Transformationsdynamiken bei Migrantenfamilien

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Interkantonale Hochschule
für Heilpädagogik
Von den Mandelblüten zum Presslufthammer...
Transformationsdynamiken bei
Migrantenfamilien - die Chancen des Anfangs
Andrea Lanfranchi
Fachtagung Münsterlingen, 11.09.2015
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A. Lanfranchi
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Interkantonale Hochschule
für Heilpädagogik
Key message
Gliederung
•  Migration ist immer Transition, aber nicht immer Transformation
(z.B. von fatalistischen Denkmustern zu autonomen Handlungen)
•  Erste Familienphase oft „beschleunigt“ und besonders vulnerabel
(Heirat, Auswanderung, Schwangerschaft, Geburt... in 1, 2 J.)
•  Transformation kann gelingen, wenn wir „früh“ ansetzen (ab
Geburt, z.B. mit Projekten der frühen Förderung wie ZEPPELIN)
•  Diagnostik / Beratung / Therapie mit Migranten ist anspruchsvoll:
à transkulturelle Kompetenz = mehr Kompetenz als „Kultur“
à d.h. sich selbstkritisch als (Fach)-PERSON hinterfragen und
evtl. sogar den eigenen Widerstand erkennen!
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1.  Dynamisches Modell von Migrationsprozessen
2.  Kulturschock der Fachpersonen (Kurzvideo)
3.  Transkulturelle Kompetenz
4.  Transformation als Überwindung von Krisen
5.  Chancen des Anfangs:
Einblick in die Interventionsstudie ZEPPELIN 0-3
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Die vielen Facetten von Migration
STATUS
HERKUNFT
AUFENTHALTSDAUER RECHTSSTATUS
> Arbeitnehmer
> Spezialisten
> Künstlerinnen
> Asylbewerber
> Asyl-berechtigte
> Studierende
> Staatenlose
> “Sans papier”
> aus EU-Ländern
> hier geboren
> aussereuropäische
Migranten
> über 15 Jahren
etc.
> zeitl. befristet
> Vorläufig
aufgenommen
> Kurzaufenthalter
> Jahresaufenthalter
> Niederlassung
> Touristenvisum
FAMILIENFORM
RELIGION
SPRACHE
BILDUNG
> Mehrgenerationen-F.
> Kernfam.
> Erweiterte F.
> Single
> “Alleinerziehende/r etc.
> Christen
> Muslime
> Juden
> Buddhisten
> Hindus
> Konfessionslose
etc.
> Nur die
Erstsprache
> Erstsprache +
Lokalsp
> + Englisch
> Mehrsprachigkeit
> Nur Primarsch.
> Sekundarsch.
> Schulabbruch
> Analphabeten
> Studienabschl.
> Berufsbildung
> Angelernte, etc.
> seit 2 Jahren
Transition
Wie war es
vorher?
Wie ist es
heute?
Beurteilung
Diagnose
Intervention
Therapie
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1. Phasen im Migrationsprozess
1. 
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3. 
4. 
5. 
Migrationsprozess
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à Typen der Gestaltung von Übergängen
1. Traditional-vorwärtsgewandte Familien
Vorbereitung der Migration
Erste Schritte im fremden Land
Konsolidierung und Konfliktverleugnung
Destabilisierung und Krise
Anschluss und Integration
Adaptiert aus Sluzki: Migration and family conflict, 1979
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à Typen der Gestaltung von Übergängen
à Typen der Gestaltung von Übergängen
2. Traditional-rückwärtsgewandte Familien
3. Traditional-„sklerotisierte“Familien
Lanfranchi: Gestaltung von Übergängen, 2004
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Gelingende Integration: Balance zwischen
Tradition und Modernisierung
Kontinuität
Familien in der Krise:
„verstiegen“
Orientierung nach Innen
Familiäre Intimität
Veränderung
Öffnung nach Aussen
Akkulturation
Olson & McCubbin: Families –what makes them work, 1983
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Tradition muss „mitkommen“, wie bei der
Verpflanzung eines Baums
Tradition ist nicht das Halten der Asche,
sondern das Weitergeben der Flamme
(Thomas Morus)
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2. Wessen „Kulturschock“?
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Unsere Ausweich-Strategien
•  Projektionen:
•  Wir sind vom fachlichen Erfolg verwöhnt...
Misserfolge schieben wir ihnen zu (non-compl.)
à Bei Migranten gelingt uns das „Fallverstehen“
nicht (immer) (schnell)
•  Machtmanifestation, evtl. Formalismus
up-Position als Experte wird markiert (Drohung)
•  Blockade und Rückzug
defensives Zuhören und Beziehungsabbruch
•  Rationalisierung:
•  Wie regieren wir auf Herausforderungen?
à VIDEO
Suche nach kulturalisierenden Erklärungen
•  Pathologisierung:
despektierlichen „Diagnosen“ (Transalpinitis...)
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Lanfranchi: Kulturschock? Psychoscope, 2006
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3. Transkulturelle Kompetenz
à Transkulturelle Kompetenz: 4 Teile
1.  Ich kenne mich und meine kulturelle Vorannahmen
Was wir brauchen:
2.  Ich kann trotz Kulturunterschiede kooperieren und
Ambivalenz annehmen.
3.  Ich beschaffe mich Informationen über:
- Denkmodelle (Familie, Schule, Religion, etc.)
- sozioökonomische Situation im Herkunftsland UND
- Lebensbedingungen im Aufnahmeland.
Kompetenz statt Kulturalisierung
à Kultursensible Haltung
(nicht Expertenwissen über „Kulturen“)
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Das Meilener Konzept
des Wandeln in Ereignissen
Das Feld
theoretischen
Wissens und seiner
Grundlagen, spez. der
Theorien des sozialen
Wandels und der Zeit
Der/die Professionelle
im persönlichen und
organisatorischen
Kontext inkl.
Wandlungsprozesse
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4.  Gesprächskultur: wie erfolgt in meiner Organisation die
Kommunikation mit Migrantinnen und Migranten?
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à 4 Dimensionen des Fallverstehens
Die individuelle
Lebenspraxis als
problematische
beschrieben, inkl.
Wandlungsprozesse
in Gesell. + soz.
Milieu
Handwerkszeug, das
vorzugsweise Wandel
befördert:
•Genogrammarbeit
•narrative Verfahren
•Metaphern
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Migrationsspez. Faktoren
Kulturspez. Faktoren
- 
- 
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-  Sprache + Kommunik.
-  kulturelle Werte, Religion
-  Nonverb. Komm.
-  Soziale Rollen Frau/ Mann
Prozessverlauf Migration
Ausländergesetzgebung
Gesellschaftl. Partizipation
Diskriminierung
Psychol. Dimension
- Familiendynamik
- Emotionale, kognitive Entw.
- Persönlichkeitsstruktur
- Lebensplan, Sinnfragen
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4. Transformation: Überwindung von Krisen
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- Einkommen, Arbeit
-  Wohnen
- Netzwerke, etc.
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E A. LanfranchiM
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à Migration und Krankheit
Ohne Zusammenbruch + Chaos
gibt es keine Neuorientierung
•  Migration = fast immer Innovation = Energie!
•  Oft wird der soziale Aufstieg nicht erreicht =
Enttäuschung, Wut, Depr., somatoforme Sympt.
•  „Wenn es uns nicht gelingt, einen Stresszyklus
erfolgreich zu durchlaufen, kann uns das
ernsthaft beschädigen;
•  es fehlen uns die Stärken die wir benötigen,
wenn neue Weichenstellungen auftreten“ *
•  Sozialen Kontext stärker als den kulturellen
beachten: alles sofort auf die fremde Kultur zu
schieben verstärkt die Marginalisierung
•  Somatoforme Störungen bei Migranten nicht
häufiger, wenn nach sozialer Schicht parallelisiert
* Flach, F. (2004). Resilience. New York: Hatherleigh (rev. ed.)"
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Regula Weiss: Macht Migration krank? 2002
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5. Die Chancen des Anfangs
Migrationsspezifische Anamnese
q  Herkunftsgeschichte
- soziales Umfeld, Herkunftsfam., schul./berufl. Entwick., politische
Sit., religiöse Praxis, Gesundheitsangebote
q  Migrationsgeschichte (siehe Phasenmodell)
- Motive, Umstände und Verlauf (Dauer, Stationen, Beteiligte),
Traumatisierungen
q  Integrationsgeschichte
- rechtliche Lage (Aufenthaltsstatus)
- soziale Lage (Arbeit, Wohnen, Vernetzung)
- transnationales Netzwerk: Kontakte, Bindungen
- ökonomische Lage (finanz. Verpflichtungen?)
- Gesundheitsverhalten (Nutzung Angebote?)
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Regula Weiss: Macht Migration krank? 2002
www.zeppelin-hfh.ch
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Take home message
à  Transkulturelle Kompetenz = mehr Kompetenz als „Kultur“
à  Migranten nicht auf ihre ethnische Abstammung fixieren,
sondern Transformationen erfassen
à  Präventiv die sensible Phase nach der Geburt nutzen, um
Zugang zu „schwer erreichbaren“ Migrantenfamilien zu finden
und sie mit evidenzbasierten Frühförderprogramme stärken.
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A. Lanfranchi
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Danke für die Aufmerksamkeit
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[email protected]
• 
www.hfh.ch
www.ausbildungsinstitut.ch
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Bibliography
Boss, P. (1999). Ambiguous Loss: Learning to Live with Unresolved Grief. Cambridge: Harvard Univ. P.
Falicov, C. J. (2002). Die uneindeutigen Verluste der Migration - Familienresilienz durch kulturelle
Rituale. In R. Welter-Enderlin & B. Hildenbrand (Eds.), Rituale - Vieltfalt in Alltag und Therapie (pp.
89-121). Heidelberg: Carl-Auer.
Flach, F. (2004). Resilience. Discovering a New Strenghth at Times of Stress. New York: Hatherleigh.
Güc, F. (1991). Ein familientherapeutisches Konzept in der Arbeit mit Immigrantenfamilien.
Familiendynamik, 1, 3-23.
Lanfranchi, A. (2004). Migration und Integration - Gestaltung von Übergängen. In J. Radice von Wogau,
H. Eimmermacher & A. Lanfranchi (Eds.), Therapie und Beratung von Migranten. Systemischinterkulturell denken und handeln (Praxishandbuch) (pp. 13-30). Weinheim: Beltz PVU.
Olson, D. H. (2000). Circumplex Model of Marital and Family Systems. J. of Family Ther., 22, 144-167.
Olson, D. H., & McCubbin, H. I. (1983). Families - What makes them work. Beverly Hills: Sage Publ.
Sluzki, C. E. (1979). Migration and Family Conflict. Family Process, 18(4), 379-390.
Weiss, R. (2002). Macht Migration krank? Eine transdisziplinäre Analyse der Gesundheit von
Migrantinnen und Migranten. Zürich: Seismo.
Welter-Enderlin, R. (2005). The State of the Art of Training in Systemic Family Therapy in Switzerland.
Family Process, 44(3), 303-320.
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