrlich lächelnd, aus dem Bilde
herausstellt.
Die Sage erzählt, daß Cranach in seiner Jugend eine Geliebte hatte, die Anna
hieß und die ihm wohl auch als Modell diente. Es kommt auf sie ein lateinisches
Epigramm in verschiedenen Variationen vor, deren manche sich kaum citiren
lassen. Das unschuldigste ist noch das folgende:
Anna venusta vocor, utque est versatile nomen
Sic corpus poterat vertere quisque meum.
Die Variationen kann der Leser in der Bibliothek zu Wolfenbüttel nachsehen.
Cranach war zugleich Besitzer einer Apotheke und Bürgermeister von
Wittenberg. Ueber seine Frau Barbara, geborene Brengbier aus Gotha, hat die
Klatschsucht auch Manches gedichtet. So soll sie dem
Manne jegliche Benützung eines jugendlichen Modells streng untersagt haben
und wollte selbst diese Funktion übernehmen. Als sie einmal verlangte, der
Meister solle ihr Bildniß auch aus einem seiner Bilder anbringen, malte er sie
auf dem in der Wittenberger Stadtkirche befindlichen Bilde mit der Taufe, aber
vom Rücken, daß man ihr Gesicht nicht sehen könne. War sie häßlich? Wer
kann es entscheiden.
In späterer Zeit haben sich auch Laien überzeugt, daß der schaffende Künstler
nach der Natur studiren müsse und zu diesem Behufe darum Modelle brauche.
So wird uns von einein tüchtigen Bildhauer in Nürnberg, Georg Schweigger, der
um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts thätig war, erzählt, wie er den
erzenen Neptunbrunnen, der im vorigen Jahrhundert von der Stadt nach Rußland
verkauft wurde, zu Stande brachte. Neptun selbst soll das Bildniß des Paul
Fürleger sein, aber nicht allein zum Kopfe diente ihm dieser zum Modell,
sondern für die ganze Figur. "er hat sich ganz entblößt und sich also abzeichnen
lassen", sagt der Fortsetzer der Nachrichten Neudörffer's. Aber auch für die
weiblichen Figuren hatte der Künstler lebende Modelle zum Studium
herangezogen. Derselbe Gewährsmann berichtet, daß er einer schönen und
langen Jungfrau 20 Reichsthaler gezahlt habe, um ihren nackten Leib zeichnen
zu können. Recht naiv wird hinzugefügt, daß, als sich die Nachricht davon in der
Stadt verbreitet habe, ein großer "Anlauff" entstanden sei, nicht etwa in dein
Sinne, daß den Leuten des Künstlers Handlungsweise anstößig erschienen wäre.
Es entstand nämlich ein großer Zusammenlauf unterschiedlicher Weibspersonen
in der Werkstätte des Künstlers, die ihm denselben Dienst erweisen wollten, um
Geld zu verdienen. So überwindet das Geld alle Schwierigkeiten!
Im siebenzehnten Jahrhundert ist bekanntlich die Kunst in Deutschland fast bis
zum Handwerk gesunken und nur wenige Künstler haben sich einigermaßen
über dem Niveau der Alltäglichkeit gehalten. Hat es an Schulen gefehlt, an
Lehrern, die es nicht verstanden, echten künstlerischen Geist zu erwecken?
Vielleicht; doch liegt die Sache tiefer, in den allgemeinen Verhältnissen der
Zeit, in der durch den Dreißigjährigen Krieg verschuldeten Misere, in der
Apathie der Reichen und Hohen gegen die monumentale Kunst. Man glaubte
hier schon genug gethan zu haben, wenn man sein Bildniß durch einen
gewöhnlichen, weil billigen Maler herstellen ließ.
Aber es gab Schulen, wo die alten Lehrgrundsätze noch befolgt wurden. Wir
haben schriftliche und bildliche Belege dafür, daß der angehende Künstler nach
der lebenden Natur und nach der Antike sich bilden müsse.
Im Museum zu Braunschweig sind zwei Bilder von Johann Heiß (1640 bis
1704), welche Actsäle vorstellen. Aus einem derselben sind mehrere Schüler
beschäftigt, nach dem nackten männlichen Modell zu zeichnen. Neben dem
Modell steht eine antike Statue, dem Aporyomenos des Lisippos ähnlich, und
der Lehrer scheint die Kunstjünger auf den Unterschied zwischen Natur und
Kunst aufmerksam zu machen. Das andere Bild zeigt uns dieselben Schüler,
welche nach einem nackten weiblichen Modell zeichnen. Dem Modell wurde
die Pose der kindischen Aphrodite von Prariteles gegeben. Rechts erscheint eine
Frau mit der Larve über dem Gesicht; wird sie ersucht, auch einmal Modell zu
stehen? Was soll die Larve bedeuten? Wohl ihre Schaam über einen solchen
Vorschlag ausdrücken?
IV.
Wie im Menschenleben lassen sich auch in der Kunst drei Stadien abgrenzen:
die Entwicklung, die Blüthe und der Niedergang. Bei allen Culturvölkern, in
deren Mitte die Kunst ein Heim gefunden hat, kann man ihr Auf- und
Abwärtssteigen beobachten. Weiter ist dann Erfahrungsfache, daß in der Zeit
des Niedergangs durch irgend ein Genie die Kunst aus ihrer Lethargie
emporgerissen und zur neuen Blüthe gefördert wird.
Die Niederlande waren stets eine Heimstätte der Kunst und die Geschichte hat
uns Tausende von Künstlernamen überliefert, die daselbst thätig waren. Wenn
wir nun dahin unsere Blicke wenden, so wird Niemand verlangen können, daß
wir uns mit Vielen derselben beschäftigen sollen. Es wird genügen, einige der
besten hervorzuheben und aus den gegebenen Beispielen sich ein allgemeines
Urtheil für den Rest zu bilden.
Als die alte Vlämische Schule, die in den beiden van Eyck ihre höchste Blüthe
erreichte, allmählich von ihrer hohen Stufe niederstieg, da glaubten viele
Künstler, für ihr Streben ein neues Ferment durch eine Reife nach Italien zu
gewinnen. Es war nun ein großer, wenn auch erklärlicher Fehler dieser
Kunstreisenden, daß sie glaubten, mit der Nachahmung der Form auch schon
den Geist der italienischen Classiker gewonnen zu haben. Man meinte, zu einem
Künstler der Renaissance gehöre nichts weiter, als mythologische Gegenstände
zu malen und nackte Figuren in der Kunst darzustellen.
Um Letzteres leisten zu können, mußten sie natürlich zu lebenden Modellen
Zuflucht nehmen. Aber das Modell macht es allein nicht aus. Dieses ist nur der
geheime Diener des Taschenspielers , der hilft, ohne gesehen zu werden; wo das
nicht zutrifft, geht für den Zuschauer alle Illusion verloren. Wer nach Italien
nichts brachte, konnte von da auch nichts zurückbringen.
Ein abschreckendes Beispiel ist Bart. Spranger (1546 bis 1625). Er besaß eine
ungemein rege Phantasie, mit der aber alles gesunde Urtheil davon lief. Man
sollte fast glauben, daß des sonst talentvollen Künstlers Augen anders gebaut
waren, wie die normaler Menschen, indem er die Natur anders sah, wie sie ist.
Es ist nicht möglich, daß seine nackten Modelle so aussehen konnten, wie die
aus denselben hervorgegangenen Gestalten. Diese sehen Gewächsen ähnlich, die
man eben mit ihren Wurzeln aus der Erde gezogen hat. Die Extremitäten,
besonders die Zehen bilden oft ein vollkommenes Wurzelwerk, während die
Musculatur des Körpers Knollengewächsen nicht unähnlich ist. Auch Spranger
ist in Italien gewesen, da scheint er wo gehört zu haben, daß die Kunst sich über
die Natur erheben müsse und so schuf er seine ab normen Gestalten und wurde
Apostel des Manierismus. Das Traurigste ist, daß ihn seine Zeitgenossen
anstaunten, wodurch er in seiner irrigen Anschauung nur bestärkt wurde.
Wenn je ein Künstler mit der rechten Vorbereitung die Gärten der Hesperiden
betrat, so war es sicher Peter Paul Rubens (1577 bis 1640). Erstens befaß er eine
umfassende classische Bildung. Neben historischen Studien betrieb er seit
frühester Jugend die Archäologie und war der lateinischen Sprache so mächtig,
daß er die Classiker in ihrer Originalsprache lesen konnte. Als er sich im Jahre
1600 aus den Weg nach Italien machte, war er auch bereits ein fertiger Künstler.
So war es ihm ein Leichtes, die Antike nicht allein in ihrer äußeren Erscheinung,
sondern auch in ihrem Geiste aufzufassen und zu verstehen. Dasselbe gilt den
Gemälden classischer italienischer Künstler gegenüber. Jedenfalls stand er vor
den Werken eines Mantegna, Bellini, Palma, Tizian, Paul Veronese, Tintoretto,
Leonardo, Michel Angelo und Raphael mit reiserem Urtheil, als die meisten
Laien, welche Italiens Kunstsammlungen durchlaufen und selbst als
Kunstjünger, die sich erst ans Italien ihren Künstlerberuf holen wollen.
Rubens copirte viele Gemälde italienischer Künstler, aber selbst in diesen
Copien zeigt er sich als ein Geister, der seine Individualität dabei nicht
verleugnet, der durch das Copiren nur tiefer in den Geist des Originals
eindringen will. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der ruhenden
Venus nach Tizian. Wer die Kunstweise beider Künstler - des Rubens und
Tizian - genau kennt, wird leicht in dieser Copie (gestochen von P. Sontman) die
Verschmelzung der Kunstsprache Beider wahrnehmen; man könnte sagen, die
Copie sei ein Tizian, dem ein Rubens angepfropft ist.
Seine angeborene Vorliebe für die unverhüllten Reize des weiblichen Körpers
fand nicht allein bei den besten meistern des Cinquecento, sondern auch in der
Antike reichliche Nahrung und gerade diese war für Rubens, dessen Auge von
Jugend aus in seinem Vaterlande an üppige Frauengestalten gewöhnt war, eine
gute Schule, in der er weise Mäßigung lernen konnte. Die Einwirkung blieb
auch nicht aus; in Italien wie in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr aus Italien
arbeitet er im Bann seiner Studien nach der Antike. Später erblaßt freilich diese
Erinnerung und die maßvolle Form geht in eine üppige, lebensstrotzende über.
Die Antike hat für Rubens zuweilen die Stelle des lebenden Modells
eingenommen. Es hat sich ein (ursprünglich lateinischer) Aufsatz des Meisters
über die Nachahmung der Antiken erhalten, der für angehende Künstler sehr
beherzigenswert ist. Ich kann mich nicht enthalten, eine Stelle daraus hier
anzuführen: "Ich habe die Ueberzeugung, daß, um die höchste Vollendung zu
erreichen, man die antiken Statuen nicht allein genau kennen, sondern auch von
ihrem Verständnisse auf das Innigste durchdrungen sein muß. Der Gebrauch,
den man von ihnen macht, muß auf Verständniß beruhen; nie darf der Stein sich
vordrängen."
Wie Rubens diese von ihm selbst aufgestellte Regel befolgte, kann an einem
Beispiele nachgewiesen werden. In Rom sah er im Palazzo Farnese die antike
schöne Statue der kauernden Venus von Polycharmos, die ihn sehr
angesprochen haben muß. Gewiß hat er eine Zeichnung nach ihr gemacht. Wie
hat er aber die Antike in seine Kunstsprache übersetzt? Das Motiv des Bades
genügte ihm nicht, und so erfand er ein neues, reizendes Motiv für die kauernde
Stellung. In einer Landschaft haben drei Amoretten, wahrscheinlich durch
neckische Spiele müde und durstig gemacht, ihre göttliche Mutter erblickt und
eilen auf sie zu. Sie bückt sich zu dem prächtigen Knäbchen und indem sie auf
ein Knie niedergesunken ist, reicht sie dem einen ihre Brust, dessen Durst mit
himmlischem Nektar stillend, während die beiden anderen sich herandrängen,
um ihrerseits auch nicht zu kurz zu kommen. Rubens muß dieses Bild (jetzt in
Potsdam) bald nach seiner Rückkehr gemalt haben, denn, obgleich seine
Kunstweise überall hervortritt, so sind die Körperformen noch maßvoll und edel.
Die Antike ist da, aber man sieht sie nicht mehr, der Stein ist Fleisch geworden.
In Italien noch entstand die schöne Composition der drei Grazien (Uffizien zu
Florenz). Die mittlere, die von zwei Engeln gekrönt wird, umfaßt mit der
Rechten den Hals der links stehenden, an die sie sich leicht anlehnt. Rechts steht
die dritte so, daß wir sie von der Seite und theilweise auch den Rücken sehen.
Die Einwirkung der Antike ist an diesem Bilde unverkennbar, die Körperformen
edel und regelmäßig, die Köpfe idealisirt. Das Bild ist vielleicht der äußerste
Berührungspunkt mit antiker und italienischer Kunst, dessen Rubens fähig war.
Wenn wir das inhaltreiche Lebenswerk des großen Meisters selbst nur flüchtig
übersehen, so werden wir inne werden, daß er alles Darstellbare in das Bereich
seiner Kunst mit gleicher Vollendung zog. Seine besondere Vorliebe hat er aber
den Stoffen der antiken Mythologie ausgespart. Hier konnte er vorzugsweise
seine eigentliche Künstlernatur schalten und walten lassen. Die Mythologie
brachte ihm zwar Götter entgegen, aber diese erschienen in menschlicher Gestalt
und da sie mit den Menschen dieselben Triebe und Bedürfnisse theilten, so war
dem Künstler Gelegenheit geboten, den Menschen hier als den Träger eines
Gottes, in höchster Vollendung seiner Erscheinung, strotzend von Gesundheit
und Leben, dramatisch bewegt bis zur Leidenschaft darzustellen. Hier trat
jegliches Gewand zurück und der Künstler konnte, wie einst die griechischen
Künstler, in der Behandlung des Nackten seine hohe Meisterschaft zeigen.
Und er ließ sich durch kein Bedenken, durch kein Vorurtheil auf diesem Wege
einschränken. Als sein Gemälde mit dem Urtheil des Paris 1639 nach Madrid
geschickt wurde, meinte der Cardinal Infant: "Ohne Zweifel ist es das beste, was
Rubens gemalt hat; es hat nur den einen Fehler. Die drei Göttinen sind gar zu
nackt." Rubens war aber durch nichts zu bewegen, diesen Fehler zu verbessern,
und meinte, so müsse es sein, wenn man den Kunstwerth der Malerei sehen
wolle.
Rubens war vollkommener Realist im guten Sinne des Wortes. Je weiter die
italienischen Eindrücke, die edlen Formen der Antike und der Meister des
Cinquecento in seiner Erinnerung zurückwichen, desto fester fesselte ihn der
Natursinn, die Welt einer gesunden Sinnlichkeit, die ihn umgab. In diese
lebendige Welt griff er hinein, wenn er Gestalten für seine Ideen suchte. Die
flandrischen Modelle, die seiner Kunst dienten, konnten sich nicht neben eine
Venus von Knidos und selbst nicht neben die mediceische hinstellen, wie sie
auch nicht mit der Galathea Raphael's oder der Danae Tizian 's wetteifern
konnten; was ihnen aber an schöner Körperform abging, das ersetzten sie durch
das warm pul-
sirende Leben in ihren Adern, durch die Unmittelbarst der Natur, die sich in
ihrer ganzen Erscheinung aussprach.
So fand sich Gleiches zu Gleichem; die Umgebung des Künstlers war seinem
Geiste verwandt, seine Kunst hing mit taufend Fäden an der ihn umgebenden
Wirklichkeit und seine zeitgenössischen Landsleute sahen in seinen
Frauengestalten Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut. "Ihre Stirn
ist kühner gewölbt, als bei den antiken Typen, die Augen größer, die Wangen
sind voller und fleischiger, die Oberlippe ist etwas kühner geschwungen. Der
Körper ist fleischig, kräftig im Bau, mit schwellenden Muskeln und oft mit
Hautfalten versehen; die Formen sind stärker gerundet, zeigen größere
Ausladungen, ein Vorherrschen der Wellenlinien; Alles ist voll blühenden,
gesund sinnlichen Lebens, voll Kraft und Energie." (F. v. Göler.)
In seinem naturwüchsigen Naturalismus hielt sich Rubens sogar oft allzu getreu
an sein Modell, indem er selbst Mängel, Unebenheiten, Zufälligkeiten am
Körper seiner weiblichen Gestalten treulich im Bilde wiedergab. Namentlich,
wie bereits von Vielen bemerkt wurde, sind die starken Hautfalten am Leibe, die
durch das Tragen von Strumpfbändern hervorgebrachten Striemen unter den
Knieen hervorzuheben, die Rubens nur zu getreu nach der Natur auf seine Bilder
übertrug.
Wo es sich um Darstellung von Bacchanalien oder ländlich-bäuerlicher Feste
handelt, da, aber auch nur da läßt Rubens in den hierbei agirenden Dirnen seiner
Phantasie unbegrenzte Freiheit. Auch für solche Gestalten wird er leicht in
seinem Vaterlande entsprechende Modelle mit riesenhaften Brüsten und
Körperteilen gefunden haben.
Für seine nackten Göttinen und Nymphen dienten ihm seine beiden Frauen zum
Modell. Isabella Brant, dessen erste Frau ist eine angenehme Erscheinung, zwar
nicht von magerer Gestalt, aber auch nicht von allzu vollen Formen. Sie starb
1626. Gemälde vor diesem Jahre werden darum Frauengestalten enthalten, die
sich noch nicht sehr weit von den in Italien gewonnenen Formen entfernen.
Auch war, wie bereits erwähnt, die Erinnerung an Italien noch ziemlich lebendig
und zügelte jede Ausschreitung.
Anders war es freilich, als der 53jährige Künstler zu einer zweiten Ehe schritt
und die 16-jährige Helene Fourment als Weib heimführte (1630). Der Künstler
soll in das junge Weibchen trotz eines Jünglings verliebt gewesen sein. Dieses
wird auch damit bestätigt, daß er sie immer und immer wieder in den
verschiedensten Stellungen portraitirt und in seinen mythologischen
Compositionen in allen Formen verewigt.
Zu den interessantesten und glänzendsten Beispielen erster Art, auch für unseren
Gegenstand von besonderer Wichtigkeit, ist das lebensgroße Bildniß der
schönen Helene Fourment in ganzer Figur. das sich im Belvedere zu Wien
befindet. Das Bild ist ein Liebes- und Freudengesang. eine Ode des
leidenschaftlich erregten Herzens. Es ist zugleich eine officielle Bestätigung
dafür, daß uns der Meister hier im Bilde grossherzig mit seinem Modelle
bekannt macht. Sie ist fast nackt abgebildet, Pelzwerk deckt sie nur theilweise
zu; nach rechts gewendet, sieht sie uns von der Seite an, als ob sie uns einladen
wollte, "ihre blanken Arme, die jungen, runden Brüste, die schön geformten
Beine, die von weicher Ueppigkeit überquellen," zu bewundern. Gewiß ein
seltener Fall, daß ein glücklicher, verliebter Ehegatte der ganzen Welt erlaubt,
seine Schätze zu betrachten und deren Reize zu genießen ! (S. Abbildung.)
Houbraken macht die nüchterne Bemerkung: "Es ist ein nicht zu
unterschätzender Vortheil für einen Maler (der eine schöne Frau besitzt), um die
Kosten des Modells zu ersparen".
Wer das seine, lebensvolle Gesicht recht betrachtet hat, wird sie leicht in den
anderen Compositionen des Meisters herausfinden können. Die Merkmale sind
stark ausgeprägt: große, weitgeöffnete Augen, hochgeschwungene Brauen,
üppiges krauses Haar, üppiger, von Fülle und Gesundheit strotzender Körper,
zierlicher Mund, volle Brust. Wo man diese Züge vereint findet, kann man
darauf schwören, daß Helene Fourment hier dem Meister das Kunstschaffen zu
einem reizenden Genusse gestempelt hat.
Es wäre nun eine lohnende Aufgabe, allen Gemälden des Meisters
nachzuforschen, welche die bezeichneten Merkmale an sich tragen. Wir müßten
uns aber bei den einzelnen Bildern oft wiederholen und so wollen wir
beispielhalber nur auf einzelne Hauptwerke dieser Art hinweisen.
Beim Urtheil des Paris (Madrid) stellt die mittlere Göttin die Helene dar. Das
wissen wir aus dem Ausspruch des Infanten: "Venns ist in der Mitte und das
wohlgetroffene Bildniß seiner eigenen Fran, welche ohne Zweifel die schönste
ist, die es in Antwerpen giebt".
Wir haben oben ein Bild der Uffizien erwähnt, das die drei Grazien zum
Gegenstand hat und das Rubens noch unter italienischem Einfluß stehend,
gemalt hat. Es ist, um eine genaue Kenntniß des Charakters unseres großen
Meisters zu gewinnen, und um den Unterschied zu sehen, den seine Kunst am
Beginne ihrer Entfaltung und in der Zeit ihrer größten Reise aufweist, sehr
instruktiv die Florentiner Grazien mit denen des Madrider Museums zu
vergleichen. Während
dort der Idealisierung der Formen die größten Concessionen gemacht werden, ist
hier alles Natur freilich Rubens'sche Natur! Bei der Florentiner Graziengruppe
kann man immerhin die Göttinen für junge Mädchen halten, hier aber sind es
Frauen; freilich in voller Blüthe der Jugend glänzend und immerhin würdig, "die
Anmuth" vorzustellen. Die beiden rechts und links stehen einander zugewendet,
die mittlere ist vom Rücken gesehen, sie umschlingen sich wechselseitig, die
linken Füße sind Standbeine, während die rechten in leichter Biegung mit den
Zehen nur die Erde berühren. Die Grazien erscheinen darum, wie im Tanz
begriffen. Ein lebensvoller Rhythmus durchdringt die Gruppe. Auch hier können
wir mit höchster Wahrscheinlichkeit vermuthen, daß Helene Fourment dem
Meister die Körperformen aller drei Grazien für sein Gemälde lieh. Im Kopfe
der links stehenden, die besonders reizvoll aufgefaßt ist, glauben wir sogar das
Portrait derselben zu erkennen.
Nach dem Tode des Meisters blieben noch einzelne Bilder mit mythologischen
Darstellungen zurück, so eine Diana im Bade, ein Bild gleichfalls mit den drei
Grazien. Die Wittwe wollte diese Nuditäten nicht verkaufen, ja sie verbarg sie
im Hause, damit sie Niemand sehe und durch "ihren Anblick die Reinheit seiner
Seele beflecke". Man erzählt auch, sie hätte sich vorgenommen, die Bilder zu
verbrennen. Indessen ließ sie sich doch überreden und verkaufte dem Cardinal
Richelieu die Diana, und Carl I. von England die Grazien. Diese Rigorosität läßt
sich nur damit erklären und rechtfertigen, daß sie in einer gewissen Beziehung
zu den Bildern stand, d. h. daß die Göttinen ihrem Körper nachgebildet wurden.
Wer sich über das herrliche Modell, das Rubens zu Gebote stand, weiter
unterrichten will, dem schlagen wir vor, sich dessen Venusbilder (Venus dem
Meere entstiegen, von der Jagd zurückkehrend, bei der Toilette, letzteres in der
Liechtenstein Gallerie in Wien) anzusehen; auch die Dianen Bilder sowie
Gemälde, auf denen Nymphen dargestellt sind, werden ein Vergleichen
erleichtern.
Wir haben bei Gelegenheit, da wir von Zeuxis sprachen, dessen Composition
der Centaurenfamilie erwähnt. Auch Rubens hatte aus diesem Mythus-Fonde
einmal den Stoff zu einem Bilde entlehnt, zu einer der schönsten Compositionen
des Meisters. Zwei verliebte Centauren verfolgen zwei reizende junge
Ceutaurinen. Während die Gruppe des Vordergrundes bereits den Sieg der Liebe
darstellt, indem sich das Centaurenweibchen in verliebter Umarmung an den sie
ereilenden Centaur anschmiegt, macht das andere Weibchen, das rechts nach
dem Grunde entflieht, ihrem Verfolger noch einige Schwierigkeiten, deren
friedliche Lösung aber vorauszusehen ist. Das Gemälde (im Hamilton-Palace)
ist
deshalb auch interessant, weil uns der Meister zeigt, wie er sich voll und tief in
das Wesen griechischer Poesie versenken konnte, bei der äußeren Gestaltung
aber doch seiner Kunstweise vollkomnen treu blieb. Die Verbindung zwischen
Menschenleib und Pferd ist besonders meisterhaft dar
gestellt.
Ein griechisches Gedicht im Gewande vlämischer Kunst !
Auf der alten Straße, die von Antwerpen nach Brüssel führt, sehen wir einen
einsamen Reiter dahin ziehen. Die ganze äußere Erscheinung des kaum
vierundzwanzigjährigen Mannes deutet darauf hin, daß derselbe einer reichen,
vornehmen Familie angehöre; auch das Reitpferd ist von edler Race. Das
jugendliche Gesicht mit dem kühn geschwungenen Schnurrbart, das offene
Auge, die seinen Züge machen einen sehr angenehmen Eindruck. Der Mann
muß ein Liebling liebesbedürftiger Damen sein. Es war ein schöner Frühlingstag
des Jahres 1623, an dem der edle Reiter die Straße dahinzog. Da kam er in ein
Thal und fand sich plötzlich in einer Ortschaft, die nur aus einigen Hütten
bestand. Saventhem hieß der Ort; kaum hatte der Reiter dies erfahren, erinnerte
er sich, daß hier eine Bekannte hause, eine Hofdame, das Fräulein Anna van
Ophem. Wohl ist das Ziel seiner Reife Italien aber eben darum werden einige
Stunden Aufenthalt nichts schaden. Bald stand er vor dem Landhaus des
Fräuleins, stieg vom Pferde und pochte an die Pforte.
Die schöne Einsiedlerin öffnet und erschrickt in jungfräulicher Scheu über den
unerwarteten Bestich. Es schien, als ob ein magne tischer Strom sich kreuzweise
von Einem zum Andern ergossen hätte. Sie kam ihm schöner vor als je und über
ihn hatte sie im Stillen dasselbe Urtheil gefällt. So standen sie sich gegenüber,
das schone junge Hoffräulein und der Maler van Dyck (1599 bis 1641). Und sie
muß ihn recht freundlich unter ihrem Dache aufgenommen haben, denn der
Künstler blieb nicht einige Stunden, sondern tage wochenlang, aus unbestimmt!
Antou van Dyck, der Sohn eines reichen Antwerpener Kaufmanns, hatte in der
edlen Malerkunst unter den Augen des Rubens die Meisterschaft erlangt und
sollte nun auf des Lehrers Rath nach Italien reisen, um daselbst die
höchstmögliche Vollkommenheit zu erringen. Unter den freundlichsten
Glückwünschen des Meisters, der ihn für seinen besten
Schüler hielt und dem er sein bestes Pferd aus seinem Stalle geschenkt hatte,
reiste van Dyck von Antwerpen weg.
Lange schon glaubte ihn Rubens in Italien aber van Dyck saß fest auf der Insel
der Seligen in Saventhem. Sein für Liebe empfängliches Herz fand Gegenliebe
und so wurde in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit, unter dem Schlag der
Nachtigallen und dem Gemurmel des Bächleins eine Idylle gespielt, die nicht
poetischer sein konnte. Aber auch hier verleugnete sich der Künstler nicht,
gerade in einem solchen Dasein, das an das goldene Zeitalter der Menschheit
erinnert, findet die Kunst die glücklichste Anregung zur Thätigkeit. Der
Künstler griff zur Palette und malte für die Kirche von Saventhem eine heilige
Familie. Für die Madonna aber saß die schöne geliebte Anna als Modell, deren
Züge er der heiligen Jungfrau lieh.
In der Kunstgeschichte ist es nichts Neues, daß der Künstler heiligen Personen
die Züge jener giebt, die er liebt, in denen er sein Ideal gefunden zu haben
glaubt. Es ist, als ob man mit der dargestellten heiligen Person das Unheilige
oder Weltliche seiner Neigung artig verhüllen wollen
Endlich erfuhr Rubens den Schlupfwinkel, den van Dyck über Italien gesetzt
hatte und wurde über die Zukunft desselben besorgt. Deshalb schickte er einen
Chevalier Nanni nach Saventhem, daß er den Verliebten aus den Zauberarmen
der Armida befreie und auf den rechten Weg, der nach Italien führt, bringe.
Gewiß eine schöne Episode aus van Dyck's Leben, uns um so willkommener, als
wir erfahren, wie Künstler manchmal zu ihren Modellen kommen. Nun treten
aber die strengen Kunstkritiker aus und beweisen nein, so weit sind wir noch
nicht erklären die ganze Geschichte für erdichtet, so lange authentische
Documente ihre volle Wahrheit nicht erhärtet haben. Nun auch wir wollen auf
diese Documente warten, bis sie bestaubt aus irgend einem Archiv an's
Tageslicht getreten sind, aber bis dahin mag auch die Geschichte stehen bleiben,
da wir nicht annehmen können, daß sie von einigen Kunstschriftstellern rein aus
der Lust genommen wäre.
Wir schreiben hier keine Kunstgeschichte und werden uns darum nicht mit der
ganzen Kunstthätigkeit van Dyck's beschäftigen. Er beherrschte, wie Rubens,
das ganze Kunstgebiet, malte Altarbilder, Historien, mythologische Gegenstände
und Bildnisse. Als Portraitmaler hatte er und hat bis heute den ungeschmälerten
Ruf des ersten Meisters, so daß bei Nennung des Namens van Dyck
unwillkürlich und zuerst an irgend ein Bildniß seiner Hand gedacht wird. Das
erklärt sich aus den Zeitverhältnissen und aus seiner ganzen Kunstweise.
Es war ein glänzendes Geschlecht, in dessen Mitte van Dyck stand, dieser war
der bevorzugte Maler desselben. Die Vornehmheit, der aristokratische Ton
prägte sich an den Höfen ebenso prägnant aus, wie in den Schlössern des Adels,
in den Patrizierhäusern der reichen Kaufleute, in den Palästen der hohen
Geistlichkeit bis in die Stuben der Gelehrten. Die Männer jener Periode betonen
in ihrer ganzen Erscheinung den Werth ihrer Persönlichkeit wie die Damen das
Bewußtsein ihrer Schönheit, ihrer gesellschaftlichen Geltung. Van Dyck
verstand es, diese ganze Noblesse der Erscheinn-ig tren und schön im Bild zu
geben.
Bei den Bildnissen aber, wo der Darzustellende Modell und Snjet zugleich war,
brauchte der Künstler an gewöhnlichen Modellen keine Studien zu machen. Wir
wissen, wie er in England, wo er am Hofe Carl's l. mit seiner Kunst jahrelang
stark in Anspruch genommen wurde, seine Bildnisse malte. Er entwarf die Pose
- und darin war er ein Meister - und malte den Kopf. Die Gewandung wie die
Zuthaten zeichnete er dann flüchtig, ließ sich erstere von Denen, die ihm zum
Bildniß faßen, zuschicken; seine Schüler malten dann Alles aus, indem die
Gewänder wahrscheinlich einer Gliederpuppe angezogen wurden. Am Schlusse
überging der Meister das Ganze, stellte es in Harmonie und ein "Van Dyck" war
fertig.
Der Künstler ist außerdem berühmt, die schönsten Hände gemalt zu haben. Es
waren dies nicht die Hände der Dargestellten, sondern er hielt sich mehrere
männliche und weibliche Modelle, welche schöne Hände besaßen und nach
diesen malte er sie aus seine Bildnisse hin. Auch lud er die vornehmen
Personen, die ihm zum Portrait saßen, zum Diner ein und wenn ihre Gesichter
noch von den Tafelfreuden und der fröhlichen Unterhaltung verklärt waren,
vollendete er in wenig Zügen ihre Bildnisse.
Wie bereits erwähnt, war des Künstlers Herz durch den Anblick schöner Frauen
leicht in's Feuer gebracht. In London war er sehr stark in die schöne Lady
Venetia, die Frau seines Freundes Kenelm Digby, verliebt. Viermal innerhalb
eines Jahres malte er dieselbe, einmal in allegorischer Gestalt der Klugheit (das
Bild in Windsor). Aber dieses reizende Modell, das seine Kunst so anhaltend
begeisterte, starb plötzlich 1633. Der Künstler malte sie noch einmal auf dem
Sterbebette. Sie erscheint als eine ruhig Schlummernde, nur der blasse Teint
beweist, daß die Seele den schönen Leib verlassen hat. An ihrer Seite malte er
eine welke Rose, ein Sinnbild der vergänglichen Schönheit.
Um seiner Liebesleidenschaft eine Schranke zu setzen, vermälte ihn der König
mit der schönen Marie Ronthven. Wie wirksam sich das Mittel erwies, wird
nicht erzählt.
Das Dresdener Museum besitzt von ihm eine Danae. Die verführerische
Geliebte Jupiter's liegt fast ganz nackt ans dem Lager, mit Verwunderung den
goldenen Regen betrachtend, der in Form von Goldmünzen über sie herabfällt.
Die Umrisse des Körpers sind sein und edel, der Blick nach Liebe dürstend.
Rechts untersucht Amor zwei der gefallenen Münzen auf ihre Echtheit, während
die ältliche Dienerin mit ihrer Herrin Gewand den kostbaren Regen auffangen
will. Welches herrliche Geschöpf diente dem Maler zum Modell für diese Danae
? Man erzählt, eine vornehme Gesellschaft wäre zum Spiel versammelt gewesen
und eine der schönsten Damen wäre vom Glück besonders begünstigt worden,
so daß ihr viele Rollen Goldes zufielen. Sie verbarg nach beendetem Spiel ihren
Gewinn hinter das Brusttuch, aber das schwere Gold glitt unter dem Hemd
hinab. Sie entfernte sich deshalb in ein anstoßendes Cabinet, wo sie sich ganz
entkleiden mußte. So soll sie van Dyck belauscht haben, und als nach
Entfernung der letzten Hülle die Goldstücke über Lager und Boden rollend, sich
zerstreuten, soll er berufen haben: "Danae im Goldregen!" Das gab ihm
Veranlassung, aus dem Gedächtniß die Scene in seinein Gemälde zu verewigen.
Wenn die Erzählung auf Wahrheit beruht beglaubigt ist sie keineswegs so hätten
wir hier ein seltenes Beispiel, daß eine Dame ohne Wissen und Willen einem
Künstler zum Modell gedient habe.
Heinrich Goltzius (1558 bis 1616) ist ein talentvoller Künstler Hollands, der es
ganz streng mit der Kunst nahm. Zwar macht er in seinen historischen
Compositionen zuweilen dem Manierismus große Zugeständnisse, was freilich
in der Zeit lag; im Zeichnen ist er aber ein ganzer Mann, wie er auch als Maler
und Stecher von Bildnissen aus der Höhe seiner Kunst steht. Wenn man sein
Werk durchsieht, so staunt man über die Productivität des Künstlers, aber
überall drängt sich uns die Wahrnehmung auf, daß er fleißige und eingehende
Studien nach der Natur gemacht haben muß. Das mythologische Element
herrscht vor und enthält sehr oft Darstellungen von Göttinen und Nymphen, die
das Privilegium haben, gewandlos aufzutreten. Auch diese verrathen, daß der
Künstler fleißig beim weiblichen Modell sich Raths erholte. Eine seiner
Compositionen, die sein Schüler Saenredam gestochen hat, deutet geradehin auf
das weibliche Modell. Dieses, eine angenehme Erscheinung, kniet vor dem alten
Maler, der seine Brille
aufgesetzt hat, um keinen Reiz seines Modelles zu übersehen und sitzt vor der
Staffelei, emsig beschäftigt, das Bild der Natur in ein Werk der Kunst zu
übertragen, während Amor der Knieenden einen Spiegel vorhält, vielleicht, daß
sie sich überzeuge, sie sei wirklich würdig, im Bilde verewigt zu werden.
Wir kommen jetzt zu einem Künstler, der seit jeher die verschiedenste
Beurteilung erfahren hat. Während ihn und seine Kunst Manche zu den höchsten
Sternen erheben, suchen ihn Andere auf den möglichst niedrigsten Standpunkt
herabzudrücken, ja ihm überhaupt ein Kunsttalent abzusprechen Es ist Paul
Rembrandt van Ryn (1606 bis 1665). Da gerade der Gegenstand unserer
Abhandlimg vielfach in Betracht kommt, so werden wir eine Sichtung der
divergirenden Urtheile und eine Erklärung derselben an diesem Platze für
gerechtfertigt halten.
Manche sprechen ihm eine richtige Zeichnung überhaupt ab. Daß aber
Rembrandt diese in seiner vollen Gewalt hatte, beweisen seine zahlreichen
Portraits, die, wo es der Gegenstand mit sich brachte, sogar eine gewisse
Noblesse besitzen. Beispiele anzuführen ist unnöthig, die Gallerien Europas wie
sein radirtes Werk bringen sie in Hülle bei. Wo er nach Ansicht der Verkleinerer
seines Ruhms in der Zeichnung gefehlt haben soll. da ist der Grund dieser
Erscheinung zu untersuchen. Der Hauptgrund liegt darin, daß Rembrandt ein
Naturalist war durch und durch. Man darf darum Raphael's Eva nicht zur Eva
Rembrandt's hinstellen, um den Stab über die letztere zu brechen. Wenn man,
verwöhnt durch Raphael's Ideale über Rembrandt's Gestalten urtheilen will, so
wird das Urtheil immer ein schiefes, ungerechtfertigtes, ungerechtes sein. Jeder
Künstler ist vom Standpunkte seiner Zeit, seines Landes, seiner Umgebung,
seines Kunst-Charakters zu beurtheilen.
Rembrandt kannte sehr wohl, wenn er auch nie in Italien gewesen ist, überhaupt
Holland, sein Vaterland, nicht verlassen hat, die italienische Kunstweise, denn er
sammelte und schätzte die Stiche von Marc-Anton und Mantegna, wie alle
Stiche nach Raphael, Tizian, Michel Angelo, Leonardo u. A. Er hätte sie wohl
auch nachahmen können, die großen Künstler Italiens (Leonardo's Abendmahl
hat er nachgezeichnet), aber er wollte nicht! Gewiß fand er da manches, was
seinem Geiste zusagte, und was er in seiner Kunst verarbeitete, aber seine
Originalität hütete und bewahrte er mit aller Macht seines Willens.
Rembrandt war Naturalist vom reinsten Wasser; wenn er trotzdem zu den
größten Meistern gehört, so liegt der Grund darin, daß er die Natur mit einer
Farbe verklärte, wie sie die Welt bisher nicht sah. In dieser Farbe feiert die
Natur ihre Verklärung. Der einfachsten
Zeichnung verstand er mit wenigen Strichen einen Ton zu geben; er malt so gut
mit dem Stift, wie mit der Radirnadel oder dem Pinsel.
Die ihn umgebende Natur, die Menschen seines Vaterlandes zeigten sich seinem
Auge nicht anders, wie er sie auf der Kupferplatte oder der Leinwand dargestellt
hat. Was und wie er etwas sieht, so und nicht anders giebt er es wieder. Die
Breestraat in Amsterdam, in der er wohnte, gehörte zum Judenviertel, aus dem
Fenster seines Ateliers konnte er täglich die Gestalten sehen und zeichnen, mit
denen er seine alt und neutestamentlichen Scenen belebte. Man sieht es allen
seinen Figuren an, daß er sie von der Straße aushob, für Manche ein
schmutziges, werthloses Material, für seine Kunst eine reiche Fundgrube.
Als Meister der Farbe gilt ihm das historische Costum nichts; er kleidet das
Volk seiner Kunst mit phantastischen Gewändern, die ihm die Freiheit lassen,
mit Farben zu spielen und mit ihnen unglaubliche Wirkungen zu erzielen. Die
Kästen, Stühle, der Boden seiner Werkstätte waren mit den wunderlichsten
Stoffen und Kleidungen angefüllt; da lagen Turbans mit oder ohne Reiherfedern,
befranzte Schärpen, Armaturen, Hellebarden und taufend andere Gegenstände
zerstreut umher. Es war ein Chaos. Unsere Zeit wußte aus diesem Chaos
berühmte Atelierräume herzustellen.
Wohl wurden ihm selbst manche Vorwürfe gemacht, warum er sein Kunstauge
nicht an classischen Gemälden oder Antiken übe; dann ist es erklärlich, wenn er
trotzig seinen Standpunkt wahrend, solchen antwortete: "Seht euch um, das sind
meine Antiken".
Und seine lebenden Modelle waren auch nicht anders, als wie sie ihm die
Umgebung bot
Der Dichter Cats, ein Freund Rembrandt's, beschreibt holländische
Frauenschönheit also :
"Uue forte, alerte et prompte fille
Qui mene aux champs les vaches de son pere
Solide de reins, pleine de corps,
Epaisse de levres et rondes de jones.
An dieses Schönheitsrecept seines Freundes hielt sich Rembrandt getreulich.
Uebrigens hatte Rembrandt 1634 ein reizendes Weibchen heim geführt, die
Saskia Uylenburg, eine Bürgermeistertochter. Er zeichnete sie auf Pergament
am Trauungstage (die Zeichnung in Berlin); er malte sie auch oft; so sieht man
sie auf einem Gemälde des Dresdener Cabinets, wie sie, ein Bild frohen
Glückes, dem Rembrandt im Schooße sitzt. Eine junonische Erscheinung war sie
freilich nicht, aber ihre Büste
mag immerhin im Bilde seiner und ansprechender sich ausgenommen haben, als
bei den von Cats bezeichneten Hirtinen. Wir können nicht nachweisen, ob sie
dem Maler zum Modell diente, dürfen es aber als sicher voraussetzen.
Als sie starb, heirathete Rembrandt seine Hausmagd, die ihm bereits früher zum
Modell gestanden sein soll. Vielleicht wollte er sich dieses sichern. Diese muß
aber dem Dichter zum Vorwurf seines Gedichtes gedient haben. Vielleicht
finden wir sie auf dem Blatte Rembrandts : "Die ersten Eltern im Paradiese", wo
sie die abscheuliche Gestalt der Eva verschuldete. Rembrandt hat das erste
Elternpaar wie ein Paar Affen hingestellt. Vielleicht wollte er Darwin
vorarbeiten. Wir dürfen seine Magd ferner unter den Radirungen auch bei der
bacchantisch ausgelassenen Frau des Putiphar, bei den sogenannten freien
Blättern vermuthen, insbesondere bei dem sitzenden Weibe, das wir in
Abbildung bringen, einem Ideal von Häßlichkeit aber auch einem Meisterwerk
der Radirnadel. Die verschiedenen Bethsabe's und Susanna's im Bade (ein
Hauptbild in Berlin) dürften auch auf ihre Körperbildung zurück zuführen sein.
Auf einer flüchtigen Federzeichnung (im Britischen Museum) hat er sich selbst
dargestellt, wie er nach einem nackten weiblichen Modelle zeichnet. Es war dies
die Studie zu der gleichinhaltigen Radirung, die indessen unvollendet blieb. (S.
Abbildung.)
Sein bis zur letzten Consequenz getriebener Naturalismus, der eigentlich schon
Materialismus war, fand übrigens seine scharfen Kritiker. So charakterisirt ihn
der Dichter Andries Pels: "Malte er, wie dies zuweilen geschah, eine nackte
Frau, so wählte er keine griechische Venus zu seinem Modell, sondern eher eine
Wäscherin oder Torftreterin aus einer Scheuer und nannte seine Bizarrerie:
Nachahmung der Natur; alles Uebrige war ihm eitle Verzierung. Schlaffe
Brüste, unförmliche Hände, ja die Spuren der Gürtelbänder der Röcke am
Bauche und der Strumpfbänder an den Beinen mußten sichtbar werden, wenn
der Natur Genüge gethan sein sollte, das heißt seiner Natur, welche keine Regel
und keine Grundsätze von Ebenmaaß an dem menschlichen Körper dulden
wollte."
A. Houbraken giebt uns in seinem "Schouburgh" im Leben Rembrandt's eine
Modellgeschichte zum Besten, die, weil zu unserer Unter-suchung gehörend,
hier einen Platz finden möge.
Rembrandt hatte viele Schüler in Amsterdam. Um sie unterzubringen, pachtete
er ein Packhaus, wo er Jedem einen Raum zur Arbeit anwies. Papier oder
Leinwand schied die einzelnen Räume von einander, damit
Jeder ungestört nach dem Leben zeichnen könnte. Einmal benöthigte Einer ein
weibliches Modell, das er in seine Kammer brachte. Die anderen Schüler
erfuhren es und sahen, einer nach dem anderen, aus Neugier durch eine Spalte
zu. Weil es heiß war, entkleideten sich Maler und Modell mutternackt. Da
erschien Rembrandt, um zu sehen, was seine Schüler machten und um ihre
Arbeiten zu mustern. Diese erzählen ihm den Vorfall, Rembrandt stellt sich auch
an die Spalte, um sie zu beobachten, als eben der Maler darin zu seinem Modell
sagt: "Jetzt sind wir gerade so weit wie Adam und Eva im Paradiese, denn wir
sind auch nackt." Rembrandt klopft dann an die verschlossene Thüre mit seinem
Malerstock und ruft: "Eben weil ihr nackt seid, müßt ihr auch aus dem Paradiese
heraus!" Sie mußten öffnen und Rembrandt jagte mit seinem Stocke den
vermeintlichen Adam sammt seiner Eva davon, daß sie mit genauer Noth beim
Hinunterlaufen über die Treppe einige Kleider umnehmen konnten, um nicht
nackt auf die Straße zu kommen.
Wohl im Hinblick auf Rembrandt ist im verflossenen Jahrhundert in England ein
satyrisches Blatt von Th. Rowlandfon erschienen, welches uns einen
holländischen Actsaal zeigt. Das häßliche weibliche Modell sitzt nackt in einem
weichen Stuhle auf erhöhtem Postament, ein Meisterstück von Phlegma, Ruhe
und Behäbigkeit. Es entspricht vollkommen dem Ideale, das uns Cats entworfen
hat. Stehend, auf der Tonne oder am Boden hockend, belagern das Modell acht
Künstler, einzelne rauchend (ein Beweis für die gesunden Nerven des Modells),
alle emsig beflissen, die holländische Venus zu Papier zu bringen. Im Grunde
stehen drei Kunstfreunde, denen indessen, ihrer Kopfrichtung nach zu urtheilen,
die Natur mehr als die Kunst am Herzen zu liegen scheint.
Als Carricatur ist das übrigens sehr seltene Blatt mit Hogarth'schem Humor
durchwürzt. (S. Abbildung.)
Auf alle holländischen Künstler überhaupt kann die Satyre nicht gemünzt sein,
denn wir begegnen in der holländischen Kunstgeschichte vielen Malern, die sich
nicht verführen ließen, das Gemeine darzustellen, welches ja eben durch eine
materialistische Auffassung und treue Wiedergabe in den Augen eines seinen
Kunstfreundes nur noch gemeiner erscheint.
So pflegte Gerhard Terborgh (1608 bis 1681) nur das. seine, vornehme
Genrestück. Auf seinen mit aller Zartheit ausgeführten Ge-
mälden begegnen wir oft einer reizenden Blondine im weißen Atlaskleide und
einer roth- oder gelbseidenen, mit Hermelin verbrämten Jacke. Diese oft
wiederkehrende liebenswürdige Dame, die in einem recht nett und heimisch
eingerichteten Interieur sich mit weiblicher Arbeit oder mit dem Verfassen eines
Briefes oder mit ihrem Hündchen beschäftigt, die artig einen Besuch empfängt
oder der ein Trompeter einen vielleicht lang erwarteten Brief überreicht, sie legt
uns die Vermuthung nahe, daß auch ihr Modell schön und angenehm war und
den besseren Kreisen der Gesellschaft angehörte. Wie des Meisters Gemälde uns
immer in ihrer Gemütlichkeit angenehm berühren, so würden wir uns sicher
auch mit seinen Modellen, wenn sie lebend vor uns ständen, mit seinem Anstand
unterhalten können.
Wir dürfen nicht vergessen, daß Terborgh Rembrandt's Zeitgenosse war; freilich
hat er durch Reisen seinen Kunstsinn veredelt, er war in Spanien, Italien,
Frankreich und England gewesen.
Der Künstler scheint mit seinen eleganten Genrebildern großen Einfluß aus
andere Künstler in Holland ausgeübt zu haben. Es treten nach und nach mehrere
Nachahmer seiner Kunstweise auf und es sind dabei ausgezeichnete Meister zu
nennen, wie sein Schüler Caspar Netscher, dann Gerard Dov, der die Natur
miniaturartig nachbildete, dessen Schüler Franz Mieris, der vorzügliche
Conversationsstücke malte, Gabriel Metzu, der, wie Terborgh, die Sujets zu
seinen Bildern aus den vornehmen Kreisen der holländischen Gesellschaft
entlehnte. Sie verstanden es, weibliche Schönheiten in ansprechender
Erscheinung mit der ganzen holländischen Behäbigkeit auf die Leinwand zu
zaubern und waren gewiß durch schöne weibliche lebende Modelle dazu
angeeifert.
G. Dov soll, wie Sandrart berichtet, seine weiblichen Modelle sehr reichlich
bezahlt haben, um sie für die bewiesene Geduld zu belohnen. Der Meister soll
nämlich, da er jede Kleinigkeit fleißig durchführte, sehr langsam gearbeitet
haben. Freilich läßt sich dann nicht erklären, wie er so viele Bilder hätte malen
können.
Gottfried Schalcken (1653 bis 1706), der sich eine Zeit in gleichem Fahrwasser
bewegte, hatte seiner Kunst eine neue Nuance hinzugefügt, die seinen Namen
berühmt machte. Es sind dies seine Lichtstücke, d. h. Bilder, deren Beleuchtung
eine künstliche, vom Kerzenlicht erzeugte war. Zuweilen verband er diese mit
der natürlichen und wußte Kerzen und Sonnenlicht so wunderbar neben einander
anzubringen, daß man über diese Kunststücke erstaunte. Er malte auch Bildnisse
und als er einmal eine Dame portraitirte und mit ihrem Gesicht fertig war, sagte
er zu ihr. "Für die Hände brauche sie nicht mehr zu sitzen, für
diese werden ihm die seines Dieners als Modell dienen." Er hatte wohl etwas
von van Dyck's Gewohnheit in dieser Hinsicht gehört, aber sein Vorbild
mißverstanden.
Wir müssen an dieser Stelle auch Arnold Houbraken (1660 bis 1719) erwähnen,
den niederländischen Künstler und Kunsthistoriker, der uns in seinem "groote
Schouburgh" so Vieles aus dem Leben seiner kunstübenden Landsleute
übermittelt hat, was sonst, zum Schaden der Kunstgeschichte, unbekannt
geblieben wäre. Houbraken war eben so gelehrt, als in seiner Kunst fleißig In
einer seiner Compositionen, die zumeist Scenen aus dem Alltagsleben
darstellen, hat er uns einen Einblick in die Werkstätte eines Malers gestattet, der
eben nach einem lebenden weiblichen Modell malt. Derselbe sitzt bei der
Staffelei und betrachtet aufmerksam das junge nackte Mädchen, welches links
vor dem Stuhle steht, sich mit beiden Händen an der Stuhllehne hält und den
linken Fuß halb erhebt, um ihn am Stuhl zu stützen. Am Boden liegen ihre
Kleider, am Stuhle ihr Hemd, unter dem ein Affe hervor^ kriecht, um die für ihn
ungewöhnliche Erscheinung zu betrachten. Hinter dem Maler, auf die Lehne
seines Stuhles gestützt, steht der Kunstfreund und scheint sich angenehm mit
dem Modell zu unterhalten. Vielleicht ist es ganz gut, daß uns das Bild den
Inhalt des Gespräches nicht verräth, so sehr Manchem derselbe erwünscht wäre.
Es muß wohl in Holland üblich gewesen sein, daß Kunstfreunden die
Malerstube offen stand, selbst in den Stunden, wo ein nacktes Frauenmodell
Sitzung hatte. Was führt den Mann her? Ist es die reine Freude an der Kunst?
Kaum. Der Künstler Houbraken selbst giebt uns einen Wink, welcher Sorte von
Kunstfreunden der hier völlig unnöthige Zeuge angehört. In einem anderen
seiner Bilder führt er uns denselben Mann vor, wie er einem etwas nachlässig
gekleideten Mädchen ein Blatt Papier mit einer unzüchtigen Darstellung
vorzeigt. Das also hat der Kunstfreund im Atelier des Malers gesucht, er ist
entlarvt. (Beide Compositionen sind uns in schönen und seltenen
Schabkunstblättern von Nic. Verkolje erhalten und unsere Illustration ist auch
dem einen entlehnt.)
Wir fanden bei Rembrandt das erste Beispiel, daß das Modellstehen selbst
Gegenstand eines Bildes ist. Hier haben wir ein zweites Beispiel, das sich später
in Frankreich bis in die neueste Zeit, wie wir sehen werden, sehr oft wiederholt.
Der Inhalt unserer Illustration mußte Anklang gefunden haben; mit wenig
Aenderungen hat noch C. W. E. Dietrich dieselbe Scene wiederholt und radirt.
Ein sehr fruchtbarer Meister war Adrian van der Werff (1659 bis 1722). Er hatte
sich eine eigene seine und glatte Malweise angeeignet, die man heutzutage als
sogenannte Porzellanmalerei in den Bann thut. In der Zeit, da der Künstler
arbeitete, wurde sie aber allgemein sehr geschätzt und hochgehalten, seine
Bilder wurden auch mit erstaunlich hohen Preisen bezahlt.
Seine Manier ist auch wie dazu erfunden, die Reize des nackten weiblichen
Körpers noch reizender erscheinen zu lassen. Das wußte der Meister und er
unterließ es nicht, solche Gegenstände zu wählen, bei deren Darstellung er
nackte Mädchenkörper als selbstverständlich anbringen konnte. Er heirathete
eine Verwandte von Govaert Flinck, welche Margaretha Rees hieß, und nach
Allem zu urtheilen ihm zum Modell für seine Eva's, Nymphen und Grazien
diente.
Der Ruf des Künstlers verbreitete sich schnell und weit, oft mußte er die
Gemälde, kaum daß sie fertig waren, noch in nassem Zustande an ihre Käufer
absenden.
Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz hatte ihm die meisten Bilder abgekauft,
dieselben nicht allein sehr gut bezahlt, sondern den Künstler und dessen Frau
auch mit Geschenken überhäuft. Einmal malte der Künstler als Geschenk und
Andenken für seine Frau ein kleines Bild mit Diana und Calisto, das sehr
gerühmt wurde. Als der Kurfürst davon hörte, wollte er es besitzen, die Frau
wollte es aber nicht weggeben. Wahrscheinlich stand sie zu dem Bilde in einer
Beziehung und die Göttin der Jagd war vielleicht ihr Bildniß vom Kopf bis zum
Fuß. Später trennte sie sich doch davon und schenkte es dem Kurfürsten, der
wieder das Opfer nicht umsonst annehmen wollte; der Maler erhielt 6000
Gulden und der Frau schenkte er, damit sie ihre Freude habe, eine silberne
Toilette, die aus 32 Stücken bestand.
Im Jahre 1709 besuchte Herzog Anton von Wolfenbüttel den Künstler in
Rotterdam, wo dieser wohnte. Er erwarb zwei Bilder von ihm, eine büßende
Magdalena und Adam mit Eva im Paradiese. Letzteres Bild befindet sich noch
im Museum zu Braunschweig, ersteres ist in Paris, wohin es von Denon entführt
wurde, verloren gegangen. Man erzählt, der Herzog hatte ausbedungen, daß der
Eva die Frau des Künstlers zum Modell stehen solle, Andere meinen daß dies
bei der Magdalena der Fall war. Ist ersteres wahr und hat der Künstler nicht
geschmeichelt, so muß seine Frau in der That eine reizende Blondine gewesen
sein. Ohne Grund wird der Herzog gewiß nicht der Frau des Meisters eine
kostbare goldene Schlaguhr als Geschenk verehrt haben.
V.
Früher als die vlämische hatte die französische Kunst sich unter der Sonne der
Italiener zu einem glänzenden Leben erwecken lassen. Raphael, Tizian,
Leonardo, Benvenuto Cellini waren entweder selbst für die französischen
Könige thätig, denen sie Kunstwerke nach Bestellung einsandten, oder es kamen
solche in der Folge durch Ankauf dahin, so daß aus diese Art mannigfache
Anregung für die heimische Kunst gegeben wurde. Als aber König Franz I. sein
Jagdschloß Fontainebleau künstlerisch ausschmücken wollte, berief er
italienische Künstler in's Land, die so zahlreich kamen, daß sich daraus eine
"Schule von Fontainebleau" entwickelte, zu welcher einheimische und
vlämische Künstler wallfahrteten, um sich hier mit neuen Ideen zu bereichern
und die italienische Kunst zu bewundern.
Unter den berufenen Meistern sind Franc. Primaticcio und Rosso de' Rossi
(Maitre Roux in Frankreich genannt) in erster Linie zu nennen. Beide standen
sich voll Eifersucht feindlich gegenüber und der König mußte oft dazwischen
treten, damit ihre künstlerische Thätigkeit keine Störung erleide.
Den Namen erhielt das Schloß von der schönen blauen Quelle (Fontaine bleue),
an der man sich in poetischer Auffassung die Quellnymphe sitzend denken kann.
Als Jagdschloß aber besaß es Diana, die Göttin der Jagd, zur Schutzgottheit.
Nun aber trat zu dieser mythologischen Scenirung noch ein Moment aus der
Wirklichkeit, der sinnig mit dem Idealen verschmolz.
Am Hofe Franz I. lebte als Ehrenfräulein der Königin die schöne Diana von
Poitiers, geb. 1499. In diese verliebte sich der König und diese Geliebte gab dem
Jagdschlosse das Relief und die Kunst zog sie in den Kreis ihrer Darstellungen
hinein. Sie galt als die lebende Quellnymphe, wie sie auch als Stellvertreterin
der Jagdgöttin, deren Namen sie ja trug, aufgefaßt wurde.
Benvenuto Cellini hat für den König ein Basrelief ausgeführt, welches die
Nymphe des Schlosses darstellen sollte, aber die Nymphe, die nackt auf der
Erde sitzend erscheint und einen Hirsch liebkost, wurde zur Diana. Man glaubte,
Cellini's Nymphe sei ein Bildniß des Hoffräuleins, was aber nicht der Fall ist, da
der Künstler selbst bekeimt, daß ihm zum Modell ein armes Mädchen, Namens
Jeanne, diente, die sehr schöne Formen hatte.
Dagegen wissen wir, daß Rosso, als er sein Hauptbild in der Gallerie des
Schlosses malte, in der Diana von Poitiers das Original zum Modell erhielt, da
es der König also wünschte. Das sehr schöne junge nackte Weib liegt auf der
Erde, den Oberkörper an die Urne gelehnt, aus welcher die Quelle hervorbricht;
das seine Gesicht ist in Profil, ein Aehrenfeld bildet den Hintergrund und zwei
Jagdhunde nähern sich ihrer Herrin. Hier haben wir wieder die Verschmelzung
der Quellnymphe mit der Diana in dem zierlichen Bildniß des Ehrenfräuleins.
Der französische Kupferstecher Rene Boyvin, der viel nach Compositionen
italienischer Meister gestochen, hat uns auch einen Stich des genannten Bildes
hinterlassen. Das naturalistische Element hatte bereits in dessen Kunst breite
Wurzeln geschlagen. Den Beweis dafür können wir leicht beibringen. Derselbe
hatte eine Folge von Götterstatuen in Nischen nach Zeichnungen des oben
genannten Rosso herausgegeben. Diese Statuen sind edel in Form gehalten und
erinnern an die Ausdrucksweise der Raphaelischen Schule. Unter ihnen ist auch
Opis, die Gattin des Saturn, die Mutter der Götter. Von Thieren umgeben, steht
sie in Vorderansicht und drückt mit beiden Händen die Brüste, als ob sie aus
denselben den lebenden Wesen Nahrung spenden wollte. Ich weiß nicht,
welcher Grund den Stecher bewogen haben mag, von der jugendlich schönen,
üppigen, frischen Göttin der Natur ein Zerrbild in einer Wiederholung zu geben:
Wir sehen ein altes, abgezehrtes, nacktes Weib mit spitziger Nase und gleichem
Kinn, in derselben Stellung und Beschäftigung; die Beine sind abgezehrt, das
runde volle Fleisch derselben wie der Hüften ist verschwunden und vergebens
bemüht sich das Ideal von Häßlichkeit, aus den welken, herabhängenden
Brüsten einen Tropfen
von Milch auszudrücken. Die übrigens cynische und naturtreue Auffassung
zwingt uns zu der Annahme, daß dem Künstler wirklich ein solches Modell
stand. Eine eigene Künstlerschrulle, die Kehrseite der Jugend und Schönheit
zum Vorwurf zu wählen.
Unter "Louis le Grand" bekommt die französische Gesellschaft ein originelles
Gepräge; der Inhalt des lateinischen Verses:
Regis ad exemplum totus componitur orbis
tritt voll in's Leben. Der König hält sich für den Mittelpunkt von Frankreich und
dieses für den Kern der ganzen Welt. Der Ruhm des siegreichen Kriegers und
weitesten Staatslenkers ist Alles, das Uebrige hat nur sofern Geltung, als es
denselben anerkennt und verherrlicht. Die Kunst hatte nur dann eine
Existenzberechtigung, wenn sie Kriege und Siege, Belagerungen von Städten,
Verwüstungen nichtfranzösischer Länder oder Hoffeierlichkeiten zum
Gegenstand der Darstellung wählte oder im Portrait der dargestellten Person
Weihrauch streute.
Dieses übermütige Geschlecht war aber bald durch ein anderes abgelöst, das
neue Bahnen betrat. Der Schwerpunkt der Gesellschaft unter Ludwig XV. liegt
nicht mehr in der kriegerischen und politischen "Gloire", sondern in dem viel
lustigeren "Gloire", in der Kunst, das Leben zu genießen und den Genuß bis auf
den letzten Tropfen zu erschöpfen.
Die Kunst dieser Tage ist ein treuer Interpret derselben; wenn man ihre Werke
oberflächlich betrachtet, sollte man glauben, das Paradies habe sich wieder
geöffnet, das goldene Zeitalter sei zurückgekehrte ein Zeitalter, in dem man nur
liebt und genießt, in dem leichtgeschürzte oder vollends enthüllte Nymphen den
Nektar aus unerschöpflichen Quellen den Glücklichen credenzen.
Aus dieser Zeit stammen die vielen Bilder mit zweideutigem Inhalt (der
übrigens sehr oft ganz unzweideutig und offen ist), die mythologischen Scenen,
denen die Ruhe und Reinheit der alten classischen Zeit abgeht, und selbst
Damenbildnisse, die alle Ehrbarkeit verleugnend, sich am liebsten als Venus,
Danae, Galathea u. s. s. aus den Bildern er blicken. Die Stecher der Zeit haben
das Ihre gethan, um in glänzen den, delicaten Stichen diese "Galanterien" recht
populär zu machen.
In einer solchen Zeit fanden die Künstler vielfach Gelegenheit, sich die
schönsten Modelle auszufischen und selbst vornehme Damen hielten es nicht
unter ihrer Würde, die Reize ihres Körpers zu enthüllen, damit
ihr Bild ja getreu nach der Natur vollendet werde. Mit dem größten Raffinement
verstanden es die Künstler, selbst Gewänder, wenn sie solche anbrachten, so zu
drapiren, daß sie mit solchen Versteckspielen erst recht alle Sinne in Aufregung
brachten.
Daß es selbst bei Damenbildnissen auf einen solchen Sinnenkitzel abgesehen
war, sehen wir auf einem Stich von Chevillet nach I. B. Santerre (1651 bis
1717), dessen Unterschrift "La beaute dangereuse" lautet. Santerre hatte eine
ganze Reihe ganz oder halbenthüllter Damen gemalt, deren Originale offenbar
ihm zum Modell dienten, auch selbst viele gezeichnete Studien verfertigt, die
das offene Geständniß enthielten, daß sie nicht als Studien zu weiteren Arbeiten
dienten, sondern Selbstzweck waren. Zu den Gemälden, die sich allenfalls durch
das gewählte Sujet entschuldigen lassen, gehört die Susanna im Bade, eine recht
schöne, noch anständige Erscheinung, die von Porporati und mehreren anderen
Stechern auf die Kupferplatte gebracht wurde; ein Beweis, daß der Gegenstand
gefiel. Aber die keusche Susanna verleugnet keineswegs ihre Provenienz und
Verwandtschaft mit der französischen Gesellschaft, die alles, nur nicht keusch
war.
Santerre fühlte am Schlusse seines Lebens Gewissensbisse und vernichtete alle
Nuditäten, die seine Hand geschaffen hatte. Eine solche Reue wird sonst von
keinem französischen Künstler des achtzehnten Jahrhunderts berichtet.
Eine rühmliche Ausnahme in der Reihe der französischen Künstler macht
Antoine Watteau (1684 bis 172l). Zwar ist er auch ein Meister galanter
Darstellungen, aber sein Genius hält ihn über der Glorification der bloßen
Sinnlichkeit. Seine Damen sind oder sollen sein Hirtinen von Arcadien, aber
ihre Tracht, die Schlafröcken nicht unähnlich sieht, läßt die Anomalie noch
stärker hervortreten. In den Tändeleien im schattigen Hain, auf blumigen
Wiesen offenbart sich fast durchgehend eine verliebte Spielerei, aber über diese
kommt es nicht heraus. Wenn uns aber auch, eben ihrer inneren Unwahrheit
wegen, diese Schäferscenen nicht befriedigen können, so ist es andererseits die
köstliche Farbengebung, die seinen Bildern einen besonderen Reiz verleiht.
Dazu kommt, daß seine Landschaften, welche von sorgenlosen, nur der Freude
und der Liebe lebenden jungen Leuten bevölkert werden, in der That einem
Paradiese keine Unehre machen. Und doch sind diese in Wonne und
Liebesfreuden schwelgenden vornehmen Hirtenschaaren noch nicht zufrieden;
die Sehnsucht nach reellem Genuß, nach den Freuden der Insel Cythere verzehrt
sie, wie es der Meister in seinem Hauptwerk: "L' embarquement pour l'isle de
Cythere" so herrlich geschildert hat. Schon sind sie alle am Ufer ver-
sammelt, einige in Pilgergewand, ein Paar von Amoretten mit Rosenketten
umschlungen; schon steht das Schiff am Ufer bereit, seine rosa Segel sind von
Genien umschwärmt, einzelne Pilger sind bereits am Bord, die anderen werden
sicher im nächsten Augenblick folgen. So weit führt uns Watteau, das Uebrige,
insbesondere das Leben auf der Insel hat er verschwiegen und unserer Phantasie
überlassen. Das Bild kaufte des Malers Freund Julienne, später erwarb es
Friedrich der Große. Desselben Julienne Gemahlin soll dem Künstler als Modell
zur Allegorie der "Seine" gedient haben.
Sein Landsmann und Zeitgenosse Fr. Boucher (1703 bis 1770)
wirft mit Vorliebe die Maske bei seinen Damen ab, d. h. entkleidet sie, um seine
Mitwelt zu täuschen, es sei die von Dichtern besungene antike Welt neu
auferstanden. Er wird ein Maler der Grazien genannt und mit Recht, wenn diese
französischen Ursprungs sind. Boucher ist unter den Malern seiner Epoche am
meisten verführerisch, weil er stets elegant bleibt, eine vornehme
Auffassungsgabe, eine seine Schönheitslinie und eine raffinirt durchgebildete
Farbensfkala besitzt.
Nicht so bald hat ein Maler so viele Nuditäten gezeichnet und gemalt wie
Boucher. Doch kommt in seinem Werke keine eigentliche Unverschämtheit vor,
wie wir sie bei seinen Nachfolgern so vielfach jedes Schamgefühl verletzen
sehen. Der Grund wird wohl darin liegen, daß er den Namen irgend einer
Nymphe oder Göttin als Feigenblatt brauchte. "Geburt der Venus, Venus im
Bade, Venus bei der Toilette" u. s. f. Aber es war keine Venus Urania, die er
verherrlichen wollte, sondern die Venus Pandemos, die Göttin der sinnlichen
Liebe. Das offenbart das blühende Fleisch, schwellend vor Uebermuth, mit
verführerischen Hautgrübchen versehen, in denen Amoretten ihr Versteckspiel
treiben können, dahin zielen die koketten Lagen und Stellungen und selbst die
Gewänder, wo sie vorkommen, erscheinen nur als Mittel, das Nackte noch
besser zur Geltung zu bringen.
Zwar finden wir in antiker wie in classischer italienischer Kunst auch genug
nackte Frauenkörper, aber die wahre, ideale Kunst wußte das Nackte mit
Schönheit und Scham zu bekleiden, Boucher's Nymphen und Göttinen sind aber
weibliche Wesen, die nicht nackt, sondern entkleidet erscheinen, sie setzen ein
Kleid voraus, dessen sie sich entledigten.
Natürlich muß hier an Modelle gedacht werden, deren sich der Künstler
bediente. Die vielen Zeichnungen mit nackten weiblichen Acten bestätigen diese
Vermuthung. Boucher hat viel nach der Natur gezeichnet, aber sein Studium
dabei war kein tiefes. Immer hat er die Form nur oberflächlich aufgefaßt, nicht
die Natur des Modelles streng
verfolgt, sondern ein allgemeines Schema des weiblichen Körpers sich bildend,
das Gesehene in dieses Schema eingezwängt. Alle seine Frauengestalten
erscheinen gleichsam nach einem Leisten fabricirt. Das nannte er die Natur
idealisiren.
Als Boucher jahrelang nach lebenden Modellen gezeichnet und gemalt hatte,
gab er das Modellstudium ganz auf und construirte die Körper aus dem
Gedächtniß, aus dem Stegreif.
In dem lebensfrohen Paris, seiner Vaterstadt, mögen ihm viele und schöne
Modelle zu Gebote gestanden sein. Ihre Namen kennt Niemand; man sieht sie
wie wandelnde Schatten in den Gemälden, ihre sonstige Existenz ist der
Vergessenheit verfallen.
Bei Boucher fällt aber doch ein Sonnenstrahl in dieses dunkle Gebiet. Sein
gewöhnliches Modell war ein Fräulein Murfi (die Pariser nannten sie die kleine
Morfil), eine geborene Irländerin und Schwester des officiellen Modells der
französischen Akademie. Sie hatte eine traurige Beförderung erfahren.
Pompadour hatte durch Boucher eine heilige Familie malen lassen, in welcher
die Madonna das Bildniß des Modells sein sollte. Wie die Bestellerin
vorausgesehen, wollte der König das Original der Madonna besitzen und so
wurde Murfi das erste Opfer des berüchtigten Hirschparks.
Die Pompadour, welche den Künstler sehr begünstigte, war auch Künstlerin;
Boucher war ihr Lehrer, ihr Rathgeber bei allen künstlerischen Plänen, ja ihr
Freund. Oft hat sie der Künstler portraitirt.
Damit sie den König mit allen Reizen an sich fessele und seine er sterbende
Sinnlichkeit neu anfache, mußte Boucher eine Folge von Bildern malen, die mit
einer Idylle begann und mit priapischem Cynismus endete.
Es liegt keine Unwahrscheinlichst in der Annahme, daß die Bestellerin dem
Künstler für eine so delicate Angelegenheit selbst zum Modell diente.
Auch Damen der Bühne sollen ihm denselben Dienst geleistet haben, die Favart
soll ihm für seine Hirtinen, die Deschamps für die Göttinen Modell gestanden
sein.
Boucher war auch seit 1733 vermählt; seine Frau, Marie Jeanne Buseau, zählte
da siebenzehn Jahre und war sehr schön. Ob auch sie der Gegenstand seiner
Studien nach der Natur war, wird nicht erzählt.
Studien, Zeichnungen, Skizzen nach dem lebenden Modell pflegten sonst die
Künstler gering zu schätzen, besonders wenn sie bereits für ein Bild ihre Dienste
geleistet hatten. Man schob sie entweder in ein dunkles Portefeuille hinein oder
nagelte sie an die Wände des Ateliers. Boucher
war der erste, der sie zum Gegenstand der Speculation machte. Vielleicht ist es
diesem Umstande zu verdanken, daß sich so viele von ihm erhalten haben. Zum
Ueberfluß haben Demarteau, Bonnet und Andere sie in Zeichnungsmanier
gestochen und vervielfältigt. In diesen Blättern offenbart sich des Meisters
Modell noch am lebendigsten.
Nicolas Lancret (1690 bis 1745) verfügt zwar über eine vornehme
Charakterisirung, aber er macht seiner Zeit bereits große Zugeständnisse. Er
nimmt zu keiner Mythologie Zuflucht; seine Compositionen setzt er mitten in
das Leben, darum er auch selten nackte Körper darstellt, dagegen trotz aller
vornehmen Eleganz der Darstellung die Apotheose des Sinnenkitzels predigt.
Wenn Watteau seine verliebte Gesellschaft nur bis zum Boote führte, das seinen
Tours nach der Infel Cythere nimmt, so ist Lancret mit den Gebilden seiner
Kunst, wie auch die meisten seiner Nachfolger, bereits auf der Insel und
schildert die Freuden und Genüsse, die hier geboten werden. Seine weiblichen
Modelle gehören nicht jener Classe von Mädchen an, die das Studium ihres
Körpers um Geld zulassen. Wo mag nur Lancret das Modell gestochen und
benützt haben, das sich in seiner Composition: der Abend (in den vier
Tageszeiten) ausspricht? Lancret bezog die Stoffe zu seinen Bildern gern aus
Boccaccio's Decameron und er verstand es, die oft mehr als verfänglichen
Scenen recht artig und so decent als möglich vorzuführen. So cynisch wie seine
Nachfolger, die dasfelbe Werk illuftrirten, verfuhr er nicht; aber er ist eben
darum um so gefährlicher, weil die Schlange unter schönen Blumen sich
verkriecht, weil er den Beschauer zwingt, nachzudenken und die Scene bis zu
ihrer Pointe zu verfolgen.
Sein Mitarbeiter in dieser Richtung war J. B. Pater (1695 bis 1736), der in
gleichen Bahnen wandelt und in gleichem Geiste arbeitet. Auch er hat sich auf
Boccaccio geworfen, d. h. infofern der italienische Kobold in Lafontaines
Erzählungen neu auferstanden ist.
Das achtzehnte Jahrhundert sah in Frankreich sehr viele Künstler auferstehen,
die ihren Künstlerruf nicht so sehr mit dem Pinsel im Salon als mit Radirnadel
und Grabstichel in der Buchdruckerei begründeten. Es sind die Illustratoren der
Literatur. Letztere gehört entweder der classischen Zeit an, indem Homer,
Virgil, Anakreon, Theokrit und in erster Reihe Ovid neu ausgelegt und mit
zahlreichen Illustrationen verziert wurden.
In Ovid's Metamorphosen fand die französische Geselschaft ins besondere einen
ihr zusagenden Text, der von den Künstlern mit lebhafter Befriedigung
aufgenommen wurde, da sich hier viele galante Liebesscenen
anbringen ließen, die durch den göttlichen Charakter der handelnden Personen
gedeckt waren. Aber auch die zeitgenössische Literatur bot überreichen Stoff
dem Zeichenstift, ja zuweilen wurden Bücher einem Künstler zu lieb
geschrieben, gleichsam wie ein Kleid ihm angepaßt. Solche von berühmten
Künstlern illustrirte Werke fanden einen großen Absatz, wobei freilich zuweilen
der Text wenig, die Illustration Alles galt. Heutzutage werden solche Werke
ungemein gesucht und sehr hoch bezahlt, auch wieder nicht des Buchtextes
sondern der Illustration wegen. Diese sind auch mit großer Delicatesse
ausgeführt und lassen zuweilen, eben weil sie nicht im Salon die Oeffentlichkeit
zu scheuen haben, auch das letzte Gewand fallen.
Die besten Illustratoren, die viel beschäftigt wurden. mußten auch viel zeichnen.
Ein fleißiges Studium nach der Natur muß vorausgesetzt werden. Ueber diese
Studien, über die Modelle, welche die Illustratoren benützten, wird
geschwiegen. Hat sich ein Künstler ordentlich eingeübt und eine reiche
Sammlung von Acten gezeichnet, dann wird er freilich, wie Boucher, auch
Vieles aus dem Stegreif hinzuwerfen verstanden haben.
Dies vorausgesetzt, können wir uns bei den einzelnen Meistern dieses Genres
kürzer fassen. Unter diesen hatte und hat bis aus den heutigen Tag H. F.
Gravelot (1699 bis 1773) einen berühmten Namen. Wie sind seine Frauen, die
man in Paris "die göttlichen" nannte und die er so lebendig in seinen
Darstellungen in Scene setzt, hübsch, man kann sagen appetitlich, mit ihren
Locken unter dem flatternden Häubchen, ihrer seinen Taille, die Brust und die
Arme umrauscht von Spitzen und Bändern! Man möge ihnen begegnen wo
immer, bei Festlichkeiten, auf Bällen auf Promenaden, immer erscheinen sie wie
die Feen oder Nymphen, die ein Fest aus Cythere begehen, fröhlich, lachend, im
munteren Gespräch, als Wesen des goldenen Zeitalters in der Mode des achtzehnten Jahrhunderts.
Sein Geistesverwandter ist C. N Cochin jun. (1715 bis 1790).
ihm wurden die Illustrationen der Hoffeste übertragen, der freudigen sowohl
(Repräsentationen, Bällen als der traurigen (Leschenpomp). Wenn man bedenkt,
daß bei solchen Gelegenheiten die ganze hohe Damenwelt vertreten war, daß
jede der Damen vom Künstler eine exakte Nachbildung ihrer Person und noch
mehr ihres Anzuges erwartete, so werden wir begreifen, daß der Künstler
glücklich im Auffassen und fleißig im Zeichnen sein mußte, um es allen
Hofnymphen recht zu thun.
Wir überraschen Cochin bei einer Darstellung, die er oft wiederholt; es ist, als
ob es eine Erinnerung aus der Zeit seiner akademischen Lehr-
zeit wäre, welcher er, Meister geworden, seine Huldigung darbringt. Auch
unserem Gegenstande hat er damit einen erwünschten Beitrag geliefert, indem
wir uns nun vorstellen können, wie zu seiner Zeit das officielle Modell der
Akademie benützt wurde. Der Künstler versetzt uns in einen Actsaal der
Akademie. Auf erhöhter Tafel sitzt in der Mitte ein Mädchen als Modell. Die
junge Dame hat eine elegante Toilette und trägt in den Haaren einen
Lorbeerkranz. Vor ihr sitzen fünf junge Schüler der Akademie, welche sie
zeichnen, aus der anderen Seite drei Lehrer, darunter Cochin selbst, welche den
Unterricht beaufsichtigen. Es ist, wie die Unterschrift des Stiches besagt, ein
Concurs, es handelt sich um die Erlangung des Preises im Zeichnen der Köpfe
und des Ausdrucks. (Siehe Abbildung.)
Nun freilich wird kein Modell irgend einen bestimmten, ihm aufgetragenen
Gesichtsausdruck überhaupt oder doch anhaltend zur Schau tragen können, auch
wird der befohlene Ausdruck irgend einer Leidenschaft unwahr, unnatürlich
werden. Man kann doch nicht auf Commando Liebe, Haß, Neid, Reue, Trauer u.
s. f. natürlich darstellen, wenn man diese Gefühle nicht wirklich empfindet. Die
Schauspieler können es wohl, aber erst durch vieles Studium, nicht nach dem
still sitzenden Modell, sondern nach dem bewegten Leben, und hier eben muß
der Künstler seine Studien machen, wie wir bei Leonardo gesehen haben. Der
Schauspieler ahmt die Affecte nach und wird dabei von der Sprache, den
Gesten, der Bewegung unterstützt, was man dem sitzenden oder stehenden
Modell nicht zumuthen kann.
Diderot hat sich in seinem "Versuch über die Malerei" über das Modellstehen
gewaltig ereifert, aber er schüttet das Kind mit dem Bade aus. Man darf eben
vom Modell nicht erwarten, was es nicht geben kann Charakterausdruck, heftige
Thätigkeit, die als Bewegung zu denken ist. Solches muß auf der Straße, im
Menschengewühl u. s. f. studirt werden. Aber ganz umgehen kann der Künstler
das Modell nicht.
Diese Wahrheit hat auch C. A. Vanloo (1705 bis 1765) in einem allegorischen
Gemälde betont. In vier Bildern, die eine zusammen hängende Folge bilden
(jetzt in Lustheim bei Schleißheim), stellte er durch Kindergruppen die Malerei,
Plastik, Architektur und Musik dar. Der Künstler ließ keine ätherischen Wesen
von den Wolken herabsteigen, daß sie ein lebendes Bild seiner Allegorien
vorstellen, sondern verwendete zu diesem Zwecke Kinder, Mädchen wie
Knaben, etwa im Alter von zehn Jahren. Die Malerei, die uns allein hier
interessirt, ist durch drei Kinder dargestellt, und erscheint als ein Zeichner und
Maler nach dem nackten Modell. Ein Junge sitzt vor der Staffelei, ein zweiter
neben
ihm mit dem Zeichenbrett, beide machen Studien nach dem Leben. Links steht
das fast nackte Mädchen, eine kokette Verschämtheit heuchelnd, an einen
Kasten halb gelehnt; während die Jungen recht prosaisch nur in ihre Arbeit
vertieft sind, sieht man deutlich, daß ihr Modell ihnen über den Kopf gewachsen
ist und in der ganzen Situation etwas mehr als ein bloßes Spiel sieht. Aber eben
dieses Heraustreten aus der Allegorie ist nicht zu rechtfertigen. Das Pikante, was
eben in dieser Uebertragung des sexuellen Verhältnisses auf das Kindesalter
liegt, hat leider seitdem so manchen Künstler verführt, sich in ähnlichen
Tändeleien zu versuchen. Wo alte classische Meister das reife Leben durch
Kindergestalten darstellen ließen, da thaten sie es anders, unschuldig, edel, fein;
gleichsam in einem Räthsel, dessen Sinn nur den Eingeweihten verständlich ist.
Derselbe Künstler hat noch ein großes Bild gemalt, welches man "des Meisters
Atelier" nannte. Vanloo sitzt bei der Staffelei und malt eine schöne, junge,
vornehme Dame, die sich mit dem im Grunde sitzenden bärtigen Türken zu
unterhalten scheint; dieser wird Pascha titulirt, denn die Unterschrift des nach
dem Bilde von Lepicie ausgeführten Stiches verräth uns das Geheimniß: der
Pascha läßt sein Liebchen malen. Also eine Art Alexander und Pankaste, doch
zweifeln wir, daß die Affaire für Vanloo so enden wird, wie einst für Apelles.
Wollen wir einen Künstler, einen Illustrator nennen, der uns so recht die Zeit, da
Pompadour herrschte, charakterisirt, so müssen wir uns mit Charles Eisen (1720
bis 1778) bekannt machen. Er war ein Liebling der reichen, vornehmen Kreise;
haben wir seine Kunst kennen gelernt, so werden wir auch gleich wissen, wie
seine Verehrer beschaffen waren. Auch Eisen griff zu Lafontaines Contes, dieser
unerschöpflichen Quelle der erotischen Künstler, diesem Gebetbuch der
jeunesse doree. Dann illustrirte er Grecourt's Gedichte, die "Sinne" von du
Rofoy und schließlich die "Küsse" für Dorat. Für jeden "baiser" (es sind ihrer
zwanzig verschiedener Art) componirte Eisen zwei Zeichnungen, die alle von
Longeuil trefflich gestochen sind. Es ist das galanteste Werk, das unter "der
Sonne" eines Ludwig XV. das Licht der Welt erblickte, und das will gewiß viel
sagen. Cochin fand hier Gelegenheit, seine fleißigen Studien nach der Natur
sagen wir nach sehr galanten Modellen zu verwerthen. Das Werk war gleich
beim Erscheinen sehr theuer; Grimm bemerkte sarkastisch: ..Kein Fräulein der
Oper verkaufe ihre Küsse so theuer, wie Dorat die seinen."
Wenn eine Sache rechten Anklang findet, so fehlt es nicht an Nachahmern.
Cochin's "Küsse" haben gleichfalls einen zweiten Künstler
angeeifert, denselben Gegenstand mit seiner Kunst zu illustriren. Dieser
Künstler ist Jean Honore Fragonard (1732 bis 1806), ein Schüler Boucher's,
dessen Geist auf ihn überging. Dieser hatte einen Preis erworben und sich damit
den Weg nach Rom gebahnt. Freilich hatte die italienische Reise auf seine Kunst
nicht den geringsten Einfluß geübte wie er hinging, so kam er wieder, ein Maler
der sinnlichen Liebe.
Die Classiker der italienischen Kunst scheinen für ihn gar nicht dagewesen zu
sein, er ging an ihnen achtlos vorüber, um Einzelnes von Tiepolo und Solmiena
zu copiren. Die flüchtigen Radirungen, die er nach diesen Zeichnungen
ausführte, beweisen, wie leicht er auch diese Epigonen nahm. Für die
Kunstrichtung, die ihm Lorbeerkränze und Geld bringen sollte, brauchte er
Studien nach der Natur und zwar nach der französischen Natur, die in ihren
Adern Feuer statt Blut hat. Und er fand zu Hause auch Gelegenheit genug,
solche Studien zu machen. Er verherrlichte in seinen vielen Compositionen die
Liebe, aber nicht die stille, keusche Liebe, die vor der Oeffentlichkeit zittert und
sich in ihr Inneres zurückzieht, um nicht von profanen Augen entwürdigt zu
werden, sondern die Liebe, wie sie die Sterne, die den französischen Thron
umschwärmten, ausfaßten, jene Liebe, die ihre Nahrung in galanten Abenteuern
sucht, eine Liebe, deren Priesterinen halb düstere Alkoven mit dem rosigen
Glanz ihrer nackten Körper erhellen.
War die Phantasie des Künstlers einmal von diesem unheiligen Feuer entzündet,
so brachte sie ein wunderbares Geschlecht hervor. Oft ist diesen Gebilden der
Witz nicht abzusprechen, und man bedauert nur, daß er in solchen Sphären
leuchtet. Wie Boucher, findet er eine Lust darin, die nackten weiblichen Körper
zu verherrlichen, aber diese Schönheiten, die des Gewandes entbehren, sind
weder Göttinen noch badende Nymphen oder Hirtinen, wie bei seinem Lehrer,
er versetzt sie in die wirkliche prosaische Wirklichkeit und muß darum auf eine
Pointe bedacht sein, welche die Enthüllung motivirt. Das Bett wird für ihn der
günstigste Schauplatz zu diesem Zwecke; der unruhige Schlaf der Schönen,
verschuldet durch verliebte Träume, derangirt natürlich das Hemd, ein günstiger
Umstand für den sie belauschenden Künstler. Noch halb vom Schlaf befangen,
wird eine Andere, wollüstig auf dem Bett ausgestreckt, ihres Hemdes beraubt,
Amor fliegt herbei und zieht es ihr von den erhobenen Armen hinweg. "La
chemise enlevee" ist der Titel des nach dem Bilde verfertigten Stiches. Und
diese Darstellung gehört noch zu den decenteren des Meisters.
Wohin verführt aber der Zeitgeist denselben bei seinen vier Bildern der
Elemente? oder bei der "Bascule" Auch "le Hasards heureux de l'Es
Carpolette" ist hierher zu rechnen, wenn auch die Erfindung dem Künstler nicht
gehört, sondern dem Besteller des Bildes. Man sieht, wie durch die Künstler die
Phantasie der Kunstliebhaber in Thätigkeit gesetzt wurde, daß sie selbst
dergleichen erfanden. Doyen hieß der Besteller, die Aufgabe für Fragonard
bestand darin, dessen Geliebte auf der Schaukel darzustellen, die ein Abbe in
Bewegung setzt, während der Liebhaber vorn dem Fluge seiner Göttin zusieht.
Mit solchen Scenen ist das Werk des Künstlers mehr als reich besetzt.
Auch das Atelier eines Malers führt uns Fragonard in einer Sepiazeichnung vor;
dieses Atelier befindet sich in einer Scheune. Ueber Strohbündeln sitzend, wird
ein dralles Landmädchen vom jungen Maler auf die Leinwand gebracht da
stürmt ein anderer junger Mann herein und sucht mit Gewalt das Modell zu
umarmen und zu küssen, wirft aber mit seinem Fuße die Staffelei mit dem Bilde
um. "La culbute" heißt das Bild, könnte aber auch "Die unterbrochene Sitzung"
heißen.
Wir haben uns nun schon lange genug bei den galanten Malern des achtzehnten
Jahrhunderts aufgehalten, um den Charakter ihrer Kunst kennen zu lernen und
daraus die Belehrung zu gewinnen. welcher Art ihre Modelle und die Benützung
derselben gewesen ist.
Was wir sonst noch über einzelne Künstler desselben Jahrhunderts beibringen,
soll sich strenger im Kreise unseres Gegenstandes halten.
Joh. Bapt. le Prince (1733 bis 1781) war gleichfalls ein Schüler Boucher's, aber
er trat weder in dessen Fußtapfen, noch ließ er sich vom herrschenden Geiste
hinreißen. Er geht auf ernstere Ziele hin und wenn wir ihn hier in der
Gesellschaft der galanten Maler nennen, so bietet uns ein Gemälde von seiner
Hand dazu Gelegenheit, welches ein Maler-Atelier und zugleich die Benutzung
weiblicher Modelle vorführt.
Der Maler (es dürfte des Künstlers Eigenbildniß sein) sitzt vor der Staffelei und
malt einen mythologischen Gegenstand. Auf erhöhtem Trittbrett stehen vor ihm
zwei nackte weibliche Modelle, denen le Prince in der That schöne Körper
verliehen hat das eine Mädchen, von vorn gesehen, hält ein Blumengewinde, das
andere, den Rücken zeigend, umarmt das erstere und hält die Rechte in die
Höhe. Um nicht in dieser schweren Pose zu erlahmen, kann sie mit der rechten
Hand eine Schnur fassen. Der Kunstfreund, vielleicht auch Besteller des Bildes,
steht hinter dem Maler, eine Alte bringt Theegeschirr herein, mit den Blicken
fragend, ob bald eine Pause gemacht und ein Imbiß zur Stärkung genommen
wird. Das Bild befand sich im Cabinet des Barons de Breteuil. (S. Abbildung.)
Von nun ab wiederholt es sich oft, besonders bei französischen Künstlern, daß in
ihren Werken das Modell als solches aus der Verborgenheit hervortritt und die
Rolle, als Object für das Studium nach der Natur zu dienen, aufgiebt und
Hauptgegenstand der Darstellung wird. Bis in die neueste Zeit beschäftigt uns
vornehmlich die französische Kunst mit dem Charakter, der Lebensweise, den
Gebräuchen ihrer weiblichen Modelle. Es hat sich in dieser Hinsicht bereits ein
so reicher Stoff angesammelt, daß man füglich über die Natur, die
Gewohnheiten, den Charakter moderner Modelle eine cultur- und
naturgeschichtliche Abhandlung verfassen könnte.
Le Prince führt uns zwei Modellfiguren vor; wir wissen nicht, ob sie durch das
zu malende Werk bedingt sind, oder ob der dargestellte Maler das Beispiel des
Zeuxis nachahmen will.
P. A. Baudouin (1723 bis 1769) hat uns gleichfalls einen Blick in ein MalerAtelier erlaubt. ."Le modele honete" betitelt sich das Bild. Was will uns der
Künstler sagen? Daß es unter den Mädchen, die um's Geld ihre Reize dem Maler
bloßstellen, auch Wesen giebt, die damit keine weitere Freiheit dem ihr
gegenüber sitzenden Manne ein räumen? Daß sie, obgleich dem gewöhnlichen
Auge in ihrer freiwillig vollzogenen Entblößung als unverschämt erscheinend,
im Grunde des Herzens doch unverdorben und sittsam sind und ihre Tugend
vertheidigen können ?
Der Meister des Bildes (s. Abbildung) kann Recht haben; das sich sträubende
Modell hat der dargestellte Maler sicher nicht von der Straße aufgehoben, er
braucht einen schönen, unentwegten Körper für sein Gemälde der Venus und
das schöne Kind ist mit Erlaubnis und in Begleitung der Mutter hier; nicht die
Furcht vor einem feindlichen Angriff ist in ihrem sich verbergenden Gesichte zu
lesen, sondern die Scham, in diesem Zustande vor den Augen eines Mannes zu
erscheinen. Und sicher ist sie zum ersten Male in diese Lage gekommen. Indem
Baudouin dies Alles in seinem Bilde vortrefflich zum Ausdruck bringt, hat er
ein Werk geschaffen, das seinen psychologischen wie Kunststudien alle Ehre
macht. Dagegen hat er in den "Vier Tageszeiten" (gestochen von Ghendt) der
Frivolität alle Freiheit zugestanden.
Gerade das Gegentheil führt uns I. Fr. Schall vor die Augen. Der Künstler, von
den Franzosen auch Challe geschrieben, hat uns gleichfalls zu Zeugeu einer
Modellsitzung im Atelier gemacht. Hier stört kein Kunstfreund den Künstler
und sein Modell, das links erhöht sitzt. und der farnesische Hercules, dessen
Standbild im Grunde steht, wird das Paar nicht stören, wendet auch von der
Scene den Kopf hinweg. Der
Maler, der zwei Nymphen malt, zu deren einer ihm das nackte Mädchen sitzt,
scheint die Erfahrung gemacht zu haben, daß in ihm neben dem Künstler auch
der Mensch steckt, der das classische "humani nihil a me alienum puto"
zu seiner Devise macht und in vollem Ernst dem gar nicht spröden Modell seine
Herzenshuldignng darbringt, wobei ihm sicher das Oel aus dem Näpfchen an der
Palette abhanden kommen wird. (S. Abbildung.)
Hat uns der Künstler in sein Atelier geführt? Hat er in dem dargestellten Maler
sein Eigenbildniß gegeben? Wir wissen es nicht, wollen es auch ohne genügende
Beweise nicht glauben, obwohl Schall's Kunstweise sich nicht allein mit leichten
Galanterien befaßt, sondern leider nur zu oft hart an der Grenze des Erlaubten
herumschweift. In ein anderes Künstleratelier hat er eine Illustration nach den
"Contes Lafontaines" versetzt. Der Inhalt ist nicht recht mittheilbar; wem der
seltene Stich nach dem Bilde, betitelt "le baste" nicht zugänglich ist, möge die
gleichnamige Erzählung bei Lafontaine, dem "ungezogenen Zögling der
Grazien" nachlesen. Noch vor Schall hatte Vleughels dieselbe Scene gemalt
(und Larmessin glänzend gestochen), aber Vleughel's Darstellung ist, so weit der
Gegenstand es erlaubt, anständiger gehalten, auch künstlerisch vollendeter.
N. Lavreince (1746 bis 1808), von Geburt ein Schwede, hat in Frankreich seine
Studien gemacht und malte in Oel und Guache im Charakter der französischen
Libertinage. Fragonard scheint durch seine freiesten Compositionen ihn in's
Schlepptau genommen zu haben und dessen Stücke "le lever des ouvrieres en
modes" und l' ecole de danse (gestochen von Dequevauviller) reihen sich, wenn
auch nicht in der künstlerischen Auffassung, doch im Charakter des Stoffes an
die "Vier Elemente" von Jenem an. Mit seinen "Nymphes scrupuleuses" und "la
balancoire mysterieuse" (gestochen von Vidal) bekennt er sich aber zu den
freiesten Grundsätzen eines Schall. Beide haben das gemein, daß sie ihre
nackten Modelle nicht einmal richtig zeichnen konnten. Um dieses war ihnen
offenbar auch nicht zu thun, sie wollten eben nur die höchste Sinnlichkeit
glorificiren.
Noch am Schlusse des Jahrhunderts erfreut uns P. L. Debucourt (1755 bis 1832)
mit einer Scene, die sich im Atelier abspielt. Ein häßlicher Alter sprach zum
jungen Künstler:
Herr Maler, mal' er mir natürlich seine reizende junge Geliebte. Das ist oft da gewesen und der Maler
that seine Schuldigkeit und noch mehr, er verliebte sich in sein
nettes, kokettes Modell im reizenden Costume der Zeit. Nur der große Kranz
von weißen Rosen auf ihrem Haupte scheint nicht ihre Erfindung zu sein; er
sollte ein Seitenstück zu seiner weißen Perrücke bilden und ist offenbar vom
Besteller angeordnet worden. Dieser hat noch mehr gefordert: Der Maler mußte
neben das Mädchen auch ihn anbringen, und zwar in dem Momente, wie er sich
zu der Sträubenden neigt, um sie zu küssen. Dem Maler ist dies Alles sehr
gelungen, der Alte, wie die Junge sind im Bilde sehr getroffen, der Winter neben
dem Frühling! Der Besteller sitzt im Lehnstuhle vor der Staffelei und betrachtet
mit Vergnügen das Bild; hinter seinem Rücken reicht das Modell dem Maler,
der ihre Hand küßt, ein Briefchen. Debucourt hat seine Composition vortrefflich
in Farbendruck ausgeführt, das Blatt führt den Titel: "La feinte caresse ou le
deux baisers". Es könnte auch heißen: "Der betrogene Liebhaber." Das Blatt
erschien 1786 und ist äußerst selten.
Die Damenwelt, von der Kunst in allen Richtungen ihres Modelebens zum
Gegenstande von Ovationen erwählt, scheint in Frankreich in dem Jahrhundert
des Sinnen-Cultus an den Mysterien des Ateliers selbst lebhaftes Interesse
genommen zu haben. In den gesellschaftlichen Zusammenkünften, wo über
Philosophie und die schöngeistige Literatur lebhaft disputirt wurde, hatte auch
die Kunstwelt ihre Vertreter und die Verwendung des Modells, die
Notwendigkeit desselben zum Studium nach der Natur war den Damen ebenso
klar gemacht worden, wie das Studium nach den großen italienischen Meistern
oder nach der Antike.
In welcher Weise dann der Gegenstand weiblicher Schönheit, so weit er in das
Gebiet der Kunst hineinreichte, von den Damen selbst praktisch untersucht
wurde, darüber dürfte uns ein Bild des oben genannten Schall, welches Dupreel
gestochen hat, Auskunft geben. In einem Parke das der Gegenstand des Bildes
haben sich viele junge Damen am Ufer eines Teiches im schattigen Dunkel
versammelt, um bei Confect, Wein und Obst sich geselligen Vergnügens zu
erfreuen. Der sonnige Tag ladet dann zur Erfrischung im kühlen Wasser ein.
Schon haben sich mehrere entkleidet und tummeln sich in den Fluthen herum. In
der Mitte des Bassins steht auf dem Piedestal eine Nachbildung der berühmten
Venus Kallipygos. Das giebt der munteren Gesellschaft Gelegenheit, auch
einmal Kunststudien anzustellen und die lebendige Natur mit der antiken Kunst
zu vergleichen. Schon haben sich zwei Mädchen auf das Piedestal
emporgeschwungen, stellen sich in gleicher Attitude neben die marmorne Göttin
und zeigen der
Gesellschaft das, was auch bekanntlich die Göttin mit gerechtem Stolze enthüllt,
das Kunsturtheil der Freundinnen erwartend.
Wenn Schall Augenzeuge einer solchen Scene gewesen ist, dann hätte er
beneidenswerte Modelle gehabt und einen lehrreichen Vergleich der lebenden
Natur mit der classischen Kunst anstellen können. Aber den französischen
Künstlern des verflossenen Jahrhunderts war das lebende Modell alles, die
antike Kunst wenig oder gar nichts.
VI.
Wir sind bei der Neuzeit angelangt. Was die großen Künstler der Renaissance
anstrebten, das sollte wieder in's Leben treten, eine zweite Renaissance
inaugurirt werden. Die Antike wurde wieder aus der Rumpelkammer
hervorgeholt, das Studium nach der Natur angepriesen; die Zeichnung sollte
dem Raphael abgesehen, die Farbe dem Tizian, das Helldunkel dem Correggio
abgelauscht werden. Man vergaß aber zu melden, woher man das Genie holen
soll.
Man hat es in Frankreich erlebt, wohin die zweite Auflage der Renaissance
führte. David glaubte classisch zu sein und wurde theatralisch; der hohle Pathos
sollte den Geist ersetzen.
In Italien trat Natale Schiavone (1777 bis 1859), ein verspäteter Nachtreter der
französischen galanten Malerei, auf. Von dieser erbte er die Vorliebe für das
Nackte, den Tizian wollte er in der Auffassung erreichen. Aber er war weder so
witzig wie die Franzosen, noch so tief wie Tizian. Seine Stärke (wenn sie
überhaupt so genannt werden darf) bestand in der Darstellung süßlicher
Madonnengesichter und halb entblößter Mädchen in verschiedenen Stellungen,
wobei es daraus hauptsächlich ankam, schön gedrechselte Busen und Arme
vorzuführen und sonstige Nuditäten anzubringen. Da wir überall demselben
Gesichte begegnen, so muß der Künstler ein festes Modell gehabt haben. Schön
war das Mädchen unstreitig, die seiner Kunst ihre Reize lieh; eine classische
Schönheit war es freilich nicht und der Künstler wußte aus der hübschen
Soubrette auch weiter nichts zu machen, er gab sie, wie er sie
sah. Die zierliche Malerei machte dann seine Bilder für die Sinnlichen recht
verführerisch. Wo er der Decenz wegen Gewänder anbrachte, da sollte das offen
Gebliebene eine Recommendation des Verhüllten sein.
Ernster faßte Anton Canova (1757 bis 1832) seine Kunst auf. Als Bildhauer war
er darauf angewiesen, seine Werke, die Statuen, auch die völlig nackten, mit
dem Gewande der Unschuld, der Absichtslosigkeit, zu bekleiden. Canova war
eben ein großer und echter Künstler, wenn er auch die antike Kunst nicht
erreichte. Die leichte Grazie, die er seinen weiblichen Gestalten zu leihen wußte,
machte ihn zum Liebling der Hohen und Reichen. Er wurde mit Aufträgen
überhäuft.
Eines seiner Werke ist für uns hier besonders interessant, weil es uns mit seinem
Modelle (freilich keinem ständigen) bekannt macht. Und dieses Modell diente
nicht gegen Bezahlung und gehörte nicht der niederen Schichte der Gesellschaft
an; im Gegentheil, einem hohen Geschlechte. In der Villa Borghese befindet
sich eine Venusstatue aus Marmor. Die Göttin, deren Füße nur ein leichtes
Gewand deckt, ruht nachlässig, mit gehobenem Oberkörper auf einer Ottomane,
mit der Rechten leicht den Kopf stützend. während die Linke den Parisapsel
hält. Es ist eines der schönsten Werke Canova's, bis in die geringsten Falten und
Fältchen der Polster fleißig durchgeführt. Wenn man den Kopf näher und
aufmerksam betrachtet, so wird man bald zur Ueberzeugung kommen, daß man
es hier mit keinem allgemeinen Bilde, sondern mit einem Portrait zu thun hat.
Und so ist es auch. Es ist das Portrait der Fürstin Pauline Borghese, einer
Schwester Napoleon's I. Und nicht allein der Kopf ist ihr Ebenbild, sondern der
ganze Körper, den der Künstler nach dem lebenden Modell gebildet hat. (S.
Abbildung.)
Dieser Umstand, daß es eine schöne, junge Fürstin für keine Schande ansteht,
sich in solcher Weise einem Manne zu zeigen, beglaubigt Alles, was wir bei
Tizian über ähnliche Situationen geäußert haben.
An die Sitzungen des fürstlichen Modells knüpft sich eine Anekdote, die wir
hier nicht verschweigen können. Als die Hofdame, welche den Sitzungen
beiwohnen sollte und vernahm, um was es sich handele, ihr Befremden darüber
äußerte, daß sich ihre Herrin ohne Gewand hinlege, meinte diese naiv: "Glaubst
Du, daß ich mich erkälten werde? Dann kann ja eingeheizt werden". Ist es auch
nur eine Anekdote, so ist sie doch gut erfunden, um die Denkungsart der Zeit zu
charakterisiren.
In der Neuzeit begegnen wir in Bezug aus das weibliche Modell einem
eigentümlichen Umstande. Fast bei allen älteren Künstlern verbarg sich das
Modell in ein unnahbares Dunkel und wir hatten oft Mühe genug, an der Hand
der Kunstwerke, wenigstens die Spuren des selben auszusenden. Es waren nur
seltene Fälle, daß der Künstler dem selben erlaubte, über den Rand des Bildes
hervorzulugen, um uns zu erlauben, dessen Bekanntschaft zu machen. Im
vorigen Jahrhundert begannen französische Künstler, wie wir gesehen haben,
das weibliche Modell aus seiner dienenden Stellung emporzuheben und es zum
Gegenstande des Bildes selbst zu machen. Das Modell war nicht bloßer
Gegenstand des Studiums mehr, sondern trat auf die Bühne des Künstlers, wie
nur je ein Feldherr für den Historienmaler, wie die Bürgersfrau oder das
Landmädchen für den Künstler des Sittenbildes.
Wir wollen nicht darüber rechten, ob es recht war, das, was im Atelier während
der Arbeit hinter der Leinwand des Bildes vor sich ging, vor die Oeffentlichkeit
zu bringen. Wo man früher in solchen Lagen die Jungen anbrachte, welche die
Farben dem Meister rieben, will man jetzt dem kunstliebenden Publikum zeigen,
was hinter den Coulissen geschieht, was geschehen muß, um dieses oder jenes
Gemälde fertig zu bringen.
Ein culturgeschichtliches Moment ist der Sache nicht abzusprechen, und so
nehmen wir diese, wie sie sich uns darstellt.
Wir begegnen hier einem gefeierten Namen aus der Kunstwelt, dem Lorenz
Alma Tadema. Er führt uns in das Atelier eines Bildhauers ein, der nach dem
lebenden Modell eine Statue bildet. Bekanntlich entlehnt der Künstler die Stoffe
für seine Bilder der antiken Welt, in der er trotz dem besten Archäologen
vollkommen heimisch ist. Und so dürfen wir hier auch nicht das Atelier eines
modernen Bildhauers und nicht ein Modell von heute erwarten, sondern aus
längst vergangenen Tagen. Der Künstler führt uns einen griechischen Bildhauer
vor, welcher eine Statue der Venus modellirt. Der Künstler und sein Werk
stehen im Hintergrunde des Bildes; vorn, auf einem erhöhten Podium sieht man
en face das lebende Modell, dessen Rückenpartie der Bildhauer betrachtet, um
darnach seine Statue zu modellieren. Das Modell, welches mit der Rechten
einen Palmenzweig als Stütze der Hand hält, ist uns zu gekehrt und erscheint in
der That als ein würdiges Vorbild für die Liebesgöttin. (S. Abbildung.) Der
Maler hat uns in seinem Bilde aber kein modernes Modell vorgeführt, der Bau
des Körpers, das Gesicht desselben, der ganze Habitus in Stellung und Geberde
weisen auf den Ort und die Zeit hin, da das Original der Venus entstand. Es ist
nämlich hier eine bestimmte Statue gemeint. die am Esquilin in Rom im
December 1874 gefunden wurde, und die sich jetzt in der Sammlung des
Capitols befindet. Einzelne Archäologen schreiben sie dem Skopas zu, andere
dem Prariteles. Mit den Erörternden der Antiquare haben wir es hier nicht zu
thun. Alma Tadema hat es verstanden, mit seinem Bilde uns ganz lebhaft in das
Atelier eines griechischen Bildhauers zu versetzen, daß, wenn wir das uns
erhaltene Werk antiker Kunst bewundern, wir uns auch die Weise seines
Entstehens vergegenwärtigen können.
Von neueren Meistern wollen wir noch den Bonaventura Genelli (1798 bis
1868) nennen, dessen Kunstrichtung aus ein fleißiges Studium des lebenden
Modells hinweist. Man kann die Gestalten, die er in seiner Kunst verewigt,
wieder erstandene Kinder der antiken Welt nennen, denen er seinen Geist
einflößt, so daß sich seine ganze Subjektivität in ihnen abspiegelt. Und nur, weil
dieser Geist angeborene Größe und Hoheit besitzt, fordert dessen Vermählung
mit der antiken Formenwelt unsere Bewunderung heraus.
Genelli selbst war eine ausfallend schöne Erscheinung, die in die Zeit eines
Phidias zurück versetzt, diesem sicher zu einem Zeus oder Poseidon zum Modell
hätte dienen können. Das wußte der Künstler und er pflegte darum auch sich
selbst als Modell zu dienen. Es wird nämlich überliefert, daß er in Rom in der
heißen Jahreszeit sich ganz gewandlos in seinem Atelier bewegte und mit Hülfe
eines großen Spiegels Studien nach seinem eigenen Körper machte. Jedenfalls
ersparte er aus diese Art viele Kosten für fremde Modelle und konnte sich auch
so stellen, wie er es brauchte, was anderen Modellen oft schwer begreiflich
gemacht wird. Man erzählt, daß ihn die Prinzessin von Preußen, spätere Königin
der Niederlande, von der er ein Stipendium erhielt, in Rom in solcher Lage
überraschte, als sie dessen Atelier besuchen wollte und er auf das Klopfen
mechanisch "Herein" rief. Es wurde ihm als absichtlicher Uebermuth ausgelegt
und er verlor sein Stipendium. Der Künstler hat die Scene in sein Werk: "Aus
dem Leben eines Künstlers" aufgenommen, aber an Stelle der Prinzessen einen
Cardinal eintreten lassen.
Für weibliche Figuren scheint er in Rom sich nur eines Modells bedient zu
haben, da alle eine auffallende Aehnlichkeit unter einander zeigen. In seinem
Cyclus "Aus dem Leben eines Künstlers", in dem er Wahrheit und Dichtung
verwebt, und eigene Erfahrungen im Bilde einflicht, scheint er uns im Blatte,
das sein Atelier vorstellt, die Mutter aller seiner Frauengestalten, sein römisches
Modell, vorgeführt zu haben.
Wenn es sich also verhält, dann scheint das grübelnde und in Gedanken
versunkene Weib etwas von des Künstlers Natur besessen zu haben.
In den letzten Jahren hat sich auch die Photographie des Modellstehens
bemächtigt, angeblich, um den Künstlern Zeit und Geld zu ersparen. Unter dem
Titel "Modelle für Künstler" werden sogenannte "Akademien" auf den
Kunstmarkt gebracht. Wir haben auch hören müssen, daß Künstler es wurde uns
in Wien selbst Makart genannt die Stellungen oder Lagen vorschreiben, damit
sie dem Künstler, der sie brauchen will, von Nutzen seien. Abgesehen davon,
daß das Unternehmen eine andere als künstlerische Bestimmung haben dürfte
und daß der größte Theil der Abnehmer Kreisen angehört, die in Kunst-Ateliers
nicht heimisch sind, so glauben wir nicht, daß Maler vielfach in die Lage
kommen, dieses Modell-Surrogat brauchen zu können, es sei, daß sie die
gegebene photographische Aufnahme zum Ausgangspunkt einer Composition
machen und sie einfach in's Bild übertragen.
Der echte Künstler erfindet zuerst, er muß wissen, was er darstellen will; der
Gegenstand, der Charakter der Personen, die hier auftreten sollen, bestimmt erst
die Stellung des Modells, das studirt werden soll. So etwas läßt sich also nicht
voraus und nicht von anderen Personen bestimmen. Auch ist es etwas Anderes,
ein Bild und das ist eine solche Photographie abzuzeichnen, oder nach dem
lebenden Modell zu zeichnen und zu studiren.
Noch in einer anderen Art trat das weibliche Modell in die Oeffentlichkeit, in
den sogenannten lebenden Bildern. Zuerst wählte man und wählt noch, wo diese
dargestellt werden, irgend ein classisches Bild und versucht es, die darin
vorkommenden Personen und Gruppen durch lebende Personen innerhalb eines
Rahmens darzustellen. Später, meist um den Sinnenkitzel aufzuregen, wurden
auch Statuen oder Marmorgruppen in gleicher Weise durch lebende Personen
veranschaulicht, dabei der Polizei wegen, das Nackte unter Tricot verborgen,
doch so, daß die Körperformen deutlich genug hervortraten.
Im Jahre 1843 befand sich eine Gesellschaft, die solche lebende Bilder
darstellte, in Berlin. Um Künstlern und Kunstfreunden Gelegenheit zu bieten,
"im Anblicke der Natur ihr Urtheil über Kunstwerke aufzuklären", entstand der
Gedanke, im Privatkreise durch die Gesellschaft bekannte Statuen oder Gruppen
berühmter Bildhauer, jedoch ohne jegliche Gewandung, darstellen zu lassen, so
nach Thorwaldsen, Dannecker, Schadow, Canova und Anderen. Gottfried
Schadow hat einen Bericht mit Illustrationen über diese Vorstellung, die am 5.
Mai stattfand, in
Druck erscheinen lassen, aus dem wir ersehen, daß sie bei den Künstlern
ungetheilten Beifall gefunden hat. Für die Künstler bot sich hier die freilich nur
flüchtige Gelegenheit, auf Grundlage berühmter Kunstwerke aus die ihnen
vorangegangenen Modelle das Augenmerk zu richten und zugleich an schönen
Körpern ihre Studien zu machen. Das lebende Bild war eine Zurückdatirung des
Kunstwerkes auf sein Modell. (Siehe meinen Aufsatz: Lebende Bilder in "Lose
Blätter aus der Culturgeschichte. 1882.")
Wenden wir uns schließlich den Künstlern zu, die das weibliche Modell zum
Gegenstand ihrer Zeichnung oder ihres Bildes gemacht haben. Die Plastik hat
aus nahe liegenden Gründen aus ein ähnliches Sujet bisher verzichten müssen.
Da nennt sich ein Bild von G. A. Kuntz "Im Studio". Im Grunde steht auf
erhöhtem Podium das Modell und hält mit der Rechten Hemd und Gewand
zusammen. Links vorn, vom Rücken gesehen, sitzt der Maler vor der Staffelei
und betrachtet prüfend sein Modell. Wozu mag wohl dieses dienen ? Es steht so
hölzern da, daß dem Künstler wohl ein Gliedermann denselben Dienst hätte
leisten können. Es bleibt uns absolut unverständlich, wie sich diese Erscheinung
aus einem Bilde wird verwenden lassen. (S. Abbildung.)
Da verstehen es die Pariser Künstler besser. Auf Idealisirung des Gegenstandes
verzichtend, geben sie die nackte Wirklichkeit nackt im Doppelsinn. Darum
auch bieten sie Einem, der, ohne selbst die französischen Ateliers befischt zu
haben, ein Essay über die jetzt lebenden weiblichen Modelle in Paris schreiben
wollte, ein reiches Material.
Da hat Alphons Hirsch ein Bild fertig gemacht, welches das Atelier eines
Bildhauers darstellt. Also etwas Aehnliches, wie Alma Tadema. Der Gegenstand
ist der nämliche: ein Bildhauer arbeitet nach dein nackten Modell an einer
Statue, die vielleicht ein Mädchen nach dem Bade darstellen soll. Aber der
Maler bewegt sich mit seiner Darstellung in der Gegenwart, es ist kein Atelier
im Allgemeinen, kein Phantasie-Atelier, sondern ein bestimmtes, das des
berühmten französischen Bildhauers Anton Paul Noel und der dargestellte
Bildhauer ist eben Noel selbst. Vielleicht ist hier die Statue gemeint, die er 1876
vollendete und die ein Mädchen nach dem Bade darstellt. (S. Abbildung.)
Es wird wohl äußerst selten und nur ausnahmsweise der Fall eintreten, daß ein
weibliches Wesen, wenn es durch Noth oder andere Ver-
hältnisse gezwungen oder bestimmt wird, einem Künstler als unbekleidetes
Modell zu stehen, ohne einiger Anwandlung des Schamgefühls diesen ersten
Schritt thut.
Unser Klima, unsere europäische Erziehung, welche mit Recht auf die
Schamhaftigkeit ein besonderes Gewicht legt, treten der allzu großen
Entblößung des Körpers entgegen. Giebt es doch selbst viele Männer, die es um
keinen Preis dahin bringen könnten, als Modell einem Maler oder gar im Actsaal
vor den Kunstschülern zu stehen.
Um so schwerer wird sich das weibliche Wesen, dem man doch immer ein
größeres, ausgebildeteres Schamgefühl nachrühmt, entschließen können, vor den
Augen eines Mannes die letzte Hülle fallen zu lassen. Man spricht zwar viel von
starken, übertriebenen Decolletirungen der Damen, gerade in Gesellschaften
oder auf Bällen, wo sie Männerblicken ausgesetzt sind, aber, wenn wir auch dies
zugeben und diese Mode als unanständig perhorresciren, so müssen wir doch
zugeben, daß die Sache noch nicht so arg ist, wie sie an dem französischen Hofe
im 18. Jahrhundert war, womit wir jedoch nicht ausfordern wollen. jenen
berüchtigten Beispielen sich weiter zu nähern.
Bei einer Eva oder Susanna ist das Nackte historisch begründet, bei einer Venus
durch den Inhalt der Mythe vorgezeichnet, wenn auch eine Venus Urania davon
Ausnahme macht.
Ebenso motivirt ist es, wenn Adam und Eva im Paradiese eine naive Unkenntniß
ihrer Gewandlosigkeit zur Schau tragen, denn es heißt in der Bibel: Sie waren
Beide nackt und schämten sich nicht. Venus aber, wenn auch bei ihr eine
Hindeutung auf das Bad gegeben ist, besitzt den Ausdruck des Schämens
(wenigstens die kindische und mediceische) und es hat Jemand die richtige
Bemerkung gemacht, daß jedes Weib, auch wenn es sich unbeobachtet weiß, mit
den Händen dieselbe Bewegung macht, wie die mediceische Venus, wenn das
letzte Gewand^ stück vom Leibe gefallen ist.
Nun denke man sich in die Lage eines Mädchens hinein, die zum ersten Male in
voller Enthüllung ihre Reize den Augen eines Künstlers oder gar einer ganzen
Gesellschaft jugendlicher Kunstjünger preisgiebt. Die Gegenwart der
Professoren und selbst im Privatatelier die Gegenwart einer Ehrendame macht
die Sache nicht leichter, nicht erträglicher
F. de Chambord, ein moderner Künstler, hat eine solche erste Sitzung des
Modells zum Gegenstande eines Bildes gemacht, das wir in Abbildung bringen.
Der Künstler hat eine neue Pointe gesunden, die Scham, die das Modell bei
seinem ersten Debut empfindet, zum Ausdruck zu bringen. Auch hier wieder
sind es die Hände, welche in
ihrer Zeichensprache reden, aber anders, wie bei der mediceischen Venus. Da
der Contract lautet, daß der Körper als Object des Studiums dienen soll, so sticht
die Arme wenigstens das Gesicht, die Augen, den Sitz des Schamgefühls, zu
verhüllen, um Jenen nicht zu sehen, der sie .anblickt. Es ist, als ob sie
Unwillkürlich den Strauß nachahmen wollte, der seinen Kopf im Sande verbirgt,
und nun glaubt, nicht gesehen zu werden, weil er selbst nichts steht. Victor
Tortez hat denselben Gegenstand behandelt, und das Mädchen macht bei ihrer
"premiere presentation a l'atelier" einen ganz ähnlichen Gestus der Scham.
(Gazette des beaux arts 1881.)
Die französischen Künstler der Neuzeit haben uns das weibliche Modell in einer
Reihe von Darstellungen gebracht, die uns ermöglichen, dasselbe in allen
Stadien seiner Thätigkeit zu verfolgen.
So macht uns Jules Frederic Ballavoine mit einem Modell in der Ruhepause
bekannt. Es sitzt, anständig in sein Tuch gehüllt, aus dem Sopha, um sich von
der vielleicht anstrengenden Stellung zu erholen. Es ist ein liebes, freundliches
Gesichtchen, das uns aus dem Bilde recht naiv ansieht; eine classische Schönheit
ist es keineswegs, mag Gott wissen, wozu ein Künstler dieses untersetzte dralle
Mädchen verwenden will. Die ersten entsetzlichen Augenblicke sind
überwunden, wir können uns sehr wohl vorstellen, wie es, wenn der Meister
seine Arbeit wieder ausnimmt, das Tuch entschlossen von sich wirst, elastisch
ausspringt und die verlassene Stellung wieder einnimmt. (S. Abbildung.)
Oben genannter Künstler Chambord variirt die Scene der Ruhepause. Es scheint,
daß der Künstler in seiner Arbeit gestört wurde und das Atelier verließ, um
vielleicht eines unzeitigen und unbequemen Besuches Marter zu dulden. Das
Modell wird für einige Augenblicke frei und benützt diese Zeit, um für sich
Modellstudien zu machen. Der Kopf, der Ausdruck des Gesichts verräth einen
gewissen Grad von Leichtsinn; es ist das ein Mädchen, das in den KünstlerAteliers bereits zu Hause ist; sie steht vor einem großen Trumeau-Spiegel und
betrachtet die Rückseite ihres Körpers a la Venus Kallipygos. Oder will sie
beurtheilen, ob sich das Bild mit der Natur decke? im Grunde sehen wir nämlich
das in Arbeit befindliche Bild, welches eine liegende, vom Rücken gesehene
nackte Nymphe darstellt. (S. Abbildung.)
Daß die eingeübten Modelle sich auch zuweilen das Recht heraus-nehmen, den
Künstler zu kritisiren oder ihm wohlmeinende Rathschläge zu ertheilen, dürfte
natürlich erscheinen, um so mehr, als gerade das weibliche Auge scharf sieht
und oft einen Fehler entdeckt, an dem hundert Männer und Künstleraugen
vorbeigegangen sind.
Daß Modelle als Kritiker auftreten, dürfte ein Bild von Charles Edouard
Boutibonne beweisen. Der Künstler ist zwar in Pest geboren, aber als Künstler
Franzose durch und durch. Seinen Pinsel hat er ganz der Verherrlichung des
weiblichen Sinnenreizes geweiht. So hat er die Phryne vor den Richtern (1868)
gemalt. Das Bild, das wir hier meinen, führt uns in ein Künstler-Atelier.
Der Maler (der Künstler selbst?) sitzt vor seinem Bilde, welches irgend eine
nackte Göttin vorstellen soll; er scheint soeben dem schön gewachsenen Modell
eine Ruhepause zugestanden zu haben; dieses stellt sich, mit dem rechten Fuß
am Lehnstuhl knieend, neben den Maler recht zwanglos hin und scheint
demselben ihre Ausstellung oder Meinung über das Bild zu äußern. Der
Künstler dürfte sich auch halb und halb von ihrer Triftigkeit überzeugt fühlen,
denn er hat nur die Frage zur Antwort: ..Vons croyez!" Sie glauben? Das der
Titel des Bildes.
Eine ähnliche Pointe hat auch das Bild von Bumpard, das im Salon 1880
ausgestellt war und die Ruhe des Modells darstellt. Der Künstler ist im Atelier
nicht anwesend, und das nackte Mädchen hat sich auf dessen Stuhl hingesetzt,
um das Bild auf der Staffelei, ein im Bade überraschtes Mädchen zu betrachten.
Leider kann man das Gesicht nicht sehen, um zu beurteilen, ob es blos ruht, oder
sich eine Kritik über das Bild erlaubt.
C. San-Martin hat auch ein "Repos du modele" gemalt. Der Maler steht vor der
Staffelei und unterbricht die Arbeit, da ein eigener Umstand das Modell stört.
Dieses ist nämlich eine Mutter (zu jung für eine solche) mit ihrem Kinde und
Letzterem scheint entweder die ruhige Stellung der Mutter zu lange zu dauern,
oder sein kleiner Magen erhebt gewisse Ansprüche, kurz, um den vorlauten
Störenfried zu beruhigen, muß ihn die Mutter an die Brust legen. Wollte der
Maler etwa ein Madonnenbild malen, oder war am Ende das Kind selbst Object
des Studiums. Rechts nämlich steht auf einer Staffelei die Skizze eines
Kindkopfes. Ganz durchsichtig erscheint die Absicht des Malers nicht.
Einzelne Künstler wollten uns mit ihren Modellbildern mit dem Umstand
bekannt machen, daß bei der Sitzung nicht allein die künstlerische, erhabene
Bedeutung Platz greift, sondern daß das Modellstehen auch eine ganz materielle
Wirkung zur Folge hat. Die Modelle bekommen Appetit. Dieses Bedürfniß kann
befriedigt werden; die Ruhepause bietet die beste Gelegenheit dazu.
Jos. Eduard Dantan (geb. 1848) führt uns in ein vornehm ausgestattetes Atelier.
Entweder ist der dargestellte Künstler von Haus aus reich
oder ist er zur Berühmtheit gekommen, die ihm Ehre und irdisches Gut bringt.
Während er die Pause benützt, um seine Pinsel zu reinigen, sitzt das leicht
bekleidete, anmuthige Mädchen recht behaglich am Sopha und läßt sich nach
den Mühen des Modellstehens die aufgetragenen Delicatessen recht wohl
schmecken. (S. Abbildung.)
Freilich ein solches "dejeuner du medele" findet man nicht immer und nicht bei
jedem Künstler. Ist dieser erst am Anfang seiner Laufbahn und muß er vielleicht
selbst Entbehrungen aller Art erdulden, dann giebt es auch für sein Modell keine
glänzenden Mahlzeiten.
Bertall hat uns in seinem Werke "Comedie de notre temps" unter den
mannigfaltigsten Bildern des Pariser Lebens auch einzelne Scenen aus den
Künstlerateliers mitgetheilt. Ein junger Künstler benützt die Pause, um sein
Frühstück zu nehmen. (S. Abbildung.) Dieses besteht aber nur in einigen
gebratenen Kartoffeln, die er wie Kastanien in der Papierdüte hält. Galant, wie
er als Franzose ist, bietet er sie auch seinem Modell, das bloßfüßig, nur mit dem
Hemd bekleidet, vor ihm steht. Es entspinnt sich nun folgender Dialog:
Er: " Si mademoiselle veut accepter quelques pomme de terre frites ? "
Sie: " J'aimerais mieux une paire de bottines, mais - c'est egal, alles-y
tout de meme. "
Er : "Naive enfant! "
Ein anderes Blatt desselben Werkes zeigt uns den Schluß einer Sitzung.
Mademoiselle kann gehen, sie stand zu einer Studie des Nackten, mau erblickt
sie auf dem Bilde als nacktes Weib, vom Rücken gesehen. Sie ist bereits
ziemlich angezogen, der Künstler macht den Galanten und schnürt sie
zusammen. (S. Abbildung.) Was so ein angehender Meister nicht alles lernen
und kennen muß, auf dem weiten Wege zur "Gloire"!
VII.
Alexander Dumas junior hat 1866 ein Buch geschrieben, das den Titel führt:
L'affaire Clemenceau. Darin führt er den Leser auch in ein Atelier ein und macht
ihn mit dessen Geheimnissen bekannt. Der junge Clemenceau soll nämlich
Künstler werden und kommt zu einem Bildhauer Ritz (bei dem Dumas
wahrscheinlich an Pradier dachte) in die Lehre. Die Zeit des Unterrichts im
Zeichnen ist vorüber, der angehende Künstler soll nun nach der Natur zeichnen
und malen. Aber auch in der Aufnahme männlicher Acte hat er bereits seinen
Cursus durchgemacht. Nun erscheint das weibliche Modell im Atelier. Dumas
nennt das Mädchen Marietta, also ist es wahrscheinlich eine Italienerin, wie
deren viele in Paris sich aufhalten und als Modellsteherinen sich oft viel Geld
verdienen.
Wie mag dem jungen Manne zu Muthe gewesen sein, wie ihm das Herz
geschlagen haben, als er zum ersten Male in seinem Leben dem unverhüllten
weiblichen Körper gegenüber saß. Dumas sagt, er wäre "tout emu, presque
fremissant" gewesen; ganz aufgeregt und fast zitternd; alle seine Sinne sind im
Aufruhr, als er steht, wie sich Marietta der Kleider entledigt. Nun, es wird ihm
schwer genug werden, in solcher Aufregung nur an die Kunst und ihre ernsten
Aufgaben zu denken und mit fester Hand die Umrisse zu zeichnen.
Dumas beschreibt nun sehr anschaulich und plastisch das Modell mit allen
Vorkehrungen zur Sitzung. Wir geben die Beschreibung in
der Originalsprache, da sie durch die beste Uebersetzung an Unmittelbarkeit und
Anschaulichkeit verlieren würde:
"Marietta, le modèle, se déshabille sans façon devant le jeune homme, tout ému,
presque frémissant. Le plus simplement du monde, et comme si elle- eût
accompli une chose naturelle, cette fille dégrafa son corsage, déboutonne ses
manches, fit couler sa robe le long do son corps, la ramassa et la déposa sur une
chaise. Puis elle ôta son col, qu'elle étala dessus avec soin, et tirant le cordon de
son jupon, elle se trouva en chemise, car elle n'avait pas de corset, bien entendu.
Elle s'assit, et, plaçant sa jambe droite sur sa jambe gauche, elle délaça ses
bottines, dans cette pose, que Pradier a donné à l'une de ses plus jolies statuettes.
Puis elle tira ses bas et laissant tomber sa chemise à terre, elle l'enjamba, et, de
son pied nu, la poussa derrière elle. Enfin, droite, rejetant légèrement sa tête en
arrière et relevant do ses deux mains ses cheveux, qui tombaient sur ses épaules:
,,Comment faut-il me poser ?" dit-elle."
Es haben die besten Künstler für Dumas Randbilder zu seinem Buche geliefert,
die dieser in seinem Exemplar zum Text einbinden ließ. Meissonier hat in einer
Aquarelle Marietta in dein Finale ihrer Entkleidung, wie sie die Haare
zurückstreift und fragt, welche Stellung sie nehmen solle, dargestellt. Der
Künstler malt Frauen überhaupt selten, eine nackte noch seltener und es dürfte
also die dem Dunias verehrte Aquarelle, vielleicht ein Unicum, von ganz
besonderem Werthe sein. (Wir geben das von Meissonier gezeichnete Modell im
Umriß auf dem Deckel.)
Die Kunstgeschichte zählt in ihrem Bereiche auch viele Künstlerinen, darunter
einzelne, die sich über das Niveau des bloßen Dilettantismus erhoben und sich
einen ehrenhaften Namen mit ihrer Kunst erworben haben. Jedenfalls mußten
diese, ob sie schon Malerinen oder Bildhauerinen waren, auch ihre Studien nach
der Natur gemacht haben. In Bezug auf Modelle tritt nun hier das umgekehrte
Verhältniß ein; das weibliche Modell, das den Künstlern oft so viele Sorgen
macht, ist für sie natürlich zugänglicher, dagegen ein Studium nach dem nackten
männlichen Körper nm so schwieriger, ja zuweilen unmöglich.
So wird von Marietta Tintoretta, der talentvollen, leider in der Blüthe der Jugend
verstorbenen Tochter des berühmten Malers Jacopo Tintoretto (Robusti) erzählt,
daß sie in historischer Malerei unter der Leitung ihres Vaters es weit hätte
bringen können, wenn ihr Geschlecht ihr den Actsaal nicht verschlossen hätte.
Dafür konnten die kunstübenden Damen das weibliche Modell um so ergiebiger
benützen. Wenn sie es nicht thaten, so liegt der Grund darin, daß ihnen
angeborenes Schamgefühl verbot, die weiblichen Reize hüllenlos vor der großen
Welt in Bildern preiszugeben.
Aber diese Zurückhaltung hatte ihre Ausnahmen. So wissen wir von der
berühmten französischen Malerin Elizabeth Vigee le Brun, daß ihr deren einzige
Tochter zum Modell diente. Einmal hat sie dieselbe, als sie eben dem
Kindesalter entwuchs und sich zur Jungfrau entfaltete, als Badende gemalt und
der russische Fürst Psoupoff beeilte sich, das Bild zu erwerben und in seine kalte
Heimath zu entführen.
Auch Angelica Kauffmann zeichnete und malte fleißig nach dem lebenden
weiblichen Modell. Im Kupferstich Cabinet des Berliner Museums wird eine
fleißig ausgeführte Oelskizze der Künstlerin aufbewahrt, welche ein vom
Rücken gesehenes stehendes Mädchen darstellt. Die Modellierung ist mit einer
Sicherheit und Feinheit gegeben, wie es einer Frauenhand kaum zuzumuthen
wäre.
Ein moderner Künstler, E. Blume, hat uns in einem Gemälde den Vorhang vor
einem Damen Atelier gelüftet und uns erlaubt, eine Künstlerin zu belauschen,
die nach einem nackten männlichen Modell zeichnet. Erschrecken wir nicht über
diese Emancipation; das Modell ist ein etwa sechsjähriger Junge. Die junge, sehr
schöne Kunstelevin hat sich in den Kopf gesetzt, wahrscheinlich einen Amor zu
componiren und das Knäblein muß ihr dazu als Modell stehen. Zu bewundern ist
die Fassung und Ruhe, mit der die Künstlerin beim Werke ist. Nichts stört sie,
nicht die eigentümliche Situation für eine Dame, nicht der Unmuth des Modells.
Diesem dauert offenbar die befohlene Stellung zu lange; vom Sopha, aus dem er
steht, darf er nicht herab und so kommen "dem schmollenden Modell", wie das
Bild heißt, die Thränen in die Augen, und die Stellung der Linken, mit der es
dieselben ab wischen will, ist gewiß nicht von der "Meisterin" vorgeschrieben.
Das Atelier ist elegant eingerichtet, auch der Makartstrauß (ironisch das "Wiener
Heu" genannt) fehlt nicht. Wir wünschen, daß der Zeichnerin des Amor der
wirkliche, leibhaftige Amor kein so böses Gesicht mache,
wie ihr Modell. (S. Abbildung.)
Alphonse Daudet giebt in seinen "Künstler Ehen" eine kleine nette Geschichte
zum Besten, die, da sie auf unseren Gegenstand Bezug hat,
im Auszug hier stehen möge.
Eine junge Pariserin heirathet einen Bildhauer, der Vermögen und Ruf besitzt.
Dieser baut sich ein reizendes kleines Wohnhaus, darin seine junge Gattin ihm
ein freundliches Heim bereitet. Er selbst hat bald nach der Hochzeitsreise seine
Arbeiten wieder ausgenommen und modellirt im entfernten Atelier an "einer
Römerin, die dem Bade entstiegen ist", und die er in die nächste
Kunstausstellung schicken will. In den Kosestunden, die der Künstler bei seinem
Weibchen zubrachte, erzählte er viel von seinem Werke, von seinen Intentionen,
daß er schließlich di^ Neugierde desselben erweckte. Sie beschloß, ihn im
Atelier zu überraschen.
Es ist die Frau, die diese ganze Geschichte in einem Briefe ihrer Freundin
mittheilt. Lassen wir sie jetzt selbst reden:
"Ich komme an Ort und Stelle und finde den Haupteingang zu dem parterre in
einem Gartenhause gelegenen Atelier weit offen stehen. Ich gehe näher und
denke Dir meine Entrüstung sehe meinen Mann in einem Maurerkittel da stehen,
seine Hände sind mit Lehm und Thon beschmiert und vor sich hat er eine Frau!
"Denke Dir, eine große Weibsperson steht vor ihm auf einem Trittbrett! Nur
halb bekleidet! Sie stand so ruhig da, als gehörte es sich nicht anders und als
wäre die ganze Sache die natürlichste in der Welt."
Es folgt eine unterbrochene Sitzung, der Künstler will seiner empörten Frau
etwas sagen, sie aber lief fort, zur Mama, um ihr das grenzenlose Unglück zu
klagen. Ströme von Thränen fließen! Der Gatte erscheint nun gleichfalls und
will beschwichtigen: Eine Modellsteherin sei ein Weib, wie andere auch, und
Bildhauer können ohne sie nicht existiren. Damit kam er aber schlecht an. Sie
erklärt rundweg, sie wolle keinen Ehemann haben, der sich täglich tete a tete mit
solchen - Frauenzimmern befände. Die Mutter will versöhnen. "Thun Sie doch
Ihrer Frau den Gefallen. Können Sie sich nicht als Modell eine Puppe aus Holz
oder Pappe construiren lassen? Sehen Sie, die Putzmacherinen haben doch auch
Köpfe aus Pappe, denen sie die neuen Hüte ansetzen, nm zu sehen, wie sie
kleiden. Was für den Kopf modisch ist, sollte das nicht auch für den ganzen
Körper möglich sein?"
Vergebens verfischt der Ehemann das Unstatthafte eines solchen Surrogates
darzuthun. Schließlich kommt es zu einem Waffenstillstand Zuweilen mag also,
wenn es nöthig ist, das Frauenzimmer kommen. aber nur, wenn die eifersüchtige
Fran sich im Alkoven neben dem Atelier befinde, von dem aus sie Alles
übersehen könne, ohne selbst gesehen zu werden.
So geschieht es. Das Modell erscheint und kleidet sich aus. "Als ich nun aber
sah", schreibt die Frau, "wie dieses unverschämte Geschöpf
auch das Kleid ablegte und sich ganz unverfroren mitten im Atelier entkleidete,
da wallte der Zorn in mir auf. Endlich war das Weib auf ihrem Posten, nur halb
bekleidet, ihr langes Haar war aufgelöst und fiel ihr in mächtigen Wellen über
den Rücken das war nicht mehr ganz die abscheuliche Person von vorhin, jetzt
schien sie eine Statue zu sein. Plötzlich höre ich meinen Mann rufen: "Das linke
Bein! Setzen Sie das linke Bein mehr vor." Das Modell schien ihn nicht ganz zu
verstehen, er näherte sich demselben und wollte selbst ^ nein, das konnt' ich
nicht ertragen!"
Sie stürmt ordentlich mit der Glocke und als er sie besänftigen will, tobt sie, wie
wahnsinnig: "Es ist zu viel! Ich kann nicht!"
Das Modell wird entlassen, das Atelier gesperrt. Der Mann bleibt zu Hause,
empfangt seine besten Freunde nicht, ist tiefsinnig, unglücklich.
Einmal fragt sie ihn schüchtern: "Weshalb arbeitest Du nicht mehr?" "Ohne
Modell kann ich nicht arbeiten", lautet schneidig die kurze Antwort. Tage
Wochen vergehen, sie ist die Liebe selbst gegen ihren armen Mann. Sie fürchtet,
er werde krank werden. Sie bittet, er solle es versuchen, frei aus dem Kopfe die
Statue zu vollenden. Sie bringt ihn endlich dahin, daß er sein Atelier besticht,
aber er arbeitet nicht, sitzt nur auf seinem Divan, raucht oder liest oder spielt
sich mit einem Ball.
So findet sie ihn, als sie eines Nachmittags hinging, um zu sehen, ob die
Römerin bereits aus dem Bade gestiegen sei. Sie sah, wie unglücklich ihr Mann
sei. "Weißt Du, was ich nun that? Ich nahm das faltige Gewand und ging in den
Alkoven, wo ich mich entkleidete. Dann ganz leise, ohne ein Wort zu sagen,
stellte ich mich ihm gegenüber auf das Trittbrett, genau in derselben Haltung,
wie ich es bei jener abscheulichen Modellsteherin gesehen hatte. Ach, meine
Liebste, was machte er für Augen, als er den Kopf umwandte und mich sah! Wie
bewegt und entzückt war er! Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte;
ich muß ganz roth geworden sein. Er war von meinem Einfall so entzückt, daß
ich mich über alles Andere nicht weiter beunruhigte.
In Städten, welche Kunstakademien besitzen und darum auch viele Künstler, hat
sich ein eigener Erwerbszweig herangebildet: der Modellstand. Wenn der
Kunsteleve oder schaffende Künstler erst warten sollte, bis ihm eine Dame aus
der höheren Gesellschaft aus Gefälligkeit Modell
stehen, sitzen oder liegen wollte, müßte er lange warten. Die Akademien
besitzen für ihre Actsäle gewöhnlich für längere Zeit ihre Modelle. Männer,
Franen, Mädchen, Kinder. Für jüngere kräftige Mannsgestalten wurden an der
Prager Akademie Soldaten ausgewählt. Der im eigenen Atelier schaffende
Künstler muß sich natürlich erst das Modell, das er für sein entstehendes Bild
brauchen kann, suchen.
Es ist nichts Angenehmes, längere Zeit als Modell zu stehen; es wird darum mit
Geld honorirt. Die Preise sind nicht immer und überall gleich, ihre Höhe richtet
sich nach der Schönheit und Verwendbarkeit des Modells. Das Geschäft kann
also zuweilen lukrativ sein. In Berlin lebte vor mehreren Jahren ein Kopfmodell
(man nannte ihn allgemein den "Christuskopf"), der seiner Familie ein
Vermögen von 15000 Mark hinterließ, die er sich durch Modellstehen erworben
hatte. Und diese Hoffnung aus Erwerb setzt darum auch bei weiblichen
Modellen alle Rücksicht bei Seite. Man weiß, wohin die Noth drängt, wohin
auch die Leidenschaft, Putz- und Vergnügungssucht treibt, wenn ein
Geldgewinn winkt.
In Paris zählte man vor einigen Jahren 671 Frauen und Mädchen, welche
Malern, Bildhauern und Photographen als Modelle dienen. Es wurden auch
weitere Notizen über diese mitgetheilt; die meisten derselben gehörten der
italienischen Nationalität an. Es scheint, als ob Italienerinen geborene Modelle
wären; sie kommen auch nach Oesterreich und Deutschland, um hier als
Modelle Gastrollen zu geben und sich Geld zu sammeln. Von den erwähnten
Pariser Frauenmodellen ist dann weiter bemerkt worden, daß von ihnen nur 130
das 21. Lebensjahr überschritten haben, die Uebrigen befanden sich im Alter
von 16 bis 20 Jahren. Das Modellstehen allein würde sie nicht immer ernähren,
es gilt also nur als Mittel, neben seinem Berufe einen Extraverdienst zu haben.
Man zählte unter obigen Modellen 60 Schauspielerinen, 40 Modistinen, 35
Blumenmacherinen, 30 Näherinen u. s. f. Natürlich geht das Geschäft auch nur
eine bestimmte Zeit, denn für eine Venus kann kein Künstler einen verwelkten
Körper zum Modell brauchen. Das Honorar für eine Stunde wechselt sehr und
richtet sich nach der Schönheit und Verwendbarkeit des Modells, ob dieses nur
eine Hand, den Kopf, die Büste, ein Bein oder den ganzen Körper zum Studium
herleiht. Man zahlt 2 Francs bis 40 und selbst 50 Francs.
In Berlin zahlt man für ein Kopfmodell per Stunde 75 Pfennige, für den
(männlichen) Act 1 Mark. Weibliche Modelle werden natürlich höher taxirt;
auch hier giebt es große Unterschiede. Ein sehr schönes Mädchen, das indessen
selbst Auswahl traf und nur solchen Künstlern
an Modellen. Wie hier Alles malerisch ist, so ist auch der Modellmarkt sehr
anziehend und für ein Künstlerauge interessant.
In der Via delle fontane, die sich vom Pincio in Wellenform bis zu Maria
maggiore hinzieht, wie in der Umgegend, befinden sich die meisten Ateliers
(Studio) der Künstler:. oft sind ganze Gartenhäuser als solche KünstlerWerkstätten eingerichtet. In der genannten Straße, nahe dem Pincio und der
französischen Akademie (Villa Medici) steht die Kirche Trinita de' Monti. Von
dieser Kirche führt eine breite majestätische Treppe zur Piazza Spagna herab. In
gewissen Stunden des Tages ist diese Treppe mit einer so eigenartigen Staffage
besetzt, daß man sich in den römischen Carneval oder einen costumirten Ball
versetzt glaubt. Es ist der Modellmarkt der Künstler in Rom, sozusagen die
Börse für Modelle. Wenn wir bedenken, daß es Italiener sind, die diese Staffage
bilden, so werden wir nicht überrascht sein, wenn wir hier einem sehr lebhaften,
beweglichen Verkehr begegnen. Hier findet der Künstler so ziemlich Alles, was
er braucht. Kinder, Knaben und Mädchen tummeln sich da herum oder
schmiegen sich an den Vater, die Mutter an. Imponirende Gestalten mit
feurigem Auge und schwarzem Lockenhaar, in der Tracht der Abruzzenhirten
warten des Künstlers, der sie für die Statue eines Athleten oder Herakles
benöthigt. Aber auch Greife mit langen Bärten und Matronen mit durchfurchten
Gesichtern ruhen, von weitem Wege ermüdet, auf den Stufen der Treppe aus.
Dann erst die majestätischen, ernsten oder sinnlich reizenden, verführerischen
Gestalten der Mädchen! Sucht der Künstler vielleicht ein Modell zur
Desdemona oder Herodias? Er findet es bald, denn die dunkeln, feurigen Augen,
die in's Blaue glänzenden schwarzen Haare werden bald seine Aufmerksamkeit
auf sich ziehen. Für Scenen aus dem italienischen Volksleben findet er
überreiches Material. Und will er eine Magdalena oder Venus oder Galathea
malen, er wird nicht unbefriedigt den Modellmarkt verlassen. Die Bildhauer
natürlich sind, wo sie antike Stoffe behandeln, insbesondere auf das Nackte
angewiesen.
Um nicht den Hafen im Sack zu kaufen, muß sich der Künstler entweder auf
Referenzen des Modells verlassen oder sich überzeugen, ob sein Modell die
Formen besitze, die seine Göttin erheischt. Und diese Probe wird zuweilen in
recht naiver Weise angestellt. Uebrigens läßt oft das Auftreten, die Haltung des
Körpers, der Gang den Künstler die verborgenen Formenschönheiten errathen.
Die Modelle, welche auf der spanischen Treppe gedungen werden, sind nicht
theuer, man zahlt für drei bis fünf Stunden etwa 5 Lire. Diese Wohlfeilheit ist
eine Folge der großen Concurrenz. Es sind ganze
Familien, die sich durch Modellstehen erhalten und für diese ist der Besitz einer
oder mehrerer schöner Töchter ein Capital, das sich nicht besser rentiren kann.
Unternehmende Leute haben da auch besondere Modellsäle regelrecht
eingerichtet und Abonnenten erhalten darin diverse Modelle, nach denen sie
zeichnen oder malen können. Dann giebt es auch Modellvermittler, durch
welche reiche Künstler besonders schöne Modelle beziehen können. Diese
Vermittler haben durch ganz Italien Verbindung und es ist nichts Neues, daß für
einen Künstler, der sich einen solchen Luxus erlauben und die Unkosten
bestreiten kann, von weiter Ferne ein auserlesenes Modell nach Rom gebracht
wird.
Hat zuweilen ein Künstler durch Zufall irgend ein besonders werthvolles Modell
entdeckt, so wird er natürlich wünschen, es zu seinem Studium ausschließlich
benützen zu können; es wird ihm daran gelegen sein, es vor der anderen
Künstlerwelt zu verbergen, damit es Keiner, wenigstens vor Vollendung seines
Kunstwerkes, benütze. Um dies zu erreichen, ist er genöthigt, das Modell
wochen-, ja monatelang ganz auszuhalten. So etwas kommt öfter vor, als man
denkt.
In neuerer Zeit haben sogenannte Künstlerromane und Novellen vielfach ihren
Stoff aus dem persönlichen Verhältnis des Künstlers zu seinem weiblichen
Modell bezogen und die eben berührten Verhältnisse mögen insbesondere die
Romanschreiber beeinflußt haben, zumal auch die Klatschsucht der
Nachbarsleute eines solchen mit seinem Modell haushaltenden Künstlers solche
Verhältnisse mit größtmöglichster Ausschmückung an die große Glocke hing.
Die Romanschreiber beginnen natürlich mit dem Studio und den liebetrunkenen
Scenen in demselben und schließen entweder am User des Tiber, der seine
Wellen über das arme, selbstmörderische Modell schließt, oder vor dem Altare
in der Kirche, wo der Priester ein glückliches Paar einsegnet.
Die Wirklichkeit ist aber in den meisten Fällen ganz prosaisch. Wir wollen nicht
etwa leugnen, daß der Künstler seinem Modell gegenüber den Künstler ausgiebt,
um ganz nur Mensch zu sein, da er ja wie andere Menschenkinder eben auch
Fleisch und Blut hat; aber in der Regel schließt die Geschichte ganz prosaisch
ab: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen." Oder auch,
der Künstler geht selbst, verläßt Rom, um heimwärts zu ziehen. Dann sorgt er
für sein Modell, indem er es an einen befreundeten Künstler recommandirt.
Wir stehen am Schlusse. Es ist uns klar geworden, daß die ersten Künstler die
Studien nach dem Leben nicht umgehen konnten. Wo ein besonders reges
Kunstleben waltete, da suchten auch die Künstler, wie uns die Geschichte und
auch ihre Werke bezeugen, nach Modellen, um diese als Regulativ für ihre
Thätigkeit zu benützen. Wenn das Modell auch, im Verhältniß zur Kunst, nur
eine untergeordnete, dienende Rolle spielt, so bleibt es doch unentbehrlich und
der Berücksichtigung werth.
Freilich darf der Künstler sich nicht vom Modell so beherrschen lassen, daß es
in seiner Kunst aufgeht, um darin zu dominiren. Vielmehr muß er sich noch von
einem anderen, erhabenen Modell leiten lassen, dem Ideal. Mag die
materialistische Kunst sich dagegen wehren, so viel sie will, es bleibt doch
wahr: Ein täuschend nach der Wirklichkeit ausgeführter Gegenstand ohne ideale
Bedeutung ist allenfalls ein Kunststück (wie es die Traube des Apelles war),
aber keine Kunst. Wozu die Anstrengung, nachdem es der photographische
Apparat ebenfalls und naturtreuer zu Wege bringt? Wo aber das Ideelle ein
Werk durchdrungen, da wird in demselben durch das Ideal auch das Modell
gehoben und geadelt.
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