Einleitung. Die Kunst ging aus dem Handwerk hervor. Auch der vollendetste Künstler hört nicht auf, Handwerker zu sein. Wer sich der darstellenden Kunst weihen will, muß vorerst den beschwerlichen Weg des Handwerks durchwandeln. Man sagt: "Der Dichter wird geboren." Das ist vollkommen wahr; auch der Künstler ist ein Dichter und auch er wird geboren, d. h. die Grazien müssen ihm das Genie als Angebinde des Himmels in die Wiege legen. Trotzdem bleibt ihm das handwerksmäßige Erlernen der Anfangsgründe nicht erspart. Er muß sich eine technische Gewandtheit aneignen, die durch unverdrossene Übung der Hände erzielt wird, bevor er daran denken kann, seine künstlerischen Gedanken, die Ideale seines Genius durch materielle Stoffe und Werkzeuge zum sichtbaren Ausdruck zu bringen. Auch die idealste Sphäre der Kunst muß auf der Wirklichkeit basiren, wenn sie Anspruch auf innere und äußere Wahrheit machen soll. Der Künstler muß darum sich zuerst die Fähigkeit erobern, die Wirklichkeit, das ihn umgebende Reich der Erscheinungen nachbilden zu können, bevor er befähigt wird, mit der voll bemusterten Formenwelt einen geistigen Inhalt zu verbinden. Wie der Mensch aus Leib und Seele besteht, so hat auch das Werk des darstellenden Künstlers einen Leib - Stoff und Form - und eine Seele, die dem Kunstwerk innewohnende Idee. Beides muß bei einem echten Kunstwerk vereint sein, keines darf fehlen. Was nützen dem Kunsteleven die herrlichsten Gedanken, die höchsten Ideen, die sein Geist in der Stunde der Begeisterung empfing, wenn die Hand in der Darstellung derselben erlahmt, weil sie nicht gewohnt ist, das Stoffliche im Dienste dieser Idee zu bemeistern? Was nützt die treueste Nachahmung der Wirklichkeit, wenn sie nicht der Träger einer künstlerischen Idee sein kann, weil die himmlische Berufung fehlt? Wie für jeden einzelnen angehenden Kunstjünger, war dieser Weg der Vorbereitung auch für die Entwicklung der Kunst im Allgemeinen ein beschwerlicher und diese brauchte Jahrhunderte, ehe ihr das Morgenroth echter Kunstweihe aufbrach. Gewiß besaß das Volk der Griechen eine ausgesprochene Anlage zur Kunst und doch, vom ersten mythischen Schattenriß, den die Tochter des Dibutades beim Licht der Lampe nach dem Kopfe ihres Geliebten an die Wand fixirt, bis zum Phidias und seinen classischen Werken, welch' ein weiter Weg! Aber in diesem Drang nach dem Vollkommeneren lebt doch eine echte Kunstidee, der Gedanke, die Überzeugung, daß im Formen der Göttergestalt die Kunst zur Reise gedeihen muß. Und diese Reise, diese Verklärung der Kunst ist in der That eingetreten, weil man das rechte Mittel wählte, sich von der starren archaistischen Form durch eifriges Studium nach der Natur zu befreien. Dieser Drang nach Freiheit war nicht so leicht zu befriedigen, da die Religion um die Cultusbilder, die in der unbeholfenen Gestalt vergangener Jahrhunderte die Tempel zierten, einen geheimnisreichen pietätvollen Schleier wob. Es hat sich ein gleicher Umstand nochmals in christlicher Zeit wiederholt, als alte Holzschnitzereien, obwohl aller Kunst baar, doch im höchsten Ansehen blieben, weil sie eben alt waren oder weil ihnen eine Wunderkraft zugeschrieben wurde. Welches war nun das Mittel, daß die primitive griechische Kunst zur idealen Vollendung kam? Das Studium nach der Natur. Dieses Studium bestand aber nicht etwa in dem bloßen sklavischen Abschreiben derselben, in dein Nachbilden der Menschengestalt. Es war ein echtes, wahres Studium, da man die ganze Welt der Erscheinungen concentrirte, die Unterschiede der einzelnen Objekte gegen einander abwog, um daraus die classische oder ideale Schönheitform zu gewinnen. Einer der griechischen Kunstheroen, Polyklet, hatte das gewonnene Resultat in einer besonders abgefaßten Schrift theoretisch dargelegt und in seinem "Kanon" ein Gesetz für die Schönheit und Harmonie des menschlichen Körpers aufgestellt. (Vergleiche Klassikerbibliothek der bildenden Künste. Antike Plastik. S. 116 flg.) Die äußeren Verhältnisse, die Sitten und Gebräuche des griechischen Volkes unterstützten wesentlich ein solches Studium. Nie seitdem hatten die Künstler solche günstige Gelegenheiten, die Krone der Schöpfung, den menschlichen Körper, in unentwegter Jugendfrische, unbeengt von einer Bekleidung, in Ruhe wie in Bewegung zu sehen und zu studiren. Dem geübten Künstlerauge setzte übrigens selbst die Bekleidungsart der Griechen keine großen Hindernisse in den Weg. In der Gewandung herrschte die größte Einfachheit, die des Körpers Formen besonders im Augenblick der Bewegung errathen ließ. Der Chiton, kurz bei den Männern, lang bei den attischen Frauen, war besonders in der langen Sommerzeit von leichtem Stoffe, auch vertrat er die Stelle unserer Hemden, wenigstens in den meisten Fällen. (Attische Frauen trugen wohl noch ein Gewand unter dem Chiton, aber wie Vasenbilder zeigen, war es dünn und durchsichtig wie ein sehr leichter Schleier, so daß es kaum auf den Namen eines Kleidungsstückes Anspruch machen konnte). Die Falten fielen leicht herab und verriethen, wie ein nasses Kleid, die unter denselben befindlichen Körperformen. Man kann sich bei weiblichen Statuen der griechischen Künstler von der Wahrheit des Gesagten leicht überzeugen. Die Karyatiden am Erechtheion, sechs attische Mädchen in der Blüthe der Jugend, vertreten an der Vorhalle des Bauwerks die Säulen. Der unbekannte Künstler derselben wurde offenbar durch die athenischen Bürgertöchter, welche bei dem Feste der Panathenäen Körbe mit Opfergeräth über dem Haupte trugen, auf diese eben so originelle als reizende Idee gebracht. Die Symposien oder Gastmäler der vornehmen Athener gaben auch den Künstlern erwünschte Gelegenheit, in erwähnter Richtung Studien zu machen; denn wenn auch den Damen des Hauses der Saal des Symposion's verschlossen war, die Künstler nahmen gewiß oft an denselben Theil und hier fand ihr Auge, was es suchte: Schöne Knaben, würdig einem Eros als Vorbild zu dienen, besorgten Ganymed-Dienste den Geladenen, die nur nachlässig bekleidet die Früchte der Gastfreundschaft genossen; dann traten Flötenspielerinen und Tänzerinen in der frischesten Jugendblüthe in den Saal, um auch das Ohr und das Auge der Gäste zu ergötzen. Der Tanz der Griechen war ein Mimenspiel; die Art der Bewegung sollte ein Lied ohne Worte sein, das doch die inneren Gefühle offenbarte. "Das ist der Hauptvorzug des griechischen Tanzes," sagt W. A. Becker im Charikles, "der ihn zur wirklichen Kunst erhebt, daß er nicht in sinnlosem Drehen und Springen bestand, sondern jederzeit Darstellung einer inneren Vorstellung war, an deren Ausdrucke alle Theile des Körpers ihren verhältnismäßigen Antheil hatten." Welch' eine Schule für das seine Künstlerauge! Wenn der Saal der Anatomie in der Zergliederung der Leiche die prosaische Theorie des Körperbaues bietet, hier wurde die Poesie des lebenden, in Entzückung und vibrirender Lust harmonisch bewegten Körpers gelehrt. Es hatten die Griechen aber noch bei anderen Gelegenheiten Tänze; so die öffentlichen bei Festlichkeiten, die wir als einen Theil des Gottesdienstes aufzufassen haben und die gewiß, schon um dieses Umstandes willen die Aufmerksamkeit des Künstlers auf sich ziehen mußten. Wir werden weiter von ihnen zu reden haben. Um unserem Gegenstand näher zu treten, dürfen wir die Gymnasien nicht mit Stillschweigen übergehen, wo sich die Jugend durch gymnastische Übungen Leib und Seele stählte. Wie wichtig diese Übungen des Körpers sind, hat die Gegenwart eingesehen und sie, natürlich mutatis mutandis wieder in unseren Turnhallen zum neuen Leben erweckt. Die männliche Jugend Griechenlands tummelte und übte sich aber auf der Palaestra ohne jedes Gewand und der Künstler fand hier in reicher Fülle, was er brauchte und suchte, gesunde, jugendliche Körper, die in ihrer mannigfaltigen Bewegung dem Künstler jede Art der Muskelthätigkeit offenbarten. Das waren die Vorbereitungen für die großen olympischen Wettkämpfe und die Siegespalme Olimpia's gehörte zu den schönsten und kühnsten Träumen des griechischen Jünglings, insbesondere, als es üblich wurde, olympische Sieger in Statuen zu verewigen. So hat das alle vier Jahre wiederkehrende Fest Olimpia's dem Bildhauer die herrlichsten Vorbilder für seine Kunst geschaffen und die berühmtesten Künstler haben sich diese Gelegenheit zu Nutzen gemacht, wie sie auch in der Darstellung olympischer Sieger diese und ihre eigene Kunst unsterblich machten. "Doch höher stets, zu immer höhern Höhen Schwang sich das schaffende Genie. Schon sieht man Schöpfungen aus Schöpfungen erstehen, Aus Harmonien Harmonie. Was hier allein das trunk'ne Aug' entzückt, Dient unterwürfig dort der höhern Schöne; Der Reiz, der diese Nymphe schmückt, Schmilzt sanft in eine göttliche Athene: Die Kraft, die in des Ringers Muskel schwillt, Muß in des Gottes Schönheit lieblich schweigen; Das Staunen seiner Zeit, das stolze Jovisbild Im Tempel zu Olympia sich neigen." (Schiller.) Olympia war darum für den griechischen Künstler ein rechter Markt für männliche Modelle. Wir nennen ein Modell die concrete Menschengestalt, die dein Künstler - Bildhauer oder Maler - zum Studium dient. Dieses Studium hat kein Ende, der beste Künstler lernt nicht aus, immer wieder muß er zur alten Lehrmeistern, der Natur, dem Modell zurückkehren. Er braucht es aber nicht allein dann, wenn er einen nackten Körper zu bilden oder zu malen hat, sondern auch bei bekleideten Figuren, wenn die Gewänder sich wirklich an einen lebenden Körper an schmiegen und nicht wie an einem hölzernen Gestell hängen sollen. Wir haben nun gesehen, wie günstig sich der männliche Actsaal für den griechischen Künstler gestaltete. Wie war es dann mit weiblichen Modellen bestellt? Wollte der griechische Künstler in's volle Leben reisen, dann brauchte er nichts anderes zu thun, als einen Ausflug nach Sparta zu unternehmen, wo er bei besonderen Festlichkeiten die herrlichsten weiblichen Modelle, die alle seine Erwartungen übertreffen mußten, sehen und studiren konnte. Die Strenge der lykurgischen Gesetze ist bekannt; sie erstreckte sich auch auf die Erziehung der Kinder, ja diese mußten abgehärtet werden, damit sie die Strenge des Gesetzes nicht als eine Last empfinden. Der Körper wurde frühzeitig gestählt durch Arbeit, Kampfspiele, gymnastische Übungen, aber auch indem man dem Körper nur die nöthigste Hülle ließ, damit er gegen alles Ungemach des Wetters abgestumpft werde. Die gymnastischen Übungen wurden von Knaben und Mädchen gemeinsam gehalten. Erstere waren ganz nackt, letztere trugen einen ärmellosen Chiton, der so kurz war, daß er über den Knieen endigte. Der Chiton selbst, der nur auf den Achseln durch Agraffen zusammen gehalten wurde, war an den Seiten geschlitzt, so daß dabei fast aller Begriff eines Gewandes illusorisch wurde. Nach Zeugnissen alter Schriftsteller gab es aber auch besondere Festlichkeiten, an denen auch noch dieses problematische Kleidungsstück abgelegt wurde, so daß Jünglinge und Jungfrauen hüllenlos ihre Festspiele betrieben. Eine sittliche Gefahr glaubte wohl Lykurg dadurch unmöglich gemacht zu haben, als er die Festspiele, Tänze u. s. f. unter Aufsicht alter Leute stellte und in Gegenwart der Götterstatue (Artemis) abhalten ließ. Offenbar hatte Lykurg dabei den Gedanken, den jungen Männern die Wahl ihrer künftigen Gattinen zu erleichtern und durch die volle Enthüllung das der Jugend oft so verderbliche, von ungeregelter Phantasie geschürte Geheimniß unschädlich zu machen. Ob Lykurg Recht hierin hatte, mögen Pädagogen entscheiden; wir halten uns hier nur an die Thatsachen und nur aus dem Grunde, um zu zeigen, daß diese Verhältnisse notwendig die Künstler zu Studien nach der Natur herausfordern mußten. Daß sie es wirklich thaten, ist leicht zu beweisen; man kann nur die leichtgeschürzten Amazonen griechischer Künstler (etwa eines Polyklet oder Kresilas) oder die Diana von Versailles betrachten und man wird alsbald anerkennen, daß die hochgeschürzten spartanischen Mädchen ihnen zum Modell gedient haben. Noch deutlicher und ausgesprochener weist aus den dorischen Ursprung ein Kunstwerk des Museo Pio-Clementino im Vatican hin; es ist die Statue einer spartanischen Siegerin im Wettlauf. Wir dürfen hier auch nicht einen besonderen festlichen Tanz mit Stillschweigen übergehen, den nach dem Zeugnisse des Paufanias lakedämonische Jungfrauen zu Ehren der großen Artemis zu Kariae jährlich aufführten. Es war dies ein ganz eigentümlicher Nationaltanz, den die Jungfrauen als Hierodulen oder Dienerinen der Göttin veranstalteten. Leider hat uns Paufanias die Art des Tanzes nicht beschrieben und wir sind nur auf Vermuthungen angewiesen. Ein namhafter Archäolog (Böttiger) stellt sich denselben also vor: Die drei schlanksten und erwähltesten Jungfrauen vereinten sich zu einer malerischen Gruppe und hielten mit ihren Händen über den Köpfen ein Gefäß oder einen Korb mit Opfergaben empor, mit der Geberde der Anbetung. Die übrigen Jungfrauen tanzten, im geschlossenen Kreise sich anfassend, einen Ringeltanz um die Gruppe. Wir müssen uns alle hier mitwirkenden Jungfrauen, als dorische Mädchen, leicht bekleidet und hoch geschürzt vorstellen. Sie werden Karyatiden genannt - vom Orte, wo die Göttin Artemis ans diese Art verehrt wurde. Sie waren die eigentlichen Karyatiden, während jene von Athen vielmehr Kanephoren waren, ans die der Name "Karyatiden" übertragen wurde. Wenn Böttiger's Deutung recht ist - und sie wird durch Erscheinungen auf dem Kunstgebiete unterstützt - so fanden die Künstler in diesen Mädchengruppen die herrlichsten Motive. Man denke sich eine schöngebaute Mädchengestalt im leichten, nirgends beengenden, ärmellosen Gewande, den Arm hoch gehoben. Dieses Emporheben des Armes allein bringt Leben und Schwung in die Umrißlinien des Körpers, die auch zur vollen Geltendmachung eines schönen weiblichen Arms nichts vortheilhafter beitragen kann, als eine solche Thätigkeit desselben. Die Künstler haben dies instinktmäßig empfunden und auch mit großem Vortheil benützt. Man braucht nur eine Artemis anzusehen wie sie den Arm emporhebt, um einen Pfeil aus dem am Rücken befindlichen Köcher zu ziehen, oder eine Venus, die nach dem Bade ihren Haarschmuck in Ordnung zu erhalten sich bemüht und wir werden die Wahrheit des Gesagten bestätigt finden. Möglich auch, daß die Gruppe der drei Karyatiden Jungfrauen, die das Weihgeschenk emporhielten, den Künstlern das Motiv für die Graziengruppe lieferte - und welch' ein glückliches Motiv! Es war so lebensvoll, daß es selbst die griechische Kunst überlebte und in den Grazien Raphael's eine neue Auferstehung feierte, wie in der Gruppe der drei ganz in griechischem Geiste gezeichneten Mädchen, welche das Rauchgefäß emporhalten. Und noch auf dem einen seiner berühmten Tartone in Hampton-Court, auf dem die Heilung des Lahmen dargestellt wird, sehen wir eine Frau, die den Korb über dem Kopfe trägt, die uns vollkommen an ihre Schwestern, die Karyatiden Jungfrauen erinnert. Es möge genügen, in diesen flüchtigen Umrissen auf die Äußerungen griechischen Lebens hingewiesen zu haben, die dem Künstler Motive und Modelle für seine Thätigkeit in reicher Fülle darboten. Aber mit den auf diese Weise produzierten Modellen war dem Künstler nicht vollkommen gedient. Wenn ihm das warm pulsirende Leben des griechischen Volkes, besonders in Bezug aus die schöne Hälfte desselben, zu irgend einer Komposition begeisterte und er seinen Gedanken in einem Entwurfe bereits fixirt hatte, so mußte dieser, wenn er ihn kunstgemäß durcharbeitete, auf seine Naturwahrheit geprüft werden. Diese Prüfung konnte nur bewerkstelligt werden, indem er während der Ausführung seines Werkes immer wieder dieses mit dem Leben, mit der Wirklichkeit verglich; den menschlichen Körper mit einer lebenden Person, die Thiergestalt mit dem lebenden Thiere, die Gewandung mit einer schön geordneten Draperie. Ein Gewand konnte er sich leicht in schöne Falten legen, das Thier besorgen und auch ein männliches Modell sich aus der Palästra aussuchen. Wie aber war es mit dem nackten weiblichen Modell bestellt? Wir wissen, daß die griechischen Matronen und ihre Töchter sehr eingezogen lebten und daß, wenn auch ihre strenge Tugend nicht schon eine unübersteigliche Scheidewand zwischen sie und den Künstler (und selbst den besten) ausgebaut hätte, auch der Gatte und Vater es nie zugelassen haben würde, daß sein Weib oder seine Tochter sich vor dem Künstler enthülle. Die Künstler - Maler wie Bildhauer - waren darum an die Hetären gewiesen, aus deren Reihen sie sich taugliche Exemplare auszuwählen gezwungen waren. Aber auch hier hatten sie mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Hetären (d. h. Freundinen) nannten die stets sein denkenden und redenden Griechen jene unglücklichen Personen, die mit dein edelsten Gefühle des Menschenherzens, das selbst eine öde Existenz zum Paradieses-Dasein umzaubert, Handel trieben, es in den Schlamm animalischer Naturnotwendigkeit hinabzogen. Nun gab es aber verschiedene Klassen derselben; die öffentlichen, gemeinen Dirnen, die von einem Wirthe wie Sklavinen in besonderen Häusern gehalten wurden und die ihrem Herrn als Sachen galten, mit denen er Handel trieb und sich bereicherte, während die armen Opfer einem sicheren endlichen Elend und Untergang preisgegeben waren. Dann trieben Viele das unselige Geschäft privat auf eigene Rechnung und diese rekrutirten sich aus der Klasse der Freigelassenen. Als Flötenspielerinen und Tänzerinen erhöhten sie die Freuden der Symposien und benützten diese Gelegenheiten, Verhältnisse anzuknüpfen, so daß sie oft das wurden, was man heutzutage eine Femme soutenue nennt. Das war das Gebiet, wo der Künstler sein Modell zu suchen hatte. Während aber oft das öffentliche Mädchen, das täglich der Leidenschaft zum Opfer fiel, auch natürlich allen Reiz und alle Schönheit eines jugendlichen Körpers zerstört hatte, für ein Modell also werthlos wurde, stand der Wahl eines Modells der zweiten Klasse das bestehende Verhältnis mit einem Manne entgegen, der für die Dauer des Contraktes das Mädchen für sein Eigenthum ansah. Es blieb also noch die Wahl aus der bevorzugten Klasse übrig, die indessen auch zuweilen durch die Höhe der geforderten Taxe illusorisch wurde. Es gab nämlich auch einzelne Hetären, die in den Städten, insbesondere Athen, eine exzeptionelle Stellung einnahmen, indem sie nicht allein durch hohe Schönheit, sondern auch durch Witz, Geist und Liebenswürdigkeit sich auszeichneten, eine hinreißende Gewalt über ihre Zeit-genossen ausübten und in nahe Beziehungen zu den bedeutendsten Männern ihrer Zeit traten. Es wird nicht überflüssig sein, hier daran zu erinnern, daß wir diese Verhältnisse nicht einseitig auffassen, nicht mit unseren modernen Ansichten messen und beurtheilen dürfen. Daß diese Damen (der Demi-monde würde man heutzutage hinzusetzen) sich durch ihre Kenntnisse, an welche die der vornehmsten und edelsten freien Athenerin nicht im entferntesten heranreichte, sich berühmt zu machen verstanden, bezeugt die Geschichte, die uns die Namen vieler derselben erhalten hat. Alle kamen aus der Fremde nach Athen; Aspasia, die berühmte Freundin eines Perikles, und Lais stammten aus Korinth, dem Vaterlande der Hetären, wo der Tempel der Aphrodite allein über tausend Hetären als Hierodulen besaß; Phryne kam als armes ehrliches Madchen ans Thespiae nach Athen, nur Lamia war die Tochter eines freien Atheners. Wird ein Künstler hoffen dürfen, im Kreise dieser hochgefeierten Schönheiten ein williges Modell zu finden und im Studium desselben seine Kunst zu fördern? Wir wollen sehen! Ein armes Mädchen kam aus der Ferne nach Athen. Mnesarete ist ihr Name, Thespiae in Böotien ihre Vaterstadt. Das Mädchen war von blendender Schönheit, ungetrübt war auch ihre Unschuld. Ein verfängliches Unternehmen, nach Athen zu gehen, wo die erste Eigenschaft die zweite früher oder später zu Falle bringen mußte. Was hatte sie in Athen zu suchen? Wir wissen es nicht. Sie sammelte Tapern von den Sträuchern und verkaufte sie an die Händler; damit fristete sie ihr Leben. Eine karge Einnahme fürwahr! Und die schlechten Beispiele, die sie in Menge umgaben und ihre Armuth und Unschuld verhöhnten! Und sie war sehr schon, es kostete sie nur ein Wort, nur ein Schritt war zu thun, um Genuß, Freude und Reichthum zu gewinnen. Kein guter Genius stand ihr zur Seite und so war, von der Noth getrieben, dieser leichte erste Schritt auch gethan, sie wurde eine Hetäre. Man nannte sie Phryne, die Kröte, ihrer blassen Gesichtsfarbe wegen, die sie wohl sehr reizend erscheinen lassen mußte, da sie es für immer verschmähte, die Schminke zu gebrauchen. Der Ruf ihrer Schönheit erfüllte die Stadt und wer sie sah, glaubte, daß ihr die gütigen Götter diese Gnadengabe verliehen haben. Dennoch hatte sie einen Feind; Eythias, vielleicht von ihr verschmäht, klagte sie vor dem Gerichtshof der Heliaea der Gottlosigkeit an und es drohte ihr dasselbe Loos, das kurz vordem einen Sokrates ereilt hatte, zum Tode verurtheilt zu werden, wenn nicht der Redner Hyperides, ihr Liebhaber, der sie vor Gericht vertheidigte, im kritischen Augenblicke zu einer wohl berechneten List Zuflucht genommen hätte. Er entfernte mit einem kühnen Griff plötzlich ihr Gewand und die Richter glaubten, Aphrodite selbst oder eine ihrer Priesterinen vor sich zu sehen. Keiner wagte es, sie zu verurtheilen und ein so vollkommenes Gebilde der Schönheit der Zerstörung zu weihen. Nach dieser Freisprechung konnte sie es wagen, öffentlich dem zahlreich versammelten Volke, sich als Aphroditen's Priesterin in ihrer vollen Schönheit zu offenbaren. Es war die Zeit, da in Eleysis die Mysterien gefeiert wurden, die stets große Volksmassen an das Ufer des faronischen Meerbusens herbeilockten. Im Angesicht der Menge legte sie ihre Gewandung ab, löste ihr Haar auf und stieg in das Meer. "Venus Anadyomene steigt aus dem Meer!" rief in größter Bewunderung das Volk. Apelles und Prariteles befanden sich unter der staunenden Menge. Beide waren von demselben Gedanken durchzückt: also die Anadyomene, die dem Meer entstiegene Aphrodite darzustellen, Ersterer mit Farben im Gemälde, Letzterer in Marmor als Statue. Prariteles aber hatte das Glück, Phryne als seine Freundin und als sein Modell zu gewinnen. Wie es ihm glückte, wissen wir nicht. Aus dem Erfolge nur können wir abnehmen, daß Phryne es instinktmäßig herausgefunden, ein Anschließen an den berühmten Künstler werde ihren Ruhm erhöhen, ihren Namen unsterblich machen. Und sie hat sich in ihrer Berechnung nicht geirrt; der Ruhm Beider ist unzertrennlich verbunden und in den ernstesten Werken über antike Plastik, wird im Kapitel, das sich mit der classischen Kunst eines Prariteles befaßt, auch seines reizenden Modells gedacht. Die ganze Kunst des Prariteles verräth den wohltuenden Einfluß, den seine Freundin, sein herrliches Modell auf sie ausgeübt hat. Sie scheint den Cultus ihrer Vaterstadt Thespiae, der dem Eros und den Chariten geweiht war, der Kunst ihres Freundes eingehaucht zu haben. Unter den classischen Schöpfungen seines Meißels sind besonders die Statuen der Aphrodite, des Eros und aus dem Dionysoskreise hervorzuheben. Viel gepriesen wurde auch ein Satyr Staphylos (mit der Traube). Dieser und ein Eros standen einst vollendet in seiner Werkstätte. Der Künstler versprach seiner geliebten Phryne, die ihm mehr als Freundin war, sein bestes Werk zum Geschenk zu geben. Sie aber getraute sich selbst nicht ein Urtheil über ein Kunstwerk und so nahm sie zu einer List Zuflucht, um zu erfahren, welches seiner Werke er selbst für das beste halte. Sie ließ einen Sklaven herbeieilen und die Meldung thun, in seiner Werkstätte sei Feuer ausgebrochen. "Rettet meinen Satyr und meinen Eros, sonst bin ich verloren!" rief in voller Angst der erschreckte Künstler. Phryne aber beruhigte ihn, sie wußte nun zu wählen und ihre Wahl fiel auf den Eros. Nicht ohne Vorbedacht! Man konnte sie des Eigennutzes zeihen, sie verfuhr aber aus Patriotismus also, denn sie schenkte den Eros ihrer Vaterstadt, die ihn im Tempel aufstellte. Es war ein kostbares Geschenk, seine 200 Talente werth (etwa 800000 Mark unseres Geldes). Wir haben bereits erwähnt, daß die aus dem Meere steigende Phryne dem Künstler die Idee eingab, eine Aphrodite zu bilden. Nicht ein Tempelbild, nicht die Venus Urania nahm seine Gedanken gefangen; die Göttin der Liebe, die den Olymp der Götter erst zum Himmel macht und die Erde in ein Paradies verwandelt, sollte in tadelloser Schönheit, hüllenlos, den Keim, das Wachsthum, die Vollendung der Liebe darstellen. Und Prariteles wurde der Schöpfer des Aphrodite -Ideals. Gewiß hat ihn Phryne dabei beeinflußt und der tadellose Körper derselben mag den ersten Gedanken eingegeben haben, die meisterhafte, jugendlich frische Schöpfung gewandlos aufzunehmen und sie zu einer Göttin umzuwandeln. Denn das müssen wir bei einem Prariteles bedingungslos voraussetzen, daß seine Aphrodite keine bloße Copie des Modells war; durch Reflexion und mehr noch durch das Genie verlieh er dem nackten Frauenkörper erst die Würde, den Charakter der Göttin. So wie er sie am Meeresufer in Eleysis gesehen, wie sie das nasse Haar mit ihren Händen ausdrückt, konnte er sie als Bildhauer nicht brauchen. Er wählte darum den Augenblick vor dem Bade; die letzte Hülle ist von dem schönen Leibe abgestreift und die Linke läßt sie über die Urne herabgleiten, während die Rechte, den Schooß deckend, der Göttin Unschuld und Schamhaftigkeit betont. Am meisten rühmte die alte Welt an ihr die Lieblichkeit des Ausdrucks, das reizende Lächeln des Mundes, den feuchten Glanz des Auges. Fünfmal bildete Prariteles die Liebesgöttin, darunter eine bekleidete, die auf die Insel Kos kam und auch sehr gerühmt wurde, aber der Preis galt der Gewandlosen, die auf die Insel Knidos gekommen ist und dieselbe zu einem berühmten Wallfahrtsorte machte, wo alljährlich taufende von Menschen zusammenkamen, um das Meisterwerk Prariteles zu sehen und zu bewundern. Wenn Phryne sich an den Künstler anschloß, nicht etwa weil er eine angenehme Persönlichkeit, sondern weil er eben Prariteles war und wenn sie glaubte, am Ruhme desselben theilhaftig zu werden, so hat sie sich nicht getäuscht. Daß sie keine gewöhnliche Dirne war, hat sie gezeigt, als sie großmüthig ihres Freundes Geschenk ihrer Vaterstadt schenkte. So erscheint auch die Erzählung des Kallistratos ganz glaubwürdig, nach der sie die Mauern des im Jahre 333 durch Alexander zerstörten Thebens aus ihren Mitteln wieder ausbauen lassen wollte, nur sollten diese die Aufschrift tragen: "Alexander zerstörte sie, Phryne, die Hetäre, baute sie wieder auf." Jedenfalls nimmt Phryne in der Geschichte des weiblichen Modells eine bevorzugte Stellung ein und wenn wir auch verhältnismäßig wenig von dem Künstlerroman : "Prariteles und Phryne" wissen, so ist es doch mehr, als von den taufenden von Modellen aller künftigen Jahrhunderte. Den amerikanischen Bildhauer William Story hat Phryne zu einem Gedichte begeistert, das in Adolph Stahr's Uebersetzung hier einen Platz finden möge: Wohl zwei Jahrtausende sind's her - der Sonne letzter Strahl Umflammte die Akropolis hoch ob der Stadt im Thal, Als zu Athen ein Bildner that den letzten Meißelschlag In seiner Werkstatt an dem Haupt, schön wie der junge Tag. Tief seufzend zog er ab die Hand von seiner Marmorpracht Und sprach zu ihr, die seitab stand: jetzt, Liebste, ist's vollbracht! Soviel ist's, was ich retten mag vor der Vergänglichkeit! Soviel - so wenig, ach! bewahrt vor Tod und Endlichkeit! Verbleichen wird dein rother Mund, verblüh'n der Glieder Pracht, Kein liebend Flehn bewahret sie vor der Zerstörung Macht. Doch soll dein Lächeln marmorn stehn in ew'ger Heiterkeit; Denn Kunst gewährt, was Lieb' versagt, gewährt Unsterblichkeit. Ach, dieser kalte Marmor wird in ew'ger Jugend blüh'n, Wenn längst die Hand, die ihn beseelt, längst du und ich dahin! Wenn uns're heißen Herzen längst zu Asche, still und kalt, Und uns're Liebe wie ein Ton Jahrhunderte verhallt: Dann wird der kalte Marmor hier, dem Nichts kann Leben leih'n, Noch lächeln, wie er heute lacht, noch schön, wie heute sein. Kein Kummer stört den Frieden ihm, nicht Gram und Mißgeschick, Nicht Alter und Enttäuschungspein wird trüben je den Blick. Geschlechter, ungeborene, sie schauen tiefbewegt, Hier Jugend und Holdseligkeit für ewig ausgeprägt, Und wenn wir längst zu Staub verwest, wohl manch ein Fremdling spricht : "So lächelt' aus Prariteles einst Phrynen's Angesicht!" Wenn wir uns mit Phryne etwas länger beschäftigt haben, so ist der Grund darin zu suchen, daß man über sie, als ein Künstlermodell, verhältnismäßig am ausführlichsten unterrichtet ist. Daß auch die anderen Künstler, welche classische Kunstwerke schufen, ihre Studien an lebenden Modellen machten, braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden. Einzelne Beispiele aus der Kunstgeschichte deuten übrigens ganz deutlich auf das Modell hin. Zu den vorzüglichsten Malern der griechischen Kunstblüthe gehört Polygnotos, der durch mehrere große historische Compositionen seinen Namen unsterblich gemacht hat. So malte er zu Delphi die Einnahme Ilion's, in der Poikile zu Athen mehrere Gemälde, darunter den Kamps der Athener unter Theseus gegen die Amazonen, die Schlacht bei Marathon u. a.. Auch im Tempel der Dioskuren und des Theseus in Athen waren Werke seiner Kunst bewahrt. Nun heißt es von ihm: Polygnotos war der erste, welcher Frauen mit durchsichtigen Gewändern malte. Es kann die Bezeichnung "durchsichtig" auf zweifache Art aufgefaßt werden. Der Maler kann entweder den Frauengestalten auf seinen Bildern durchsichtige Florgewänder gegeben haben, so daß der nackte Körper durchschien und dessen Farbe durch den Schleier nur ein wenig gedämpft wurde; oder er hat ihnen seine, wenn auch nicht durchsichtige Kleider verliehen, die sich an die Körperformen so innig anschmiegten, daß diese, wenn auch nicht ihre Farbe, deutlich hervortraten. Im zweiten Sinne haben auch die Bildhauer durchsichtige Kleider ihren weiblichen Statuen oft angepaßt, so daß man unter dem Gewande die Körperformen deutlich wahrnehmen konnte. Diese Behandlungsweise wird ja überhaupt von der Kunst streng gefordert, wenn die Gewandung nicht wie auf einem Stock, sondern auf einem wirklichen Körper liegend und von dessen Formen beeinflußt erscheinen soll. Mag nun der erste oder der zweite Fall bei Potygnotos anzunehmen sein, immer muß vorausgesetzt werden, daß er zuerst Studien des nackten Körpers nach dem Leben machen mußte, bevor er diesen bekleidete. Wir werden denselben Fall bei vielen Künstlern der Neuzeit durch ihre erhaltenen Studien beglaubigt wiederfinden, so namentlich bei Raphael. Plinius berichtet uns auch im Leben des Pausias von dessen Modell, das den Künstler zu einem sehr gefeierten Genrebilde begeisterte. Pausias von Sikyon war mit Apelles ein Schüler des Pamphilos und hatte eine Geliebte, die früher seine Jugendgespielin war. Glykera hieß diese und war ein Blumenmädchen, das Blumen zu Kränzen wand und sie dann verkaufte. Zuerst waren es die Blumen selbst, die seine Kunst herausforderten. Wie Plinius sagt, ahmte er seine Geliebte im Wetteifer nach; wie sie wirkliche Blumen zu einem gefälligen Strauß oder Kranz zusammenband, so vereinte er mit Farben die schönen Kinder Flora's in reichster Mannigfaltigkeit durch Zusammenstellung derselben. Seine Blumenstücke, in wetteifernder Liebe gemalt, wurden sehr geschätzt. Doch blieb er bei dieser Beschädigung nicht stehen. Mußte er nicht schließlich von den leblosen Blumen sein Auge zu der lebenden erheben, die von jenen umgeben, wie eine Blumenkönigin waltete? Und er malte in der That seine reizende Glykera, zwischen Blumen sitzend und einen Kranz bindend. "Die Kränzewinderin" nannte man das Bild und es fand die allgemeinste Anerkennung, so daß der Künstler seine Idylle noch oft wiederholen mußte, um den vielen Bestellungen zu genügen. Um hohen Preis wurden diese Wiederholungen verkauft, auch Lucullus aus Rom erwarb eine solche in Athen; das Modell dazu aber blieb als lebendes Original dem glücklichen Künstler. Zeuxis von Herakleia ist ein anderer Maler, dessen Ruf alle seine Werke überdauerte. Diese wurden sehr theuer bezahlt, so daß der Künstler damit Ehre und Reichthum zugleich erwarb. Später soll er einzelne seiner Bilder verschenkt haben, weil ihm, wie er sagte, doch Niemand den Preis zahlen könne, dessen diese werth wären. In Olympia erschien der Künstler einmal in einem Gewande, in dessen Muster sein Name mit goldenen Buchstaben eingewebt war. Nach alten Nachrichten muß der Künstler auf allen Gebieten der Malerei gleich vorzüglich gewesen sein. Auch das Stillleben verschmähte er nicht, wie wir aus seinem Wettkampfe mit Parrhasios erfahren. Es ist die bekannte Geschichte mit den Weintrauben, die Zeuxis so täuschend darstellte, daß die Vögel denselben zuflogen, während sich der Künstler selbst durch einen gemalten Vorhang des Parrhasios täuschen ließ. Eine solche naturalistische Auffassung des Gegenstandes setzt natürlich fleißige Beobachtung und treues Naturstudium voraus. Eine solche Naturnachahmung müssen wir bei dem Meister auch bei figürlichen Darstellungen voraussetzen, bei denen es der Künstler oft bis zur sinnlichen Illusion gebracht zu haben scheint, wie uns die alten Nachrichten errathen lassen. So hatte er die alte häßliche Hekuba so täuschend mit allen Merkmalen des Alters und Gebrechens dargestellt, daß er, wie Plinius erzählt, über sein vollendetes Werk selbst so intensiv lachen mußte, daß er in einen Lachkrampf verfiel und darüber starb. Wenn wir auch das Letztere in das Gebiet der Anekdote oder des Epigramms verweisen, jedenfalls war hier ein Bild geschaffen worden, dessen sich der beste Naturalist unserer Gegenwart nicht zu schämen brauchte. Daß der Künstler, dem man sonst nachrühmt, den schönen weiblichen Körper in idealer Vollendung gemalt zu haben, hier seinen Pinsel an der Häßlichkeit verschwendete, darf uns nicht befremden. Leonardo da Vinci that es zweitausend Jahre später auch nicht anders. Zu seinen gerühmtesten Werken gehört ein Eros, der von Rosen bekränzt war; ferner eine Kentaurenfamilie, die sich eines besonderen Rufes erfreute. Sulla wollte sie nach Rom versetzen, sie ist aber beim Vorgebirge Malea im Meer untergegangen. Wenn sich unsere Taucherkunst noch weiter entwickelt haben wird, welche Schätze und auch welche Kunstschätze wird man den Meeresfluthen wieder abringen können! Lucian, der eine Copie des Bildes in Athen fand, beschreibt uns die Composition recht ausführlich und sie möge hier im Auszug Platz finden: "Die Kentaurin liegt aus dem Rasen in ihrer ganzen Roßgestalt, der weibliche Körper ist sanft erhoben "und deutet aus Höheres, mehr als Menschliches" (Goethe). Von den Jungen hält sie eins empor in den Armen und nährt es auf menschliche Weise, indem sie ihm die weibliche Brust darreicht ; das andere aber säugt sie an dem Euter nach Art eines Füllens. Oben in dem Bilde, wie von einer Warte, hält der Roßkentaur das Junge eines Löwen empor." Lucian bewundert dann insbesondere die Kentaurin, sowohl die schöne Bildung des Rosses als die obere Hälfte, das eigentliche Weib. "Die Vermischung und Verknüpfung der Leiber, wo das Roß mit dem Weibe zusammengefügt und verbunden ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen Uebergang; durch die allmähliche Umwandlung wird das Auge ganz unvermerkt von dem Einen in das Andere übergeführt." Interessant dürfte die Thatsache erscheinen, daß Joh. Stradan (1523 bis 1608) nach Lucian's Beschreibung die verlorene Composition des Zeuxis zu reconstruiren versuchte, die uns wieder I. Collaert in einem Stiche erhalten hat. (In neuerer Zeit hat Riepenhausen Polignot's Bilder in der Lesche nach der Beschreibung derselben von Pausanias wieder zu erwecken versucht.) Wenn auch Lucian's Beschreibung sehr genau mit Stradan's Zeichnung übereinstimmt, wer wird behaupten wollen, daß sie auch mit dem Original (trotz der Unterschrift: .Adspice Zeuxis opus) in gleicher Treue gleichförmig ist? (Siehe Abbildung.) Jedenfalls mußte Zeuxis umfassende Naturstudien gemacht haben, wenn er sich an eine solche Ausgabe, zu der ihm thierische und menschliche Modelle nur theilweise Hilfe leisten konnten, heranwagte. Es ist übrigens ein poetischer Gedanke, das Familienleben des Thieres durch Beifügung der Menschenleiber aus dem Thierleben in's Menschliche zu übertragen und es eben dadurch seine Weihe finden zu lassen. Von den Einwohnern von Kroton erhielt Zeuxis den Auftrag, für den Tempel der lakinischen Hera eine Helena zu malen. Hier fand er Gelegenheit, sein weibliches Schönheitsideal zu verkörpern. Es ist für unseren Gegenstand höchst wichtig, auf welchem Wege, durch welche Mittel Zeuxis sein Ideal gewinnen zu können meinte. Helena, das Original, konnte dem Künstler natürlich nicht als Modell stehen; sie galt als das Prototyp vollendeter Frauenschönheit. Zeuxis wußte wohl aus Erfahrung, daß er kein Modell finden werde, das seinen Anforderungen entspräche. Er ersuchte darum die Auftraggeber, daß sie ihm erlauben, von den schönsten Jungfrauen, die die Stadt befaß, sich die allerschönsten zum Modell auszuwählen, damit er die Reize, die sich bei den Mädchen vereinzelt fänden, in seinem Bilde zu einer Gesammterscheinung vereine und so das Ideal weiblicher Schönheit gewinne. Dies wurde ihm auch zugestanden, und die Künstler aller Jahrhunderte haben in der That Urfache, Zeuxis um diese Begünstigung zu beneiden. Es ist zu verwundern, daß der Künstler an den wenigen Auserwählten alle dreißig Reize vereint fand, die zu einer vollendeten Schönheit gefordert werden. Iean de Nevizan (16. Jahrhundert) zählt sie in seinem Gedichte: "Sylvia Nuptialis" einzeln auf. Die betreffende Stelle beginnt: "Triginta haec habeat, quae vult formosa videri Formina! Sic Heleman fame fuisse refert." Und er schließt mit einem Seufzer die Aufzählung: "Cum nullae rarae sint haec, formosa vocari Rara puella potest - nulla puella potest!" Zeuxis vollendete sein Bild, das im ganzen Alterthum als ein Wunder der Kunst gefeiert wurde. Er selbst war von seinem Werke so befriedigt, daß er sich von den Besuchern, die es sehen wollten, Eintrittsgeld zahlen ließ, weshalb der Volkswitz seine Helena eine Hetäre nannte. Wer würde heutzutage nicht gern und selbst ein hohes Eintrittsgeld bezahlen, wenn ihm Gelegenheit geboten wäre, dieses Hauptwerk eines der berühmtesten Künstler Griechenlands, in ursprünglicher Frische und Schönheit, wie es aus seiner Meisterhand hervorging, schauen zu dürfen? Es soll später nach Rom gekommen sein, wo es das Schicksal so vieler anderer Meisterwerke theilte. Auch nicht eine schwache Nachbildung tröstet uns über den Verlust eines Bildes, in dem sich die Reize der schönsten Jungfrauen einer griechischen Stadt widerspiegelten. Mit Zeuxis theilt Apelles den Ruhm, einer der größten Maler des Alterthums gewesen zu sein. Auch seine Thätigkeit bietet uns Stoff für unsere Untersuchung. Wir haben bereits früher erwähnt, daß er mit Prariteles in Eleysts anwesend und Zeuge war, als Phryne öffentlich die Venus Anadyomene in Szene setzte. Wie Prariteles nahm auch er sich vor, das Bild, das hier sein Künstlerauge erschaut hat, zu siriren und in einem Gemälde zu verewigen. Natürlich mußte er als Maler es anders auffassen, als es der Bildhauer gethan. Er konnte das Meer selbst und die Göttin von dessen Flutheu umspült darstellen, was dem Bildhauer verwehrt war. Wahrscheinlich stand Aphrodite, die eben aus den Fluthen emportauchte, fast zur Hälfte im Wasser, da sie mit ihren Händen nicht wie bei Prariteles das Gefühl der Schaam über ihre Hüllenlosigkeit andeuten konnte. Es wird nämlich berichtet, daß sie mit den Händen ans dem ausgelösten Haar die Feuchtigkeit und den Schaum ausdrückte. (Aequoreo madidas quae premit imbre comas. Ovid). Die alten Schriftsteller rühmen das Kunstwerk über alle Maaßen; insbesondere wird der liebreizende, sehnfüchtige Blick, der schwellende Busen, das Ebenmaaß der Glieder und der Glanz des nassen Haares hervorgehoben. Tizian's Anadyomene ist natürlich keine Copie des Originals von Apelles, aber sicher in dessen Geiste aufgefaßt, weshalb sie hier als Ersatz für jene in Abbildung stehen soll. Die Bewegung ist graziös, mit durchdringendem und verführerischem Blick steht sie den Beschauer an, wie sich auch in ihrer ganzen Erscheinung nicht die Unschuld der Anadyomene, sondern bereits das Bewußtsein ihres Berufes offenbart. Die Fülle, die größer ist, wie sonst bei einer classischen Venus, gehört dem Kunstcharakter Tizian's an. (Das Original bei Lord Ellesmore in London. - In einem Bande des Musee Napoleon zeigt uns ein Frontispice von Moreau jun. Apelles, der die Phryue als Venus Anadyomene malt. Diese steht in ganzer Figur auf einem Trittbrett. Der Oberkörper ist nach Tizian copirt. Drei junge Mädchen (Grazien?) sind als Zeugen gegenwärtig.) Das Original, das auf die Insel Kos kam, brachte Augustus um den Preis von hundert Talenten nach Rom, wo es unter Nero zu Grunde ging. Apelles malte noch ein zweites Gemälde der Aphrodite, das aber unvollendet blieb. Fertig war bereits der Kopf, und die Brust; diese waren aber von so hoher Vollendung, daß es nach des Meisters Tode kein Künstler wagte, das Fehlende hinzuzufügen. Ein eigentümlicher Umstand führte dem Meister ein weibliches Modell zu. Apelles war, was man heutzutage zu sagen pflegt, der Hofmaler Alexander's des Großen. Wie sich dieser nur von Prariteles in Marmor hauen ließ, so saß er auch nur dem Apelles zum Bildniß. Plinius sagt: Wie oft Apelles den Alexander gemalt hat, ist auszuzählen überflüssig. Besonders berühmt wurde das Bild, das für den Tempel der Artemis zu Ephesus gemalt war; es stellte Alexander mit dem Blitze in der Hand vor und man bewunderte an dem Bilde besonders, daß die Finger und der Blitz von der Tafel sich gleichsam losschälten und hervortraten. Der Künstler verstand es also, die Gegenstände plastisch zu geben. Alexander hatte nun in seinem Harem ein Mädchen, das besonders schön war und das der Herrscher vor anderen auszeichnete und liebte. Pankasta hieß die Favorite und Alexander wünschte, daß ihre Schönheit durch die Kunst verewigt werde, nicht allein der schöne Ausdruck des Gesichtes, sondern auch die herrlichen Formen des ganzen Körpers. Wer hätte sonst als Apelles diesen königlichen Wunsch zur Zufriedenheit erfüllen können? Und so mußte Pankasta hüllenlos sich vor die Augen des Künstlers hinstellen, damit diesem kein Reiz entgehe und er ein getreues Bild der Wirklichkeit geben könne. Wie viele taufend Künstler der Nachzeit mögen Apelles um ein solches Modell beneidet haben. Aber Apelles, dem es ein Leichtes war, die glänzende Schönheit auf die Tafel zu bannen, erlahmte, je weiter das Bild in die Erscheinung trat, immer mehr in seinem Kunsteifer. Der Künstler hatte neben seinem Auge auch ein Herz und dieses fing im Anblick so vieler Reize Feuer; Apelles verliebte sich in sein Modell und da er wußte, daß er sich dem Eigenthume seines königlichen Freundes nicht nähern dürfe und mit der Vollendung des Bildes der ganze Zauber vorbei sei, so suchte er den Genuß des Anschauens wenigstens zu verlängern; er konnte mit dem Bilde nicht fertig werden. Alexander erkannte bald die Ursache dieser Zögerung und war großmüthig genug, dem Künstler das Original zu schenken und sich mit der Kopie, dem gemalten Bilde, zu begnügen. Govaert Flink hat diese Scene in einem Bilde verewigt, die wir in Abbildung bringen. Schön muß sie gewesen sein, denn Lucian, der ein Muster der vollendeten Frauenschönheit ausstellt, will, daß der Körper einer solchen Frau nach dem Vorbilde der Pankasta dargestellt werden müsse, nicht zu weiß, sondern etwas, wie durch das Blut geröthet. Pankasta soll dann dem Künstler auch zum Modell für seine oben erwähnte Anadyomene gedient haben, da Phryne, welche die erste Anregung zu der Composition gab, nicht zu haben war. Ueberhaupt scheint Apelles einen divinatorischen Blick für weibliche Schönheit gehabt zu haben. Einmal, da er Korinth besucht hatte, kam ihm bei einem Spaziergange vor der Stadt ein Mädchen entgegen, noch halb ein Kind. Sie trug nach Sitte des Landes einen Krug über dem Haupte, mit dem sie Wasser ans der Quelle Peirene geholt hätte: eine wandelnde Kanephore. Wir haben bereits erzählt, wie in solchem Falle sich die Schönheit des Körperwuchses am vortheilhaftesten auspräge. Man kann es noch heute an den italienischen Landmädchen erproben. Das Mädchen war aber noch keine ausgebildete Schönheit, es fehlten noch alle runden Formen, die zum weiblichen Schönheitsideale gehören. Apelles aber sah in die Zukunft und bewunderte die Schönheit der Jungfrau, wie Athenaeus berichtet, nicht die gegenwärtige, unentwickelte, sondern die zukünftige. Er sah in der zarten Knospe die aufgeblühte Rose. Unser Gewährsmann berichtet uns leider nicht, ob Apelles die Jungfrau später zu seinem Modell erwählte; Wir glauben aber, daß dieses sehr wahrscheinlich ist, denn das Mädchen wurde später eine. Hetäre und war wegen ihrer großen Schönheit berühmt. Athenaens nennt sie sogar "eine große Zierde der Stadt". Ihr Name hat sich erhalten. Sie hieß Lais. So schön war Lais, sagte derselbe Schriftsteller, daß die Maler sie besuchten, um ihre herrliche, classisch geformte Brust mit dem Pinsel auf der Tafel darzustellen. Warum hätte Apelles, der Entdecker dieses Modelljuwels, nicht die Reihe derselben eröffnen sollen? Die Sitten jener Zeit waren andere, als heutzutage, die Gesetze des Anstandes von unsren verschieden. Xenonphon erzählt, daß Jemand in Gegenwart des Sokrates die Hetäre Theodota, die Freundin des Alcibiades, wegen ihrer Schönheit rühmte: sie besitze eine Büste, meinte er, deren Pracht man mit Worten nicht beschreiben könne. Darauf sagte Sokrates: "Gut, dann wollen wir zu ihr gehen, um sie zu sehen, denn nach dem Gehörten kann man über ihre Schönheit kein Urtheil fällen." Und er ging mit einigen seiner Schüler dahin. Theodota aber stand eben einem Maler als Modell und obwohl sie vollständig ohne Gewand da stand, ließ sie sich doch durch die Ankunft der Fremden nicht im Geringsten stören, so daß Sokrates sich durch eigene Anschauung ein Urtheil über ihre gepriesenen Reize bilden konnte. Und Sokrates konnte dieses mit vollem Rechte thun, denn er war ja auch ein wenig Künstler. Es ist dieselbe Theodota, die ihrem Freunde Alcibiades nach dessen Tode ein Grabmal errichten ließ. II. Das Christenthum drang wie ein Keil in die heidnische Gesell schaft ein, anfangs unmerklich seine Gewalt ausübend, aber stets vorwärts schreitend, bis sich die Gesellschaft der antiken Welt verändert fand, man wußte nicht wie es geschah; die alten Märchen waren abgethan und Altäre einem Gotte errichtet, der Anspruch auf ein persönliches Dasein machte, als Besitzer aller Macht die Welten regierte und als liebender Vater die Menschen umfing. "Einen zu bereichern unter allen Mußte diese Götterwelt vergehn." (Schiller.) Bis zu welchem sittlich verkommenen Zustande die römische Welt unter der Herrschaft dieser Götterwelt schließlich herabgesunken ist, wird wohl allgemein bekannt sein. Die sittliche Regenerierung der Menschheit mußte darum, im Gegensatz zu den früheren Monstrositäten einen aller Luft widersprechenden Ernst, eine rauhe Strenge offenbaren. Diese Erscheinungen sind psychologisch begründet. Auch ließ die Zeit der Verfolgungen, in der jeder erlebte Morgen die Dornen und Marterkrone in Aussicht stellte, keine Freude, keinen Jubel aufkommen. In einer solchen Zeit konnte die Kunst keine Triumphe feiern. Nur ein Gemüth, das von keinen Sorgen und Aengsten bedrängt das Leben für eine süße Gewohnheit nimmt und mit ruhigen Wechsel der Horen sich an jedem Blümchen, das am Wege blüht, erfreuen kann, ist auch für die Schönheiten und Genüsse, die ihm die Kunst bereitet, empfänglich. Gewiß sind auch heidnische Künstler Christen geworden, aber das, was früher ihre Kunst fördern konnte, hatte Bedeutung und Werth verloren. Die Malereien in den Katakomben sind keine eigentlichen Kunstwerke mehr, denn ihr Zweck liegt auf einem anderen Gebiete, als dem künstlerischen, wie auch die Formen sich verändert haben. Sie wollen auch nicht als Kunst gelten, da diesem Worte in jener Zeit noch der Makel des Heidentums anklebte. Die Darstellungen in den Katakomben sind Hieroglyphen, unverständlich dem heidnischen Auge, inhaltreich nur dem Gläubigen, dem sie des Priesters Wort aufgeschlossen hat. Zwei Fische, ein Korb mit Broten, ein Hirt mit dem Schaf auf dem Rücken und ähnliche Darstellungen, die sich stets in derselben Einfachheit wiederholen, sind leicht hingemalt und setzen bei ihrem Verfertiger keine Phantasie, keine Thätigkeit des Genie's und keine besondere Anstrengung voraus. Auch als die Kirche siegreich aus dem Kampfe hervortrat, änderte sich die Sache nicht beträchtlich. Es wurden zwar Basiliken gebaut, heidnische Tempel in christliche umgewandelt; diese gaben vielfach zu künstlerischen Darstellungen Anlaß, da man das Gotteshaus auch aus jede Weise geschmückt haben wollte. Die Künstler aber, die zu diesen Arbeiten herangezogen wurden, konnten sich nicht sogleich zur rechten Kunsthöhe emporschwingen, denn die alten Kunsttraditionen waren vergessen, der Faden zwischen ihnen und den alten classischen Künstlern zerrissen. Anderntheils wären auch die antiken Kunstformen von der Kirche nicht acceptirt worden, da der Gefahr eines Rückfalles in das Heidenthum vorgebeugt werden mußte. Es soll nicht geleugnet werden, daß die altchristliche Kunst, was sie an äußerer Kunstform verlor, durch den geistigen Inhalt erfetzte. Sie spricht nicht zum Auge, sondern zum Gemüth, zum Herzen. Es war bereits kein gewöhnlicher Maler, der in der Katakombe der heiligen Agnes die majestätische Gestalt der Maria auf die Mauer malte. Sie sitzt mit ausgebreiteten Händen (das Beten bezeichnend) und das Christkind ruht über ihrem Schooße, mit eigener Macht sich ausrecht haltend. Die Zeichnung ist unbeholfen, anatomische Vorstudien fehlen gänzlich, dennoch ist die Darstellung von ergreifendster Wirkung. Von dieser Composition beginnt langsam das Erwachen und Fortschreiten christlicher Kunst. In der morgenländischen Kirche erstarrten diese primitiven Formen und blieben unverändert bis in die Gegenwart. Die Kirche des Abendlandes aber weist eine fortwährende Entwicklung aus. Daß dieser Fortschritt nur sehr langsam vor sich ging, hatte verschiedene Ursachen. Die Kunst war gänzlich von der Kirche absorbirt, weil von ihr allein in Thätigkeit gefetzt. Eine vollkommenere Durchbildung der menschlichen Gestalt nach Naturstudien war, wenn nicht unmöglich gemacht, doch erschwert, weil dem Künstler die Anatomie nicht zu Hilfe kam; ein Studium nach dem Nackten war verpönt, auch glaubte es der Künstler für seine kirchlichen Darstellungen entbehren zu können. Hatte doch das frühe Mittelalter selbst Christus am Kreuze ganz bekleidet, weil man an dem nackten Körper Anstoß nahm. Erst mit der Zeit, in der die Kunst sich von der Kirche zu emancipiren begann, nicht ausschließlich für diese thätig war, sondern auch in den bürgerlichen Kreisen freundliche Aufnahme fand, nahm die Kunst die lange vernachlässigten Studien nach der Natur wieder auf, um ihren Kunstgebilden auch in der äußeren Erscheinung Wahrheit und Naturtreue zeigen zu können. Der erste Anstoß zu dieser Regulirung der Kunstform ging von Italien aus und es waren eigentümliche Umstände und Verhältnisse, die diesen gewaltigen Umschwung hervorbrachten. Die Scholastik des Mittelalters hatte abgewirtschaftet, die Geister sehnten sich nach edlerer Geisteskost. Ein Zurückgreifen nach der antiken Literatur war um so natürlicher, als noch immer alte Reminiscenzen im Volke lebten, als die Italiener sich für Nachkömmlinge und Erben der alten Römer hielten. Dante hatte in seiner göttlichen Comödie diese Saite berührt, indem er das Alterthum neben das Christentum stellte und so das erstere zum Leben heraufbeschwor und diese Saite vibrirte fort, immer lauter, immer kräftiger. Petrarca gab dieser Geistesrichtung seiner Zeit einen weiteren Impuls; Gelehrte vereinten sich, die alten Autoren aus ihren staubigen Verstecken in den Klosterbibliotheken an's Tageslicht zu ziehen und diese dann zu erklären, um neue Schüler für das Studium der alten römischen und griechischen Klassiker zu begeistern. In diesem Studium glaubte man das wahre Ziel des Lebens und die Hoffnung aus einen unsterblichen Namen zu finden. Deßhalb wurde diese Bestrebung Humanismus genannt und es blieb nicht allein beim Studium der alten Autoren, man befliß sich auch, im Geiste der Alten zu denken, zu sprechen und zu schreiben. Man hatte schließlich selbst das Kirchliche mit der Antike verquickt, nannte Christum den Lenker des Olymps und den Papst einen Herrscher, der den Thron des olympischen Jupiter einnehme. Ein innerer Widerspruch in der ganzen humanistischen Richtung trat freilich im praktischen Leben zu Tage. Der antiken Anschauungsweise hätte folgerecht auch eine heidnische Lebensweise entsprechen müssen; vor dieser letzten Tonfeauenz wichen aber die Meisten zurück; gerade, welche die Emancipation des Fleisches am lautesten predigten, wollten schließlich doch nicht unchristlich sterben. Ein scheinbar unlöslicher Widerspruch, der sich aber doch psychologisch erklären läßt. Eine für die Nachwelt ersprießliche Folge hatten aber die humanistischen Bestrebungen insofern, als mit ihnen der Drang zu einem besseren Verständniß der Natur erwachte. Die Entdeckung neuer Welten förderte geographische, astronomische und Naturwissenschaften. Dazu gesellte sich die Mathematik und schließlich, da man doch auch die Natur des Menschen selbst besser erkennen und begreifen wollte, die Anatomie. Die Kunst verstand es alsbald, aus diesen Verhältnissen Nutzen für sich zu ziehen. Sie fand für ihre speziellen Bestrebungen auch in dem Umstande neue Nahrung, als in dieser Zeit so viele Denkmäler antiker Kunst entdeckt, aus dem Erdreich hervorgezogen und dem prüfenden Künstlerauge vorgeführt wurden. Damit war der Kunst der Weg vorgezeichnet, auf dem sie die verlorenen Posten wieder erobern und sich zur idealen Höhe emporarbeiten konnte. Das Studium der alten Bauwerke und Sculpturen mußte den Künstler nothwendig zu der Erkenntniß führen, daß er, wie die Alten, zum Studium der Natur zurückkehren müsse. Diese Wiederbelebung der alten Kultur nennt man die Renaissance. Es darf nicht befremden, daß bereits vor der völligen Herrschaft der Renaissance einzelne Künstler sich zur antiken Kunst hingezogen fühlten. So werden wir in einem Relief der Kanzel des Battisterio in Pisa von Nicolo Pisano (gestorben um 1280), welches die Geburt Christi darstellt, unschwer den Einfluß der Antike auf den Künstler erkennen. Maria, in halbliegender Lage, erscheint ganz im Charakter einer Juno und das Ganze ist offenbar dem Relief eines antiken Marmorsarkophags nachgebildet. Dem Künstler gefiel das Vorbild und er ahmte die Form nach, ohne ihr den Geist des Inhalts, den er zur Darstellung wählte, eingeprägt zu haben. Auch Lorenzo Ghiberti (1378 bis 1455) überraschen wir bei einer ähnlichen Plünderung antiker Formen, wie bei der Bildsäule des heiligen Stephan in Or San Michele in Florenz oder in dem Relief der Thüre des Battisterio, das die Erschaffung der Eva zum Gegenstande hat. Immer sind es nur einzelne Stellungen und Motive, die er dem Alterthum entlehnt. Für die nackte Eva mußte er nun freilich Studien nach der Natur machen. Man weiß, daß der Künstler eine reiche Sammlung griechischer Antiken besaß, deren Anblick und Studium seine Kunst nothwendig beeinflussen mußte. Bewußt im Geiste der Renaissance arbeitet bereits Filipo Brunellesco (1379 bis 1446), der als Architekt zum Maaßstab und Verhältniß der alten Römer zurückkehrt und als Bildhauer, durch die zahlreichen Antikenfunde seiner Zeit angeregt, sich auf das Studium derselben und der Natur wirft. Einen entscheidenden Wendepunkt zur lebensvoll entwickelten Renaissence bekundet aber Masaccio (1401 bis c. 1428) durch seine Compositionen in der Brancocci-Capelle der Kirche del Carmine in Florenz. In den beiden Wandbildern (der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradiese) hat sich bereits mit der antiken Form ein lebendiger Geist vermählt. Besonders in der zweiten Composition, der Vertreibung aus dem Paradiese, ist die lebendigste, innere und äußere Bewegung ausgedrückt; Adam deckt mit beiden Händen sein Gesicht, um die Reue auszudrücken, während Eva ihre Hände gleich der mediceischen Venus bewegt, freilich in freier Nachbildung. Diese Gemälde mußten aus die jüngere Künstlergeneration einen ungemeinen Eindruck machen; Raphael hatte die Vertreibung in den Loggien des Vaticans fast vollständig copirt. An die mediceische Venus erinnert uns noch lebendiger ein Hauptwerk des Sandro Botticelli (1446 bis 1310) in den Uffizien zu Florenz. Die schaumgeborene Göttin steht aus der Muschel, die von zwei fliegenden Windgöttern zum Ufer getrieben wird, wo eine Nymphe in kostbarem Gewande ihrer am Saum eines Loorbeerhaines wartet, um ihr ein herrlich verziertes Kleid, das sie mit beiden Händen ausgebreitet hält, umzuwerfen. Von den Winden werden Rosen gestreut. Hier sehen wir, was die Renaissance aus der Antike gemacht hat; der Marmor ist lebendig geworden. Naiv unschuldig und doch auch sich ihrer Schönheit bewußt und zur Liebe herausfordernd, so erscheint die moderne Venus vor unseren Blicken und zeigt in ihrer ganzen realistischen Erscheinung, daß das lebende Modell zu ihr der Zeit des Künstlers angehört. Wie gerne möchten wir über dieses etwas Näheres erfahren; vergebens! über die liebreizende Gestalt, die den Künstler zur Vollendung eines solchen Meisterwerkes entflammen, begeistern konnte, geht die Kunstgeschichte mit Stillschweigen hinweg! Was uns des Künstlers Werk nicht verräth, oder doch ahnen läßt, das erfahren wir vom Kunsthistoriker nur in den seltensten Fällen. Wir müssen es, wie leider oft, dem Leser überlassen, sich vor dem Gemälde das diesem zu Grunde liegende Modell vorzustellen, die ideale Erscheinung im Bilde zum lebenden Modelle zurückzudatieren. Drei Meister sind es, welche die Renaissance ihrer höchsten Blüthe entgegenführten: A. Mantegna, L. Signorelli, L. da Vinci. Andrea Mantegna (1431 bis 1506) zeigt uns in allen seinen Werken, daß er den Geist der Renaissance voll auffaßte; die antike Kunst ist so zu sagen in sein Blut übergegangen und er verstand es, mit diesem Capital tausendfältige Zinsen zu erwuchern; sie beherrscht seine Hand vollständig, auch wenn er die lebende Natur vor sich hat. Was er im Bilde oder auf der Kupferplatte darstellt, verräth die Verwandschaft mit dem Alterthum. Immer ist ihm aber die Antike nur die Form; der Gedanke, der sie belebt, ist sein Eigenthum. Da seine Kupferstiche in allen reicheren Sammlungen vorkommen, so kann man sich leicht von der Wahrheit des Gesagten überzeugen. Das Naturstudium aus Grundlage der Antike springt überall in die Augen. Zu bewundern ist, wie er das derb realistische Element in den Rahmen antiker Objecte bannt. So seine tanzenden Musen, seine beiden Bacchanale, ein Tritonenkopf (alle gestochen). Das berauschte dicke nackte Weib, das aus einem Bacchanale der Satyr aus dem Rücken trägt, läßt uns freilich auf kein jugendlich schönes Modell rathen, aber ihm hat es in diesem Falle seine Schuldigkeit gethan. Dürer hat zwei seiner Stiche nachgezeichnet, um sich in das Wesen der Renaissance einzuweihen (die Zeichnungen jetzt in der Albertina zu Wien) und Rubens ging bei seiner italienischen Reife nicht ohne Nutzen an ihnen vorüber. Luca Signorelli (144l bis 1523) war der zweite Künstler, den wir als Bahnbrecher der Renaissance genannt haben. Es ist hier gleich ein merkwürdiges Bild zu nennen, welches das Berliner Museum 1873 in Florenz erwarb und das die Schule Pan's heißt. Eine merkwürdige Composition, ganz nach dem Recept der Mythologie componirt und doch ganz selbstständig austretend. Pan, der für "den göttlichen Vortänzer und Pfeifer schlechthin galt" (Preller) ist nicht ohne Flöte und ohne den Chor seiner Nymphen zu denken. So sitzt Pan in der Mitte, gleichsam thronend, von Hirten umgeben. Links steht eine nackte Nymphe, hinter derselben sind zwei andere sichtbar. Was dem feinen Beobachter des Bildes auffallen muß, ist, daß das Nackte der Figuren sich nicht vordrängt, d. h. keinen sinnlichen Gedanken aufkommen läßt. Bedingt durch den Inhalt der Composition erscheint es als etwas Natürliches; es ist aber durch des Künstlers Genie über alles Natürliche erhoben. Wir können vor dem Bilde den männlichen und weiblichen Modellen, die dem Künstler dienten, nachspüren, aber im Bilde finden wir sie nicht. denn jeder Körper ist durch den Künstler zu dem umgewandelt, was er im Bilde sein und vorstellen soll. Der Künstler mußte jedenfalls über schöne Modelle verfügt haben. Das allein hätte ihn freilich noch nicht zum großen Künstler gemacht, wenn er nicht die Fähigkeit besessen hätte, die Erscheinung der Natur getreu auffassen und dem gewonnenen Bilde den künstlerischen Adel verleihen zu können. Signorelli war auch ein äußerst fleißiger Beobachter der Natur und ein unermüdeter Zeichner. Das zeigt sich insbesondere an seiner berühmten Freske in Orvieto, welche den Sturz der Verdammten vorstellt. Man kann die Bewegung einer stürmischen Handlung nicht natürlicher und auch nicht genialer geben; das Bild ist eine vollständige Akademie des Nackten, ein Actsaal einerseits, aber auch eine treffliche Vorlage zum psychologischen Studium der Affecte. Ein solches Gemälde mußte natürlich einen verwandten Geist zu gleichem Streben erwecken. Wie das Zeichnen und das Naturstudium ein Lebensbedürfniß für Signorelli war, so sollte es auch sein Trost werden in einer trüben Stunde. Sein einziger Sohn, den er unendlich liebte, wurde ihm in Cortona getödtet. Lassen wir Vasari selbst berichten: Dicesi, che essendogli, stato occiso, che Luca cosi addolorato lo fece spogliare ignudo, e con grandissima constanza d'animo, senza piangere o gettar lacrima, lo ritrasse, per veder sempre che volesse, mediante i'opera delle sue mani, quello che la natura gli avea dato, e tolto la nimica fortuna." Ein ewig grübelnder Philosoph unter den Künstlern des Cinquecento ist Leonardo da Vinci (1452 bis 1519). Ihm war es nicht genug, die Natur in ihrer äußeren Erscheinung zu studiren, und diese dann in einer Darstellung festzuhalten, er bemühte sich auch, zum Urgrund jeder Erscheinung zu gelangen. Maler, Bildhauer und Architekt, suchte er immer und überall eine sozusagen wissenschaftliche Grundlage für seine künstlerische Thätigkeit. Wie wichtig das lebende Modell für des Künstlers Studium sei, sah er wohl ein; aber das speciell zu diesem Zwecke hingestellte Modell befriedigte ihn keineswegs. Er fischte zuerst dem Grunde der äußeren Erscheinung des menschlichen Körpers nachzuspüren und warf sich auf die Anatomie, die er mit eisernem Fleiße betrieb. Was Goethe lange nach ihm aussprach, war sein Grundsatz geworden: "Das Aeußere einer organischen Natur ist nichts anderes, als die ewig veränderte Erscheinung des Innern. Dieses Aeußere, die Oberfläche, ist einem mannigfaltigen, verwickelten, zarten, inneren Bau so genau angepaßt, daß sie dadurch selbst ein Inneres wird." Das heißt, die äußere Erscheinung des lebenden Körpers muß auch dessen inneren Inhalt, den Knochenbau, die Lage der Muskeln, errathen lassen. Für den Ausdruck des Charakters wird dann freilich ein anderes Studium gefordert. In seiner Akademie, die er gestiftet hatte, wies er seine Schüler stets zum Zeichnen nach der Natur an. Er verlangte von ihnen, daß sie nie ohne ein Skizzenbuch ausgehen, daß sie Orte aufsuchen, wo ihnen Menschen verschiedenen Alters, Standes und Geschlechtes vor die Augen treten; hier werden sie Köpfe, Körper, Bewegungen, hier auch verschiedene Charaktere im Gesichtsausdruck finden, die sie, wenn auch flüchtig, in das Büchlein eintragen sollen, wie der Botaniker die Pflanzen aus seinem Wege einsammelt. Die also gewonnenen Vortheile kann ihm keine Belehrung, kein correctes Zeichnen nach der Antike und auch kein lebendes Modell bieten, letzteres ist, wie wir bereits erwähnten, für den fertigen Künstler ein Mittel, sein Kunstwerk mit der Natur zu confrontiren, für den Kunstjünger, wie Goethe richtig bemerkt, "nur ein roher Stoff, von dem er sich nicht muß einschränken lassen, sondern den er zu verarbeiten trachten muß." Was Leonardo von seinen Schülern forderte, das that er auch selbst. Wie Vasari erzählt, konnte er oft Tage lang einem auffallenden Menschengesichte, sei's Mann oder Frau, nachlaufen, nur um es in seinem Geiste gründlich aufzufassen und zu Papiere zu bringen. Man findet in London, Florenz und anderen sehr reichen Sammlungen viele Zeichnungen von ihm, welche die bizarrsten Gesichtsformen darstellen. Woher diese Carricaturen bei einem Meister, dem der Ausdruck vollendeter Schönheit so sicher zu Gebote stand? Wir glauben, daß er das Charakteristische eines beobachteten Gesichtes oder Körpers maßlos übertrieb, um eben dieses Charakteristische seinem Gedächtniß besser einzuprägen und durch die Milderung der Carricatur wieder die Naturwahrheit zu gewinnen. Es wäre nicht schwer, nachzuweisen, wie aus diesem Wege die Apostelköpfe seines Abendmahles entstanden sind. Wie fleißig er Anatomie studirte, bezeugt der Band mit 235 großen anatomischen Zeichnungen, den das Britische Museum besitzt. Vergessen wir nicht, daß er auch die Musik übte, als Dichter und Mechaniker thätig war, der künstliche Mühlenwerke, Maschinen aller Art construirte - und noch Zeit fand, als Künstler Wunderwerke zu schaffen! Sein Abendmahl ist leider wie zerstört, von seinem Modell zur Reiterstatue des Lodovico Sforza, an dem er zwanzig Jahre arbeitete, ist nichts übrig geblieben; was aber von seiner Kunst blieb, zeigt uns seinen Titanengeist. Daß er zur Darstellung nackter Schönheiten über vorzügliche Modelle verfügt hat, beweisen seine mythologischen Compositionen, die in Bildern oder in Zeichnungen vorhanden sind. So malte er die Leda mit dem Schwan öfters (wenigstens zweimal) und der Gegenstand mußte ungemein angesprochen haben, da sich sehr viele Wiederholungen in verschiedenen Sammlungen vorfinden. Eine fleißig ausgeführte Zeichnung wird auch erwähnt, welche ein junges nacktes Mädchen in den Armen eines Alten darstellte. Diese fand aber an dem Questor Melzi einen strengen Richter; er ließ sie (1775) durch den Pfarrer verbrennen. Leonardo war auch Portraitmaler und besonders die Frauen-Bildnisse wurden sehr gerühmt. Das Bildniß setzt natürlich das lebende Original voraus und so könnte man sagen, daß die Damen, die er portraitirte, seine Modelle waren. Ganz richtig ist dieses aber nicht, dein es giebt einen Unterschied zwischen Modell und Portrait. Ein Modell ist nur ein Hilfsmittel des Künstlers, mit dessen Hilfe er seine Arbeit regulirt und der Naturwahrheit anpaßt; das Portrait ist die künstlerische Darstellung einer Persönlichkeit mit treuer Wiedergabe der Gesichtszüge und des Charakters. Das Modell dient zum Studium der Gattung, das Portrait verlangt Betonung des Individuums. Und doch kann das Portrait für den Künstler auch insofern als Modell dienen, als er beim Portraitiren Studien nach dem Leben macht. So war die Mona Lisa, die Gemahlin des Francesco Giocondo für Leonardo, der sie portraitirte, auch ein lebendes Modell zugleich. Wie können wir dieses begründen? Vier Jahre malte er an dem Meisterstück eines Bildnisses und als er es weggab, hielt er es noch keineswegs für vollendet. Er hätte müssen im höchsten Grade in das Original verliebt sein und die langjährige Arbeit hätte die Bedeutung gehabt, daß er sich deshalb vom Anschauen des Originals nicht trennen könne. Dies war aber keineswegs der Fall; die reizende Dame war zugleich ein Gegenstand des intensivsten Studiums für ihn. Darauf deutet auch der Umstand, daß er durch raffinirte Mittel den Ausdruck im Gesichte der darzustellenden Dame regulirte. Vasari erzählt, daß immer, wenn er sie malte, Jemand dabei sein mußte, um durch Gesang, Spiel oder Scherze sie zu erheitern. Auf diese Art entstand nicht ein bloßes Portrait, sondern zugleich ein Ideal. Worin bestand das Ideale? ,,Über diesem Angesicht," sagt Vasari, ,,schwebte ein so liebliches Lächeln, daß es eher von himmlischer Hand zu sein schien und es galt für bewundernswerth, weil es dem Leben völlig gleich war." Franz I. von Frankreich zahlte 4000 Thaler in Gold für das Bild, es befand sich dann in Fontainebleau und ist jetzt, obwohl es durch Waschen viel vom ursprünglichen Reiz verloren hat, noch immer eine Perle des Louvre. In derselben Gallerie befindet sich noch ein zweites weibliches Portrait von Leonardo. Es gilt dort als das Bildniß der Geliebten Franz I. und führt die Bezeichnung "La belle Ferroniere", weil die Dame die des Königs Herz besaß, die Tochter eines Eisenhändlers gewesen sein soll. Diese Annahme ist aber durch nichts gerechtfertigt. Einige glauben vielmehr in dem Bilde eine andere Dame wiederzufinden. Leonardo war nämlich viele Jahre am Hofe des Lodovico il Moro in Mailand beschäftigt und dieser hatte ein solches Vertrauen in den Künstler gefetzt, daß er ihm den Auftrag gab, seine beiden Maitressen Caecilia Galleram und Lucretia Crivelli zu portraitiren. Es wird nun von manchen Kunstforschern angenommen, daß die sogenannte "Ferroniere" des Louvre das Bildniß der Crivelli sei. Gründe lassen sich freilich für diese Annahme nicht beibringen. Wenn wir den Charakter der Zeit in Anschlag bringen, wie auch den Umstand, daß die beiden genannten Maitreffen des Herzogs, eben dem Zeitcharakter entsprechend, wahrscheinlich in prononcirt leichtem Costum aufgefaßt und dargestellt waren, so könnte am ehesten das Bild in Petersburg, das sich früher in der Gallerie zu Houghton befand und das eine Schöne darstellt, deren Oberkörper hüllenlos erscheint, Anspruch darauf machen, die Lucretia Crivelli vorzustellen. Freilich ist in der Stellung, in der Lage der Hände eine gewisse Verwandtschaft mit der Mona Lisa unverkennbar, aber hätte sich die ehrbare Frau des Giocondo in dieser Art malen lassen? Waagen glaubt, das Petersburger Bild wäre ein Studium nach dem Modell für das Portrait der Mona Lisa. Es ist nicht möglich, aus allen Widersprüchen herauszukommen. Wir geben das Petersburger Bild als Illustration, um zu zeigen, welch herrliche Modelle damals Glück und Sitte (oder Unsitte?) dem Künstler zuführten. Leonardo's großer Nacheiferer, Michael Angelo Buonaroti, geboren 6. März 1475, gestorben 18. Februar 1564, ladet uns nun ein, in sein Studio einzutreten und zuzusehen, wie er in das Geheimniß des Lebens und der Naturwahrheit einzudringen sich bemühte. Wie Leonardo genoß auch Michel Angelo eine sorgfältige gelehrte Erziehung; es gehörte auch sein Riesengeist dazu, um neben Poesie und reicher Wissenschaft auch Architektur, Bildhauerei und Malerei umfassen und in allen drei Kunstformen sich auszeichnen zu können. Und wo sollen wir in Florenz sein Studio ausfischen? Dort, wo wir es am wenigsten vermuthen. Ueber die Brücke S. Trinita, die den Arno überspannt, gelangt man zum Kloster und zur Kirche San Spirito. Hier lebte als Zeitgenosse unseres Künstlers ein Prior (sein Name wird nicht genannt), der ihm sehr wohlwollte. Der Meister hatte nämlich für die Kirche ein beinahe lebensgroßes Crucifix ausgeführt. Vielleicht hatte er dem Prior gegenüber von der Schwierigkeit gesprochen, anatomische Studien machen zu können. Sein geistlicher Freund wußte Rath; er verschaffte von Zeit zu Zeit Leichname, die geheim in den Klosterkeller wanderten und hier, beim schwachen Lichte der Kerze, studirte Michel Angelo die Anatomie, zergliederte die Leichen, um die Structur des Skelettes, die Verzweigungen der Muskeln, die Lage des Fleisches kennen zu lernen. Die Werke des Todes durchwühlend, suchte er die Gesetze des Lebens. Männliche und weibliche Leichen wurden so von dem Meister mit einer wahren Heißgier zersetzt, zuweilen das gewonnene Resultat in flüchtigen Umrissen auf ein Papier gezeichnet. Das ist der Actsaal des großen Künstlers! Es ist ganz erklärlich, daß er bei einer lang fortgefetzten Beschäftigung dieser Art, umgeben von Leichen, einathmend die schädlichen Miasmen der Verwesung, selbst fast zu einer Leiche wurde. In der Sammlung Lawrence befand sich eine flüchtige Zeichnung, die uns eine Scene dieses anatomischen Theaters vergegenwärtigt. Man sieht den Meister mit dem Anatom Antonio della Torre bei einer Leiche beschäftigt, die auf dem Brette liegt; in der Höhle der geöffneten Brust steckt die brennende Kerze, die das Ganze düster und grauenhaft beleuchtet. Es konnte nicht verhindert werden, daß diese geheim gehaltene Beschäftigung doch zur Kenntniß der Welt kam. Natürlich wurde sie noch mit abenteuerlichen Zusätzen ausgestattet, da man es nicht begreifen konnte, wie ein Künstler, der nur den Linien und der Form der Schönheit nachgehen soll, sich mit der Negation des Schönen, mit der zerstörten Form desselben so unausgesetzt beschädigen könne. Höchst wahrscheinlich in Folge dessen ist das abenteuerliche Märchen entstanden, das sich an ein Werk seiner Kunst anlehnt. In der Karthause zu Neapel ist ein Trucisir von ihm und es geht die grauenvolle Sage, der Künstler habe ein lebendes Modell dazu benutzt und den Mann kreuzigen lassen, um den Ausdruck der höchsten Natürlichkeit vor sich zu haben und ihn seinem gekreuzigten Heilande zu geben. Es ist diese Sage natürlich eine durch nichts begründete Erzählung, deren Wurzel wohl bis in den Klosterkeller hinabreicht. Vielleicht hat der natürliche Ausdruck des Leidens im Antlitz des Gekreuzigten die Vermuthung entstehen lassen, der Künstler hätte diesen nur unmittelbar nach der Wirklichkeit so naturwahr geben können. Uebrigens ist diese Mythe nicht einmal neu; schon vom griechischen Maler Parrhasios erzählte man, daß dieser, als Philipp die kriegsgefangenen Olympier verkaufte, einen Greis gekauft habe, den er bis zum Tode foltern ließ, um in dessen Anblick die Leiden des gefesselten Prometheus recht wahrheitsgetreu schildern zu können. Außer seinen anatomischen Studien hatte Michel Angelo auch fleißig nach dem lebenden Modell, nach männlichen und weiblichen Körpern gezeichnet. Es finden sich in öffentlichen Sammlungen viele solcher Zeichnungen vor, die auf seinen Namen gehen, wenn auch darunter viele sind, die ihm sicher nicht angehören. So namentlich kommen viele Acte vor, die als Studien für die einzelnen Figuren des Jüngsten Gerichtes in der Sixtinischen Kapelle des Vaticans gedient haben. Indessen brauchen wir für diese Studien nicht immer gleich ein lebendes Modell voraus zufetzen. Durch seine vollkommenen anatomischen Kenntnisse war der Meister sicher befähigt, solche Zeichnungen auch ohne Gegenwart eines lebenden Modells, aus Grundlage seiner Erfahrungen, die er am Secirtische gesammelt hat, auszubauen. Viele seiner Zeichnungen, welche einzelne Theile des Körpers, Muskellage u. s. f. zum Gegenstande haben, gehören jedenfalls der Zeit an, in der er im Kloster San Spirito als Anatom arbeitete. Eine zwölfjährige angestrengte Beschäftigung mit der Anatomie mußten einen Geist vom Charakter des Michel Angelo befähigen, den menschlichen Körper in jeder Stellung und Lage, in Ruhe wie in der Thätigkeit auch ohne gegenwärtiges Vorbild getreu dar zustellen. Für den Ausdruck sanfter Gefühle, der Milde, der Geduld war Michel Angelo's Kunst nicht gestimmt. Was er erdachte, ist vom höchsten Ernst durchdrungen; das Große, ja Gigantische ist seinem Geiste verwandt. Beweis dafür sein Moses, diese Personification des alttestamentlichen Gesetzes, das nur Trotz und keine Versöhnung durch duldende Liebe kennt. Deshalb ist es ihm auch nicht gegeben, den jungen weiblichen Körper, wo er ihn hüllenlos darstellt, mit dem Reiz und der Anmuth der Jugend auszustatten. Wann gäbe es wohl für einen großen Künstler eine günstigere Gelegenheit, den weiblichen Körper in seiner herrlichsten Vollendung zur Darstellung zu bringen, als bei einem Kunstwerk, das die Erschaffung der Eva zum Gegenstande hat? Makellos, in jungfräulicher Schöne durch die allmächtige Hand des Schöpfers in's Dasein gerufen, ist sie weder durch anstrengende Arbeit noch durch Sorge und Leiden dein Ideale entfremdet. Michel Angelo hat diese Scene in der Sixtinischen Capelle des Vaticans gemalt. Entspricht aber seine Eva den angedeuteten Verhältnissen? Keineswegs! Nicht die Jungfrau, die reizende, unentweihte, in Schönheit prangende Braut Adam's erblicken wir hier; unter dem Einflusse der in's Kolossale arbeitenden Kunst Michel Angelo's ist seine Eva mehr der "Mutter der Lebendigen", als dem Ideale weiblicher Anmuth ähnlich. Dasselbe Modell (freilich michelangelesk verarbeitet) finden wir ebenda in der Eva, da diese mit Adam aus dein Paradiese vertrieben wird. Und nahe verwandt mit Buona roti's Eva sind auch die beiden allegorischen Figuren an den Grabmälern der Mediceer in San Lorenzo zu Florenz. Der Künstler wollte die Zeit darstellen, die er, um Gruppen zu gewinnen, in die vier Theile des Tages zerlegte. Der Abend (il Crepusculo) und der Tag sind durch hünenhafte männliche Gestalten dargestellt. Die Morgendämmerung (Aurora) und die Nacht durch Frauengestalten. Tag und Nascht liefen über dem Sarkophag, der oben die Statue des Herzogs Lorenzo trägt; der Abend und die Aurora ebenso auf dem anderen, mit der sitzenden Statue des Herzogs Giuliano. Uns interessieren hier nur die weiblichen Gestalten. Wenn wir vielleicht im großen Vorrath antiker Sculpturen für die männlichen Figuren leicht Vorbilder auffinden könnten, für die weiblichen würde man vergeblich nach solchen suchen. Kein griechischer Künstler würde eine Allegorie in solche Körper eingeschlossen haben. Wenn wir sie freilich mit Augen betrachten, deren Pupille sich an die Kunst des großen Floren tiners angewöhnt hat, dann werden wir diesen in seiner ganzen Größe in seinem Werke erkennen. Die Nacht kann nicht plastischer charakte-risirt sein, als in dieser schlafenden Gestalt, wie auch das Erwachen des Tages in der zweiten. Aber ideale Körperformen sind es keineswegs, die uns hier entgegentreten; beide strotzen von Leben, aber es ist das Leben der realen Wirklichkeit, wie es sich im Geiste des Meisters abspiegelte und riesige Formen annahm. Man sieht, wie Michel Angelo die Natur ansah und wie er sie in seiner Kunst verkörperte. Wir werden dann freilich gezwungen sein, das Urtheil Vasari's niedriger zu stellen, wenn er sagt, durch dieses Werk sei Alles verdunkelt worden, was selbst die antike Kunst hervorgebracht habe. Wir schalten hier einen Künstler ein, der, wenn wir uns an die Chronologie streng halten wollten, bereits früher uns hätte beschädigen müssen. Wir glauben aber, bei unserem Gegenstande nicht mit aller Strenge den chronologischen Faden festhalten zu müssen. Wir meinen den Florentiner Maler Filippo Lippi (geb. 1412 (?), gest. 1469), dessen Leben sich wie ein Roman entwickelt, dem ein reizendes Modell die gehörige Folie verleiht. Nachdem dessen Mutter bald nach seiner Geburt gestorben war und auch der Vater, als Filippo kaum zwei Jahre zählte, dem Tode verfiel, nahm sich der Waise eine Tante an, die für dessen zeitliches und ewiges Heil am besten damit zu sorgen glaubte, daß sie ihn in das Carmeliterkloster gab, wo er zum Mönche herangebildet werden sollte. Im Kloster behagten ihm aber die gelehrten Studien keineswegs und da er Talent für die Kunst zeigte, so sollte er Laienbruder (Fra oder Frate) bleiben und sich im Malen ausbilden. Masaccio, der eben im Kloster eine Kapelle ausmalte, nahm auf die Kunstweise des jungen Lippi den entscheidendsten Einfluß. Bald brachte er es dahin, daß man allgemein sagte, der Geist Masaccio's hätte in ihm seinen Wohnsitz genommen. Die Ausübung der Kunst hätte ihn nicht hindern können, im Kloster zu bleiben; er mag aber, zum Jüngling geworden, eingesehen haben, daß er keinen rechten Berns zum Klosterleben habe und so trat er mit 17 Jahren aus dem geistlichen Orden aus, um nur der Kunst zu leben. Man stritt darüber, ob er noch vor der Prozeß ausgetreten sei oder bereits durch diese au den Orden gebunden war. Sicherheit läßt sich darüber nicht gewinnen, es ist nur sicher, daß er durch sein ganzes Leben Fra Filippo genannt wurde. Wir wollen übergehen, wie er dann bei einer Lustfahrt aus dem Meere von Piraten gefangen genommen und als Sklave nach der Berberei gebracht wurde und wie es die Kunst war, die ihm wieder die Freiheit brachte. Er kehrte über Neapel nach Florenz zurück, wo er viele Kirchenbilder malte, so schön und reizend durch Auffassung und Farbe, daß sich sein Ruf weit verbreitete und er mit Aufträgen überhäuft wurde. Es wurde ihm aber vorgeworfen, daß er nicht fleißig genug bei der Arbeit bleibe und Vasari giebt uns auch die Ursache an, die oft hindernd in seine Arbeit trat und ihn von der Staffelei fernhielt. Er sagt, Fra Filippo sei so sehr zur Zärtlichkeit (d. h. Liebelei) geneigt gewesen, daß, wenn er Frauen von ausgesuchter Schönheit sah, alles hingegeben hätte, um sie zu besitzen. Um wenigstens ihres holden Anblickes theilhaftig zu werden, malte er dieselben, um durch die Kunst gleichsam seine Gluth zu kühlen. In solchen anfragenden Stimmungen mußte dann freilich die monumentale Kunst feiern. Einmal hielt sich der Künstler in Prato bei Florenz bei Verwandten auf. Bei dieser Gelegenheit erhielt er von den Nonnen von S. Margherita den Austrag, für den Hochaltar ihrer Kirche die Geburt Christi zu malen. Während der Arbeit, die vielleicht innerhalb der Klosterräume ausgeführt wurde, fand der Künstler Gelegenheit, eine reizende Novize des Karmeliterklosters zu sehen, die seine verliebte Natur sogleich in helle Flammen brachte. Ein Verkehr mit dem schönen aufgeblühten Mädchen war natürlich unmöglich, aber des Künstlers Erfindungsgeist, durch den verliebten Sinn erhöht, wußte das Unmögliche möglich zu machen. Er wurde in der Arbeit lässig und als ihn die Nonnen fragten, was die Urfache dieser Nachlässigkeit sei, meinte der schlaue Künstler, es fehle ihm ein Modell für die h. Jungfrau. Wollen die Nonnen ihr Bild fertig bekommen, so müssen sie ihm erlauben, die Novize als Modell für die Madonna benutzen zu dürfen. Diese hieß Lucretia Buti und war die Tochter eines angesehenen Florentiners. Was sollten die Nonnen thun, wenn ihr Bild nicht unvollendet bleiben sollte? Lucretia diente zum Modell und je mehr sie der Künstler sah, desto mehr verliebte er sich in dieselbe. Es dauerte nicht lange und die Liebe fand die rechten Worte, sich kund zu tun und schließlich fand der Künstler volle Gegenliebe. Verliebte wissen nichts von Skrupeln, Bedenken und Furcht vor dem öffentlichen Urtheil. Eines Tages war der Maler mit seinem Modell ans dem Kloster verschwunden Die Nonnen machten ein großes Geschrei, weil sie sich durch dieses Ereigniß beschämt fühlten, der Vater des Mädchens versuchte alles, um seine Tochter aus den Armen des Künstlers zu reißen und zur Rückkehr zu bestimmen, aber diese blieb ihrem Geliebten treu und gebar ihm einen Sohn, den die Kunstgeschichte unter dem Namen Filipino ebenfalls, wie den Vater, als einen vorzüglichen Künstler kennt. Fra Filippo hat das Bildniß seiner Geliebten noch öfters aus verschiedenen Gemälden angebracht. Wie bei Prariteles schmolz bei dem Künstler die Kunst mit der Liebe zusammen; in dieser Verschmelzung bot das Modell demselben mehr, als Studium nach der äußeren Erscheinung; der Meister wird darin auch eine intensive Anspornung zum freudigsten Kunstschaffen gewonnen haben. Wenn es unser Vorhaben wäre, Romane zu schreiben und den Stoff zu denselben aus den Künstlerkreisen zu wählen, so hätte bei einiger Phantasie und Erfindungsgabe uns Filippo Lippi's schönes Modell Lucretia dazu begeistern können. Vielleicht noch in erhöhtem Maße der Künstler, mit dem wir uns jetzt beschäftigen wollen, der große Urbinote Raphael (1483 bis 1520). "La bella Fornarina" sagt Alles! Nichts ist interessanter, als in der Biographie Raphael's das intensive Wachsen der Kunstvollendung zu verfolgen. Drei vorzügliche Meister theilen sich nacheinander in die hohe Bestimmung, den angehenden Künstler die Wege zur sonnigen Höhe des Weltruhms zu ebnen; dessen Vater Giovanni in Urbino, P. Vannucci in Perugia, Fra Bartolommeo in Florenz. Vergebliche Mühe, den Jünger sanft führen zu wollen. Spielend überflügelt er in kurzer Zeit Alle! In dem Alter, wo Andere allenfalls zur Erkenntniß kommen, was sie überhaupt wollen und wie sie es anzupacken haben, um es durchzuführen, steht Raphael bereits als vollendeter Meister da. Die berühmte Grablegung im Palast Borghese ist des Meisters Maturitätszeugniß. Nur noch etwas fehlt ihm: Rom und in diesem ein Papst, der die Kunst liebt und seiner Kunst fehlen würdige Räume, die er mit dem Glanz seines Genius erfüllen darf. Und Alles wurde ihm zu Theil. Im Jahre 1508 betritt er Rom, findet in Julius l^. seinen Mäcen und im Vatican herrliche Räume, in denen er seinen Ruhm in den höchsten Meisterwerken verewigen kann. Was Raphael in der kurzen Zeit von zwölf Jahren in Rom geschaffen hat, ist erstaunlich. Es ist hier nicht der Ort, diese Kunstthätigkeit eingehend zu besprechen. Wir haben hier nur zu untersuchen, welche Behelfe ihm zu Gebote standen, welche Modelle er bei seinen Studien zu Rathe zog, wie er diese benutzte. Seine Künstlerseele befaß einerseits eine erstaunliche Assimilirungsgabe, die Alles, was der Kunst Leben und Kraft zuführt, sich mit großer Leichtigkeit aneignet und anderenteils eine wunderbare Elasticität, die das gewonnene und verarbeitete Material ebenso leicht in die Wirklichkeit setzte. Wo Andere sich abmühen und bei aller Arbeit doch nichts Großes erringen, da kam es dem gottbegnadeten Künstler wie im Traume. "Fortunato garzon", glücklicher Jüngling, wird Raphael von Francia genannt. Raphael war aber auch des ihm angeborenen Genie's vollkommen würdig, denn er studirte so fleißig, so anhaltend, als ob er nur ein mäßiges Talent besessen hätte. Beweis dafür sind die vielen Zeichnungen, Entwürfe, Studien zu seinen unsterblichen Werken. Doppelt aber war die Quelle, aus der er schöpfte: es war die antike Kunst und die lebende Natur. Er kam gerade zu rechter Zeit nach Rom. Der Schutt der alten, längst untergegangenen Stadt gab seine in ihm verborgenen Schätze antiker Kunst der staunenden Welt zurück. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurde im alten Antium (Porto d'Anzo) die berühmte Statue des Apollo (von Belvedere) entdeckt, im Jahre 1506 der Laokoon. Außerdem kamen unzählige Basreliefs an Sarkophagen und anderen antiken Gegenständen zur Kenntniß der Archäologen. Wie stellte sich Raphael diesen neuentdeckten Kunstschätzen entgegen? Daß er Verständniß und Liebe zur alten Kunst fühlte und entgegen-brachte, dürfen wir schon daraus schließen, daß ihn Leo X. zum Aufseher der alten Bauten wie der Ausgrabungen ernannte. Daß ihm die Antike dann zum Modell diente, an dessen Hand er sich mit dein Geiste antiker Kunst vertraut zu machen bestrebte, beweisen einesteils Zeichnungen, die er entweder selbst nach den Antiken ausführte, oder von seinen Schülern fertigen ließ, wie auch die häu- figen Reminiscenzen an die Antike, die sich in seinen Werken nachweisen lassen. Bereits einige Jahre vor seiner Ankunft in Rom (etwa 1503) hatte Raphael bei einem Besuche in Siena Gelegenheit gehabt, in der Bibliothek des Domes daselbst die antike Gruppe der drei Grazien zu sehen, von denen er zwei abzeichnete. (Die Zeichnung ist jetzt in Venedig.) Angeregt durch diese antike Gruppe hatte er dann ein Gemälde in Florenz gemalt (jetzt bei Lord Ward in London). In Rom hatte er dann, wie beglaubigt ist, mit seinen Schülern die Reliefs der Trajansäule abgezeichnet, zu welchem Zwecke er sich mit besonderen Maschinen in die Höhe aufziehen ließ. Wenn wir Raphael's Compositionen mit Aufmerksamkeit durchgehen, so werden uns oft in denselben Erinnerungen an antike Vorbilder entgegentreten. So namentlich: "Alexander läßt Homer's Werke in das Grab des Achilles legen", welche Komposition offenbar einem antiken Reliefbild nachgebildet ist, ferner im "Parnaß", in verschiedenen Venusdarstellungen, so namentlich in jener sitzenden, die sich den Dorn aus dem Fuße zieht, zu der ihm der Dornauszieher als Vorbild diente. Auch für die herrliche Composition des Paris-Urtheils, die Marc Anton gestochen hat, läßt sich ein antikes Vorbild nachweisen, zu diesem dienten ihm zwei Reliefs (das Mediceische und das der Villa Pamfili). Wir dürfen aber nicht glauben, daß Raphael diese Modelle einfach abschrieb. Es war ihm wohlbekannt, daß fast alle erhaltenen Antiken nur ein abgeschwächter Widerschein alter griechischer Kunst waren. Und so beseelte ihn der Wunsch, das Bild der minder vollkommenen Ueberreste in sich aufzunehmen und sie gleichsam in den ursprünglichen Zustand umzufetzen, als neues Ideal in seinen Werken der Nachwelt zu hinterlassen. Wir begegnen hier der Renaissance, als einer Wiedergeburt des Alterthums in ihrer schönsten und edelsten Form. (Mehr über diesen Gegenstand in Thode's: "Die Antiken.") Neben dem Modell, das Raphael die Antike bot, fand derselbe ein zweites in der lebenden Natur. Das mußte ihm ja klar sein, daß kein echter Künstler die lebende Schöpfung, die er eben durch die Künstler klären will, umgehen dürfe. Sie bildet das fortwährende Regulativ für die Gebilde der Phantasie. Mag die Letztere noch so hoch emporsteigen ihre Kinder sind für die Irdischen bestimmt und müssen in irdische Form gekleidet werden. Hier aber beginnt der Roman Raphael's. In der Straße S. Dorothea in Trastevere, d. h. jenseits des Tiberflusses, bei S. Cecilia stand und steht bis ans den heutigen Tag ein Häuschen, das eine altertümliche Fenstereinfassung von gebrannter Erde besitzt. Zu dem Häuschen gehörte einst ein kleiner Garten, der mit einer niedrigen Mauer umfriedet war. In diesem Garten pflegte ein schönes Mädchen oft zu verweilen und es fanden sich bald junge Zöglinge der Kunst ein, die über die Mauer die eben aufgeblühte Schönheit bewunderten. Auch Raphael hörte von der reizenden Trasteverin und suchte die ihm bezeichnete Mauer auf. Ein wundersames Bild fesselte seinen Blick: das Mädchen, sich unbelauscht wähnend, badete die Füße im Bassin. Kaum hatte Raphael das holde Naturkind gesehen, war er in heftiger Liebe ergriffen und gab sich alle Mühe, ihre Gegenliebe zu gewinnen. Da er selbst ein schöner Jüngling war, so glückte es ihm bald, sie sein nennen zu dürfen. Er fand, daß sie ein edles Gemüth besitze und das Feuer seiner Liebe wurde immer mächtiger, so daß er ohne sie nicht mehr leben zu können meinte. Aus Liebe zu ihr hat er die Ehe mit der Nichte des Cardinals Bibiena, für den er viel beschäftigt war, nicht eingehen wollen. Sie blieb ihm auch treu bis zu seinem frühzeitigen Tode, an ihr fand er die sorgfältigste Hüterin in seiner letzten Krankheit. Leider hat uns die Geschichte ihren Namen verschwiegen, nicht einmal ihren Taufnamen kennen wir; die Welt nennt sie "Fornarina", weil man glaubt, daß sie eine Bäckerstochter war. Das eben Erzählte würde uns ein anmuthiges Bild aus dem Leben des großen Künstlers bieten. Da kommt aber die poesielose kalte Kritik dazwischen und erklärt die ganze Erzählung und auch den Namen Fornarina für eine Mythe, eine müßige Erfindung. Wenn aber dieselbe Kritik noch weiter geht und das ganze Dasein einer Geliebten Raphael's wegleugnet, so geht sie offenbar zu weit und schüttet das Kind mit dem Bade aus. Raphael's Geliebte kann sich trösten, nachdem man auch einen Homer in das Gebiet der Sage verwiesen hat. Wir wollen der Kritik das Zugeständniß machen, daß der Beiname "Fornarina" sich nicht historisch begründen lasse. Die Person, welche dieser Name deckt, existirte aber wirklich, denn Vasari berichtet einfach und ausdrücklich, daß Raphael ein Mädchen geliebt habe, das bei ihm gewohnt und dem er bis zum Ende seines Lebens zugethan war. Da aber das schöne Kind doch einen Namen haben muß, so wollen wir bei dem hergebrachten, wenn auch unbeglaubigten Zunamen bleiben und sie Fornarina nennen. Raphael hat ihr Bildniß gemalt, es befindet sich im Palast Barberini. Es ist ein wunderbares Bild. Sie ist als Kniestück, sitzend aufgefaßt, der Oberkörper ist gewandlos, über den Schooß ist ein rothes Gewand gelegt. Gleichsam um der Schamhaftigkeit genug zu thun, hebt sie mit der Rechten einen weißen durchsichtigen Schleier zur Brust empor, während die Linke über dem Schooße ruht. Der Arm der letzteren ist von einem schmalen Band eingefaßt, auf dem in goldener Schrift die Worte: RAPHAEL VRBINAS stehen. Der Künstler konnte keinen geeigneteren Ort für seinen Namen wählen; während er damit das Bild als sein Werk bezeichnete, wollte er gleichsam andeuten, daß, wie das Band den Arm umspannt, seine Liebe das Original umarme. Auge und Braunen sind schwarz, die Wangen, Arme und Hände leicht bräunlich, über dem rabenschwarzen Haar lagert ein buntes Tuch. Es ist ein frisches Kind der Natur, daß wir hier in einer Laube von Myrthen- und Lorbeersträuchern sitzend vor uns sehen. Wie sieht sie uns aber an! Was birgt sich in diesem Blick, welche Geheimnisse ruhen hinter dem Auge, in der Seele! Und mit welcher Wahrheit und Feinheit ist das Bild durchgeführt! Können wir uns Raphael in dem Augenblicke denken und vorstellen, da er vor dem lebenden Mädchen saß und es abbildete? in dein seligen Augenblicke, da Liebe und Kunst so innig vereint das Modell zu einem Kunstwerke erhob, den Gegenstand seiner Liebe durch die Kunst verklärte? (S. Abbildung.) Ingres hat es versucht, uns diese Scene darzustellen (Klassikerbibl. d. bild. Künste. Franz. Maler von Dr. H. A. Müller. Seite 256); aber sein Bild kann uns nicht befriedigen, weil es nicht wahr ist. Eine Kälte, wie sie Raphael in diesem Bilde zeigt, ist unnatürlich; man glaubt, Modell und Künstler sitzen nur hier, um gesehen zu werden. Ein Blick aus Fornarina's schönen Augen belehrt uns, daß sie von Raphael nicht wie ein lebloses Bild angesehen und behandelt wurde, das man mechanisch copirt! Der Künstler hat sich auch in der Dichtkunst versucht; es sind nur vier Entwürfe zu Liebesgedichten erhalten, in denen sich die volle Glut erster und wahrer Liebe ausspricht. Wir wissen nicht, welcher Schönheit sie gelten; bilden wir uns ein, daß ihn Fornarina zum Dichter machte. Man hat auch ein Bild im Palast Pitti zu Florenz für ein Portrait der Fornarina ausgegeben. Aber das Bildniß stellt eine andere und zwar vornehme Frau vor, auch ist es nach neuesten Forschungen kein Werk Raphael's, sondern des Sebastiano del Piombo. Daß Fornarina dem Raphael bei vielen seiner Arbeiten zum Modell saß, ist selbstverständlich und auch an einzelnen Gemälden oder Compositionen nachweisbar. Freilich dürfen wir nicht mit dem Zollstab messen; Raphael hätte kein Künstler, der er war, sein müssen, wenn er das Modell unverarbeitet in seine Kunst übertragen hätte. Am deutlichsten erkenntlich erscheint sie, wie ganz natürlich, in manchen Zeichnungen, namentlich in derjenigen, welche die Hochzeit des Alexander und der Roxane darstellt. Der Künstler hatte in dem ersten Entwurf zu dieser reizenden Komposition alle Figuren nackt gezeichnet und die ans ihrem Lager sitzende Roxane ist ein ganz treues Abbild der Fornarina. In fertigen Gemälden ist der Nachweis schwerer, da eben der Künstler seine Studien durch das Genie gleichsam in ein höheres ideales Leben erhoben hat. Dennoch dürsten die Wandgemälde in der Farnesina (ursprünglich Palazzo Chigi), welche den Stoff der Fabel der Psyche entlehnen, uns in einzelnen weiblichen Figuren auf Fornarina hinweisen. Vasari berichtet, daß Raphael, als er an diesen Bildern malte, oft ans Sehnsucht nach der Geliebten in seiner Arbeit lässig war; es hatte darum Agostino Chigi, der die Arbeit vollendet sehen wollte, auf Anrathen Anderer, das Mädchen nach dem Haufe bringen lassen, wo sie in der Nähe Raphael's verweilen durfte. So hat sie wohl das Verdienst, daß die Gemälde so trefflich gerathen sind, daß insbesondere die Hochzeit der Psyche so poetisch das Glück des errungenen Besitzes zum Ausdruck bringt. Uebrigens ist nach einem Ausspruch Raphael's zu vermuthen, daß er noch andere Modelle benützte. Er schreibt nämlich an den Grasen Castiglione: "Ich muß viele Frauen gesehen haben, die schön sind, daraus bildet sich dann in mir das Bild einer einzigen." Er destillirt also gleichsam aus dem Anblick mehrerer lebender Schönheiten die Essenz der idealen Schönheit. Wir fanden schon bei Zeuxis, daß er aus gleiche Weise sich das Ideal der Helena schuf. Die concreten Gestalten der Modelle werden durch diese Abstraction freilich nicht zerstört; immer werden sie mehr oder weniger auf die äußere Form gestaltend wirken, aber der Geist, der sie belebt, gehört dem Künstler an. Man kann es sehr wohl beobachten, daß jeder große Künstler seinen eigenen Typus der Frauenschönheit besitzt. Wir sind überzeugt, wenn dasselbe Modell einem Leonardo, Michel Angelo, Raphael, Tizian, einem Rubens oder van Dyck gesessen wäre, jeder dieser Künstler hätte es nach seinem Kunstnaturell seiner Idee dienstbar gemacht. Darin besteht eben die Weihe der Kunst, die sich von der äußeren Erscheinung zwar anregen, aber nicht beherrschen läßt. Wo sich an einem Kunstwerke das Modell vordrängt und alleinige Berechtigung in Anspruch nimmt, da ist es kein echtes Kunstwerk mehr. Diese Wahrheit wird bestehen, wenn sie auch vom Materialismus mit allen Kräften befehdet wird. Zu den Koryphäen italienischer Kunst ist ohne Widerspruch auch Tizian zu rechnen (1477 bis 1576). Er hat bis jetzt unter den Künstlern das höchste Alter erreicht, ein sehr beglücktes Alter, das ihn nicht hinderte, bis zum letzten Athemzuge als Künstler thätig zu sein. Und als Künstler bewahrt er zugleich eine beneidenswerthe Jugend, die sich in allen seinen Werken offenbart. Es wird uns nicht wundern. wenn sich an diesen Nestor in der Künstlerwelt, besonders rücksichtlich seiner Jugend, die Sage heranwagt. Jedenfalls meint es diese recht gut mit dem Meister, wenn sie dem aufblühenden Jünglinge, dem angehenden Künstler das Original, welches uns Palma Vecchio in seiner sogenannten Violante (im Belvedere zu Wien) (Klassikerbibl. d. bild. Künste. Venez. Schule I. Seite 236) vorführt, als dessen Jugendgeliebte zuschreibt. Sie galt als eine Tochter Palma's, der aber keine Kinder besaß. Doch ist es erwiesen, daß sie des Künstlers Modell war, die ihn zu mehreren anmuthigen Bildern begeisterte. Tizian, als Palma's Schüler, wird dasselbe reizende Modell benützt haben. Wir glauben es in einem Jugendwerke des Meisters zu erkennen. Man nennt es gewöhnlich "Himmlische und irdische Liebe". Man steht zu beiden Seiten eines Brunnens zwei Mädchengestalten, zwischen beiden plätschert Amor im Wasser des Bassins. Wie uns scheint, haben Trowe und Tavalcaselle, die neuesten Biographen Tizian's, das Richtige getroffen, wenn sie meinen, der Künstler habe hier allegorisch die gesättigte Liebe und die unbewußte Liebessehnsucht darstellen wollen. Erstere sitzt links, angethan mit reicher Modetracht; "ihr Gesichtsausdruck ist bestimmt, stolz und befriedigt", deshalb wendet sie Amor den Rücken zu. Die ganze Glut des Empfindens, den Reiz seiner Kunst hat Tizian über die andere Gestalt ausgebreitet, die ihren schönen Körper fast hüllenlos und doch in reinster Unschuld dem Auge preisgiebt. Sie lehnt sich nur halb an den Rand des Brunnens an und hebt mit der Linken das mit dem Weihrauch der Liebe gefüllte Gefäß in die Höhe. In dieser reizend und edel gezeichneten Gestalt glauben wir das Original zu erkennen, das durch Palma's Kunst zu einer Violante geworden ist. Und diese Apotheose des schönen Kindes, das hier zum Modell diente, mag Ursache gewesen sein, daß man dieses zu einer Jugendliebe Tizian's stempelte. Eine poetische Licenz der Sage, wer wird mit dieser rechten wollen, wenn die Geschichte schweigt und die Fabel so einschmeichelnd zu uns spricht? Tizian hätte übrigens wie ein türkischer Pascha leben müssen, wenn die Modelle für viele seiner Bilder in der That auch dessen Geliebte gewesen wären, wie man sie als solche bezeichnet hat. "Maitresse du Titien" ist leicht gesagt und geschrieben, überdieß eine pikante Zuthat, die das Bild für Viele um so begehrenswerther machen mochte. Wir wissen nun aber, daß Tizian, der Maler weiblicher Grazie, oft von den italienischen Großen mit Aufträgen bedacht wurde, deren Maitreffen zu portraitiren. Jedenfalls führte ihm dieser Umstand mannigfache Schönheiten vor sein Künstlerauge, aus dem er großen Nutzen für seine Kunst zu ziehen verstand. Wir erwähnen beispielsweise das Bild im Louvre, das uns ein schönes Mädchen im Neglige vorführt, welchem ein vornehmer Herr zwei Spiegel vorhält. Man glaubt in Letzterem Alfonso d'Este und in dem einfachen Mädchen in voller Fülle und Gesundheit ihrer Formen dessen Geliebte Laura Diauti zu erkennen. Es galt aber und wird auch noch unbegreiflicher Weise : Tizian und seine Geliebte genannt. Es ist schwer, solche Irrthümer abzuweisen, da sie bereits sehr veraltet sind. Rubens copirte einige Bilder Tizian's, welche weibliche Schönheiten darstellen ^sogenannte Existenzbilder) und nannte sie kurzweg: Venezianische Courtisanen. Auch das herrliche Bild der Flora in den Uffizien zu Florenz galt als Bildniß einer Geliebten Tizian's. Wen stellt nur diese Flora in allem Zauber ihrer Jugendherrlichkeit vor? Im vollen Bewußtsein ungetrübter Mädchentunschuld reicht sie, mit der Linken das Gewand über dem Busen zusammenhaltend, mit der Rechten einem Unbekannten. den man sich außerhalb des Bildes denken muß, Blumen dar. Wer ist dieser beneidenswerte Unbekannte? ist es Tizian selbst? Sandrart, der das Bild gestochen hat, glaubt es und kleidet seinen Glauben in ein lateinisches Gedicht, das wir in deutscher Uebersetzung wiedergeben (nach M. Jordan): Blühend athmet die Erde im Lenz, sanft säuselnde Winde Schwellen, von Zephyr gesandt, üppig den duftenden Flor; Flora war Tizian's Lenz, ihm knospet von Liebe das Herz nun: Ihn und Andere mehr zieht sie verlockend in's Netz. Wohin verleitet selbst einen ernsten Gelehrten, wie es Jac. von Sandrart doch war, die Phantasie! Es ist überhaupt bei Bildern dieser Art an ein Portrait nicht zu denken; sie setzen zwar ein schönes Modell voraus, sind aber vom Künstler zu einer idealen Höhe emporgehoben. Tizian war mit der Formenwelt antiker griechischer Kunst sehr wohl vertraut, er nahm sie mit Verständniß in seinem Geiste aus, nicht um sie in sklavischer Nachbildung zu wiederholen, sondern zu verarbeiten und seinen Genius entsprechend neu zu gebären. Einer der schönsten Belege für das Gesagte ist die Venus Anadyomene, die wir bereits bei Apelles erwähnten und in Abbildung brachten. Tizian fand oft Gelegenheit, nackte weibliche Körper zu malen; er fand bei seinen Zeitgenossen nicht allein Verständniß dafür, er kam auch dem Wunsche aller Freunde und Pfleger der Renaissance damit entgegen. Vergessen wir auch nicht, daß die Gesellschaft damals eine andere war, als jetzt. Dichtkunst und gelehrte Erörterungen waren in Gesellschaften an der Tagesordnung, die freieste Bewegung durch nichts, auch nicht durch die Gegenwart schöner junger Damen der höheren Stände gehindert. Man war allseitig entzückt über die Schönheit der Muttersprache, die selbst Boccaccio's "Decamerone" und andere Ergüsse lieber trunkener Dichter in diesen Kreisen hoffähig machte. Sollte es uns dann Wunder nehmen, daß Damen dieser Kreise, vollbewußt ihrer Schönheit, dem berühmten Künstler ihre Reize zu enthüllen nicht anstehen? Wußten sie doch, daß die vergängliche Schönheit durch den Künstler in ihrer herrlichsten Vollblüthe firirt, das Verwesliche zur Unsterblichkeit gehoben wird. So entstanden die Venusbilder, die in reizenden Variationen stets das eine Thema behandeln, dessen Inhalt die Verherrlichung der Krone der Schöpfung ist. Welche Modelle dem Meister dabei zum Vorbilde dienten, wie sie hießen, ob sie höheren Lebenssphären angehörten, oder aus den Kreisen des Volkes erwählt wurden, das Alles ist unbekannt und wir haben die Freiheit, vor einer Venus, wie sie in Madrid, Darmstadt, Florenz oder Dresden zu sehen ist, nachzudenken, was an den liebreizenden Körpern der paphischen Göttin der künstlerischen Begeisterung und was dem etwa vorauszufetzenden Modelle angehört. Eine solche Zurückführung des Meisterwerkes auf die Vorlage ist für den Laien besonders schwer, da man von der Naturwahrheit, die im Bilde ihren Triumph feiert, leicht annimmt, daß sich Bild und Vorbild genau decken. Jedenfalls hat des Meisters kunstgeübtes Auge sich nur schöne Modelle ausgewählt; in ihrer Verwendung hat er das Höchste geleistet, was auf diesem Gebiete geleistet werden kann. Man weiß nicht, soll man mehr die seine delikate Zeichnung, die sicheren Umrisse und Formen des weiblichen Körpers, oder die lebensvolle Wahrheit des Colorits, oder endlich den reizenden Ausdruck der naiven Unschuld, der kindlichen Unbefangenheit bewundern. Wenn Tizian auch in der Zeichnung der Antike nicht gleichkommt, der Geist derselben lebt unverkennbar in seinen Werken. Oft ist es schwer, zu entscheiden, ob wir bestimmte Individuen oder ideale Erscheinungen vor uns haben: so in der Madrider Venus. Diese ruht auf üppigem Lager, kein Gewandstück verbirgt ihre Reize dein Auge. Es ist nicht die jungfräuliche Göttin, wie sie eben dem Meerschaum entsteigt, sondern das schöne Weib in völliger, schwellender Reife ihrer Gliederpracht. Im Grunde zu ihren Füßen sitzt ein Mann und spielt die Orgel, sich umsehend nach der Göttin, die ein Schooßhündchen streichelt, damit es durch sein Bellen den Musiker nicht störe. Man hat in dem Manne Ottavio Farnese erkennen wollen, der seine zur Venus umgewandelte Geliebte mit Musik und Gesang erheitert. Wer kann es mit Sicherheit behaupten? Der Künstler hat sein Geheimniß nicht verrathen; wie man auf Altarbildern den Heiligen die Donatoren beigesellt, hat er die Göttin ihrem Verehrer sich offenbaren lassen, mit seiner Kunst Himmlisches und Irdisches vermählend. Wir haben bereits oben erwähnt, daß sich der Künstler bis in sein hohes Alter eine wunderbare, jugendliche Frische des Geistes bewahrt habe. Im Jahre 1559, also im Alter von 82 Jahren, schrieb er an König Philipp Il. von Spanien einen längeren Brief, in dem er unter Anderem den König bittet, das Portrait einer Dame gnädig anzunehmen, das er ihm übersendet. Er bezeichnet die Dame als die unumschränkte Herrin seiner Seele (che e patrona assoluta dell' anima mia). Wird man in dem Bilde auch wieder nach dem liebevollen Ausdruck, dessen sich der Künstler bedient, an eine Geliebte des Greises denken wollen? Hier macht die Geschichte eine solche Annahme unmöglich, denn das Portrait stellte Lavinia, Tizian's einzige und von ihm angebetete Tochter dar, die er mehrmals gemalt, und im Bilde meisterhaft verewigt hatte. Bekanntlich besitzt auch das Berliner Museum ein Bild der Lavinia. Offenbar hat hier Vaterliebe die Künstlerhand geführt, denn in der freien Auffassung, in der schmiegsamen Wendung des Kopfes, in der Emporhebung der Hände, in der vollendeten Durchführung verräth sich offenbar das Gefühl, das der Vater für sein schönes Kind empfand. Wie ein Augenblicksbild erscheint die lebensvolle Venezianerin. Wie leicht ist die Scene außerhalb des Bildes zu ergänzen. Tizian war gastfrei, im Garten waren oft viele Freunde desselben zum geselligen Vergnügen vereint. Lavinia muß die Dame des Hauses machen, denn die Mutter war längst todt. Als solche holt sie die kostbare silberne Schale, die sie mit saftigen Früchten angefüllt hatte, zur Erfrischung der Gäste herbei. So erscheint sie uns auf dem Bilde wie ein Genius der Gastfreundschaft. Wir können immerhin annehmen, daß Tizian bei manchem seiner Meisterwerke der Kopf seiner Tochter wenn nicht zum Modell gedient, doch vorgeschwebt hat. Hier war die Liebe der goldene Faden, der das concrete Bild in die ideale Sphäre hinüberleitete. Die Kreise, in denen der Meister sich bewegt und gewirkt hatte, sind längst in Staub und Asche gesunken und der Künstler mit ihnen. Das Schöne in denselben hat seine Künstlerhand gerettet, im Bilde firirt und Jahrhunderte freuen sich im Anblick seiner Meisterwerke wenigstens im Bilde eine schöne Welt zu schauen, die reizvoll, wie geisterhafter Zauber, in die prosaische Gegenwart herüberragt. Wir müssen, ehe wir von Italien Abschied nehmen noch eines Künstlers Erwähnung thun, der uns in seinen Gemälden einen reichen und interessanten Stoff zu unserer Abhandlung liefern könnte - wenn nicht sein Leben in tiefes Dunkel gehüllt wäre. Es ist Antonio Allegri, bekannt unter dem Namen Correggio (gest. 1527). Schon das Prädicat, das ihm von jeher beigelegt wurde: "Maler der Grazien" und das er auch im vollsten Maaße verdient, ließe uns interessante Ergebnisse erwarten. Leider sind wir nur auf seine Werke angewiesen und es ist uns überlassen, hinter denselben den Vorhang des Geheimnisses zu lüften, was immerhin große Schwierigkeiten hat. Obgleich durch seine Kunst den ersten Kunstheroen seiner Zeit vollkommen ebenbürtig, weiß doch die Geschichte nichts von ihm zu erzählen. Aus kleinen Bemerkungen einzelner Schriftsteller erfahren wir, daß der Künstler zaghaft war, über die Grenzen eines bescheidenen Daseins nicht hinaus strebte. Und seine Landsleute, die Bewohner der kleinen Städte, in denen Correggio seinen Wohnsitz abwechselnd hatte, wußten auch nicht des Künstlers Ehrgeiz und Selbstgefühl zu heben. So geschah es, daß einige Jahre nach des Meisters Tode die Erinnerung an ihn erstirbt oder falsche Berichte und Erfindungen sein Leben und seine Kunst überwuchern. Und doch hat er Kunstwerke hinterlassen, die heute die Glanzpunkte der Galerien, in welchen sie aufbewahrt werden, bilden. Wo hat Correggio gelernt? Wo sind ihm die wunderbaren Geheimnisse der Farbenharmonie und der Grazie offenbart worden? Wir wissen es nicht. Aber der Zauber besteht, wenn wir ihn auch nicht erklären können. Wenn wir schon in seinen kirchlichen Bildern den milden, freundlichen Ernst bewundern, den er den heiligen Historien zu entlocken verstand, wie werden wir dann erst recht entzückt, wenn der Gegenstand des Bildes selbst es dem Meister zur Pflicht machte, das Reizende, die Grazie in ihrer höchsten Vollendung zu betonen. Zum Glück fand der Künstler öfters Gelegenheit, seine Kunst in dieser Richtung zu erproben. Die erste Gelegenheit kam von einer Seite, von welcher sie kaum hätte erwartet werden können, von einem Nonnenkloster. Das Stift S. Paolo in Parma war sehr reich, die Aebtissinen desselben, meist von den vornehmsten Familien des Landes stammend, ließen ein weltliches Genußleben in die heiligen Mauern einziehen und fischten, dem Beispiele der Hohen folgend, auch durch Kunst ihr Heim zu einem prachtvollen Wohnorte umzugestalten. So berief die Aebtissin Donna Giovanna unseren Meister, daß er ihren Speisesaal in weltlicher Weise mit mythologischen Bildern ausschmücke. Der Künstler wählte die von der Jagd heimkehrende Diana. Diese Wahl könnte in uns die Meinung entstehen lassen, Correggio wäre ein eifriger Pfleger der Antike; es wäre aber diese Meinung sehr irrig. Der Maler entlehnte wohl der Mythologie verschiedene Stoffe, aber er verarbeitete sie aus eigentümliche Weise; die antike Formenwelt war ihm gänzlich fremd. Das zeigt sich in demselben Kloster vornehmlich in der Gruppe der drei Grazien, die neben anderen mythologischen Darstellungen in den Lunetten desselben Gemaches grau in grau gemalt sind. Die Grazien, die sich ganz ungezwungen gruppiren, scheinen nur den Zweck zu haben, die schönen nackten Körper von verschiedenen Seiten zu zeigen. Zu den glänzendsten Meisterstücken dieses Genre's, die aus der Werkstätte des bescheidenen Künstlers hervorgegangen sind, zählt man folgende: Venus, Amor und der Satyr (fälschlich Jupiter und Antiope genannt) im Louvre, die Erziehung Amor's in London, die Danae im Palast Borghese zu Rom. Daran schließen sich dann aus den Liebesmythen Jupiter's die Io in Wien und die Leda in Berlin. Wenn man mit modernem Bewußtsein die beiden letztgenannten Bilder betrachtet und den Inhalt der Fabel in ihrer ganzen Ausdehnung zum Wegweiser der Betrachtung macht, so wird man, wie es auch geschehen ist, die Darstellung zweideutig, sogar unmoralisch finden. Es ist wahr, Correggio steht hier hart an der Grenze, welche die Kunst von der Libertinage scheidet; aber er überschreitet sie nicht. Er stellt die nackte Schönheit in ihrer höchsten Vollendung, in ihrem leuchtendsten Glanze dar, so daß das Auge bei Betrachtung derselben keine Zeit findet, sich zur sinnlichen Lust anreizen zu lassen. Für Naturen, die in der Kunst nur den sinnlichen Theil, den natürlichen Reiz suchen, hat Prariteles seine Venus und Torreggio seine Göttinen nicht erfunden. Im Ansehen dieser Meisterwerke Correggio's dürfte der Wunsch wohl gerechtfertigt erscheinen, das Wesen kennen zu lernen, das ihm als Modell für seine Kunstschöpfungen diente. Wenn wir aber über die Lebensverhältnisse des Künstlers selbst so wenig unterrichtet sind, so können wir um so weniger erwarten, daß uns der Vorhang, der über seinem Atelier gebreitet ist, bei Seite geschoben werde. Wir wissen, daß sich Correggio Ende 1519 vermählte; Girolama Francesca, Tochter des Bart. Merlini, die Braut, die er heimführte, war erst sechszehn Jahre alt. Es wird unserer Phantasie nicht schwer fallen, uns in dieser aufblühenden Jungfrau eine zarte, freundliche, schönheitbegabte Erscheinung zu denken. Kein Künstler, selbst Leonardo nicht, verstand es, die innere Freude und Seligkeit in einem verklärten Lächeln auszudrücken, wie eben Correggio ein Meister darin war. Denken wir uns, daß Girolama mit diesem Lächeln Glück und Seligkeit in die Werkstätte des Meisters brachte und daß es, durch desselben Kunst firirt, aus seinen Heiligen und Göttinen, demüthig dort, siegreich hier uns ansieht. Die Hauptfache daran, die künstlerische Durchführung, ist doch nur Eigentum des Künstlers. Genügt dem Unzufriedenen unsere Vermuthung und Erklärung nicht, dann rathen wir ihm, sich an Vafari zu wenden, der am Schlusse seiner Biographie des Correggio uns mit dessen Modellen bekannt macht: "Als der berühmte Maler noch unter den Sterblichen weilte, Trat der Grazien Thor bittend zu Jupiter hin: Laß, erhabener Vater, uns von Niemandem malen Als von diesem Genie, Keinem sonst sei es erlaubt. Ihnen winkt Erhörung der Herrscher des hohen Olympos, Zieht den Jüngling auch schnell zu den Gestirnen empor, Auf daß er die lebenden Grazien sehe und male, Wenn vom reizenden Leib jegliche Hülle verschwand." III. Wir verlassen nun die Werkstätten italienischer Künstler, um uns in den deutschen umzusehen. Wenn wir uns in das fünfzehnte Jahrhundert zurückversetzen, so wird der Unterschied zwischen Italien und Deutschland doch so groß sein, daß man meint, einen herrlich erleuchteten Prunksaal verlassen zu haben und in eine düstere Hütte gerathen zu sein. Die statuarische wie Malkunst des frühen deutschen Mittelalters macht aus uns den Eindruck, als ob von einem Studium nach der Natur keine Rede sein könnte. Die Extremitäten des Körpers erscheinen unnatürlich, in die Länge gezogen; die Gewandung läßt kaum eine Stange, geschweige einen lebenden Körper unter ihrer Hülle vermuthen. Nackte Körper, wie eines Christus am Kreuz oder eines heiligen Sebastian, verrathen keine oder doch ungenügende Kenntniß der Anatomie. Einestheils finden diese Mängel ihre Erklärung in dem Umstande, daß die Künstler meist der Klosterzelle angehörten und darum keine Gelegenheit fanden, sich anatomische Kenntnisse zu erwerben, dann aber auch in dem ausgesprochenen Bestreben, das Nackte alles Reizes baar darzustellen, um am heiligen Orte keine Gelegenheit zum Aergerniß zu geben. Beim Christus am Kreuz dürfte auch das biblische Wort. "Es war keine Schöne an ihm", das auf den verwundeten, gekreuzigten Heiland bezogen wird, die Künstler d. h. Darsteller eines Crucifires beeinflußt und sie gleichsam autorisirt haben, der Unnatur und Häßlichkeit Monumente zu errichten. Das Studium nach der Natur beginnt erst um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Es zeigt sich zuerst als schüchterner Versuch, indem die Köpfe in ihrem seelischen Ausdruck auf lebende Vorbilder notwendig hinweisen. Beispiele ließen sich in Fülle anführen. Hatte man sich einmal überzeugt, daß die Kunst, wenn sie auch über der Natur stehe, doch in dieser ihre Wurzel haben müsse, daß sie, obwohl ideal doch nicht im Gegensatz zur äußeren Erscheinung treten dürfe, so war auch schon der Weg vorgezeichnet, aus dein das richtige Ziel zu erreichen ist. Wir besitzen noch so manche Kunstwerke, die dem erwachten Studium nach der Natur angehören und können uns überzeugen, mit welcher Frische die Künstler diesen Weg betraten, nachdem einmal die Schranke gefallen war. Wir wollen hier aus eine Holzschnitzerei dieser Zeit aufmerksam machen, die uns das Gesagte vollkommen klar macht. Es ist eine Gruppe von drei nackten Figuren, die mit dem Rücken gegeneinander stehen. Die eine der Figuren stellt einen Jüngling dar, sein Körper ist schön und sein modellirt, der Ausdruck des Kopfes unter dem reichen gekrausten Haar sehr lebendig. An seine Rechte, aber zurückgewichen, reiht sich ein Mädchen an. Obgleich hüllenlos, wenn man etwa ihr langes Haar nicht als Hülle ansehen will, giebt sie sich in voller Unschuld, als ob ihr ein Gefühl der Schaam gänzlich unbekannt wäre, was der Künstler insbesondere durch das leicht niedergeschlagene Auge schön charakterisirte. Die dritte Gestalt, die den Kreis abschließt, stellt ein altes Weib dar, von höchster Naturwahrheit, in abschreckender Häßlichkeit, mit allen Gebrechen des Alters. Jedenfalls predigt die Gruppe, die sich in der Ambraser Sammlung in Wien befindet und dem T. Riemenschneider zugeschrieben wird, die alte Moral: Memento mori. Um diese Lehre eindringlicher auszudrücken, stellte er im vollen Gegensatz der Jugend das Alter entgegen. Bei dem kunstvollen Auffassen des Charakters in den Köpfen, bei der sich bis in's Kleinste zeigenden vollen Beherrschung der Zeichnung dürfte uns befremdlich erscheinen, daß der Künstler die Körper des jugendlichen Paares so dünn gehalten hat, was sich besonders an den Extremitäten und bei dem Mädchen auch an den auffallend kleinen, wenn auch vollen Brüsten bemerkbar macht. Wenn wir dieselben Erfahrungen auch bei anderen Kunstwerken bis tief in das sechszehnte Jahrhundert machen, so werden wir fast zu dem Schlusse berechtigt, daß sich den Künstlern ihre Modelle eben nicht anders zeigten; denn wir werden doch nicht annehmen können, daß der Künstler einen schönen Körper absichtlich in's Magere übertragen hätte, nachdem im Einzelnen eine treue Wiedergabe der Natur bestrebt ist. Wir werden übrigens das Gesagte auch bei Künstlern finden, die bereits mit der italienischen Renaissance in Berührung kamen und denen man darum die Kenntniß des Ideals eines weiblichen Körpers, wie es die Kunst Italiens geschaffen hat, zumuthen kann. Hier ist in erster Reihe Albrecht Dürer ^14^ bis 152^) zu nennen. Lange, bevor er Italien gesehen hat, fand er Gelegenheit, sich mit italienischer Kunst vertraut zu machen. Zwischen Italien und Nürnberg bestand ein lebhafter Verkehr; mit den Waaren, die von dort nach Nürnberg kamen, wurden auch Bücher, Stiche, Gemälde und Werke des Kunsthandwerks importirt. Dürer lernte alte italienische Kupferstiche kennen und copirte dieselben mit allem Fleiße, wenn sich auch, wie natürlich, in die Copie etwas vom deutschen Charakter einschleichen mußte. Zwei Federzeichnungen, die sich in der Albertina in Wien befinden, sind nach dem Tritonenkampfe und dem Bacchanale Mantegna's ausgeführt. Besonders interessant ist eine Federzeichnung (jetzt in der Kunsthalle zu Hamburg), die den Tod des Orpheus darstellt. Zwei Bacchantinen schlagen mit Knitteln auf Orpheus los, der unter ihren Streichen bereits aus sein rechtes Knie gesunken ist, während ein kleiner Putto nach links entflieht. Diese Zeichnung ist nach einem italienischen anonymen Stiche gemacht, der sich ebenfalls in Hamburg als eine große Seltenheit befindet. Während des Copirens scheint Dürer bereits zu einer Verwendung der Zeichnung inspirirt worden zu sein; auf seine Idee Bedacht nehmend, hat er das Bergschloß und den Baum des Stiches wie auch den Felsen links ausgelassen und dafür im Grunde eine Baumgruppe seiner Erfindung angebracht. Dürer's Zeichnung trägt sein älteres Monogramm und das Jahr 1494. Derselben Zeit gehören auch die beiden Copien nach Mantegna. Die Composition, welche Dürer, von diesem italienischen Stiche angeregt, einige Jahre später (etwa 1506) ausführte und in einem großen Stiche herausgab, wird der große Satyr oder die Wirkung der Eifersucht genannt. Aus der erwähnten Copie des Stiches nahm er die eine Bacchantin und den fliehenden Knaben, nebst der Baumgruppe in seinen Stich auf. Deshalb fällt hier auch sogleich die italienische Provenienz der weiblichen Figur auf. Aber auch die anderen Figuren sind durch ähnliche Studien nach italienischen Mustern beeinflußt und zeigen offenbare Verwandtschaft mit den beiden nach Mantegna gemachten Zeichnungen. (Dürer's Stich für eine Copie nach Wohlgemuth zu halten, wie Thausing in seinem Werke über Dürer es thut, verbietet die erwähnte echte Zeichnung Dürer's wie auch, daß sich im beglaubigten Werke Wohlgemuth's auch nicht entfernt eine Komposition findet, die eine stoffliche oder ideale Verwandtschaft mit dem Stiche Dürer's besäße.) Dürer muß übrigens außerdem aus Italien allerlei Anregung empfangen haben, so daß wir annehmen können, daß solche Vorbilder ihn nicht allein zu neuen Ideen anregten, sondern ihm gleichsam das lebende Modell ersetzten. Vom Jahre 1504 ist sein Prachtblatt Adam und Eva, mit dem er als erster Kupferstecher Deutschlands auftrat. So durch und durch auch Composition und Ausführung sein volles Eigenthum sind, so ist doch ein fremdes Modell nachweisbar, das ihm den Stoff zur freien Verarbeitung bot. Thode ("Die Antiken") glaubt, daß sich in Adam der Apollo von Belvedere abspiegele, indem im Britischen Museum sich eine Handzeichnung Raphael's vorfinde, die dem Adam als Studie voranging. Die Handzeichnung, welche Apollo vorstellt, soll, wie Thode bemerkt, nach der Antike, dem Belvederischen Apollo, aufgenommen sein. Wenn wir auch zugeben, daß Dürer irgend eine Zeichnung, die in Rom nach der Antike aufgenommen wurde, immerhin bekommen konnte, um sie dann seinerseits zu bearbeiten, so finden wir in der Zeichnung des Britischen Museums doch die Verwandtschaft mit der Antike nur eine sehr entfernte und wir glauben vielmehr, daß Dürer Jac. Barbarj's Stich: Apollo und Diana vorlag, den er nach seiner Weise copirte. Darauf deutet die gestreckte, magere Gestalt des Sonnengottes hin. Eine andere Frage wäre dann freilich, ob Barbarj, als er seinen Stich ausführte, die Antike nicht bereits gekannt habe. Für die Hände Adam's mußte der Künstler dann selbständige Studien machen; ein Blatt mit solchen befindet sich auch im Britischen Museum. Für die Eva sind dann die Studien etwas complicirterer Natur. Als Dürer 1494 von seiner Lehrreise zurückgekehrt war, so hat er höchst wahrscheinlich bereits in Nürnberg den italienischen Maler Iacopo dei' Barbarj angetroffen. Dieser, um zwanzig Jahre älter als Dürer, übte aus den jungen Nürnberger einen großen Einfluß aus. Vorzüglich gewann er dessen Zuneigung dadurch, daß er ihn mit der Theorie bekannt machte, wie man das menschliche Maaß machen, d. h. die künstlerischen Verhältnisse des menschlichen männlichen wie weiblichen Körpers bestimmen solle. Dürer warf sich mit allem Feuer, dessen die Jugend fähig ist, aus diesen Gegenstand und wie wir wissen, beschädigte er sich mit der Proportionslehre bis zu seinem Tode. So wurde die Theorie sein Modell und er glaubte, auf diesem Wege alles erreichen zu können. Wahrscheinlich hatte er um diese Zeit bereits die Idee zu seinem Stiche mit Adam und Eva gefaßt und er beginnt die Proportionen des Weibes festzustellen, deren Ausgangspunkt sich deutlich in der Eva des Paradieses erkennen läßt. Eine solche Proportionsstudie des Weibes findet sich jetzt im Berliner Museum. Er mußte aber bald eingesehen haben, was später Goethe in die Worte faßte: "Grau, Freund, ist alle Theorie" und er zeichnet ein nacktes Weib, zu dem ihm höchst wahrscheinlich sein Weib, Frau Agnes, stand. Diese Zeichnnng, die sich in Oxford befindet, weist schon deutlicher aus die Eva des Kupferstiches hin, sie hält mit der nach rückwärts gewendeten Rechten den Apfel. Diese Pointe verräth uns aber wieder die Quelle, aus der der Meister schöpfte. Es existirt nämlich ein Bronzerelief in Privatbesitz zu Paris, dessen Guß P. Vischer zugeschrieben wird. Es stellt Orpheus vor, wie er Eurydice aus dem Hades entführt. Das Relief ist mit dem Mercurstab, dem Zeichen Barbarj's bezeichnet. Es ist höchst wahrscheinlich, daß dem Gießer eine Zeichnung des Meisters vorlag. Die Eurydice ist aber leicht als das Vorbild zu erkennen, das Dürer bei seiner Eva vorschwebte; auch hier ist dieselbe Wendung der Hand angebracht. Wir hätten also bei Adam und Eva die Zeichnung des italienischen Renaissance Künstlers, desselben Theorie der Proportion und schließlich das Studium nach der lebenden Natur, die in ihrer Verbindung und wechselseitigen Durchdringung dem Nürnberger Künstler als Vorbild gedient haben, aus dessen freier Benützung sein Meisterwerk hervorgegangen ist. Wenn wir das Blatt genau betrachten, wir erblicken überall Dürer, den deutschen Künstler, und doch fühlen wir die Renaissance heraus, wenn wir auch diese erst nachweisen können, nachdem uns die Vorarbeiten und Studien klar geworden sind. Das Schwelgen in Renaissanceformen hielt aber nicht lange an und es machte sich bald eine energische Reaction geltend. „Naturam expellas furca, tamen usque recurret.“ Das Naturell des deutschen Künstlers war dem Realismus zugewandt und dieser überwand in ihm bald die Schwärmerei der Jugend. Bezeichnend sind Dürer's Worte in der Vorrede zu seiner Proportion: "Etliche reden davon, wie die Menschen sein sollten. Darüber will ich mit ihnen nicht streiten. Ich aber halte darin die Natur für Meister und der Menschen Wahn für Irrsal. Der Schöpfer hat einmal die Menschen gemacht, wie sie sein müssen und ich glaube, daß die rechte Wohlgestalt und Hübschheit unter dem Hausen aller Menschen begriffen sei. Wer das Rechte herausziehen kann, dem will ich mehr folgen, als dem, der eine neu erdichtete Maaß machen will, deren die Menschen kein Theil gehabt haben." Damit wirft Dürer Antike und italienische Renaissance bei Seite und wirft sich der Natur ohne Rückhalt in die Arme. Aber er kann es nicht hindern, daß die genossene Frucht zuweilen gegen seinen Willen auf seine Kunstthätigkeit einen klärenden, wohltuenden Einfluß übt. Aus welche Art Dürer die lebende Natur befragt, wie und wo er seine Modelle sucht und findet, können wir nur aus seinen Werken errathen. Weibliche Modelle, die er gegen Bezahlung sich hätte verschaffen können, waren wohl in Nürnberg kaum oder doch äußerst schwer zu bekommen. Er mußte also aus Umwegen denselben beizukommen suchen. Da finden wir, daß in Deutschland bis in das sechszehnte Jahrhundert hinein die Badestuben eine solche Gelegenheit dem Künstler bieten konnten. Das Volk besaß in allen größeren Städten seine öffentlichen Badestuben, wie auch die Reichen in ihren Häusern ein "kleines gemachtsames Badestüblein" sich einrichteten. Wie in den privaten Badestuben die ganze Familie gemeinschaftlich das Bad nahm, so tummelten sich in den öffentlichen beide Geschlechter gemeinschaftlich herum. Da durch diesen Umstand natürlich manches Ungebührliche, trotz der strengen Aufsicht des Bademeisters, vorfiel und manches Aergerniß entstand, so eiferten schließlich geistliche und weltliche Obrigkeiten gegen diese Art öffentlicher Bäder und diese hätten sich durch das Verbot nicht beirren und einschränken lassen, wenn nicht die Pest und die Furcht vor ansteckenden Krankheiten die Bäder zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts geleert hätten. (S. des Verfassers "Deutschlands Lehrjahre". .l. Band. S. 157 flg.) In solchen öffentlichen Bädern konnte also Dürer Umschau auf weibliche Modelle halten. Freilich konnte er nicht verlangen, daß ihm diese nach seinem Bedarf stille saßen, er mußte sie gleichsam stenographisch abschreiben, was ein gutes Auge, Gedächtniß und eine schnell zeichnende Hand voraussetzte. Dürer hat in der That an bezeichneten Orten dergleichen Studien gemacht, wie wir uns an mehreren seiner Zeichnungen leicht überzeugen können. Eine solche Zeichnung, die aber ein exclusives Weiberbad darstellt, besitzt das Museum in Bremen. (S. Abbildung.) Man sieht sechs nackte Frauen und zwei Kinder, die sich dem Badevergnügen ergeben. Im Grunde wäscht sich eine, wahrscheinlich mit einem Schwamm die Brust, eine zweite sortirt sich mit einem Bündel Kräuter, eine dritte kämmt ihre Haare, während ein unförmlich dickes Weib sich von einer jungen Frau den Rücken waschen läßt. Es sind keine schönen Modelle, die sich hier dem Auge des Künstlers darbieten (er hat sich selbst in wenig geöffneter Thüre lauschend dargestellt), aber dafür macht die Zeichnung den Eindruck vollständigster Realität und der Meister ist zu bewundern, wie naturwahr er hier ans dem Leben schöpfte. Es ist kein Bad der Diana mit ihren Nymphen eines italienischen Künstlers, aber es ist ein Stück Leben, ein Bad von deutschen Weibern, die sich unbeobachtet glauben. Datirt ist diese Zeichnung vom Jahre 1496 Nach der Zeichnung ist auch ein Holzschnitt gemacht worden, der sehr selten ist. Es besitzt nur das Pariser Cabinet zwei Exemplare davon. Es ist die beschriebene Zeichnung nicht die einzige dieser Art, die wir von Dürer besitzen. Eine Federzeichnung im Besitz des Herzogs von Devonshire in Chatsworth stellt gleichfalls ein Weiberbad vor. Demselben Genre gehören auch die Studien nackter Weiber im Cabinet zu Frankfurt a. M. und gewissermaßen auch das junge Mädchen im Bade, das sich das Haar ordnet und mit der Rechten den Spiegel hält. während in ihrem Rücken der Tod ihr das Stundenglas entgegenhält. Man liebte es, neben der aufgeblühten Schönheit den unheimlichen Feind derselben, der gern die Blume pflückt, hinzustellen. In den weichen Umrissen des zarten Mägdleins scheinen Renaissance-Erinnerungen sich beigemischt zu habend oder hätte Dürer das Glück gehabt, einem ideal geformten Frauenkörper zu begegnen? Wie Dürer in seiner späteren Zeit sich Modelle verschaffte, darüber sind wir vollkommen im Dunkeln. Nur die Tradition, die sich auf einen seiner Stiche bezieht, giebt uns einigermaßen einen Wink. Kreß von Kreßenstem, der Ende des sechszehnten Jahrhunderts ein Manu script begonnen hatte, um allerlei gesammelte Notizen über Dürer zu fixiren und der auch Manches sehr wohl wissen konnte. da Dürer mit der Familie befreundet war, bemerkt in diesem Buche, das sich im Berliner Cabinet befindet, daß das sogenannte "große Glück", auch Nemesis genannt, Dürers Hausfrau vorstelle. Bekanntlich hatte die Nachwelt über Frau Agnes allerlei Ehrenrühriges erfunden, wie daß sie geizig war, den Meister schlecht behandelte und schließlich dessen frühen Tod verschuldet habe. Sie galt darum für Viele eine zweite Auflage von Sokrates' Xantippe. Thausing hat sich der Mühe unterzogen. ihren guten Namen von solchen Verdächtigungen rein zu waschen. Wenn wir ihrem Anwalt auch in Allem Recht geben, so glauben wir doch der historischen Wahrheit nichts zu vergeben, wenn wir sagen : Frau Agnes kann eine recht fromme, brave, haushälterische Frau gewesen sein, aber den Künstler Dürer hat sie doch nie verstanden. Die Kunst galt in ihren Augen doch nur als ein Handwerk, das einen goldenen Boden hat, d. h. Geld einträgt. Alles Hohe, Erhabene, was des Künstlers Mühen und Schaffen erst zur Kunst macht, blieb ihrer Seele ein Geheimniß, ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Und so mag sie in ihrer frommen Einfalt die Hände gerungen haben in eifersüchtigem Leid über ihren Albrecht, wenn er nach weiblichen Modellen Jagd zu machen sich anschickte. Vielleicht hat des Mannes eindringliche Rede sie von der Notwendigkeit solcher Studien überzeugt dann aber wußte sie Rath. Sie legte die züchtigen Gewänder bei Seite und diente dem Künstler selbst zum Modell, übersehend, daß sie sich damit nicht allein vor dem Maler, der ihr Mann war, sondern vor der ganzen Welt, der Gegenwart und Zukunft enthülle. Mit großer Virtuosität hatte Dürer den Kupferstich, der ihr Konterfei zeigt, ausgeführt, ein Meisterstück des Grabstichels und der Modellierung, aber eine Venus oder Iuno konnte er aus diesem Modell nicht machen. In dieser Hinsicht hätte die Benennung "Nemesis" auch einen satyrischen Inhalt, der sich mit seiner Spitze gegen das Modell selbst kehrt. (Siehe Abbildung.) Nach vielen anderen weiblichen Körpern, die sonst aus Dürer's Bildern und Stichen wiederkehren, muß Frau Agnes noch oft als Modell gedient und Dürer vor Abwegen (in ihrem Sinne) bewahrt haben. Als der Meister 1520 die Reise nach den Niederlanden unternahm, nahm er seine Frau mit. Möglich wird die Pest, die eben in Nürnberg wüthete, die Hauptursache gewesen sein, daß der Künstler auch seine Frau der Lebensgefahr entzog. Es wird aber auch dieser sehr erwünscht gewesen sein, den Meister zu begleiten, daß im fernen Lande weder dem Manne noch dem Künstler eine Gefahr begegne. Nur eine Begebenheit interessirt uns hier aus dieser Reise, es ist das Fest des Einzugs Karl's V. in Antwerpen, welchem Dürer beiwohnte. Solche Feste wurden mit dem möglichst größten Pompe ins Werk gesetzt; die besten Künstler wetteiferten, großartige Gemälde auszuführen, obgleich sie nur für wenige Augenblicke ihrem Zwecke dienten, die Straßen, durch welche sich der Zug bewegte, wie die Fronten reicher Patrizierhäuser zu schmücken. Auch in Antwerpen sah Dürer mit staunendem Auge diese künstlerische Pracht und Herrlichkeit; es war für ihn ein Bild aus der Feenwelt; Gemälde, wie diese, welche die schönsten Frauen in reizendster Tracht darstellten, hatte er nie gesehen. Was ihn aber als Maler besonders, mehr noch als die gemalten Damen, mit Entzücken erfüllte, das war der Einzug des Kaisers selbst. Es waren die schönsten Jungfrauen der Stadt auserwählt gewesen, dem Kaiser voranzuschreiten und wahrscheinlich eine mythologische Pantomime darzustellen. Dürer hat später Melanchthon erzählt, wie ihn dieser Anblick überraschte und entzückte; denn die Jungfrauen waren fast ganz nackt und nur mit einem dünnen durchsichtigen Schleier verhüllt. "Der Kaiser sah sie gar nicht an," erzählt Dürer weiter, "aber ich, weil ich ein Maler bin, schaute mich ein wenig unverschämter um." Da sah der alte Dürer freilich Modelle, wie er sie bisher nicht gesehen hatte und seine Künstlerseele mußte ihm im Leibe erzittern. Bekanntlich ging Makart von diesem kurzem Berichte Dürer s aus, als er seinen "Einzug Carls V. in Antwerpen" componirte. Es ist vielfach dem Künstler der Vorwurf gemacht worden, daß er, was eben die Jungfraueu anbelangt, zu weit gegangen wäre, da Viele nicht glauben wollten, daß dergleichen auf offener Straße möglich gewesen wäre. Es giebt nämlich Leute, die auf ihrem Standpunkte fest stehen und es nicht so weit bringen können, eine Sache vom Standpunkte einer anderen Zeit und anderer Verhältnisse zu betrachten. Dann ist freilich ein objectives Urtheil nie möglich. Schon den Alten waren die sogenannten "gläsernen", d. h. durchsichtigen Gewänder bekannt. Seneca schreibt: "Du siehst Seidenkleider, wenn man sie noch Kleider nennen kann, da sie weder den Körper noch die Scham schützen können." Die Glaubwürdigkeit an Dürer's Bericht wird aber durch viele historisch beglaubigte Thatsachen bewiesen. Der Curiosität wegen seien einzelne hier erwähnt. Beim Einzuge Ludwig's XI. in Paris (1461) wurden am Brunnen von Ponceau mehrere schöne, völlig nackte Mädchen aufgestellt, welche Sirenen vorstellten und als der König in ihre Nähe kam, Schäferlieder sangen. Carl der Kühne besuchte 1468 die Stadt Lille; um den Herzog zu erheitern, ließ man vor ihm Mysterien ausführen und zwar das Urtheil des Paris. Auch hier erschienen die drei Göttinnen vollständig nackt. Für Venus wählte man ein sehr großes und dickes Frauenzimmer, das über zwei Centner wog, Iuno hatte auch eine sehr hohe Gestalt, war aber sehr mager, Minerva endlich war klein, dickbäuchig und höckerig (der Bericht sagt, sie hätte einen Höcker vorn und hinten gehabt). Noch im Jahre 1577 bedienten bei einem Feste Heinrich's IlI. Mädchen mit nacktem Oberkörper bei Tisch. Von den geheimen Hofgeschichten unter Ludwig XIV. und Ludwig XV. wollen wir schweigen. Wir erinnern nur daran, daß es eine Zeit zur Mode gehörte, mit vollständig nackter Brust öffentlich zu erscheinen. Und nicht allein in Frankreich und Brabant waren Feste aus solche Weise pikant gemacht, auch in Italien ging es nicht besser. Wie wir bereits an einer anderen Stelle erwähnten, waren die vornehmen Damen daselbst vollständig in dieser Richtung emancipirt und sich enthüllen hieß Gelegenheit bieten, der Schönheit Weihrauch zu streuen. Nach dem Berichte Macchiavelli's hatte Castruccio nach der Schlacht bei Serravalle Volksfeste angestellt; ein Glanzpunkt derselben war ein öffentliches Wettrennen von freien Mädchen, die nackt nach dem Ziele laufen mußten; die Siegerin erhielt als Preis ein Stück Seidenzeug. Uebrigens dürfen die Deutschen auf solche Gebräuche auch nicht mit stolzem Selbstgefallen herabsehen, im Mittelalter wurden öffentliche Dirnen, die in der Stadt großes Aergerniß gegeben haben, öffentlich vor dem Rathhause ganz nackt ausgestellt und dann aus der Stadt gepeitscht. Im Ganzen müssen wir annehmen, daß die alten deutschen Künstler mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, wenn sie nach dem lebenden weiblichen Modelle Studien machen wollten. Personen üblen Rufes konnten ihnen nicht genügen, auch würden diese der Ehre ihres Hauses geschadet haben. Man kann es wohl einer Frau Agnes zumuthen, daß sie ein solches Modell mit dem Besen aus ihres Mannes Werkstätte herausgejagt haben würde. Etwas anders und leichter gestaltete sich die Sache bei den Künstlern, die zu Dürer's Schülern gerechnet werden, den sogenannten Kleinmeistern, so genannt, weil sie Kupferstiche meist in kleinen Formaten ausführten. Es waren ledige Gesellen, die sich weniger darum kümmerten, was die öffentliche Meinung über sie denke. Wenn Dürer sich in der Vollkraft seines Schaffens gegen die Renaissance ablehnend stellte (in jeder Hinsicht, namentlich im Ornament, war es ihm freilich nicht möglich), so stehen die erwähnten Kleinmeister schon mitten im Fahrwasser der Renaissance, die sie mit dem deutschen Geiste durchdringen und zum Eigenthum der deutschen Kunst machen. Bartel Behani (1502 bis 1540) copirt Blätter des Marc-Anton und dringt muthig in die italienische Kunstanschauung ein, so daß diese auch in seinen originellen Compositionen überall durchblickt. Noch deutlicher zeigt sich diese Wendung nach Italien, auch nach der Antike bei seinem Bruder H. S. Beham (1500 bis 1550). In seinen mythologischen Figuren weht schon ganz offenbar der Geist der Renaissance. Seine Dido ist ganz nach der Venus, die Marc Anton nach Raphael gestochen hat, componirt. Seine nackten Figuren setzen bereits schöne Modelle voraus, die auch mit großem Verständniß anfgefaßt sind und eine Formenschönheit verrathen, die den Künstler an der Seite der Italiener ganz ebenbürtig erscheinen lassen. Und dennoch ist keinem hohlen Idealismus nachgejagt; wenn wir Umriß und Modellierung der nackten Körper aufmerksam zergliedern, so erscheint der Künstler doch wieder als Realist, wie auch sein Bruder Bartbel^ dessen Kunst ihn übrigens sebr beeinflußte. Im Berliner Museum befindet sich eine gemalte Tischplatte von H. S. Beham vom Jahre 1530, aus welcher Bade, Schifffahrt und Jagdscenen dargestellt sind. Hier wiegt, besonders bei den Badescenen, das realistische Princip vor. Hier hat er das deutsche Modell gegeben, wie er es vor sich sah. In noch höherem Maaße ist dies bei einer anderen Tischplatte desselben Meisters der Fall, vom Jahre 1534, welche von den Franzofen aus Mainz entführt wurde und die sich jetzt im Louvre befindet. Sie war für den Cardinal Erzbischof von Mainz Albrecht von Brandenburg gemalt, für den der Künstler seit 1531 beschäftigt war. So illuminirte er für denselben in Gemeinschaft mit A. Glockenton ein Gebetbuch, das sich jetzt in der Bibliothek zu Aschaffenburg befindet. Oben erwähnte Tischplatte enthält vier Darstellungen aus der Geschichte David's. Hier bleibt besonders die zweite derselben her vorzugeben. Wir sehen Bethsabe im Bade, die der König vom Balcon betrachtet. Damit wäre der biblischen Scene Genüge gethan. Der Künstler hat aber in die Nähe des Bassins den Cardinal selbst mit seinem Hofstaate angebracht. Damit wird in der Composition neben dem biblischen auch ein anderer, der Gegenwart entlehnter Vorfall betont. Die Tradition glaubt nämlich in der Bethsabe die Herzensfreundin des Cardinals, Margaretha Ridinger, zu sehen, und die Gegenwart desselben scheint die Tradition zu bestätigen. Damit würde uns also ein weibliches Modell des Künstlers namentlich genannt, das derselbe freilich nur für diesen einen Fall in solchem Zustande benützen durfte. Es wäre eben nur eine Wiederholung dessen, was wir bei Alexander und sonst noch erwähnt haben, daß ein Mächtiger seiner Geliebten Reize durch einen Künstler darstellen ließ. Wie bei Dürer hervorgehoben wurde, hat auch Beham in den Frauenbädern Gelegenheit gefunden, nach der Natur zu zeichnen. Wir besitzen zwei Holzschnitte desselben, welche Frauenbäder darstellen und die ganze Composition verräth es, daß der Künstler die Wirklichkeit ganz getreu copirte, wie sie sich seinen Augen darstellte. Die weiblichen Körper sind dieselben, die wir bei Dürer gesehen haben. Hierher ist auch der Jugendbrunnen zu rechnen, der auch in einem großen Holzschnitt vorhanden ist. Alte Leute werden zu einem halb mit Arkaden gedeckten Bassin getragen, damit sie darin ihre Jugend wieder erlangen. Arkaden wie der Springbrunnen sind im schönsten Renaissance styl ausgebaut. Die meisten Personen, Männer wie Weiber, sind offen bar nach lebenden Modellen aufgenommen. Dazwischen aber sind einzelne Figuren italienischen Künstlern entlehnt; so erinnert im Grunde ein aus dem Bassin steigender Mann an einen der berühmten "Kletterer" Michel Angelo's und das nackte, vom Rücken gesehene Weib, das ein Gewand anlegen will, ist genau einer Göttin in Raphael's Urtheil des Paris nachgebildet. Bei einzelnen Stichen aber hat er das Modell geradezu benützt, um in cynischer Weise die Unzucht zu verherrlichen. Ein anderer Künstler derselben Zeit, Georg Pencz (1500 bis 1550) schlägt indessen ganz aus der Art des Vorigen. Das hat seinen guten Grund. Er befischte Italien, war als Kupferstecher Schüler des Marc Anton, dem er alle Ehre macht. Seine Arbeiten sind vollständig von der Renaissance durchdrungen und so müssen wir auch voraussetzen, daß ihm italienische Modelle standen. Seine Frauen sind meist in der Weise Raphael's und anderer Italiener aufgefaßt, nur einige (in seinen biblischen Figuren) erinnern durch die Tracht an sein Vaterland und selbst diese sind von der Noblesse der Schule Raphael's durchdrungen. Die Thomiris, eine nackte Figur vom Rücken gesehen, kann man muthig einem Italiener dieser Zeit zuschreiben und auch die glanzvolle Stichweise würde selbst einem Marc Anton Ehre machen. G. Pencz hat dann nach seiner Rückkehr einen anderen deutschen Künstler (wie man glaubt) stark beeinflußt. Es ist Heinrich Aldegrever (circa 1502 bis 1562), der sich anfangs nach A. Dürer bildete. Er ist ein geborener Westphale und lebte meist in Soest. Er war ein entschiedener Anhänger der Reformation; wenn er als solcher zuweilen zu weit geht, so darf es uns nicht befremden, da in seiner Zeit die Ideen sich noch nicht geklärt, die Gemüther beruhigt hatten. Zu solchen Uebergriffen seiner Kunst gehört das übertriebene Hervorkehren des Nackten, um damit seinen neuen Standpunkt zu documentiren. Damit hörte das Modell auf, Gegenstand des Studiums zu sein und wurde Selbstzweck. Es wurde ihm sehr übel gedeutet, daß er in Soest den Richter Johann von Holk und dessen Geliebte "nackend und bloß" neben einander stehend gemalt habe. Nichts mehr als ein Modell ist auch sein Stich: Die Nacht, ein nacktes aus dem Bette schlafendes Mädchen. Die Verkürzung ist trefflich, aber selbst die moralische Inschrift: "Nox et Amor vinumque nihil moderabile suadent" (Weder die Nacht, noch der Wein, noch Amor rathen was Gutes) macht die Darstellung nicht moralischer. Seine Modelle, männliche wie weibliche, verrathen übrigens einen ganz eigentümlichen Menschenschlag; sie haben hohe Beine und kleine Köpfe. Einzelne weibliche Köpfe sind übrigens von reizender Naivität. In der Kunst Aldegrever's, also auch in der Behandlung der Studien nach Modellen, kann man leicht zwei ganz verschiedene Perioden unterscheiden. In seiner ersten Zeit (etwa von 1527 bis 1538) ist er ein Naturalist. Er stellt sich sein Modell und bei nackten Figuren giebt er es getreu, so wie er es sieht, in seinem vollen natürlichen Charakter. Man sehe sich seinen Stich an, der "die Erinnerung an den Tod" genannt wird (1529). Ein nacktes Weib, in Profil nach rechts, hält Apfel und Sanduhr; eine bauschige Gestalt vorn und hinten, eine Schwester des großen Glückes von Dürer. Respice finem (bedenke das Ende) lautet die Moralsentenz. Wir finden dasselbe Modell auch an den Göttinen im Paris-Urtheil (1538) und an den Weibern, die dem Sprunge des Marcus Curtius in den Abgrund zusehen (1532). Im Jahre 1539 stach Aldegrever nach G. Pencz ein Blatt: Tarquin und Lucretia und seit diesem Augenblick giebt er seine prononcirte naturalistische Auffassung auf und bemüht sich, nach und nach in den Geist der Renaissance einzudringen. Bei vielen seiner Stiche dieser späteren Periode finden wir die Umwandlung besonders hervortretend, die Körper erscheinen nicht so gestreckt und mit Fettpolstern besetzt, die Modellirung zeigt wohlverstandene Rundungen. Es ist nicht anzunehmen, daß er jetzt andere Modelle für seine Studien benützte oder diese aus Italien sich kommen ließ. Er sah eben jetzt die Natur mit anderen Augen an und gewöhnte sich, das Gesehene einer Regel, einem Schönheitsgesetze zu unterordnen. Zum Beweise des Gesagten nennen wir die Thisbe (1553), die Leda (1550), die Luna (1558), das Glück (1555). Letztes Blatt ist offenbar unter dem Einflusse der Fortuna Dürer's entstanden; auch hier sehen wir unten eine Landschaft, aber Fortuna ist keine Frau Agnes mehr, sondern eine schöne Erscheinung, welcher der Künstler eine anmuthvolle Stellung zu geben wußte. Schließlich sei noch erwähnt, daß sich auch Aldegrever in irgend einem gemeinschaftlichen Bade umgesehen hat. Virgil Solis hat nach ihm ein solches Bad gestochen. Man nennt es ohne allen Grund Anabaptistenbad. Die Composition gehört offenbar der früheren Periode des Meisters an, denn die Körper sind fast in's Unnatürliche gestreckt und die liegenden und sitzenden Frauen müßten ganz sonderbare Gestalten vorstellen, wenn sie sich erheben würden. Lassen wir sie ruhig liegen! (S. Abbildung.) Es gab übrigens zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts noch viele deutsche Künstler, die von der Renaissance unberührt blieben und darum bestrebt waren, in ihren Werken einzig die unverfälschte Natur, ohne fühlbaren Drang nach dem Idealisireu derselben, darzustellen. Sie verrathen uns in dieser Auffassung, wie die Modelle, die sie benützten, beschaffen waren, über deren Persönlichkeit wir freilich nichts erfahren, wie wir auch im Dunkeln sind, woher sie diese entlehnten. Wir erwähnen hier beispielweise den schwäbischen Maler, Kupfer-stecher und Formschneider Hans Baldung, genannt Grien (1470 bis 1552). Ein Holzschnitt zeigt uns zwei deutsche Mütter von vielen Kindern umgeben, die wie jene nackt sind. Alle Figuren sind ohne allem Hauch von Idealität gegeben, aber treu nach der Wirklichkeit aufgefaßt. Und doch muthen sie den Betrachter poetisch an, der Reiz liegt in der ungeschminkten Wiedergabe des deutschen Familiensinnes. Eigentümlich dagegen hat Baldung ein mythologisches Thema aufgefaßt: die drei Parzen (1515), die an einem Spinnrocken beschäftigt sind. Sie erscheinen nackt und der Künstler wollte offenbar (wie es auch Barthel Behani gethan hat das Weib in drei Stadien des Alters darstellen, die Jungfrau mit langem, lockig herabfallendem Haar hält den Spinnrocken; das Weib, neben dem ein Kind die Blume pflückt, hat volle runde Formen, die eines der fetten Jahre Egyptens symbolisiren könnten; sie spinnt den Faden, den ein altes Weib mit der Scheere durchschneidet. Letztere ist mager, die Knochen treten vor, die Brüste hängen schlaff herab. Es ist unschwer zu errathen, daß die drei Schicksalsweiber treu nach lebenden Modellen ausgenommen sind. Wenn der Künstler sich etwa Modifikationen und Correcturen an der Wirklichkeit erlaubte, so dürfte es bei dem Holzschnitte geschehen sein, welcher nackte Hexen vorstellt, die ihre Vorbereitungen für den Hexensabbath treffen. Ich glaube nämlich nicht, daß er in der Wirklichkeit Weiber von solcher Häßlichkeit gefunden hat und daß er darum den wohl schon an sich genug unschönen Modellen aus eigener Phantasie noch etwas zugegeben hat. Es ist die Zeit der Hexenprocesse , welche die Gemüther der Menschen wohl sehr stark aufregen mußte; kein Wunder, daß sich auch der Künstler versucht fühlt, in diesen Stoss sich zu vertiefen. Eine Zeichnung des Meisters (jetzt in der Albertina) belehrt uns, daß es auch junge Hexen gab; wir sehen hier eine alte häßliche, gleichsam als Lehrerin, und zwei junge, deren eine sich so knieend bückt. daß sie durch die Füße hervorsteht, jedenfalls für ein Modell eine schwierige Lage. Es ist aber der Zeichnung abzusehen, daß sie ein Stndium nach der Natur ist. Daß der Künstler auch über jugendliche Modelle verfügte, sehen wir an seiner Eva und an dem jungen Weib, die der Tod umarmt (letzteres als Bild in Basel). Zu den größten Künstlern, die uns das sechszehnte Jahrhundert geschenkt hat, gehört unstreitig Holbein der Jüngere (1497 bis 1543). Er ist auch der Meister, der wie keiner unter den Deutschen, die Renaissance spielend in seine Kunst aufnahm und doch bis zum Tode seinen ausgesprochen deutschen Charakter nicht verleugnete. Die Renaissance ist seiner Kunst nicht angepfropft, sondern dem Meister so zusagen in Fleisch und Blut eingedrungen. Das Merkwürdige daran besteht darin, daß er, wenn er überhaupt Italien besucht hat (was vielfach bezweifelt wird), sich daselbst nur kurze Zeit aufhalten konnte. Als zwanzigjähriger Jüngling schmückt er in Luzern ein Haus mit Wandgewälden und wählt zur Darstellung den Triumphzug Cäsar's von Mantegna, der ihm wohl in dessen bekannten Kupferstichen vorlag. Durch welche Studien nach der Natur er das in seiner Seele schlummernde Ideal verkörperte, wie er sich Modelle verschaffte und benützte, davon ist weder in Nachrichten noch in seinen Werken eine Spur zu finden. Seine Frau, die er als Wittwe ehelichte (um 1520), war viel älter als er, auch keine Schönheit, weder in Bezug auf das Gesicht, noch auf die Körperform. Holbein hat uns ein Bild derselben hinterlassen, das uns eine Hausmutter zeigt, die gern unter ihren Kindern weilt. Man sieht ihr im Gesichte die Sorge, wohl auch etwas Unmuth an. Kein Wunder! Holbein hielt sich lange Jahre in der Fremde auf und so stand sie ohne Hilfe und Rath, auf sich selbst angewiesen, in der Welt da. Eigentümliche Umstände brachten den Künstler mit einer Dame in Berührung, die sich in Basel eines sehr zweideutigen Rufes erfreute. Es ist Dorothea Offenburg, eine gepriesene Schönheit, die ihres mehr als freien Lebens wegen von ihrem Manne geschieden wurde und nun sich den Meistbietenden hingab. Holbein dürfte von einem Verehrer derselben, der sich eben ihrer Gunst erfreute, den Auftrag erhalten haben, sie zu malen. Er that es zweimal, einmal stellte er sie als Venus mit Amor dar, in der Tracht der Zeit modisch gekleidet, dann in fast gleicher Tracht hinter einem Tische, auf welchem viele Münzen liegen. Sie streckt die Rechte aus und zeigt damit ihr Verlangen an, noch mehr zu erhalten. Schon dieser Zug charakterisirt sie; damit aber kein Zweifel obwalte, fügt der Künstler die Inschrift hinzu. Lais corinthiaca. Damit ist ihr Charakter als Hetäre außer allen Zweifel gestellt. Ist die Portrait-Aehnlichkeit, wie wir bei Holbein voraussetzen müssen, eine vollkommen gelungene, so ist auch die Behandlung des Portraits als eines Sittenbildes, die seine Charakterisirung des Kopfes und der ganzen Haltung eine staunenswerte. Macht das Bild nicht den Eindruck eines Werkes von Palma Vecchio oder Tizian? Woher kam dem deutschen Künstler diese Offenbarung? Wir haben leider über Holbein im Gebiete unserer Untersuchung nicht viel zu sagen. In England finden wir den Künstler oft in Berührung mit Damen, aber diese waren Damen der Aristokratie, des Hofes, die er im Bildniß verewigen mußte. Nackte weibliche Gestalten kommen höchstens in Zeichnungen oder Holzschnitten vor, wie z. B. aus dem Entwurf zu einer Dolchscheide (jetzt in der Bibliothek in Bernburg), auf einer zweiten mit Venus, die Lützelburger in Holz geschnitten hat und andere mehr. In solchen, meist kleinen Figuren, ist die Renaissance trefflich betont, ohne das Natürliche des lebenden Modells auszuheben. In London lebte ein Mädchen bei ihm, mit dem er zwei Kinder zeugte. Vielleicht haben wir in diesem das officielle Modell des Künstlers zu vermuthen. Wenn der Leser Gelegenheit und Muse hat, den Inhalt dieses Buches auch immer mit den zum Beweise herbeigezogenen Kunstwerken der einzelnen Künstler zu vergleichen, so wird er, an dieser Stelle angelangt, und mit Holbein's classischer Ausdrucksweise vertraut gemacht, gewiß stutzen, wenn er die Thätigkeit des jetzt zur Sprache kommenden deutschen Meisters betrachtet und sich wundern, wie in Deutschland zu gleicher Zeit so grundverschiedene Kunstcharaktere sich bilden konnten. Holbein ist auch eine Ausnahme; er setzt sich über die Einflüsse seiner Umgebung hinweg, was nur besonders begnadeten Künstlern möglich wird. Anders bei Lucas Cranach dein Aelteren (1472 bis 1553); nicht als ob wir dessen Kunsttüchtigkeit in Zweifel ziehen wollten. Er stand eben in der Mitte von Verhältnissen, die ihm eine nähere Bekanntschaft mit italienischer Kunst oder gar der Antike unmöglich machten, auch sein ganzes Naturell wies ihn auf die Richtung hin, in der er als Künstler sich auszeichnen konnte. Er war ein Deutscher durch und durch und als er mit dem Reformator in Berührung und in Freundschaft trat, mußte sich sein Geist noch mehr der italienischen Kunstweise abwehrend entgegenstellen. Durch die Reformation wurde das Individuum hervorgekehrt, in erste Linie gestellt und so war Cranach, der zeichnende und malende Apostel der Reformation, vorzüglich auf das Bildniß hingewiesen und auf diesem Gebiete hat er seine Meisterwerke geschaffen. Unter den vielen Gemälden, Zeichnungen und Holzschnitten, die ihm angehören, finden wir auch Compositionen, deren Stoff der heid- nischen Fabel entlehnt ist, doch dürfen wir nicht glauben, daß er dabei auf die Antike Rücksicht nahm. Es galt ihm nur, nackte weibliche Körper darzustellen. So kommt Venus mit und ohne Amor sehr oft vor, wie als Gemälde in Berlin, Weimar, Paris, als Holzschnitt vom Jahre 1506; eine Quellennymphe (1518) in Dresden, Adam und Eva unzählige Mal, öfters auch das Urtheil des Paris, als Bild und im Holzschnitt, eine Maria Egyptiaca, die nackt von Engeln in den Himmel getragen wird, im Holzschnitt vom Jahre 150^. Meist entstanden diese Kunstwerke in früherer Zeit seines Lebens. Eine Ausnahme macht der Jugendbrunnen in Berlin, der vom Jahre 1546 datirt. Alle diese Compositionen setzen offenbar Studien nach der Natnr voraus. Das Modell, dessen sich Cranach bediente, befaß keinen schönen Körper und der Meister that nichts hinzu, um in seiner Zeichnung die Natur zu corrigiren. Er giebt die weiblichen Körper nach dem Leben. Meist ist die Brust wenig entwickelt, der Bauch stark hervortretend, Hände und Füße leiden an großer Magerkeit. Nur in dem Holzschnitt mit der Venus erhebt er sich über die prosaische Wirklichkeit und schafft einen Körper, den man mit Vergnügen betrachtet. Im Holzschnitt mit dem Paris-Urtheil, der nur zwei Jahre später ist, erscheinen die Göttinen gar nicht göttlich; die eine hat krumme, die andere kurze, wulstige Füße. Die Venus des Braunschweiger Museums leidet an abschreckender Magerkeit (früher war ein Amor neben ihr, der, weil ruinirt, gedeckt wurden Mit dem rothen Barret, wie es im Mittelalter feilen Dirnen vorgeschrieben war, erscheint sie also als "Venus vulgivaga". ( Siehe Abbildung.) Dagegen ist fast bei allen diesen nackten Damen zu bemerken, daß das Gesichtchen schön, naiv, oft lüstern und begehrlich lächelnd, aus dem Bilde herausstellt. Die Sage erzählt, daß Cranach in seiner Jugend eine Geliebte hatte, die Anna hieß und die ihm wohl auch als Modell diente. Es kommt auf sie ein lateinisches Epigramm in verschiedenen Variationen vor, deren manche sich kaum citiren lassen. Das unschuldigste ist noch das folgende: Anna venusta vocor, utque est versatile nomen Sic corpus poterat vertere quisque meum. Die Variationen kann der Leser in der Bibliothek zu Wolfenbüttel nachsehen. Cranach war zugleich Besitzer einer Apotheke und Bürgermeister von Wittenberg. Ueber seine Frau Barbara, geborene Brengbier aus Gotha, hat die Klatschsucht auch Manches gedichtet. So soll sie dem Manne jegliche Benützung eines jugendlichen Modells streng untersagt haben und wollte selbst diese Funktion übernehmen. Als sie einmal verlangte, der Meister solle ihr Bildniß auch aus einem seiner Bilder anbringen, malte er sie auf dem in der Wittenberger Stadtkirche befindlichen Bilde mit der Taufe, aber vom Rücken, daß man ihr Gesicht nicht sehen könne. War sie häßlich? Wer kann es entscheiden. In späterer Zeit haben sich auch Laien überzeugt, daß der schaffende Künstler nach der Natur studiren müsse und zu diesem Behufe darum Modelle brauche. So wird uns von einein tüchtigen Bildhauer in Nürnberg, Georg Schweigger, der um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts thätig war, erzählt, wie er den erzenen Neptunbrunnen, der im vorigen Jahrhundert von der Stadt nach Rußland verkauft wurde, zu Stande brachte. Neptun selbst soll das Bildniß des Paul Fürleger sein, aber nicht allein zum Kopfe diente ihm dieser zum Modell, sondern für die ganze Figur. "er hat sich ganz entblößt und sich also abzeichnen lassen", sagt der Fortsetzer der Nachrichten Neudörffer's. Aber auch für die weiblichen Figuren hatte der Künstler lebende Modelle zum Studium herangezogen. Derselbe Gewährsmann berichtet, daß er einer schönen und langen Jungfrau 20 Reichsthaler gezahlt habe, um ihren nackten Leib zeichnen zu können. Recht naiv wird hinzugefügt, daß, als sich die Nachricht davon in der Stadt verbreitet habe, ein großer "Anlauff" entstanden sei, nicht etwa in dein Sinne, daß den Leuten des Künstlers Handlungsweise anstößig erschienen wäre. Es entstand nämlich ein großer Zusammenlauf unterschiedlicher Weibspersonen in der Werkstätte des Künstlers, die ihm denselben Dienst erweisen wollten, um Geld zu verdienen. So überwindet das Geld alle Schwierigkeiten! Im siebenzehnten Jahrhundert ist bekanntlich die Kunst in Deutschland fast bis zum Handwerk gesunken und nur wenige Künstler haben sich einigermaßen über dem Niveau der Alltäglichkeit gehalten. Hat es an Schulen gefehlt, an Lehrern, die es nicht verstanden, echten künstlerischen Geist zu erwecken? Vielleicht; doch liegt die Sache tiefer, in den allgemeinen Verhältnissen der Zeit, in der durch den Dreißigjährigen Krieg verschuldeten Misere, in der Apathie der Reichen und Hohen gegen die monumentale Kunst. Man glaubte hier schon genug gethan zu haben, wenn man sein Bildniß durch einen gewöhnlichen, weil billigen Maler herstellen ließ. Aber es gab Schulen, wo die alten Lehrgrundsätze noch befolgt wurden. Wir haben schriftliche und bildliche Belege dafür, daß der angehende Künstler nach der lebenden Natur und nach der Antike sich bilden müsse. Im Museum zu Braunschweig sind zwei Bilder von Johann Heiß (1640 bis 1704), welche Actsäle vorstellen. Aus einem derselben sind mehrere Schüler beschäftigt, nach dem nackten männlichen Modell zu zeichnen. Neben dem Modell steht eine antike Statue, dem Aporyomenos des Lisippos ähnlich, und der Lehrer scheint die Kunstjünger auf den Unterschied zwischen Natur und Kunst aufmerksam zu machen. Das andere Bild zeigt uns dieselben Schüler, welche nach einem nackten weiblichen Modell zeichnen. Dem Modell wurde die Pose der kindischen Aphrodite von Prariteles gegeben. Rechts erscheint eine Frau mit der Larve über dem Gesicht; wird sie ersucht, auch einmal Modell zu stehen? Was soll die Larve bedeuten? Wohl ihre Schaam über einen solchen Vorschlag ausdrücken? IV. Wie im Menschenleben lassen sich auch in der Kunst drei Stadien abgrenzen: die Entwicklung, die Blüthe und der Niedergang. Bei allen Culturvölkern, in deren Mitte die Kunst ein Heim gefunden hat, kann man ihr Auf- und Abwärtssteigen beobachten. Weiter ist dann Erfahrungsfache, daß in der Zeit des Niedergangs durch irgend ein Genie die Kunst aus ihrer Lethargie emporgerissen und zur neuen Blüthe gefördert wird. Die Niederlande waren stets eine Heimstätte der Kunst und die Geschichte hat uns Tausende von Künstlernamen überliefert, die daselbst thätig waren. Wenn wir nun dahin unsere Blicke wenden, so wird Niemand verlangen können, daß wir uns mit Vielen derselben beschäftigen sollen. Es wird genügen, einige der besten hervorzuheben und aus den gegebenen Beispielen sich ein allgemeines Urtheil für den Rest zu bilden. Als die alte Vlämische Schule, die in den beiden van Eyck ihre höchste Blüthe erreichte, allmählich von ihrer hohen Stufe niederstieg, da glaubten viele Künstler, für ihr Streben ein neues Ferment durch eine Reife nach Italien zu gewinnen. Es war nun ein großer, wenn auch erklärlicher Fehler dieser Kunstreisenden, daß sie glaubten, mit der Nachahmung der Form auch schon den Geist der italienischen Classiker gewonnen zu haben. Man meinte, zu einem Künstler der Renaissance gehöre nichts weiter, als mythologische Gegenstände zu malen und nackte Figuren in der Kunst darzustellen. Um Letzteres leisten zu können, mußten sie natürlich zu lebenden Modellen Zuflucht nehmen. Aber das Modell macht es allein nicht aus. Dieses ist nur der geheime Diener des Taschenspielers , der hilft, ohne gesehen zu werden; wo das nicht zutrifft, geht für den Zuschauer alle Illusion verloren. Wer nach Italien nichts brachte, konnte von da auch nichts zurückbringen. Ein abschreckendes Beispiel ist Bart. Spranger (1546 bis 1625). Er besaß eine ungemein rege Phantasie, mit der aber alles gesunde Urtheil davon lief. Man sollte fast glauben, daß des sonst talentvollen Künstlers Augen anders gebaut waren, wie die normaler Menschen, indem er die Natur anders sah, wie sie ist. Es ist nicht möglich, daß seine nackten Modelle so aussehen konnten, wie die aus denselben hervorgegangenen Gestalten. Diese sehen Gewächsen ähnlich, die man eben mit ihren Wurzeln aus der Erde gezogen hat. Die Extremitäten, besonders die Zehen bilden oft ein vollkommenes Wurzelwerk, während die Musculatur des Körpers Knollengewächsen nicht unähnlich ist. Auch Spranger ist in Italien gewesen, da scheint er wo gehört zu haben, daß die Kunst sich über die Natur erheben müsse und so schuf er seine ab normen Gestalten und wurde Apostel des Manierismus. Das Traurigste ist, daß ihn seine Zeitgenossen anstaunten, wodurch er in seiner irrigen Anschauung nur bestärkt wurde. Wenn je ein Künstler mit der rechten Vorbereitung die Gärten der Hesperiden betrat, so war es sicher Peter Paul Rubens (1577 bis 1640). Erstens befaß er eine umfassende classische Bildung. Neben historischen Studien betrieb er seit frühester Jugend die Archäologie und war der lateinischen Sprache so mächtig, daß er die Classiker in ihrer Originalsprache lesen konnte. Als er sich im Jahre 1600 aus den Weg nach Italien machte, war er auch bereits ein fertiger Künstler. So war es ihm ein Leichtes, die Antike nicht allein in ihrer äußeren Erscheinung, sondern auch in ihrem Geiste aufzufassen und zu verstehen. Dasselbe gilt den Gemälden classischer italienischer Künstler gegenüber. Jedenfalls stand er vor den Werken eines Mantegna, Bellini, Palma, Tizian, Paul Veronese, Tintoretto, Leonardo, Michel Angelo und Raphael mit reiserem Urtheil, als die meisten Laien, welche Italiens Kunstsammlungen durchlaufen und selbst als Kunstjünger, die sich erst ans Italien ihren Künstlerberuf holen wollen. Rubens copirte viele Gemälde italienischer Künstler, aber selbst in diesen Copien zeigt er sich als ein Geister, der seine Individualität dabei nicht verleugnet, der durch das Copiren nur tiefer in den Geist des Originals eindringen will. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der ruhenden Venus nach Tizian. Wer die Kunstweise beider Künstler - des Rubens und Tizian - genau kennt, wird leicht in dieser Copie (gestochen von P. Sontman) die Verschmelzung der Kunstsprache Beider wahrnehmen; man könnte sagen, die Copie sei ein Tizian, dem ein Rubens angepfropft ist. Seine angeborene Vorliebe für die unverhüllten Reize des weiblichen Körpers fand nicht allein bei den besten meistern des Cinquecento, sondern auch in der Antike reichliche Nahrung und gerade diese war für Rubens, dessen Auge von Jugend aus in seinem Vaterlande an üppige Frauengestalten gewöhnt war, eine gute Schule, in der er weise Mäßigung lernen konnte. Die Einwirkung blieb auch nicht aus; in Italien wie in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr aus Italien arbeitet er im Bann seiner Studien nach der Antike. Später erblaßt freilich diese Erinnerung und die maßvolle Form geht in eine üppige, lebensstrotzende über. Die Antike hat für Rubens zuweilen die Stelle des lebenden Modells eingenommen. Es hat sich ein (ursprünglich lateinischer) Aufsatz des Meisters über die Nachahmung der Antiken erhalten, der für angehende Künstler sehr beherzigenswert ist. Ich kann mich nicht enthalten, eine Stelle daraus hier anzuführen: "Ich habe die Ueberzeugung, daß, um die höchste Vollendung zu erreichen, man die antiken Statuen nicht allein genau kennen, sondern auch von ihrem Verständnisse auf das Innigste durchdrungen sein muß. Der Gebrauch, den man von ihnen macht, muß auf Verständniß beruhen; nie darf der Stein sich vordrängen." Wie Rubens diese von ihm selbst aufgestellte Regel befolgte, kann an einem Beispiele nachgewiesen werden. In Rom sah er im Palazzo Farnese die antike schöne Statue der kauernden Venus von Polycharmos, die ihn sehr angesprochen haben muß. Gewiß hat er eine Zeichnung nach ihr gemacht. Wie hat er aber die Antike in seine Kunstsprache übersetzt? Das Motiv des Bades genügte ihm nicht, und so erfand er ein neues, reizendes Motiv für die kauernde Stellung. In einer Landschaft haben drei Amoretten, wahrscheinlich durch neckische Spiele müde und durstig gemacht, ihre göttliche Mutter erblickt und eilen auf sie zu. Sie bückt sich zu dem prächtigen Knäbchen und indem sie auf ein Knie niedergesunken ist, reicht sie dem einen ihre Brust, dessen Durst mit himmlischem Nektar stillend, während die beiden anderen sich herandrängen, um ihrerseits auch nicht zu kurz zu kommen. Rubens muß dieses Bild (jetzt in Potsdam) bald nach seiner Rückkehr gemalt haben, denn, obgleich seine Kunstweise überall hervortritt, so sind die Körperformen noch maßvoll und edel. Die Antike ist da, aber man sieht sie nicht mehr, der Stein ist Fleisch geworden. In Italien noch entstand die schöne Composition der drei Grazien (Uffizien zu Florenz). Die mittlere, die von zwei Engeln gekrönt wird, umfaßt mit der Rechten den Hals der links stehenden, an die sie sich leicht anlehnt. Rechts steht die dritte so, daß wir sie von der Seite und theilweise auch den Rücken sehen. Die Einwirkung der Antike ist an diesem Bilde unverkennbar, die Körperformen edel und regelmäßig, die Köpfe idealisirt. Das Bild ist vielleicht der äußerste Berührungspunkt mit antiker und italienischer Kunst, dessen Rubens fähig war. Wenn wir das inhaltreiche Lebenswerk des großen Meisters selbst nur flüchtig übersehen, so werden wir inne werden, daß er alles Darstellbare in das Bereich seiner Kunst mit gleicher Vollendung zog. Seine besondere Vorliebe hat er aber den Stoffen der antiken Mythologie ausgespart. Hier konnte er vorzugsweise seine eigentliche Künstlernatur schalten und walten lassen. Die Mythologie brachte ihm zwar Götter entgegen, aber diese erschienen in menschlicher Gestalt und da sie mit den Menschen dieselben Triebe und Bedürfnisse theilten, so war dem Künstler Gelegenheit geboten, den Menschen hier als den Träger eines Gottes, in höchster Vollendung seiner Erscheinung, strotzend von Gesundheit und Leben, dramatisch bewegt bis zur Leidenschaft darzustellen. Hier trat jegliches Gewand zurück und der Künstler konnte, wie einst die griechischen Künstler, in der Behandlung des Nackten seine hohe Meisterschaft zeigen. Und er ließ sich durch kein Bedenken, durch kein Vorurtheil auf diesem Wege einschränken. Als sein Gemälde mit dem Urtheil des Paris 1639 nach Madrid geschickt wurde, meinte der Cardinal Infant: "Ohne Zweifel ist es das beste, was Rubens gemalt hat; es hat nur den einen Fehler. Die drei Göttinen sind gar zu nackt." Rubens war aber durch nichts zu bewegen, diesen Fehler zu verbessern, und meinte, so müsse es sein, wenn man den Kunstwerth der Malerei sehen wolle. Rubens war vollkommener Realist im guten Sinne des Wortes. Je weiter die italienischen Eindrücke, die edlen Formen der Antike und der Meister des Cinquecento in seiner Erinnerung zurückwichen, desto fester fesselte ihn der Natursinn, die Welt einer gesunden Sinnlichkeit, die ihn umgab. In diese lebendige Welt griff er hinein, wenn er Gestalten für seine Ideen suchte. Die flandrischen Modelle, die seiner Kunst dienten, konnten sich nicht neben eine Venus von Knidos und selbst nicht neben die mediceische hinstellen, wie sie auch nicht mit der Galathea Raphael's oder der Danae Tizian 's wetteifern konnten; was ihnen aber an schöner Körperform abging, das ersetzten sie durch das warm pul- sirende Leben in ihren Adern, durch die Unmittelbarst der Natur, die sich in ihrer ganzen Erscheinung aussprach. So fand sich Gleiches zu Gleichem; die Umgebung des Künstlers war seinem Geiste verwandt, seine Kunst hing mit taufend Fäden an der ihn umgebenden Wirklichkeit und seine zeitgenössischen Landsleute sahen in seinen Frauengestalten Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut. "Ihre Stirn ist kühner gewölbt, als bei den antiken Typen, die Augen größer, die Wangen sind voller und fleischiger, die Oberlippe ist etwas kühner geschwungen. Der Körper ist fleischig, kräftig im Bau, mit schwellenden Muskeln und oft mit Hautfalten versehen; die Formen sind stärker gerundet, zeigen größere Ausladungen, ein Vorherrschen der Wellenlinien; Alles ist voll blühenden, gesund sinnlichen Lebens, voll Kraft und Energie." (F. v. Göler.) In seinem naturwüchsigen Naturalismus hielt sich Rubens sogar oft allzu getreu an sein Modell, indem er selbst Mängel, Unebenheiten, Zufälligkeiten am Körper seiner weiblichen Gestalten treulich im Bilde wiedergab. Namentlich, wie bereits von Vielen bemerkt wurde, sind die starken Hautfalten am Leibe, die durch das Tragen von Strumpfbändern hervorgebrachten Striemen unter den Knieen hervorzuheben, die Rubens nur zu getreu nach der Natur auf seine Bilder übertrug. Wo es sich um Darstellung von Bacchanalien oder ländlich-bäuerlicher Feste handelt, da, aber auch nur da läßt Rubens in den hierbei agirenden Dirnen seiner Phantasie unbegrenzte Freiheit. Auch für solche Gestalten wird er leicht in seinem Vaterlande entsprechende Modelle mit riesenhaften Brüsten und Körperteilen gefunden haben. Für seine nackten Göttinen und Nymphen dienten ihm seine beiden Frauen zum Modell. Isabella Brant, dessen erste Frau ist eine angenehme Erscheinung, zwar nicht von magerer Gestalt, aber auch nicht von allzu vollen Formen. Sie starb 1626. Gemälde vor diesem Jahre werden darum Frauengestalten enthalten, die sich noch nicht sehr weit von den in Italien gewonnenen Formen entfernen. Auch war, wie bereits erwähnt, die Erinnerung an Italien noch ziemlich lebendig und zügelte jede Ausschreitung. Anders war es freilich, als der 53jährige Künstler zu einer zweiten Ehe schritt und die 16-jährige Helene Fourment als Weib heimführte (1630). Der Künstler soll in das junge Weibchen trotz eines Jünglings verliebt gewesen sein. Dieses wird auch damit bestätigt, daß er sie immer und immer wieder in den verschiedensten Stellungen portraitirt und in seinen mythologischen Compositionen in allen Formen verewigt. Zu den interessantesten und glänzendsten Beispielen erster Art, auch für unseren Gegenstand von besonderer Wichtigkeit, ist das lebensgroße Bildniß der schönen Helene Fourment in ganzer Figur. das sich im Belvedere zu Wien befindet. Das Bild ist ein Liebes- und Freudengesang. eine Ode des leidenschaftlich erregten Herzens. Es ist zugleich eine officielle Bestätigung dafür, daß uns der Meister hier im Bilde grossherzig mit seinem Modelle bekannt macht. Sie ist fast nackt abgebildet, Pelzwerk deckt sie nur theilweise zu; nach rechts gewendet, sieht sie uns von der Seite an, als ob sie uns einladen wollte, "ihre blanken Arme, die jungen, runden Brüste, die schön geformten Beine, die von weicher Ueppigkeit überquellen," zu bewundern. Gewiß ein seltener Fall, daß ein glücklicher, verliebter Ehegatte der ganzen Welt erlaubt, seine Schätze zu betrachten und deren Reize zu genießen ! (S. Abbildung.) Houbraken macht die nüchterne Bemerkung: "Es ist ein nicht zu unterschätzender Vortheil für einen Maler (der eine schöne Frau besitzt), um die Kosten des Modells zu ersparen". Wer das seine, lebensvolle Gesicht recht betrachtet hat, wird sie leicht in den anderen Compositionen des Meisters herausfinden können. Die Merkmale sind stark ausgeprägt: große, weitgeöffnete Augen, hochgeschwungene Brauen, üppiges krauses Haar, üppiger, von Fülle und Gesundheit strotzender Körper, zierlicher Mund, volle Brust. Wo man diese Züge vereint findet, kann man darauf schwören, daß Helene Fourment hier dem Meister das Kunstschaffen zu einem reizenden Genusse gestempelt hat. Es wäre nun eine lohnende Aufgabe, allen Gemälden des Meisters nachzuforschen, welche die bezeichneten Merkmale an sich tragen. Wir müßten uns aber bei den einzelnen Bildern oft wiederholen und so wollen wir beispielhalber nur auf einzelne Hauptwerke dieser Art hinweisen. Beim Urtheil des Paris (Madrid) stellt die mittlere Göttin die Helene dar. Das wissen wir aus dem Ausspruch des Infanten: "Venns ist in der Mitte und das wohlgetroffene Bildniß seiner eigenen Fran, welche ohne Zweifel die schönste ist, die es in Antwerpen giebt". Wir haben oben ein Bild der Uffizien erwähnt, das die drei Grazien zum Gegenstand hat und das Rubens noch unter italienischem Einfluß stehend, gemalt hat. Es ist, um eine genaue Kenntniß des Charakters unseres großen Meisters zu gewinnen, und um den Unterschied zu sehen, den seine Kunst am Beginne ihrer Entfaltung und in der Zeit ihrer größten Reise aufweist, sehr instruktiv die Florentiner Grazien mit denen des Madrider Museums zu vergleichen. Während dort der Idealisierung der Formen die größten Concessionen gemacht werden, ist hier alles Natur freilich Rubens'sche Natur! Bei der Florentiner Graziengruppe kann man immerhin die Göttinen für junge Mädchen halten, hier aber sind es Frauen; freilich in voller Blüthe der Jugend glänzend und immerhin würdig, "die Anmuth" vorzustellen. Die beiden rechts und links stehen einander zugewendet, die mittlere ist vom Rücken gesehen, sie umschlingen sich wechselseitig, die linken Füße sind Standbeine, während die rechten in leichter Biegung mit den Zehen nur die Erde berühren. Die Grazien erscheinen darum, wie im Tanz begriffen. Ein lebensvoller Rhythmus durchdringt die Gruppe. Auch hier können wir mit höchster Wahrscheinlichkeit vermuthen, daß Helene Fourment dem Meister die Körperformen aller drei Grazien für sein Gemälde lieh. Im Kopfe der links stehenden, die besonders reizvoll aufgefaßt ist, glauben wir sogar das Portrait derselben zu erkennen. Nach dem Tode des Meisters blieben noch einzelne Bilder mit mythologischen Darstellungen zurück, so eine Diana im Bade, ein Bild gleichfalls mit den drei Grazien. Die Wittwe wollte diese Nuditäten nicht verkaufen, ja sie verbarg sie im Hause, damit sie Niemand sehe und durch "ihren Anblick die Reinheit seiner Seele beflecke". Man erzählt auch, sie hätte sich vorgenommen, die Bilder zu verbrennen. Indessen ließ sie sich doch überreden und verkaufte dem Cardinal Richelieu die Diana, und Carl I. von England die Grazien. Diese Rigorosität läßt sich nur damit erklären und rechtfertigen, daß sie in einer gewissen Beziehung zu den Bildern stand, d. h. daß die Göttinen ihrem Körper nachgebildet wurden. Wer sich über das herrliche Modell, das Rubens zu Gebote stand, weiter unterrichten will, dem schlagen wir vor, sich dessen Venusbilder (Venus dem Meere entstiegen, von der Jagd zurückkehrend, bei der Toilette, letzteres in der Liechtenstein Gallerie in Wien) anzusehen; auch die Dianen Bilder sowie Gemälde, auf denen Nymphen dargestellt sind, werden ein Vergleichen erleichtern. Wir haben bei Gelegenheit, da wir von Zeuxis sprachen, dessen Composition der Centaurenfamilie erwähnt. Auch Rubens hatte aus diesem Mythus-Fonde einmal den Stoff zu einem Bilde entlehnt, zu einer der schönsten Compositionen des Meisters. Zwei verliebte Centauren verfolgen zwei reizende junge Ceutaurinen. Während die Gruppe des Vordergrundes bereits den Sieg der Liebe darstellt, indem sich das Centaurenweibchen in verliebter Umarmung an den sie ereilenden Centaur anschmiegt, macht das andere Weibchen, das rechts nach dem Grunde entflieht, ihrem Verfolger noch einige Schwierigkeiten, deren friedliche Lösung aber vorauszusehen ist. Das Gemälde (im Hamilton-Palace) ist deshalb auch interessant, weil uns der Meister zeigt, wie er sich voll und tief in das Wesen griechischer Poesie versenken konnte, bei der äußeren Gestaltung aber doch seiner Kunstweise vollkomnen treu blieb. Die Verbindung zwischen Menschenleib und Pferd ist besonders meisterhaft dar gestellt. Ein griechisches Gedicht im Gewande vlämischer Kunst ! Auf der alten Straße, die von Antwerpen nach Brüssel führt, sehen wir einen einsamen Reiter dahin ziehen. Die ganze äußere Erscheinung des kaum vierundzwanzigjährigen Mannes deutet darauf hin, daß derselbe einer reichen, vornehmen Familie angehöre; auch das Reitpferd ist von edler Race. Das jugendliche Gesicht mit dem kühn geschwungenen Schnurrbart, das offene Auge, die seinen Züge machen einen sehr angenehmen Eindruck. Der Mann muß ein Liebling liebesbedürftiger Damen sein. Es war ein schöner Frühlingstag des Jahres 1623, an dem der edle Reiter die Straße dahinzog. Da kam er in ein Thal und fand sich plötzlich in einer Ortschaft, die nur aus einigen Hütten bestand. Saventhem hieß der Ort; kaum hatte der Reiter dies erfahren, erinnerte er sich, daß hier eine Bekannte hause, eine Hofdame, das Fräulein Anna van Ophem. Wohl ist das Ziel seiner Reife Italien aber eben darum werden einige Stunden Aufenthalt nichts schaden. Bald stand er vor dem Landhaus des Fräuleins, stieg vom Pferde und pochte an die Pforte. Die schöne Einsiedlerin öffnet und erschrickt in jungfräulicher Scheu über den unerwarteten Bestich. Es schien, als ob ein magne tischer Strom sich kreuzweise von Einem zum Andern ergossen hätte. Sie kam ihm schöner vor als je und über ihn hatte sie im Stillen dasselbe Urtheil gefällt. So standen sie sich gegenüber, das schone junge Hoffräulein und der Maler van Dyck (1599 bis 1641). Und sie muß ihn recht freundlich unter ihrem Dache aufgenommen haben, denn der Künstler blieb nicht einige Stunden, sondern tage wochenlang, aus unbestimmt! Antou van Dyck, der Sohn eines reichen Antwerpener Kaufmanns, hatte in der edlen Malerkunst unter den Augen des Rubens die Meisterschaft erlangt und sollte nun auf des Lehrers Rath nach Italien reisen, um daselbst die höchstmögliche Vollkommenheit zu erringen. Unter den freundlichsten Glückwünschen des Meisters, der ihn für seinen besten Schüler hielt und dem er sein bestes Pferd aus seinem Stalle geschenkt hatte, reiste van Dyck von Antwerpen weg. Lange schon glaubte ihn Rubens in Italien aber van Dyck saß fest auf der Insel der Seligen in Saventhem. Sein für Liebe empfängliches Herz fand Gegenliebe und so wurde in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit, unter dem Schlag der Nachtigallen und dem Gemurmel des Bächleins eine Idylle gespielt, die nicht poetischer sein konnte. Aber auch hier verleugnete sich der Künstler nicht, gerade in einem solchen Dasein, das an das goldene Zeitalter der Menschheit erinnert, findet die Kunst die glücklichste Anregung zur Thätigkeit. Der Künstler griff zur Palette und malte für die Kirche von Saventhem eine heilige Familie. Für die Madonna aber saß die schöne geliebte Anna als Modell, deren Züge er der heiligen Jungfrau lieh. In der Kunstgeschichte ist es nichts Neues, daß der Künstler heiligen Personen die Züge jener giebt, die er liebt, in denen er sein Ideal gefunden zu haben glaubt. Es ist, als ob man mit der dargestellten heiligen Person das Unheilige oder Weltliche seiner Neigung artig verhüllen wollen Endlich erfuhr Rubens den Schlupfwinkel, den van Dyck über Italien gesetzt hatte und wurde über die Zukunft desselben besorgt. Deshalb schickte er einen Chevalier Nanni nach Saventhem, daß er den Verliebten aus den Zauberarmen der Armida befreie und auf den rechten Weg, der nach Italien führt, bringe. Gewiß eine schöne Episode aus van Dyck's Leben, uns um so willkommener, als wir erfahren, wie Künstler manchmal zu ihren Modellen kommen. Nun treten aber die strengen Kunstkritiker aus und beweisen nein, so weit sind wir noch nicht erklären die ganze Geschichte für erdichtet, so lange authentische Documente ihre volle Wahrheit nicht erhärtet haben. Nun auch wir wollen auf diese Documente warten, bis sie bestaubt aus irgend einem Archiv an's Tageslicht getreten sind, aber bis dahin mag auch die Geschichte stehen bleiben, da wir nicht annehmen können, daß sie von einigen Kunstschriftstellern rein aus der Lust genommen wäre. Wir schreiben hier keine Kunstgeschichte und werden uns darum nicht mit der ganzen Kunstthätigkeit van Dyck's beschäftigen. Er beherrschte, wie Rubens, das ganze Kunstgebiet, malte Altarbilder, Historien, mythologische Gegenstände und Bildnisse. Als Portraitmaler hatte er und hat bis heute den ungeschmälerten Ruf des ersten Meisters, so daß bei Nennung des Namens van Dyck unwillkürlich und zuerst an irgend ein Bildniß seiner Hand gedacht wird. Das erklärt sich aus den Zeitverhältnissen und aus seiner ganzen Kunstweise. Es war ein glänzendes Geschlecht, in dessen Mitte van Dyck stand, dieser war der bevorzugte Maler desselben. Die Vornehmheit, der aristokratische Ton prägte sich an den Höfen ebenso prägnant aus, wie in den Schlössern des Adels, in den Patrizierhäusern der reichen Kaufleute, in den Palästen der hohen Geistlichkeit bis in die Stuben der Gelehrten. Die Männer jener Periode betonen in ihrer ganzen Erscheinung den Werth ihrer Persönlichkeit wie die Damen das Bewußtsein ihrer Schönheit, ihrer gesellschaftlichen Geltung. Van Dyck verstand es, diese ganze Noblesse der Erscheinn-ig tren und schön im Bild zu geben. Bei den Bildnissen aber, wo der Darzustellende Modell und Snjet zugleich war, brauchte der Künstler an gewöhnlichen Modellen keine Studien zu machen. Wir wissen, wie er in England, wo er am Hofe Carl's l. mit seiner Kunst jahrelang stark in Anspruch genommen wurde, seine Bildnisse malte. Er entwarf die Pose - und darin war er ein Meister - und malte den Kopf. Die Gewandung wie die Zuthaten zeichnete er dann flüchtig, ließ sich erstere von Denen, die ihm zum Bildniß faßen, zuschicken; seine Schüler malten dann Alles aus, indem die Gewänder wahrscheinlich einer Gliederpuppe angezogen wurden. Am Schlusse überging der Meister das Ganze, stellte es in Harmonie und ein "Van Dyck" war fertig. Der Künstler ist außerdem berühmt, die schönsten Hände gemalt zu haben. Es waren dies nicht die Hände der Dargestellten, sondern er hielt sich mehrere männliche und weibliche Modelle, welche schöne Hände besaßen und nach diesen malte er sie aus seine Bildnisse hin. Auch lud er die vornehmen Personen, die ihm zum Portrait saßen, zum Diner ein und wenn ihre Gesichter noch von den Tafelfreuden und der fröhlichen Unterhaltung verklärt waren, vollendete er in wenig Zügen ihre Bildnisse. Wie bereits erwähnt, war des Künstlers Herz durch den Anblick schöner Frauen leicht in's Feuer gebracht. In London war er sehr stark in die schöne Lady Venetia, die Frau seines Freundes Kenelm Digby, verliebt. Viermal innerhalb eines Jahres malte er dieselbe, einmal in allegorischer Gestalt der Klugheit (das Bild in Windsor). Aber dieses reizende Modell, das seine Kunst so anhaltend begeisterte, starb plötzlich 1633. Der Künstler malte sie noch einmal auf dem Sterbebette. Sie erscheint als eine ruhig Schlummernde, nur der blasse Teint beweist, daß die Seele den schönen Leib verlassen hat. An ihrer Seite malte er eine welke Rose, ein Sinnbild der vergänglichen Schönheit. Um seiner Liebesleidenschaft eine Schranke zu setzen, vermälte ihn der König mit der schönen Marie Ronthven. Wie wirksam sich das Mittel erwies, wird nicht erzählt. Das Dresdener Museum besitzt von ihm eine Danae. Die verführerische Geliebte Jupiter's liegt fast ganz nackt ans dem Lager, mit Verwunderung den goldenen Regen betrachtend, der in Form von Goldmünzen über sie herabfällt. Die Umrisse des Körpers sind sein und edel, der Blick nach Liebe dürstend. Rechts untersucht Amor zwei der gefallenen Münzen auf ihre Echtheit, während die ältliche Dienerin mit ihrer Herrin Gewand den kostbaren Regen auffangen will. Welches herrliche Geschöpf diente dem Maler zum Modell für diese Danae ? Man erzählt, eine vornehme Gesellschaft wäre zum Spiel versammelt gewesen und eine der schönsten Damen wäre vom Glück besonders begünstigt worden, so daß ihr viele Rollen Goldes zufielen. Sie verbarg nach beendetem Spiel ihren Gewinn hinter das Brusttuch, aber das schwere Gold glitt unter dem Hemd hinab. Sie entfernte sich deshalb in ein anstoßendes Cabinet, wo sie sich ganz entkleiden mußte. So soll sie van Dyck belauscht haben, und als nach Entfernung der letzten Hülle die Goldstücke über Lager und Boden rollend, sich zerstreuten, soll er berufen haben: "Danae im Goldregen!" Das gab ihm Veranlassung, aus dem Gedächtniß die Scene in seinein Gemälde zu verewigen. Wenn die Erzählung auf Wahrheit beruht beglaubigt ist sie keineswegs so hätten wir hier ein seltenes Beispiel, daß eine Dame ohne Wissen und Willen einem Künstler zum Modell gedient habe. Heinrich Goltzius (1558 bis 1616) ist ein talentvoller Künstler Hollands, der es ganz streng mit der Kunst nahm. Zwar macht er in seinen historischen Compositionen zuweilen dem Manierismus große Zugeständnisse, was freilich in der Zeit lag; im Zeichnen ist er aber ein ganzer Mann, wie er auch als Maler und Stecher von Bildnissen aus der Höhe seiner Kunst steht. Wenn man sein Werk durchsieht, so staunt man über die Productivität des Künstlers, aber überall drängt sich uns die Wahrnehmung auf, daß er fleißige und eingehende Studien nach der Natur gemacht haben muß. Das mythologische Element herrscht vor und enthält sehr oft Darstellungen von Göttinen und Nymphen, die das Privilegium haben, gewandlos aufzutreten. Auch diese verrathen, daß der Künstler fleißig beim weiblichen Modell sich Raths erholte. Eine seiner Compositionen, die sein Schüler Saenredam gestochen hat, deutet geradehin auf das weibliche Modell. Dieses, eine angenehme Erscheinung, kniet vor dem alten Maler, der seine Brille aufgesetzt hat, um keinen Reiz seines Modelles zu übersehen und sitzt vor der Staffelei, emsig beschäftigt, das Bild der Natur in ein Werk der Kunst zu übertragen, während Amor der Knieenden einen Spiegel vorhält, vielleicht, daß sie sich überzeuge, sie sei wirklich würdig, im Bilde verewigt zu werden. Wir kommen jetzt zu einem Künstler, der seit jeher die verschiedenste Beurteilung erfahren hat. Während ihn und seine Kunst Manche zu den höchsten Sternen erheben, suchen ihn Andere auf den möglichst niedrigsten Standpunkt herabzudrücken, ja ihm überhaupt ein Kunsttalent abzusprechen Es ist Paul Rembrandt van Ryn (1606 bis 1665). Da gerade der Gegenstand unserer Abhandlimg vielfach in Betracht kommt, so werden wir eine Sichtung der divergirenden Urtheile und eine Erklärung derselben an diesem Platze für gerechtfertigt halten. Manche sprechen ihm eine richtige Zeichnung überhaupt ab. Daß aber Rembrandt diese in seiner vollen Gewalt hatte, beweisen seine zahlreichen Portraits, die, wo es der Gegenstand mit sich brachte, sogar eine gewisse Noblesse besitzen. Beispiele anzuführen ist unnöthig, die Gallerien Europas wie sein radirtes Werk bringen sie in Hülle bei. Wo er nach Ansicht der Verkleinerer seines Ruhms in der Zeichnung gefehlt haben soll. da ist der Grund dieser Erscheinung zu untersuchen. Der Hauptgrund liegt darin, daß Rembrandt ein Naturalist war durch und durch. Man darf darum Raphael's Eva nicht zur Eva Rembrandt's hinstellen, um den Stab über die letztere zu brechen. Wenn man, verwöhnt durch Raphael's Ideale über Rembrandt's Gestalten urtheilen will, so wird das Urtheil immer ein schiefes, ungerechtfertigtes, ungerechtes sein. Jeder Künstler ist vom Standpunkte seiner Zeit, seines Landes, seiner Umgebung, seines Kunst-Charakters zu beurtheilen. Rembrandt kannte sehr wohl, wenn er auch nie in Italien gewesen ist, überhaupt Holland, sein Vaterland, nicht verlassen hat, die italienische Kunstweise, denn er sammelte und schätzte die Stiche von Marc-Anton und Mantegna, wie alle Stiche nach Raphael, Tizian, Michel Angelo, Leonardo u. A. Er hätte sie wohl auch nachahmen können, die großen Künstler Italiens (Leonardo's Abendmahl hat er nachgezeichnet), aber er wollte nicht! Gewiß fand er da manches, was seinem Geiste zusagte, und was er in seiner Kunst verarbeitete, aber seine Originalität hütete und bewahrte er mit aller Macht seines Willens. Rembrandt war Naturalist vom reinsten Wasser; wenn er trotzdem zu den größten Meistern gehört, so liegt der Grund darin, daß er die Natur mit einer Farbe verklärte, wie sie die Welt bisher nicht sah. In dieser Farbe feiert die Natur ihre Verklärung. Der einfachsten Zeichnung verstand er mit wenigen Strichen einen Ton zu geben; er malt so gut mit dem Stift, wie mit der Radirnadel oder dem Pinsel. Die ihn umgebende Natur, die Menschen seines Vaterlandes zeigten sich seinem Auge nicht anders, wie er sie auf der Kupferplatte oder der Leinwand dargestellt hat. Was und wie er etwas sieht, so und nicht anders giebt er es wieder. Die Breestraat in Amsterdam, in der er wohnte, gehörte zum Judenviertel, aus dem Fenster seines Ateliers konnte er täglich die Gestalten sehen und zeichnen, mit denen er seine alt und neutestamentlichen Scenen belebte. Man sieht es allen seinen Figuren an, daß er sie von der Straße aushob, für Manche ein schmutziges, werthloses Material, für seine Kunst eine reiche Fundgrube. Als Meister der Farbe gilt ihm das historische Costum nichts; er kleidet das Volk seiner Kunst mit phantastischen Gewändern, die ihm die Freiheit lassen, mit Farben zu spielen und mit ihnen unglaubliche Wirkungen zu erzielen. Die Kästen, Stühle, der Boden seiner Werkstätte waren mit den wunderlichsten Stoffen und Kleidungen angefüllt; da lagen Turbans mit oder ohne Reiherfedern, befranzte Schärpen, Armaturen, Hellebarden und taufend andere Gegenstände zerstreut umher. Es war ein Chaos. Unsere Zeit wußte aus diesem Chaos berühmte Atelierräume herzustellen. Wohl wurden ihm selbst manche Vorwürfe gemacht, warum er sein Kunstauge nicht an classischen Gemälden oder Antiken übe; dann ist es erklärlich, wenn er trotzig seinen Standpunkt wahrend, solchen antwortete: "Seht euch um, das sind meine Antiken". Und seine lebenden Modelle waren auch nicht anders, als wie sie ihm die Umgebung bot Der Dichter Cats, ein Freund Rembrandt's, beschreibt holländische Frauenschönheit also : "Uue forte, alerte et prompte fille Qui mene aux champs les vaches de son pere Solide de reins, pleine de corps, Epaisse de levres et rondes de jones. An dieses Schönheitsrecept seines Freundes hielt sich Rembrandt getreulich. Uebrigens hatte Rembrandt 1634 ein reizendes Weibchen heim geführt, die Saskia Uylenburg, eine Bürgermeistertochter. Er zeichnete sie auf Pergament am Trauungstage (die Zeichnung in Berlin); er malte sie auch oft; so sieht man sie auf einem Gemälde des Dresdener Cabinets, wie sie, ein Bild frohen Glückes, dem Rembrandt im Schooße sitzt. Eine junonische Erscheinung war sie freilich nicht, aber ihre Büste mag immerhin im Bilde seiner und ansprechender sich ausgenommen haben, als bei den von Cats bezeichneten Hirtinen. Wir können nicht nachweisen, ob sie dem Maler zum Modell diente, dürfen es aber als sicher voraussetzen. Als sie starb, heirathete Rembrandt seine Hausmagd, die ihm bereits früher zum Modell gestanden sein soll. Vielleicht wollte er sich dieses sichern. Diese muß aber dem Dichter zum Vorwurf seines Gedichtes gedient haben. Vielleicht finden wir sie auf dem Blatte Rembrandts : "Die ersten Eltern im Paradiese", wo sie die abscheuliche Gestalt der Eva verschuldete. Rembrandt hat das erste Elternpaar wie ein Paar Affen hingestellt. Vielleicht wollte er Darwin vorarbeiten. Wir dürfen seine Magd ferner unter den Radirungen auch bei der bacchantisch ausgelassenen Frau des Putiphar, bei den sogenannten freien Blättern vermuthen, insbesondere bei dem sitzenden Weibe, das wir in Abbildung bringen, einem Ideal von Häßlichkeit aber auch einem Meisterwerk der Radirnadel. Die verschiedenen Bethsabe's und Susanna's im Bade (ein Hauptbild in Berlin) dürften auch auf ihre Körperbildung zurück zuführen sein. Auf einer flüchtigen Federzeichnung (im Britischen Museum) hat er sich selbst dargestellt, wie er nach einem nackten weiblichen Modelle zeichnet. Es war dies die Studie zu der gleichinhaltigen Radirung, die indessen unvollendet blieb. (S. Abbildung.) Sein bis zur letzten Consequenz getriebener Naturalismus, der eigentlich schon Materialismus war, fand übrigens seine scharfen Kritiker. So charakterisirt ihn der Dichter Andries Pels: "Malte er, wie dies zuweilen geschah, eine nackte Frau, so wählte er keine griechische Venus zu seinem Modell, sondern eher eine Wäscherin oder Torftreterin aus einer Scheuer und nannte seine Bizarrerie: Nachahmung der Natur; alles Uebrige war ihm eitle Verzierung. Schlaffe Brüste, unförmliche Hände, ja die Spuren der Gürtelbänder der Röcke am Bauche und der Strumpfbänder an den Beinen mußten sichtbar werden, wenn der Natur Genüge gethan sein sollte, das heißt seiner Natur, welche keine Regel und keine Grundsätze von Ebenmaaß an dem menschlichen Körper dulden wollte." A. Houbraken giebt uns in seinem "Schouburgh" im Leben Rembrandt's eine Modellgeschichte zum Besten, die, weil zu unserer Unter-suchung gehörend, hier einen Platz finden möge. Rembrandt hatte viele Schüler in Amsterdam. Um sie unterzubringen, pachtete er ein Packhaus, wo er Jedem einen Raum zur Arbeit anwies. Papier oder Leinwand schied die einzelnen Räume von einander, damit Jeder ungestört nach dem Leben zeichnen könnte. Einmal benöthigte Einer ein weibliches Modell, das er in seine Kammer brachte. Die anderen Schüler erfuhren es und sahen, einer nach dem anderen, aus Neugier durch eine Spalte zu. Weil es heiß war, entkleideten sich Maler und Modell mutternackt. Da erschien Rembrandt, um zu sehen, was seine Schüler machten und um ihre Arbeiten zu mustern. Diese erzählen ihm den Vorfall, Rembrandt stellt sich auch an die Spalte, um sie zu beobachten, als eben der Maler darin zu seinem Modell sagt: "Jetzt sind wir gerade so weit wie Adam und Eva im Paradiese, denn wir sind auch nackt." Rembrandt klopft dann an die verschlossene Thüre mit seinem Malerstock und ruft: "Eben weil ihr nackt seid, müßt ihr auch aus dem Paradiese heraus!" Sie mußten öffnen und Rembrandt jagte mit seinem Stocke den vermeintlichen Adam sammt seiner Eva davon, daß sie mit genauer Noth beim Hinunterlaufen über die Treppe einige Kleider umnehmen konnten, um nicht nackt auf die Straße zu kommen. Wohl im Hinblick auf Rembrandt ist im verflossenen Jahrhundert in England ein satyrisches Blatt von Th. Rowlandfon erschienen, welches uns einen holländischen Actsaal zeigt. Das häßliche weibliche Modell sitzt nackt in einem weichen Stuhle auf erhöhtem Postament, ein Meisterstück von Phlegma, Ruhe und Behäbigkeit. Es entspricht vollkommen dem Ideale, das uns Cats entworfen hat. Stehend, auf der Tonne oder am Boden hockend, belagern das Modell acht Künstler, einzelne rauchend (ein Beweis für die gesunden Nerven des Modells), alle emsig beflissen, die holländische Venus zu Papier zu bringen. Im Grunde stehen drei Kunstfreunde, denen indessen, ihrer Kopfrichtung nach zu urtheilen, die Natur mehr als die Kunst am Herzen zu liegen scheint. Als Carricatur ist das übrigens sehr seltene Blatt mit Hogarth'schem Humor durchwürzt. (S. Abbildung.) Auf alle holländischen Künstler überhaupt kann die Satyre nicht gemünzt sein, denn wir begegnen in der holländischen Kunstgeschichte vielen Malern, die sich nicht verführen ließen, das Gemeine darzustellen, welches ja eben durch eine materialistische Auffassung und treue Wiedergabe in den Augen eines seinen Kunstfreundes nur noch gemeiner erscheint. So pflegte Gerhard Terborgh (1608 bis 1681) nur das. seine, vornehme Genrestück. Auf seinen mit aller Zartheit ausgeführten Ge- mälden begegnen wir oft einer reizenden Blondine im weißen Atlaskleide und einer roth- oder gelbseidenen, mit Hermelin verbrämten Jacke. Diese oft wiederkehrende liebenswürdige Dame, die in einem recht nett und heimisch eingerichteten Interieur sich mit weiblicher Arbeit oder mit dem Verfassen eines Briefes oder mit ihrem Hündchen beschäftigt, die artig einen Besuch empfängt oder der ein Trompeter einen vielleicht lang erwarteten Brief überreicht, sie legt uns die Vermuthung nahe, daß auch ihr Modell schön und angenehm war und den besseren Kreisen der Gesellschaft angehörte. Wie des Meisters Gemälde uns immer in ihrer Gemütlichkeit angenehm berühren, so würden wir uns sicher auch mit seinen Modellen, wenn sie lebend vor uns ständen, mit seinem Anstand unterhalten können. Wir dürfen nicht vergessen, daß Terborgh Rembrandt's Zeitgenosse war; freilich hat er durch Reisen seinen Kunstsinn veredelt, er war in Spanien, Italien, Frankreich und England gewesen. Der Künstler scheint mit seinen eleganten Genrebildern großen Einfluß aus andere Künstler in Holland ausgeübt zu haben. Es treten nach und nach mehrere Nachahmer seiner Kunstweise auf und es sind dabei ausgezeichnete Meister zu nennen, wie sein Schüler Caspar Netscher, dann Gerard Dov, der die Natur miniaturartig nachbildete, dessen Schüler Franz Mieris, der vorzügliche Conversationsstücke malte, Gabriel Metzu, der, wie Terborgh, die Sujets zu seinen Bildern aus den vornehmen Kreisen der holländischen Gesellschaft entlehnte. Sie verstanden es, weibliche Schönheiten in ansprechender Erscheinung mit der ganzen holländischen Behäbigkeit auf die Leinwand zu zaubern und waren gewiß durch schöne weibliche lebende Modelle dazu angeeifert. G. Dov soll, wie Sandrart berichtet, seine weiblichen Modelle sehr reichlich bezahlt haben, um sie für die bewiesene Geduld zu belohnen. Der Meister soll nämlich, da er jede Kleinigkeit fleißig durchführte, sehr langsam gearbeitet haben. Freilich läßt sich dann nicht erklären, wie er so viele Bilder hätte malen können. Gottfried Schalcken (1653 bis 1706), der sich eine Zeit in gleichem Fahrwasser bewegte, hatte seiner Kunst eine neue Nuance hinzugefügt, die seinen Namen berühmt machte. Es sind dies seine Lichtstücke, d. h. Bilder, deren Beleuchtung eine künstliche, vom Kerzenlicht erzeugte war. Zuweilen verband er diese mit der natürlichen und wußte Kerzen und Sonnenlicht so wunderbar neben einander anzubringen, daß man über diese Kunststücke erstaunte. Er malte auch Bildnisse und als er einmal eine Dame portraitirte und mit ihrem Gesicht fertig war, sagte er zu ihr. "Für die Hände brauche sie nicht mehr zu sitzen, für diese werden ihm die seines Dieners als Modell dienen." Er hatte wohl etwas von van Dyck's Gewohnheit in dieser Hinsicht gehört, aber sein Vorbild mißverstanden. Wir müssen an dieser Stelle auch Arnold Houbraken (1660 bis 1719) erwähnen, den niederländischen Künstler und Kunsthistoriker, der uns in seinem "groote Schouburgh" so Vieles aus dem Leben seiner kunstübenden Landsleute übermittelt hat, was sonst, zum Schaden der Kunstgeschichte, unbekannt geblieben wäre. Houbraken war eben so gelehrt, als in seiner Kunst fleißig In einer seiner Compositionen, die zumeist Scenen aus dem Alltagsleben darstellen, hat er uns einen Einblick in die Werkstätte eines Malers gestattet, der eben nach einem lebenden weiblichen Modell malt. Derselbe sitzt bei der Staffelei und betrachtet aufmerksam das junge nackte Mädchen, welches links vor dem Stuhle steht, sich mit beiden Händen an der Stuhllehne hält und den linken Fuß halb erhebt, um ihn am Stuhl zu stützen. Am Boden liegen ihre Kleider, am Stuhle ihr Hemd, unter dem ein Affe hervor^ kriecht, um die für ihn ungewöhnliche Erscheinung zu betrachten. Hinter dem Maler, auf die Lehne seines Stuhles gestützt, steht der Kunstfreund und scheint sich angenehm mit dem Modell zu unterhalten. Vielleicht ist es ganz gut, daß uns das Bild den Inhalt des Gespräches nicht verräth, so sehr Manchem derselbe erwünscht wäre. Es muß wohl in Holland üblich gewesen sein, daß Kunstfreunden die Malerstube offen stand, selbst in den Stunden, wo ein nacktes Frauenmodell Sitzung hatte. Was führt den Mann her? Ist es die reine Freude an der Kunst? Kaum. Der Künstler Houbraken selbst giebt uns einen Wink, welcher Sorte von Kunstfreunden der hier völlig unnöthige Zeuge angehört. In einem anderen seiner Bilder führt er uns denselben Mann vor, wie er einem etwas nachlässig gekleideten Mädchen ein Blatt Papier mit einer unzüchtigen Darstellung vorzeigt. Das also hat der Kunstfreund im Atelier des Malers gesucht, er ist entlarvt. (Beide Compositionen sind uns in schönen und seltenen Schabkunstblättern von Nic. Verkolje erhalten und unsere Illustration ist auch dem einen entlehnt.) Wir fanden bei Rembrandt das erste Beispiel, daß das Modellstehen selbst Gegenstand eines Bildes ist. Hier haben wir ein zweites Beispiel, das sich später in Frankreich bis in die neueste Zeit, wie wir sehen werden, sehr oft wiederholt. Der Inhalt unserer Illustration mußte Anklang gefunden haben; mit wenig Aenderungen hat noch C. W. E. Dietrich dieselbe Scene wiederholt und radirt. Ein sehr fruchtbarer Meister war Adrian van der Werff (1659 bis 1722). Er hatte sich eine eigene seine und glatte Malweise angeeignet, die man heutzutage als sogenannte Porzellanmalerei in den Bann thut. In der Zeit, da der Künstler arbeitete, wurde sie aber allgemein sehr geschätzt und hochgehalten, seine Bilder wurden auch mit erstaunlich hohen Preisen bezahlt. Seine Manier ist auch wie dazu erfunden, die Reize des nackten weiblichen Körpers noch reizender erscheinen zu lassen. Das wußte der Meister und er unterließ es nicht, solche Gegenstände zu wählen, bei deren Darstellung er nackte Mädchenkörper als selbstverständlich anbringen konnte. Er heirathete eine Verwandte von Govaert Flinck, welche Margaretha Rees hieß, und nach Allem zu urtheilen ihm zum Modell für seine Eva's, Nymphen und Grazien diente. Der Ruf des Künstlers verbreitete sich schnell und weit, oft mußte er die Gemälde, kaum daß sie fertig waren, noch in nassem Zustande an ihre Käufer absenden. Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz hatte ihm die meisten Bilder abgekauft, dieselben nicht allein sehr gut bezahlt, sondern den Künstler und dessen Frau auch mit Geschenken überhäuft. Einmal malte der Künstler als Geschenk und Andenken für seine Frau ein kleines Bild mit Diana und Calisto, das sehr gerühmt wurde. Als der Kurfürst davon hörte, wollte er es besitzen, die Frau wollte es aber nicht weggeben. Wahrscheinlich stand sie zu dem Bilde in einer Beziehung und die Göttin der Jagd war vielleicht ihr Bildniß vom Kopf bis zum Fuß. Später trennte sie sich doch davon und schenkte es dem Kurfürsten, der wieder das Opfer nicht umsonst annehmen wollte; der Maler erhielt 6000 Gulden und der Frau schenkte er, damit sie ihre Freude habe, eine silberne Toilette, die aus 32 Stücken bestand. Im Jahre 1709 besuchte Herzog Anton von Wolfenbüttel den Künstler in Rotterdam, wo dieser wohnte. Er erwarb zwei Bilder von ihm, eine büßende Magdalena und Adam mit Eva im Paradiese. Letzteres Bild befindet sich noch im Museum zu Braunschweig, ersteres ist in Paris, wohin es von Denon entführt wurde, verloren gegangen. Man erzählt, der Herzog hatte ausbedungen, daß der Eva die Frau des Künstlers zum Modell stehen solle, Andere meinen daß dies bei der Magdalena der Fall war. Ist ersteres wahr und hat der Künstler nicht geschmeichelt, so muß seine Frau in der That eine reizende Blondine gewesen sein. Ohne Grund wird der Herzog gewiß nicht der Frau des Meisters eine kostbare goldene Schlaguhr als Geschenk verehrt haben. V. Früher als die vlämische hatte die französische Kunst sich unter der Sonne der Italiener zu einem glänzenden Leben erwecken lassen. Raphael, Tizian, Leonardo, Benvenuto Cellini waren entweder selbst für die französischen Könige thätig, denen sie Kunstwerke nach Bestellung einsandten, oder es kamen solche in der Folge durch Ankauf dahin, so daß aus diese Art mannigfache Anregung für die heimische Kunst gegeben wurde. Als aber König Franz I. sein Jagdschloß Fontainebleau künstlerisch ausschmücken wollte, berief er italienische Künstler in's Land, die so zahlreich kamen, daß sich daraus eine "Schule von Fontainebleau" entwickelte, zu welcher einheimische und vlämische Künstler wallfahrteten, um sich hier mit neuen Ideen zu bereichern und die italienische Kunst zu bewundern. Unter den berufenen Meistern sind Franc. Primaticcio und Rosso de' Rossi (Maitre Roux in Frankreich genannt) in erster Linie zu nennen. Beide standen sich voll Eifersucht feindlich gegenüber und der König mußte oft dazwischen treten, damit ihre künstlerische Thätigkeit keine Störung erleide. Den Namen erhielt das Schloß von der schönen blauen Quelle (Fontaine bleue), an der man sich in poetischer Auffassung die Quellnymphe sitzend denken kann. Als Jagdschloß aber besaß es Diana, die Göttin der Jagd, zur Schutzgottheit. Nun aber trat zu dieser mythologischen Scenirung noch ein Moment aus der Wirklichkeit, der sinnig mit dem Idealen verschmolz. Am Hofe Franz I. lebte als Ehrenfräulein der Königin die schöne Diana von Poitiers, geb. 1499. In diese verliebte sich der König und diese Geliebte gab dem Jagdschlosse das Relief und die Kunst zog sie in den Kreis ihrer Darstellungen hinein. Sie galt als die lebende Quellnymphe, wie sie auch als Stellvertreterin der Jagdgöttin, deren Namen sie ja trug, aufgefaßt wurde. Benvenuto Cellini hat für den König ein Basrelief ausgeführt, welches die Nymphe des Schlosses darstellen sollte, aber die Nymphe, die nackt auf der Erde sitzend erscheint und einen Hirsch liebkost, wurde zur Diana. Man glaubte, Cellini's Nymphe sei ein Bildniß des Hoffräuleins, was aber nicht der Fall ist, da der Künstler selbst bekeimt, daß ihm zum Modell ein armes Mädchen, Namens Jeanne, diente, die sehr schöne Formen hatte. Dagegen wissen wir, daß Rosso, als er sein Hauptbild in der Gallerie des Schlosses malte, in der Diana von Poitiers das Original zum Modell erhielt, da es der König also wünschte. Das sehr schöne junge nackte Weib liegt auf der Erde, den Oberkörper an die Urne gelehnt, aus welcher die Quelle hervorbricht; das seine Gesicht ist in Profil, ein Aehrenfeld bildet den Hintergrund und zwei Jagdhunde nähern sich ihrer Herrin. Hier haben wir wieder die Verschmelzung der Quellnymphe mit der Diana in dem zierlichen Bildniß des Ehrenfräuleins. Der französische Kupferstecher Rene Boyvin, der viel nach Compositionen italienischer Meister gestochen, hat uns auch einen Stich des genannten Bildes hinterlassen. Das naturalistische Element hatte bereits in dessen Kunst breite Wurzeln geschlagen. Den Beweis dafür können wir leicht beibringen. Derselbe hatte eine Folge von Götterstatuen in Nischen nach Zeichnungen des oben genannten Rosso herausgegeben. Diese Statuen sind edel in Form gehalten und erinnern an die Ausdrucksweise der Raphaelischen Schule. Unter ihnen ist auch Opis, die Gattin des Saturn, die Mutter der Götter. Von Thieren umgeben, steht sie in Vorderansicht und drückt mit beiden Händen die Brüste, als ob sie aus denselben den lebenden Wesen Nahrung spenden wollte. Ich weiß nicht, welcher Grund den Stecher bewogen haben mag, von der jugendlich schönen, üppigen, frischen Göttin der Natur ein Zerrbild in einer Wiederholung zu geben: Wir sehen ein altes, abgezehrtes, nacktes Weib mit spitziger Nase und gleichem Kinn, in derselben Stellung und Beschäftigung; die Beine sind abgezehrt, das runde volle Fleisch derselben wie der Hüften ist verschwunden und vergebens bemüht sich das Ideal von Häßlichkeit, aus den welken, herabhängenden Brüsten einen Tropfen von Milch auszudrücken. Die übrigens cynische und naturtreue Auffassung zwingt uns zu der Annahme, daß dem Künstler wirklich ein solches Modell stand. Eine eigene Künstlerschrulle, die Kehrseite der Jugend und Schönheit zum Vorwurf zu wählen. Unter "Louis le Grand" bekommt die französische Gesellschaft ein originelles Gepräge; der Inhalt des lateinischen Verses: Regis ad exemplum totus componitur orbis tritt voll in's Leben. Der König hält sich für den Mittelpunkt von Frankreich und dieses für den Kern der ganzen Welt. Der Ruhm des siegreichen Kriegers und weitesten Staatslenkers ist Alles, das Uebrige hat nur sofern Geltung, als es denselben anerkennt und verherrlicht. Die Kunst hatte nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie Kriege und Siege, Belagerungen von Städten, Verwüstungen nichtfranzösischer Länder oder Hoffeierlichkeiten zum Gegenstand der Darstellung wählte oder im Portrait der dargestellten Person Weihrauch streute. Dieses übermütige Geschlecht war aber bald durch ein anderes abgelöst, das neue Bahnen betrat. Der Schwerpunkt der Gesellschaft unter Ludwig XV. liegt nicht mehr in der kriegerischen und politischen "Gloire", sondern in dem viel lustigeren "Gloire", in der Kunst, das Leben zu genießen und den Genuß bis auf den letzten Tropfen zu erschöpfen. Die Kunst dieser Tage ist ein treuer Interpret derselben; wenn man ihre Werke oberflächlich betrachtet, sollte man glauben, das Paradies habe sich wieder geöffnet, das goldene Zeitalter sei zurückgekehrte ein Zeitalter, in dem man nur liebt und genießt, in dem leichtgeschürzte oder vollends enthüllte Nymphen den Nektar aus unerschöpflichen Quellen den Glücklichen credenzen. Aus dieser Zeit stammen die vielen Bilder mit zweideutigem Inhalt (der übrigens sehr oft ganz unzweideutig und offen ist), die mythologischen Scenen, denen die Ruhe und Reinheit der alten classischen Zeit abgeht, und selbst Damenbildnisse, die alle Ehrbarkeit verleugnend, sich am liebsten als Venus, Danae, Galathea u. s. s. aus den Bildern er blicken. Die Stecher der Zeit haben das Ihre gethan, um in glänzen den, delicaten Stichen diese "Galanterien" recht populär zu machen. In einer solchen Zeit fanden die Künstler vielfach Gelegenheit, sich die schönsten Modelle auszufischen und selbst vornehme Damen hielten es nicht unter ihrer Würde, die Reize ihres Körpers zu enthüllen, damit ihr Bild ja getreu nach der Natur vollendet werde. Mit dem größten Raffinement verstanden es die Künstler, selbst Gewänder, wenn sie solche anbrachten, so zu drapiren, daß sie mit solchen Versteckspielen erst recht alle Sinne in Aufregung brachten. Daß es selbst bei Damenbildnissen auf einen solchen Sinnenkitzel abgesehen war, sehen wir auf einem Stich von Chevillet nach I. B. Santerre (1651 bis 1717), dessen Unterschrift "La beaute dangereuse" lautet. Santerre hatte eine ganze Reihe ganz oder halbenthüllter Damen gemalt, deren Originale offenbar ihm zum Modell dienten, auch selbst viele gezeichnete Studien verfertigt, die das offene Geständniß enthielten, daß sie nicht als Studien zu weiteren Arbeiten dienten, sondern Selbstzweck waren. Zu den Gemälden, die sich allenfalls durch das gewählte Sujet entschuldigen lassen, gehört die Susanna im Bade, eine recht schöne, noch anständige Erscheinung, die von Porporati und mehreren anderen Stechern auf die Kupferplatte gebracht wurde; ein Beweis, daß der Gegenstand gefiel. Aber die keusche Susanna verleugnet keineswegs ihre Provenienz und Verwandtschaft mit der französischen Gesellschaft, die alles, nur nicht keusch war. Santerre fühlte am Schlusse seines Lebens Gewissensbisse und vernichtete alle Nuditäten, die seine Hand geschaffen hatte. Eine solche Reue wird sonst von keinem französischen Künstler des achtzehnten Jahrhunderts berichtet. Eine rühmliche Ausnahme in der Reihe der französischen Künstler macht Antoine Watteau (1684 bis 172l). Zwar ist er auch ein Meister galanter Darstellungen, aber sein Genius hält ihn über der Glorification der bloßen Sinnlichkeit. Seine Damen sind oder sollen sein Hirtinen von Arcadien, aber ihre Tracht, die Schlafröcken nicht unähnlich sieht, läßt die Anomalie noch stärker hervortreten. In den Tändeleien im schattigen Hain, auf blumigen Wiesen offenbart sich fast durchgehend eine verliebte Spielerei, aber über diese kommt es nicht heraus. Wenn uns aber auch, eben ihrer inneren Unwahrheit wegen, diese Schäferscenen nicht befriedigen können, so ist es andererseits die köstliche Farbengebung, die seinen Bildern einen besonderen Reiz verleiht. Dazu kommt, daß seine Landschaften, welche von sorgenlosen, nur der Freude und der Liebe lebenden jungen Leuten bevölkert werden, in der That einem Paradiese keine Unehre machen. Und doch sind diese in Wonne und Liebesfreuden schwelgenden vornehmen Hirtenschaaren noch nicht zufrieden; die Sehnsucht nach reellem Genuß, nach den Freuden der Insel Cythere verzehrt sie, wie es der Meister in seinem Hauptwerk: "L' embarquement pour l'isle de Cythere" so herrlich geschildert hat. Schon sind sie alle am Ufer ver- sammelt, einige in Pilgergewand, ein Paar von Amoretten mit Rosenketten umschlungen; schon steht das Schiff am Ufer bereit, seine rosa Segel sind von Genien umschwärmt, einzelne Pilger sind bereits am Bord, die anderen werden sicher im nächsten Augenblick folgen. So weit führt uns Watteau, das Uebrige, insbesondere das Leben auf der Insel hat er verschwiegen und unserer Phantasie überlassen. Das Bild kaufte des Malers Freund Julienne, später erwarb es Friedrich der Große. Desselben Julienne Gemahlin soll dem Künstler als Modell zur Allegorie der "Seine" gedient haben. Sein Landsmann und Zeitgenosse Fr. Boucher (1703 bis 1770) wirft mit Vorliebe die Maske bei seinen Damen ab, d. h. entkleidet sie, um seine Mitwelt zu täuschen, es sei die von Dichtern besungene antike Welt neu auferstanden. Er wird ein Maler der Grazien genannt und mit Recht, wenn diese französischen Ursprungs sind. Boucher ist unter den Malern seiner Epoche am meisten verführerisch, weil er stets elegant bleibt, eine vornehme Auffassungsgabe, eine seine Schönheitslinie und eine raffinirt durchgebildete Farbensfkala besitzt. Nicht so bald hat ein Maler so viele Nuditäten gezeichnet und gemalt wie Boucher. Doch kommt in seinem Werke keine eigentliche Unverschämtheit vor, wie wir sie bei seinen Nachfolgern so vielfach jedes Schamgefühl verletzen sehen. Der Grund wird wohl darin liegen, daß er den Namen irgend einer Nymphe oder Göttin als Feigenblatt brauchte. "Geburt der Venus, Venus im Bade, Venus bei der Toilette" u. s. f. Aber es war keine Venus Urania, die er verherrlichen wollte, sondern die Venus Pandemos, die Göttin der sinnlichen Liebe. Das offenbart das blühende Fleisch, schwellend vor Uebermuth, mit verführerischen Hautgrübchen versehen, in denen Amoretten ihr Versteckspiel treiben können, dahin zielen die koketten Lagen und Stellungen und selbst die Gewänder, wo sie vorkommen, erscheinen nur als Mittel, das Nackte noch besser zur Geltung zu bringen. Zwar finden wir in antiker wie in classischer italienischer Kunst auch genug nackte Frauenkörper, aber die wahre, ideale Kunst wußte das Nackte mit Schönheit und Scham zu bekleiden, Boucher's Nymphen und Göttinen sind aber weibliche Wesen, die nicht nackt, sondern entkleidet erscheinen, sie setzen ein Kleid voraus, dessen sie sich entledigten. Natürlich muß hier an Modelle gedacht werden, deren sich der Künstler bediente. Die vielen Zeichnungen mit nackten weiblichen Acten bestätigen diese Vermuthung. Boucher hat viel nach der Natur gezeichnet, aber sein Studium dabei war kein tiefes. Immer hat er die Form nur oberflächlich aufgefaßt, nicht die Natur des Modelles streng verfolgt, sondern ein allgemeines Schema des weiblichen Körpers sich bildend, das Gesehene in dieses Schema eingezwängt. Alle seine Frauengestalten erscheinen gleichsam nach einem Leisten fabricirt. Das nannte er die Natur idealisiren. Als Boucher jahrelang nach lebenden Modellen gezeichnet und gemalt hatte, gab er das Modellstudium ganz auf und construirte die Körper aus dem Gedächtniß, aus dem Stegreif. In dem lebensfrohen Paris, seiner Vaterstadt, mögen ihm viele und schöne Modelle zu Gebote gestanden sein. Ihre Namen kennt Niemand; man sieht sie wie wandelnde Schatten in den Gemälden, ihre sonstige Existenz ist der Vergessenheit verfallen. Bei Boucher fällt aber doch ein Sonnenstrahl in dieses dunkle Gebiet. Sein gewöhnliches Modell war ein Fräulein Murfi (die Pariser nannten sie die kleine Morfil), eine geborene Irländerin und Schwester des officiellen Modells der französischen Akademie. Sie hatte eine traurige Beförderung erfahren. Pompadour hatte durch Boucher eine heilige Familie malen lassen, in welcher die Madonna das Bildniß des Modells sein sollte. Wie die Bestellerin vorausgesehen, wollte der König das Original der Madonna besitzen und so wurde Murfi das erste Opfer des berüchtigten Hirschparks. Die Pompadour, welche den Künstler sehr begünstigte, war auch Künstlerin; Boucher war ihr Lehrer, ihr Rathgeber bei allen künstlerischen Plänen, ja ihr Freund. Oft hat sie der Künstler portraitirt. Damit sie den König mit allen Reizen an sich fessele und seine er sterbende Sinnlichkeit neu anfache, mußte Boucher eine Folge von Bildern malen, die mit einer Idylle begann und mit priapischem Cynismus endete. Es liegt keine Unwahrscheinlichst in der Annahme, daß die Bestellerin dem Künstler für eine so delicate Angelegenheit selbst zum Modell diente. Auch Damen der Bühne sollen ihm denselben Dienst geleistet haben, die Favart soll ihm für seine Hirtinen, die Deschamps für die Göttinen Modell gestanden sein. Boucher war auch seit 1733 vermählt; seine Frau, Marie Jeanne Buseau, zählte da siebenzehn Jahre und war sehr schön. Ob auch sie der Gegenstand seiner Studien nach der Natur war, wird nicht erzählt. Studien, Zeichnungen, Skizzen nach dem lebenden Modell pflegten sonst die Künstler gering zu schätzen, besonders wenn sie bereits für ein Bild ihre Dienste geleistet hatten. Man schob sie entweder in ein dunkles Portefeuille hinein oder nagelte sie an die Wände des Ateliers. Boucher war der erste, der sie zum Gegenstand der Speculation machte. Vielleicht ist es diesem Umstande zu verdanken, daß sich so viele von ihm erhalten haben. Zum Ueberfluß haben Demarteau, Bonnet und Andere sie in Zeichnungsmanier gestochen und vervielfältigt. In diesen Blättern offenbart sich des Meisters Modell noch am lebendigsten. Nicolas Lancret (1690 bis 1745) verfügt zwar über eine vornehme Charakterisirung, aber er macht seiner Zeit bereits große Zugeständnisse. Er nimmt zu keiner Mythologie Zuflucht; seine Compositionen setzt er mitten in das Leben, darum er auch selten nackte Körper darstellt, dagegen trotz aller vornehmen Eleganz der Darstellung die Apotheose des Sinnenkitzels predigt. Wenn Watteau seine verliebte Gesellschaft nur bis zum Boote führte, das seinen Tours nach der Infel Cythere nimmt, so ist Lancret mit den Gebilden seiner Kunst, wie auch die meisten seiner Nachfolger, bereits auf der Insel und schildert die Freuden und Genüsse, die hier geboten werden. Seine weiblichen Modelle gehören nicht jener Classe von Mädchen an, die das Studium ihres Körpers um Geld zulassen. Wo mag nur Lancret das Modell gestochen und benützt haben, das sich in seiner Composition: der Abend (in den vier Tageszeiten) ausspricht? Lancret bezog die Stoffe zu seinen Bildern gern aus Boccaccio's Decameron und er verstand es, die oft mehr als verfänglichen Scenen recht artig und so decent als möglich vorzuführen. So cynisch wie seine Nachfolger, die dasfelbe Werk illuftrirten, verfuhr er nicht; aber er ist eben darum um so gefährlicher, weil die Schlange unter schönen Blumen sich verkriecht, weil er den Beschauer zwingt, nachzudenken und die Scene bis zu ihrer Pointe zu verfolgen. Sein Mitarbeiter in dieser Richtung war J. B. Pater (1695 bis 1736), der in gleichen Bahnen wandelt und in gleichem Geiste arbeitet. Auch er hat sich auf Boccaccio geworfen, d. h. infofern der italienische Kobold in Lafontaines Erzählungen neu auferstanden ist. Das achtzehnte Jahrhundert sah in Frankreich sehr viele Künstler auferstehen, die ihren Künstlerruf nicht so sehr mit dem Pinsel im Salon als mit Radirnadel und Grabstichel in der Buchdruckerei begründeten. Es sind die Illustratoren der Literatur. Letztere gehört entweder der classischen Zeit an, indem Homer, Virgil, Anakreon, Theokrit und in erster Reihe Ovid neu ausgelegt und mit zahlreichen Illustrationen verziert wurden. In Ovid's Metamorphosen fand die französische Geselschaft ins besondere einen ihr zusagenden Text, der von den Künstlern mit lebhafter Befriedigung aufgenommen wurde, da sich hier viele galante Liebesscenen anbringen ließen, die durch den göttlichen Charakter der handelnden Personen gedeckt waren. Aber auch die zeitgenössische Literatur bot überreichen Stoff dem Zeichenstift, ja zuweilen wurden Bücher einem Künstler zu lieb geschrieben, gleichsam wie ein Kleid ihm angepaßt. Solche von berühmten Künstlern illustrirte Werke fanden einen großen Absatz, wobei freilich zuweilen der Text wenig, die Illustration Alles galt. Heutzutage werden solche Werke ungemein gesucht und sehr hoch bezahlt, auch wieder nicht des Buchtextes sondern der Illustration wegen. Diese sind auch mit großer Delicatesse ausgeführt und lassen zuweilen, eben weil sie nicht im Salon die Oeffentlichkeit zu scheuen haben, auch das letzte Gewand fallen. Die besten Illustratoren, die viel beschäftigt wurden. mußten auch viel zeichnen. Ein fleißiges Studium nach der Natur muß vorausgesetzt werden. Ueber diese Studien, über die Modelle, welche die Illustratoren benützten, wird geschwiegen. Hat sich ein Künstler ordentlich eingeübt und eine reiche Sammlung von Acten gezeichnet, dann wird er freilich, wie Boucher, auch Vieles aus dem Stegreif hinzuwerfen verstanden haben. Dies vorausgesetzt, können wir uns bei den einzelnen Meistern dieses Genres kürzer fassen. Unter diesen hatte und hat bis aus den heutigen Tag H. F. Gravelot (1699 bis 1773) einen berühmten Namen. Wie sind seine Frauen, die man in Paris "die göttlichen" nannte und die er so lebendig in seinen Darstellungen in Scene setzt, hübsch, man kann sagen appetitlich, mit ihren Locken unter dem flatternden Häubchen, ihrer seinen Taille, die Brust und die Arme umrauscht von Spitzen und Bändern! Man möge ihnen begegnen wo immer, bei Festlichkeiten, auf Bällen auf Promenaden, immer erscheinen sie wie die Feen oder Nymphen, die ein Fest aus Cythere begehen, fröhlich, lachend, im munteren Gespräch, als Wesen des goldenen Zeitalters in der Mode des achtzehnten Jahrhunderts. Sein Geistesverwandter ist C. N Cochin jun. (1715 bis 1790). ihm wurden die Illustrationen der Hoffeste übertragen, der freudigen sowohl (Repräsentationen, Bällen als der traurigen (Leschenpomp). Wenn man bedenkt, daß bei solchen Gelegenheiten die ganze hohe Damenwelt vertreten war, daß jede der Damen vom Künstler eine exakte Nachbildung ihrer Person und noch mehr ihres Anzuges erwartete, so werden wir begreifen, daß der Künstler glücklich im Auffassen und fleißig im Zeichnen sein mußte, um es allen Hofnymphen recht zu thun. Wir überraschen Cochin bei einer Darstellung, die er oft wiederholt; es ist, als ob es eine Erinnerung aus der Zeit seiner akademischen Lehr- zeit wäre, welcher er, Meister geworden, seine Huldigung darbringt. Auch unserem Gegenstande hat er damit einen erwünschten Beitrag geliefert, indem wir uns nun vorstellen können, wie zu seiner Zeit das officielle Modell der Akademie benützt wurde. Der Künstler versetzt uns in einen Actsaal der Akademie. Auf erhöhter Tafel sitzt in der Mitte ein Mädchen als Modell. Die junge Dame hat eine elegante Toilette und trägt in den Haaren einen Lorbeerkranz. Vor ihr sitzen fünf junge Schüler der Akademie, welche sie zeichnen, aus der anderen Seite drei Lehrer, darunter Cochin selbst, welche den Unterricht beaufsichtigen. Es ist, wie die Unterschrift des Stiches besagt, ein Concurs, es handelt sich um die Erlangung des Preises im Zeichnen der Köpfe und des Ausdrucks. (Siehe Abbildung.) Nun freilich wird kein Modell irgend einen bestimmten, ihm aufgetragenen Gesichtsausdruck überhaupt oder doch anhaltend zur Schau tragen können, auch wird der befohlene Ausdruck irgend einer Leidenschaft unwahr, unnatürlich werden. Man kann doch nicht auf Commando Liebe, Haß, Neid, Reue, Trauer u. s. f. natürlich darstellen, wenn man diese Gefühle nicht wirklich empfindet. Die Schauspieler können es wohl, aber erst durch vieles Studium, nicht nach dem still sitzenden Modell, sondern nach dem bewegten Leben, und hier eben muß der Künstler seine Studien machen, wie wir bei Leonardo gesehen haben. Der Schauspieler ahmt die Affecte nach und wird dabei von der Sprache, den Gesten, der Bewegung unterstützt, was man dem sitzenden oder stehenden Modell nicht zumuthen kann. Diderot hat sich in seinem "Versuch über die Malerei" über das Modellstehen gewaltig ereifert, aber er schüttet das Kind mit dem Bade aus. Man darf eben vom Modell nicht erwarten, was es nicht geben kann Charakterausdruck, heftige Thätigkeit, die als Bewegung zu denken ist. Solches muß auf der Straße, im Menschengewühl u. s. f. studirt werden. Aber ganz umgehen kann der Künstler das Modell nicht. Diese Wahrheit hat auch C. A. Vanloo (1705 bis 1765) in einem allegorischen Gemälde betont. In vier Bildern, die eine zusammen hängende Folge bilden (jetzt in Lustheim bei Schleißheim), stellte er durch Kindergruppen die Malerei, Plastik, Architektur und Musik dar. Der Künstler ließ keine ätherischen Wesen von den Wolken herabsteigen, daß sie ein lebendes Bild seiner Allegorien vorstellen, sondern verwendete zu diesem Zwecke Kinder, Mädchen wie Knaben, etwa im Alter von zehn Jahren. Die Malerei, die uns allein hier interessirt, ist durch drei Kinder dargestellt, und erscheint als ein Zeichner und Maler nach dem nackten Modell. Ein Junge sitzt vor der Staffelei, ein zweiter neben ihm mit dem Zeichenbrett, beide machen Studien nach dem Leben. Links steht das fast nackte Mädchen, eine kokette Verschämtheit heuchelnd, an einen Kasten halb gelehnt; während die Jungen recht prosaisch nur in ihre Arbeit vertieft sind, sieht man deutlich, daß ihr Modell ihnen über den Kopf gewachsen ist und in der ganzen Situation etwas mehr als ein bloßes Spiel sieht. Aber eben dieses Heraustreten aus der Allegorie ist nicht zu rechtfertigen. Das Pikante, was eben in dieser Uebertragung des sexuellen Verhältnisses auf das Kindesalter liegt, hat leider seitdem so manchen Künstler verführt, sich in ähnlichen Tändeleien zu versuchen. Wo alte classische Meister das reife Leben durch Kindergestalten darstellen ließen, da thaten sie es anders, unschuldig, edel, fein; gleichsam in einem Räthsel, dessen Sinn nur den Eingeweihten verständlich ist. Derselbe Künstler hat noch ein großes Bild gemalt, welches man "des Meisters Atelier" nannte. Vanloo sitzt bei der Staffelei und malt eine schöne, junge, vornehme Dame, die sich mit dem im Grunde sitzenden bärtigen Türken zu unterhalten scheint; dieser wird Pascha titulirt, denn die Unterschrift des nach dem Bilde von Lepicie ausgeführten Stiches verräth uns das Geheimniß: der Pascha läßt sein Liebchen malen. Also eine Art Alexander und Pankaste, doch zweifeln wir, daß die Affaire für Vanloo so enden wird, wie einst für Apelles. Wollen wir einen Künstler, einen Illustrator nennen, der uns so recht die Zeit, da Pompadour herrschte, charakterisirt, so müssen wir uns mit Charles Eisen (1720 bis 1778) bekannt machen. Er war ein Liebling der reichen, vornehmen Kreise; haben wir seine Kunst kennen gelernt, so werden wir auch gleich wissen, wie seine Verehrer beschaffen waren. Auch Eisen griff zu Lafontaines Contes, dieser unerschöpflichen Quelle der erotischen Künstler, diesem Gebetbuch der jeunesse doree. Dann illustrirte er Grecourt's Gedichte, die "Sinne" von du Rofoy und schließlich die "Küsse" für Dorat. Für jeden "baiser" (es sind ihrer zwanzig verschiedener Art) componirte Eisen zwei Zeichnungen, die alle von Longeuil trefflich gestochen sind. Es ist das galanteste Werk, das unter "der Sonne" eines Ludwig XV. das Licht der Welt erblickte, und das will gewiß viel sagen. Cochin fand hier Gelegenheit, seine fleißigen Studien nach der Natur sagen wir nach sehr galanten Modellen zu verwerthen. Das Werk war gleich beim Erscheinen sehr theuer; Grimm bemerkte sarkastisch: ..Kein Fräulein der Oper verkaufe ihre Küsse so theuer, wie Dorat die seinen." Wenn eine Sache rechten Anklang findet, so fehlt es nicht an Nachahmern. Cochin's "Küsse" haben gleichfalls einen zweiten Künstler angeeifert, denselben Gegenstand mit seiner Kunst zu illustriren. Dieser Künstler ist Jean Honore Fragonard (1732 bis 1806), ein Schüler Boucher's, dessen Geist auf ihn überging. Dieser hatte einen Preis erworben und sich damit den Weg nach Rom gebahnt. Freilich hatte die italienische Reise auf seine Kunst nicht den geringsten Einfluß geübte wie er hinging, so kam er wieder, ein Maler der sinnlichen Liebe. Die Classiker der italienischen Kunst scheinen für ihn gar nicht dagewesen zu sein, er ging an ihnen achtlos vorüber, um Einzelnes von Tiepolo und Solmiena zu copiren. Die flüchtigen Radirungen, die er nach diesen Zeichnungen ausführte, beweisen, wie leicht er auch diese Epigonen nahm. Für die Kunstrichtung, die ihm Lorbeerkränze und Geld bringen sollte, brauchte er Studien nach der Natur und zwar nach der französischen Natur, die in ihren Adern Feuer statt Blut hat. Und er fand zu Hause auch Gelegenheit genug, solche Studien zu machen. Er verherrlichte in seinen vielen Compositionen die Liebe, aber nicht die stille, keusche Liebe, die vor der Oeffentlichkeit zittert und sich in ihr Inneres zurückzieht, um nicht von profanen Augen entwürdigt zu werden, sondern die Liebe, wie sie die Sterne, die den französischen Thron umschwärmten, ausfaßten, jene Liebe, die ihre Nahrung in galanten Abenteuern sucht, eine Liebe, deren Priesterinen halb düstere Alkoven mit dem rosigen Glanz ihrer nackten Körper erhellen. War die Phantasie des Künstlers einmal von diesem unheiligen Feuer entzündet, so brachte sie ein wunderbares Geschlecht hervor. Oft ist diesen Gebilden der Witz nicht abzusprechen, und man bedauert nur, daß er in solchen Sphären leuchtet. Wie Boucher, findet er eine Lust darin, die nackten weiblichen Körper zu verherrlichen, aber diese Schönheiten, die des Gewandes entbehren, sind weder Göttinen noch badende Nymphen oder Hirtinen, wie bei seinem Lehrer, er versetzt sie in die wirkliche prosaische Wirklichkeit und muß darum auf eine Pointe bedacht sein, welche die Enthüllung motivirt. Das Bett wird für ihn der günstigste Schauplatz zu diesem Zwecke; der unruhige Schlaf der Schönen, verschuldet durch verliebte Träume, derangirt natürlich das Hemd, ein günstiger Umstand für den sie belauschenden Künstler. Noch halb vom Schlaf befangen, wird eine Andere, wollüstig auf dem Bett ausgestreckt, ihres Hemdes beraubt, Amor fliegt herbei und zieht es ihr von den erhobenen Armen hinweg. "La chemise enlevee" ist der Titel des nach dem Bilde verfertigten Stiches. Und diese Darstellung gehört noch zu den decenteren des Meisters. Wohin verführt aber der Zeitgeist denselben bei seinen vier Bildern der Elemente? oder bei der "Bascule" Auch "le Hasards heureux de l'Es Carpolette" ist hierher zu rechnen, wenn auch die Erfindung dem Künstler nicht gehört, sondern dem Besteller des Bildes. Man sieht, wie durch die Künstler die Phantasie der Kunstliebhaber in Thätigkeit gesetzt wurde, daß sie selbst dergleichen erfanden. Doyen hieß der Besteller, die Aufgabe für Fragonard bestand darin, dessen Geliebte auf der Schaukel darzustellen, die ein Abbe in Bewegung setzt, während der Liebhaber vorn dem Fluge seiner Göttin zusieht. Mit solchen Scenen ist das Werk des Künstlers mehr als reich besetzt. Auch das Atelier eines Malers führt uns Fragonard in einer Sepiazeichnung vor; dieses Atelier befindet sich in einer Scheune. Ueber Strohbündeln sitzend, wird ein dralles Landmädchen vom jungen Maler auf die Leinwand gebracht da stürmt ein anderer junger Mann herein und sucht mit Gewalt das Modell zu umarmen und zu küssen, wirft aber mit seinem Fuße die Staffelei mit dem Bilde um. "La culbute" heißt das Bild, könnte aber auch "Die unterbrochene Sitzung" heißen. Wir haben uns nun schon lange genug bei den galanten Malern des achtzehnten Jahrhunderts aufgehalten, um den Charakter ihrer Kunst kennen zu lernen und daraus die Belehrung zu gewinnen. welcher Art ihre Modelle und die Benützung derselben gewesen ist. Was wir sonst noch über einzelne Künstler desselben Jahrhunderts beibringen, soll sich strenger im Kreise unseres Gegenstandes halten. Joh. Bapt. le Prince (1733 bis 1781) war gleichfalls ein Schüler Boucher's, aber er trat weder in dessen Fußtapfen, noch ließ er sich vom herrschenden Geiste hinreißen. Er geht auf ernstere Ziele hin und wenn wir ihn hier in der Gesellschaft der galanten Maler nennen, so bietet uns ein Gemälde von seiner Hand dazu Gelegenheit, welches ein Maler-Atelier und zugleich die Benutzung weiblicher Modelle vorführt. Der Maler (es dürfte des Künstlers Eigenbildniß sein) sitzt vor der Staffelei und malt einen mythologischen Gegenstand. Auf erhöhtem Trittbrett stehen vor ihm zwei nackte weibliche Modelle, denen le Prince in der That schöne Körper verliehen hat das eine Mädchen, von vorn gesehen, hält ein Blumengewinde, das andere, den Rücken zeigend, umarmt das erstere und hält die Rechte in die Höhe. Um nicht in dieser schweren Pose zu erlahmen, kann sie mit der rechten Hand eine Schnur fassen. Der Kunstfreund, vielleicht auch Besteller des Bildes, steht hinter dem Maler, eine Alte bringt Theegeschirr herein, mit den Blicken fragend, ob bald eine Pause gemacht und ein Imbiß zur Stärkung genommen wird. Das Bild befand sich im Cabinet des Barons de Breteuil. (S. Abbildung.) Von nun ab wiederholt es sich oft, besonders bei französischen Künstlern, daß in ihren Werken das Modell als solches aus der Verborgenheit hervortritt und die Rolle, als Object für das Studium nach der Natur zu dienen, aufgiebt und Hauptgegenstand der Darstellung wird. Bis in die neueste Zeit beschäftigt uns vornehmlich die französische Kunst mit dem Charakter, der Lebensweise, den Gebräuchen ihrer weiblichen Modelle. Es hat sich in dieser Hinsicht bereits ein so reicher Stoff angesammelt, daß man füglich über die Natur, die Gewohnheiten, den Charakter moderner Modelle eine cultur- und naturgeschichtliche Abhandlung verfassen könnte. Le Prince führt uns zwei Modellfiguren vor; wir wissen nicht, ob sie durch das zu malende Werk bedingt sind, oder ob der dargestellte Maler das Beispiel des Zeuxis nachahmen will. P. A. Baudouin (1723 bis 1769) hat uns gleichfalls einen Blick in ein MalerAtelier erlaubt. ."Le modele honete" betitelt sich das Bild. Was will uns der Künstler sagen? Daß es unter den Mädchen, die um's Geld ihre Reize dem Maler bloßstellen, auch Wesen giebt, die damit keine weitere Freiheit dem ihr gegenüber sitzenden Manne ein räumen? Daß sie, obgleich dem gewöhnlichen Auge in ihrer freiwillig vollzogenen Entblößung als unverschämt erscheinend, im Grunde des Herzens doch unverdorben und sittsam sind und ihre Tugend vertheidigen können ? Der Meister des Bildes (s. Abbildung) kann Recht haben; das sich sträubende Modell hat der dargestellte Maler sicher nicht von der Straße aufgehoben, er braucht einen schönen, unentwegten Körper für sein Gemälde der Venus und das schöne Kind ist mit Erlaubnis und in Begleitung der Mutter hier; nicht die Furcht vor einem feindlichen Angriff ist in ihrem sich verbergenden Gesichte zu lesen, sondern die Scham, in diesem Zustande vor den Augen eines Mannes zu erscheinen. Und sicher ist sie zum ersten Male in diese Lage gekommen. Indem Baudouin dies Alles in seinem Bilde vortrefflich zum Ausdruck bringt, hat er ein Werk geschaffen, das seinen psychologischen wie Kunststudien alle Ehre macht. Dagegen hat er in den "Vier Tageszeiten" (gestochen von Ghendt) der Frivolität alle Freiheit zugestanden. Gerade das Gegentheil führt uns I. Fr. Schall vor die Augen. Der Künstler, von den Franzosen auch Challe geschrieben, hat uns gleichfalls zu Zeugeu einer Modellsitzung im Atelier gemacht. Hier stört kein Kunstfreund den Künstler und sein Modell, das links erhöht sitzt. und der farnesische Hercules, dessen Standbild im Grunde steht, wird das Paar nicht stören, wendet auch von der Scene den Kopf hinweg. Der Maler, der zwei Nymphen malt, zu deren einer ihm das nackte Mädchen sitzt, scheint die Erfahrung gemacht zu haben, daß in ihm neben dem Künstler auch der Mensch steckt, der das classische "humani nihil a me alienum puto" zu seiner Devise macht und in vollem Ernst dem gar nicht spröden Modell seine Herzenshuldignng darbringt, wobei ihm sicher das Oel aus dem Näpfchen an der Palette abhanden kommen wird. (S. Abbildung.) Hat uns der Künstler in sein Atelier geführt? Hat er in dem dargestellten Maler sein Eigenbildniß gegeben? Wir wissen es nicht, wollen es auch ohne genügende Beweise nicht glauben, obwohl Schall's Kunstweise sich nicht allein mit leichten Galanterien befaßt, sondern leider nur zu oft hart an der Grenze des Erlaubten herumschweift. In ein anderes Künstleratelier hat er eine Illustration nach den "Contes Lafontaines" versetzt. Der Inhalt ist nicht recht mittheilbar; wem der seltene Stich nach dem Bilde, betitelt "le baste" nicht zugänglich ist, möge die gleichnamige Erzählung bei Lafontaine, dem "ungezogenen Zögling der Grazien" nachlesen. Noch vor Schall hatte Vleughels dieselbe Scene gemalt (und Larmessin glänzend gestochen), aber Vleughel's Darstellung ist, so weit der Gegenstand es erlaubt, anständiger gehalten, auch künstlerisch vollendeter. N. Lavreince (1746 bis 1808), von Geburt ein Schwede, hat in Frankreich seine Studien gemacht und malte in Oel und Guache im Charakter der französischen Libertinage. Fragonard scheint durch seine freiesten Compositionen ihn in's Schlepptau genommen zu haben und dessen Stücke "le lever des ouvrieres en modes" und l' ecole de danse (gestochen von Dequevauviller) reihen sich, wenn auch nicht in der künstlerischen Auffassung, doch im Charakter des Stoffes an die "Vier Elemente" von Jenem an. Mit seinen "Nymphes scrupuleuses" und "la balancoire mysterieuse" (gestochen von Vidal) bekennt er sich aber zu den freiesten Grundsätzen eines Schall. Beide haben das gemein, daß sie ihre nackten Modelle nicht einmal richtig zeichnen konnten. Um dieses war ihnen offenbar auch nicht zu thun, sie wollten eben nur die höchste Sinnlichkeit glorificiren. Noch am Schlusse des Jahrhunderts erfreut uns P. L. Debucourt (1755 bis 1832) mit einer Scene, die sich im Atelier abspielt. Ein häßlicher Alter sprach zum jungen Künstler: Herr Maler, mal' er mir natürlich seine reizende junge Geliebte. Das ist oft da gewesen und der Maler that seine Schuldigkeit und noch mehr, er verliebte sich in sein nettes, kokettes Modell im reizenden Costume der Zeit. Nur der große Kranz von weißen Rosen auf ihrem Haupte scheint nicht ihre Erfindung zu sein; er sollte ein Seitenstück zu seiner weißen Perrücke bilden und ist offenbar vom Besteller angeordnet worden. Dieser hat noch mehr gefordert: Der Maler mußte neben das Mädchen auch ihn anbringen, und zwar in dem Momente, wie er sich zu der Sträubenden neigt, um sie zu küssen. Dem Maler ist dies Alles sehr gelungen, der Alte, wie die Junge sind im Bilde sehr getroffen, der Winter neben dem Frühling! Der Besteller sitzt im Lehnstuhle vor der Staffelei und betrachtet mit Vergnügen das Bild; hinter seinem Rücken reicht das Modell dem Maler, der ihre Hand küßt, ein Briefchen. Debucourt hat seine Composition vortrefflich in Farbendruck ausgeführt, das Blatt führt den Titel: "La feinte caresse ou le deux baisers". Es könnte auch heißen: "Der betrogene Liebhaber." Das Blatt erschien 1786 und ist äußerst selten. Die Damenwelt, von der Kunst in allen Richtungen ihres Modelebens zum Gegenstande von Ovationen erwählt, scheint in Frankreich in dem Jahrhundert des Sinnen-Cultus an den Mysterien des Ateliers selbst lebhaftes Interesse genommen zu haben. In den gesellschaftlichen Zusammenkünften, wo über Philosophie und die schöngeistige Literatur lebhaft disputirt wurde, hatte auch die Kunstwelt ihre Vertreter und die Verwendung des Modells, die Notwendigkeit desselben zum Studium nach der Natur war den Damen ebenso klar gemacht worden, wie das Studium nach den großen italienischen Meistern oder nach der Antike. In welcher Weise dann der Gegenstand weiblicher Schönheit, so weit er in das Gebiet der Kunst hineinreichte, von den Damen selbst praktisch untersucht wurde, darüber dürfte uns ein Bild des oben genannten Schall, welches Dupreel gestochen hat, Auskunft geben. In einem Parke das der Gegenstand des Bildes haben sich viele junge Damen am Ufer eines Teiches im schattigen Dunkel versammelt, um bei Confect, Wein und Obst sich geselligen Vergnügens zu erfreuen. Der sonnige Tag ladet dann zur Erfrischung im kühlen Wasser ein. Schon haben sich mehrere entkleidet und tummeln sich in den Fluthen herum. In der Mitte des Bassins steht auf dem Piedestal eine Nachbildung der berühmten Venus Kallipygos. Das giebt der munteren Gesellschaft Gelegenheit, auch einmal Kunststudien anzustellen und die lebendige Natur mit der antiken Kunst zu vergleichen. Schon haben sich zwei Mädchen auf das Piedestal emporgeschwungen, stellen sich in gleicher Attitude neben die marmorne Göttin und zeigen der Gesellschaft das, was auch bekanntlich die Göttin mit gerechtem Stolze enthüllt, das Kunsturtheil der Freundinnen erwartend. Wenn Schall Augenzeuge einer solchen Scene gewesen ist, dann hätte er beneidenswerte Modelle gehabt und einen lehrreichen Vergleich der lebenden Natur mit der classischen Kunst anstellen können. Aber den französischen Künstlern des verflossenen Jahrhunderts war das lebende Modell alles, die antike Kunst wenig oder gar nichts. VI. Wir sind bei der Neuzeit angelangt. Was die großen Künstler der Renaissance anstrebten, das sollte wieder in's Leben treten, eine zweite Renaissance inaugurirt werden. Die Antike wurde wieder aus der Rumpelkammer hervorgeholt, das Studium nach der Natur angepriesen; die Zeichnung sollte dem Raphael abgesehen, die Farbe dem Tizian, das Helldunkel dem Correggio abgelauscht werden. Man vergaß aber zu melden, woher man das Genie holen soll. Man hat es in Frankreich erlebt, wohin die zweite Auflage der Renaissance führte. David glaubte classisch zu sein und wurde theatralisch; der hohle Pathos sollte den Geist ersetzen. In Italien trat Natale Schiavone (1777 bis 1859), ein verspäteter Nachtreter der französischen galanten Malerei, auf. Von dieser erbte er die Vorliebe für das Nackte, den Tizian wollte er in der Auffassung erreichen. Aber er war weder so witzig wie die Franzosen, noch so tief wie Tizian. Seine Stärke (wenn sie überhaupt so genannt werden darf) bestand in der Darstellung süßlicher Madonnengesichter und halb entblößter Mädchen in verschiedenen Stellungen, wobei es daraus hauptsächlich ankam, schön gedrechselte Busen und Arme vorzuführen und sonstige Nuditäten anzubringen. Da wir überall demselben Gesichte begegnen, so muß der Künstler ein festes Modell gehabt haben. Schön war das Mädchen unstreitig, die seiner Kunst ihre Reize lieh; eine classische Schönheit war es freilich nicht und der Künstler wußte aus der hübschen Soubrette auch weiter nichts zu machen, er gab sie, wie er sie sah. Die zierliche Malerei machte dann seine Bilder für die Sinnlichen recht verführerisch. Wo er der Decenz wegen Gewänder anbrachte, da sollte das offen Gebliebene eine Recommendation des Verhüllten sein. Ernster faßte Anton Canova (1757 bis 1832) seine Kunst auf. Als Bildhauer war er darauf angewiesen, seine Werke, die Statuen, auch die völlig nackten, mit dem Gewande der Unschuld, der Absichtslosigkeit, zu bekleiden. Canova war eben ein großer und echter Künstler, wenn er auch die antike Kunst nicht erreichte. Die leichte Grazie, die er seinen weiblichen Gestalten zu leihen wußte, machte ihn zum Liebling der Hohen und Reichen. Er wurde mit Aufträgen überhäuft. Eines seiner Werke ist für uns hier besonders interessant, weil es uns mit seinem Modelle (freilich keinem ständigen) bekannt macht. Und dieses Modell diente nicht gegen Bezahlung und gehörte nicht der niederen Schichte der Gesellschaft an; im Gegentheil, einem hohen Geschlechte. In der Villa Borghese befindet sich eine Venusstatue aus Marmor. Die Göttin, deren Füße nur ein leichtes Gewand deckt, ruht nachlässig, mit gehobenem Oberkörper auf einer Ottomane, mit der Rechten leicht den Kopf stützend. während die Linke den Parisapsel hält. Es ist eines der schönsten Werke Canova's, bis in die geringsten Falten und Fältchen der Polster fleißig durchgeführt. Wenn man den Kopf näher und aufmerksam betrachtet, so wird man bald zur Ueberzeugung kommen, daß man es hier mit keinem allgemeinen Bilde, sondern mit einem Portrait zu thun hat. Und so ist es auch. Es ist das Portrait der Fürstin Pauline Borghese, einer Schwester Napoleon's I. Und nicht allein der Kopf ist ihr Ebenbild, sondern der ganze Körper, den der Künstler nach dem lebenden Modell gebildet hat. (S. Abbildung.) Dieser Umstand, daß es eine schöne, junge Fürstin für keine Schande ansteht, sich in solcher Weise einem Manne zu zeigen, beglaubigt Alles, was wir bei Tizian über ähnliche Situationen geäußert haben. An die Sitzungen des fürstlichen Modells knüpft sich eine Anekdote, die wir hier nicht verschweigen können. Als die Hofdame, welche den Sitzungen beiwohnen sollte und vernahm, um was es sich handele, ihr Befremden darüber äußerte, daß sich ihre Herrin ohne Gewand hinlege, meinte diese naiv: "Glaubst Du, daß ich mich erkälten werde? Dann kann ja eingeheizt werden". Ist es auch nur eine Anekdote, so ist sie doch gut erfunden, um die Denkungsart der Zeit zu charakterisiren. In der Neuzeit begegnen wir in Bezug aus das weibliche Modell einem eigentümlichen Umstande. Fast bei allen älteren Künstlern verbarg sich das Modell in ein unnahbares Dunkel und wir hatten oft Mühe genug, an der Hand der Kunstwerke, wenigstens die Spuren des selben auszusenden. Es waren nur seltene Fälle, daß der Künstler dem selben erlaubte, über den Rand des Bildes hervorzulugen, um uns zu erlauben, dessen Bekanntschaft zu machen. Im vorigen Jahrhundert begannen französische Künstler, wie wir gesehen haben, das weibliche Modell aus seiner dienenden Stellung emporzuheben und es zum Gegenstande des Bildes selbst zu machen. Das Modell war nicht bloßer Gegenstand des Studiums mehr, sondern trat auf die Bühne des Künstlers, wie nur je ein Feldherr für den Historienmaler, wie die Bürgersfrau oder das Landmädchen für den Künstler des Sittenbildes. Wir wollen nicht darüber rechten, ob es recht war, das, was im Atelier während der Arbeit hinter der Leinwand des Bildes vor sich ging, vor die Oeffentlichkeit zu bringen. Wo man früher in solchen Lagen die Jungen anbrachte, welche die Farben dem Meister rieben, will man jetzt dem kunstliebenden Publikum zeigen, was hinter den Coulissen geschieht, was geschehen muß, um dieses oder jenes Gemälde fertig zu bringen. Ein culturgeschichtliches Moment ist der Sache nicht abzusprechen, und so nehmen wir diese, wie sie sich uns darstellt. Wir begegnen hier einem gefeierten Namen aus der Kunstwelt, dem Lorenz Alma Tadema. Er führt uns in das Atelier eines Bildhauers ein, der nach dem lebenden Modell eine Statue bildet. Bekanntlich entlehnt der Künstler die Stoffe für seine Bilder der antiken Welt, in der er trotz dem besten Archäologen vollkommen heimisch ist. Und so dürfen wir hier auch nicht das Atelier eines modernen Bildhauers und nicht ein Modell von heute erwarten, sondern aus längst vergangenen Tagen. Der Künstler führt uns einen griechischen Bildhauer vor, welcher eine Statue der Venus modellirt. Der Künstler und sein Werk stehen im Hintergrunde des Bildes; vorn, auf einem erhöhten Podium sieht man en face das lebende Modell, dessen Rückenpartie der Bildhauer betrachtet, um darnach seine Statue zu modellieren. Das Modell, welches mit der Rechten einen Palmenzweig als Stütze der Hand hält, ist uns zu gekehrt und erscheint in der That als ein würdiges Vorbild für die Liebesgöttin. (S. Abbildung.) Der Maler hat uns in seinem Bilde aber kein modernes Modell vorgeführt, der Bau des Körpers, das Gesicht desselben, der ganze Habitus in Stellung und Geberde weisen auf den Ort und die Zeit hin, da das Original der Venus entstand. Es ist nämlich hier eine bestimmte Statue gemeint. die am Esquilin in Rom im December 1874 gefunden wurde, und die sich jetzt in der Sammlung des Capitols befindet. Einzelne Archäologen schreiben sie dem Skopas zu, andere dem Prariteles. Mit den Erörternden der Antiquare haben wir es hier nicht zu thun. Alma Tadema hat es verstanden, mit seinem Bilde uns ganz lebhaft in das Atelier eines griechischen Bildhauers zu versetzen, daß, wenn wir das uns erhaltene Werk antiker Kunst bewundern, wir uns auch die Weise seines Entstehens vergegenwärtigen können. Von neueren Meistern wollen wir noch den Bonaventura Genelli (1798 bis 1868) nennen, dessen Kunstrichtung aus ein fleißiges Studium des lebenden Modells hinweist. Man kann die Gestalten, die er in seiner Kunst verewigt, wieder erstandene Kinder der antiken Welt nennen, denen er seinen Geist einflößt, so daß sich seine ganze Subjektivität in ihnen abspiegelt. Und nur, weil dieser Geist angeborene Größe und Hoheit besitzt, fordert dessen Vermählung mit der antiken Formenwelt unsere Bewunderung heraus. Genelli selbst war eine ausfallend schöne Erscheinung, die in die Zeit eines Phidias zurück versetzt, diesem sicher zu einem Zeus oder Poseidon zum Modell hätte dienen können. Das wußte der Künstler und er pflegte darum auch sich selbst als Modell zu dienen. Es wird nämlich überliefert, daß er in Rom in der heißen Jahreszeit sich ganz gewandlos in seinem Atelier bewegte und mit Hülfe eines großen Spiegels Studien nach seinem eigenen Körper machte. Jedenfalls ersparte er aus diese Art viele Kosten für fremde Modelle und konnte sich auch so stellen, wie er es brauchte, was anderen Modellen oft schwer begreiflich gemacht wird. Man erzählt, daß ihn die Prinzessin von Preußen, spätere Königin der Niederlande, von der er ein Stipendium erhielt, in Rom in solcher Lage überraschte, als sie dessen Atelier besuchen wollte und er auf das Klopfen mechanisch "Herein" rief. Es wurde ihm als absichtlicher Uebermuth ausgelegt und er verlor sein Stipendium. Der Künstler hat die Scene in sein Werk: "Aus dem Leben eines Künstlers" aufgenommen, aber an Stelle der Prinzessen einen Cardinal eintreten lassen. Für weibliche Figuren scheint er in Rom sich nur eines Modells bedient zu haben, da alle eine auffallende Aehnlichkeit unter einander zeigen. In seinem Cyclus "Aus dem Leben eines Künstlers", in dem er Wahrheit und Dichtung verwebt, und eigene Erfahrungen im Bilde einflicht, scheint er uns im Blatte, das sein Atelier vorstellt, die Mutter aller seiner Frauengestalten, sein römisches Modell, vorgeführt zu haben. Wenn es sich also verhält, dann scheint das grübelnde und in Gedanken versunkene Weib etwas von des Künstlers Natur besessen zu haben. In den letzten Jahren hat sich auch die Photographie des Modellstehens bemächtigt, angeblich, um den Künstlern Zeit und Geld zu ersparen. Unter dem Titel "Modelle für Künstler" werden sogenannte "Akademien" auf den Kunstmarkt gebracht. Wir haben auch hören müssen, daß Künstler es wurde uns in Wien selbst Makart genannt die Stellungen oder Lagen vorschreiben, damit sie dem Künstler, der sie brauchen will, von Nutzen seien. Abgesehen davon, daß das Unternehmen eine andere als künstlerische Bestimmung haben dürfte und daß der größte Theil der Abnehmer Kreisen angehört, die in Kunst-Ateliers nicht heimisch sind, so glauben wir nicht, daß Maler vielfach in die Lage kommen, dieses Modell-Surrogat brauchen zu können, es sei, daß sie die gegebene photographische Aufnahme zum Ausgangspunkt einer Composition machen und sie einfach in's Bild übertragen. Der echte Künstler erfindet zuerst, er muß wissen, was er darstellen will; der Gegenstand, der Charakter der Personen, die hier auftreten sollen, bestimmt erst die Stellung des Modells, das studirt werden soll. So etwas läßt sich also nicht voraus und nicht von anderen Personen bestimmen. Auch ist es etwas Anderes, ein Bild und das ist eine solche Photographie abzuzeichnen, oder nach dem lebenden Modell zu zeichnen und zu studiren. Noch in einer anderen Art trat das weibliche Modell in die Oeffentlichkeit, in den sogenannten lebenden Bildern. Zuerst wählte man und wählt noch, wo diese dargestellt werden, irgend ein classisches Bild und versucht es, die darin vorkommenden Personen und Gruppen durch lebende Personen innerhalb eines Rahmens darzustellen. Später, meist um den Sinnenkitzel aufzuregen, wurden auch Statuen oder Marmorgruppen in gleicher Weise durch lebende Personen veranschaulicht, dabei der Polizei wegen, das Nackte unter Tricot verborgen, doch so, daß die Körperformen deutlich genug hervortraten. Im Jahre 1843 befand sich eine Gesellschaft, die solche lebende Bilder darstellte, in Berlin. Um Künstlern und Kunstfreunden Gelegenheit zu bieten, "im Anblicke der Natur ihr Urtheil über Kunstwerke aufzuklären", entstand der Gedanke, im Privatkreise durch die Gesellschaft bekannte Statuen oder Gruppen berühmter Bildhauer, jedoch ohne jegliche Gewandung, darstellen zu lassen, so nach Thorwaldsen, Dannecker, Schadow, Canova und Anderen. Gottfried Schadow hat einen Bericht mit Illustrationen über diese Vorstellung, die am 5. Mai stattfand, in Druck erscheinen lassen, aus dem wir ersehen, daß sie bei den Künstlern ungetheilten Beifall gefunden hat. Für die Künstler bot sich hier die freilich nur flüchtige Gelegenheit, auf Grundlage berühmter Kunstwerke aus die ihnen vorangegangenen Modelle das Augenmerk zu richten und zugleich an schönen Körpern ihre Studien zu machen. Das lebende Bild war eine Zurückdatirung des Kunstwerkes auf sein Modell. (Siehe meinen Aufsatz: Lebende Bilder in "Lose Blätter aus der Culturgeschichte. 1882.") Wenden wir uns schließlich den Künstlern zu, die das weibliche Modell zum Gegenstand ihrer Zeichnung oder ihres Bildes gemacht haben. Die Plastik hat aus nahe liegenden Gründen aus ein ähnliches Sujet bisher verzichten müssen. Da nennt sich ein Bild von G. A. Kuntz "Im Studio". Im Grunde steht auf erhöhtem Podium das Modell und hält mit der Rechten Hemd und Gewand zusammen. Links vorn, vom Rücken gesehen, sitzt der Maler vor der Staffelei und betrachtet prüfend sein Modell. Wozu mag wohl dieses dienen ? Es steht so hölzern da, daß dem Künstler wohl ein Gliedermann denselben Dienst hätte leisten können. Es bleibt uns absolut unverständlich, wie sich diese Erscheinung aus einem Bilde wird verwenden lassen. (S. Abbildung.) Da verstehen es die Pariser Künstler besser. Auf Idealisirung des Gegenstandes verzichtend, geben sie die nackte Wirklichkeit nackt im Doppelsinn. Darum auch bieten sie Einem, der, ohne selbst die französischen Ateliers befischt zu haben, ein Essay über die jetzt lebenden weiblichen Modelle in Paris schreiben wollte, ein reiches Material. Da hat Alphons Hirsch ein Bild fertig gemacht, welches das Atelier eines Bildhauers darstellt. Also etwas Aehnliches, wie Alma Tadema. Der Gegenstand ist der nämliche: ein Bildhauer arbeitet nach dein nackten Modell an einer Statue, die vielleicht ein Mädchen nach dem Bade darstellen soll. Aber der Maler bewegt sich mit seiner Darstellung in der Gegenwart, es ist kein Atelier im Allgemeinen, kein Phantasie-Atelier, sondern ein bestimmtes, das des berühmten französischen Bildhauers Anton Paul Noel und der dargestellte Bildhauer ist eben Noel selbst. Vielleicht ist hier die Statue gemeint, die er 1876 vollendete und die ein Mädchen nach dem Bade darstellt. (S. Abbildung.) Es wird wohl äußerst selten und nur ausnahmsweise der Fall eintreten, daß ein weibliches Wesen, wenn es durch Noth oder andere Ver- hältnisse gezwungen oder bestimmt wird, einem Künstler als unbekleidetes Modell zu stehen, ohne einiger Anwandlung des Schamgefühls diesen ersten Schritt thut. Unser Klima, unsere europäische Erziehung, welche mit Recht auf die Schamhaftigkeit ein besonderes Gewicht legt, treten der allzu großen Entblößung des Körpers entgegen. Giebt es doch selbst viele Männer, die es um keinen Preis dahin bringen könnten, als Modell einem Maler oder gar im Actsaal vor den Kunstschülern zu stehen. Um so schwerer wird sich das weibliche Wesen, dem man doch immer ein größeres, ausgebildeteres Schamgefühl nachrühmt, entschließen können, vor den Augen eines Mannes die letzte Hülle fallen zu lassen. Man spricht zwar viel von starken, übertriebenen Decolletirungen der Damen, gerade in Gesellschaften oder auf Bällen, wo sie Männerblicken ausgesetzt sind, aber, wenn wir auch dies zugeben und diese Mode als unanständig perhorresciren, so müssen wir doch zugeben, daß die Sache noch nicht so arg ist, wie sie an dem französischen Hofe im 18. Jahrhundert war, womit wir jedoch nicht ausfordern wollen. jenen berüchtigten Beispielen sich weiter zu nähern. Bei einer Eva oder Susanna ist das Nackte historisch begründet, bei einer Venus durch den Inhalt der Mythe vorgezeichnet, wenn auch eine Venus Urania davon Ausnahme macht. Ebenso motivirt ist es, wenn Adam und Eva im Paradiese eine naive Unkenntniß ihrer Gewandlosigkeit zur Schau tragen, denn es heißt in der Bibel: Sie waren Beide nackt und schämten sich nicht. Venus aber, wenn auch bei ihr eine Hindeutung auf das Bad gegeben ist, besitzt den Ausdruck des Schämens (wenigstens die kindische und mediceische) und es hat Jemand die richtige Bemerkung gemacht, daß jedes Weib, auch wenn es sich unbeobachtet weiß, mit den Händen dieselbe Bewegung macht, wie die mediceische Venus, wenn das letzte Gewand^ stück vom Leibe gefallen ist. Nun denke man sich in die Lage eines Mädchens hinein, die zum ersten Male in voller Enthüllung ihre Reize den Augen eines Künstlers oder gar einer ganzen Gesellschaft jugendlicher Kunstjünger preisgiebt. Die Gegenwart der Professoren und selbst im Privatatelier die Gegenwart einer Ehrendame macht die Sache nicht leichter, nicht erträglicher F. de Chambord, ein moderner Künstler, hat eine solche erste Sitzung des Modells zum Gegenstande eines Bildes gemacht, das wir in Abbildung bringen. Der Künstler hat eine neue Pointe gesunden, die Scham, die das Modell bei seinem ersten Debut empfindet, zum Ausdruck zu bringen. Auch hier wieder sind es die Hände, welche in ihrer Zeichensprache reden, aber anders, wie bei der mediceischen Venus. Da der Contract lautet, daß der Körper als Object des Studiums dienen soll, so sticht die Arme wenigstens das Gesicht, die Augen, den Sitz des Schamgefühls, zu verhüllen, um Jenen nicht zu sehen, der sie .anblickt. Es ist, als ob sie Unwillkürlich den Strauß nachahmen wollte, der seinen Kopf im Sande verbirgt, und nun glaubt, nicht gesehen zu werden, weil er selbst nichts steht. Victor Tortez hat denselben Gegenstand behandelt, und das Mädchen macht bei ihrer "premiere presentation a l'atelier" einen ganz ähnlichen Gestus der Scham. (Gazette des beaux arts 1881.) Die französischen Künstler der Neuzeit haben uns das weibliche Modell in einer Reihe von Darstellungen gebracht, die uns ermöglichen, dasselbe in allen Stadien seiner Thätigkeit zu verfolgen. So macht uns Jules Frederic Ballavoine mit einem Modell in der Ruhepause bekannt. Es sitzt, anständig in sein Tuch gehüllt, aus dem Sopha, um sich von der vielleicht anstrengenden Stellung zu erholen. Es ist ein liebes, freundliches Gesichtchen, das uns aus dem Bilde recht naiv ansieht; eine classische Schönheit ist es keineswegs, mag Gott wissen, wozu ein Künstler dieses untersetzte dralle Mädchen verwenden will. Die ersten entsetzlichen Augenblicke sind überwunden, wir können uns sehr wohl vorstellen, wie es, wenn der Meister seine Arbeit wieder ausnimmt, das Tuch entschlossen von sich wirst, elastisch ausspringt und die verlassene Stellung wieder einnimmt. (S. Abbildung.) Oben genannter Künstler Chambord variirt die Scene der Ruhepause. Es scheint, daß der Künstler in seiner Arbeit gestört wurde und das Atelier verließ, um vielleicht eines unzeitigen und unbequemen Besuches Marter zu dulden. Das Modell wird für einige Augenblicke frei und benützt diese Zeit, um für sich Modellstudien zu machen. Der Kopf, der Ausdruck des Gesichts verräth einen gewissen Grad von Leichtsinn; es ist das ein Mädchen, das in den KünstlerAteliers bereits zu Hause ist; sie steht vor einem großen Trumeau-Spiegel und betrachtet die Rückseite ihres Körpers a la Venus Kallipygos. Oder will sie beurtheilen, ob sich das Bild mit der Natur decke? im Grunde sehen wir nämlich das in Arbeit befindliche Bild, welches eine liegende, vom Rücken gesehene nackte Nymphe darstellt. (S. Abbildung.) Daß die eingeübten Modelle sich auch zuweilen das Recht heraus-nehmen, den Künstler zu kritisiren oder ihm wohlmeinende Rathschläge zu ertheilen, dürfte natürlich erscheinen, um so mehr, als gerade das weibliche Auge scharf sieht und oft einen Fehler entdeckt, an dem hundert Männer und Künstleraugen vorbeigegangen sind. Daß Modelle als Kritiker auftreten, dürfte ein Bild von Charles Edouard Boutibonne beweisen. Der Künstler ist zwar in Pest geboren, aber als Künstler Franzose durch und durch. Seinen Pinsel hat er ganz der Verherrlichung des weiblichen Sinnenreizes geweiht. So hat er die Phryne vor den Richtern (1868) gemalt. Das Bild, das wir hier meinen, führt uns in ein Künstler-Atelier. Der Maler (der Künstler selbst?) sitzt vor seinem Bilde, welches irgend eine nackte Göttin vorstellen soll; er scheint soeben dem schön gewachsenen Modell eine Ruhepause zugestanden zu haben; dieses stellt sich, mit dem rechten Fuß am Lehnstuhl knieend, neben den Maler recht zwanglos hin und scheint demselben ihre Ausstellung oder Meinung über das Bild zu äußern. Der Künstler dürfte sich auch halb und halb von ihrer Triftigkeit überzeugt fühlen, denn er hat nur die Frage zur Antwort: ..Vons croyez!" Sie glauben? Das der Titel des Bildes. Eine ähnliche Pointe hat auch das Bild von Bumpard, das im Salon 1880 ausgestellt war und die Ruhe des Modells darstellt. Der Künstler ist im Atelier nicht anwesend, und das nackte Mädchen hat sich auf dessen Stuhl hingesetzt, um das Bild auf der Staffelei, ein im Bade überraschtes Mädchen zu betrachten. Leider kann man das Gesicht nicht sehen, um zu beurteilen, ob es blos ruht, oder sich eine Kritik über das Bild erlaubt. C. San-Martin hat auch ein "Repos du modele" gemalt. Der Maler steht vor der Staffelei und unterbricht die Arbeit, da ein eigener Umstand das Modell stört. Dieses ist nämlich eine Mutter (zu jung für eine solche) mit ihrem Kinde und Letzterem scheint entweder die ruhige Stellung der Mutter zu lange zu dauern, oder sein kleiner Magen erhebt gewisse Ansprüche, kurz, um den vorlauten Störenfried zu beruhigen, muß ihn die Mutter an die Brust legen. Wollte der Maler etwa ein Madonnenbild malen, oder war am Ende das Kind selbst Object des Studiums. Rechts nämlich steht auf einer Staffelei die Skizze eines Kindkopfes. Ganz durchsichtig erscheint die Absicht des Malers nicht. Einzelne Künstler wollten uns mit ihren Modellbildern mit dem Umstand bekannt machen, daß bei der Sitzung nicht allein die künstlerische, erhabene Bedeutung Platz greift, sondern daß das Modellstehen auch eine ganz materielle Wirkung zur Folge hat. Die Modelle bekommen Appetit. Dieses Bedürfniß kann befriedigt werden; die Ruhepause bietet die beste Gelegenheit dazu. Jos. Eduard Dantan (geb. 1848) führt uns in ein vornehm ausgestattetes Atelier. Entweder ist der dargestellte Künstler von Haus aus reich oder ist er zur Berühmtheit gekommen, die ihm Ehre und irdisches Gut bringt. Während er die Pause benützt, um seine Pinsel zu reinigen, sitzt das leicht bekleidete, anmuthige Mädchen recht behaglich am Sopha und läßt sich nach den Mühen des Modellstehens die aufgetragenen Delicatessen recht wohl schmecken. (S. Abbildung.) Freilich ein solches "dejeuner du medele" findet man nicht immer und nicht bei jedem Künstler. Ist dieser erst am Anfang seiner Laufbahn und muß er vielleicht selbst Entbehrungen aller Art erdulden, dann giebt es auch für sein Modell keine glänzenden Mahlzeiten. Bertall hat uns in seinem Werke "Comedie de notre temps" unter den mannigfaltigsten Bildern des Pariser Lebens auch einzelne Scenen aus den Künstlerateliers mitgetheilt. Ein junger Künstler benützt die Pause, um sein Frühstück zu nehmen. (S. Abbildung.) Dieses besteht aber nur in einigen gebratenen Kartoffeln, die er wie Kastanien in der Papierdüte hält. Galant, wie er als Franzose ist, bietet er sie auch seinem Modell, das bloßfüßig, nur mit dem Hemd bekleidet, vor ihm steht. Es entspinnt sich nun folgender Dialog: Er: " Si mademoiselle veut accepter quelques pomme de terre frites ? " Sie: " J'aimerais mieux une paire de bottines, mais - c'est egal, alles-y tout de meme. " Er : "Naive enfant! " Ein anderes Blatt desselben Werkes zeigt uns den Schluß einer Sitzung. Mademoiselle kann gehen, sie stand zu einer Studie des Nackten, mau erblickt sie auf dem Bilde als nacktes Weib, vom Rücken gesehen. Sie ist bereits ziemlich angezogen, der Künstler macht den Galanten und schnürt sie zusammen. (S. Abbildung.) Was so ein angehender Meister nicht alles lernen und kennen muß, auf dem weiten Wege zur "Gloire"! VII. Alexander Dumas junior hat 1866 ein Buch geschrieben, das den Titel führt: L'affaire Clemenceau. Darin führt er den Leser auch in ein Atelier ein und macht ihn mit dessen Geheimnissen bekannt. Der junge Clemenceau soll nämlich Künstler werden und kommt zu einem Bildhauer Ritz (bei dem Dumas wahrscheinlich an Pradier dachte) in die Lehre. Die Zeit des Unterrichts im Zeichnen ist vorüber, der angehende Künstler soll nun nach der Natur zeichnen und malen. Aber auch in der Aufnahme männlicher Acte hat er bereits seinen Cursus durchgemacht. Nun erscheint das weibliche Modell im Atelier. Dumas nennt das Mädchen Marietta, also ist es wahrscheinlich eine Italienerin, wie deren viele in Paris sich aufhalten und als Modellsteherinen sich oft viel Geld verdienen. Wie mag dem jungen Manne zu Muthe gewesen sein, wie ihm das Herz geschlagen haben, als er zum ersten Male in seinem Leben dem unverhüllten weiblichen Körper gegenüber saß. Dumas sagt, er wäre "tout emu, presque fremissant" gewesen; ganz aufgeregt und fast zitternd; alle seine Sinne sind im Aufruhr, als er steht, wie sich Marietta der Kleider entledigt. Nun, es wird ihm schwer genug werden, in solcher Aufregung nur an die Kunst und ihre ernsten Aufgaben zu denken und mit fester Hand die Umrisse zu zeichnen. Dumas beschreibt nun sehr anschaulich und plastisch das Modell mit allen Vorkehrungen zur Sitzung. Wir geben die Beschreibung in der Originalsprache, da sie durch die beste Uebersetzung an Unmittelbarkeit und Anschaulichkeit verlieren würde: "Marietta, le modèle, se déshabille sans façon devant le jeune homme, tout ému, presque frémissant. Le plus simplement du monde, et comme si elle- eût accompli une chose naturelle, cette fille dégrafa son corsage, déboutonne ses manches, fit couler sa robe le long do son corps, la ramassa et la déposa sur une chaise. Puis elle ôta son col, qu'elle étala dessus avec soin, et tirant le cordon de son jupon, elle se trouva en chemise, car elle n'avait pas de corset, bien entendu. Elle s'assit, et, plaçant sa jambe droite sur sa jambe gauche, elle délaça ses bottines, dans cette pose, que Pradier a donné à l'une de ses plus jolies statuettes. Puis elle tira ses bas et laissant tomber sa chemise à terre, elle l'enjamba, et, de son pied nu, la poussa derrière elle. Enfin, droite, rejetant légèrement sa tête en arrière et relevant do ses deux mains ses cheveux, qui tombaient sur ses épaules: ,,Comment faut-il me poser ?" dit-elle." Es haben die besten Künstler für Dumas Randbilder zu seinem Buche geliefert, die dieser in seinem Exemplar zum Text einbinden ließ. Meissonier hat in einer Aquarelle Marietta in dein Finale ihrer Entkleidung, wie sie die Haare zurückstreift und fragt, welche Stellung sie nehmen solle, dargestellt. Der Künstler malt Frauen überhaupt selten, eine nackte noch seltener und es dürfte also die dem Dunias verehrte Aquarelle, vielleicht ein Unicum, von ganz besonderem Werthe sein. (Wir geben das von Meissonier gezeichnete Modell im Umriß auf dem Deckel.) Die Kunstgeschichte zählt in ihrem Bereiche auch viele Künstlerinen, darunter einzelne, die sich über das Niveau des bloßen Dilettantismus erhoben und sich einen ehrenhaften Namen mit ihrer Kunst erworben haben. Jedenfalls mußten diese, ob sie schon Malerinen oder Bildhauerinen waren, auch ihre Studien nach der Natur gemacht haben. In Bezug auf Modelle tritt nun hier das umgekehrte Verhältniß ein; das weibliche Modell, das den Künstlern oft so viele Sorgen macht, ist für sie natürlich zugänglicher, dagegen ein Studium nach dem nackten männlichen Körper nm so schwieriger, ja zuweilen unmöglich. So wird von Marietta Tintoretta, der talentvollen, leider in der Blüthe der Jugend verstorbenen Tochter des berühmten Malers Jacopo Tintoretto (Robusti) erzählt, daß sie in historischer Malerei unter der Leitung ihres Vaters es weit hätte bringen können, wenn ihr Geschlecht ihr den Actsaal nicht verschlossen hätte. Dafür konnten die kunstübenden Damen das weibliche Modell um so ergiebiger benützen. Wenn sie es nicht thaten, so liegt der Grund darin, daß ihnen angeborenes Schamgefühl verbot, die weiblichen Reize hüllenlos vor der großen Welt in Bildern preiszugeben. Aber diese Zurückhaltung hatte ihre Ausnahmen. So wissen wir von der berühmten französischen Malerin Elizabeth Vigee le Brun, daß ihr deren einzige Tochter zum Modell diente. Einmal hat sie dieselbe, als sie eben dem Kindesalter entwuchs und sich zur Jungfrau entfaltete, als Badende gemalt und der russische Fürst Psoupoff beeilte sich, das Bild zu erwerben und in seine kalte Heimath zu entführen. Auch Angelica Kauffmann zeichnete und malte fleißig nach dem lebenden weiblichen Modell. Im Kupferstich Cabinet des Berliner Museums wird eine fleißig ausgeführte Oelskizze der Künstlerin aufbewahrt, welche ein vom Rücken gesehenes stehendes Mädchen darstellt. Die Modellierung ist mit einer Sicherheit und Feinheit gegeben, wie es einer Frauenhand kaum zuzumuthen wäre. Ein moderner Künstler, E. Blume, hat uns in einem Gemälde den Vorhang vor einem Damen Atelier gelüftet und uns erlaubt, eine Künstlerin zu belauschen, die nach einem nackten männlichen Modell zeichnet. Erschrecken wir nicht über diese Emancipation; das Modell ist ein etwa sechsjähriger Junge. Die junge, sehr schöne Kunstelevin hat sich in den Kopf gesetzt, wahrscheinlich einen Amor zu componiren und das Knäblein muß ihr dazu als Modell stehen. Zu bewundern ist die Fassung und Ruhe, mit der die Künstlerin beim Werke ist. Nichts stört sie, nicht die eigentümliche Situation für eine Dame, nicht der Unmuth des Modells. Diesem dauert offenbar die befohlene Stellung zu lange; vom Sopha, aus dem er steht, darf er nicht herab und so kommen "dem schmollenden Modell", wie das Bild heißt, die Thränen in die Augen, und die Stellung der Linken, mit der es dieselben ab wischen will, ist gewiß nicht von der "Meisterin" vorgeschrieben. Das Atelier ist elegant eingerichtet, auch der Makartstrauß (ironisch das "Wiener Heu" genannt) fehlt nicht. Wir wünschen, daß der Zeichnerin des Amor der wirkliche, leibhaftige Amor kein so böses Gesicht mache, wie ihr Modell. (S. Abbildung.) Alphonse Daudet giebt in seinen "Künstler Ehen" eine kleine nette Geschichte zum Besten, die, da sie auf unseren Gegenstand Bezug hat, im Auszug hier stehen möge. Eine junge Pariserin heirathet einen Bildhauer, der Vermögen und Ruf besitzt. Dieser baut sich ein reizendes kleines Wohnhaus, darin seine junge Gattin ihm ein freundliches Heim bereitet. Er selbst hat bald nach der Hochzeitsreise seine Arbeiten wieder ausgenommen und modellirt im entfernten Atelier an "einer Römerin, die dem Bade entstiegen ist", und die er in die nächste Kunstausstellung schicken will. In den Kosestunden, die der Künstler bei seinem Weibchen zubrachte, erzählte er viel von seinem Werke, von seinen Intentionen, daß er schließlich di^ Neugierde desselben erweckte. Sie beschloß, ihn im Atelier zu überraschen. Es ist die Frau, die diese ganze Geschichte in einem Briefe ihrer Freundin mittheilt. Lassen wir sie jetzt selbst reden: "Ich komme an Ort und Stelle und finde den Haupteingang zu dem parterre in einem Gartenhause gelegenen Atelier weit offen stehen. Ich gehe näher und denke Dir meine Entrüstung sehe meinen Mann in einem Maurerkittel da stehen, seine Hände sind mit Lehm und Thon beschmiert und vor sich hat er eine Frau! "Denke Dir, eine große Weibsperson steht vor ihm auf einem Trittbrett! Nur halb bekleidet! Sie stand so ruhig da, als gehörte es sich nicht anders und als wäre die ganze Sache die natürlichste in der Welt." Es folgt eine unterbrochene Sitzung, der Künstler will seiner empörten Frau etwas sagen, sie aber lief fort, zur Mama, um ihr das grenzenlose Unglück zu klagen. Ströme von Thränen fließen! Der Gatte erscheint nun gleichfalls und will beschwichtigen: Eine Modellsteherin sei ein Weib, wie andere auch, und Bildhauer können ohne sie nicht existiren. Damit kam er aber schlecht an. Sie erklärt rundweg, sie wolle keinen Ehemann haben, der sich täglich tete a tete mit solchen - Frauenzimmern befände. Die Mutter will versöhnen. "Thun Sie doch Ihrer Frau den Gefallen. Können Sie sich nicht als Modell eine Puppe aus Holz oder Pappe construiren lassen? Sehen Sie, die Putzmacherinen haben doch auch Köpfe aus Pappe, denen sie die neuen Hüte ansetzen, nm zu sehen, wie sie kleiden. Was für den Kopf modisch ist, sollte das nicht auch für den ganzen Körper möglich sein?" Vergebens verfischt der Ehemann das Unstatthafte eines solchen Surrogates darzuthun. Schließlich kommt es zu einem Waffenstillstand Zuweilen mag also, wenn es nöthig ist, das Frauenzimmer kommen. aber nur, wenn die eifersüchtige Fran sich im Alkoven neben dem Atelier befinde, von dem aus sie Alles übersehen könne, ohne selbst gesehen zu werden. So geschieht es. Das Modell erscheint und kleidet sich aus. "Als ich nun aber sah", schreibt die Frau, "wie dieses unverschämte Geschöpf auch das Kleid ablegte und sich ganz unverfroren mitten im Atelier entkleidete, da wallte der Zorn in mir auf. Endlich war das Weib auf ihrem Posten, nur halb bekleidet, ihr langes Haar war aufgelöst und fiel ihr in mächtigen Wellen über den Rücken das war nicht mehr ganz die abscheuliche Person von vorhin, jetzt schien sie eine Statue zu sein. Plötzlich höre ich meinen Mann rufen: "Das linke Bein! Setzen Sie das linke Bein mehr vor." Das Modell schien ihn nicht ganz zu verstehen, er näherte sich demselben und wollte selbst ^ nein, das konnt' ich nicht ertragen!" Sie stürmt ordentlich mit der Glocke und als er sie besänftigen will, tobt sie, wie wahnsinnig: "Es ist zu viel! Ich kann nicht!" Das Modell wird entlassen, das Atelier gesperrt. Der Mann bleibt zu Hause, empfangt seine besten Freunde nicht, ist tiefsinnig, unglücklich. Einmal fragt sie ihn schüchtern: "Weshalb arbeitest Du nicht mehr?" "Ohne Modell kann ich nicht arbeiten", lautet schneidig die kurze Antwort. Tage Wochen vergehen, sie ist die Liebe selbst gegen ihren armen Mann. Sie fürchtet, er werde krank werden. Sie bittet, er solle es versuchen, frei aus dem Kopfe die Statue zu vollenden. Sie bringt ihn endlich dahin, daß er sein Atelier besticht, aber er arbeitet nicht, sitzt nur auf seinem Divan, raucht oder liest oder spielt sich mit einem Ball. So findet sie ihn, als sie eines Nachmittags hinging, um zu sehen, ob die Römerin bereits aus dem Bade gestiegen sei. Sie sah, wie unglücklich ihr Mann sei. "Weißt Du, was ich nun that? Ich nahm das faltige Gewand und ging in den Alkoven, wo ich mich entkleidete. Dann ganz leise, ohne ein Wort zu sagen, stellte ich mich ihm gegenüber auf das Trittbrett, genau in derselben Haltung, wie ich es bei jener abscheulichen Modellsteherin gesehen hatte. Ach, meine Liebste, was machte er für Augen, als er den Kopf umwandte und mich sah! Wie bewegt und entzückt war er! Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte; ich muß ganz roth geworden sein. Er war von meinem Einfall so entzückt, daß ich mich über alles Andere nicht weiter beunruhigte. In Städten, welche Kunstakademien besitzen und darum auch viele Künstler, hat sich ein eigener Erwerbszweig herangebildet: der Modellstand. Wenn der Kunsteleve oder schaffende Künstler erst warten sollte, bis ihm eine Dame aus der höheren Gesellschaft aus Gefälligkeit Modell stehen, sitzen oder liegen wollte, müßte er lange warten. Die Akademien besitzen für ihre Actsäle gewöhnlich für längere Zeit ihre Modelle. Männer, Franen, Mädchen, Kinder. Für jüngere kräftige Mannsgestalten wurden an der Prager Akademie Soldaten ausgewählt. Der im eigenen Atelier schaffende Künstler muß sich natürlich erst das Modell, das er für sein entstehendes Bild brauchen kann, suchen. Es ist nichts Angenehmes, längere Zeit als Modell zu stehen; es wird darum mit Geld honorirt. Die Preise sind nicht immer und überall gleich, ihre Höhe richtet sich nach der Schönheit und Verwendbarkeit des Modells. Das Geschäft kann also zuweilen lukrativ sein. In Berlin lebte vor mehreren Jahren ein Kopfmodell (man nannte ihn allgemein den "Christuskopf"), der seiner Familie ein Vermögen von 15000 Mark hinterließ, die er sich durch Modellstehen erworben hatte. Und diese Hoffnung aus Erwerb setzt darum auch bei weiblichen Modellen alle Rücksicht bei Seite. Man weiß, wohin die Noth drängt, wohin auch die Leidenschaft, Putz- und Vergnügungssucht treibt, wenn ein Geldgewinn winkt. In Paris zählte man vor einigen Jahren 671 Frauen und Mädchen, welche Malern, Bildhauern und Photographen als Modelle dienen. Es wurden auch weitere Notizen über diese mitgetheilt; die meisten derselben gehörten der italienischen Nationalität an. Es scheint, als ob Italienerinen geborene Modelle wären; sie kommen auch nach Oesterreich und Deutschland, um hier als Modelle Gastrollen zu geben und sich Geld zu sammeln. Von den erwähnten Pariser Frauenmodellen ist dann weiter bemerkt worden, daß von ihnen nur 130 das 21. Lebensjahr überschritten haben, die Uebrigen befanden sich im Alter von 16 bis 20 Jahren. Das Modellstehen allein würde sie nicht immer ernähren, es gilt also nur als Mittel, neben seinem Berufe einen Extraverdienst zu haben. Man zählte unter obigen Modellen 60 Schauspielerinen, 40 Modistinen, 35 Blumenmacherinen, 30 Näherinen u. s. f. Natürlich geht das Geschäft auch nur eine bestimmte Zeit, denn für eine Venus kann kein Künstler einen verwelkten Körper zum Modell brauchen. Das Honorar für eine Stunde wechselt sehr und richtet sich nach der Schönheit und Verwendbarkeit des Modells, ob dieses nur eine Hand, den Kopf, die Büste, ein Bein oder den ganzen Körper zum Studium herleiht. Man zahlt 2 Francs bis 40 und selbst 50 Francs. In Berlin zahlt man für ein Kopfmodell per Stunde 75 Pfennige, für den (männlichen) Act 1 Mark. Weibliche Modelle werden natürlich höher taxirt; auch hier giebt es große Unterschiede. Ein sehr schönes Mädchen, das indessen selbst Auswahl traf und nur solchen Künstlern an Modellen. Wie hier Alles malerisch ist, so ist auch der Modellmarkt sehr anziehend und für ein Künstlerauge interessant. In der Via delle fontane, die sich vom Pincio in Wellenform bis zu Maria maggiore hinzieht, wie in der Umgegend, befinden sich die meisten Ateliers (Studio) der Künstler:. oft sind ganze Gartenhäuser als solche KünstlerWerkstätten eingerichtet. In der genannten Straße, nahe dem Pincio und der französischen Akademie (Villa Medici) steht die Kirche Trinita de' Monti. Von dieser Kirche führt eine breite majestätische Treppe zur Piazza Spagna herab. In gewissen Stunden des Tages ist diese Treppe mit einer so eigenartigen Staffage besetzt, daß man sich in den römischen Carneval oder einen costumirten Ball versetzt glaubt. Es ist der Modellmarkt der Künstler in Rom, sozusagen die Börse für Modelle. Wenn wir bedenken, daß es Italiener sind, die diese Staffage bilden, so werden wir nicht überrascht sein, wenn wir hier einem sehr lebhaften, beweglichen Verkehr begegnen. Hier findet der Künstler so ziemlich Alles, was er braucht. Kinder, Knaben und Mädchen tummeln sich da herum oder schmiegen sich an den Vater, die Mutter an. Imponirende Gestalten mit feurigem Auge und schwarzem Lockenhaar, in der Tracht der Abruzzenhirten warten des Künstlers, der sie für die Statue eines Athleten oder Herakles benöthigt. Aber auch Greife mit langen Bärten und Matronen mit durchfurchten Gesichtern ruhen, von weitem Wege ermüdet, auf den Stufen der Treppe aus. Dann erst die majestätischen, ernsten oder sinnlich reizenden, verführerischen Gestalten der Mädchen! Sucht der Künstler vielleicht ein Modell zur Desdemona oder Herodias? Er findet es bald, denn die dunkeln, feurigen Augen, die in's Blaue glänzenden schwarzen Haare werden bald seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Für Scenen aus dem italienischen Volksleben findet er überreiches Material. Und will er eine Magdalena oder Venus oder Galathea malen, er wird nicht unbefriedigt den Modellmarkt verlassen. Die Bildhauer natürlich sind, wo sie antike Stoffe behandeln, insbesondere auf das Nackte angewiesen. Um nicht den Hafen im Sack zu kaufen, muß sich der Künstler entweder auf Referenzen des Modells verlassen oder sich überzeugen, ob sein Modell die Formen besitze, die seine Göttin erheischt. Und diese Probe wird zuweilen in recht naiver Weise angestellt. Uebrigens läßt oft das Auftreten, die Haltung des Körpers, der Gang den Künstler die verborgenen Formenschönheiten errathen. Die Modelle, welche auf der spanischen Treppe gedungen werden, sind nicht theuer, man zahlt für drei bis fünf Stunden etwa 5 Lire. Diese Wohlfeilheit ist eine Folge der großen Concurrenz. Es sind ganze Familien, die sich durch Modellstehen erhalten und für diese ist der Besitz einer oder mehrerer schöner Töchter ein Capital, das sich nicht besser rentiren kann. Unternehmende Leute haben da auch besondere Modellsäle regelrecht eingerichtet und Abonnenten erhalten darin diverse Modelle, nach denen sie zeichnen oder malen können. Dann giebt es auch Modellvermittler, durch welche reiche Künstler besonders schöne Modelle beziehen können. Diese Vermittler haben durch ganz Italien Verbindung und es ist nichts Neues, daß für einen Künstler, der sich einen solchen Luxus erlauben und die Unkosten bestreiten kann, von weiter Ferne ein auserlesenes Modell nach Rom gebracht wird. Hat zuweilen ein Künstler durch Zufall irgend ein besonders werthvolles Modell entdeckt, so wird er natürlich wünschen, es zu seinem Studium ausschließlich benützen zu können; es wird ihm daran gelegen sein, es vor der anderen Künstlerwelt zu verbergen, damit es Keiner, wenigstens vor Vollendung seines Kunstwerkes, benütze. Um dies zu erreichen, ist er genöthigt, das Modell wochen-, ja monatelang ganz auszuhalten. So etwas kommt öfter vor, als man denkt. In neuerer Zeit haben sogenannte Künstlerromane und Novellen vielfach ihren Stoff aus dem persönlichen Verhältnis des Künstlers zu seinem weiblichen Modell bezogen und die eben berührten Verhältnisse mögen insbesondere die Romanschreiber beeinflußt haben, zumal auch die Klatschsucht der Nachbarsleute eines solchen mit seinem Modell haushaltenden Künstlers solche Verhältnisse mit größtmöglichster Ausschmückung an die große Glocke hing. Die Romanschreiber beginnen natürlich mit dem Studio und den liebetrunkenen Scenen in demselben und schließen entweder am User des Tiber, der seine Wellen über das arme, selbstmörderische Modell schließt, oder vor dem Altare in der Kirche, wo der Priester ein glückliches Paar einsegnet. Die Wirklichkeit ist aber in den meisten Fällen ganz prosaisch. Wir wollen nicht etwa leugnen, daß der Künstler seinem Modell gegenüber den Künstler ausgiebt, um ganz nur Mensch zu sein, da er ja wie andere Menschenkinder eben auch Fleisch und Blut hat; aber in der Regel schließt die Geschichte ganz prosaisch ab: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen." Oder auch, der Künstler geht selbst, verläßt Rom, um heimwärts zu ziehen. Dann sorgt er für sein Modell, indem er es an einen befreundeten Künstler recommandirt. Wir stehen am Schlusse. Es ist uns klar geworden, daß die ersten Künstler die Studien nach dem Leben nicht umgehen konnten. Wo ein besonders reges Kunstleben waltete, da suchten auch die Künstler, wie uns die Geschichte und auch ihre Werke bezeugen, nach Modellen, um diese als Regulativ für ihre Thätigkeit zu benützen. Wenn das Modell auch, im Verhältniß zur Kunst, nur eine untergeordnete, dienende Rolle spielt, so bleibt es doch unentbehrlich und der Berücksichtigung werth. Freilich darf der Künstler sich nicht vom Modell so beherrschen lassen, daß es in seiner Kunst aufgeht, um darin zu dominiren. Vielmehr muß er sich noch von einem anderen, erhabenen Modell leiten lassen, dem Ideal. Mag die materialistische Kunst sich dagegen wehren, so viel sie will, es bleibt doch wahr: Ein täuschend nach der Wirklichkeit ausgeführter Gegenstand ohne ideale Bedeutung ist allenfalls ein Kunststück (wie es die Traube des Apelles war), aber keine Kunst. Wozu die Anstrengung, nachdem es der photographische Apparat ebenfalls und naturtreuer zu Wege bringt? Wo aber das Ideelle ein Werk durchdrungen, da wird in demselben durch das Ideal auch das Modell gehoben und geadelt.