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Sommerweizen und Wintersonne
Biodiversität, also die Vielfalt kultivierter (aber auch wilder) Tiere und Pflanzen, ist
eines der dringendsten Themen unserer Zeit. Die Energiewende ist eine nicht weniger
dringliche Frage. Bei genauer Betrachtung wird aus zwei scheinbar getrennten Anliegen
ein gemeinsames.
Wie das 19.Jahrhundert von der Kohle, war das 20 Jahrhundert vom Erdöl geprägt. Der hohe
Aufwand für die Erschließung der Rohstoffquellen und der rasante Aufbau für die
Infrastruktur zur Förderung, Verarbeitung und Verteilung von Erdöl war nur möglich durch
hohe staatliche Subventionen. Die unersetzbare Bedeutung verfügbarer Energie für jede
Gesellschaft und große Nachfrage an Öl durch rasches Wirtschaftswachstum (oder in
Kriegszeiten für Militärmaschinerien) verschaffte so der öldominierten Energiewirtschaft
Macht- und Kapitalvorteile zur Expansion in zahlreiche weitere Wirtschaftsbereiche. So
folgte den fossilen Treib- und Brennstoffmärkten ein hochsubventionierter Massenverkehr der
Güter, aber auch die petrochemische Industrie, die ihrerseits in die Agrarmärkte vorgedrungen
ist und dort quasi ein Saatgutmonopol installiert hat.
Viele Märkte für die Landwirtschaft brachen im petrochemischen Zeitalter weg,
Industrialisierung der Produktion, Globalisierung der Agrarmärkte: Vom Saatgut über die
Treibstoffe, die Dünge- und Pflanzenschutzmittel bis hin zur Vermarktung - Die
Landwirtschaft sitzt in der Ölfalle. Und mit ihr die Biodiversität. Großindustrielle
Nahrungsmittelproduktion, globalisierte Agrarmärkte und ein zunehmend weltumspannendes
Saatgutkartell gehen zu Lasten der Vielfalt an Kulturarten und -sorten. Großindustrielle
Produktion verlangt nach einheitlicher Größe, Farbe und Geschmack und maschinenfähiger
Ernte. Viele traditionelle Sorten können diese Ansprüche nicht erfüllen und fielen so aus dem
Nutzungsprozess, häufig trotz besserer Qualität und Anpassung.
Aber Anpassung ist ohnehin kein Zuchtziel der Saatgutmonopole. Hier steht die Fähigkeit
zur Massenproduktion im Mittelpunkt, oft auf Kosten der Qualität. Globalisierte Agrarmärkte
verlangen nach zentraler Produktion und begünstigen so den Trend zur Monokultur.
Zusammen mit der Monopolisierung der Saatgutmärkte führte dies über Jahrzehnte zu einem
dramatischen Verlust an Kulturarten und -sorten. Die wirtschaftlich bedrängte Landwirtschaft
hatte dem wenig entgegen zu setzen, die Öffentlichkeit war lange Zeit mit anderen Themen
beschäftigt. Erst dem Einsatz von Organisationen wie Arche Noah und Pro Species Rara ist es
zu verdanken, dass mithilfe eines neuentstandenen Netzwerkes wenigstens Reste der
ehemaligen Vielfalt erhalten werden können. Und dies nur deshalb, weil neben der
Erwerbslandwirtschaft in der Gesellschaft immer noch viele Zellen existieren, die an
Pflanzenbau interessiert sind.
So kehrt über Haus- und Schrebergärten, sowie über den Biolandbau langsam wieder Vielfalt
auf manche Teller zurück. Doch langfristig wird es zuwenig sein, wenn man die Erhaltung
und den Neugewinn züchterischer Vielfalt ausschließlich einem engagierten Netzwerk
außerhalb der breiten Märkte überlässt. Was ist mit diesem Netzwerk in 20 oder 30 Jahren?
Was, wenn es langfristig wegen zunehmender sozialer Probleme zum Mitgliederschwund
kommt? Was, wenn in Krisenzeiten die staatlichen Mittel gestrichen werden? Diese Fragen
zeigen: Biodiversität braucht, wenn sie wirklich wieder Fuß fassen will, funktionierende
Märkte. Wie die aufgezeigte Entwicklung erkennen lässt, ist es nicht der Weltmarkt, sondern
sind es die regionalen Wirtschaftskreisläufe, die das Fundament der Vielfalt schaffen.
Hier nun klinkt sich die Forderung nach einer Energiewende ein. Einer Energiewende, die
nicht nur auf Verbrauchsreduktion setzt (diese ist unverzichtbar, aber nur begrenzt möglich,
da Nullverbrauch nicht machbar ist), sondern auf die Vollversorgung der Gesellschaft mit
erneuerbaren Energien. Gerade wenn das Potential der erneuerbaren Energien ihrem
Charakter entsprechend genutzt wird, nämlich dezentral, entfalten sie neben dem Schutz der
Atmosphäre, der Böden und Wasserkreisläufe vor petrochemischen Abfällen, sowie der
Vermeidung von Ressourcenkonflikten (siehe Irak...) eine Vielzahl an positiven lokalen
Effekten. Regionale Wirtschaftskreisläufe werden wieder gestärkt, Bauern finden neue
Märkte, die direkte Beziehung zwischen Landwirtschaft und Konsumenten kann Schritt für
Schritt wieder aktiviert werden.
Gerade die Nutzung nachwachsender Rohstoffe – früher neben der Produktion von
Nahrungsmitteln eine wichtige Säule der Landwirtschaft – befreit die Bauern aus der Ölfalle
und öffnet der Landwirtschaft das Tor zu einer breiten Ökologisierung von Produktion und
Vermarktung. Es gibt keine Garantie dafür, dass die Bauern diese Chancen zur
Ökologisierung nutzen, aber wird der Kampf für die Energiewende nicht geführt, kommt dies
einer Entsorgung der bäuerlichen Landwirtschaft gleich, an die unsere Ernährungssicherheit
und
somit
auch
die
Biodiversität
gekoppelt
ist.
Langfristig
ist
auch
aus
betriebswirtschaftlicher Sicht die Ökologisierung der effizientere Weg. Wo landwirtschaftlich
viel produziert wird, fallen viele Reststoffe an. Diese zu verwerten und damit den Humus der
Böden aufzuwerten, ist wirtschaftlicher, als Zukauf von wasserlöslichem Handelsdünger und
durch Bodenvernachlässigung nötige Pflanzenschutzmitteln. Agrarfabriken nach dem Modell
der USA schaffen weder Biodiversität noch dauerhafte Ernährungssicherheit, sondern
vernichten diese sukzessive. Die Endlichkeit der fossilen Ressourcen wird uns ohnehin zu
einem Umstieg zwingen. Die Frage ist jedoch, ob neue regionalwirtschaftliche Strukturen bis
dahin ausreichend Fuß Fassen können und wie viel an Biodiversität bis zu diesem Zeitpunkt
erhalten werden kann. Fazit: Je rascher die Energiewende kommt, umso mehr Vielfalt kann
erhalten und wieder gewonnen werden. Je größer wiederum die erhaltene Vielfalt ist, umso
kontrollierter kann die Neugestaltung der Gesellschaft im Solarzeitalter ablaufen, umso besser
können die zu erwartenden Krisen abgefedert werden.
Die Energiewende – vor allem die Erschließung der Biomassepotentiale – muss
rasch
greifen, wenn wir das Ruder für die Landwirtschaft herumreißen wollen. Denn wenn die
Landwirtschaft uns künftig wieder mit Energie und Rohstoffen versorgen soll, braucht sie Zeit
für neue Erfahrungen mit neuen Kulturen, Produktionsmethoden und Absatzwegen. Diese
Erfahrungen können nur in der Praxis gesammelt werden, also muss zügig damit begonnen
und in großen Schritten vorangegangen werden. Dass hierbei auch Irrtümer und Misserfolge
auftreten können muss und kann auch riskiert werden. Von der Allgemeinheit kann erwartet
werden, dass sie diese korrigierbaren Risiken trägt und nicht auf den Bauern ablädt. Immerhin
handelt es sich um nicht weniger, als um die Zukunft des unverzichtbarsten aller
Wirtschaftszweige. Die betreffenden Risiken sind bei regionaler Ausrichtung ohnehin
begrenzter Natur im Unterschied zu den schwer korrigierbaren Folgen der fossilen und
atomaren Umweltverseuchung. Wenn also der Einsatz für mehr Vielfalt auf unseren Tellern
langfristig erfolgreich sein soll, kann er nur über die Wiederbelebung und wirtschaftliche
Befreiung der Landwirtschaft führen. Da dies ohne regionale Marktstrukturen nicht möglich
ist, und diese ohne erneuerbare Energien nicht gewinnbar sind, führt für die Biodiversität an
einer Energiewende kein Weg vorbei.
Andreas Bogeschdorfer
Hausgärtner und Schriftsteller
www.bogeschdorfer.at.tt
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