Deliberatives Modell

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Was ist deliberative Demokratie?
Herbstsemester 2007
Elisabeth Ehrensperger
17. Oktober 2007
Habermas, Jürgen (1996), „Drei normative Modelle der Demokratie“ in: Die Einbeziehung des Anderen: Studien zur
politischen Theorie, S. 277-292.
 Gegenüberstellung des liberalen und republikanischen Verständnisses wesentlicher Aspekte einer Demokratie
In seinem Aufsatz von 1996 vergleicht Jürgen Habermas die Demokratiemodelle der liberalen und der republikanischen Demokratie. Ausgehend
von der Kritik an der ethischen Überfrachtung des republikanischen Modells entwickelt er ein eigenes Modell der deliberativen Demokratie. Der
grösste Unterschied zwischen dem liberalen und dem republikanischen Demokratieverständnis liegt in ihrer je eigenen Auffassung der Rolle des
demokratischen Prozesses. Das hat Konsequenzen im Hinblick auf die Konzepte des Staatsbürgers, des Rechtsbegriffs und der Natur des politischen
Prozesses.
Habermas nimmt die Kritik an der ethischen Überfrachtung des republikanischen Modells ernst, obwohl offensichtlich ist, dass er diesem näher
steht als dem liberalen Modell. Er nimmt Elemente beider Modelle auf und integriert diese im Begriff einer idealen Prozedur für Beratung und
Beschlussfassung: Politische Meinungs- und Willensbildung rücken ins Zentrum (republikanisches Modell), ohne dass dabei die Verfassung als
sekundär betrachtet würde (liberales Modell). Habermas definiert die Grundrechte als Voraussetzung einer Institutionalisierung der
Kommunikationsvoraussetzungen des demokratischen Diskurses. Folglich geht sein Modell einer deliberativen Demokratie nicht von der
Grundannahme einer kollektiv handlungsfähigen Bürgerschaft aus (republikanisches Modell), sondern von der Institutionalisierung von Verfahren
zur deliberativen politischen Meinungs- und Willensbildung (bspw. Beratungen im Parlament). Die in diesen Diskursen erzielte „kommunikative“
Macht soll dann in administrative Macht umgesetzt werden (bspw. institutionalisierte Wahlentscheide und legislative Beschlüsse). Damit im
Diskurs konsensfähige Ergebnisse und Meinungen entstehen, müssen einige Bedingungen bzw. Ansprüche erfüllt sein, um sich der idealen
Sprechsituation anzunähern (freie und gleichberechtigte Teilnahme Aller, freie Themenwahl der Diskutierenden, prinzipiell unbegrenzter Diskurs).
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Liberales Modell
Republikanisches Modell
Apparat, welcher auf die administrative Verwendung
politischer Macht spezialisiert und Hüter der Rechtsordnung
der Gesellschaft ist.
Staat
Staat geht aus der sittlichen Gemeinschaft hevor und garantiert
den inklusiven Meinungs- und Willensbildungsprozess.
Politik hat die Funktion der Bündelung und Durchsetzung
gesellschaftlicher Privatinteressen gegenüber dem
Staatsapparat.
Politik
Politik wird verstanden als kommunikative „Reflexionsform
eines sittlichen Lebenszusammenhangs“, welche auf Solidarität
gestützt ist. Die Politik ist das Medium der Gemeinschaft,
mittels dem sich diese als solidarische Gesellschaft konstituiert,
produziert und vor allem stetig reproduziert.
Gesellschaft ist ein System des marktwirtschaftlich
strukturierten Verkehrs von Privatpersonen und ihrer
gesellschaftlichen Arbeit.
Gesellschaft
Gesellschaft ist eine naturwüchsige Solidargemeinschaft von
Freien und Gleichen.
Der Bürger ist Träger von subjektiven Rechten, die den Schutz Konzept des Staatsbürgers
des Staates geniessen; innerhalb dieser Rechtssetzung kann er
frei handeln.
Erst durch Nutzung der politischen Teilnahme- und
Kommunikationsrechte wird die Person zu einem politisch
verantwortlichen Subjekt, zu einem Bürger.
Das Ziel der Rechtsordnung besteht primär darin, die
Rechtsbegriff
subjektiven Rechte der Bürger zu definieren. Die
Rechtsordnung ist negativ, insofern ihre Intention nicht die
Verteilung von Teilnahmerechten ist, sondern die Abgrenzung
zwischen der privaten, freien Sphäre einerseits und der
öffentlichen, staatlich kontrollierten Sphäre andererseits.
Der objektive Gehalt des liberalen Rechts besteht in Bezug auf
ein „higher law“, welches universelle Gültigkeit beansprucht.
Der objektive Gehalt des Rechts findet primäre Beachtung. Die
Gesellschaft gibt sich im demokratischen Prozess das Recht,
welches kausal abhängig von der Schicksalsgemeinschaft ist,
d.h. der Kern der Sittlichkeit wird im Recht kodifiziert. Die
Rechtssetzung garantiert gleichzeitig die entstehende
Gesellschaft.
Das Recht ist positiv, insofern seine Intention vor allem die
Vergabe von Teilnahmerechten ist.
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Der politische Prozess ist ein Kampf um Positionen und um die politischer Prozess
Verfügung administrativer Macht.
Interessenausgleich führt zu Kompromissbildung; die Regeln
der Kompromissbildung sind in den liberalen
Verfassungsgrundsätzen begründet.
Instrumentell 
Durch Kommunikation wird die Mehrheitsmeinung gebildet und
die administrative Macht verfügt.
demokratische Meinungs- und Der Meinungs- und Willensbildungsprozess ist eine ethische
Willensbildung
Selbstverständigung, gestützt auf einen inhaltlich und kulturell
eingespielten Hintergrundkonsens.

Deliberatives Modell
Dialogisch
Ideale Prozedur für Beratung und Beschlussfassung;
stellt einen internen Zusammenhang zwischen Verhandlungen,
Selbstverständigungs- und Gerechtigkeitsdiskursen her
 Vermutung von fairen und gerechten Ergebnissen
Hierarchische Trennung von Staat und Gesellschaft, welche
durch den demokratischen Prozess überbrückt werden kann.
Grundrechte und Prinzipien 
des Rechtsstaates
Verhältnis Staat und
Gesellschaft
Deliberatives Modell
Die Gesellschaft zentriert sich im Staat; denn in der politischen
Selbstbestimmungspraxis der Bürger wird das Gemeinwesen
sich seiner erst bewusst und wirkt über den kollektiven Willen
der Bürger auf sich selber ein.
 Politische Meinungs- und Willensbildung
Institutionalisierung der Kommunikationsvoraussetzungen
(damit stützt sich Deliberation nicht mehr auf tugendhafte Bürger);
informelle Meinungsbildung mündet in institutionalisierte Wahlentscheidungen und legislative
Beschlüsse, durch welche die kommunikativ erzeugte Macht in administrative, anwendbare
Macht transformiert werden kann.
Die demokratische Willensbildung legitimiert die Ausübung
politischer Macht. Die Regierung erhält damit die Lizenz für
Legitimation
Die demokratische Willensbildung konstituiert die Gesellschaft
als politisches Gemeinwesen. Die Regierung ist somit Teil einer
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sich selbst verwaltenden Gemeinschaft (gebundenes Mandat) –
und nicht Spitze einer separaten Staatsgewalt.
ein weitgehend ungebundenes Mandat.
Legitimation 
Deliberatives Modell
 Konstitution
Rationalisierung
Meinungs- und Willensbildung sind Schleusen für diskursive Rationalisierung der Entscheide;
Administrativ verfügbare Macht verbunden mit demokratischer Meinungs- und Willensbildung macht politische Macht
nicht nur nachträglich kontrollierbar, sondern auch programmierbar.
Es braucht Institutionen, die der öffentlichen Meinung Einfluss gewähren (Parteien, Referendum, Initiative).
Die Staatsgewalt wird durch den politischen Prozess vom Volk Volkssouveränität
auf die Regierung übertragen.
Das Volk ist alleiniger Träger der Souveränität, die nicht
delegiert werden kann.
Deliberatives Modell
Anonyme Volkssouveränität: kommunikativ erzeugte Macht, die den Interaktionen zwischen
rechtsstaatlich institutionalisierter Willensbildung und kulturell mobilisierter Öffentlichkeit entspringt.
Das politische System ist nicht Zentrum oder strukturprägendes Modell der Gesellschaft, sondern ein Handlungssystem neben anderen.
Diskussionspunkte
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Ist Deliberation möglich, wenn organisierte Interessen (bspw. Verbände) bereits quasi fixe Präferenzen haben?
Nicht alle Personen verfügen über gleiche rhetorische Kompetenzen. Ist unter dieser Voraussetzung Deliberation überhaupt möglich?
Ist Deliberation nur bei einem ‚neuen’ Thema, das nicht an bestehende Konzepte, Traditionen, Wertvorstellungen anschliesst, möglich?
Grundannahme der deliberativen Demokratie ist, dass Diskurs vernünftige Ergebnisse generiert. Stimmt diese Grundannahme?
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