1. Faust und die Natur

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Ⅰ. Kleinere Beiträge zur Goetheforschung
Ⅱ. Reden und Ansprachen
Ⅲ. Herkunft und Lebenslauf
Ⅳ. Publikationsliste
Ⅴ. Weltkulturerbe Regensburg
Ⅰ. Kleinere Beiträge zur Goetheforschung:
Goethes Bedeutung für die japanische Bildungstradition*
1. Bildung im japanischen Verständnis
Im Rahmen des japanisch-deutschen Kolloquiums zur „Bedeutung der Geisteswissenschaften“, das am 30. März 1996 in Kyoto von der Alexander von Humboldt-Stiftung
veranstaltet wurde, soll im folgenden ein japanischer Aspekt des nach wie vor so aktuellen
Problems von Bildung betrachtet werden. Die Frage nach Goethes Bedeutung für die
japanische Bildungstradition impliziert grundsätzlich dreierlei: den japanischen Begriff der
Bildung, die Vermittlungsweise dieser Bildung in Japan und Goethes Wirkung darauf im
geschichtlichen Verlauf. Im Deutschen ist der Unterschied zwischen Erziehung und Bildung
manchmal nicht ganz eindeutig, wie man von Schulbildung oder Bildungsanstalt spricht.
Dagegen unterscheidet man im japanischen Wortgebrauch deutlich zwischen Erziehung und
Bildung.
Erziehung
(kyoiku)
meint
die
schulische
Ausbildung
einschließlich
des
Hochschulstudiengangs, während Bildung (kyoyo) etwas Schöngeistiges, Künstlerisches, ja
Kulturelles überhaupt bedeutet, also etwas, was man über die schulische Erziehung oder
berufliche Ausbildung hinaus sich geistig an- und zueignet.1
Ein Naturwissenschaftler gilt als gebildet, wenn er musizieren oder malen kann. Ein
Sozialwissenschaftler ist gebildet, wenn er literarische Essays schreiben kann. Aber wie steht es
mit den Geisteswissenschaftlern, die sich anscheinend mit der Bildung als solcher
beschäftigen? Sind sie per se gebildet, oder müssen sie etwas anderes erstreben als ihre
Fachwissenschaft, um gebildet zu sein? Wer sich allerdings mit Goethe beschäftigt, hat
insofern seine Vorteile, als Goethe nicht nur Dichter, sondern auch Naturforscher,
Kunsthistoriker, Literaturkritiker, Philosoph, nicht zuletzt Politiker gewesen ist. Darf er sich
doch erlauben, von der Germanistik aus Grenzüberschreitungen zu verschiedenen Disziplinen
zu unternehmen, so daß er eventuell als allseitig gebildet angesehen werden könnte, wenn er
nicht gerade einem seichten Dilettantismus anheimgefallen ist. Aber ein Goetheforscher, der
sein Leben lang nur Goethe studiert und darüber hinaus nichts weiß, kann wiederum als
Fachidiot übergebildet oder sogar verbildet sein.2
Was die Vermittlung der Bildung in Japan anbelangt, so erfolgt sie speziell hinsichtlich der
Weltliteratur als des wichtigsten Bildungsmittels entweder durch die Übersetzer oder Lehrer.
Bei jenen besteht ihr Lesepublikum aus unbestimmten Gebildetenkreisen, die sich in manchen
Fällen schwer erfassen lassen. Bei diesen ist ihr Verhältnis zu den Schülern von entscheidender
Wichtigkeit und im großen und ganzen erfaßbar. Abgesehen von der bedeutsamen Rolle der
Übersetzer, kommt also vor allem dieses Schüler-Lehrer-Verhältnis in der Goetheforschung für
die japanische Bildungstradition in Betracht.
Den geschichtlichen Verlauf der Bildungstradition, die sich seit dem Anfang der Meiji-Zeit
unter der immer stärkeren Wirkung Goethes heranbildete, könnte man dabei dezennienweise
gliedern, und zwar in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Kenntnisse über
die deutsche Literatur erblicken, dann in den achtziger Jahren die Studienaufenthalte der
ersten Goethekenner in Amerika oder Europa, in den neuziger Jahren die begeisterte
Aufnahme des Werther, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die allmähliche Lektüre des
Faust und schließlich die Etablierung der japanischen Germanistik in den zwanziger Jahren
im Anschluß an die Übersetzung von Wilhelm Meisters Lehrjahren.3 Merkwürdigerweise kam
die Blütezeit der Goetheforschung in Japan erst in den dreißiger Jahren herauf.4 Diese
dezennienweisen Einzelphasen kann man aber auch vor und nach dem epochemachenden
Übersetzer Mori Ogai gliedern und folgendermaßen charakterisieren. Nach der eigentlichen
Einführung der deutschen Literatur durch ihn hat sich die literarische Jugend in Japan zuerst
für den Werther und dann für den Faust begeistert, bis die Germanisten als Fachphilologen des
deutschen Bildungsromans an den Universitäten hervortraten.5
Zur Veranschaulichung dieses Prozesses sollen zunächst die drei Bilder im Anhang dienen.
Im Jahre 1832 veröffentlichte der schottische Goetheverehrer Thomas Carlyle in „Frazers
Magazine“ einen kleinen Aufsatz „Goethes Porträt“ und setzte wie folgt ein: „Leser! Hier
siehst du das Bildnis Johann Wolfgang Goethes. So lebt und leibt jetzt in seinem 83. Jahre,
weit entfernt, in dem heiteren freundlichen kleinen Kreise zu Weimar der ‚klarste, unversellste
Mann seiner Zeit‘.“6 Es handelte sich bei diesem Bildnis um die Zeichnung von Daniel Maclise,
die auf eine Skizze Thackerrays nach dem Leben unter Benutzung des Stieler-Kopfes
zurückgeht. Des Bayerischen Hofmalers Joseph Karl Stieler Aquarell mit farbiger Kreide,
besonders sein Ölgemälde von 1828 im Besitz der Neuen Pinakothek zu München ist
weltbekannt. Die Zeichnung von Maclise, deren Wiedergabe in der Zeitschrift gänzlich
mißlungen sein und einer unfreiwilligen Karikatur geglichen haben soll, dürfte Ihnen weniger
bekannt sein. Aber noch weniger bekannt ist Ihnen sicherlich eine Goethe-Zeichnung in
Kimono und Geta, die Tadashi Kogawa, Gründer des Goethe-Gedächtnismuseums in Tokyo,
zum Goethe-Jahr 1982 entworfen hat. Nebenbei bemerkt, hat diese Zeichnung Manfred Osten
in seinem Artikel „War Goethe ein Japaner?“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.
Oktober 1987 veröffentlicht.
Was an diesen drei Bildnissen symbolisch zutage tritt, ist ein verschlungener
Wandlungsprozeß der Goethe-Rezeption von Deutschland über England und Amerika nach
Japan, auf den hier nicht eingegangen werden kann, zumal er gleichzeitig die
Wissenschaftsgeschichte der Germanistik selbst darstellt. Soll dieser rezeptionsgeschichtliche
Vorgang trotzdem in groben Zügen angedeutet werden, so läßt sich sagen, daß zuerst der
deutsche Idealismus einschließlich der Dichtung von Goethe und Schiller auf Thomas Carlyle
mit dessen Heldenverehrung stark gewirkt hat und sodann aus ihm einerseits eine
Rückwirkung auf den deutschen Kunsthistoriker Hermann Grimm und andererseits eine
Weiterwirkung auf den amerikanischen Denker Ralph Waldo Emerson hervorgegangen ist.7
2. Bildungsidee im Zuge der Goethe-Rezeption
Bekanntlich ist Hermann Grimms Goethebild, wie es in seinen Berliner Goethe-Vorlesungen
von 1874/75 großartig ausgeführt ist, richtungsweisend für die weiteren Goethe-Auffassungen
in Deutschland geworden. Das bedeutet, daß auch die Goethe-Rezeption in Japan indirekt
mehr oder weniger unter seinem Einfluß gestanden hat, soweit sie seit Mori Ogai unmittelbar
auf dem Weg der deutschen Germanistik erfolgt ist. Vor Mori Ogai, der in den Jahren 1884-88
in Deutschland als Hauptfach Medizin studierte, hatten die japanischen Literaturkritiker ihre
Kenntnisse über Goethe vor allem aus den damals bekannten zwei Werken entnommen:
August Friedrich Vilmar, Geschichte der Deutschen National-Litteratur (Marburg / Leipzig
1845) sowie Robert Koenig, Deutsche Literaturgeschichte 2 Bde. (Bielefeld/Leipzig 1879).
Vilmars Literaturgeschichte war allerdings in erster Linie „der durchgeführte Gedanke von
der Größe und Herrlichkeit der mittelalterlichen epischen Volksdichtung, mit ihrer Ehre und
Treue bis in den Tod […] es ist ferner die aufrichtige schöne Gerechtigkeit, mit der die Dichter
der neueren Zeit nach ihrem nationalen Gehalte gewürdigt wurden.“8 Und Robert Koenig
hatte vor, „ein anschauliches, wenn auch nicht erschöpfendes Bild des Entwickelunganges
unserer deutschen Dichtung im Rahmen unserer ganzen Kultur darzubieten“.9
Mori Ogai war freilich noch kein Germanist im eigentlichen Sinne. Mehr literaturkritisch
als philologisch eingestellt, hatte er viele zeitgenössische Werke aus der deutschen Literatur ins
Japanische übersetzt, bevor er 1913 dem japanischen Lesepublikum die erste Gesamtübersetzung von Goethes Faust zusammen mit den gesondert erschienenen Auszügen von
Albert Bielschowskys Goethe-Biographie und Kuno Fischers Faust-Studien vorlegte. Obwohl
die ersten japanischen Übersetzungen sowohl von dem Werther-Roman als auch von dem
ersten Teil des Faust bereits 1904 erschienen waren, erwiesen sie sich sprachlich als steif und
kaum genießbar. So waren denn auch die jungen Dichter und Schriftsteller der Meiji-Zeit
weitgehend auf die englischen Übersetzungen angewiesen, wie z.B. The Sorrows of Werter
(1892) in Cassell’s National Library, Faust. A Tragedy (1871) in der Übersetzung von Bayard
Taylor oder Wilhelm Meister’s Apprenticeship (1824) in der Übersetzung von Thomas Carlyle.
Carlyles englische Übersetzung von Wilhelm Meisters Wanderjahren (1827) scheint in Japan
keine nennenswerte Beachtung gefunden zu haben, weil sie auf der ersten Fassung des noch
nicht vollendeten Werkes beruhte. Als Vorgeschichte der japanischen Goethe-Rezeption gilt es
jedoch diese literarhistorischen Zusammenhänge auf dem Weg über England und Amerika
eingehender zu untersuchen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, daß die literarisch
interessierte japanische Jugend frühzeitig nicht nur vom Werther als dem befreienden
romantischen Liebesroman, sondern auch vom Wilhelm Meister als dem deutschen
Bildungsroman sehr angetan war.
Die Germanistik als akademische Disziplin in Japan nahm ihren Anfang, als im Jahre 1893
der Lehrstuhl dafür an der Kaiserlichen Universität zu Tokyo eingerichtet wurde. Da aber die
Lehrkräfte dort jahrelang vorwiegend durch deutsche Professoren wie Karl Florenz, Joseph
Dahlmann SJ u.a.m. vertreten waren, würde man die institutionell etablierte japanische
Germanistik erst mit Teisuke Fujishiro ansetzen, der im Jahre 1907 als der erste japanische
Lehrstuhlinhaber der Germanistik an die zehn Jahre zuvor gegründete Kaiserliche Universität
zu Kyoto berufen wurde. Hier eröffnete er mit seinen Kollegen und Schülern eine
Übersetzungsreihe mit der Klassikern der deutschen Literatur und trug sich mit dem
Gedanken, den ganzen Faust selbst ins Japanische zu übertragen, bis der frühe Tod ihn daran
hinderte. In der Reihe fand übrigens die erste japanische Übersetzung von Wilhelm Meisters
Lehrjahren Aufnahme, die 1920 erschienen war, deren Druckvorlage aber durch das große
Erdbeben im Kanto-Gebiet vernichtet wurde. Goethes Bildungsroman, auf japanisch zunächst
„kyoyoteki shosetsu“ oder „shuyo shosetsu“ genannt, wurde auf diese Weise relativ spät dem
japanischen Lesepublikum zugänglich gemacht, während Mori Ogais Faust-Übersetzung
durch die Aufnahme in die Iwanami-Taschenbuchreihe im Jahre 1928 unter den japanischen
Gebildeten immer populärer geworden ist.
Die führende Rolle Kyotos in der damaligen Germanistik zeigt sich unverkennbar darin,
daß die Goethe-Gesellschaft in Japan im Jahre 1931, also ein Jahr vor der Säkularfeier
Goethes, nicht in Tokyo, sondern in Kyoto gegründet wurde, wenngleich Shokichi Aoki,
Professor an der Kaiserlichen Universität zu Tokyo, zum ersten Präsidenten gewählt worden
war. Vizepräsident wurde natürlich Kiyoshi Naruse, Professor an der Kaiserlichen Universität
zu Kyoto, der das japanische Übersetzungswort für „Sturm und Drang“ ein für allemal
geprägt hat, und der junge Dozent Toshio Yukiyama in Kyoto, der später als erster das
Nibelungenlied aus dem Mittelhochdeutschen ins Japanische übersetzen sollte, zum
geschäftsführenden Vorstandsmitglied ernannt. Kiyoshi Naruse löste nach einigen Jahren den
erkrankten Präsidenten Shokichi Aoki ab und wechselte nach dem Krieg zur Keio-Universität
in Tokyo über. Es kommt daher, daß die Goethe-Gesellschaft in Japan im Jahre 1958 nicht in
Kyoto, sondern in Tokyo durch Professor Morio Sagara wiederaufgebaut worden ist.
Schon der 1. Band des Japanischen Goethe-Jahrbuchs zur Hundertjahrfeier 1932 stellt in
Umfang und Vielfalt der Thematik einen Gipfel der bisherigen Goetheforschung in Japan dar.
Versucht er doch mit dem ehrwürdigen Ölgemälde Stielers als Titelbild, „Goethes geistiges
Bild im großen und ganzen“ zu demonstrieren, wie es im Nachwort des Redaktionskomitees
heißt, und der Schriftleiter bewundert angesichts der Vielzahl der beigesteuerten Aufsätze den
inspirierenden Genius Goethe, der „das Weltall übersteigt und es doch umfaßt“. In der Tat
kommt darin das Weltbürgertum Goethes hervor, das die japanischen Gebildeten seit ihrer
geistigen Begegnung mit diesem deutschen Dichter anzog. Es schreiben nämlich renommierte
Autoren verschiedenster Provenienz – außer den Germanisten von Philosophen bis zu
Naturwissenschaftlern – über die Themen, die sämtlich das facettenreiche Wesen des
Universalisten zu beleuchten suchen.
Zur Sprache gelangen da der Reihe nach Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre,
Goethe als Naturwissenschaftler, sein Verhältnis zur platonischen Liebe, Botanik, Erziehung
sowie Musik, Erläuterungen über seine Lyrik und sein Konzept der Weltliteratur. Ihnen folgt
der durch die deutsche Übersetzung Robert Schinzingers berühmt gewordene Aufsatz von
Kitaro Nishida „Der (metaphysische) Hintergrund Goethes“.10 Es befinden sich sodann
Aufsätze über den West-östlichen Divan, die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller, die
zwei Seelen im Faust, Goethes Verhältnis zu Asien, Religionen, Märchen sowie
Kunstgeschichte. Zum Abschluß werden noch Probleme von Goethe-Biographie, Goethes
Iphigenie, sowie Goethes Beschäftigung mit Kant aufgegriffen. Außerdem sind auch deutsche
Professoren bzw. Lektoren wie Erwin Jahn, Erwin Meyenburg, Anna Miura, Johannes Müller
SJ jeweils mit Beiträgen über Heines Goetheporträt, Goethes Novelle Der Mann von funfzig
Jahren, die Hauptdramen Goethes und die Goethische Prosaepik vertreten, so daß jeder
Goethefreund sich für sein Spezialinteresse persönlich angesprochen fühlen konnte.
Wenn man das alles als Aspekte der Selbstbildung bei Goethe auffaßt, so stößt man ohne
weiteres auf eine Bildungsidee, die sich zugleich als Ideal für die akademische Jugend in Japan
auswirken mußte. Wie daraus deutlich hervorgeht, daß ein Aufsatz über Wilhelm Meisters
Lehrjahre vorangestellt wurde, war Goethe im Laufe der Taisho-Zeit vom weltschmerzlichen
Dichter des Werther zum Repräsentanten des bürgerlichen Zeitalters avanciert und hat die
japanische Bildungstradition wesentlich mitgestaltet. Denn der Bildungsweg von Wilhelm, den
man im allgemeinen mit Faust als Goethes Doppelgänger betrachtet, ist dadurch gekennzeichnet, daß er in der Jugend Zeit genug hatte, sich in Liebe und Liebhaberei zu verirren, um
dann schließlich vom bürgerlichen Kaufmannssohn zu einem Geistesadel im Wohlstand
erhoben zu werden. Das entsprach ohne Zweifel der Lebens- und Denkweise vieler
Oberschüler der alten Kotogakko, die bekanntlich nach dem deutschen Gymnasium
ausgerichtet war, und vieler Studenten an den Universitäten der Vorkriegszeit, die als geistige
Elite eine gute Aussicht und Chancen genug hatten, überall in der Gesellschaft eine Karriere
zu machen. Daß man der deutschen Sprache mächtig ist, war überhaupt die Voraussetzung
aller Bildung, galt ja manchmal sogar als Bildung schlechthin. Leider ist es heute nicht mehr
der Fall.
3. Anglo-amerikanisches Ideal von Humanities
Aber daß die Bildung als solche in Japan noch immer hochgeachtet wird, geht meiner
Meinung nach ebenfalls auf die anglo-amerikanische Bildungstradition zurück, in der MeijiZeit insbesondere auf den Einluß eines Carlyle, Emerson oder Matthew Arnold, die alle
Goethe zugetan waren, und in der Nachkriegszeit auf das allgemeinbildende Curriculum, das
nach dem ursprünglich mittelalterlich-europäischen, heute aber faktisch amerikanischen
Modell von liberal arts bzw. Humanities landesweit in die japanischen Universitäten
eingeführt worden ist. Da diese Stufe der Bildung traditionsgemäß in Deutschland bereits im
humanistischen Gymnasium absolviert wird, hat die deutsche Universität mit ihren hohen
Ansprüchen auf Forschung und Lehre nach dem Krieg nicht so sehr als Modell für das
japanische Bildungswesen dienen können.
Hier liegt im übrigen ein kulturpolitisches Problem für die Bundesrepublik Deutschland,
wenn deutsche Hochschulen für Ausländer, also auch für die japanischen Studenten in der
Undergraduate school, attraktiver gemacht werden wollen, wie Bundesaußenminister Klaus
Kinkel neulich in einer Weimarer Rede hervorgehoben hat.11 Die größte Schwierigkeit für die
Anpassung an das deutsche Hochschulwesen besteht m.E. darin, daß man in Deutschland
normalerweise mit neunzehn Jahren Abitur macht und grundsätzlich nur die staatlichen
Universitäten zu besuchen hat, deren Studium nicht nach dem amerikanischen EinheitenSystem, sondern mit einem erfolgreichen Staatsexamen oder durch den Erwerb eines
Magister- bzw. Doktorgrades abgeschlossen werden kann. Das Staatsexamen kommt jedoch
für ausländische Studenten gar nicht in Frage. Außerdem ist das Hochschulstudium in
Deutschland gebührenfrei, so daß ein Studentenaustausch mit den japanischen Universitäten
mit hohen Studiengebühren finanztechnisch sehr schwierig ist.
Es ist nun in Kunst und Wissenschaft der Lehrer, der das Wissen tradiert. So verhält es
sich auch in der Bildungstradition. Die meisten Hochschullehrer in Japan sind bis vor kurzem
entweder selbst in der Bildungstradition der alten Kotogakko geistig aufgewachsen oder noch
von traditionsgebundenen Lehrern ausgebildet worden. In dieser wissenschaftlichen
Atmosphäre war Goethe mit seiner ästhetisch-ethischen Einstellung und seiner politisch
konservativen Haltung mit dem althergebrachten Konfuzianismus gut vereinbar. Worte aus
Konfutses Lun Yü waren den japanischen Oberschülern und Studenten noch ebenso geläufig
wie seinerzeit Bibelzitate oder Eckermanns Gespräche mit Goethe den deutschen Gebildeten.
Wer von Ihnen kennt nicht den Spruch von Konfutse „Lernen und fortwährend üben: Ist das
denn nicht befriedigend? Freunde haben, die aus fernen Gegenden kommen: Ist das nicht
auch fröhlich?“ oder einen anderen wie „Lernen und nicht denken ist nichtig. Denken und
nicht lernen ist ermüdend.“?12 Es ist wie wenn man in Goethes Maximen und Reflexionen läse
oder an Kant erinnert würde, der gesagt hat: „Erfahrung ohne Begriffe ist blind, Begriffe
ohne Erfahrung sind leer.“
Konfutse hatte zwar in Laotse, dem Begründer des Taoismus, seinen Gegner, und Goethe
hatte in Ludwig Börne, Heinrich Heine oder Wolfgang Menzel seine Kritiker, und es war gut
so. Fochte doch Goethe selbst mit Schiller in den Xenien eine literarische Fehde aus. Wer sich
aber nach Herman Grimm mit Goethe beschäftigt, ist ständig mit der Gefahr konfrontiert,
einem prekären Goethekult zu verfallen und somit zur Kritiklosigkeit gegen Goethe verurteilt
zu werden. Einer solchen Gefahr vorzubeugen wäre eigentlich die pädagogische Aufgabe eines
einsichtigen Lehrers gegenüber seinen Schülern. Schlimm ist nur, wenn der Lehrer selbst dem
Goethekult verfällt und angeblich daran als einer geheiligten Bildungstradition festhalten will.
In den dreißiger Jahren wirkte sich besonders die nationalistisch übersteigerte Faust-Ideologie
auch in Japan verhängnisvoll aus, da man den Universalisten Goethe mehr oder weniger
bewußt auf den deutschen Faust-Mythos hin interpretierte.
Symptomatisch erscheint daher im nachhinein, daß im 1. Band des Japanischen GoetheJahrbuchs ein Blatt aus Goethes biographischem Schema zu Dichtung und Wahrheit in
getreuer Nachbildung seiner Handschrift wiedergegeben war. Durch Umstellung der Zeilen
auf Grund eines Hakens lautet der Text wie folgt: „Ausbreitung der französischen / Sprache u.
Cultur / Ursachen früher / in der Dipl. An der Stelle der lateinischen / allgemeine
Communicale / Aufhebung der deutschen / Dialekte / Zusammendrängen der deutschen /
Expansion der letzteren.“ Die letzten zwei Zeilen, die sich ursprünglich auf die ersten zwei
Zeilen bezogen, lassen sich so lesen: Zusammendrängen der deutschen Sprache u. Cultur /
Expansion der letzteren, d.h. deutschen Sprache u. Cultur. Der Text deutet auf eine literaturgeschichtliche Konstellation in der Sturm- und Drang-Periode, und man kann nichts dagegen
sagen, daß Herder gegen Gottscheds rationalistische Literaturtheorie auftrat und Shakespeare
gegen die französische Literatur ausspielte.13 Durch Herders Anregungen begeistert, hat auch
der junge Goethe das Straßburger Münster im gotischen Baustil anachronistisch als deutsche
Baukunst gepriesen, wiewohl es an sich nur Ausdruck seiner neuen Kunstanschauung war.
Aber bald nach der Gründung der Goethe-Gesellschaft in Japan sollte Goethes
Weltbürgertum zu einem nationalistisch gefärbten Goethekult verengt werden, indem nun
Faust für das Menschenbild Goethes in der Showa-Zeit bestimmend geworden und Wilhelm
Meister, insbesondere Wanderjahre mit der Pädagogischen Provinz, für Goethes Gesellschaftsund Religionslehre in Anspruch genommen worden ist. Derjenige Hochschullehrer, der dazu
in entscheidender Weise Vorschub geleistet hat, war Kinji Kimura, der Nachfolger von
Shokichi Aoki auf dem Lehrstuhl der Germanistik an der Kaiserlichen Universität zu Tokyo.
Da der Goetheforscher einen tüchtigen Schülerkreis gehabt und als der bedeutendste
Multiplikator wieder eine Anzahl neue Goetheforscher ausgebildet hat, war sein geistiger
Einfluß von großer Tragweite, dessen Auswirkungen heute noch zu spüren sind.
4. Die deutsche humanistische Tradition
Es wäre absurd zu sagen, durch die völkische Literaturwissenschaft eines Walther Linden sei
auch die japanische Germanistik gleichgeschaltet worden. Wie in Deutschland gab es unter
den japanischen Goetheforschern, die im Laufe der dreißiger Jahre eine führende Rolle in der
Germanistik spielten, opportunistische Mitläufer, Lehrstuhlinhaber, die nachträglich in die
nationalsozialistische Kulturpolitik verwickelt wurden, und Hochschullehrer, die in eine
innere Emigration gingen. Am Scheidepunkt stand in dieser Hinsicht das 1932 vom JapanischDeutschen Kultur-Institut Tokyo herausgegebene Heft „Japanisch-deutscher Geistesaustausch“ Nr. 4 mit dem Titel Goethe-Studien. Das Heft enthielt vier deutsche Beiträge:
Thomas Mann, An die japanische Jugend, Fritz Strich, Goethe und unsere Zeit, Erwin Jahn,
Goethe und Asien, Walter Donat, Goethes Vermächtnis in der Gegenwart.
Wie im Vorwort bemerkt, war es das erstemal, daß ein deutscher Schriftsteller von dem
Rufe eines Thomas Mann sich unmittelbar an die Leserwelt Japans wandte, und die
Gesprächsstelle mit Eckermann, an die er sofort anknüpfen wollte, war Goethes bekannte
Aussage über die Weltliteratur als Gemeingut der Menschheit: „An diese Worte des
majestätischen, aus kernigstem Deutschtum in überschauende Größe emporgewachsenen
Greises muß ich denken, da mir der ehrenvolle und rührende Auftrag zuteil wird, der
ostasiatischen Festpublikation zu hundertstem Tage, diesem seinem Leben und Werk
gewidmeten Sammelwerk hervorragender japanischer Gelehrter ein deutsches Vorwort zu
schreiben, es mit einem Gruß aus dem Geburtslande des Gefeierten zu versehen.
Weltliteratur!“14 Schon damals warnte Thomas Mann vor den „Provinzlern des Geistes“, die
die naheliegende Gefahr der Verwechselung des Weltfähig-Weltgültigen mit dem nur
Weltläufigen, einem minderen internationalen Gebrauchsgut, mit Vorliebe zur nationalen
Diskreditierung allgemein anerkannter Leistungen ausnützen: „Geflissentlich nennen sie den
echten und den wohlfeilen Weltruhm in einem Atem und meinen so das Mehr-als-Nationale
zugleich mit dem Unter- und Zwischennationalen zu verunglimpfen.“15
Nach Thomas Mann war Goethes Kosmopolitismus „klassische Vorform dessen, was durch
einen späteren Weltdeutschen, Nietzsche, den Namen des ‚guten Europäertums‘ erhalten
hat.“ Wie vorhin erwähnt, legt Goethes vorwegnehmendes gutes Europäertum in seinem
Verhältnis zu Carlyle und Emerson ein beredtes Zeugnis ab und erweitert sich zu einem
weltumfassenden Kosmopolitismus, indem es durch ihre Vermittlung zunächst in Japan
rezipiert und dann vorerst über Japan nach Korea und China getragen worden ist. Thomas
Carlyles Hauptwerke, somit auch seine Briefe an Goethe und Goethe-Essays sind schon lange
ins Japanische übersetzt und haben noch vor Mori Ogai den japanischen Gebildeten ein nicht
auf Faust, sondern auf Wilhelm Meister beruhendes Goethebild vermittelt. Da die beiden
protestantischen Denker der Meiji-Zeit, Kanzo Uchimura und Inazo Nitobe, geistig bei ihm in
die Schule gingen, wurde es durch ihre erzieherische Tätigkeit in ganz Japan verbreitet und
übte über den engeren Germanistenkreis hinaus einen nachhaltigen Einfluß aus. Dagegen
erwies sich Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften aus verständlichen Gründen als wenig
einflußreich.
Neben Carlyle war es der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson, der eine
ähnliche Rolle bei der Goethe-Rezeption in Japan gespielt hat. In seinem populärsten Buch
Vertreter der Menschheit widmet er sein letztes Kapitel Goethe dem Schriftsteller, das
wiederum ein etwas anderes Goethebild vermittelt hat als das später durch die deutschen
Goetheforscher beschworene mythische Goethebild. Ohne etwa den Genie-Gedanken
geistesgeschichtlich auszumalen, schreibt Emerson z.B. schlicht essayistisch: „Goethe kam in
eine überzivilisierte Zeit und in ein überzivilisiertes Land, wo ursprüngliches Talent unter der
Bürde von Büchern und mechanischen Hilfsmitteln und unter der verwirrenden
Mannigfaltigkeit von Be-strebungen zu Boden gedrückt wurde. Da war er es, der die
Menschen lehrte mit diesem bergehohen Mischmasch fertig zu werden und ihn sich sogar
dienstbar zu machen.“16 Angesichts der inzwischen uferlos gewordenen Goethe-Fachliteratur
ist ein solcher Schreibstil wohl zu beherzigen, um den Dichter den heutigen Menschen in Ost
und West wieder näher zu bringen.
Ansonsten möchte ich noch auf eine merkwürdige Tatsache aufmerksam machen. Es
scheint mir, daß Goethe in den dreißiger Jahren als Bollwerk gegen das Eindringen des
Marxismus unter den japanischen Studenten mißbraucht worden ist. Wie Sie alle wissen, kam
das „Abkommen über die kulturelle Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und
Japan“ im November 1938 zustande. Voraus ging der Abschluß des Antikominternpakts im
Jahre 1936, der eindeutig politische Konsequenzen aus den schon in den zwanziger Jahren
erfolgten Auseinandersetzungen mit den japanischen Marxisten bedeutete.17 Obwohl der
Marxismus wie in der ehemaligen DDR nicht unbedingt mit Goethes Gedankengut
unvereinbar ist, kam in jenen Jahren eine mehr oder scharfe Goethe-Kritik fast immer aus
dem sozialistischen Lager, während Goethe in den konservativ-humanistischen Kreisen immer
mehr zum Dichterfürsten emporstilisiert und als Dichter des Faust gefeiert wurde. Als die
kommunistische Bewegung 1928 / 29 in zwei Verhaftungswellen zerschlagen wurde, hat es
daher für sozialistische Intellektuelle anscheinend nur die Alternative gegeben zwischen Karl
Marx oder Goethe. Ein Beispiel dafür ist Katsuichiro Kamei. Nach seinem politischen
Gesinnungswechsel hat der bekannte Schriftsteller sich einer intensiven Beschäftigung mit
Goethe zugewandt und seinen inneren Konflikt in dem Buch Menschenbildung, faktisch einem
Sammelband seiner Goethe-Aufsätze, anschaulich geschildert.
Auf der anderen Seite erinnert sich der große Goetheforscher Kinji Kimura im Vorwort
seiner im Dezember 1938 erschienenen umfangreichen Aufsatz-Sammlung Goethe mit
Genugtuung daran, wie er damals zu einer neuen Goethe-Auffassung kam: „Der Grund,
warum mein Augenmerk in den Jahren der Säkularfeier vor allem auf die beiden Werke Faust
und – vorwiegend – Wilhelm Meisters Wanderjahre gerichtet wurde, geht auf die Zeitumstände
zurück. Gegen Ende der Taisho-Zeit und Anfang der Showa-Zeit war die materialistische
Tendenz stark bemerkbar, und es schien, als ob in erster Linie der Marxismus das leitende
Prinzip für die japanische Jugend darstellte. Wer diesem Gedanken nicht huldigen wollte,
wurde als unzeitgemäß verachtet, und man dachte in weiten Kreisen, es gäbe keine anderen
Gedanken, die einem eine geistige Nahrung gewähren würden, oder denen man sich hingeben
könnte. In einer solchen Zeit war ich von meinem Standpunkt aus überzeugt, daß gerade
Goethes Gedanken, die die religiöse Ehrfurcht zur Grundlage der Gesellschaft machen, die
mächtigsten Gegenmittel gegen den Egoismus mit dessen Betonung materialistischer
Ansprüche sein könnten.“
Die Goetheforschung war also bei Kinji Kimura nicht nur eine wissenschaftliche
Angelegenheit, sondern auch als Protest gegen den Zeitgeist gedacht. Wörtlich schrieb er
hinzu, er hätte es als eine „Pflichterfüllung“ eines mit der Jugenderziehung Beauftragten
betrachtet. Wenn jemand als Hochschullehrer mit gutem Gewissen seine pädagogische Pflicht
erfüllen will, muß man es subjektiv respektieren. Aber objektiv kann er irren und damit seine
gut gemeinte Absicht verfehlen, auch wenn er ein noch so großer Gelehrter ist wie Kinji
Kimura. Hier fällt mir allerdings ein Bibelwort ein: „Mit dem Maße, mit dem ihr meßt, wird
euch auch gemessen werden.“ (Mt. 7,2) Wenn man selber Goetheforscher ist und die akademische Jugend von heute zu erziehen hat, trägt man offentsichtlich die Verantwortung dafür, an
der japanischen Bildungstradition nach Kräften und kreativ mitzuwirken, damit sie sich in die
rasch wandelnde Zukunft hin fruchtbar entwickelt. In dem Gedicht „Eins und Alles“ hatte
doch Goethe gesagt:
„Denn alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will.“18
Und in dem Gedicht „Vermächtnis“ heißt es weiter: „Was fruchtbar ist, allein ist wahr.“19 Aus
dem Kontext losgelöst, wurde der Vers gewiß in den dreißiger Jahren viel mißbraucht. Aber
die Voraussetzung dafür war, daß der Verstand einen wach erhält und die Vernunft überall
zugegen ist, bevor man den Sinnen traut. Dann erweist sich allein was wahr ist, als wirklich
fruchtbar. Was dabei unter den japanischen Gebildeten als wahr gilt, bezieht sich nicht so sehr
auf die Religion wie im christlichen Abendland, sondern vielmehr auf Kunst und Wissenschaft.
Vom alten Goethe stammt ein Gedicht, das genau ihre Mentalität ausspricht:
„Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.“20
Goethes Bedeutung für die japanische Bildungstradition wird in diesem Sinne noch lange
lebendig bleiben, solange das Ideal der ganzheitlichen Menschenbildung in Wissenschaft und
Kunst an den japanischen Hochschulen aufrecht erhalten wird.
Anmerkungen
* Eine unveränderte Fassung meines Beitrags zu: Sprache, Literatur und Kommunikation im
kulturellen Wandel. Festschrift für Eijiro Iwasaki anläßlich seines 75. Geburtstags, hrsg. von
Tozo Hayakawa, Takashi Sengoku, Naoji Kimura und Kozo Hirao. Dogakusha Verlag. Tokyo
1997.
1 Das japanische Wort „kyoyo“ deckt sich nur teilweise mit dem umfangreichen
Bedeutungsgehalt der Bildung bei Goethe. Somit läßt sich auch der japanische Begriff von
„kyoyoshugi“ nicht mit „Bildungstradition“ angemessen wiedergeben.
2 Damit hängt die ganze Problematik des Bildungsphilisters bzw. des Bildungsbürgertums
zusammen, die aber hier nicht weiter erörtert werden kann. Vgl. Aleida Assmann: Arbeit am
nationalen Gedächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee. Frankfurt/Main
1993.
3 Vgl. Yoshio Koshina (Hrsg.): Deutsche Sprache und Literatur in Japan. Ein geschichtlicher
Rückblick. Ausstellungskatalog zum IVG-Kongreß in Tokyo. Tokyo 1990.
4 Näheres vgl. Naoji Kimura: Rezeption ‚heroischer‘ deutscher Literatur in Japan 1933--45.
In: Formierung und Fall der Achse Berlin--Tokyo. Monographien aus dem Deutschen Institut
für Japanstudien der Philipp-Franz-von-Siebold-Stiftung. Bd. 8, hrsg. von Gerhard Krebs und
Bernd Martin. München 1994, S. 129-151.
5 Näheres vgl. Naoji Kimura: Die japanische Germanistik im Überblick. In: Jahrbuch für
internationale Germanistk. Jg.XX/Heft 1. Bern 1989, S. 138-154.
6 Goethes Briefwechsel mit Thomas Carlyle. Hrsg. von Georg Hecht, Dachau 1913, S. 133.
Vgl. ferner Thomas Carlyle: Goethe. Carlyle’s Goetheportraet nachgezeichnet von Samuel
Saenger. Berlin 1907.
7 Vgl. Naoji Kimura: Carlyle als Vermittler Goethes in Japan. In: Symposium „Goethe und
die Weltkultur“, Veröffentlichungen des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin, Bd. 15. Berlin
1993, S. 72-82.
8 A.F.C. Vilmar: Geschichte der Deutschen National-Litteratur, 23. Vermehrte Auflage.
Marburg und Leipzig 1890. Vorwort zur einundzwanzigsten Auflage von Karl Goedeke, S. VII.
9 Rob. Koenig: Deutsche Literaturgeschichte. 10., mit der 9. Auflage gleichlautende Auflage.
Bielefeld und Leipzig 1880. Vorwort zur ersten Auflage.
10 Vgl. Kitaro Nishida: Der metaphysische Hintergrund Goethes. In: Viermonatsschrift der
Goethe-Gesellschaft, 3. Bd., Weimar 1938, S. 135-144.
11 Vgl. den Artikel „Das Markenzeichen Kultur“ in der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom
23.3.1996. Vgl. ferner Naoji Kimura: Goethe auf den Schild heben. Deutsche Kulturpolitik aus
japanischer Perspektive. In: Joachim Sartorius (Hrsg.): In dieser Armut – welche Fülle!
Wallstein Verlag. Göttingen 1996, S. 130-135.
12 Beide Zitate in der Übersetzung von Richard Wilhelm: Kungfutse / Gespräche (Lun Yü).
Düsseldorf-Köln 1955, S. 37 u. S. 45.
13
Aus
der
ursprünglich
literarischen
Bewegung
wurde
freilich
eine
immer
nationalistischere Bewegung. Vgl. Wilhelm Scherer: Die deutsche Literaturrevolution. In:
Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Oesterreich.
Berlin 1874.
14 Heute unter dem Titel „Eine Goethe-Studie“. Vgl. Thomas Mann: Goethe’s Laufbahn als
Schriftsteller. Zwölf Essays und Reden. Fischer Taschenbuch. Frankfurt/Main 1982, S. 181.
15 Ebd., S. 184.
16 Ralph Waldo Emerson: Vertreter der Menschheit. 2. Aufl. Jena 1905, S. 243.
17. Vgl. Taeko Matsushita: Rezeption der Literatur des Dritten Reichs im Rahmen der
kulturspezifischen und kulturpolitischen Bedingungen Japans 1933—1945. Saarbrücken/Fort
Landerdale 1989.
18 Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 1, S. 369.
19 Ebd., S. 370.
20 Ebd., S. 367.
Das Goethebild der Japaner
1. Deutsche Klassiker unter den Japanern
Als zentrales Thema des Essener Diskussionsabends „Goethe und die Deutschen - ein Blick
nacn außen“, das am 12. Januar 2004 im Kulturwissenschaftlichen Institut am Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen stattfand, ist mir die Frage nach dem Deutschlandbild
gestellt worden, das die heutige Rezeption der deutschen Klassiker, vor allem von Goethe,
vermittelt. Da hieß es u.a.: Inwieweit gibt es in den einzelnen Kulturen überhaupt noch eine
Klassikerrezeption, die Weltbilder, Bilder von Nationen und Zivilisationen beeinflußt? Als der
amerikanische Germanist Wolfgang Leppmann frühzeitig sein Buch Goethe und die Deutschen.
Vom Nachruhm eines Dichters (W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1962) veröffentslichte,
scheint noch die Bezeichnung „Klassik“, „klassisch“ oder „Klasiker“ allgemein unumstritten
gewesen zu sein, wenngleich bereits im Jahre 1929 vom „Klassikertod“ die Rede war. (Vgl.
Bertolt Brecht und Herbert Jhering: Gespräch über Klassiker. In: Karl R. Mandelkow,
Goethe im Urteil seiner Kritiker. Teil IV 1918-1982. Verlag C.H.Beck. München 1984. S. 9498) Vgl. ansonsten Bernd Witte: Goethe und die Deutschen (Diskussion). In: Sprache und
Literatur in Wissenschaft und Literatur. 83-1999. S. 73-89.
Literaturwissenschaftlich gibt es aber entsprechend der Kunstgeschichte einen nahverwandten Begriff von Klassizismus, klassizistisch oder Klassizität. Deshalb möchte ich
zunächst mein Verständnis der deutschen Klassiker etwas präzisieren, wiewohl es auch banal
klingen mag. Goethe selbst stellte sich wohl erstmals in seinem Aufsatz „Literarischer
Sansculottismus“ die Frage nach dem klassischen Autor bzw. Werk (Goethes Werke. HA. Bd.
12, S. 24). Unter „Klassikern“ verstehe ich heuristisch im Anschluß daran mustergültige
Autoren vornehmlich auf den Bereichen der Philosophie und Literatur, obwohl die Sache
nicht so einfach ist. Noch voriges Jahr haben Gerhard Schulz und Sabine Doering, die ich von
Regensburg her gut kenne, in der Beck’schen Reihe ein Büchlein Klassik. Geschichte und
Begriff publiziert. Einige Jahre zuvor hatte Gerhard Schulz auch in seinem anderen Buch ein
Kapitel “Goethe und seine Deutschen. Über die Schwierigkeiten, ein Klassiker zu sein”
geschrieben (Gerhard Schulz: Exotik der Gefühle. Goethe und seine Deutschen. Verlag C.H.
Beck. München 1998). Bei der Unbestimmtheit des Begriffs spricht man in der Tat von
Klassikern der Philosophie, Theologie, Medizin oder sogar Meditation. Aber bei dieser
Essener Diskussion beschränke ich mich grundsätzlich auf die Klassiker der deutschen
Literatur, die im 18. Jahrhundert im literaturgeschichtlichen Sinne in Weimar gelebt haben,
also Wieland, Herder, Goethe und Schiller.
Es war Hermann Grimm, der darauf hinwies, daß man Goethe prinzipiell nach einem
zwischen Objekt und Subjekt vermittelnden Bild erkennt. So sagt er in seinen berühmten
Berliner Goethe-Vorlesungen (1874/75): „Was unseren Blicken an Goethe fremd zu werden
anfing, war nicht er selbst, sondern nur das mit seinem Namen genanne Bild, welches die letzte
Generation sich von ihm geformt hatte. Eine neue Zeit beginnt, die sich ihr eignes Bild
Goethe’s von Frischem schaffen muß. Sie stürzt das alte, ihn selber aber berührt
Niemand.“ (Hermann Grimm: Goethe. Vorlesungen gehalten an der Kgl. Universität zu Berlin.
Achte Aufl. Stuttgart und Berlin 1903. Erster Band, S. 7). Zu den Zeiten der Reichsgründung
nahm er einen anderen Standpunkt als früher ein und entwarf sein eigenes Goethebild für das
deutsche Volk. Denn er meinte, die Veränderung des Standpunktes ergebe sich aus der
veränderten Stellung, die man damals zu aller historischen Betrachtung überhaupt in
Deutschland einnehme. Man erkennt also Goethe, wie er sich auf seinem geistigen Netzhaut je
nach seinem Standpunkt widerspiegelt.
Aber nach Hermann Grimm geht es beim Goethebild nicht allein um Erkenntnisse,
sondern vielmehr um eine bewußte Formung eines wirkungsvollen Goethebildes. So schreibt
er zum Schluß seiner Einleitung: „Eine unserer wichtigsten Aufgaben bleibt, aus dieser Masse
(= Nachrichten aus seinem Leben) heraus das Bild Goethe’s zu gewinnen, das uns am meisten
fördert und dem wir am meisten vertrauen.“ (S. 19) Wenn es sich mit dem Verständnis des
Dichters so verhält, fragt sich folgerichtig nach einem Standpunkt der Japaner bei der
Goetherezeption.
Es ging dabei hauptsäclich um ihr Bildungsideal (Vgl. beispielsweise Holger Burckhart,
Theodor Litt: Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 2003), und ein persönliches Bekenntnis dazu
lautete damals in Deutschland: „Seit ich ein verantwortliches geistiges Leben zu führen
versuchte, bin ich immer mehr in die Überzeugung von der Kraft, die in dem Vermächtnis der
klassischen Dichtung beschlossen liegt, hineingewachsen.“ (Reinhard Buchwald: Das Vermächtnis der deutschen Klassiker. Insel-Verlag. 1946. S. 5) Hinsichtlich dieser par excellence
deutschen Klassiker spricht man aber nach der Wiedervereinigung Deutschlands auffälligerweise statt von deutscher Klassik im Gegensatz zur deutschen Romantik mehr von
Weimarer Klassik. Die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen
Literatur in Weimar wurden schließlich zur Stiftung Weimarer Klassik umorganisiert.
Eigentlich müßte man es auch problematisieren, zumal man bald danach die deutsche Klassik
sehr in Frage stellte. (Vgl. Reinhold Grimm/Jost Hermand (Hrsg.): Die Klassik-Legende.
Frankfurt am Main 1971. Vorwort in: Karl R. Mandelkow, Goethe im Urteil seiner Kritiker.
Teil IV 1918-1982. Verlag C.H.Beck. München 1984. S. 446-451)
In Japan war das begrifflich klärende Buch von
Fritz Strich Deutsche Klassik und
Romantik. oder Vollendung und Unendlichkeit unter den Germanisten bekannt genug. Aber in
Deutschland scheint es heutzutage nicht mehr ernst genommen zu werden. In Japan war
Gundolfs großes Werk natürlich den japanischen Gebildeten für eine Bildung des
deutschen Klassikerbildes sehr bedeutsam. Aber es war vor allem Hermann August Korff,
der dazu am meisten beitrug mit den japanischen Übersetzungen von Humanismus und
Romantik (1926 und 1942), Faustischer Glaube (1943), Geist der Goethezeit
(1. Band 1944)
oder auch mit dem Buch Die Lebensidee Goethes, das noch im Jahre 1946 ins Japanische
übersetzt wurde. Ich habe trotzdem den Eindruck, daß Wieland trotz der Bemühungen einiger
Germanisten in Japan, die die Abderiten oder Agathon relativ spät übersetzten, im
literarischen Bewußtsein der japanischen Gebildeten wenig präsent ist. Herder ist zwar als
Geschichtsphilosoph und Sprachdenker relativ bekannt - von seinen Ideen zur Philosophie der
Geschichte der Menschheit sind zwei japanische Übersetzungen vorhanden aus der Zeit vor
und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, und seine Abhandlung über den Ursprung der Sprache
wird seit 1972 in meiner Übersetzung gelesen. Vor einigen Jahren ist auch sein Reisejournal
vollständig übersetzt. Er bleibt aber dennoch mehr eine akademische Angelegenheit
japanischer Germa-nisten. Seit etwa zehn Jahren gibt es in Japan eine sehr aktive HerderGesellschaft, die ihr eigenes Jahrbuch herausgibt. Zur traditionellen, sogenannten deutschen
Klassik gehören also für das japanische Lesepublikum fast ausschließlich Goethe und Schiller.
Es existiert denn auch keine Schiller-Gesellschaft in Japan. Bisher ist nur eine sechsbändige
Werkausgabe von Schiller in der Kriegszeit erschienen, während es von Goethe mehr als zehn
vollendete und unabgeschlossene Goetheausgaben in japanischer Sprache gibt.
Die Goethe-Gesellschaft in Japan besteht seit 1931, um im darauf folgenden Jubiläumsjahr
den ersten Band des japanischen Goethe-Jahrbuchs herausgeben zu können. Es erscheint nach
Unterbrechung mit dem 11. Band seit 1959 bis heute in neuer Folge. Die Koreanische GoetheGesellschaft ist im Jahre 1982 gegründet worden, und sowohl die Chinesische als auch die
Indische Goethe-Gesellschaft sind im Jahre 1999 ins Leben gerufen worden. Ich kenne alle
koreanischen, chinesischen und indischen Präsidenten persönlich. In Korea sind zwei teilweise
erschienene Goetheausgaben noch lange nicht vollendet, aber in China hat mein Kollege Yang
Wuneng im Goethejahr 1999 aus bereits vorhandenen Übersetzungen eine vierzehnbändige
Goetheausgabe zustande gebracht. In Indien scheint man Goethes Werke ohne weiteres in
englischen Übersetzungen zu lesen. Im vergangenen Goethejahr habe ich an meiner früheren
Universität Sophia in Tokyo in Kooperation mit dem Goethe-Institut Tokyo ein internationales
Goethe-Symposium „Goethe - Wirkung und Gegenwart“ veranstaltet. Bei der Gelegenheit
habe ich auch eine umfangreiche Goethe-Bibliographie in japanischer, koreanischer und
chinesischer Sprache zusammengestellt. Sie ist zusammen mit allen dort gehaltenen und später
in Deutsch publizierten Beiträgen zum Symposium im Internet abrufbar. Es handelt sich
hierbei um die nachstehend genannten Vortragstexte:
Wilhelm Voßkamp, Köln: Bildung als „deutsche Ideologie“?
Zhang Yushu, Peking: Goethe und die chinesische Klassik
Manfred Osten, Bonn: Goethes Faust – die Tragödie der modernen Übereilung
Kim Tschong-Dae, Seoul: Goethe in der koreanischen Kultur
Walter Hinderer, Princeton: „Hier, oder nirgends ist Amerika“ Anmerkungen zu Goethe und
die neue Welt
Rhie Won-Yang, Ansan: Goethes Faust auf der koreanischen Bühne. Überlegungen zur
Rezeption in Korea
Adolf Muschg, Zürich: Schweizer Spuren in Goethes Werk
Yan Wuneng, Chengdu: Goethe-Rezeption in China. Von Werther-Fieber zu WertherÜbersetzungseifer
Werner M. Bauer, Innsbruck: Goethe in Österreich
Terence J. Reed, Oxford: Englische Literatur als Weltliteratur
Naoji Kimura, Tokyo: Goethe und die japanische Mentalität
Lothar Ehrlich, Weimar: Der fremde Goethe. Die Deutschen und ihr Dichter
2. Goethes Wirkungsgeschichte in Asien
Bei der rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung gehe ich davon aus, daß die japanische
Goetherezeption im Grunde genommen eine etwa um eine Generation verspätete
Nachwirkung der Goetherezeption bzw. Goetheforschung in Deutschland darstellt. Denn um
überhaupt von den Japanern rezipiert werden zu können, müssen Goethes Werke zuerst ins
Japanische übersetzt werden. Da diese Übersetzungen mehr oder weniger sprachlich und
sachlich kommentiert werden sollen, müssen sich die Germanisten als Übersetzer mit der
Stoff-, Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der betreffenden Werke intensiv beschäftigen.
Dadurch ist spontan eine japanische Goetheforschung entstanden, die meist von der deutschen
Goetheforschung abhängig war. Es versteht sich von selbst, daß die Leser dann von ihren
Forschungsergebnissen stark beeinflußt werden.
Wenn ein individueller Geist wie einzelne deutsche Klassiker allgemein-menschlich
geworden ist, gehört er auf diese Weise über den Nationalgeist, zum Beispiel über den
deutschen Geist hinaus in die ganze Welt, auch wenn dieser Literaturprozeß mit dem
komplexen Sprachproblem der Übersetzung behaftet ist. Was an ihm unübersetzbar ist,
erweist sich zwar als spezifisch national, kann aber in seiner Originalsprache einigermaßen
verstanden werden. Sein Weg zu einer fremden Nation läßt sich um so leichter anbahnen, als
die herausragende Wertschätzung seiner Werke von Anfang an feststeht, wie es gerade bei
Goethe der Fall ist. Sein literarisches Schafften beruht offensichtlich auf dem EwigMenschlichen. Das heikle Problem, wie es z.B. in dem Buch Klassikerstadt und Nationalsozialismus. Kultur und Politik in Weimar 1933 bis 1945 (Herausgegeben von Justus H.
Ulbricht im Rahmen der Weimarer Schriften. Weimar 2002) aufgegriffen wird, ist erst nach
dem Krieg unter den Fachkreisen bekannt geworden, auch wenn die japanische
Goetheforschung selbst damals schon im Schatten der völkischen Literaturwissenschaft
gestanden hatte. Darüber habe ich auf dem IVG-Kongreß 2000 in Wien eingehend berichtet.
Das war die grundlegende Situation für eine andauernde Goetherezeption in Japan. Als
die japanischen Gebildeten am Ende des 19. Jahrhunderts anfingen, Goethe nicht nur zu lesen,
sondern auch sich mit ihm literaturwissenschaftlich zu beschäftigen, standen ihnen bereits
viele Goethe-Bücher zur Verfügung. Zuerst haben sie Goethe in englischer Übersetzung
gelesen und wie z.B. Reineke Fuchs auch daraus ins Japanische übersetzt. Aber im Jahre 1904,
also genau vor hundert Jahren, erschienen die ersten Übersetzungen des Werther sowie des
Faust aus dem deutschen Originaltext, und seitdem kann das japanische Publikum fast alle
Werke Goethes in verschiedenen Übersetzungen lesen. Nähere Einzelheiten darüber habe ich
in meinem 1997 beim Peter Lang Verlag, Bern, erschienenen Sammelband germanistischer
Aufsätze Jenseits von Weimar. Goethes Weg zum Fernen Osten ausführlich dargelegt.
Es handelt sich dabei sowohl um Goethes literarische Werke als auch um seine naturwissenschaftlichen und literatur- bzw. kunstheoretischen Schriften. Es gibt wie gesagt bis jetzt
mehrere Goethe-Ausgaben in japanischer Sprache, die alle diese Werke umfassen. Außerdem
hat man im Laufe der Zeit eine Menge deutscher Fachliteratur über Goethe ins Japanische
übersetzt. Selbstverständlich haben die Japaner selbst ebenfalls eine Unmenge literaturwissenschaftlicher Aufsätze oder literarischer Essays geschrieben. Da sie im großen und ganzen
bibliographisch erfaßt sind, kann man die Goetherezeption in Japan schriftlich belegen und
analysieren, wie Karl Robert Mandelkow für die Goetherezeption in Deutschland geleistet hat.
So läßt sich eine japanische Geistesgeschichte der neueren Zeit im Spiegel der Goetherezeption beschreiben. Dabei sind hinsichtlich Goethes Wirkungen auf Japan zeitlich fünf
Routen festzustellen. Es sind gleichzeitig fünf verschiedene Aspekte der Goetheforschung in
Europa, die sich auf das Goethebild der Japaner ausgewirkt haben:
1) Englische Route über Thomas Carlyle und Ralph Waldo Emerson - philosophisch
2) Berliner Route über Herman Grimm und den Dichtergelehrten Mori Ogai -
literarisch
3) Goethe-Philologie durch die Jubiläums-Ausgabe - philologisch
4) Russische Ideologiekritik - marxistisch
5) Französische Goetheverehrung im Goethejahr 1932 - essayistisch
Die Goetheforschung in England halte ich für sehr wichtig. Sie wird leider von den
japanischen Germanisten meist geringgeschätzt, zumindest nicht so hochgeschätzt wie die
deutsche. Aber Hermann Grimm war nicht zuletzt von Thomas Carlyle inspiriert,
als er
sein für die japanische Goetherezeption folgenreiches Goethbild entwarf. Die erste lesbare
Goethe-Biographie von George Henry Lewes: Life and Works of Goethe (1855) erreichte in
deutscher Übersetzung immerhin bis 1903 die 18. Auflage. In der Meiji-Zeit (1868-1912)
waren ebenfalls Ralph Waldo Emersons Buch Representative men (1850) mit einem Goethe-
Kapitel sowie Bayard Taylors Faust-Übersetzung mit Kommentar (Boston 1871) unter den
japanischen Gebildeten sehr verbreitet. Im strengen Sinne stellten sie einen amerikanischen
Beitrag zur Goetherezeption in ganz Ostasien dar. Später sollte W.H. Brufords Werk Culture
and Society in Classical Weimar (Cambridge 1962) nicht nur in deutscher, sondern auch in
japanischer Übersetzung einen bedeutenden englischen Beitrag zur Goetheforschung seit
Lewes fortsetzen. Zu dieser Tradition gehört freilich auch Nicholas Boyles auf drei Bände
angelegte Goethe-Biographie der Gegenwart.
3. Geschichtliche Wandlungen des japanischen Goethebildes
Die davon angeregte Goetherezeption in Japan erfuhr auf diese Weise eine sprachliche wie
auch geistige Metamorphose. Die japanische Goetheforschung, die seit den zwanziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts an den germanistischen Abteilungen der Staatsuniversitäten
etabliert hatte, erreichte im Verlauf der oben geschilderten Rezeptionsgeschichte seit der
Meiji-Zeit ihren ersten Höhepunkt in der Säkularfeier des Jahres 1932. Die japanischen
Germanisten haben damals in Berlin oder Leipzig die Goethe-Philologie studiert, die ihnen in
der gediegenen Jubiläums-Ausgabe die besten Hilfsmittel zur Verfügung stellte. Die erste
Weimarer Ausgabe in Japan wurde ihnen bei der Gründung der Goethe-Gesellschaft im
Jahre 1931 von der deutschen Botschaft der Weimarer Republik geschenkt. Von den
bekannten positivistischen Goethe-Biographien wurde diejenige von Karl Heinemann (1895)
in japanischer Übersetzung in der renommierten Iwanami-Taschenbuchreihe publiziert. Die
im Japanischen dreibändige Goethe-Biographie von Albert Bielschowsky (1896) konnte erst in
den letzten Kriegsjahren erscheinen. Die von Walter Linden bearbeitete Neuausgabe (1928)
wurde anachronistisch vor etwa zehn Jahren ins Japanische übersetzt.
Frühzeitig übersetzt wurden ansonsten die geistesgeschichtlich ausgerichteten GoetheBücher wie z.B. von Georg Simmel (1913), Friedrich Gundolf (1916) oder Hermann August
Korff (Geist der Goethezeit, allein 1. Band). Dadurch wurde vor allem Gundolfs Auffassung
von Goethes Titanismus in Japan sehr populär, und Korffs goethischer Humanismus bzw.
faustischer Glaube riefen unter den japanischen Gebildeten fast eine humanistische Religion
hervor. Für sie war Vorstoß ins Metaphysische durch die geistesgeschichtliche Betrachtungsweise sehr gelegen, aber auch Goethe-Mythos war innerlich naheliegend, weil sie keine andere
Religion hatten. So stellte sich Goethes Autobiographie Dichtung und Wahrheit für sie als
irreführend heraus. Hieß sie doch ursprünglich „Wahrheit und Dichtung“, d.h. Tatsächlichkeit und dichterische Wahrheit, mit anderen Worten Faktizität und Fiktion oder Realität
und Idealität. Damit war der Vorrang des Werkes vor dem Leben angedeutet, so daß sich
Goethes geistige Welt dem japanischen Lesepublikum stets als eine ideale Welt zeigte. Daher
wurde ein klassisches Humanitätsideal für immer der Wirklichkeit der jeweiligen Gegenwart
gegenübergestellt. Je niedriger die Wirklichkeit ist, desto höher erscheint das Idealbild der
Klassik. So ist es mit dem japanischen Goethebild weitgehend bis heute noch bestellt.
Dagegen wurde Goethekritik der hauptsächlich russischen Marxisten - Goethe als bürgerlicher Bildungsphilister - immer wieder in japanischer Übersetzung herbeigeholt. Heinrich
Heine wurde dabei von den japanischen Marxisten zu seinem Schaden vielfach als
Vorkämpfer der sozialistischen Revolution vereinnahmt. Als aber die radikale LinkeBewegung in den zwanziger Jahren allmählich unterdrückt und brutal verfolgt wurde,
wurden aus nicht wenigen Marxisten durch einen Gesinnungswechsel ästhetische Goetheaner
mit nationalistischem Einschlag, die die sogenannte „Japanische Romantische Schule“ bildeten.
Zu jener Zeit erschien jedoch eine japanische Übersetzung von Paul Valérys Discours en
l'honneur de Goethe (1932). Hier wurde Goethes Weltbürgertum mit
dessen Naturforschung
und Universalismus hervorgehoben. Zwischen links und rechts stand Goethe in der Mitte wie
später auch bei T.S. Eliot in seinem im Mai 1955 an der Universität Hamburg gehaltenen
Vortrag Goethe as the Sage.
Zum Goethejahr 1932 erschien u.a. eine stattliche Festschrift in japanischer Sprache, zu
der Thomas Mann und Fritz Strich je einen Beitrag beisteuerten. Deutschland wurde gerade
in der ganzen Welt als eine Nation der Dichter und Denker gefeiert. Aber Thomas Mann hatte
sich bereits im Lessingjahr 1929 gegen den aufkommenden antiaufklärerischen, nationalistischen Irrationalismus ausgesprochen. Eine Warnung vor dem deutschen Nationalismus
war denn auch in seinem eben erwähnten Beitrag „An die japanische Jugend“ (In: GoetheStudien. Japanisch-deutscher Geistesaustausch Heft 4. Japanisch-Deutsches Kultur-Institut.
Tokyo 1932. S.1-15) enthalten. Fritz Strich war ebenfalls gegen das “chtonische Gelichter” der
raunenden Beschwörer der Inhumanität im Sinne des Nationalsozialismus eingestellt und
deutete es besorgnisvoll in seinem Beitrag „Goethe und unsere Zeit“ (Ebenda, S. 16-36) an.
Von japanischer Seite wurde ein Goethe-Aufsatz des bedeutendsten Philosophen Japans,
Nishida Kitaro veröffentlicht: Der metaphysische Hintergrund Goethes. In: Goethe. Vierteljahresschrift 3. Bd. (1938), S. 135-144. Die von ihm begründete Kyoto-Schule war von den
Neukantianern Windelband sowie Rickert oder auch Kuno Fischer in Heidelberg sehr
beeinflußt. In Kyoto gibt es übrigens einen Philosophenweg nach dem Heidelberger Vorbild.
Man könnte wohl sagen, daß die Goetherezeption in Japan mit der Kaizosha-Goetheausgabe 36 Bände (1935/40) ihren Gipfel erreichte. Einige Jahre zuvor hatte Einstein auf
Einladung des Kaizosha-Verlags Japan besucht, und der japanische Physiker Ishihara Jun
übersetzte nicht nur seine Werke, besonders Relativitätstheorie, sondern auch Goethes
Farbenlehre didaktischer Teil erstmals ins Japanische. Das japanische Lesepublikum erkannte
daran die hohe Bedeutung der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes. Nach dem Zweiten
Weltkrieg erschien 1961 in Kyoto, wo die Japanische Goethe-Gesellschaft gegründet worden
war, die Jinbunshoin-Goetheausgabe. Die Werkausgabe enthielt im 12. Band die nachstehend
genannten Aufsätze und Essays in japanischer Übersetzung: Thomas Mann: Phantasie über
Goethe, Hans Carossa: Wirkungen Goethes in der Gegenwart, Hermann Hesse: Dank an
Goethe, Johannes Robert Becher: Der Befreier, Paul Valéry: Discours en l'honneur de Goethe,
Andre Gide: Goethe, T.S.Eliot: Goethe as the Sage, Jose Ortega y Gasset: Um einen Goethe
von innen bittend, Benedetto Croce: Dell'exmonaco pugliese Domenico Giovinazzi che insegne
l'italiano al Goethe fanciullo (Goethes Italienischlehrer), Julius Bab: Das Leben Goethes
Das von diesen Autoren vermittelte Goethebild der japanischen Gebildeten kann man in
etwa folgendermaßen zusammenfassen: der große Europäer (Thomas Mann), der Humanist
Goethe (Hermann Hesse), der Naturwissenschaftler Goethe (Rudolf Steiner, Paul Valéry,
Albert Schweitzer, u.a.m.), schließlich Goethe der Universale (Paul Valéry). Bewundernswürdig erscheinen ihnen somit Reichtum, Breite und Weite des Weimarer Klassikers, insofern
er nicht nur Dichter, sondern auch Naturforscher, Kunsthistoriker, Literaturkritiker,
Philosoph, nicht zuletzt Politiker gewesen ist. Damit sind auch die Vorteile einer Goetheforschung für einen japanischen Germanisten gegeben. Darf er sich doch erlauben, von der
Germanistik aus Grenzüberschreitungen zu verschiedenen Disziplinen zu unternehmen, so
daß er eventuell als allseitig gebildet angesehen werden könnte, wenn er nicht gerade einem
seichten Dilettantismus anheimgefallen ist.
In den oben genannten Schriften war allerdings das humanistische Goethebild der im
besten Sinne europäischen Goetheaner in den dreißiger Jahren nachgeholt. Um es sozusagen
zu aktualisieren, bot dann die zum Goethejahr 1982 hin herausgegebene Ushio-Goetheausgabe
(Paperbacks 2003) einen Sonderband mit Hans Mayer (Hrsg.): Goethe im zwanzigsten
Jahrhundert. Spiegelungen und Deutungen (Insel Verlag. Frankfurt am Main 1987). Darin war
das facettenreiche Goethebild der Gegenwart noch deutlicher hervorgehoben durch folgende
namhaften Autoren.
Thomas Mann: Goethes Werthter
Ernst Bloch: Der junge Goethe, Nicht-Entsagung, Ariel
Max Kommerell: Goethes große Gedichtkreise
Paul Rilla: Wilhelm Meisters Theatralische Sendung (nicht übersetzt)
Elizabeth M. Wilkinson: Torquato Tasso (Nicht übersetzt)
Hermann Hesse: Wilhelm Meisters Lehrjahre
Emil Staiger: Goethe: „Novelle“
Hugo von Hofmannsthal: Einleitung zu einem Band von Goethes Werken enthaltend die
Opern und Singspiele
Rudolf Alexander Schröder: Goethes „Natürliche Tochter“
Walter Benjamin: Goethes Wahlverwandtschaften
Wolfgang Schadewaldt: Faust und Helena
Eduard Spranger: Goethe über sich selbst
Siegfried Unseld: Goethes „Tagebuch“ - ein „höchst merkwürdiges“ Gedicht
Adolf Muschg: „Der Mann von funfzig Jahren“ („Wilhelm Meisters Wanderjahre“)
Heinrich Wölfflin: Goethes Italienische Reise
Erich Trunz: Goethes späte Lyrik
Theodor W. Adorno: Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie (statt Zum Schlußszene des
Faust)
(Pierre Bertaux: Die erotischen Spiele)
Ernst Robert Curtius: Goethe als Kritiker
(Leo Kreutzer: Inszenierung einer Abhängigkeit. Johann Peter Eckermanns Leben für
Goethe)
Georg Lukács: Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe
Gottfried Benn: Goethe und die Naturwissenschaften
Werner Heisenberg: Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der
modernen Physik
Der Sammelband von Hans Mayer (Spiegelungen Goethes in unserer Zeit. Limes-Verlag.
Wiesbaden 1949) enthielt ursprünglich Goethe-Studien von Walter Benjamin (Goethes
Wahlverwandtschaften), Hugo von Hofmannsthal (Unterhaltung über den „Tasso“ von
Goethe; Goethes „West-östlicher Divan“), Georg Lukács (Das Zwischenspiel des klassischen
Humanismus), Karl Kerény (Das Ägäische Fest. Die Meergötterszene in Goethes Faust II),
Thomas Mann (Phantasie über Goethe), Emil Staiger (Goethes Novelle), Edmond Vermeil
(Revolutionäre Hintergründe in Goethes Faust) und Heinrich Wölfflin (Goethes italienische
Reise). Wenn Goethe letztendlich als der große Europäer und Humanist angesehen wird, muß
er sich sicherlich auch für die Idee der EU als richtungsweisend erweisen. Vgl. den zum
Goethejahr 1999 von Volkmar Hansen herausgegebenen Katalog „Europa, wie Goethe es sah“
in Verbindung mit Gonthier-Louis Fink und Alberto Destro.
Von entscheidender Bedeutung für die japanische Goetherezeption erscheint mir darüber
hinaus die Tatsache, daß in den zwanziger Jahren die Japaner von den deutschen Philosophen
die Differenzierung der Kultur von westlicher Zivilisation gelernt haben und heute noch dazu
neigen, zwischen geistiger Kultur und materieller Zivilisation zu unterscheiden. Da es Goethe
wunderbar gelungen, beides zu vermitteln, gilt er meiner Meinung nach als der Weise. Vor
dem Krieg hatten die Japaner bekanntlich großen Respekt vor deutscher Medizin und
Naturwissenschaft ebenso wie vor Philosophie und Literatur, aber nach dem Krieg haben sie
sich in Naturwissenschaft und Technik ganz nach Amerika ausgerichtet und suchen im alten
Europa, besondern im deutschen Sprachraum vorwiegend nach Kultur. Zivilisation im
engeren Sinne bezieht sich für sie immer noch auf moderne Technik und bezeichnet erst im
weitesten Sinne des Wortes Kulturkreise in größerem Umfang wie beispielsweise orientalische,
indische oder chinesische Zivilisation.
Von Deutschland haben die Japaner selbstverständlich ein bestimmtes Nationbild, das
schon aus der Vorkriegszeit stammt und aus geschichtlichen Gründen meist preußisch
ausgeprägt ist. Ein japanischer Offizier konnte ja eine preußische Armee kommandieren, weil
er so ausgebildet worden war. Es ist aber genau so klischeehaft wie im Hinblick auf Japan,
also Fujiyama, Geisha, Harakiri oder Kamikaze-Flieger. Heutzutage ist es harmlos erweitert
worden auf Ikebana, Teezeremonie, Sushi oder Haiku bzw. Renga. Auf der anderen Seite
bestand Deutschland vor der Wende für japanische Touristen nur aus drei Häusern:
Beethovenhaus in Bonn, Goethehaus in Frankfurt und Hochbräuhaus in München. Jetzt
besteht es für sie aus vielen Straßen: Romantische Straße, Märchenstraße, Weinstrße,
Goethestrße, Klassiker-Straße usw. Buchenwald oder Dachau möchten sie nicht gern besuchen,
weil diese Orte mit ihrem lange gehegten schöngeistigen Deutschlandbild nicht übereinstimmen. Eine Auseinandersetzung mit dem Problem nimmt schon viel geistig-intellektuelle
Anstrengungen in Anspruch. Richard Alewyns Diktum “Zwischen uns und Weimar liegt
Buchenwald” (Goethe als Alibi. 1949) dürfte nur den Fachkreisen bekannt sein. Er sagte
ferner: „Was aber nicht geht, ist, sich Goethe zu rühmen und Hitler zu leugnen. Es gibt nur
Goethe und Hitler, die Humanität und die Bestialität.“ Aber die meisten Japaner wären
mehr daran interessiert, in ihrem Leben einmal auf den Kichelhahn bei Ilmenau zu steigen,
weil das Gedicht “Wandrers Nachtlied” unter dem japanischen Lesepublikum in über 40
verschiedenen Übersetzungen verbreitet ist. Ebenso zieht doch der heilige Berg Fuji viele
Europäer, besonders deutsche Touristen zum Bergsteigen an.
Wenn das Geburtshaus Goethes in Frankfurt ein Wallfahrtsort für die Japaner geworden
ist, so ist doch zu fragen, wieviele Japaner noch das Düsseldorfer Goethe-Museum mit ihren
optischen Experimentierapparaten besuchen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands hat
man hauptsächlich den Japanern zuliebe sofort eine Goethestraße zwischen Frankfurt und
Weimar oder die Klassker Straße in Thüringen eingerichtet. Es ist aber sehr fraglich, ob sie
auch das Goethe-Nationalmuseum in Weimar besuchen. Durch jahrzehntelange Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Japan ist das Deutschlandbild außerdem unter den
japanischen Gebildeten so mannigfaltig, daß es lange nicht allein von Goethe bzw. Weimar her
bestimmt ist. Im allgemeinen läßt sich wohl sagen, daß sie in Deutschland gern
Kulturlandschaften besuchen, also Erinnerungs- oder Gedenkstätten der aus der deutschen
Kulturgeschichte bekannten Dichter, Philosophen oder Musiker in den alten Städten
aufsuchen. Trotz allem gilt Deutschland ihnen immer noch als die Nation der Dichter und
Denker. Daß es in den dreißiger Jahren vorübergehend eine Nation der „Richter und
Henker“ (Karl Kraus) werden konnte, ist für sie, wenn nicht unvorstellbar, so doch
schleierhaft und rätselhaft. Japan war damals mit Hitler-Deutschland verbündet und hat trotz
der großen Bewunderung für Goethes Humanität ebenfalls viel Unheil in Ostasien angerichtet.
Ein solches Deutschlandbild ist, nebenbei bemerkt, auch bei den Handelsbeziehungen ernst
zu nehmen, liegt ihm doch eine Hochschätzung deutscher Kultur aus japanischer Seite
zugrunde, wenngleich man im Deutschen über die geistige Kultur hinaus wohl von Weinkultur, aber nicht von Bierkultur spricht. Hier ist vielmehr Vorliebe der Japaner für deutsche
Gemütlichkeit zu finden. Der alte Goethe soll jeden Abend eine Flasche Wein getrunken haben,
aber ich habe noch nie gehört, daß er gern Bier getrunken hätte. Dagegen hat der große
Japanforscher Philipp Franz von Siebold aus Würzburg nicht nur das erste Klavier nach
Japan mitgebracht, sondern auch bayerisches Faßbier immer wieder nach Nagasaki mit dem
holländischen Schiff kommen lassen. Das macht schon auf die Japaner guten Eindruck.
Ansonsten wird Goethewein aus dem Brentanohaus im Rheingau seit Jahren als beliebter
Geschenkartikel importiert. Ich fürchte nur, daß die japanischen Studenten nach dem
Umtrunk faustisch oder mephistophelisch werden und lieber Auerbachs Keller in Leipzig
besuchen als das Goethe-Nationalmuseum in Weimar.
Apropos: Siebold als solcher hat mit Goethe nichts zu tun, erscheint mir aber insofern
beachtenswert, als er sich noch zu Lebzeiten des Dichters, also im gleichen Jahr wie Eckermann zu Goethe, nach Japan kam und sein Förderer Nees von Esenbeck – er war Präsident
der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina -- der botanische Freund Goethes war
und den Begründer der Metamorphosenlehre zum Mitglied der Leopoldina ernannte. Zudem
gehörten seine beiden Onkel Barthel und Elias zum Schülerkreis des Jenaer Medizinprofessors Justus Christian Loder und trafen in Hörsälen ab und zu mit Goethe zusammen.
Dadurch muß der Name des Weimarer Dichters dem noch jugendlichen Siebold sehr vertraut
gewesen sein. Leider kann ich noch nicht ermitteln, ob er seinen japanischen Schülern
gegenüber den Namen Goethes erwähnt hat.
4. Goethe und das japanische Bildungsbürgertum
Seit spätestens 1932 galt und gilt Goethe immerhin weltweit als einer der Repräsentanten der
Menschheit. Aber er wird zu Anfang des 21. Jahrhunderts in Deutschland nicht mehr als der
größte Deutsche angesehen. Daß die Deutschen Schwierigkeiten im Umgang mit Goethe haben,
hat eine lange Vorgeschichte. In der deutschen Goetherezeption traten mehrmals Brüche ein,
so in den Jahren 1848, 1933 oder 1968. Wenn die japanische Goetherezeption ihr langsam
nachfolgt, kommt das Jahr 1968 ironischerweise in einem dialektischen Verhältnis in Frage.
Als Goethe nämlich in jenen Jahren der Studentenrevolte aus der deutschen Germanistik
gleichsam vertrieben zu werden drohte und in der Öffentlichkeit von Goetheferne oder
Klassikerfeindlichkeit gesprochen wurde, verwies man auf die Japaner, die sich immer noch
mit Goethe beschäftigten. So schrieb Kurt Reumann einen zeitkritischen Leitartikel „Unser
Goethe“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 13 vom 16. Jan. 1979. Darin hieß es u.a.:
„Schülern, die ihren Lehrer bitten, auch mal einen Klassiker durchzunehmen, kann es freilich
immer noch, wie an einer Schule in Frankfurt, passieren, daß der brüsk ablehnt: auf die
Nostalgie des verdammten Bildungsbürgertums lasse er sich nicht ein.“
Darauf nahm ein Artikel im Feuilleton der F.A.Z. am folgenden Tag Bezug und sprach von
einer „verkehrten Welt“ und bemerkte angesichts gebildeter Japaner, die auf der Europa
abgekehrten Seite des Globus leben und Goethe „nicht nur kennen, sondern auch lesen“: „So
wundert es überhaupt nicht, daß jetzt die Meldung eintrifft, zwei Drittel der Besucher des
Goethehauses zu Frankfurt am Main seien Japaner... So ist es nur folgerichtig, daß die
Aufschriften im Frankfurter Goethehaus neben deutsch und englisch japanisch abgefaßt sind.
Kein Französisch, kein Italienisch. Europa adieu! Doch vielleicht hätte er, der den Geist der
Weltliteratur predigte, gar nichts dagegen gehabt.“ In Wirklichkeit waren es zum großen Teil
japanische Touristen, die, mehr von Neugier als vom Bildungsbedürfnis getrieben, reiseplanmäßig von einer Sehenswürdigkeit zur anderen gegängelt wurden. Aber trotz allem
könnten sie zum japanischen Bildungsbürgertum im weitesten Sinne des Wortes gezählt
werden.
Geschichtlich hat es in Deutschland vor dem Bildungsbürgertum ein Besitzbürgertum
gegeben, das ganz schematisch gesagt ohne Bildung sich ein Vermögen erworben hatte. Diese
Vatergeneration ermöglichte ihren begabten Söhnen, sich am Gymnasium und in den
Universitäten eine schöngeistige Bildung zu erwerben. So entstand das Bildungsbürgertum in
Deutschland. Daraus ergab sich auch ein Vater-Sohn-Konflikt, wie es im Wien der Jahrundertwende besonders der Fall war. Heute verfügt das Bürgertum sowohl über Besitz als
auch über Bildung. Das öffentliche Bewußtsein liegt neuerdings nicht mehr beim Bildungsbürgertum, sondern bei der sogenannten Bewußtseinsindustrie oder bei den Medien.
Das japanische Bildungsbürgertum im 20. Jahrhundert ist gewiß in Analogie zum
deutschen Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert zu betrachten. Vor dem Zweiten Weltkrieg
war das japanische Schulwesen eindeutig nach deutschem Muster ausgerichtet. So wurde auf
der Kotogakko genannten Oberschule Deutsch anstelle Lateins als Hauptfremdsprache gelehrt
und gelernt. Als Lehrstoff dazu hat man fast auschließlich die Texte der deutschen Klassiker
auf dem Gebiet der Philosophie und Literatur verwendet, so daß die Studenten auf der
Universität sich ohne weiteres anhand der deutschen Sprachkenntnisse mit allen Disziplinen
der Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigen konnten. Es versteht sich von selbst, daß
sie nicht nur die deutsche Klassik, sondern auch die deutsche Romantik mit Vorliebe gelesen
haben. Aber der Schwerpunkt lag jahrzehntelang im deutschen 18. Jahrhundert, und die
japaische Germanistik ist denn auch im Zuge der Goetheforschung begründet und entwickelt
worden.
Auf diese Weise ging eine nachhaltige Wirkung von der Goetheforschung auf die
japanischen Gebildetenkreise hervor, die mit Anglisten oder Romanisten ein Bildungsbürgertum bildeten und als Germanophilen häufig einem Goethe-Kult huldigten. Erst nach
dem Krieg haben sie allmählich andere Schriftsteller der deutschen Literatur im 19.
Jahrhundert und nach der Jahrhundertwende kennen. Sie wurden dann Goethe gegenüber
ernüchtert oder, wenn nicht ganz von ihm abgewandt, zumindest kritisch eingestellt. Seit der
Goethe-Rede von Karl Jaspers “Unsere Zukunft und Goethe” (Zürich 1948), die bald ins
Japanische übersetzt wurde, ist der traditionelle Goethe-Kult wohl auch in Japan endgültig zu
Ende gegangen, und es war auch gut so. Die japanische Goetherezeption beruhte im Grunde
auf einem humanistischen Goethebild, das wiederum verschiedene Aspekte zeigt. Das in Japan
verbreitete Goethebild kann nach der Gliederung von Karl Vietor (Goethe. Dichtung Wissenschaft - Weltbild. Bern 1949) gut analysiert werden: Der Dichter - Natur - Jugend und
Sturm und Drang. Der Naturforscher - Geist - Hochklassik. Der Denker - Weisheit - Alter. In
japanischer Übersetzung erschien aber nach dem Krieg nicht dieses aufschlußreiche Goethebuch, sondern etwas anachronistisch Friedrich Gundolfs Monumentalerwerk in drei Bänden:
Der junge Goethe, Der klassische Goethe und der alte Goethe. Vor dem Krieg war nur der 1.
Band erschienen.
Bei der japanischen Goetherezeption ist allerdings in hohem Maße zu berücksichtigen, daß
die Japaner Goethes Werke meist nicht im deutschen Originaltext, sondern in verschiedenen
japanischen Übersetzungen lesen. Der sprachlich verwandelte Goethe ist gewissermaßen
japanisiert und bietet ihnen ein anderes Bild des Dichters als bei den Deutschen. Wenn sie
darüber hinaus Goethes Sekundärliteratur wieder in japanischer Sprache heranziehen, wird
die Auswirkung der sprachlichen Metamorphose noch größer. Umgekehrt dürften die
deutschen Goetheforscher von der 1938 durch Robert Schinzinger vorzüglichen ins Deutsche
übersetzten Anhandlung des japanischen Philosophen Nishida Kitaro über den dichterischen
Denker Goethe einen völlig anderen, positiven Eindruck gehabt haben als vom japanischen
Original. Wenn man ferner Goethes geistesgeschichtliche Stellung zwischen Christentum nach
der Aufklärung sowie Nihilismus seit Schopenhauer und Nietzsche, die Probleme von Theismus und Atheismus in der deutschen Geistesgeschichte als Hintergrund seines literarischen
Schaffens überhaupt bedenkt, kann man über die Sprachbarriere nicht leicht hinwegkommen.
Im Zeitalter der neuen elektronischen Medien kommt dazu noch die Frage, ob nicht das
Medium Film längst die Literatur abgelöst hat, wenn es um die Tradierung von Welt- und
Naionenbildern geht. Die Frage nach der Zukunft des Buches ist freilich nicht neu. Der
Freiburger Literaturwissenschaftler Gerhard Kaiser beginnt sein Buch Wozu noch Literatur?
Über Dichtung und Leben (Beck’sche Reihe. München 1996) wie folgt: “Immer mehr Bücher
finden immer weniger Leser. Die Weite der Weltliteratur und dieTiefe der Literaturgeschichte
sind erschlossen wie nie, aber für wen?” (S.9) Es sind hier vor allem Bücher der Literatur
gemeint, auch wenn sie nicht unmittelbar dem Medium Film gegenübergestellt werden. Kinooder Fernsehfilme gehören nach den anschließenden Ausführungen vielmehr zur Literatur im
weiteren Sinne, insofern sie wie literarische Werke den Lebensgehalt des Menschen durch eine
künstlerische Transformation den Mitmenschen vermitteln.
Bei der aufgeworfenen Frage geht es speziell um die Tradierung von Welt- und
Nationenbil-dern. Aber Weimarer Klassik richtet ihr Augenmerk auf das Menschliche
überhaupt und ver-mittelt in erster Linie eine Anschauung vom Menschen und in zweiter
Linie eine Weltanschauung. Das deutsche Weltbild im 18. Jahrhundert, das vom Pietismusbis
zum Idealismus wesentlich auf die gnostisch-, neuplatonisch-, kabbalistische Tradition
zurückgeht, kann nur durch Literatur und Philosophie vermittelt werden. In diesem Fall wird
also Literatur prinzipiell nicht vom Medium Film abgelöst. Wenn man die Geisteshaltung der
Weimarer Klassik als typisch deutsch auffaßt und daraus ein Bild der deutschen Nation bildet,
kann man wohl noch von einem Nationbild sprechen. Da dies viel realistischer ist als ein
Weltbild, kann es effektvoll
durch das Medium Film zur Darstellung gebracht werden.
Zwischen Literatur und Film spielt das Theater in Deutschland traditionsgemäß eine
vermittelnde Rolle.
Ein gutes Beispiel dafür ist Goethes Tragödie Faust. Über die Textlektüre hinaus habe ich
bisher viele Theateraufführungen des Faust gesehen. Peymanns Stuttgarter epochale
Inszenierung habe ich leider nicht erlebt. Aber Dieter Dorns Faust-Inszenierung habe ich
sowohl auf der Bühne als auch im Fernsehen erlebt. Gründgens Hamburger Inszenierung
habe ich freilich nur in der Fassung des Kinofilms und im Video gesehen. Murnaus “Faust”
habe ich im alten Stummfilm und in der Neufassung des ZDF mit Begleitmusik gesehen. Ich
persönlich werde hinsichtlich des Faust zwischen Text und Bild nicht antithetisch einander
gegenüberstellen, sondern beidem sein Recht widerfahren lassen. Aber ich bin nicht sicher,
welchem das deutsche Publikum von heute den Vorzug gibt, der Textlektüre oder der
Theateraufführung. Vermutlich erzielt ein Peter Stein mit seiner textgetreuen und doch
modernen Inszenierung den größten Erfolg. Aber Goethes Faust ist ausnahmsweise ein
Glücksfall, was nicht ohne weiteres auf die Inszenierung von Iphigenie oder Tasso zutrifft.
Literarische Verfilmungen von Werther oder Die Wahlverwandtschaften dürften beim
deutschen Publikum viel weniger ankommen.
Immerhin erscheint mir die kulturelle Bedeutung der Filmproduktion hier in
Deutschland vielgrößer als in Japan. Seit langem beklagen sich zwar manche über
minderwertige Unter-haltungsfilme im Fernsehen, aber es gibt doch viele aufschlußreiche
Dokumentarfilme sowohl kulturgeschichtlicher als auch zeitgeschichtlicher Themen, die alle
verschiedene Nationen-bilder in der ganzen Welt vermitteln. Wie Gerhard Kaiser im
Anschluß an das obige Zitat sagt, scheint das „Literarische Quartett“ im Fernsehen ein
Massenpublikum und einen hohen Unterhaltungswert zu haben. Im Bildunsprogramm des
Bayerischen Rundfunks oder des 3sat wird ebenfalls literaturwissenschaftliche oder allgemein
philolosophische Gespräche mit bekannten Schriftstellern oder Kritikern oft gesendet, was zur
weiteren Lektüre der besprochenen Werke anregen könnte. Gewohnheitsleser, die sich in ihr
Zimmer zurückziehen und in der Stille sich der Lektüre hingeben, sind immer schon eine
Minderheit gewesen. Ich werde also hier keine Alternative von Literatur und Film erblicken
wollen.
Zum Schluß soll noch eine Grundsatzfrage erörtert werden: das Verhältnis unserer
Gegenwart zur Vergangenheit, um einen Ausblick auf die Zukunft zu gewinnen, oder anders
gesagt, Wertschätzung Goethes als des Kulturerbes. Soll man aus dessen Zinsen wie Rentner
weiter leben oder es als ein Kapital anlegen, um es zu vermehren, oder sogar aus Goethe
Kapital zu schlagen? Wer die sogenannten Klassiker, vor allem Goethe, für das Kriterium
zur Beurteilung der Gegenwart heranzieht, steht also vor der Frage nach dem
weiterwirkenden Kulturerbe wie Ortega y Gasset:
“Man sollte die Klassiker vor ein Tribunal von Schiffbrüchigen stellen und sie gewisse
Urfragen des echten Lebens beantworten lassen. Wie würdeGoethe vor diesem Gerichtshof
bestehen? Es steht zu vermuten, daß er der Fragwürdigste aller Klassiker wäre, weil er ein
Klassiker zweiter Ordnung ist, ein Klassiker, der seinerseits von den Klassikern gelebt hat, der
Prototyp des geistigen Erben - von welchem Umstand er er selbst sich so klare Rechenschaft
gab -, kurz, ein Patrizier unter den Klassikern.” (Zitiert bei Heinz Kindermann: Das
Goethebild des 20. Jahrhunderts. Zweite, verbesserte und ergänzte Ausgabe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 1966, S. 427)
Hier wird Goethe von der Vergangenheit vor die Aufgaben der Gegenwart herausgefordert.
Dagegen sieht Emil Staiger die Gegenwart vor die geistigen Ansprüche der Vergangenheit
gestellt:
“Gleichwohl darf schon jetzt dieses Werk (der 1. Band seines ‘Goethe’) als wichtiges
Dokument der neuen Goethe-Erkenntnis des Andersseins betrachtet werden, die nicht ausgeht,
Elemente der eigenen Zeit in Goethe hineinzutragen, sondern die bei ihrem höchst
verantwortungsbewußten Ausbreiten des ‘großen Erbes’ immer wieder die ehrfürchtige Frage
vor Augen hat: ‘Wie bestehen wir heute vor ihm?’“ (Kindermann, a.a.O.,S.659)
Diese scheinbar bescheidene Haltung Staigers, die die eigene Gegenart aus der Goethezeit
beurteilten will, ist allerdings von Hans Mayer einmal heftig kritisiert worden. Zum GoetheJahr 1932 erschien Walther Linden: Goethe und die deutsche Gegenwart, Deutsches
Verlagshaus Bong & Co. Berlin 1932. Er argumentierte zum Schluß etwas anders:
„Zwiespältig ist unsere Zeit; zwiespältig ist immer der deutsche Geist gewesen. Goethe ist
deutsch, indem er den aus der deutschen Innerlichkeit fließenden Zwiespalt des Inneren und
Äußeren, des Ichs und der Welt, im Tiefsten und mit kämpferischer Mühe nacherlebt; er ist
überdeutsch, d.h. nicht international oder kosmopolitisch, sondern reinste Blüte deutschen
Wesens, indem er den Zwiespalt im Ringen überwindet.“ (S. 70)
Im Goethejahr 1999, am 250. Geburtstag Goethes, wurde dagegen bewußt Goethes Weltbürgertum in den Vordergrund gestellt: Humanitätsideal - Menschlichkeit - Überwindung des
Chaos durch den Kosmos, eben Kern der bürgerlichen Humanität. Friedrich Ebert wollte
seinerzeit Goethe oder den Geist von Weimar zum Prinzip der Weimarer Republik machen.
Die Frage nach dem Scheitern der Weimarer Republik wird schließlich gestellt.
(Rohmanuskript am 27.1.2004)
Ⅱ. Reden und Ansprachen:
Ein Freund kommt mich aus weiter Ferne besuchen. Ist das nicht auch erfreulich?
Dankesworte beim 1. Symposium der koreanischen und der japanischen Germanisten, das
vom 29. April bis 1. Mai 1989 in Seoul stattgefunden hat.
Herr Präsident, Professor Bak!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es ist für mich eine große Freude, zum Abschluß dieses so erfolgreich verlaufenen, koreanischjapanischen Symposiums ein paar Worte sagen zu dürfen.
Zunächst möchte ich Ihnen im Namen aller japanischen Teilnehmer unseren tief empfundenen
Dank dafür aussprechen, daß dieses Symposium in Seoul durch Ihre Bemühungen und Gastfreundschaft zum erstenmal zustande kommen konnte.
Danken möchte ich persönlich vor allem Herrn Professor Kyu-Hwa Chung, der von Anfang an,
d. h. seit April vorigen Jahres, mein Anliegen für ein gemeinsames Symposium zwischen den
koreanischen und japanischen Germanisten mit Rat und Tat unterstützt hat. Mein Dank gilt
dann Herrn Professor Huan-Dok Bak für die freundliche Bereitschaft, das geplante Symposium mit einem von Herrn Professor Won-Yang Rhie geleiteten Vorbereitungskomitee
durchzuführen.
Als Herr Professor Myung-Yul Chi im vergangenen Februar in Tokyo war, bediente er sich
eines sehr anschaulichen Gleichnisses, um das Verhältnis der koreanischen und japanischen
Germanisten zueinander zu verdeutlichen. Nach der Ansicht von Herrn Professor Chi teilen
wir schon lange eine gemeinsame Liebe zur deutschen Sprache und Literatur, wir haben uns
aber bisher wie durch einen künstlichen Satelliten über den weiten Umweg der deutschen
Germanistik, indem wir uns zufällig in Deutschland kennenlernten, einigermaßen verständigt.
Jetzt haben wir glücklicherweise den Weg gefunden, uns unmittelbar kennenzulernen und
wissenschaftlich zusammenzuarbeiten. Da die deutsche Sprache uns dabei als unser gemeinsames Verständigungsmittel dient, wollen wir trotz allem der Germanistik dankbar bleiben.
Dank vieler Anregungen, die wir während dieses zweitägigen Symposiums gegenseitig erhalten
haben, werden wir uns mit erneuertem Interesse unserer germanistischen Forschung und
Lehre zuwenden können.
Ich möchte Ihnen, meine lieben koreanischen Kolleginnen und Kollegen, versichern, daß wir
japanische Teilnehmer geistig in hohem Maße bereichert nach Hause zurückkehren. Auch
wenn der Aufenthalt in Seoul diesmal sehr kurz war, werden wir die schönen Tage mit Ihnen
lange in Erinnerung behalten und uns tüchtig mit den wissenschaftlichen Ergebnissen des
Symposiums beschäftigen.
Zur Zeit sind wir in Japan mit den Vorbereitungen für den IVG-Kongreß Tokyo völlig in
Anspruch genommen. Wir werden uns aber gerne bemühen, unsere einmal angeknüpften
freundschaftlichen Beziehungen aufrecht und lebendig zu erhalten und unser akademisches
Gespräch fortzuführen. Wir würden uns also sehr freuen, Sie spätestens nächstes Jahr im
August in Tokyo wieder begrüßen zu dürfen.
Ich danke Ihnen noch einmal sehr herzlich und freue mich auf ein baldiges Wiedersehen
entweder hier in Korea oder in Japan.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zum Abschluβ des 1. chinesisch-japanischen Germanistiksymposiums in Peking möchte ich
Ihnen zunächst im Namen aller japanischen Teilnehmer unseren aufrichtigen Dank dafür
aussprechen, daβ es so erfolgreich verlaufen ist. Es geht auf eine freundliche Einladung von
Herrn Professor Zhu Yan zurück, die Herr Professor Zhang Yushu mir bereits im Februar
1988 vermittelte und in den letzten Monaten von Herrn Professor Huang Guozhen intensiv
vorbereitet worden ist, und ich freue mich mit Herrn Professor Iwasaki sehr darüber, daβ
unser Germanistentreffen noch vor dem IVG-Kongreβ Tokyo 1990 zustande kommen
konnte. Vor dem akademischen Austausch muβ ja menschlicher Kontakt hergestellt sein,
damit eine gute Zusammenarbeit gewährleistet ist.
Über die jahrhundertealten Kulturbeziehungen zwischen China und Japan brauche ich
allerdings kein Wort zu verlieren. Ich hatte immer schon groβen Respekt vor dem
chinesischen Mönch Ganzin, der nach fünfmaligem Schiffbruch und durch Mühsale auf
Reisen erblindet endlich im Jahre 753 nach Japan gekommen war, um der japanischen
Jugend die buddhistische Lehre beizubringen. Sie können sich also gut vorstellen, wie
glücklich ich war, als seine Holzstatue vor etwa zehn Jahren einmal in seine chinesische
Heimat zurückkehren konnte. War es doch ein symbolisches Zeichen dafür, daβ die lange
Tradition wiederhergestellt worden ist. Bis dahin war China für manche Japaner ein nahes
und doch sehr fernes Land.
Für mich persönlich bedeutete China von Jugend auf die Antike, wie sie Goethe vor
Augen hatte. So kam mir das Land gar nicht fremd vor, als ich im März 1988 zum erstenmal
hierher kam und durch die Stadt geführt wurde. Alles war mir natürlich unbekannt, aber
ich hatte das Gefühl, irgendwie in meine kulturelle Heimat zurückgekehrt zu sein. Es gibt
wirklich eine Wiederbegegnung mit dem Unbekannten, wie es bei Goethe auf seiner
italienischen Reise der Fall war. So habe ich denn auch erst richtig schätzengelernt, was mit
seinem Zweizeiler gemeint war: „Was ich nicht erlernt hab / Das hab ich erwandert.“ Goethe
wanderte viel, um etwas, was nie von den Büchern zu erlernen ist, selbst zu erleben. So habe
ich seitdem bewuβt angefangen, im Sinne Goethes zu wandern, und ich hoffe, daβ es auch
meinen japanischen Kollegen ähnlich ergeht wie mir. Heutzutage macht man keine
Wallfahrt mehr, sondern man fährt von einem wissenschaftlichen Kongreβ zum anderen.
Das ist sozusagen die moderne Form der Wanderschaft geworden.
Was wir in den letzten Tagen auf unserer Tagung voneinander gelernt haben, dürfte im
einzelnen individuell verschieden sein. Eines steht aber fest, daβ wir nämlich als sogenannte
Auslandsgermanisten viele gemeinsame Probleme haben sowohl in der germanistischen
Forschung als auch in der Sprachpädagogik. Auβerdem konnten wir die deutsche Sprache
als gemeinsames Verständigungsmittel entdecken. Wir sind zueinander keine fremden Leute
mehr, wenn wir uns auf deutsch unterhalten. Das ist doch ein so beglückendes, wunderbares
Erlebnis gewesen, daβ wir dafür immer dankbar bleiben wollen. Wenn wir uns auf diese
Weise weiterhin mit der deutschen Sprache und Literatur beschäftigen, könnten wir
besonders in der Rezeptionsgeschichte, Übersetzungswissenschaft oder Komparatistik
gemeinsam zur internationalen Germanistik beitragen.
Nach Beendigung der Tagung muβ nun ein Teil der japanischen Delegation gleich nach
Hause zurückfahren. Die übrigen Teilnehmer dürfen dank vieler Bemühungen von Herrn
Professor Huang eine Studienreise nach Xian antreten. Die traditionsreiche alte Stadt
Chang’an und die heutige Universitätsstadt hätte ich schon deshalb sehr gern besucht, weil
Ganzin in seiner Jugend dort studierte. Leider muβ ich wegen verschiedener Verpflichtungen am Ende des japanischen Geschäftsjahres -- dies läuft eben am 31. März ab -- darauf
verzichten. Aber meine Chinareise ist diesmal bestimmt nicht die letzte. Beim nächsten Mal
hoffe ich nicht nur nach Xian, sondern auch nach Shanghai oder Guangzhou fahren zu
dürfen.
Ganz am Anfang der konfuzianischen Spruchsammlung Lun-Yü heiβt es: „Ich habe einen
Freund in weiter Ferne, und er kommt mich besuchen. Ist es denn nicht auch sehr
erfreulich?“ Wir fühlen uns hier in diesen Tagen mit diesem altvertrauten Geist freundlichst
aufgenommen und möchten Ihnen, meine lieben chinesischen Kolleginnen und Kollegen,
noch einmal für Ihre Gastfreundschaft recht herzlich danken. Wir freuen uns unsererseits
sehr darauf, Sie beim kommenden IVG-Kongreβ bald wieder begrüβen und betreuen zu
können. Also auf Wiedersehen in Tokyo!
(Peking, den 28. März 1990)
Zum Schluß des ersten ostasiatischen Germanistik-Symposiums: Berlin, den 30. August 1991
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus China, Korea und Japan!
Wenn zwei Nichteuropäer sich im Ausland auf englisch unterhalten, wundert man sich nicht
darüber. Bei internationalen Tagungen ist es auch üblich, Englisch als Tagungssprache zu
verwenden. Sogar auf einer internationalen Japanologentagung, die jüngst in Berlin stattfand,
mußten die japanischen Teilnehmer ihre Referate auf englisch halten und diskutieren, um sich
weltweit zu verständigen. Als aber im August 1985, eine Woche vor dem IVG-Kongreβ Göttingen, das 2. Internationale Germanistentreffen des DAAD in Berlin stattfand, war es anders.
Deutsche Germanistikprofessoren und Germanisten aus der ganzen Welt tauschten ihre Erfahrungen und Meinungen in deutscher Sprache aus, unterhielten sich miteinander auf deutsch
und fühlten sich wie zu Hause. Warum denn also nicht auch auf deutsch, wenn ostasiatische
Germanisten einmal unter sich zusammentreffen sollten? Der Gedanke lag sehr nahe, weil
bald darauf Professor Eijiro Iwasaki zum neuen Präsidenten der IVG gewählt und dadurch
Tokyo faktisch als der nächsteTagungsort festgesetzt wurde.
Der IVG-Kongreβ sollte zum erstenmal in einem nichtwestlichen Land tagen. Das bedeutete für die japanischen Organisatoren, daß er ein Ort der Begegnung nicht nur zwischen Ost
und West, sondern auch unter den ostasiatischen Nachbarländern werden sollte.War es doch
von Anfang an klar, daß auch aus Korea und China viele Kollegen daran teilnehmen würden.
Der Kontakt mit ihnen war allerdings bislang kaum vorhanden. So wurden als Vorkontakt vor
dem IVG-Kongreß Tokyo 1990 zwei bilaterale Treffen veranstaltet, und diese akademischen
Bemühungen haben erfreulicherweise die Bereitschaft zur weiteren freundschaftlichen Zusammenarbeit hervorgebracht.
Der offizielle Beschluß, ein ostasiatisches Germanistentreffen in Deutschland zu veranstalten,
ist während des IVG-Kongresses Tokyo auf einer von der Japanischen Gesell-schaft für Ger-
manistik angeregten gemeinsamen Vorstandssitzung gefaßt worden, an dem u.a. Herr Professor Zhu Yan als Präsidentdes Chinesischen Germanistenverbandes und Herr Professor Synn
Ilhi, der Amtsvorgänger von Herrn Professor Song Dong-Zun, als Präsident der Koreanischen
Gesellschaft für Germanistik teilnahmen. Daraufhin hat sich Herr Mishima offiziell an den
DAAD und die Humboldt-Stiftung mit der Bitte um finanzielle Unterstützung gewandt.
Unsere Bemühungen haben ihren ersten Gipfelpunkt erreicht in dem „Symposium der
ostasiatischen Germanisten in Deutschland - aus China, Korea und Japan“, das vom 26. bis 30.
August 1991 im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin mit finanzieller Unterstützung des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Alexander von Humboldt-Stiftung stattfand. Generalsekretär Dr. Thilo Graf Brockdorff vom JDZB, ohne dessen tatkräftige Hilfe das
Symposium nicht zustande gekommen wäre, nannte es bei der Eröffnung der Tagung mit
Recht „eine Premiere besonderer Art“. Denn zum erstenmal haben die Germanisten aus
China, Korea und Japan mit den deutschen Kollegen zusammen gemeinsam über das Thema
„Deutsche Literatur und Sprache aus ostasiatischen Perspektiven“ diskutiert. An dem Symposium, das am 27. August vom Senatsempfang beehrt und am darauf folgenden Geburtstag
Goethes mit einem Ausflug nach Potsdam begleitet wurde, haben ca. 60 Germanisten aus vier
Ländern teilgenommen, und es wurden außer den Plenarvorträgen Sektionen für Sprach- und
Literaturwissenschaft sowie Sprach- und Kulturvermittlung im Deutschunterricht eingerichtet.
Alle Referate sollten in einem Dokumentationsband des JDZB veröffentlicht werden.
Am Ende unseres erfolgreich verlaufenen Berliner Symposiums bin ich Ihnen also für Ihre
Freundliche Zusammenarbeit zu großem Dank verpflichtet. Ich bin natürlich auch für die
soeben ausgesprochenen, sehr warmen Worte der beiden Präsidenten von Korea und China
zutiefst dankbar. Wir wollen uns aber doch zuerst gemeinsam bei den deutschen Institutionen
und Kollegen für ihre Unterstützung aufrichtig bedanken. Ohne die großzügige Unterstützung
von seiten des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin, des DAAD sowie der Alexander von
Humboldt-Stiftung wäre unser ostasiatisches Germanistentreffen in Deutschland nicht zustande gekommen. Graf Brockdorff, Herr Dr. Hellmann sowie Herr Dr. Pfeiffer sind unserem
Vorhaben von Anfang an mit großem Verständnis und Wohlwollen entgegengekommen.
Persönlich möchte ich allerdings auch Frau Dr. Schwede vom Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin, den Leitern der jeweiligen Vorbereitungskomitees und nicht zuletzt Herrn Professor Horst Denkler an der Freien Universität Berlin für ihre Hilfe bei der Vorbereitung des
Symposiums recht herzlich danken. Frau Dr. Schwede war früher Lektorin in Tokyo, deshalb
konnten Herr Mishima und ich ohne weiteres mit ihr gut zusammenarbeiten, ja sie oft ungeniert bemühen. Mit Herrn Professor Rhie Won-Yang der Koreanischen Gesellschaft für
Germanistik und Herrn Professor Huang Guozhen des Chinesischen Germanistenverbandes
sind wir gut bekannt seit dem koreanisch-japanischen Germanistiksymposium Seoul im April
1989 und seit dem chinesisch-japanischen Germanistiksymposium Peking im März 1990. Herr
Professor Horst Denkler ist unser Berater und mein Ver-trauensmann gewesen, zumal er sich
in den germanistischen Verhältnissen in China und Korea auskennt.
Im Vor- und Nachfeld des IVG-Kongresses Tokyo fanden voriges Jahr mehrere Veranstaltungen statt. Unser Berliner Symposium schließt sich an das internationale Faust-Symposium an, das im vergangenen Oktober in Kooperation mit dem Goethe-Institut Tokyo von
der Sophia-Universität veranstaltet wurde, und an dem Goethe-Kenner aus Deutschland,
Korea, China und Japan beteiligt waren. Es war von mir aus durchaus als eine Vorstufe
unseres Drei-Länder-Treffens in Deutschland gedacht. Auf dem 2. Internationale Germanistentreffen des DAAD, das im August 1985 eine Woche vor dem IVG-Kongreß Göttingen
stattfand, habe ich Herrn Professor Oh Han-sin kennengelernt und Herrn Professor Zhang
Yushu nach dessen geistreichem Vortrag kurz angesprochen. Mit Herrn Oh hat sich bald eine
gute Freundschaft entwickelt, nachdem wir uns gegenseitig in Tokyo und Seoul besuchten. Die
nähere Bekanntschaft mit Herrn Zhang hat mir dankenswerterweise Herr Dr. Pfeiffer im
Herbst 1987 verschafft, alser in Begleitung von Herrn Dr. Papenfuß in Peking war. So habe
ich Herrn Zhang bereits im März 1988 in Peking aufgesucht und bei der Gelegenheit den
ersten Kontakt mitdem Vorstand des Chinesischen Germanistenverbandes aufgenommen.
Offen gestanden wurde die allererste Idee zum koreanisch-japanischen Germanistiksymposium sozusagen auf der Poststraße von Bonn gefaßt, als ich dort im Juli 1987 Herrn Oh
zufällig traf. Er kam vom Münsterplatz daher, und ich gerade vom Bahnhof. Wir haben uns
dann stundenlang im Café am Bahnhof über eine solche Möglichkeit als Vorkontakt vor dem
IVG-Kongreß Tokyo unterhalten. Das war also ein „glückliches Ereignis“. Mit Herrn Zhang
habe ich die Möglichkeit eines chinesisch-japanischenGermanistiksymposiums zunächst
brieflich besprochen.
Über die Bedeutung unseres Berliner Treffens brauche ich wohl nicht eigens zu sprechen,
weil Graf Brockdorff in seiner Begrüßungsansprache eindringlich genug darauf hingewiesen
hat. Da es von japanischer Seite initiiert wurde, hat der Präsident der Japanischen Gesellschaft für Germanistik, Professor Kozo Hirao, in seiner Eröffnungsrede die historische Bedeutung des Berliner Treffens hervorgehoben. Der Generalsekretär des JDZB hatte denn auch
auf das Beispiel der deutsch-französischen Freundschaft und auf den Beginn der deutschpolnischen Zusammenarbeit hingewiesen. Die deutsche Aussöhnung mit den Nachbarn zum
Muster zu nehmen, lag in der Tat den japanischen Initiatoren an, wie es im Konzept von Professor Kenichi Mishima heißt: “Wir hoffen, daß dieses Symposium nicht nur den kulturellen
Austausch zwischen Ost und West intensiviert, sondern auch die wissenschaftliche Kommunikation und die menschliche Zusammenarbeit zwischen den chinesischen, koreanischen,
japanischen und deutschen Germanisten auf eine neue Basis stellt, auf der später zum Wohl
aller viele interessante und anregende Erkenntnisse gedeihen werden. In diesem Sinne
möchten wir auch am Ende ausdrücklich hervorheben, daß es besonders wichtig und
symbolträchtig ist, daß dieses Symposium in einem neu geeinigten Deutschland, und zwar in
einer Stadt mit ihrer leidvollen, endlich überwundenen Geschichte der Spaltung stattfindet.“
Wie Sie alle, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, habe ich mich lange mit der deutschen
Sprache und Literatur beschäftigt und habe gesehen, daß das Geschehene in der Geschichte
nicht wieder rückgängig zu machen ist. Ich habe aber auch gelernt, daß es soweit wie möglich
mit gutem Willen wiedergutgemacht werden kann. Ich bewundere dabei die Fähigkeit der
deutschen Kollegen, Selbstkritik zu üben, und möchte sie nach Kräften zum Modell für die
Gestaltung einer besseren menschlicheren Zukunft nehmen. Denn es genügt nicht, bloß mea
culpa zu sagen. In diesem Sinne kommt es mir wirklich wie eine Fügung vor, daß unser
Symposium im wiedervereinigten Deutschland und zwar in Berlin, das wieder Hauptstadt
geworden ist, stattfinden konnte. Ich darf wohl sagen: Es gehört zu unserem seltenen Glück,
daß wir die deutsche Sprache als gemeinsames Kommunikationsmittel in ganz Ostasien
entdeckt haben. Wir konnten dadurch Freunde werden. Das sind gewiß jene anderen Töne,
die Beethoven im Chor seiner Neunten Symphonie angestimmt wissen wollte. So wollen wir
uns nun von ganzem Herzen freuen und vor allem der deutschen Sprache für ihre völkerverbindende und -versöhnende Rolle dankbar bleiben.
Zum deutsch-japanischen Symposium „Goethe und die Weltkultur“: Berlin, 19.12.1991
Meine Damen und Herren!
Zum Schluß unseres deutsch-japanischen Goethe-Symposiums erlauben Sie mir bitte, noch
ein paar Worte zu sagen. Ich freue mich mit Ihnen allen aufrichtig, daβ es trotz der ungünstigen Zeit kurz vor Weihnachten relativ viele Teilnehmer gefunden hat und unter Anwesenheit des Herrn Gesandten Araki erfolgreich verlaufen ist. Für die freundliche Mitwirkung
bin ich als Organisator allen Kolleginnen und Kollegen sehr verbunden, möchte aber besonders Frau Dr. Reini Schwede, die ja fast ein ganzes Jahr das Goethe-Symposium mit allen
seinen Pannen infolge des Golfkrieges vorbereitet hat, recht herzlich danken.
Wie dieses Symposium überhaupt zustande kommen konnte, darüber hat Graf Brockdorff
gestern bei der Eröffnung ausführlich berichtet. Deshalb brauche ich Ihnen nicht mehr viel
zu sagen. Eigentlich habe ich dieses Projetkt im Auftrag meines geschätzten Kollegen Prof.
Takeo Ashizu, Kyoto, ausgeführt. Unterstreichen möchte ich aber, daß die erste Anregung
von Herrn Koji Toyoda gekommen ist, der hier in Berlin als Professor an der Musikhochschule tätig ist und dem Stiftungsrat des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin angehört. Er
hat mich bereits im Oktober 1989 in meinem Büro in der Sophia-Universität, Tokyo, aufgesucht und hat mir u.a. mitgeteilt, daß Herr Keizo Kimura, der japanische Botschafter in
Bonn, an seinem Projekt sehr interessiert sei. Daraufhin habe ich mich gern zur Zusammenarbeit bereiterklärt, zumal ich den Botschafter vor dreißig Jahren während meiner
Münchner Studentenzeit kennengelernt habe und wissenschaftlich seinem Vater Kinji
Kimura, dem bedeutendsten Goetheforscher Japans, sehr viel verdanke.
Unser Goethe-Symposium konnte freilich wie fast immer bei solchen Projekten erst nach
einigen Pannen realisiert werden. Vor allen Dingen wurde es durch den Golfkrieg im vergangenen Februar stark betroffen. Nur wenige wissen darum Bescheid, daß wir auch Kriegsopfer sind, obwohl wir nicht gerade in Deutschland und Japan bombardiert worden sind.
Wurde doch das Symposium deswegen vom Februar auf Dezember kurz vor der Weihnachtszeit verschoben, und wir Japaner müssen wiederum den Vorwurf hinnehmen, daß wir
zuviel arbeiteten, ohne Urlaub zu nehmen. Nein, wir sind diesmal nicht schuld daran. Ich
bedaure vielmehr, daß ein paar vorgesehene Referenten aus terminlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr nach Berlin kommen konnten. Um so herzlicher danke ich
den Kollegen, die kurzfristig sich entschlossen haben, mit einem Referat an diesem Symposium teilzunehmen.
Als ich voriges Jahr kurz vor dem IVG-Kongreß Tokyo mein erstes Konzept entwarf und
an die deutschen und japanischen Referenten mit der Bitte um die Mitwirkung herantrat,
stand die offizielle Wiedervereinigung Deutschlands noch bevor. So habe ich zunächst an die
zahlreichen Äußerungen Goethes über die Deutschen und sein Verhältnis zu Deutschland
gedacht. Ich war besonders überrascht zu finden, daβ ein einheitliches Deutschland in der
jahrhundertelangen deutschen Geschichte nur während der Jahre 1871-1945 existiert hat,
und daß die vier Jahre bis zur Teilung Deutschlands im Jahre 1949 keine festen Umrisse
mehr zu haben schienen, obwohl man doch bald vom Wirtschaftswunder in Deutschland
sprach.
Als ich im Sommer 1959 zum Studium nach München fuhr, hatte sich die Germanistik
schon lange wieder etabliert, und das Grimmsche Wörterbuch wurde etwa nach einem Jahr
zu meinem Erstaunen in hundertjähriger philologischer Arbeit endlich vollendet. So sah ich
mich veranlaβt, beim ersten Konzept primär an die deutsche Einheit zu denken. Eines der
berühmtesten Xenien von Goethe und Schiller trägt ja den Titel „Das deutsche Reich“ und
wirft andeutungs- und ahnungsvoll die Frage auf: „Deutschland? aber wo liegt es? Ich weiß
das Land nicht zu finden, / wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.“ Vorher heißt es
noch im Hinblick auf die Revolutionen: „Was das Luthertum war, ist jetzt das Franztum in
diesen /Letzten Tagen, es drängt ruhige Bildung zurück“ und nachher in Bezug auf den
deutschen Nationalcharakter: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebes;
/ Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus!“
In diesen drei Xenien kommt in erster Linie Goethes konservative politische Haltung
zutage. Seine Ablehnung der französischen Revolution beruhte aber im Grunde genommen
auf seinem klassischen Bildungsideal, das in der ästhetisch-ethischen Bildung des Menschen
die Voraussetzung aller politischen Bildung sah. Ein Jahr nach der verwirklichten Einheit
Deutschlands würde ich allerdings viel mehr Goethes Bedeutung für die Gegenwart im Spannungsverhältnis zwischen deutscher Kultur und umfassender Weltkultur bzw. zwischen
Deutschtum und Weltbürgertum ins Auge fassen. Nach Heinrich Luden lag dem Dichter
natürlich auch das politische Deutschland warm am Herzen. So soll er sich in der Unterredung mit jenem am 13. Dezember 1813 geäußert haben, er habe oft einen bittern Schmerz
empfunden bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im einzelnen und so
miserabel im ganzen sei. Das gelehrte Deutschland setzte sich für ihn wohl nur aus einzelnen
Gebildeten zusammen. Das bedeutet jedoch nicht, daβ die deutsche Kultur vorwiegend im
engeren nationalen Rahmen gepflegt werden sollte. Daβ Goethe selbst den Begriff der Weltliteratur geprägt hat und seit eh und je in der ganzen Welt gelesen wird, ist der beste Beweis
dafür.
Die deutsche Einheit gibt also den Goetheforschern einen guten Anlaβ, sich wieder
einmal mit Goethes Weltbürgertum zu beschäftigen, da es doch gar nicht im Widerspruch
zum echten Deutschtum steht. Das wissenschaftliche Ziel, das auf diese Weise unter dem
Rahmenthema „Goethe und die Weltkultur“ aufgestellt worden ist, dürfte durch aufschlußreiche Referate und lebhafte Diskussionen zur Genüge erreicht worden sein. Wurde es doch
aus rezeptionsgeschichtlichen, übersetzungswissenschaftlichen, komparatistischen, ideologiekritischen und nicht zuletzt aus deutsch-deutschen Perspektiven aufgegriffen, und es sind im
Laufe des zweitägigen deutsch-japanischen Goethe-Symposiums immerhin die Länder Frankreich, Persien, England, Amerika, Indien, China und Italien angesprochen worden. Wir
hätten selbstverständlich auch die hispanische und slawische Welt ohne weiteres einbeziehen
können. Goethe erweist sich somit als ein globaler Dichter, der nicht nur Deutschland,
sondern der ganzen Menschheit gehört.
Bekanntlich verlangte Herman Grimm in seinen nach der Reichsgründung gehaltenen
Berliner Goethe-Vorlesungen ausdrücklich ein neues Goethebild. Es scheint mir, daß man
im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wieder ein neues Goethebild braucht, damit
ein vom Goethekult befreiter Umgang mit diesem energiegeladenen Dichter ermöglicht wird.
Daß Goethe dabei nicht mehr als Repräsentant der bürgerlichen Kultur in Deutschland,
sondern als Symbolfigur für die deutsche Kultur überhaupt gilt, dafür sind schon einige
Anzeichen zu beobachten. Wie dieses zukünftige Goethebild im vereinigten Deutschland
aussieht, ist insofern sehr aktell, als es sich früher oder später auf das japanische Goethebild
auswirken wird. Ich hoffe, daß wir in einigen Jahren wieder im Japanisch-Deutschen
Zentrum zusammenkommen können, um unsere Erfahrungen mit dem neuen west-östlichen
Goethebild auszutauschen.
Bei der Ordensverleihung
Exzellenz!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für die hohe Ehrung und Ihre überaus wohlwollende Laudatio möchte ich Ihnen von
ganzem Herzen danken. Genau vor zehn Jahren hatte ich das Glück, hier in diesem Saal von
Botschafter Dr. Blech den Philipp-Franz-von-Siebold-Preis zu empfangen. Dabei sprach ich
meinen tief empfundenen Dank mit den Worten aus: „Ich möchte den Preis nicht als
Auszeichnung für das Geleistete, sondern als Verpflichtung für das noch zu Leistende
dankbar in Empfang nehmen“. Seitdem habe ich mich zwar redlich bemüht, Wort zu halten,
und an verschiedenen Projekten des deutsch-japanischen Kulturaustausches mitgewirkt.
Aber ich hätte nicht daran gedacht, so frühzeitig von meiner Verpflichtung dispensiert und
sogar mit diesem Orden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet zu werden. Ich
fürchte daher, diese Ehre unverdient erhalten zu haben, und werde mich nach Kräften bemühen, sie durch weitere Verpflichtungen wirklich zu verdienen.
Wie damals bin ich mir freilich wohl bewuβt, daβ mir sehr viele deutsche und japanische
Bekannte und Freunde zu diesem glücklichen Ereignis verholfen haben. Es war vor allem
Herr Professor Eijiro Iwasaki, der mir eine gute Gelegenheit, meine Schuldigkeit zu tun,
gegeben hat. Berief er doch als Präsident der IVG mich zu einer engeren Zusammenarbeit,
und ihm verdanke ich, daβ ich im Verlauf dieser Zusammenarbeit mit so vielen Germanisten
in der ganzen Welt Kontakt aufnehmen konnte. Auch Herrn Dr. Manfred Osten, dem
Kulturattaché der Botschaft, bin ich zu groβem Dank verpflichtet, weil er mit seinen
zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln in Deutschland meinem Vorhaben zu einer
Vergangenheitsbewältigung beigestanden hat. Auf diese Weise konnten die beiden
Symposien in Seoul und Peking und schlieβlich das ostasiatische Germanistentreffen in
Berlin zustandekommen. Es versteht sich von selbst, daβ ich den deutschen Institutionen, namentlich dem Goethe-Institut, dem DAAD sowie der Alexander von Humboldt-Stiftung, für
ihre finanzielle Unterstützung sehr dankbar bin.
Mein Dank gilt aber nicht zuletzt der deutschen Sprache. Denn durch diese Sprache
konnten viele japanische Germanisten mit koreanischen und chinesischen Kollegen
Freundschaft schlieβen. Im Laufe der Vorbereitungen für den IVG-Kongreβ Tokyo erwies
sich Deutsch tatsächlich als eine lebendige Weltsprache, in der wir ohne weiteres
korrespondiert und auf den Symposien wissenschaftlich diskutiert haben. Früher waren die
koreanischen, chinesischen und japanischen Germanisten aus der Ferne durch ihre
gemeinsame Neigung zur deutschen Sprache und Literatur wie mittels eines Nachrichtensatelliten miteinander verbunden. Jetzt haben wir glücklicherweise Deutsch als gemeinsames
Kommunikationsmittel in Ostasien entdeckt und unterhalten uns direkt miteinander
freundschaftlich. Zum Beispiel bin ich schon fünfmal in Korea und dreimal in China
gewesen und fühle mich sowohl in Seoul als auch in Peking zu Hause, obwohl ich weder
Koreanisch noch Chinesisch sprechen kann. Inzwischen habe ich sogar einen koreanischen
und einen chinesischen Duzfreund, die sich ihrerseits lange vor den wiederhergestellten
diplomatischen Beziehungen geduzt haben. Das verdanke ich der deutschen Sprache. Dazu
kommt, daβ ich nun durch die Wiedervereinigung Deutschlands leichteren Zugang zum
Kulturerbe in den fünf neuen Bundesländern habe. Dadurch habe ich ein neues Verhältnis
zur deutschen Literatur im 18. Jahrhundert gewonnen, die sich hauptsächlich in den Städten
Weimar, Jena, Leipzig oder Dresden entwickelt hat.
Voriges Jahr habe ich denn auch zum erstenmal auf den Spuren Goethes die böhmischen
Badeorte Karlsbad und Marienbad besucht, die Statue des heiligen Johanna von Nepomuk
auf der Karlsbrücke in Prag bewundert und auf der Rückfahrt den seit langem erträumten
Berg Kickelhahn endlich gesehen. Unterwegs hatte ich natürlich keine Sprachschwierigkeiten. Als ich dann in Frankfurt an der Oder das Kleist-Museum besichtigte, wäre ich gerne
zu einem polnischen Germanisten in Warschau weitergefahren, wenn ich nur Zeit gehabt
hätte. Gerade an der deutsch-polnischenGrenze ist mir wieder zum Bewuβtsein gekommen,
wie groβzügig und hilfsbereit die Bundesrepublik Deutschland die akademische Jugend der
Welt fördert, und zur
hören, die
gleichen Zeit habe ich mich erneut gefreut, ebenfalls zu denen zu ge-
in ihrer Jugend in Deutschland studieren durften. Zum Schluβ danke ich Ihnen,
Herr Botschafter, noch einmal sehr herzlich.
(Tokyo, den 22. Oktober 1992)
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Budapest, den 25. April 1998
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für die mir zuteil gewordene Ehre, mich in Ihrem literarisch-gelehrten Kreis vorstellen zu
dürfen, kann ich Ihnen nicht genug danken. Abgesehen davon, daß ich im Laufe der
langjährigen Lehrtätigkeit als Auslandsgermanist mehrere von Ihnen persönlich in Japan
oder Deutschland kennengelernt habe, kann ich mich an drei Ereignisse erinnern, die direkt
oder indirekt mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zu tun hatten. Gibt es
doch ein deutsches Sprichwort: “Aller guten Dinge sind drei…”
Einmal hatte ich vor Jahren Gelegenheit, beim deutschen Gesandten in Tokyo eine
Delegation der Akademie unter der Präsidentenschaft von Herrn Karl Krolow zu begrüßen.
Dann besuchte ich vor einigen Jahren in Peking den chinesischen Dichtergelehrten Feng
Chih, der im Jahre 1988 den Friedrich-Gundolf-Preis erhalten hatte. Zuletzt schrieb ich
1996 als einer der Humboldtianer in einer Festschrift des Goethe-Instituts München: “Die
durch die Humboldt-Stiftung geförderten Wissenschaftler verschiedenster Provenienz
haben das freudige Lebensgefühl, gleichsam einer internationalen Akademie der
Wissenschaften anzugehören.” Damals ahnte ich freilich nicht, daß mir jemals die
Auszeichnung zuerkannt würde, zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt zu werden. Offen gestanden, komme ich mir in dem
Kreis derer, die sich um die deutsche Sprache und Dichtung in hervorragender Weise
verdient gemacht haben, ein wenig fremd vor. Denn sowohl in der deutschen Sprache als
auch in der deutschen Dichtung habe ich eigentlich nichts geleistet. Wenngleich ich eine
Anzahl Aufsätze in deutscher Sprache veröffentlicht habe, kann ich doch nicht wie ein
Deutscher Deutsch schreiben. Mein Deutsch muß vor der Drucklegung immer von einem
deutschen Kollegen korrigiert werden. Im Japanischen würde ich mich aber schämen,
meine Aufsätze oder Bücher sprachlich verbessern zu lassen. Die Kriterien für die
Beurteilung bzw. Wertschätzung eines japanischen Germanisten müssen also woanders
liegen.
Ich persönlich sehe meine Aufgabe darin, das Interesse der japanischen Jugend an
deutscher Sprache und Dichtung durch literaturwissenschaftliche Arbeit wachzuhalten.
Dabei gilt mir vor allem Goethe als Sinnbild deutscher Kultur und Humanität. Darüber
hinaus hat die deutsche Sprache mir dazu verholfen, gute Freunde in Korea und China zu
gewinnen. Das gehört zu meinem Lebensglück, und ich bin ihr dafür sehr dankbar. In
diesem Sinne möchte ich mich weiterhin nach Kräften um eine kulturelle Brücke zwischen
Deutschland und Ostasien bemühen. Zu meiner Freude hat sich die deutsche Sprache für
mich auch hier in Ungarn nicht nur als gemeinsames Verständigungsmittel, sondern auch
als die Sprache der Freundschaft erwiesen. Ich danke Ihnen herzlich dafür.
Schlußwort zum Schweiz-Symposium am 24. Oktober 1998, Tokyo
Herr Botschafter Manz!
Verehrte Gäste sowie meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Zum Abschluß des erfolgreich verlaufenen Schweizer-Symposiums freue ich mich, als
Insti-tutsleiter ein paar Worte sagen zu dürfen. Zunächst danke ich aufrichtig sowohl
den Referenten, die mit ihren Vorträgen zum besseren Verständnis der Schweiz beigetragen haben, als auch meinen Kollegen, die das Symposium rechtzeitig angeregt haben. Denn ich hatte es nur zum glücklichen Abschluß zu führen, ohne es selbst genügend vorbereitet zu haben.
Ich möchte dann nicht verabsäumen, Herrn Professor Thomas Immoos zum achtzig-
sten Geburtstag noch einmal herzlich zu gratulieren. Es ist selten, daß einem Wissenschaftler
zu Ehren ein Symposium veranstaltet wird. Die Festschrift „Das Gold im
Wachs“ hat er schon im Jahre 1988 erhalten, und im gleichen Jahr hat ihm auch die
Zeitschrift „Beiträge zur deutschen Literatur“ der Sophia-Universität eine Sondernum
mer gewidmet. Ich persönlich kenne Pater Immoos seit meiner Studentenzeit, d. h. er
ist vor vielen Jahren einmal mein Lehrer gewesen, und später habe ich in der deutschen Literaturabteilung über zwanzig Jahre einer seiner Kollegen sein dürfen.
Vor einer Woche war ich an einer Akademietagung in Darmstadt beteiligt und habe bei der Gelegenheit Herrn Professor Peter von Matt wiedergesehen. Er hat mir
erzählt, wie Sie, Pater Immoos, Anfang der 60er Jahre zu seinem Erstaunen -- Herr
von Matt war damals noch ein junger Student -- mit einer Doktorarbeit bei Emil
Staiger in Zürichanfingen. Darauf hin habe ich ihm meinerseits mitgeteilt, daß Sie in
den letzten Jahrzehnten zwei Operationen überstanden und auch nach der Emeritierung an der Universität Wien als Gastprofessor für Religionsgeschichte und Theaterwissenschaft weiterhin gelehrt haben.
Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß ich als junger Dozent an der japanischen
Ausgabe des Heftes „Nippon-Helvetia 1864 – 1964“ aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Staatsbeziehungen zwischen der Schweiz und Japan mitgearbeitet habe. Ich
habe dafür den Artitel „Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und Japan“
und Ihren Aufsatz „Kulturelle Beziehungen im Barockzeitalter. Der erste Japandruck
in der Schweiz. Japani-sche Themen im Schweizer Barocktheater“ ins Japanische über
setzt.
Sehr verehrer, lieber Pater Immoos, so freue ich mich, daß unsere Bekanntschaft
sich über dreißig Jahre aufrecht erhalten hat und meine vielfachen Beziehungen zur
Schweiz bei dieser Gelegenheit wunderbar erneuert worden sind. Ich wünsche Ihnen
alles Gute, vor allem viel Gesundheit, und hoffe, daß ein Stück von „Hoher Himmel
Enges Tal“, wie die Ausstellung „Buchkunst Schweiz“ auf der Frankfurter Buchmesse
1998 geheißen hat, in Ihnen lange verkörpert bleiben wird.
Zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. multi. Wolfgang Frühwald
Sehr verehrter, lieber Herr Frühwald,
im Konfuzianismus, der die jahrhundertealte ethische Tradition in ganz Ostasien gebildet hat,
stellt das 70. Lebensjahr etwas Besonderes dar, heißt es doch im Lun Yü, den Gesprächen des
Konfuzius’ mit seinen Jüngern: „Der Meister sprach: Ich war fünfzehn, und mein Wille stand
aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr, mit fünfzig
war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr aufgetan, mit siebzig konnte
ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu übertreten.“ (Buch 2, Nr. 4 in der
Übersetzung von Richard Wilhelm)
Im Leben eines deutschen Akademikers werden diese Stufen der Entwicklung ungefähr
dem Abitur, der Promotion, der Habilitation, der Lehrtätigkeit als Professor, dem Dekanat
einer
Universität
und
schließlich
einem
ehrwürdigen
Amt
als
Präsident
einer
wissenschaftlichen Institution entsprechen. Herr Frühwald, Sie gelten in Deutschland sicher
als guter Christ, ich hoffe es, Sie erweisen sich aber auf diese Weise auch in Ostasien als
vorbildlicher Konfuzianer. Ich freue mich sehr darüber, weil Sie deshalb in der Lage sind, die
weltweite Bedeutung der Alexander von Humboldt-Stiftung wohl nicht naturwissenschaftlich
wie Ihre Vorgänger, aber geisteswissenschaftlich so glänzend in Ost und West zu
repräsentieren.
Als Germanist bin ich Ihnen durch eine glückliche Fügung wie kaum ein anderer zu
großem Dank verpflichtet. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir zu erwähnen, daß Sie sich
schon vor vierzig Jahren als Oberassistent meines Münchner Doktorvaters Hermann Kunisch
um mich gekümmert haben. Damals war ich ein DAAD-Stipendiat. Als mir im Goethejahr
1982 das Glück zuteil wurde, faktisch von der Humboldt-Stiftung einen Philipp-Franz-vonSiebold-Preis zu erhalten, haben Sie mich dann als Ordinarius der Germanistik in München
freundlich betreut. Ich ahnte freilich nicht, daß ich später in meinem wissenschaftlichen
Betreuer einen Präsidenten der Humboldt-Stiftung finden würde. Im Laufe der Jahre habe ich
von Ihnen nicht nur aus zahlreichen Sonderdrucken, sondern auch durch persönliche
Gespräche sehr viel gelernt und es sogar manchmal zitiert ohne Quellenangabe. Da ich
darüber als Philologe etwas schlechtes Gewissen habe, möchte ich Ihnen heute ein Beispiel
nennen. Sollten Sie sich nicht mehr daran erinnern, so würde ich mich von der philologischen
Pflicht dispensiert fühlen.
Es handelt sich dabei um Flugblätter der „Weißen Rose“, in denen neben der Bibel (Der
Prediger Salomo) Augustinus, Goethe, Schiller, Novalis, Aristoteles und Laotse zitiert waren.
Ich wunderte mich, daß ausgerechnet Laotse statt Konfuzius genannt wurde. Da wies mich
Herr Frühwald darauf hin, daß Theodor Haecker in seinem seinerzeit bekannten Buch Was ist
der Mensch? (1933) einmal bemerkt hatte: „Ich kann mir sehr wohl denken, daß einer ein
kleines Buch schriebe: Laotse, Vater des Morgenlands.“ Das war bewußt im Hinblick auf sein
antifaustisches Buch Vergil, Vater des Abendlandes (1931) gesagt.
Als man die Geschwister Scholl wegen Austeilung der Flugblätter in der Universität
München verhaftete, wäre man dahinter gekommen, wer sie zu den merkwürigen LaotseZitaten angeregt hatte, wenn man nur um diesen Zusammenhang gewußt hätte. Das hätte
dann zur dritten Verhaftung Theodor Haeckers und zu schlimmen Folgen geführt. In seinen
Tag- und Nachtbüchern 1939-1945, deren Manuskript bei der Hausdurchsuchung beinahe
entdeckt worden wäre, notierte er in der Tat am 9. Juni 1944: „Manche gute Menschen, Helfer,
Tröster durch ihr Sein und ihr Tun! Scholl!“ In meinem nach vielen Jahren entstandenen
Aufsatz über „Konfuzius’ Lun Yü in deutscher Übersetzung“ habe ich diese Umstände
andeutungsweise erwähnt, um jene Zitate aus Laotses Tao Te King zum Vergleich
heranzuziehen, habe aber keine Anmerkung gemacht, diese Erkenntnis gehe auf einen
mündlichen Hinweis von Wolfgang Frühwald zurück.
Ich weiß allerdings selber nicht, wann und wo das aufschlußreiche Gespräch mit Ihnen
geführt wurde. Als ich vor einigen Jahren eine Textsammlung der deutschen Mystik in
japanischer Übersetzung herausgab, habe ich aber Ihren Aufsatz über Albertus Magnus mit
Quellenangabe zitiert, da er gedruckt vorliegt. Auch Ihren Weimarer Festvortrag 1999 über
die „Erfahrung, sich selbst historisch zu werden“ wollte ich für mein demnächst erscheinendes
Goethebuch in deutscher Sprache anführen. Leider war Ihr Buch Goethe. Annäherungen in
der Insel-Bücherei schon vergriffen. Große Gelehrte in Deutschland geben nach der
Emeritierung ihre bedeutenden Aufsätze manchmal unter dem Buchtitel „Kleine Schriften“ heraus. Auch von Ihnen möchte ich gern so ein Buch besitzen.
Wenn ich in dieser Weise zurückdenke, kann ich mich noch an verschiedene
Begegenungen mit Ihnen erinnern. In den Jahren Ihrer ersten Lehrtätigkeit arbeiteten Sie
streng philologisch und so vorbildlich für mich an den Editionen von Stifter, Eichendorff oder
Brentano. Aber auch literaturkritische Artikel von Ihnen etwa über Reinhold Schneider in
dem von Hermann Kunisch herausgegebenen Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur
habe ich mit Nutzen gelesen. Als eine besonders hohe Ehre habe ich es empfunden, daß Sie
mich, der ich noch ein junger Dozent in Tokyo war, im Jahre 1971 zu einem Beitrag zur
Festschrift Sprache und Bekenntnis Hermann Kunisch zum 70. Geburtstag einluden. In den
siebziger Jahren hatte ich mich von den deutschen Universitäten distanziert und war kaum in
Deutschland gewesen. Aber als Sie Präsident der Eichendorff-Gesellschaft waren, habe ich
schon oft an deren Jahrestagung teilgenommen.
Als Sie dann die Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft
Arbitrium ins Leben riefen, wollten Sie mich freundlicherweise zu einem korrespondierenden
Referenten berufen. Ich war aber bereits im Jahrbuch für Internationale Germanistik
beschäftigt, habe deshalb meinen älteren Kollegen und Humboldtianer Yoshio Koshina
vorgeschlagen. Es war sicherlich gut so, zumal er bald Präsident der Japanischen Gesellschaft
für Germanistik wurde. Zu jener Zeit war ich einmal bei Ihnen zu Hause in Augsburg
eingeladen. Da nahm ich meinen chinesischen Kollegen Zhang Yushu einfach mit. Als wir uns
in der Stadt verliefen, sind Sie mit dem Fahrrad gekommen, um uns abzuholen. Zu Gast bei
Ihnen war zufällig auch der kanadische Germanist Hans Eichner.
Nach Japan sind Sie erstmals als Präsident der Forschungsgemeinschaft gekommen. Da
war ich überrascht, als einer der wenigen Gäste zu einem Festessen bei der JSPS eingeladen zu
werden, weil Sie mich sehen wollten. Ansonsten haben Sie für mich eine Gastprofessur in
Regensburg befürwortet, als ich dort im Jahre 1997 ein Forschungssemester verbringen wollte.
Es kommt schließlich daher, daß ich mich nach der Emeritierung schon fünf Jahre wieder in
Regensburg aufhalte und weiterhin unterrichten kann. Im Oktober 1999 waren Sie übrigens
zu einem Festvortrag bei dem von mir geplanten internationalen Goethe-Symposium in Tokyo
vorgesehen. Aber ohne Gründe zu nennen, haben Sie unerwartet abgesagt, und ich war tief
unglücklich darüber, obwohl Herr Voßkamp sofort bereit war, einzuspringen. Ich wußte ja
nicht, daß Sie gerade zum Präsidenten der Humboldt-Stiftung gewählt worden waren.
Für viele Germanisten in Japan, Korea und China sind Sie, Herr Frühwald, also in erster
Linie Präsident der Humboldt-Stiftung. Meine ostasiatischen Kollegen haben bisher kaum
Gelegenheit gehabt, Sie als Germanist zu erleben, was nicht nur für meine Freunde persönlich,
sondern auch für die ostasiatische Germanistik selbst sehr bedauerlich ist. Im vergangenen
September war ich in Seoul, Tokyo und Peking und habe mit befreundeten Humboldtianern
darüber gesprochen - Herr Dr. Pfeiffer ist Zeuge davon - und möchte Ihnen zum Schluß
deren heißesten Wunsch mitteilen. Wir möchten nämlich 2007 zum erstenmal ein
ostasiatisches Humboldt-Kolleg in Shanghai veranstalten und wünschen uns als Gastdozent
wie auf dem bekannten Tateshina-Kulturseminar einzig den Germanisten Wolfgang Frühwald.
Wenn Sie ohne Wenn und Aber damit einverstanden sind, kann ich mich danach beruhigt
von aller öffentlichen Tätigkeit zurückziehen. Um mich dafür vorzubereiten, habe ich schon
lange in meinem Landhaus in den Bergen ein umfangreiches Goethe-Archiv aufgebaut. Der
unmittelbare Anlaß dazu war, daß Herr Dr. Osten mir vor Jahren als Kulturattaché an der
Deutschen Botschaft Tokyo ein großformatiges Goetheportrait seines Malerfreundes zum
Geschenk gemacht hatte. Nach der chinesischen Tradition ist das Lebensideal eines Gelehrten
bzw. Literaten in dem Motto seiko udoku ausgesprochen, d.h. „Beim schönen Wetter den Acker
zu bebauen und beim Regenwetter Bücher zu lesen“. Ich freue mich seit langem darauf,
sowohl beim schlechten als auch beim guten Wetter mich der Schriftstellerei hinzugeben.
Vielleicht gelingt es mir auch einmal, wenn nicht Gedichte oder Romane, aber doch Essays in
japanischer Sprache ohne Anmerkungen zu schreiben.
Aber ich möchte Sie, verehrter, lieber Herr Frühwald, bitten, nicht nur Ihre philologische
Arbeit für die deutsche Germanistik fortzusetzen, sondern auch als Präsident der Alexenader
von Humboldt-Stiftung sich für die ostasiatische Germanistik einzusetzen. Sie ist gerade im
Entstehen und braucht Ihre tatkräftige Unterstützung. Ich danke Ihnen im voraus aufrichtig
dafür und wünsche Ihnen vor allem viel Gesundheit.
Bei einer Germanistentagung in Seoul
(Stand: 5.10.2005)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
Ich freue mich über die Gelegenheit, nach der Asiatischen Germanistentagung in Seoul 1997
eine kurze Ansprache zu halten. Es ist wahr, daβ die Idee eines ostasiatischen Germanistentreffens im April 1988 auf der Rückreise von Pusan nach Seoul im Flugzeug
entstanden ist. Wenn ich die reundliche Erinnerung von Herrn Professor Kyu-Hwa Chung
mit einer Vor- und Nachgeschichte ergänzen darf, so ist aller Anfang doch auf die verständnisvolle Bereitschaft des damaligen Präsidenten der KGG zurückzuführen, mich zu einem
Vortrag auf der koreanischen Germanistentagung nach Pusan einzuladen. Damals war ich
im Auftrag von Herrn Iwasaki darum bemüht, für die Vorbereitung des IVG-Kongresses in
Tokyo Kontakt mit den koreanischen und chinesischen Kollegen aufzunehmen. Glücklicherweise kam zuerst das koreanisch-japanische Germanistiksymposium in Seoul und dann
das chinesisch-japanische Germanistiksymposium in Beijing noch vor dem IVG-Kongreβ
zustande, so daβ ein schönes Wiedersehen in Tokyo möglich wurde.
Bei der Gelegenheit fand die erste gemeinsame Vorstandssitzung der KGG, des Chinesischen Germanistenverbandes und der JGG statt. Auf diese Weise konnte 1991 zunächst
einmal
das
Vier-Länder-Germanistentreffen
einschlieβlich
deutscher
Kollegen
mit
finanzieller Unterstützung des DAAD sowie der Humboldt-Stiftung im Japanisch-Deutschen
Zentrum Berlin veranstaltet werden. Den unmittelbaren Anlaβ zu dieser erfolgreichen
Asiatischen Germanistentagung in Seoul gab 1994 die Regionaltagung des IDV in Beijing, an
der auch zahlreiche Kollegen aus Korea teilgenommen haben. Seit zehn Jahren sprechen wir
ostasiatischen Germanisten also freundschaftlich miteinander auf deutsch. Ich schätze mich
glücklich, Augenzeuge davon gewesen zu sein und inzwischen eine tüchtige jüngere
Generation nachwachsen zu sehen. Ich freue mich sehr auf die weitere Entwicklung unserer
Zusammenarbeit und möchte diesmal den koreanischen Kollegen für ihre Gastfreundschaft
aufrichtig danken.
Tischrede bei der Asiatischen Germanistentagung im August 2006 in Seoul:
Leider kann ich auf deutsch nicht so eloquent sprechen wie mein chinesischer Freund Zhang
Yushu und auch nicht so temperamentvoll sprechen wie Herr Ahn Sam-huan, aber ich habe
mich gern zu einer Tischrede bereit erklärt, weil sie mir gute Gelegenheit gibt, mich für so
viele Freundschaften in Korea erneut zu bedanken. Wollte ich es ordentlich machen, so müßte
ich allerdings eine ganze Reihe Namen nennen. Deshalb erlaube ich mir, mich auf ein paar
Namen zu beschränken.
Zuerst habe ich Herrn Byong-Ock Kim und Herrn Oh Hansin kennengelernt. Wir hatten in
Professor Grenzmann, Bonn, einen gemeinsamen Lehrer, war er doch ein Semester Gast-
professor an meiner Heimatuniversität in Tokyo. Dann verdanke ich Herrn Professor Myungyul Chi und Herrn Professor Kwack Boknok sehr viel. Denn offen gestanden durfte ich mit
den beiden Senioren von Anfang an auf japanisch sprechen. Das war für mich eine große
innere und geistige Erleichterung. Herrn Ahn Mun-Yeong habe ich eigentlich schon im Jahre
1982 getroffen, als sein Lehrer Beda Allemann mich am „Dies academicus“ der Universität
Bonn zu einem Vortrag einlud. Aber wir haben miteinander noch nichts gesprochen, sondern
uns erst in den späteren Jahren näher kennengelernt.
Als Goethe nun davon sprach, sich selbst historisch zu werden, war er 80 Jahre alt. Ich bin
zwar noch nicht so alt, befinde mich aber als Hochschullehrer schon lange im Ruhestand,
obwohl ich immer noch durch die Welt herumreise. Ich wohne sogar seit sechs Jahren in
Regensburg. Zuerst habe ich sieben Semester Japanischunterricht gegeben, dann halte ich als
Gastprofessor der Germanistik ein Hauptseminar über die Wirkungsgeschichte Goethes in
Ostasien und korrigiere auch Seminararbeiten deutscher Studenten. Denn durch die Rechtschreibreform ist die Interpunktion bei ihnen in Durcheinander geraten, und ich beherrsche
zumindest die deutsche Interpunktion besser als sie.
Von Regensburg aus fliege ich oft nach Peking, Seoul oder Tokyo. In Seoul und Peking bin
ich bis jetzt sicherlich jeweils zwanzigmal oder noch mehr gewesen. Innerhalb Europas kann
ich natürlich überall hin, bis nach Paris oder Wien, bequem mit der Bahn fahren. Ich denke
aber allmählich daran, mich endgültig von meiner Lehrtätigkeit in Deutschland
zurückzuziehen. In den japanischen Gebildetenkreisen gilt doch das alte chinesische
Einsiedlerprinzip von „Seiko Udoku“, d.h. beim schönen Wetter den Acker zu bebauen und
beim Regenwetter Bücher zu lesen, heute noch als Lebensideal im Alter.
Ich hatte das Glück, die ganze Entwicklung einer ostasiatischen Germanistik in den letzten
zwanzig Jahren mitzumachen, und freue mich sehr darüber, daß inzwischen eine tüchtige
jüngere Generation nachgewachsen ist, so daß ich mich fast aufs Faulbett legen könnte wie
Faust. Alles hat seinen Anfang genommen in dem internationalen Germanistentreffen, das
1985, eine Woche vor dem Göttinger IVG-Kongreß, vom DAAD in Berlin, damals noch in
West-Berlin, veranstaltet wurde. Dort haben wir uns zum erstenmal näher kennengelernt,
persönliche Freundschaften geschlossen und im Laufe der Jahre asiatisches Germanistentreffen in Berlin, Peking, Seoul und Fukuoka zustande gebracht. Wir haben uns dann auf den
IVG-Kongressen in Tokyo, Vancouver, Wien und Paris wiedergesehen. In fünf Jahren werden
wir uns in Warschau wiedersehen. Es versteht sich von selbst, daß deutsche, deutschsprachige
Kollegen uns dabei immer freundlich zur Seite gestanden haben. Wir ostasiatische Germanisten sind ihnen dafür zu großem Dank verpflichtet.
Ich weiß oft nicht mehr, was wann und wo stattgefunden hat. Aber hier in Seoul findet die
Asiatische Germanistentagung zum zweitenmal statt. Von der ersten Tagung liegt ein von
Herrn Professor Koh Young-Suck an der Yonsei herausgegebener Dokumentationsband in
zwei Bänden vor. Als die darauffolgende Tagung in Peking stattfand, hat die CGG, die sich
entsprechend der KGG und der JGG aus dem Chinesischen Germanistenverband umbenannt
hatte, ebenfalls einen stattlichen Dokumentationsband herausgebracht. Daran ist ein großer
Aufschwung in der ostasiatischen Germanistik festzustellen. Der Computer hat gewiß manche
technische Vorteile mit sich gebracht, aber ich glaube, was schwarz auf weiß gedruckt ist,
erweist sich immer noch als die gesicherten Forschungsergebnisse für die Wissenschaft.
Zum Schluß möchte ich im Namen aller japanischen Teilnehmer dem koreanischen Vorbereitungskomitee für seine großen Bemühungen aufrichtig danken. Vor allem möchte ich
Frau Professor Lee, Hae-Wook, Busan, herzlich dafür danken, daß sie uns durch ihre ausführlichen Rundschreiben bis heute auf dem laufenden gehalten hat. Ich habe diese in Regensburg per E-Mail erhalten und wußte genau, was ich machen sollte.
(Stand: 28. Aug. 2006)
Lieber Herr Kim Byong-Ock, meine sehr verehrten Damen und Herren,
zum Jubiläum Deines Instituts für Übersetzungsforschung zur deutschen und koreanischen
Literatur gratuliere ich Dir, Deinen Mitstreitern und nicht zuletzt Deiner Frau von ganzem
Herzen. Ich möchte diese drei Namen gleich am Anfang nennen, weil ich mich ihnen allen zu
großem Dank verpflichtet fühle. Ich weiß genau, wie energisch und umsichtig Du in den
letzten 15 Jahren für Dein Institut engagiert gewesen bist. Als der älteste von den drei
ostasiatischen Brüdern bist Du zwar relativ oft kränklich gewesen, also gesundheitlich
anscheinend schwächer als Herr Zhang und ich.
Aber sobald es um die wissenschaftliche Angelegenheit Deines Instituts ging, warst Du
merkwürdigerweise plötzlich wiederhergestellt und konnte alle damit zusammenhängende
Arbeit ohne weiteres bewältigen, gleichsam wie die Eltern sich selbstlos um ihr Kind kümmern.
Ich habe wirklich bewundert, wie Du so oft internationale Symposien in Seoul organisiert,
ausländische Gäste eingeladen und Deine Zeitschrift regelmäßig bis zum 10. Band herausgebracht hast. Sicher verdankst Du es zu einem guten Teil Deinen Sponsoren, die Dich
finanziell unterstützen. Aber das gehört eben zu Deinem „Jintoku“, mit chinesischen
Schriftzeichen wörtlich zu Deiner menschlichen Tugend, daß sie bereit sind, Deinem
Unternehmen zur Seite zu stehen, ganz zu schweigen von Deinen zahlreichen Kollegen, die
jahrelang mit Dir zusammengearbeitet haben.
Wie es wohl zu einem Jubiläum geziemt, erinnere ich mich gern daran, wie Dein Institut
vor 15 Jahren gegründet worden ist. Im Vorfeld hat es seinen Anfang genommen auf einem
Humboldt-Symposium über Übersetzungsprobleme, das im Oktober 1991 in Sonthofen/Oberbayern stattfand. Am 9. Oktober hast Du nach dem Abendessen einen nächtlichen
Spaziergang mit Herren Zhang Yushu, Koh Wee-Kong, Song Dong-Zun und mir gemacht.
Danach hast Du Herrn Zhang und mich noch zu einem Gespräch im Hotel eingeladen und uns
vertraulich Deinen Lebensplan nach der Emeritierung unterbreitet. Da wir leider Gottes
sogenannte Auslandsgermanisten sind, sind wir alle notgedrungen mit verschiedenen
Übersetzungsfragen konfrontiert. Außerdem haben wir damals gerade die deutsche Sprache
als lingua franca in Ostasien entdeckt, wir Germanisten konnten uns sowohl mit deutschen
Kollegen, als auch miteinander auf deutsch verständigen. Das war ein wunderbares Erlebnis,
das seine Folgen gehabt hat.
Aber weißt Du, Herr Kim, wir haben in dieser unserer Zusammenarbeit für eine
ostasiatische Germanistik einen unsichtbaren Schutzengel gehabt, der heute sichtbar unter uns
anwesend ist. Um es zu erläutern, muß ich etwas weit ausholen. Ich habe Dich und Herrn
Zhang etwa vor zwanzig Jahren einzeln in Deutschland kennengelernt. Beim IVG-Kongreß
1990 in Tokyo hat die erste gemeinsame Vorstandssitzung der JGG, der KGG und des CGV
stattgefunden, wobei Du und Herr Zhang als alte Freunde im Gästehaus der Universität Bonn
nebeneinander Platz genommen haben. Auf der Sitzung wurde dann das erste ostasiatische
Germanisten-Treffen vereinbart. Die finanzielle Unterstützung von seiten der HumboldtStiftung und des DAAD war kein Problem, aber wo und wie sollte das internationale
Germanistik-Symposium verwirklicht werden, da Südkorea damals noch keine diplomatischen
Beziehungen zur Volksrepublik China hatte?
Glücklicherweise konnte es in dem darauf folgenden Jahr in dem alten japanischen
Botschaftsgebäude im Bezirk Tiergarten des gerade wiedervereinigten Berlin stattfinden. Da
war die Humboldt-Stiftung wie heute durch Frau Dr. Gisela Janetzke vertreten! Die
Philologen brauchen freilich einen Beleg, ein schriftliches Zeugnis dafür. Dann soll auf ihre
Begrüßungsrede am Ende der Veröffentlichungen des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin,
Band 12 (1992), Symposium „Deutsche Literatur und Sprache aus ostasiatischer Perspektive“ verwiesen werden. Der damalige Generalsekretär des JDZB, Dr. Thilo Graf Brockdorff,
bezeichnete die Veranstaltung in seiner Abschlußrede als „Premiere besonderer Art„. Als vor
zwei Jahren die Deutsch-Japanische Gesellschaft in Regensburg gegründet wurde, ist er trotz
seiner Altersschwäche zur Eröffnungsfeier nach Regensburg gekommen, um eine Festrede zu
halten. Leider ist er bald nach der Rückkehr in Berlin verstorben. Ich denke an ihn als den
allerersten Wohltäter von uns dankbar zurück.
Wir haben also von Anfang an von einer Auslandsgermanistik aus ostasiatischer
Perspektive gesprochen. Über Entstehung und Werdegang dieser ost-westlichen Germanistk
wurde im Programmheft chronologisch berichtet, als die Asiatische Germanistentagung 2006
in Seoul erfolgreich durchgeführt wurde. Das Generalthema des heutigen Symposiums lautet
denn auch „Deutsche Koreanistik – koreanische Germanistik. Interdisziplinarität und Kultur“.
Da wir im Grunde gemeinsame Probleme haben, können wir im Rahmen der
Interdisziplinarität und Kultur ebenso gut ins Auge fassen: Deutsche Sinologie bzw.
Japanologie – chinesische bzw. japanische Germanistik. Denn wenn heutzutage allgemein von
den Kulturwissenschaften in der Germanistik die Rede ist, müßten deutsche Germanisten
enger mit den deutschen Koreanisten, Sinologen und Japanologen, die ihrerseits für die
wissenschaftliche Kulturver-mittlung Hervorragendes geleistet haben, zusammenarbeiten, um
überhaupt von der Kultur in Ost und West sprechen zu können.
Vor einigen Wochen ist übrigens ein Konfuzius-Institut als erstes Kuturinstitut Chinas in
Frankfurt am Main eröffnet worden. Ich hoffe, daß Konfuzius nicht nur für China, sondern
auch für ganz Ostasien als Symbolfigur angesehen wird. Darauf wird aber in der Diskussionsrunde von den besser vorbereiteten Referenten näher eingegangen werden. Zum Schluß
danke ich Dir, lieber Herr Kim Byong-Ock, herzlich dafür, daß Du mich freundlicherweise auf
weitem Weg hierher eingeladen hast. Ich komme gern immer wieder nach Korea.
(Stand: 6. Okt. 2007)
Ⅲ. Herkunft und Lebenslauf:
Es kommt jetzt darauf an,
was einer auf der Waage
der Menschheit wiegt; alles
übrige ist eitel.
(Aus Goethes Gespräch mit Eckermann)
Meine Heimatstadt Sapporo
Ich freue mich, in meiner Wahlheimat München wieder einmal über meine Heimatstadt
Sapporo sprechen zu dürfen, habe ich doch in den Jahren 1959-62 sieben Semester lang an der
Universität München Germanistik studiert und hatte bereits im Goethejahr 1982 die
Gelegenheit, auf Einladung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in Bayern einen Vortrag
zum zehnjährigen Bestehen der Städtepartnerschaft zwischen München und Sapporo zu
halten. Damals habe ich mir erlaubt, zuerst über meine Jugend in Sapporo und dann über
Sapporo als eine lebensfrohe Bierstadt zu sprechen, zumal der erste Deutsche, der nach
Sapporo kam, ein Münchner Braumeister gewesen sein soll. Der einheimische Ingenieur, der
zur Gründung der ersten japanischen Brauerei berufen wurde, hatte allerdings an der
Bierfirma Tivoli in Berlin seine Ausbildung erfahren. Im kommenden Juni findet das erste
Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in
Sapporo statt. Aber ich verstehe nicht viel davon. Heute möchte ich Ihnen vielmehr
geschichtlich etwas über das alte Sapporo als eine christliche Kulturstadt vortragen, weil
dieser Aspekt in der überaus rapiden Entwicklung der Stadt verschüttet zu werden droht.
Das neue Sapporo mit dem modernsten Fußball-Stadion ist freilich zu groß, um christlich
genannt werden zu können. Symbolisch genug ist das im Mai 2001 fertig gestellte Stadion als
“Sapporo-Dome” bezeichnet worden. Heutzutage ist die Stadt als eine „bezaubernde Stadt
der vier Jahreszeiten“, insbesondere des Schneefestes international bekannt und hat eine Bevölkerung von 1,800,000, indem sie nach dem Zweiten Weltkrieg zusehends umliegende
Gebiete und Dörfer eingemeindet hat. Vor dem Krieg bestand sie lediglich aus den jetzigen
drei Bezirken in der Mitte sowie im Norden und Osten, und ihre Einwohnerzahl betrug
200,000 bis höchstens 300,000. Außerdem verlor das japanische Christentum in den
Kriegsjahren wegen der nationalistisch gerichteten politischen Unterdrückung viel an
Bedeutung. Aber seit der Gründung im Jahre 1869 ist Sapporo vergleichsweise stark christlich
geprägt gewesen, wie die Tatsache dafür spricht, daß es heute noch in der Stadt 38
protestantische Kirchen verschiedener Konfessionen, 9 katholische Kirchen sowie 8 Klöster
und darüber hinaus eine russisch-orthodoxe Haristos-Kirche gibt. Das kommt daher, weil
Sapporo bei der Modernisierung Japans aus geschichtlichen Gründen einen Sonderweg
gegangen ist.
Im Jahre 1869, also schon ein Jahr nach der Meiji-Restauration gab die japanische
Regierung das Startzeichen, die hauptsächlich von den Ainu bewohnte nördlichste Insel Ezo zu
erschließen, und hat die althergebrachte Bezeichnung Ezo (蝦夷) zu Hokkaido umbenannt. Die
zwei Schriftzeichen „Ezo“ lauteten nämlich in chinesischer Lesart „kai“ und wurden mit dem
Schriftzeichen für das Meer „umi“ bzw. “kai” ersetzt. Dann setzte man das Schriftzeichen für
den Norden „kita“ bzw. “hoku”, das durch eine Assimilation “hokku” ausgesprochen wird,
voran und fügte das Schriftzeichen für den Weg „michi“ bzw. “do” wie die alte Landstraße
„Tokaido“ auf der Hauptinsel Honshu hinzu. Daraus ergab sich die Bezeichnung
„Hokkaido“ für die Insel im Norden, als deren Regierungssitz Sapporo von Anfang an
bestimmt war. Außerdem war Sapporo ursprünglich in der Ainu-Sprache der Name des
Flusses, der heute „Toyohiragawa“ heißt, und wurde mit verschiedenen Schriftzeichen
geschrieben, bis die jetzige Schreibweise sich durchgesetzt hat. Wenn ein älterer Bürger von
Sapporo z.B. den Ortsnamen mit den Schriftzeichen „Tsukisamu“„Tsukissappu“ ausspricht,
kennt er noch die Etymologie des Ortsnamens aus der Ainu-Sprache.
Zur Erschließung Hokkaidos wurden wie überhaupt in ganz Japan Berater und Fachleute
aus dem Ausland, besonders aus Amerika berufen. Dafür arbeitete vor allem der zuständige
Gouverneur Kuroda Kiyotaka mit Hores Kepron eng zusammen, wovon ihre 1967 zur
Säkularfeier Hokkaidos errichteten Bronzestatuen im Odori-Park lebendiges Zeugnis ablegen.
Im Zuge davon wurde denn auch 1876 die Landwirtschaftshochschule Sapporo gegründet, die
zunächst noch zur Kaiserlichen Universität Tohoku in Sendai gehörte. Der Uhrenturm
Tokeidai, der schon lange als Wahrzeichen von Sapporo gilt, wurde 1878 als Exerzierhaus
dieser Hochschule in amerikanischem Stil aus Holz gebaut. Sie war Vorläufer der HokkaidoUniversität und sollte nicht nur für den Ausbau einer modernen Industrie, sondern auch
kulturell für die Entwicklung der Hauptstadt Hokkaidos eine entscheidende Rolle spielen.
Bekanntlich war der erste amerikanische Lehrer William Smith Clark (1826-86) aus dem
Amherst College, Massachusetts USA, ein Laienmissionar. Obwohl er sich nur neun Monate in
Sapporo aufhielt, haben sämtliche 16 Schüler des ersten Jahrgangs sowie 15 des zweiten
Jahrgangs an der Landwirtschaftshochschule unter seinem geistigen Einfluß beim Abschied
von ihm ein sogenanntes “Covenant of Believers in Jesus” unterschrieben. Getauft wurden sie
danach zum Teil von dem amerikanischen Methodistenmissionar Merriman Colbert Harris
(1846-1921). Unter ihnen befanden sich u.a. Uchimura Kanzo, Nitobe Inazo und Miyabe Kingo,
die für die Verbreitung des Protestantismus in Japan von großer Bedeutung geworden sind.
Auch der spätere Rektor der Hokkaido-Universität, Sato Shosuke, war ihr christlicher
Studienfreund. Aus ihnen und ihrem Schülerkreis ging ein so andauernder Einfluß hervor,
daß man kirchengeschichtlich neben den zwei christlichen Banden in Yokohama und
Kumamoto vom Sapporo-Band im japanischen Christentum gesprochen hat. In der Aula des
Amherst Colleges hängt übrigens ein Porträtgemälde von Niijima Jo, dem Gründer der
Doshisha-Universität in Kyoto, und das Porträtgemälde von Uchimura Kanzo befindet sich an
der Eingangshalle zur Bibliothek. Ich konnte die beiden Bilder vor einigen Jahren durch
freundliche Vermittlung der dortigen Germanistin Frau Prof. Ute Brandes besichtigen.
Der bekannte Literaturkritiker Kamei Katsuichiro, der selbst aus Hakodate in dem relativ
frühzeitig erschlossenen Gebiet Hokkaidos stammt, charakterisierte in seinem Essay
„Genealogie der Hokkaido-Literatur“ (1954) das literarische Schaffen von Hokkaido mit drei
Stichworten: Puritanismus in Sapporo, Realismus in Otaru und Romantizismus in Hakodate.
Nach seiner Meinung stellen sie zugleich drei Formen des Frontiergeistes in Hokkaido dar,
wobei die Landwirtschaftshochschule Sapporo als Urquelle der Verknüpfung von Puritanismus und Konfuzianismus in Japan angesehen wird. In der Tat kann man an den Fotos von
damals feststellen, daß das Stadtbild Sapporos vor dem Krieg durch mehrere westlichmoderne Kirchengebäude um den heutigen Odori-Park herum stark geprägt war. Leider sind
sie im Laufe der Zeit gänzlich umgebaut oder anderswohin verlegt worden. Der breite
Grüngürtel, der in der Mitte der Stadt von Ost nach West verläuft, wurde 1870 eigentlich als
Brandschutz angelegt und spielte auch für das kulturelle Leben der Stadt immer schon eine
zentrale Rolle. Da die christlichen Kirchen, die vorwiegend von den aufgeschlossenen
Professoren der Landwirtschaftshochschule Sapporo geleitet wurden, eine sogenannte
Sonntagsschule für die Allgemeinbildung sowie einen Kindergarten eingerichtet hatten,
wurden diese pädagogischen Anstalten auch von den nichtchristlichen, aber bildungsfreudigen
Jugendlichen der meist wohlhabenden Bürger gut besucht. Das trug selbstverständlich dazu
bei, daß Sapporo innerlich immer christlicher und äußerlich immer westlicher ausgestaltet
wurde. In diesem Sinne könnte man die neue protestantische Stadt Sapporo im Norden der
alten katholischen Stadt Nagasaki im Süden auf der Insel Kyushu gegenüberstellen.
Akutagawa Ryunosuke, Autor der bekannten Erzählung „Rashomon“, schwärmte wie der
Dichtergelehrte Kinoshita Mokutaro mehr von Nagasaki.
Die christliche Mission in Hokkaido begann nach der Meiji-Restauration in der für
westliche Mächte eröffneten Hafenstadt Hakodate, nachdem 1873 das Christenverbot in Japan
faktisch aufgehoben worden war. Aber schon im Jahre 1847 hatte der römische Papst die
Pariser Missionsgesellschaft damit beauftragt, die katholische Kirche aus der Xirishitan-Zeit
im 16. Jahrhundert wieder aufzubauen. Zunächst waren es deshalb ein paar katholische
Priester, die in dem französischen und russischen Konsulat ihre Landsleute betreuten. Dann
kamen auch anglikanische Pfarrer. So erbaute man in Hakodate relativ früh protestantische,
katholische und russisch-orthodoxe Kirchen, und von dort her kamen die ersten Missionare
nach Sapporo.
Aber während Hakodate schon seit der Edo-Zeit durch den Matsumae-Clan eine engere
Beziehung zur Hauptinsel Honshu und somit zur alten Tradition Japans hatte, gab es in der
reinen Kolonialstadt Sapporo keine althergebrachte Kulturtradition mit ihren buddhistischen
Tempeln und shintoistischen Schreinen oder auch mit konfuzianischen Clan-Schulen. Für Kult
und Kultur des Ainu-Volkes hatten die japanischen Einwanderer kaum interessiert, auch
wenn seine Sprache tiefgreifende Spuren auf viele Ortsnamen hinterlassen hat. Immerhin hat
der japanische Japanologe Kindaichi Kyosuku das mündlich überlieferte Volksepos der Ainu
„Yukara“ mit großer Mühe aufgezeichnet und durch seine Übersetzung für die Nachwelt
gerettet. Diese Traditionslosigkeit, die sich gewissermaßen heute noch auswirkt, war ohne
Zweifel ein Grund dafür, warum das Christentum in Sapporo sogar auf der Basis einer
staatlichen Hochschule so fest Wurzel schlagen konnte. Dazu kam, daß die Söhne der
getauften oder christlich beeinflußten Bürger sich mit dem Studium der Landwirtschaft
befleißigten und vielfach zum Weiterstudium nach Amerika fuhren. Nach der Rückkehr
waren sie in Landwirtschaft, Industrie und Handel meist führend tätig und verhalfen der
Stadt sowohl zum Wohlstand als auch zur kulturellen Entwicklung. Aus den Kindern dieser
reichen und gebildeten Familien sind denn auch wieder eine Reihe namhafte Schriftsteller,
Künstler und Musiker von Sapporo hervorgegangen, ganz zu schweigen von den Wissenschaftlern, die akademische Lehrer an der Hokkaido-Universität geworden sind.
Die protestantischen Missionare wurden unmittelbar von dem sogenannten American
Board aus Yokohama oder Tokyo nach Sapporo entsandt. Es war jedoch der englische
Missionar Archdeacon John Batchelor (1854-1944), der 1877 zuerst nach Hakodate entsandt
wurde und nach mehrjährigen sprachlich-praktischen Vorbereitungen sich in Sapporo
besonders für die Ainu einsetzte. Er war noch als Student Missionary von der sogenannten
Church Missionary Society (S.M.S) der anglikanischen Kirche beauftragt, seinem Vorgänger
Pfarrer Walter Dening zur Seite zu stehen. In den Jahren 1892-1940 betreute er die Ainu in
einem von den japanischen Ärzten für sie eingerichteten Krankenhaus, bildete ein paar
japanische Mis-sionare für das Ainu-Volk aus und gründete zuletzt 1924 mit finnanzieller
Unterstützung von Fürst Tokugawa aufgrund einer Sondergenehmigung der Verwaltungsbehörde von Hokkaido eine eigene Fortbildungsschule für die Jugendlichen des AinuVolkes. Er hatte auch ein Wörterbuch der Ainu-Sprache verfaßt und bemühte sich um dessen
verbesserte Auflage, bis er 1940 als Engländer das antiwestlich gewordene Japan verlassen
mußte. Es dürfte auf seine missionarische Tätigkeit zurückzuführen sein, daß die Engländerin
Isabella Bird 1878 eine Fahrt in die entlegenen Wohngebiete der Ainu unternahm und einen
historisch wertvollen Reisebericht, wie er soeben von Frau Alexandra Schmidt vorgestellt
worden ist, hinterließ.
Der katholische Missionar, der erstmals im Jahre 1880 kurz nach Sapporo kam, war der
Franzose Alfred Pettier aus Hakodate. Bald darauf begann 1881 Jean Urbain Faurie (18471915) als einer der elf Missionare der Pariser Missionsgesellschaft mit seiner Missionsarbeit in
Sapporo, und zwei Jahre danach wurden 5 Japaner und Japanerinnen von ihm getauft. Es
war im Jahre 1898, daß die erste katholische Kirche in Sapporo, die heute noch existierende
Kitaichijyo-kyokai aus Holz, mit einem steinernen Pfarrhaus zusammen erbaut wurde.
Missionarisch tätig waren sonst Patres Henri Lafon und Jacues Ernest Billiet. Der
französische Bischof Alexandre Berlioz fuhr damals nach Europa, um noch mehr Ordensleute
zur Missionarsarbeit in Sapporo zu werben, und gewann Franziskaner und Franziskanerinnen.
Die Franziskaner, unter ihnen der spätere deutsche Bischof Wenzeslaus Kinold, kamen also im
Jahre 1907 nach Sapporo und gründeten im nördlichen Teil der Stadt ein Kloster als
Stützpunkt für eine schulische Tätigkeit, und die franziskanische Äbtissin Guadeloupe mit
ihren 6 Ordensschwestern hat im Jahre 1911 ein Krankenhaus namens Tenshi-in (=
Engelshaus) mit 30 Betten gegründet. Pater Faurie war übrigens ein botanisierender
Missionar. Während Philipp Franz von Siebold aus Würzburg hauptsächlich im Südwesten
Japans die bis dahin unbekannte Pflanzenwelt erforschte, hat der französische Missionar in
Hokkaido 700 neue Arten der japanischen Flora entdeckt. Nach ihm benannte Pflanzen zählen
etwa 70 wie Fauria oder Fauriella, und seine umfangreiche Kollektion ist im botanischen
Institut der Kyoto-Universität aufbewahrt.
Bischof Kinold war 1871 in Giershagen, Westfalen, geboren und wurde 1891 im
Frauenberg-Kloster bei Fulda Franziskaner.
Zum Priester geweiht wurde er im Jahre 1897.
Auf Anregung von Bischof Berlioz hin, der den Franziskanergeneral in Rom eigens gebeten
hatte, ein paar Missionare nach Hokkaido zu entsenden, kam Kinold, wie gesagt 1907, mit
Maurice Bertin nach Sapporo. Als er zunächst im Jahre 1915 Generalvikar der Diozöse
Sapporo wurde, gab es eine einzige oben genannte Kirche Kitaichijyo-kyokai mit 586
Gläubigen. Er gründete aber 1925 die Fuji-Mädchenschule, daneben ein theologisches
Seminar zur Ausbildung japanischer Priester sowie die Kosei-Jünglingsschule, ein
Krankenhaus, eine Druckerei und dazu noch einen Kindergarten. Bis er 1941 mit 70 Jahren
von einem japanischen Bischof abgelöst wurde, errichtete er schließlich 13 Kirchen in
Hokkaido, davon 4 in Sapporo in allen vier Him-melsrichtungen. Er ist 1952 mit 81 Jahren in
dem Krankenhaus Tenshi-in gestorben. Zu erwähnen ist noch, daß ein deutscher Pater
Gerhard Huber 1937 Generalvikar des Franzis-kanerordens in Sapporo geworden ist. Aber
nähere Einzelheiten über seine Tätigkeit entziehen sich leider meiner Kenntnis.
Bei der Gründung der Mädchenschule standen
dem Bischof Kinold drei deutsche
Ordens-schwestern zur Seite. Die eine Franziskanerin Xavera Rehme (1889-1982) aus
Osterkappeln bei Osnabrück wurde Schuldirektorin, und bei ihr hat offen gestanden meine
Mutter studiert. Die anderen zwei Schwestern hießen Reineria und Liboria, und sie
kümmerten sich um mich in einem katholischen Kindergarten. Damals habe ich noch den
deutschen Pater Hilarius Schmelz mit dem naturalisierten Namen Hirayo Shumei gekannt. Er
war einer der ersten Missionare, die sich in Sapporo für Sozialwerke engagiert haben.
Ansonsten erinnere ich mich flüchtig an Pater Euseibius Breitung, der ein sehr nützliches
Deutsch-Japanisches Wörterbuch in chinesischen Schriftzeichen und Umschreibung in Romaji
zusammenstellte. Es erschien zu Ostern 1936 und wurde bis 1993 wiederholt nachgedruckt. Im
Nachwort des Verfassers zu der 2. verbesserten und wesentlich vermehrten Auflage von 1947
heißt es: „Das Wort ist indifferent zum Guten wie zum Bösen. Der eine gebraucht es, um das
Gute, das in seinem Herzen ruht, andern mitzuteilen und ihnen zu helfen, besser zu werden;
der andere, um mit dem Bösen, das dort nistet, andere zu vergiften und schlechter zu
machen.“ Ich habe diese Worte während meiner langen Lehrtätigkeit immer beherzigt. In
meiner Studentenzeit an der von den deutschen Jesuiten gegründeten Sophia-Universität in
Tokyo habe ich dann den gelehrten Franziskaner Titus Ziegler aus Sapporo als den nach dem
Tod von Johannes Kraus SJ beauftragten Herausgeber der mehrbändigen katholischen
Enzyklopädie in japanischer Sprache kennengelernt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat es in Sapporo auf diese Weise eine katholische
Kirche, eine russisch-orthodoxe Kirche und fünf protestantische Kirchen bzw. Konfessionen
gebeben. Die früheste protestantische Kirche war die anglikanische, die sich mit der Ankunft
von John Batchelor in Sapporo etablierte. Aber im Vergleich mit den anderen amerikanisch
beein-flußten protestantischen Kirchen wie der congregational-, presbiterian- oder methodistchurch war ihr Wirkungskreis sehr beschränkt, zumal Batchelor besonders an der AinuMission interessiert war. Im Jahre 1901 erregte eine ältere dieser Kirchen mit der
Umbenennung „Unabhängige Kirche“ ein großes Aufsehen in der japanischen Christenheit,
da sie den Verzicht auf Taufakt und Abendmahl, also eine Kirche ohne alle Liturgie erklärte.
Fast zu gleicher Zeit begann Uchimura Kanzo in Tokyo, ein sogenanntes kirchenfreies
Christentum „Mukyokai-ha“ zu begründen. Es war der Anfang eines undogmatischen
Kulturchristentums in Japan, das nicht geringzuschätzen ist, weil es sich meiner Meinung
nach ohne weiteres mit der humanistischen Tradition seit der deutschen Klassik und
Romantik verbinden läßt.
Es ist doch allgemein bekannt, wie sehr sich japanische
Germanisten mit der deutschen Literatur und Philosophie dieser Ausrichtung beschäftigt und
durch ihre fleißige Übersetzungsarbeit die japanischen Gebildeten damit vertraut gemacht
haben. Nietzsche ist zwar immer noch einer der beliebtesten deutschen Philosophen in Japan,
aber er ist im Grunde genommen ein Goethe-Verehrer gewesen.
In der Städtepartnerschaft zwischen München und Sapporo werden sich künftig weder
Bierfreundschaft noch christliche Gemeinsamkeit als effizient erweisen. Auch eine gewisse
Begeisterung bei dem Vorrundenspiel dürfte vorübergehend sein, obwohl es in dem neuesten
Heft des Japan-Magazins heißt: „Die Affinität japanischer Fußball-Fans zu Deutschland ist
groß, trugen doch Stars wie Pierre Littbarski, Uwe Bein, Michael Rummenigge oder Guido
Buchwald bei der Einführung der professionellen ‘J-League‘ Anfang der 90er Jahre in hohem
Maße zur Popularisierung des japanischen Fußballs bei.“ (Simone Mennemeier) Das
Schneefestival wurde sicherlich seit den Olympischen Winterspielen 1972, in denen die
Partnerschaft der beiden Städte geschlossen wurde, international berühmt. Aber das Festival
der Kunst aus Schnee und Eis dauert nur ganze sechs Tage, und das Winterwunderland auf
dem Odori-Park ist dann wieder verschwunden. Eine Städtepartnerschaft muß selbstverständlich auf dauerhafterer Basis fundiert werden. Glücklicherweise ist die Universität
München nicht zuletzt durch die Namen Geschwister Scholl in ganz Japan bekannt. Für den
Kulturaustausch verfügt sie seit Jahren über ein eigenes Japan-Zentrum, und speziell für die
Städtepartnerschaft gibt es auch ein gut funkionierendes Austauschprogramm zwischen den
beiden Universitäten von München und Sapporo. In der Hinsicht mache ich mir keine Sorgen.
Was ich mir persönlich für meine Heimatstadt wünschte, wäre eine Moralunterstützung
von seiten der traditionsreichen Stadt München. Es ist mir bange zuzusehen, wie schnell sich
Sapporo im Namen des angeblichen Frontiergeistes entwickelt, ohne die alte geistige Tradition
genügend zu beachten. Beunruhigend war es schon, daß Anfang der 90er Jahre
die
bedeutendste ortsansässige Bank zur Förderung von Handel und Industrie Hokkaidos
Konkurs machte. Sie existiert nicht mehr. In den letzten zwei Jahren ist dann das größte
Molkereiunternehmen von Hokkaido, dessen Gründer doch ein ehrlicher Christ war, wegen
Kundenbetrügereien in Verruf geraten. Der echte Frontiergeist vom einstigen Sapporo scheint
im Verschwinden zu sein. Er wird ja desto mehr verdünnt, je größer die Stadt wird. So finde
ich wirklich immer weniger von dem alten Stadtbild, das ich von Jugend auf kannte, jedesmal
wenn ich nach Sapporo komme. Dagegen hat sich München in den letzten 40 Jahren nicht
wesentlich geändert und ist doch lebendig geblieben. Ich hoffe also aufrichtig, daß München
sich Sapporo gegenüber ungeniert wie eine ältere Schwester benimmt und die jüngere nicht
immer verwöhnt.
Curriculum vitae
11.9.1934: geboren in Sapporo/Hokkaido, Japan
1955-1959: Studium der Germanistik an der Sophia-Universität, Tokyo
1959-1963: Studium an der Universität München mit einem DAAD-Stipendium
sowie mit einem bayerischen Staatsstipendium
Feb. 1963: Promotion zum Dr. phil. in München
Apr. 1963: Dozent an der Sophia-Universität, Tokyo
Apr. 1975: Ordentlicher Professor der Germanistik an der Sophia-Universität
Mai 1977: Goethepreis der Goethe-Gesellschaft in Japan
Apr. 1981: Mitherausgeber des Jahrbuchs für Internationale Germanistik
Apr. 1982: Philipp-Franz-von-Siebold-Preis der Bundesrepublik Deutschland
(Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung)
Mai 1989: Präsident der Japanischen Gesellschaft für Germanistik (bis Mai 1991)
Mai 1989: Vizepräsident der Goethe-Gesellschaft in Japan (bis Mai 2005)
Okt. 1992: Verdienstkreuz I. Klasse der Bundesrepublik Deutschland
Aug. 1995: Ausschußmitglied der IVG (bis Sept. 2005)
März 1996: Goethe-Medaille des Goethe-Instituts, München
Apr. 1997: Gastprofessor der Germanistik an der Universität Regensburg (SS)
Nov. 1997: Korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und
Dichtung
März 2000:Emeritierung. Ehrenprofessor der Sophia-Universität, Tokyo
Apr. 2001:Lektorat für Japanisch an der Universität Regensburg (bis Juli 2004)
1. Juni 2003: Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis des DAAD
12. Juni 2003: Goldene Goethe-Medaille der Goethe-Gesellschaft in Weimar
Ab WS 2004/2005 bis SS 2006 Gastprofessor der Germanistik an der Universität Regensburg
Dez. 2004: Vizepräsident des INST, Wien
Feb. 2005: Vizepräsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in Regensburg e.V. (bis
Februar 2009)
Ab WS 2004/2005 bis WS 2007/2008: Gastprofessor der Japanologie an der Universität
Frankfurt.
Das Leben eines japanischen Germanisten
1. Meine philologischen Lehrjahre
Als Goethe davon sprach, sich selbst historisch zu werden, war er 80 Jahre alt. Ich bin zwar
noch nicht so alt, aber schon lange von meiner Heimatuniversität in Tokyo emeritiert und als
Hochschullehrer nicht mehr aktiv, d.h. im Ruhestand, obwohl ich immer noch zwischen Japan
und Europa pendle. Ein paar Jahre nach der Emeritierung sah ich noch etwas jugendlich aus
und habe bis Ende November 2008 sogar acht Jahre in Regensburg an der Donau gewohnt.
Inzwischen bin ich dem Alter gemäß ein alter Mann geworden. Meine akademische Laufbahn
ist also schon beendet. In einer Erfolgsgesellschaft wie Europa oder Amerika würde man
vielleicht von sich aus davon sprechen, besonders wenn man in seinem Leben eine Karriere
gemacht hat. Aber es ist in Japan nicht üblich, daß man von eigener Karriere spricht.
Ich bin im Jahre 1934 in Sapporo auf der Insel Hokkaido im Norden Japans geboren. Die
Stadt ist vor allem durch die Winterolympiade 1972 einigermaßen weltbekannt geworden.
Aber nach dem japanischen Geschichtsmythos Kojiki haben die Götter wohl acht Hauptinseln
geschaffen, zu denen jedoch Hokkaido nicht gehörte. Dorthin wurden vielmehr die
Ureinwohner Ainu wie die Kelten in Britannien vom japanischen Volk im Besitz von Eisen
verdrängt. In dem bekannten Animationsfilm „Die Prinzessin Mononoke“ von Hayao
Miyazaki ist diese politische Geschichte sachte angedeutet. Es gibt deshalb in Hokkaido keine
alte Kulturtradition, und ich bin zu meinem Glück oder Unglück damit auch nicht belastet. Ist
doch Sapporo erst nach der Meiji-Restauration im Jahre 1868 vornehmlich durch die
Amerikaner kultiviert worden. Hier findet man wirklich eine neue Welt im alten Japan, aus
der protestantische Denker wie Uchimura Kanzo oder Nitobe Inazo hervorgegangen sind.
Ich gehöre dennoch eindeutig zur älteren Generation, die noch von der traditionellen, d.h.
alt-chinesischen konfuzianischen Bildungstradition mehr oder weniger geprägt ist, wenn ich
gleich katholisch geboren bin. Ich ging als Schulkind regelmäßig in eine Missionskirche in
meiner Heimatstadt, wo die Franziskaner und Nonnen aus Norddeutschland tätig waren. Ich
erinnere mich gern, daß ich im Kindergarten oft Butterbrot und Hühnersuppe gegessen habe,
was in Japan nicht üblich war. Bei einem Zeitungsinterview mit Berliner Morgenpost hatte
ich vor Jahren ausdrücklich negiert, daß ich damals schon Deutsch gesprochen hätte.
Trotzdem hieß es am folgenden Tag in einer Schlagzeile „Bei Nonnen gelernt“. Ich weiß, daß
ein paar Nonnen aus einem Frauenkloster in der Nähe von Osnabrück stammten. Um den
Wurzeln meiner geistigen Existenz auf die Spur zu kommen, müßte ich eigentlich dort den
Franziskanerorden ausfindig machen. Aber seit Jahren bin ich vielmehr dem Donaukulturraum im Süddeutschland verhaftet.
Als mir im Jahre 2003 ein Jacob und Wilhelm Grimm-Preis des DAAD zuteil wurde, habe
ich in meiner Dankrede darauf hingewiesen, daß ich als Germanist meine ganze Ausbildung
der Bundesrepublik Deutschland verdanke. Das hat schon damit angefangen, daß ich in den
Jahren 1955-59 an der Sophia-Universität in Tokyo studiengebührenfrei studieren durfte. Sie
wurde 1913 von den deutschen Jesuiten gegründet, und zwar auf dem Grundstück, wo
ehemals die Österreichische Botschaft gestanden haben soll. Japanisch-österreichische
Kulturbeziehungen müßten geschichtlich noch nachgeforscht werden. Nebenbei bemerkt, bot
mir in meiner Studentenzeit an der Sophia ein österreichisch-ungarischer Jesuit ein
Stipendium an, in Wien zu studieren. Aber weil das Angebot mit der missionarischen
Bedingung verbunden war, von der Germanistik zur Religionssoziologie zu wechseln, mußte
ich es dankend absagen. Bald danach erhielt ich bei einem Redewettbewerb für deutsche
Sprache einen Preis von der Österreichischen Botschaft. Das damit bedachte Buch war die
1957 von Ernst Marboe in Wien herausgegebene, schön illustrierte Ausgabe Das
Österreichbuch. Ich betrachte es heute noch gern.
Nach dem Studienabschluß konnte ich sogleich mit einem sogenannten Erhard-Stipendium
des DAAD in München weiter studieren. Ich habe also vom deutschen Wirtschaftswunder viel
profitiert. Nachdem ich in München deutsche Sprache und Literatur studiert hatte, wurden
natürlich meine Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland immer stärker. Aber als
Germanistikprofessor und Mitarbeiter am Institut für die Kultur der deutschsprachigen
Länder an der Sophia-Universität habe ich später Wert darauf gelegt, auch mit Österreich,
der Schweiz sowie der DDR guten Kontakt aufrecht zu erhalten. Im Jahre 1963 konnte ich
glücklicherweise bei dem Stifter- und Hofmannsthalkenner Prof. Dr. Hermann Kunisch in
München mit einer Dissertation über Goethes Dichtungstheorie promovieren, obwohl sie erst
nach zwei Jahren mit finanzieller Unterstützung des DAAD in Buchform gedruckt wurde.
Nach der Rückkehr nach Japan habe ich meine akademische Laufbahn an meiner Alma mater
eingeschlagen und bis zur Emeritierung im März 2000 fast vierzig Jahre lang deutsche
Sprache und Literatur unterrichtet.
Mein Fachgebiet blieb Goethe und Goethezeit, ich habe es aber im Laufe der Zeit zu den
deutsch-japanischen Kulturbeziehungen erweitert, zumal mir zum Goethejahr 1982 ein
Philipp Franz von Siebold-Preis von der Alexander von Humboldt-Stiftung zuerkannt wurde.
Zum zweiten Studienaufenthalt habe ich freilich wieder München gewählt. Damals habe ich
mich besonders mit der Rezeptionsgeschichte Goethes in Japan sowie mit der deutschen
Medizingeschichte beschäftigt. Das Goethebild verändert sich in Deutschland selbst, wie viel
mehr dann in Japan, wie eine von Tadashi Kogawa entworfene Karrikatur „Goethe im
Kimono“ es andeutet. Ich bemühe mich seit Jahren bewußt um ein humanistisches Goethebild
und habe zahlreiche Aufsätze sowohl in japanischer als auch in deutscher Sprache geschrieben.
Es gehört zur Allgemeinbildung aller japanischen Studenten, daß sie in der Jugend die
wichtigsten Werke der Weltliteratur gelesen haben müssen, zu denen selbstverständlich
Goethes Faust gerechnet wird. Die Leiden des jungen Werther oder Liebesgedichte Goethes
werden viele von ihnen lesen, ohne dazu aufgefordert zu werden. Kritisch wird die Kenntnis
der akademischen Jugend im Hinblick auf Goethes andere Werke, vor allem bei seinen
eigentlich für sie so wichtigen beiden Bildungsromanen und seinen klassischen Dramen.
Aber ich bedaure diese japanische „Jugend ohne Goethe“ (Max Kommerell) nicht zu sehr,
finde es vielmehr richtig, daß sie sich mehr für moderne Autoren interessiert, weil sie heute
mit anderen Problemen konfrontiert ist als mit denen der Goethezeit. Bedenklich ist nur, daß
sie mit den deutschen Schriftstellern der unmittelbaren Gegenwart, selbst mit Böll, Grass
oder Martin Walser fast nichts anzufangen weiß. Deshalb habe ich es immer schon als meine
germanistische Aufgabe betrachtet, die zukunftsträchtige Bedeutung Goethes auf dem Weg
zum 21. Jahrhundert zu entdecken und deren Glaubwürdigkeit meinen Studenten
begreiflich zu machen.
2. Meine kulturwissenschaftlichen Wanderjahre
In Japan versteht man unter „deutscher Kultur“ immer „deutschsprachige Kultur“, und als
Germanisten werden im allgemeinen Fachleute oder engagierte Liebhaber deutscher Sprache,
Literatur, Kunst und Musik usw. bezeichnet. So habe ich während meiner langen
Lehrtätigkeit nicht nur mit dem Goethe-Institut Tokyo, sondern auch mit der
Österreichischen sowie mit der Schweizerischen Botschaft eng zusammengearbeitet, um
internationale Symposien zu veranstalten. In meinem inzwischen zum Europäischen Institut
umbenannten Institut für die Kultur der deutschsprachigen Länder waren je eine
Österreichische und eine Schweizerische Sektion eingerichtet. Im Jahre 1990 habe ich z.B. mit
meinen japanischen Kollegen ein Symposium „Wien um die Jahrhundertwende“ veranstaltet,
dessen Dokumentationsband heute noch gut verkauft wird. Ein Schweizer Kollege von mir,
Pater Thomas Immoos, pflegte als Kenner des japanischen Nô-Theaters gute Beziehungen zu
dem theaterwissenschaftlichen Institut der Universität Wien und unterrichtete dort auch als
Gastprofessor die japanische Religionsgeschichte. Im Dezember 1998 veranstaltete ich dann
unter der EU-Präsidentschaft Österreichs ein Symposium „Die EU und die deutsprachigen
Länder“. Da vorher ein Symposium über die Einheit und Vielfalt der Schweiz „Die Schweiz –
Kontinuität und Wandel“ stattgefunden hatte, habe ich die Vortragstexte des letzteren in die
Vorträge
des
ersteren
integriert
und
einen
gemeinsamen
Dokumentationsband
zusammengestellt. Zum Goethe-Jahr 1999 habe ich noch vor meiner Emeritierung in
Kooperation mit dem Goethe-Institut Tokyo ein großes internationales Goethe-Symposium
veranstaltet. Meiner Einladung gefolgt sind Goetheforscher aus Deutschland, Österreich,
Schweiz, Amerika, England, China und Korea. Ihre vorgetragenen Goethe-Aufsätze sind in
dem Organ des Institut für die Kultur der deutschsprachigen Länder im deutschen Original
dokumentiert. Dagegen ist das EU-Buch in japanischer Übersetzung erschienen. Für solche
Aktivitäten hatte mir das Goethe-Institut München eine Goethe-Medaille 1997 verliehen.
Lange vor der Zusammenarbeit mit dem Wiener kulturwissenschaftlichen Institut INST
bin ich also oft in Wien gewesen und habe fleissig das Burgtheater besucht. Ich bin auch
frühzeitig Mitglied des Wiener Goethe-Vereins geworden und habe mit Germanisten in Graz,
Salzburg und Innsbruck Bekanntschaft gemacht. Als Peter Wiesinger 1995 in Vancouver zum
Präsidenten der IVG gewählt wurde, habe ich als Ausschußmitglied jedes Jahr an einer
Vorstands-Sitzung an der Universität Wien teilgenommen. Mit dem verstorbenen Prof.
Schmidt-Dengler habe ich sogar bis zum Jahr 2005 zusammengearbeitet, um den Pariser IVGWeltkongreß bei Prof. Jean-Marie Valentin mit vorzubereiten. Apropos: der bekannte
Japanforscher Philipp Franz von Siebold (1796-1866) aus Würzburg brachte bei seinem
zweiten Japanbesuch im Jahre 1859 seinen dreizehnjährigen Sohn Alexander mit und der
zweite Sohn Heinrich (1852-1908) kam zehn Jahre später 1869 mit dessen Bruder zusammen
nach Japan. Während der ältere Bruder zuerst bei der Englischen Gesandtschaft als
Dolmetscher beschäftigt war, ging der jüngere bei der Österreichisch-Ungarischen
Gesandtschaft in den diplomatischen Dienst. Bei der Weltausstellung 1873 in Wien
unterstützte er das japanische Vorbereitungsteam mit Rat und Tat, so daß später viele
japanische Gegenstände ins Wiener Volkskunde-Museum kamen.
Schließlich bin ich philosophisch von dem Wiener Kulturkritiker Friedrich Heer am
meisten beeinflußt wie religiös von dem Münchner Denker Theodor Haecker, der zum
Brenner Kreis um Ludwig von Ficker in Innsbruck gehörte. Auch der von mir verehrte
Hermann Broch veröffentlichte seine ersten Werke in der dortigen Kulturzeitschrift. Eine
große Vorliebe für die Wiener Musik teile ich mit vielen Japanern und habe größeres Interesse
an der Jahrhundertwende in Wien als am Expressionismus in Berlin. In meinem
vorerwähnten Sammelband Wien um die Jahrhundertwende habe ich von einer GoetheRenaissance in Wien gesprochen, und meine zwei Aufsätze „Die Anfänge der GoethePhilologie in Wien“ sowie „Goethe und die Wiener Moderne“ im Sammelband Der ostwestliche Goethe gehen auf meine Gastvorträge in Graz und Wien zurück. Dabei wurde ich
von Hermann Bahr sehr angeregt. Symbolisch erscheint mir, daß der in Linz geborene
Literaturkritiker in Berlin und Wien gewirkt hatte und zuletzt in München verstarb. Auch
liegt der Dreisesselberg zwischen Böhmen, Bayern und Österreich, wie es der sogenannte
„kleine Goethe“ Adalbert Stifter erklärt. „Goethe in Böhmen“ nimmt letztendlich mein ganzes
kulturwissenschaftliches Interesse in Anspruch. Der Begründer des Prager Nationalmuseums,
Kaspar Graf von Sternberg, war in der Jugend Domherr in Regensburg und in späteren
Jahren mit Goethe bestens befreundet.
Als Germanist habe ich mich über die Goetheforschung hinaus um eine gute
Zusammenarbeit unter den ostasiatischen Germanisten bemüht. So bin ich seit etwa zwanzig
Jahren fast jedes Jahr entweder in China oder Korea gewesen. Dabei habe ich mich nicht nur
mit deutschsprachigen Germanisten, sondern auch mit koreanischen oder chinesischen
Kollegen immer auf Deutsch unterhalten. Man wundert sich sicher darüber. Deshalb möchte
ich an dieser Stelle kurz mitteilen, wie es mit dem akademischen Austausch auf dem Gebiet
der Germanistik so weit gekommen ist, zumal ich im Jahre 1985 die Initiative dazu ergriffen
habe. Der unmittelbare Anlaß dazu war, daß der Weltkongreß der Internationalen
Germanistenvereinigung (IVG) 1990 zum erstenmal in einem nicht europäischen Land,
nämlich in Tokyo stattfinden sollte. Da sah ich mich vor die Aufgabe gestellt, mich zuerst als
damaliger Präsident der Japanischen Gesellschaft für Germanistik (JGG), dann als
Ausschußmitglied der IVG in den Jahren 1995-2005 für die Förderung einer ostasiatischen
Germanistik einzusetzen.
Ich hatte in der Tat das Glück, die ganze Entwicklung einer ostasiatischen Germanistik in
den letzten zwanzig Jahren mitzumachen, und freue mich sehr darüber, daß inzwischen eine
tüchtige jüngere Generation nachgewachsen ist. Alles hat seinen Anfang genommen, als der
angesehene japanische Germanist Prof. Eijiro Iwasaki beim Göttinger IVG-Kongreß 1985
zum
nächsten
Präsidenten
der
IVG
gewählt
wurde.
In
einem
internationalen
Germanistentreffen, das eine Woche vorher, vom DAAD in Berlin, damals noch in WestBerlin, veranstaltet wurde, haben wir Auslandsgermanisten aus China, Korea und Japan
einander zum erstenmal näher kennengelernt, persönliche Freundschaften geschlossen und im
Laufe der Jahre ostasiatisches Germanistentreffen einmal in Berlin, zweimal in Peking,
zweimal in Seoul und zweimal in Japan (Fukuoka und Kanazawa) zustande gebracht. Wir
haben uns dann auf den IVG-Kongressen in Tokyo, Vancouver, Wien und Paris
wiedergesehen. Im Jahre 2010 werden wir uns in Warschau wiedersehen. Es versteht sich von
selbst, daß deutsche, genauer deutschsprachige Kollegen uns dabei immer freundlich zur Seite
gestanden haben. Wir ostasiatische Germanisten sind ihnen dafür zu großem Dank
verpflichtet.
In den letzten Jahren bin ich denn auch oft von Regensburg aus direkt nach Peking oder
Seoul geflogen. Vor ein paar Jahren flog ich auch nach Montreal, weil mein chinesischer
Freund Adrian Hsia dort Germanistikprofessor ist und in Zusammenarbeit mit der GoetheGesellschaft
in
Weimar
ein
internationales
„Zur
Symposium
Faustrezeption
in
nichtchristlichen Kulturen“ veranstaltete. Innerhalb Europas kann ich natürlich überall hin,
bis nach Paris oder Wien, bequem mit der Bahn fahren. Aber allmählich wurde ich
europamüde und dachte daran, mich endgültig von meiner Lehrtätigkeit in Deutschland
zurückzuziehen.
In
den
japanischen
Gebildetenkreisen
gilt
doch
das
taoistische
Einsiedlerprinzip des alten Chinas von „Seiko Udoku“, d.h. beim schönen Wetter den Acker
zu bebauen und beim Regenwetter Bücher zu lesen, heute noch als Lebensideal im Alter. So
lebe ich nun zurückgezogen auf meinem Landhaus am Fuß der Japanischen Nordalpen, wo die
Winterolympiade Nagano stattgefunden hat.
Es ist immerhin lange her, seit eine ostasiatische Germanistik im chinesischen,
koreanischen und japanischen Hochschulbereich etabliert worden ist. Ich weiß oft nicht mehr,
was wann und wo stattgefunden hat. Um das möglichst im Gedächtnis festzuhalten, habe ich
versucht, in meiner Sektion „Wissensvermittlung in Asien mittels der deutschen Sprache„ auf
der KCTOS-Tagung des INST im Dezember 2007 einen Bericht über die Entstehungsgeschichte der deutschsprachigen Germanistik in Ostasien zu erstatten. Von dem ersten
Symposium in Seoul 1997 liegt zum Beispiel eine zweibändige Dokumentation Literatur im
multimedialen Zeitalter – Neue Perspektiven der Germanistik in Asien vor. Als das
darauffolgende Symposium in Peking im August 2002 zum zweitenmal stattfand, hat die CGG,
die sich entsprechend der KGG und der JGG aus dem Chinesischen Germanistenverband
umbenannt hatte, ebenfalls einen stattlichen Dokumentations-band Neues Jahrhundert, neue
Herausforderungen – Germanistik im Zeitalter der Globalisierung herausgebracht. Daran ist ein
großer Aufschwung in der ostasiatischen Germanistik festzustellen.
Der Computer hat gewiß manche technische Vorteile mit sich gebracht, aber ich glaube,
was schwarz auf weiß gedruckt ist, erweist sich immer noch als die gesicherten
Forschungsergebnisse für das Fach. Als gutes Beispiel dafür soll noch ein in deutscher Sprache
erscheinendes Jahrbuch in China hervorgehoben werden, das Prof. Zhang Yushu, Peking,
herausgibt. Er hat im Jahre 2000 ein Chinesisch-deutsches Jahrbuch für Sprache, Literatur
und Kultur Literaturstraße ins Leben gerufen und voriges Jahr schon auf den Band 9 gebracht.
Im Jahr 2007 hat er daneben auch den ersten Band des neuen Jahrbuches Deutsche Literatur
und Literaurritik herausgegeben. Um einen Band zusammenstellen zu können, veranstaltet er
unter einem bestimmten Generalthema ein Symposium in Peking oder Shanghai, zu dem ich
als Beiratsmitglied immer wieder eingeladen werde. Es findet ab und zu auch in Deutschland
statt. Zum Beispiel lautete das Generalthema des Weimarer Symposiums 2006 „Vorbild, Norm
und Nachahmung in chinesisch-deutscher Perspektive“ und das von Tübingen 2008 „Natur
und Mensch in chinesisch-deutscher Perspektive“. Für die Shanghaier Tagung im kommenden
April wurde das Thema „Klassik und China“ angekündigt. Ich nehme an, daß darunter
vorwiegend deutsche Klassik verstanden wird. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die
Bedeutung der Weimarer Klassik für die chinesische Literatur. Hat doch Herr Zhang im
Schillerjahr 2005 eine fünfbändige, ins Chinesische übersetzte Schiller-Werkausgabe
herausgebracht. Bezeichnenderweise heißt das erste chinesische Kulturinstitut, das im
Oktober 2007 in Deutschland gegründet wurde, nach dem bedeutendsten chinesischen
Klassiker „Konfuzius-Institut“.
Als Ende August 2006 eine für alle drei Jahre in China, Korea und Japan vorgesehene
Asiatische Germanistentagung in Seoul stattfand, lautete das Generalthema: Kulturwissenschaftliche Ger-manistik in Asien. Als einer der Vizepräsidenten des INST plädiere ich
aus dem Standpunkt eines Auslandsgermanisten ein für allemal für eine solche Fragestellung
und hoffe, daß dieses Anliegen wissenschaftlich gleichfalls von den öffentlichen Stellen
deutschsprachiger Länder befürwortet und finanziell unterstützt wird. Dankenswerterweise
wurde auch mein Buch Der „Ferne Westen“ Japan in der Reihe „Österreichische und
internationale Literaturprozesse“ mit Förderung des Bundes-ministeriums für Bildung,
Wissenschaft und Kultur (Wien) gedruckt.
3. Als Gastprofessor in Regensburg
Im Jahr 1997 bekam ich ein Sabbatical Year und hatte Gelegenheit, im Wintersemester als
Gastprofessor an der Universität Regensburg ein germanistisches Hauptseminar über die
Ästhetik des späten Goethe abzuhalten. Während dieser Lehrtätigkeit wurde ich auch von der
Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, als korrespondierendes Mitglied
berufen. Daher kommt es, daß ich ab SS 2001 wieder eine Gastprofessur an der Universität
Regensburg wahrnehmen konnte. Zuerst habe ich fünf Semester Japanischunterricht gegeben,
dann habe ich als Gastprofessor der Germanistik mehrere Semester ein Hauptseminar über
die Wirkungsgeschichte Goethes in Ostasien gehalten. Fast parallel dazu habe ich auch noch
ein japanologisches Übersetzungsseminar an der Universität Frankfurt/Main gehalten. Aus
Anlaß der Ernennung Regensburgs zum Welt-kulturerbe der UNESCO habe ich dann ein
japanisches
Buch
über
die
alte
Donaustadt
Regensburg
geschrieben
und
dem
Oberbürgermeister Hans Schaidinger ein Belegexemplar überreicht. Zwischen Regensburg
und Wien gab es bekanntlich schon im Mittelalter regen Schiffsverkehr, und ich bin in den
letzten Jahren sehr oft mit dem ICE ganz bequem direkt nach Wien gefahren.
In der Germanistik verstehe ich mich seit meiner Münchner Doktorarbeit über „Goethes
Wortgebrauch zur Dichtungstheorie im Briefwechsel mit Schiller und in den Gesprächen mit
Eckermann“ methodisch als Goethe-Philologe. Dabei gehe ich von meiner
Goethe-
Auffassung aus, daß seine geistige Welt stufenweise aus den Kategorien Kosmogonie, Natur,
Kunst und Literatur aufgebaut ist. Morphologie im naturwissenschaftlichen Sinne bezeichnet
dabei die Gestaltung und Umgestaltung im Reich der Natur, also der Pflanzen, der Tiere und
der Gesteine, und Kulturmorphologie ist eine Anwendung dieses naturwissenschaftlichen
Begriffs auf den Kultur-bereich. Zuerst gab es eine morphologische Literaturwissenschaft bei
Günther Müller. Ebenso soll es nach dem Vorbild von Johann Gottfried Herder eine
kulturwissenschaftliche Morphologie geben, weil die Kultur sich im Verlauf der Geschichte
ständig verwandelt hat und weiterhin in Ost und West verwandelt. Oswald Spengler mit seiner
Geschichtsphilosophie, wie sie im Untergang des Abendlandes dargestellt ist, war ein
Vorgänger dieser morphologischen Betrachtungsweise der Kulturen.
Nach meiner Emeritierung im März 2000 von der Sophia-Universität, Tokyo, habe ich
mich, wie gesagt, in Deutschland als Gastprofessor an der Universität Regensburg acht Jahre
lang aufgehalten. In diesen Jahren bin ich nicht nur Goetheforscher, sondern auch
einigermaßen Japanologe gewesen. Als wissenschaftliche Ergebnisse dieser doppelten
Lehrtätigkeit habe ich fünf Bücher veröffentlicht: 1. Taschenbuchausgabe meiner vor Jahren
erschienenen Übersetzung von Goethes Farbenlehre, didaktischer Teil (Chikumashobo-Verlag,
Tokyo 2001), 2. Der „Ferne Westen“ Japan. Zehn Kapitel über Mythos und Geschichte Japans
(Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2003, 3. Ursprung des deutschen Humanismus. Der
geistesgeschichtliche Hintergrund der EU (Nansosha-Verlag, Tokyo 2004), 4. Der ost-westliche
Goethe. Deutsche Sprachkultur in Japan (Peter Lang Verlag, Bern 2006), 5. Regensburg, eine
alte Stadt an der Donau (NTT-Verlag, Tokyo 2007).
In meinem Regensburg-Buch ging ich davon aus, die zwei japanischen Bezeichnungen für
Europa im Wortgebrauch voneinander zu unterscheiden, eben Europa vom Abendland.
Diesem Verfahren liegt mein Geschichtsverständnis zugrunde, daß die westliche Geschichte
aus zwei Traditionen besteht, nämlich einerseits Europa aus der griechisch-römischen Antike,
andererseits dem Abendland aus dem christlichen Mittelalter, das im großen und ganzen nach
Ablauf der germanischen Vorgeschichte von Kaiser Karl dem Großen in Aachen begann und
über die Kaiserkrönungen in Frankfurt am Main bis zur Auflösung des „Immerwährenden
Reichstags“ 1806 in Regensburg dauerte. Da hier an der Donau die römische Castra Regina
gebaut worden, die erste bayerische Herzogsfamilie aus Böhmen gekommen, Karl der Große
öfter in Regensburg gewesen war und dann sein Enkel, der spätere Kaiser Ludwig der
Deutsche, residiert hatte, kam mir die einstige Reichsstadt Regensburg wie ein verkleinertes
Bild der deutschen Geschichte schlechthin vor. Deutschland in diesem Sinne war
selbstverständlich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das ohne Österreich, also
ohne Kaiserfamilie Habsburg und die bedeutendste Reichsstadt Wien undenkbar wäre.
Goethe wurde denn auch durch Kaiser Joseph II. geadelt.
Für meine Begriffe besteht also der Westen aus diesem nichtchristlichen Europa von der
Antike bis zur Französischen Revolution und dem christlichen Abendland im Mittelalter mit
ihren Vorzügen und Nachteilen. Zum letzteren muß man natürlich nicht nur das Heilige
Römische Reich Deutscher Nation, sondern auch das französische und das englische
Königsreich einbeziehen, und zum ersteren die ganze islamische Welt am Mittelmeer bis
Spanien berücksichtigen. Die entscheidende Wende im Westen wurde meiner Meinung nach
nicht durch die italienische Renaissance, sondern durch die Französische Revolution
herbeigeführt. Denn hier wurde der christliche Machtgedanke ein für allemal gebrochen, und
die Demokratie der Antike wieder eingeführt.
Erst in dieser Phase der Menschheitsentwicklung treten die USA in den Vordergrund der
Weltgeschichte. Für mich stellt dieses abendländische Europa einschließlich Amerikas den
neuzeitlichen Westen dar, der in der Goethezeit vorübergehend die beiden Vorzüge der Antike
und des christlichen Mittelalters miteinander in Einklang gebracht zu haben schien. Im Laufe
des 19. Jahrhunderts trat jedoch der Nationalismus in westlichen Nationen immer stärker
hervor, bis sie sich in beiden Weltkriegen selbstmörderich zerstörten. Angesichts dieser
westlichen Tragödie vertrat der Österreicher Graf Coudenhove-Kalergie, dessen Mutter eine
Japanerin war, in Wien seine Idee des Pan-Europas. Die Idee, die schließlich zur Gründung
der EU führen sollte, gipfelte in seinem politischen Ideal, die Vereinigten Staaten von Europa
ins Leben zu rufen. Deswegen wurde er im Jahre 1950 mit Recht mit dem ersten Karlspreis
der Stadt Aachen ausgezeichnet.
Graf Coudenhove-Kalergie war als Österreicher geboren, wurde nach 1918 ein Tscheche,
mußte aber im Nationalsozialismus eine französische Staatsangehörigkeit erwerben und lebte
während des Zweiten Weltkrieges im Exil in New York als Geschichtsprofessor. Ich verstehe
seine schwierige Lage, nicht von Japan sprechen zu können, und schätze ihn auch menschlich
um so mehr. Mir schwebt jedoch ein anderes kulturelles Ideal, das er bewußt außer acht lassen
mußte: zumindest den geistigen Blick nach dem Osten zu richten. Es gab schon in den ersten
Jahrhunderten nach Christi Geburt Missionare, die den Weg nach dem Osten angebahnt
haben. Aber weil die ersten Christen, die nach China gingen, verketzerte Nestorianer waren,
verschwand ihr Gedächtnis aus der europäischen Kirchengeschichte, wenngleich ein Leibniz
sich für die lateinisch verfaßten Nachrichten der späteren christlichen Missionare lebhaft
interessierte.
Diese kulturelle Seidenstraße erwies sich notwendigerweise immer als im geistigen Blick
vom Westen aus nach dem Osten gerichtet und mehr oder weniger vom christ-lichen
Standpunkt beurteilt, um nicht zu sagen verurteilt. Forschungsergebnisse europäischer
Sinologen, Koreanisten und Japanologen über die östliche Kultur sind gewiß immens und
können nicht hoch genug eingeschätzt werden, wie umgekehrt die ostasia-tischen
Wissenschaftler über die europäische Kultur unermüdlich gearbeitet haben. Nur durch
überaus große Sprachbarrieren gehindert, fehlt ihnen anscheinend noch weit-gehend der Blick
vom Osten nach dem Westen. Wenn sie es auch mehr als früher unter-nehmen, darüber in
einer europopäischen Sprache zu schreiben, sind sie wohl nicht nati-onalistisch einseitigübertrieben, aber manchmal patriotisch nicht immer ganz unparteiisch.
Dagegen bin ich weder buddhistisch noch shintoistisch, also durch die japanische Tradition
relativ wenig belastet. Ich bin vielmehr von klein auf mit dem Christentum vertraut und habe
in München katholische Theologie als Nebenfach studiert. Außerdem kenne ich durch
langjähriges Studium Goethe und seine Zeit gründlich. Ich bin also ziemlich in der Lage, den
Japanern ein Europabild vom christlichen Standpunkt aus zu vermitteln und den Europäern
Japan bzw. etwas von China oder Korea vom relativ unparteiischen religiösen Standpunkt aus
bekannt zu machen. Mein Beitrag zu den Beziehungen Japan und Europa dürfte nur darin zu
finden sein.
Das Übergewicht ist allerdings bei meinen Bemühungen um Kulturaustausch in
entgegengestzter Richtung unverhältnismäßig verteilt. Durch meine eigene Forschung kenne
ich Goethe ziemlich gut und bediene mich meiner Muttersprache, wenn ich seine Schriften ins
Japanische übersetze oder über seine Werke Aufsätze schreibe. Aber wenn ich über die
japanische oder über die östliche Kulturtradition etwas schreiben will, wie z.B. einen Aufsatz
über „Goethe und die östliche Philosophie“, muß ich sie nur mühsam anhand fremder
Forschungsergebnisse gründlich studieren. Außerdem muß ich alles als Nicht-Muttersprachler
auf deutsch und mit kritzelnder Feder schreiben, um mich allenfalls verständlich zu machen.
Ich bitte alle meine Hörer bzw. Leser höflich um Verständnis dafür. Auch meinen Kollegen in
China, Korea oder Japan wird es ähnlich ergehen, solange sie nicht von Hause aus Sinologen,
Koreanisten oder Japanologen sind.
Im Jahre 2004 hatte ich deswegen mit Walter Gebhard, Bayreuth, eine Buchreihe
„Deutsch-ostasiatische Studien zur interkulturellen Literaturwissenschaft“ ins Leben gerufen
und
in deutscher Sprache habe ich auch noch zwei Bücher herausgegeben: „Wenn Freunde
aus der Ferne kommen“ Eine west-östliche Freundschaftsgabe für Zhang Yushu zum 70.
Geburtstag (mit Horst Thomé. Peter Lang Verlag, Bern 2005); Universalitätsanspruch und
partikulare Wirklichkeiten. Natur- und Geisteswissenschaften im Dialog (mit Karin Moser v.
Filseck. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007). Es handelte sich dabei um eine
Dokumentation eines internationalen Symposiums, das ich zum Deutschlandjahr 2005 in
Japan an meiner Heimatuniversität als Dialog zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften
veranstaltet hatte. Auf dem Umschlag sind zwar die Brüder Humboldt abgebildet, aber
während der jüngere, der die Naturwissenschaften verkörpert, im Vordergrund steht, tritt der
ältere etwas schablonenhaft zurück.
Nach meiner Rückkehr nach Japan im Dezember 2008 sind bald zwei Bände
Taschenbuchausgabe meiner in Regensburg fertiggestellten Übersetzung von Goethes
Morphologischen Schriften
in Tokyo erschienen. Ich arbeitete auch daran, Goethes
geologische und meteorologische Schriften zusammenzustellen und ins Japanische zu
übersetzen, die inzwischen in zwei Bänden erschienen sind. Auf diese Weise bin ich sozusagen
zu meiner eigentlichen Goetheforschung zurückgekehrt. Nach Veröffentlichung der Münchner
Dissertation hatte ich drei Bände Goethe-Studien in japanischer Sprache und noch zwei
Bücher
zum
geistesgeschichtlichen
Kontext
der
Goetheforschung
sowie
zum
geistesgeschichtlichen Hintergrund der EU publiziert, und der erste Sammelband meiner
Aufsätze in deutscher Sprache Jenseits von Weimar. Goethes Weg zum Fernen Osten war 1997
in Bern erschienen. Wohl deshalb bin ich im Jahre 2003 mit einer Goldenen Goethe-Medaille
der Goethe-Gesellschaft in Weimar ausgezeichnet worden. Seitdem fühle ich mich nicht wenig
zur Goetheforschung verpflichtet.
Nach der Verleihung des Jacob und Wilhelm Grimm-Preises des DAAD zur gleichen Zeit habe
ich den zweiten Sammelband Der ost-westliche Goethe. Deutsche Sprachkultur in Japan
herausgegeben und bereite für 2010 einen dritten Sammelband meiner neueren Aufsätze in
deutscher Sprache vor, und zwar voraussichtlich unter dem Titel: Spiegelbild der Kulturen.
Japanische Kultur im Spiegel der deutschen Sprache.
Was mich von Jugend an bei Goethe anzieht, sind seine Universalität und sein
Kosmopolitismus. Das Weimarer Gruppenbild mit Goethe und Schiller sowie den Brüdern
Humboldt ist so repräsentativ für die „übrige“ Welt im deutschen 18. Jahrhundert! Der
verhängnisvolle Nationalismus in europäischen Staaten ist erst danach im 19. Jahrhundert
heraufgekommen und die humanistische Bildungstradition des bürgerlichen Zeitalters immer
mehr gefährdet. Aber sie ist bis vor kurzem in ganz Ostasien, vor allem in Japan aufrecht
erhalten geblieben. So fällt mir in der Tat nicht schwer, von der Wirkung Goethes in der
Vergangenheit zu sprechen, wie es eine Vielzahl der Goethe betreffenden Primär- und
Sekundärliteratur in japanischer, koreanischer und chinesischer Sprache bezeugt. Aber seine
Wirkung in der Gegenwart erscheint insofern problematisch, als sie immer begrenzter wird.
Im Grunde sind es relativ wenige Gebildete der älteren Generation, die sich in Japan für
Goethe engagieren. Es gibt selbst unter den japanischen Germanisten nicht sehr viele, die sich
wie früher speziell mit Goethe und mit der Goethezeit überhaupt beschäftigen.
4. Mein letztes Forschungsthema: Kulturmorphologie der Berge
Die Kulturmorphologie im Sinne des Gestaltwandels von Kulturen impliziert meines
Erachtens bei dem Gegenstand Berge grundsätzlich drei Aspekte: nämlich kulturelle
Bedeutung, Erschließung sowie Umwandlung der Berge für den Menschen. So hatten die
Alpen ursprünglich für die Europäer sowohl eine positive als auch eine negative Bedeutung.
Erst nachdem sie für die Einwohner und dann für die Wanderer sowie Touristen erschlossen
worden sind, hat sich ein Alpinismus bis nach Japan entwickelt. Im folgenden sollen meine
bisherigen Ausführungen zur Forschung der Berge ergänzend zusammengefaßt werden, da sie
mein kulturwissenschaftliches Anliegen im Zusammenhang mit der Goetheforschung
widerspiegeln.
Die Berge gehören wie die Meere, Feursbrunst, Erdbeben oder Stürme zum Urerlebnis der
Menschheit, stellen sie doch eines der vier Elemente dar. Es gibt in verschiedenen Erdteilen
eine Menge Berge, die meist Gebirgsketten bilden, und sie sind seit alters für viele Menschen
die Natur schlechthin. In Eurasien allein sind es Pyrenäen, die Alpen, der Pamir, der
Kaukasus, der Ural und etwas abseits die japanischen Alpen. Darunter sind einige weltweit als
sogenannte heilige Berge oder Gebirge bekannt wie z. B. Adam’s Peak auf Ceylon, der Berg
Fuji in Japan, der Meru der Inder, der Elburs der Perser, der Libanon der Phöniker, der
Olymp der Griechen, das Kapitol der Römer, der Sinai des Alten Testaments. Daher kommt es
wohl, daß die Berge zunächst Forschungsgegenstand der Mythologie bzw. Religionswissenschaft geworden sind. Diesen Wissenschaftsdisziplinen galten sie mit ihren Felsen,
Bäumen, Tieren und Grotten als Sitze von Geistern, Dämonen und Gottheiten, wobei freilich
zwischen dem Heiligen im sakralen Sinne und dem Numinosen im mythischen Sinne genau
unterschieden werden muß.
Aber darüber hinaus bestehen in der philosophischen und empirischen Betrachtung der
Berge andere Aspekte. Man kann sie außer unter dem mythologischen oder religiösen auch
unter einem künstlerischen, literarischen, geographischen, geowissenschaftlich-industriellen,
oder sogar touri-stisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkt ins Auge fassen, weil sie eben die
gesamte
Natur
verkörpern.
Dann
erweisen
sie
sich
eher
als
Gegenstand
der
Kulturwissenschaften. Ein gutes Beispiel dafür ist Goethes Roman Wilhelm Meisters
Wanderjahre. Jarno in der Turmgesellschaft tritt in der „Pädagogischen Provinz“ als Montan
auf und erklärt Wilhelm beim Bergfest im 9. Kapitel des Zweiten Buches über Erschaffung
und Entstehung der Welt, was an Goethes schönen Essay „Über den Granit“ erinnert. Es
handelt sich dabei im einzelnen um geologische Probleme von Neptunismus, Vulkanismus,
Meteorit-Theorie und der Eiszeit. Dabei sagt er, die Gebirge seien stumme Meister und
machten schweigsame Schüler. In „Makariens Archiv“ oder Maximen und Reflexionen wird
der Spruch etwas anders formuliert: „Steine sind stumme Lehrer, sie machen den Beobachter
stumm, und das Beste, was man von ihnen lernt, ist nicht mitzuteilen.“ Aber später wird vom
Romanschreiber vertraulich mitgeteilt, daß Jarno-Montan die ihm einst von Lothario
entführte Lydie heiratet und sich mit ihr dem nach Amerika auswandernden Bund Lenardos
anschließt. Aus dem scheinbar besinnlichen Theoretiker ist also ein Praktiker geworden. Das
würde bedeuten, daß ein Berg-Thema sich zumindest von der Naturmystik über die
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zum praktischen Leben der Migration übergehen kann.
Bei solcher Tragweite der allein schon literaturwissenschaftlichen Fragestellung bezüglich
der Berge ist es selbstverständlich angebracht, daß sich ein Auslandsgermanist aus
sprachlichen und sachlichen Gründen auf deutschsprachige und japanische Kultur in
Geschichte und Gegenwart beschränkt. In der europäischen Kultur, besonders in der
deutschen Literatur gibt es Ansätze genug, um eine Untersuchung in dem oben angedeuteten
Sinne durchzuführen, weil hier ein geistes-geschichtlicher Überblick über die verschiedene
Einstellung einzelner Autoren gegenüber den Bergen relativ leicht möglich ist. Auch wenn sie
als solche nicht im Vordergrund eines literarischen Werkes stehen, können sie eine tief
symbolische Rolle für die Handlung spielen wie z.B. Der Tod des Empedokles von Hölderlin,
Der Nachsommer von Adalbert Stifter, Der Zauberberg von Thomas Mann oder Das
Glasperlenspiel von Hermann Hesse. Der Nachlaßroman Der Versucher, deren drei Fassungen
Hermann Broch in einem Bauernhaus in Tirol verfaßte, wird geradezu als „Bergroman“ bezeichnet.
Was die Entdeckung der Berge in Europa anbelangt, so steht am Anfang das Neue
Testament. Durch die Seligpreisungen Jesu Christi erscheinen die Berge im ersten Anblick
sehr positiv. Aber Christus mußte vorher auf einer Bergspitze vom Teufel versucht verden,
indem dieser ihm die Herrlichkeit dieser Welt zeigte (Mt. 4,1-11). Hier erschien der Berg
irgendwie negativ, da er doch in die Nähe des Teufels gerückt worden war. Im christlichen
Mittelalter gab es zwar einen Heiligen wie Franz von Assisi, der in seinem Sonnengesang
„unsere Schwester, die mütterliche Erde“ lobpries. Aber ein Albertus Magnus wurde der
Häresie verdächtigt, weil er sich eingehend mit der Natur beschäftigt hatte. So wurde ebenfalls
die Pansophie im ausgehenden Mittelalter und im Barock ohne Unterschied der weißen oder
schwarzen Magie verteufelt, wie es besonders bei Paracelsus und Doktor Faustus der Fall war.
Der Schweizer Dichter und Göttinger Physiologe Albrecht von Haller war einer der ersten
Europäer in der Neuzeit, der in seinem Lehrgedicht Die Alpen (1729) die Berge überhaupt im
positiven Sinne entdeckte. Haller öffnete seinen Zeitgenossen „die Augen für die Schönheit des
Schweizer Hochgebirges, das man bis dahin als abstoßend wild ansah, und stellt, Rousseau
vorwegnehmend, das einfache Leben der Gebirgsbewohner über das bequeme naturferne
Leben in den Städten.“ ( Kurt Rothmann)
Aber es war Goethe, der eine Hinwendung von der ästhetischen Betrachtungsweise zur
kulturwissenschaftlichen Betrachtung der Berge herbeigeführt hat. Denn seine Beschäftigung
mit der Natur reicht von Naturlyrik über Landschaftsmalerei zur naturwissenschaftlichen
Forschung.
Seine tiefen Erlebnisse der Berge insbesondere beschrieb er in seinen
autobiographischen Schriften wie Schweizer Reisen und hat in literarischen Werken wie
Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Faust ausführlich zum Ausdruck gebracht. Daß sein
Naturerlebnis im Gebirge nicht nur literarisch oder wissenschaftlich, sondern auch religiös
war, zeigt sich symbolisch besonders in dem bekannten Gedicht „Harzreise im Winter“. Der
Dichter schätzte dieses „abstruse“ Jugendgedicht selbst so sehr, daß er 1821 einen eigenen
Kommentar darüber veröffentlichte. Die hier erwähnte herrliche Erscheinung farbiger
Schatten bei untergehender Sonne ist im Didaktischen Teil § 75 seiner Farbenlehre
beschrieben. Damals erlebte er gleichsam eine Apotheose des Menschen in der Natur, was
freilich von der christlichen Erfahrung einer unio mystica streng zu unterscheiden ist. Aber
über Goethe kommt man zu besserem Verständnis der Bergerlebnisse bei den Japanern.
In Japan gibt es bekanntlich viele Berge. Das im Vergleich mit China winzige Land der
aufgehenden Sonne besteht eigentlich zum großen Teil aus einer durchgehenden Bergkette,
und dazwischen befinden sich relativ kleine bewohnbare und ackerbare Bodenflächen. Es ist
nicht übertrieben zu sagen, daß man nirgends in Japan ohne Ausblick auf eine nahe oder ferne
Berglandschaft wohnen kann. Die Japaner sehen auch die Berge sehr gern an. Das basiert im
Grund genommen auf ihrem hergebrachten, mit dem Ahnenkult gemischten Animismus, in
dem man die ganze Natur, somit auch die Berge mit all ihren Felsen, Bäumen und Tieren als
beseelt empfindet und sie mit den Seelen der Toten ehrfürchtig für göttlich hält.
In der volkstümlichen Bergfrömmigkeit der Japaner, die sich im Unterschied zu dem von
der Oberschicht geförderten Stadt-Buddhismus bzw. Shintoismus entwickelt hat, sind zwei
entgegengesetzte Richtungen bemerkbar. Für die volkstümliche Berggläubigkeit in Japan ist
es wie bei der Fuji-Verehrung charakteristisch, daß die urwüchsige Naturreligion des Volkes
bis zur Unkenntlichkeit mit dem Buddhismus oder Shintoismus verwachsen ist. Es handelt
sich dabei einerseits um eine naive Frömmigkeit der Bauern, die vom Feld aus auf einen
bestimmten Berg in der umliegenden Landschaft verehrend hinblicken. Der Berg hat meist
eine schöne Form, muß aber nicht unbedingt so hoch sein wie der Berg Fuji oder seine Brüder
in ganz Japan. Deshalb befindet sich ihre geweihte Grotte grundsätzlich am Bergfuß.
Andererseits ziehen sich mythisch veranlagte Männer oft in die tiefen Berge zurück und
suchen ihre Religiosität mit körperlichen Anstrengungen, Gebeten unter dem Wasserfall und
nächtlichem Feuerbrennen zu befriedigen. Wenn sie dann auf der hohen Bergspitze den
herrlichen Sonnenaufgang erleben, verehren sie die Sonne als Heraufkunft der Gottheit und
bauen dort aus Gestein eine Grotte oder stellen ein symbolisches Tor aus Holz auf. In dieser
„Shugendo“ genannten Spiritual-Übung war der Zutritt der Frauen in die Berge der
asketischen Übungen jahrhundertelang verboten, obwohl zwei anliegende Berge im Gebirge
manchmal als männlich und weiblich bezeichnet und zwei Gipfel eines Berges als männliche
und weibliche Gottheit verehrt wurden.
Es ist außerdem darauf hinzuweisen, daß die Jäger in Japan nie eine Bergfrömmigkeit
entfaltet haben, während die Bauern durch ihre Feldarbeit vielfach dem Fruchtbarkeitskult
verhaftet geblieben waren. Die sportliche Freude am Bergsteigen ist gewiß relativ neueren
Datums, scheint aber offensichtlich beim Anblick der aufgehenden Sonne oder beim
Sonnenuntergang bei manchen Japanern heute noch ein urtümliches religiöses Gefühl zu
erwecken, was etwa an die „Anmutige Gegend“ in Goethes Faust II erinnert. Dabei spielt der
traditionell in Dichtung und Kunst gefeierte Berg Fuji eben als heiliger Berg eine
herausragende Rolle. Es war der große Forschungsreisende Engelbert Kaempfer aus Lemgo,
Westfalen, der als erster Europäer in Japan über den Berg Fuji geographisch und
landschaftlich eingehend berichtete. Auch der Würzburger Japanforscher Philipp Franz von
Siebold machte im Jahre 1826 eine Hofreise nach Edo mit und stellte unterwegs
wissenschaftliche Beobachtungen über die japanischen Vulkane an. Später stellte er sie
Alexander von Humboldt, der nur an die russisch-chinesische Grenze kam, zur Verfügung.
Humboldt erwähnte es denn auch in einer Fußnote in seinem Hauptwerk Kosmos ausdrücklich.
Es waren dann anglo-ame-rikanische Missionare, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg die
sogenannten Japanischen Alpen schätzengelehrt und bei den japanischen Bergsteigern ein für
allemal den Alpinismus erweckt haben. Dieser hat heutzutage weltweit einen Kulturtourismus
hervorgebracht. Die Berge erscheinen dabei für viele Menschen als Kreuzpunkt von Natur
und Kultur im Alltagsleben.
Aus der Sicht, die Entdeckung der Berge in Europa und die Bergfrömmigkeit in Japan
gegenüberzustellen, erweist sich ein komparatistischer Kulturvergleich als natürlich und
notwendig. In der kulturellen Komparatistik kommt es aber m.E. darauf an, nicht nur als
Europäer von dem Westen, sondern als Asiate von dem Osten auszugehen und so eine
kulturwissenschaftliche Seidenstraße aus entgegengesetzter Richtung anzubahnen. Die
Christen haben meist nur ein Auge. Die europaischen Christen sehen die Welt mit einem
westlichen Auge, die asiatischen Christen nur mit einem östlichen Auge. Ich bemühe mich, die
Religionen in Ost und West mit den beiden Augen zu sehen. Denn die Christen könnten
religiös recht haben, sind aber deshalb nicht unbedingt ethisch besser als die Buddhisten.
Angeregt wurde ich allerdings zu dieser relativistischen Haltung durch Herders Abhandlung
über
den
Ursprung
der
Sprache,
die
ich
1972
ins
Japanische
übersetzt
habe.
Da ich jedoch in den letzten Jahren mehr oder weniger intensiv im Kulturbereich gearbeitet
habe, liegt nun mein Schwerpunkt in der Naturforschung Goethes, zumal er seinem dezidiert
christlichen Jugendfreund Friedrich Heinrich Jacobi aus Ilmenau schrieb: „Hier bin ich auf
und unter Bergen, suche das göttliche in herbis et lapidibus.“ Meine Methode besteht in erster
Linie darin, Goethes naturwissenschaftliche Schriften gründlich zu studieren, bevor ich
Goethes derartige Religiosität herausarbeite und mit der japanischen vergleiche. Deswegen
habe ich bereits den didaktischen Teil seiner Farbenlehre
sowie seine morphologischen
Schriften ins Japanische übersetzt und bemühe mich weiterhin, seine geologischen Schriften
als die Anfänge einer humanistischen Naturwissenschaft zu studieren.
Mit diesem meinem wissenschaftlichen Vorhaben verbindet sich mein langjähriges
Engagement für das Bergprojekt des INST, zu dessen Internet-Zeitschrift ich u.a. zwei
diesbeügliche Aufsätze beigetragen habe: „Die Namen japanischer Berge“; „Der Berg Fuji in
der japanischen Kunst“. Man könnte in der Tat durch eine gute Zusammenarbeit mit den
Fachleuten der ganzen Welt eine nationale und internationale Kulturgeschichte der Berge
schreiben, und zwar unter dem Gesichtspunkt, wie die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte
sowohl im Westen als auch im Osten die Berge für Literatur sowie Kunst entdeckt,
naturwissenschaftlich
erforscht,
wirtschaftlich
verwertet
und
schließlich
touristisch
erschlossen hat. Das würde zweifellos dazu führen, eine neue interdisziplinäre globale
Kulturwissenschaft ins Leben zu rufen und eine weltweite Verbreitung durchs Internet sowie
CD-ROM recht zweckmäßig erscheinen zu lassen.
Das Wiener Institut versucht nach seinem wissenschaftlichen Direktor Herbert Arlt seit
1994, „Sprachen, Literaturen, Künste, Wissenschaften, Forschungen, Wissensproduktionen in
neuer Weise gesellschaftlich wirksam zu machen mit der Zielsetzung, mit wissenschaftlichen
und künstlerischen Mitteln zum Aufbau von Wissensgesellschaften beizutragen“. Unter
Wissensgesellschaft habe ich für meine Person vor allem eine mit dem Internet weltweit
vernetzte Welt verstanden und über ihre Vor- und Nachteile nachgedacht. Erst vor etwa zehn
Jahren habe ich eigentlich gelernt, wie man technisch mit dem Computer und Internet
umgehen soll. Bei dem mir naheliegenden Stichwort „Goethe“ habe ich beispielsweise eine
Unmenge Wissen vorgefunden, die sich als teils genau-informativ, teils fehlerhaftunzuverlässig, oder als bald aufschlußreich, bald oberflächlich erwiesen. Dadurch habe ich
leicht feststellen können, daß man mit den einzelnen Informationen im Internet sehr
aufmerksam, sorgfältig, und kritisch-selekiv umgehen muß. Auf jeden Fall mußte ich ein
synthetisches Urteil, also die Weisheit, Einzelwssen miteinander zu einem Ganzen zu
verbinden, selber heranbilden.
Aber mit dem Ziel des INST, mit allen Mitteln eine
Globalisierung mit dem humanen Gesicht zu gestalten, war ich grundsätzlich einverstanden
und wollte gern mitarbeiten.
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich Herbert Arlt im Jahre 1997 bei dem HeineSymposium von Herrn Zhang Yushu in Peking erstmals kennengelernt. Bald darauf hat er
freundlicherweise eine engere Zusammenarbeit mit mir eingeletet, indem er mir Gelegenheit
gegeben hat, ein paar kleinere Artikel von mir auf der Webseite des INST zu veröffentlichen.
Damals hatte ich noch wenig Erfahrung mit dem Computer und habe einfach Freude daran
gehabt, fremde Webseiten, insbesondre aber meine Sachen im Internet abzurufen und
auszudrucken. Daraus ergab sich zum Beispiel mein Artikel „Goethe im Internet“. Dem
Internet gegenüber war ich noch etwas skeptisch eingestellt, als ich 1993 eine gekürzte
elektrische
Fassung
meines
Referates
„Goethes
Bedeutung
Bildungstradition“ auf einem Humboldt-Kolleg in Kyoto freigab.
für
die
japanische
Im Laufe der Jahre habe ich immer enger mit dem INST zusammenarbeiten dürfen. So
habe ich bereits 1991 an seiner Pariser UNESCO-Konferenz teilgenommen und mich etwas
kritisch über
die „Kulturwissenschaften in der Klemme“ geäußert. Aber für sein
Weltprojekt der Berge habe ich mich sehr interessiert und in Ramsau am Dachstein ein
Referat über die „Namen japanischer Berge“ gehalten. Später habe ich auch noch einen
Beitrag „Der Berg Fuji in der japanischen Kunst“ beigesteuert. Zu der Konferenz „Das
Verbindende der Kulturen“ habe ich ein Referat „Die chinesischen Schriftzeichen als das
kulturelle Band in Ostasien„ beigetragen. Für die Wiener Konferenzen des INST in den
Jahren 2003, 2005 und 2007 habe ich dann je eine Sektion über „Transnationale Bestrebungen
und Widersprüche in Asien und Afrika“, „Erneuerung der literarischen Tradition durch neue
Medien“ sowie über die vorerwähnte Sektion „Wissens-vermittlung in Asien mittels der
deutschen Sprache“ eingerichtet und jeweils über Japans Imperialismus, ein BunrakuPuppentheaterstück und bibliographisch über die deutschsprachige Germanistik in Ostasien
referiert.
Mir fehlte bis dahin vor allem eine Vernetzung von wissenschaftlichen Informationen per
Internet, die die Forschungs- und Medienarbeit des INST vorzüglich kennzeichnet und eine
weltweite Kommunikation in Ost und West erst ermöglicht. Dadurch konnte ich ohne weiteres
Kontakt auch mit den Kollegen aus Osteuropa, Rußland und nicht zuletzt aus Afrika
aufnehmen. Zu gegebener Zeit könnte man im Rahmen des Weltprojekts der Berge auch ein
Symposium mit dem Schwerpunkt „Berge in Japan“ veranstalten. Dabei soll einmal
einschließlich der französischen, schweizerischen, bayerischen, italienischen und österreichischen Alpen die ganze Berglandschaft Europas präsentiert werden, da sie als beliebte
Themen innerhalb der deutschen, schweizerischen und österreichischen Literautr den
japanischen Germanisten bekannt genug sind. Das Österreichische ist aber offen gestanden
für sie weniger interessant, wie aus meinem Beitrag „Österreichischer Wortschatz in einem
deutsch-japanischen Wörterbuch“ in der Internet-Zeitschrift TRANS hervorgeht.
Um das Fazit aus meinen Erfahrungen zu ziehen, so hat m. E. das INST nicht nur
medientechnisch,
sondern
auch
in
wissenschaftlicher
Hinsicht
mit
seiner
kultur-
wissenschaftlichen Zielsetzung die Zeit vorweggenommen. Denn im Zeitalter der Globalisierung stellt sich heraus, daß die traditionelle Germanistik als Philologie und
Literaturgeschichte für die sogenannten Auslandsgermanisten nicht mehr tragbar ist, wiewohl
sie als solche im Fachbereich der Geisteswissenschaften sehr wichtig ist. Stattdessen gewinnen
die Kulturwissenschaften weltweit immer mehr an Bedeutung, weil sie angesichts der rapiden
Entwicklung der Medientechnik einer anderen Begründung und empirischen Forschung
bedürfen als Kulturphilosophie in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Damals
konnte man sich noch damit begnügen, theoretisch vorwiegend innerhalb Europas über die
neuen Kulturphänomene nachzudenken. Jetzt geht es aber nicht mehr, ohne nichtchristliche
Religionen wie Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus oder Shintoismus
ernst zu nehmen, haben sie doch alle im Laufe der Jahrhunderte gewichtige Kulturen
außerhalb Europas hervorgebracht.
Was heute wissenschaftlich dringend nottut, ist meiner Meinung nach über eine westlich
orientierte Kulturwissenschaft hinaus eine im weitesten Sinne des Wortes östlich ausgerichtete
Kulturwissenschaft hervorzurufen und so eine wirklich allgemeine Kuturtheorie der
Menschheit zu begründen. Mein Beitrag „Der gespaltene Kontinent Eurasien“ ging aus meiner
langjährigen Besorgnis um einen Eurozentrismus hervor. Nicht zufällig befindet sich dabei
Österreich als ehemalige Ostmark des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im
Schnittpunkt von West und Ost. Insofern erweist sich das INST als einmaliges multikulurelles
Forschungsinstitut im deutsch-sprachigen Raum. Ich habe schon dreimal an der Wiener
Konferenz des INST teilgenommen und habe noch nie erlebt, daß so viele verschienene
Nationalitäten anderswo vertreten sind. Hier werden ja außer Deutsch auch Englisch und
Französisch gelten gelassen, während sogar auf dem Pariser IVG-Kongreß 2005 grundsätzlich
nur Deutsch als Konferenzsprache verwendet wurde. Mein Referat „Entdeckung des Torsos.
Komplementarität in der Kunst“, das im buddhistischen Kulturhaus „Eko“, Düsseldorf, im
September 2010 gehalten wird, läßt sich deshalb ohne weiteres auf den Kultur-vergleich von
Ost und West anwenden.
In dem 2002 erschienenen Band Erinnern und Vergessen als Denkprinzipien der INSTReihe ist übrigens ein Vortragstext von mir „Die japanische Geschichte im Gedächtnis der
Götter“ enthalten. Auch in der internationalen Zeitschrift für Kulturwissenschaften Jura
Soyfer, Jahrgang 2002, befinden sich zwei Beiträge von mir: „Die virtuelle Geschichte in der
japanischen Mythologie“; „Kontinentalität und Transkontinentalität am Beispiel Eurasiens“.
Der erstere wurde im Rahmen des 2. Memminger Gesprächs über Kunst und Kultur
vorgetragen und bald darauf durch das Bayerische Fernsehen gesendet. Im Mai 2005 hatte ich
auch einmal Gelegenheit, an dem Symposium des INST „Mythen und Berge“ in Georgien
teilzunehmen, und erlebte hier diesseits vom wilden Kaukasus den eigentlichen Schnittpunkt
von Europa und Asien. Konnte ich doch in einem Minibus eine Wegstrecke der
eindrucksvollen alten Seidenstraße fahren. Aus physischen Gründen traue ich mir zwar nicht
mehr zu, die für Juli 2009 vorgesehene Konferenz „Frieden im Kaukasus durch Kulturtourismus“ mitzumachen, aber für die Wiener Konferenz 2010 mit dem in Aussicht gestellten
Generalthema „Städte, Kulturen, Wissensgesellschaften“ würde ich mich wieder nach Kräften
einsetzen.
(Stand: 14. August 2010)
Ⅳ. Publikationsliste:
Bibliographie meiner Buchpublikationen
Goethes Wortgebrauch zur Dichtungstheorie im Briefwechsel mit Schiller und in
den Gesprächen mit Eckermann. Max Hueber Verlag, München 1965.
Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache, übersetzt, kommentiert und
eingeleitet von Naoji Kimura, Taishukan-Verlag, Tokyo 1972.
Goethe-Lesebuch, zusammengestellt und erläutert von Naoji Kimura. Daisan-ShoboVerlag, Tokyo 1974.
Goethes naturwissenschaftliche Schriften (14. Band der Ushio-Goetheausgabe), zusammengestellt, teilweise übersetzt (wissenschaftstheoretische Aufsätze und
der Farbenlehre didaktischer Teil) und eingeleitet von Naoji Kimura. UshioVerlag, Tokyo 1980.
Goethe I (Goethe-Kenkyu. Goethes vielseitiges Menschenbild) Nansosha-Verlag,
Tokyo 1976.
Goethe II (Zoku Goethe-Kenkyu. Eine geistesgeschichtliche Perspektive der deutschen Klassik) Nansosha-Verlag, Tokyo 1983.
Goethe III (Goethe-Kenkyu Yoteki. Deutsche Literatur und die Tradition des
christlichen Abendlandes) Nansosha-Verlag, Tokyo 1985.
Doitsu-Seishin-no-Tankyu (Deutsche Geistesgeschichte. Goethe im geistesgeschichtlichen Kontext) Nansosha-Verlag, Tokyo 1993.
Jenseits von Weimar. Goethes Weg zum Fernen Osten. Peter Lang Verlag, Bern 1997.
Goethes Farbenlehre. Didaktischer Teil. Taschenbuchausgabe in japanischer Übersetzung. Chikuma-Verlag. Tokyo 2001.
Der "Ferne Westen" Japan. Zehn Kapitel über Mythos und Geschichte Japans. Röhrig
Universitätsverlag. St. Ingbert 2003.
Doitsu-humanism-no-Genten (Ursprung des deutschen Humanismus. Geistesgeschichtlicher
Hintergrund der EU) Nansosha-Verlag, Tokyo 2005.
Der ost-westliche Goethe. Deutsche Sprachkultur in Japan. Peter Lang Verlag. Bern 2006.
Regensburg, eine alte Stadt an der Donau. NTT-Verlag. Tokyo 2007.
Goethes morphologische Schriften (Botanik, Physiologie, Zoologie), übersetzt ins Japanische,
kommentiert und mit Anmerkungen versehen von Naoji Kimura. 2 Bände.
Chikumashobo-Verlag. Tokyo 2009.
Goethes geologische Schriften (Mineralogie, Geologie, Meteorologie, Astronomie),
übersetzt ins Japanische, kommentiert und mit Anmerkungen versehen von Naoji
Kimura. 2 Bände. Chikumashobo-Verlag. Tokyo 2010.
Naoji Kimura (Hrsg.): Wien um die Jahrhundertwende. Tokyo 1990.
Naoji Kimura (Hrsg.): Faust in Ost und West. Deutsch-, japanisch-, chinesisch-,
koreanisches Symposium. Mit Beiträgen von Karl Robert Mandelkow, Christoph
Perels et al. Tokyo 1993.
Naoji Kimura (Hrsg.): Die Zukunftsstadt Berlin. Berlin Vision 2000. Mit Beiträgen von Wolf Lepenies, Götz Friedrich, Manfred Fricke et al. Tokyo 1995.
Naoji Kimura (Hrsg.): Das Auge der Sophia. Symposion in Geschichte und Kultur.
Tokyo 1993.
Naoji Kimura (Hrsg.): Die Geschichte des Menschen. Symposion in Wissenschaft
und Geschichte. Tokyo 1994.
Naoji Kimura (Hrsg.): Die Aktualität der ethnischen Probleme. Tokyo 1996.
MEISTER Deutsch-japanisches Wörterbuch, Taishukan-Verlag, Tokyo 1992. Mitverfasser.
Taschen-Meister, Kleines deutsch-japanisches Wörterbuch, Taishukan-Verlag,
Tokyo 1997. Mitverfasser.
Naoji Kimura (Hrsg.): Texte der deutschen Mystik im Mittelalter. Heibonsha-Verlag.Tokyo
2001.
Naoji Kimura & Horst Thomé (Hrsg.): “Wenn Freunde aus der Ferne kommen” Eine westöstliche Freundschaftsgabe für Zhang Yushu zum 70. Geburtstag. Peter Lang Verlag. Bern
2005.
Naoji Kimura / Karin Moser v. Filseck (Hg.): Universalitätsanspruch und partikulare
Wirklichkeiten. Natur- und Geisteswissenschaften im Dialog. Königshausen & Neumann.
Würzburg
2007.
(Stand: 1. August 2010)
Inhaltsverzeichnisse meiner Bücher in japanischer Sprache
Goethe-Studien Bd. 1
Goethes vielseitiges Menschenbild
(Nansosha-Verlag, Tokyo 1976)
Vorwort
I. Kapitel: Wandlungen des Goethebildes – Ein Querschnitt durch die Goetheforschung
1. Das entstellte Goethebild
2. Vorgänger der Goethe-Renaissance
3. Entstehung des olympischen Goethebildes
4. Generationsbruch um Goethe
5. Idealismus-Streit
6. Hinwendung zum späten Goethe
7. Marxistische Goetheforschung
8. Das künftige Goethebild
II. Kapitel: Das Weltbild des jungen Goethe
1. Forschungslage
2. Kosmogonischer Mythos
3. Unzeitgemäße Betrachtungsweise
III. Kapitel: Religiöse Anschauungen Goethes in der Jugendzeit
1. Ansätze des religiösen Liberalismus
2. Stationen der religiösen Entwicklung
3. Quellenmäßige Bibelstudien
4. Ablehnung des geschichtlichen Kirchenbegriffs
5. Religiöse Probleme als literarische Themen
IV. Kapitel: „Werther“ und seine Zeit
1. Probleme der Wirkungsgeschichte
2. Religiöse Problematik im „Werther“
a) Das weltanschauliche Grundproblem
b) Das ambivalente Naturerlebnis
c) Religiöse Rechtfertigung des Selbstmordes
3. Auseinandersetzungen zwischen Goethe und Nicolai
a) Wirkung von „Werther“
b) Nicolais Parodie
c) Goethes Stellungnahme
V. Kapitel: Goethes Liebes- und Naturmystik
1. „Harzreise im Winter“ als Gelegenheitsgedicht
2. Liebesmystik
3. Naturmystik
VI. Kapitel: Die Metamorphose des Menschen
1. Grundelemente der Bildung
2. Bildungstrieb der Monade
3. Bildungserlebnisse in Italien
4. Grenzen der Bildung als Metamorphose des Menschen
VII. Kapitel: Heidentum des klassischen Goethe
1. Vorbemerkung
2. Begegnung mit dem deutschen Katholizismus
3. Begegnung mit dem italienischen Katholizismus
4. Kritik am römischen Katholizismus
5. Kunst als eine höhere Religion
6. Nachklänge des Antikatholizismus
VIII. Kapitel: Goethes Romantikkritik
1. Das Hervorkommen des neuen Kunstgeschmacks
2. Theoretische Förderung durch die Literaten
3. Praxis durch die Künstler
4. Ambivalente Wertschätzung der Romantik
IX. Kapitel: Metaphysik der Natur bei Goethe
1. Naturwissenschaftliche Bedeutung von Goethes Kosmogonie
a) Mystischer Ursprung der Natur
b) Die Grundeigenschaft der Natur
c) Die Korrelation von Natur und Geist
2. Goethes naturphilosophische Wissenschaftstheorie
a) Naturgemäße Methodologie
b) Wechselwirkung von Analyse und Synthese
c) Einfluß der Kantischen Philosophie
X. Kapitel: Faust und die geistige Welt Goethes
1. Faust und die Natur
a) Naturphilosophische Voraussetzungen
b) Die magische Natur
c) Die ideelle Natur
d) Die erotische Natur
2. Tragische Deutung von „Faust“
a) Faust als der Bruder Werthers
b) Fausts tragischer Charakter
c) Prästabilierte Erlösung
d) Versuch einer Erlösung in der Natur
Sach-, Personen- und Werkregister
Goethe-Studien Bd. 2
Eine geistesgeschichtliche Perspektive der deutschen Klassik
(Nansosha-Verlag, Tokyo 1983)
Vorwort
I. Kapitel: Erziehungsidee des Rittertums und Goethe
1. Die Weltbejahung der höfischen Ritterdichtung
2. Die Problematik der höfischen Ritterdichtung
3. Das „Tugendsystem“ des Rittertums und sein Ende
II. Kapitel: Die Kunsttheorie des jungen Goethe – Von deutscher Baukunst (1772)
1. Die natürliche Bildungskraft des Menschen
2. Künstler als der zweite Schöpfer
3. Die Gotik als eine ursprüngliche Kunst
III. Kapitel: Herder und Goethe
1. Umkreis von Herders „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“
a) Die Sprachbetrachtung des jungen Herder
b) Problemkreis vom Ursprung der Sprache
c) Theorien über den Sprachursprung nach Herder
2. Die frühe Sprachthorie Herders – Literatur und Sprache
a) Drei Gesichtspunkte bei der Sprachbetrachtung
b) Entwicklungsstufen der Sprache
c) Gedanke und Ausdruck in der Sprache
3. Herders Abhandlung über den Sprachursprung als eine Sprachphilosophie
a) Aktuelle Bedeutung
b) Eine vielseitige Betrachtung des Sprachursprungs
c) Vieldeutigkeit der Terminologie
4. Die philosophische Bedeutung von Herders Abhandlung über den Sprachursprung
a) Die Anfänge der Sprachphilosophie
b) Anthropologische Fragestellung
c) Geschichtsphilosophischer Aspekt
IV. Kapitel: Goethe und Wilhelm von Humboldt
1. Goethe als Naturforscher
a) Stufen des Naturforschers
b) Ideelle Grundlage der Naturforschung
c) Naturwissenschaftliche Aufsätze als ein Teil der Autobiographie
d) Stellung in der Geschichte der Naturwissenschaft
2. Grundsatz des Vergleichs in Natur und Sprache
a) Goethes Entwurf zur vergleichenden Anatomie
b) Humbolts Entwurf zur vergleichenden Anthropologie
c) Anthropologischer Horizont des Sprachvergleichs
3. Die Morphologie der Sprache bei Humboldt
a) Die Sprache als Organismus
b) Zweiseitigkeit der Sprachbetrachtung
c) Innere und äußere Form der Sprache
V. Kapitel: Goethe und das Übersetzungsproblem
1. Grundlegende Probleme einer Übersetzungstheorie
a) Sprachphilosophische Voraussetzungen der Übersetzung
b) Möglichkeit und Grenze der Übersetzung
c) Methode und Bedeutung der Übersetzung
2. Probleme der japanischen „Faust“-Übersetzung
a) Geschichte der „Faust“-Übersetzungen in Japan
b) Wandel des Faustbildes
VI. Kapitel: Probleme der Goethe-Rezeption in Japan
1. Goethe in der ersten Epoche der Einführung der deutschen Literatur
a) Die früheste Goethe-Literatur
b) Die Goethe-Auffassung von Ishibashi Ningetsu
c) Die Anfänge einer literarischen Rezeption von Goethe
d) Goethes Bekanntwerden als Naturforscher in der Meiji-Zeit
2. Eine idealistische Rezeption Goethes
a) Das typisch japanische Goethebild
b) „Werther“ als Liebesroman
c) „Faust“ als eine weltliche Bibel
VII. Kapitel: Die „Faust“-Rezeption in der Meiji-Zeit
1. Überblick über den Faust-Idealismus in Deutschland
2. Mannigfaltigkeit der „Faust“-Rezeption in den 90er Jahren
3. Die kritische Faust-Auffassung von Kanzo Uchimura
4. Die idealistische Beeinflussung durch Kuno Fischer
5. Vorläufer einer Faust-Ideologie in Japan
VIII. Kapitel: Faust und das Christentum
1. Faust in der Faustsage
2. Goethes „Faust“
a) Der enttäuschte Christ Faust
b) Verzweiflung an der Erkenntnis
c) Erkenntnis und Tat
d) Die Weltfrömmigkeit Fausts
e) Das Reich der Mütter
3. Der vom dichterischen Werk losgelöste Faust
IX. Kapitel: Stand der Forschung über Goethes Romane
1. Goethes Romantheorie
2. „Die Leiden des jungen Werther“
3. „Die Wahlverwandtschaften“
4. „Wilhelm-Meister“-Romane
X. Kapitel: Versuch über „Wilhelm Meisters Lehrjahre“
1. Bildungsroman und die Tradition des Schelmenromans
2. Bildung und Roman im Bildungsroman
a) Bildungsroman als ein Formbegriff
b) Die Romanstruktur des Werkes
c) Strukturelle Entfaltung des Hauptthemas
d) Der Geist der Ironie
3. Die Religiosität der „Bekenntnisse einer schönen Seele“
a) Täuschungen einer religiösen Liebe
b) Auseinandergehen von Ich und Welt
c) Grenzen der pietistischen Religiosität
4. Tod und Verwandlung im Bildungsroman
a) Der Zwiespalt zwischen Natur und Geist
b) Der Harfner als Archetypus des Dichters
c) Mignon als Verkörperung der Poesie
Sach-, Personen- und Werkregister
Goethe-Studien Bd. 3
Spicilegium
(Nansosha-Verlag, Tokyo 1985)
Vorwort
Erster Teil: Die deutsche Literatur und die Tradition des christlichen Abendlandes
I. Kapitel: Die christliche Bedeutung der Kultur
1. Der religiöse Charakter der Kultur
2. Zivilisation und Humanität
3. Der Konflikt zwischen dem Christentum und dem modernen Geist
4. Das neue Verhältnis zwischen Christentum und Kultur
5. Die Kultur als Ausdruck der menschlichen Natur
6. Der ganzheitliche Mensch als Träger der Kultur
7. Die Universalität der Kultur und die Aufgabe der Erziehung
8. Die Kultur als Identität der Völker
II. Kapitel: Novalis und Eichendorff – „Die Christenheit oder Europa“
1. Geist und Buchstabe
2. Geschichtserkenntnis durch den religiösen Sinn
3. Die Wiedergeburt des christlichen Europas
4. Eichendorffs Kritik an Novalis
III. Kapitel: Hermann Kunisch „Die Ordnung des Seins bei Adalbert Stifter“
1. Das Mißverständnis
2. Wandel der Sprache
3. Gegenständlichkeit
4. Das Rechte und das Gute
5. Das einfache Leben
6. Das Vertrauen
IV. Kapitel: Die katholische Literaturbewegung in Deutschland und Gertrud von le Fort
1.Theologische Voraussetzungen
2. „Hochland“-Bewegung
3. Probleme der Konvertiten-Literatur
V. Kapitel: „Die Hymnen an die Kirche“ von le Fort
1. „Die Hymnen an die Kirche“ als ein lyrisches Tagebuch
2. Die innere Begegnung mit der universalen Kirche
VI. Kapitel: Carl Muth und die christliche Dichtung
1. Die Bedeutung der Herausgabe von „Hochland“
2. Die geistesgeschichtliche Situation der Jahrhundertwende
3. Der Idealismus Carl Muths
4. Die Goethe-Auffassung von Carl Muth
5. Die Begegnung le Forts mit „Hochland“
VII. Kapitel: Die Zeitkritik Theodor Haeckers
1. Der Weg zum Schriftsteller
2. Das christliche Abendland als Grundidee
3. Die Verurteilung der „Staatskirche“
VIII. Kapitel: „Das unauslöschliche Siegel“ von Elisabeth Langgässer
1. Die Heilsgeschichte als „Welttheater“
2. Der geschichtsphilosophische Rahmen
3. Das Fehlschlagen des Rationalismus
4. Die Natur der Natur
5. Das Gebet des Mystikers
6. Die neue Sintflut
Zweiter Teil: Kleine Goethe-Studien. Eine Nachlese
I. Kapitel: Die Goetheforschung in der Bundesrepublik Deutschland der 60er Jahre
1. Fachzeitschriften für die Goetheforschung
2. Goethe-Aufsätze in den wichtigen Fachzeitschriften
3. Übrige Goethe-Aufsätze
II. Kapitel: Die deutsche Literaturwissenschaft der 70er Jahre
1. Die werkimmanente Interpretation nach dem Zweiten Weltkrieg
2. Studentenunruhen und die Krise der Germanistik
3. Hintergrund und Bedeutung der Methodendebatten
4. Die Klassik als Musterbeispiel für die Germanistik-Kritik
III. Kapitel: Die Klassik-Debatte im geteilten Deutschland
1. Die Überprüfung des Klassik-Begriffs
2. Die Ideologiekritik in der Bundesrepublik Deutschland
3. Die Kulturerbe-Theorie in der DDR
4. Goethe als ein Klassiker
5. Nachwirkungen der Goethefeier
IV. Kapitel: Philipp Franz von Siebold und Goethe
1. Siebolds Vorliebe für Schiller
2. Die Familie Siebold
3. Döllinger als Embryologieforscher
4. Die Bekanntschaft mit dem Präsidenten der Leopoldina
5. Sömmerring und Oken
6. Die Freundschaft mit Alexander von Humboldt
7. Kurt Sprengels „Anleitung zur Kenntniß der Gewächse“
V. Kapitel: Goethe und Udagawa Yoan
1. Kurt Sprengel als Botaniker
2. Goethe und Sprengels „Geschichte der Botanik“
3. Sprengel und Udagawa Yoans „Grundriß der Botanik“
VI. Kapitel: Die Romanstruktur von „Wilhelm Meisters Wanderjahre“
1. Eingefügte Novellen und die Rahmenerzählung
2. Die Rolle des Herausgebers
3. „Aus Makariens Archiv“
VII. Kapitel: Das Motiv des Wundarztes in den „Wilhelm Meister“-Romanen
1. Goethes anatomische Studien
2. Der Wundarzt Wilhelm
3. Die plastische Anatomie
VIII. Kapitel: Aspekte der Goetheforschung
1. Eine marxistische Goethe-Auffassung
2. Naturgeschichte und Geschichte der Natur
3. Goethe und die Kinderliteratur
4. Wilhelm Busch und Goethe
5. Die Hauptversammlung der Goethe-Gesellschaft in Weimar
6. Eindrücke von Weimar
7. Der Frühling in Wien
8. Der Wiederbesuch Weimars
Sach-, Personen- und Werkregister
Deutsche Geistesgeschichte Bd. 1
Auf der Suche nach dem deutschen Geist.
Goethe im geistesgeschichtlichen Kontext
(Nansosha-Verlag, Tokyo 1993)
Vorwort
1. Kapitel: Wiederentdeckung des deutschen Mittelalters
1. Probleme der Mediävistik
a) Erweiterte Forschungsbereiche
b) Idealität des literarischen Ritterbildes
c) Erneute Einschätzung der deutschen Mystik
2. Der Gralskönig Parzival – Das Idealbild in der Krise
a) Licht- und Schattenseite des Ritterbildes
b) Verkehrte Umwertung
c) Projektionen des Helden
d) Heilsgeschichtliche Menschenbildung
2. Kapitel: Entstehung und Verfall des Faust-Mythos
1. Der fundamentale Charakter des Faust-Volksbuches
a) Das mittelalterlich-katholische Weltbild
b) Der neuzeitlich-protestantische Moralismus
c) Züge des Schelmenromans
2. Faust-Ideologie als Mythos
a) Faustsage und Goethes „Faust“
b) Der mythologisierte Faust von Goethe
c) Ideologisierung des Faust-Mythos
3. Der entmythologisierte Faust – Das moderne Fausdrama
a) Aufführbarkeit eines übersetzten Theaterstückes
b) Handlung des ersten Teils der Tragödie
c) Probleme der Entmythologisierung
d) „Die Walpurgisnacht“ als Satansmesse
3. Kapitel: Entfaltung des deutschen Barockgeistes
1. Naturgeschichtliche Forschungsreise Engelbert Kaempfers
a) Das konfessionelle Zeitalter
b) Reisewege vor der Ankunft in Japan
c) Probleme der Kaempfer-Forschung
d) Goethes Japankenntnisse und Kaempfer
2. Die zweite Entdeckung des neuen Kontinents durch Alexander von Humbodt
a) Der auf Südamerika gerichtete Erkenntnisdrang
b) Naturerkenntnis als wissenschaftliches Gemälde
c) Politische Auswirkungen seiner lateinamerikanischen Reise
4. Kapitel: Anthropologische Sprachauffassungen der Goethezeit
1. Sprache und Erkenntnis bei Herder
a) Symbolcharakter der Sprache
b) Wort als eine Erkenntnis
c) Möglichkeit der Erkenntnis durch die Sprache
2. Frühe Sprachtheorie Wilhelm von Humboldts
a) Klassische Sprachanschauung
b) Geistiger Ursprung der Sprache
c) Systematische Beschreibung der Sprache
3. Jacob Grimm und die Germanistik
a) Stand der japanischen Germanistik
b) Neue Trends in der Grimm-Forschung
c) Jacob Grimm als Germanist
5. Kapitel: Grundprobleme der Goetheschen Dichtung
1. Goethes Idee der Wanderschaft
a) Shimazaki Toson und Goethe
b) Pilgerschaft und Wanderschaft
c) Werthers Wanderschaft
d) Tosons Goetheauffassung
2. Die Überwindung der Natur in den „Wahlverwandtschaften“
a) Neuzeitliches Thema in der Feudalgesellschaft
b) Problematik der natürlichen Ethik
c) Die säkularisierte Heiligenlegende
d) Überwindung des Schicksals durch die Heiligung
3. Das Thema der Leidenschaft in „Wilhelm Meisters Wanderjahre“
a) Die Leidenschaft als Voraussetzung der Entsagung
b) Die symbolische Bedeutung des Kästchens
c) Liebeskonflikt zwischen Vater und Sohn
6. Kapitel: Das Problem des Bürgertums bei Goethe
1. Der geadelte Bürger
2. Das dem Adel dienende Bürgertum
3. Der sich zum Geistesadel entwickelnde Bürger
4. Der zugrundegehende Landadel
5. Wirtschaftliche Tätigkeit des verbürgerlichten Adels
6. Die Französische Revolution und Goethe
7. Goethe und das deutsche Bildungsbürgertum
7. Kapitel: Goethe-Renaissance um die Jahrhundertwende in Wien
1. Goethe und Wien
2. Die älteste Goethe-Gesellschaft der Welt
3. Die Vorläufer in Wien
4. Wiederentdeckung Goethes als des Naturforschers
8. Kapitel: Geistesgeschichtliches Syndrom des Nationalsozialismus
1. Die Weltanschauung des Nationalsozialismus
a) Der Traum des Dritten Reiches
b) Der Mythus des 20. Jahrhunderts
c) Der verfälschte faustische Glaube
2. Unzeitgemäße Betrachtungen Theodor Haeckers
a) Zeugnisse der Zeitgenossen
b) Kierkegaards geistiger Einfluß
c) Der Begriff des Auserwählten
d) Überwindung der Tragik
9. Kapitel: Das entstellte Menschenbild der dreißiger Jahre – Theodor Haeckers Zeitkritik
1. Schweigender Widerstand
2. Hauptursache der Krise
3. Aspekte der Verwirrungen
4. Auflehnung der Mittel
10. Kapitel: Der antinationalsozialistische Denker Theodor Haecker
1. Die geistige Grundlage der „Weißen Rose“
a) Der vergessene Denker
b) Der geistige Mentor der Geschwister Scholl
c) Die christliche Innovation
d) Indirekte Kritik am Nationalsozialismus
e) Metaphysischer Hintergrund der „Weiße-Rose“-Widerstandsbewegung
2. Der Nationalsozialismus als Apostasie
a) Auflehnung gegen das Christentum
b) Der germanische Götzendienst
c) Untergang des Preußen-Deutschlands
Personen-, Sach- und Werkregister
Deutsche Geistesgeschichte Bd. 2
Ursprung des deutschen Humanismus
Geistesgeschichtlicher Hintergrund der EU
(Nansosha-Verlag, Tokyo 2005)
Vorwort
1. Kapitel: Die EU und das deutsche Mittelalter
1. Europa als geistige Gemeinschaft
2. Offenes Europa in der Bütezeit des Mittelalters
3. Geschlossenes Europa im ausgehenden Mittelalter
4. Spaltung des Abendlandes durch die Reformation
5. Die zur politschen Bewegung gewordene Reformation
6. Neuzeitlicher Nationalismus und die Paneuropa-Idee
7. Einheit durch den Geist des römischen Rechts
8. Wiederentdeckung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation
9. Mittelalterliche Geschichte von Bayern aus gesehen
10. Gegenwärtige Situation der EU
2. Kapitel: Geistesgeschichtliche Entfaltung der deutschen Mystik
1. Mystik und die Gegenwart
2. Mannigfaltigkeit der mystischen Ideen in Deutschland
3. Albertus Magnus – Vater der mittelalterlichen Mystik
4. Mittelalterliche Züge der deutschen Mystik
5. Religiosität der Mystikerinnen
6. Devotio moderna und Pietismus
3. Kapitel: Goethe als Literarhistoriker
1. Ambivalenz der deutschen Literatur in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts
2. Die Anfänge einer deutschen Nationalliteratur
3. Literatur als Konfession beim jungen Goethe
4. Literarische Situation in der Übergangszeit
5. Neue Literaturauffassung Herders
6. Kritik an der französischen Literatur
7. Lobpreisung auf Shakespeare
8. Entstehung der Sturm und Drang-Literatur
4. Kapitel: Französische Revolution und die deutsche Literatur
1. Aufgeklärter Absolutismus in Deutschland
2. Deutsches Jakobinertum
3. Goethes und Schillers Reaktion gegen die Revolution
4. Dilemma der Frühromantik
5. Jean Pauls Auffassung im Geiste Herders
5. Kapitel: Literarische Strömungen im deutschen 18. Jahrhundert
1. Literatur der Goethezeit
2. Goethe und die Romantiker
3. Wandel des Goethebildes
4. Goethe und die Japaner
6. Kapitel: Winckelmann und sein Jahrhundert
1. Vieldeutigkeit des Humanismus
2. Gräkomanie im deutschen 18. Jahrhundert
3. Der Grieche im nördlichen Europa
4. Die Natur als schöpferisches Prinzip
5. Urquell des deutschen Humanismus
6. Deutsche Klassik als Hellenismus
7. Kapitel: Der Humanismus bei Hufeland
1. Hufeland als Autor der „Verhältnisse des Arztes“
2. Medizinische Ethik im Geiste Hippokrates’
3. Der goethische Humanist Hufeland
4. Motive der Medizin im “Faust”
8. Kapitel: Iberoamerikanische Forschung Alexander von Humboldts
1. Iberoamerikanische Reise von 1799 bis 1804
2. Geistiger Einfluß auf Bolivar
3. Nachfolger in der iberoamerikanischen Forschung
4. Wissenschaftlicher Einfluß auf Siebold
9. Kapitel: Die Goethe-Rezeption bei Thomas Carlyle
1. Goethes Bedeutung für Carlyle
2. Geistige Begegnung durch Übersetzung
3. Nationalliteratur und Weltliteratur
4. Tätigkeit als Lebensprinzip
5. Reaktion auf die deutsche Literatur
6. Das Goethebild von Carlyle
7. Goethe-Studien auf dem Weg über England und Amerika
10. Kapitel: Überwindung einer Faust-Ideologie
1. Vor- und Nachteile einer Ideologiekritik
2. Probleme im Entstehungsprozeß des Faustbildes
3. Zurückführung des „Faust I“ auf die Volkssage
4. Die geschichtliche Welt im „Faust II“
5. „Faust“-Inszenierungen als Werkinterpretation
11. Kapitel: Goethes politische Bedeutung für das geeinte Deutschland
1. Goethes sozialistische Sendung
2. Die Säkularisierung Weimars
3. Kulturelles Symbol für die Einheit Deutschlands
4. Goethe im Internet
12. Kapitel: Der deutsche Nationalismus und das vereinigte Europa
1. Ethnische Probleme heute
2. Neonazi und der deutsche Nationalismus
3. Entstehung eines kulturellen Nationalismus
4. Übergang zu einem politischen Nationalismus
5. Heraufkunft eines rassischen Nationalismus
6. Bundesrepublik Deutschland und die EU
Personen-, Sach- und Werkregister
Regensburg, eine alte Stadt an der Donau
Auf der Suche nach einem gemeinsamen Band der europäischen Einheit
Von Naoji Kimura (NTT-Verlag, Tokyo 2007)
Vorwort
1. Kapitel: Die Auferstehung des europäischen Mittelalters
1. Europa und Abendland. Verschiedenheit in Ursprung und Tradition
2. Die EU als Römisches Erbe
3. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im Rampenlicht
4. Pan-Europa-Bewegung von Graf Coudenhove-Kalergi
2. Kapitel: Die Kulturlandschaft an der Donau
1. Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer
2. Städtekultur an der Donau
3. Alte Universitätsstädte Bayerns
3. Kapitel: Die Entstehung der Stadt Regensburg
1. Spuren der Ureinwohner Kelten
2. Gründung des „Castra Regina“
3. Ein Fremdvolk aus Böhmen
4. Kapitel: Die Stadt der Kaiser und Könige
1. Wohnsitz der bayerischen Herzöge
2. Residenz der Kaiser und Könige
3. Freie Reichsstadt
5. Kapitel: Die christliche Kultur im Mittelalter
1. Entstehung des Klosters St. Emmeram
2. Erbauung des gotischen Doms
3. Wallfahrt zur „Schönen Maria“
6. Kapitel: Politisches Vakuum nach dem Tode des Kaisers Maximilian I.
1. Das „Alte Rathaus“ als Symbol der bürgerlichen Tradition
2. Die Judenverfolgung als Sündenbock
3. „Immerwährender Reichstag“
7. Kapitel: Goethe in Regensburg
1. Eine Postkutsche am frühen Morgen
2. Ein inkognito Reisender im Gasthof „Zum Weißen Lamm“
3. Eine verheimlichte naturwissenschaftliche Absicht
8. Kapitel: Stadterneuerung durch den Fürstbischof Carl von Dalberg
1. Säkularisation des Kirchenguts
2. Ein kurzlebiges Fürstentum
3. Kulturerbe des Carl von Dalberg
9. Kapitel: Das Postgeschäft des Hauses von Fürst Thurn und Taxis
1. Die Anfänge des Postgeschäfts als Familienunternehmen
2. Entstehung und Entwicklung der Familie Thurn und Taxis
3. Übergang des Postgeschäfts zu Preußen
Anstelle eines Schlußwortes
Anhang:
Benutzte Literatur
Zeittafel über die Stadtgeschichte Regensburgs
Kaiser und Könige im deutschen Mittelalter
Ⅴ. Weltkulturerbe Regensburg:
Regensburg liegt gar schön. Die Gegend mußte eine Stadt herlocken; auch haben sich die
geistlichen Herren wohl bedacht. Alles Feld um die Stadt gehört ihnen, in der Stadt steht
Kirche gegen Kirche und Stift gegen Stift. Die Donau erinnert mich an den alten Main. Bei
Frankfurt haben Fluß und Brücke ein besseres Ansehn, hier aber nimmt sich das gegenüberliegende Stadt am Hof recht artig aus.
Goethe: Italienische Reise 1786
Widerschein vom Licht Goethes
Und doch wären Bild und Gefühl nicht so vollständig, wie sie in Regensburg zu sein vermögen, gewahrte man nicht schließlich noch den Beitrag einer menschlich gestimmten Klassizistik, den die Zeitwende um 1800 zum Antlitz der Stadt hinzufügte. Da ist der milde Bau des
Theaters; auch sonst begegnet hin und wieder eine freundliche Spur jener im Politischen so
tief beunruhigten, im Künstlerischen so ruhigen und klaren Zeit – bis hinein in den stillen
Domwinkel, in dem der sanfte Fürstprimas Karl von Darberg, durch Napoleon Landesherr
von Regensburg, hinter einem Grabstein im Stil Canovas bestattet ist. Das klassische Regens
burg trägt einen Widerschein vom Licht Goethes.
(Wilhelm Hausenstein 1935)
Göttliche Tafelmusik
In Regensburg speisten wir prächtig zu Mittag, hatten eine göttliche Tafelmusik, eine englische Bewirtung und einen herrlichen Mosler Wein.
(Wolfgang Amadeus Mozart 1790)
Der Präsident der DJG-Regensburg Herbert Eichele dankt dem Redner.
Übergabe meines Regensburg-Buches an OB Hans Schaidinger (Foto: Werner Sowa)
Sonderbriefmarken_GE-JP
Die deutschen Sonderbriefmarken mit Kulturerbe-Motiven wurden am 4. Februar 2011 der
Öffentlichkeit vorgestellt.
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