Warum John Lennon sterben musste

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Warum John Lennon sterben musste
Anhörung eines Mörders
Von
Egon Koch
Mitwirkende:
Erzähler
Chapman
Bevollmächtigte
Bevollmächtigter
Zitator
Zeit: 54´32´´
Produktion:
NDR, SR & SWR, 2005
Erstsendedatum: 3. Dezember 2005, SR Kultur
1
Musik 1: John Lennon – Mother (Ein Glockenschlag im Vorspiel)
(0´03´´)
Musik 2: Soundtrack
Confrontation
„Der
Knochenjäger“
/
14.
Final
(0´35´´)
Zitator:
Wer will Blumen, wenn er tot ist? Niemand. – J.D Salinger.
Musik 3: Yoko Ono “Season of Glass” / No, No, No
(Vier Schüsse, Yoko Ono schreit: “No”)
(0´05´´)
O-Ton 1: US-amerikanischer Fernsehmeldungen zum Tod von
John Lennon.
(O-Ton) N.N. (engl), zwei amerikanische Journalistinnen in
Fernsehsendung vom 8.12.1980 berichten vom Tod von John Lennon.
(NDR 4 Info, 8.12.2000, Archivnummer F001364, Produktionsnummer
HF001364)
(0´09´´)
Ansage:
Warum John Lennon sterben musste
Anhörung eines Mörders
Von Egon Koch
Atmo 1: Schlüsselklappern, Öffnen einer Gefängnistür
NDR-Archiv
Musik 4: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 25. Winter
Ouverture
(0´19´´)
2
Regie: Die folgenden 10 Verhörszenen im schalltoten Raum.
1. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Sind Sie der Häftling mit der Nummer 81-A-3860?
Chapman 1:
Ja.
Bevollmächtigte:
Guten Tag, ich bin die Bevollmächtigte Vincent. Bei mir ist der
Bevollmächtigte Donald. Sie sind hier zur Anhörung vor dem
Gnadenausschuss. Sie sind des Mordes zweiten Grades schuldig
gesprochen worden. Im Jahr 1981 hat Sie das Gericht zu einer
Haftstrafe
zwischen
zwanzig
Jahren
und
lebenslänglich
verurteilt. Seit dem Jahr 2000 wird alle zwei Jahre die
Möglichkeit Ihrer Haftentlassung überprüft. Ist das korrekt?
Chapman 1:
Ja.
Bevollmächtigte:
Ihre Haftstrafe bezieht sich auf ein Ereignis vom 8. Dezember
1980. Damals waren Sie im Besitz eines Revolvers Kaliber 38. In
Manhattan warteten Sie auf Ihr Opfer, Herrn John Lennon. 10
Minuten vor 23 Uhr schossen Sie vor seinem Wohnsitz auf ihn.
Sie
trafen
ihn
viermal
mit
Hohlmantelgeschossen.
Sie
verursachten seinen Tod. Ist das die genaue Schilderung des
Tathergangs?
3
Chapman 1:
Ja, das ist richtig.
Bevollmächtigte:
Könnten Sie uns bitte sagen, was Sie vor der Tat gemacht haben
und warum Sie etwas so Furchtbares geplant haben?
Chapman 1:
Einige Monate vorher flog ich nach New York, mit dem Vorsatz,
das Verbrechen zu begehen. Irgendwie schaffte ich es, wieder
davon abzukommen und nach Hawaii zurückzukehren. Aber
dann drängte es mich wieder und ich flog am 6. Dezember wieder
nach New York.
Musik 5: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 19. Arnold
(1´15´´)
Atmo 2: Eingangshalle YMCA
Telefonklingeln … Stimmen Kind, Erwachsene, Frauen Lachen, Niesen,
Telefonklingeln … Schritte … Frau „Oh my god“ „What are you doing
here?”… Lachen … Lachen Frau … Geschirrklappern …Frau spanisch
… Frau Lachen … Mann “absolutely” … Klappern
(Total: 3´50´´)
Mischen mit:
O-Ton 2: Ronald Reagan (O-Ton engl.)
Der neue gewählte Präsident der Vereinigten Staaten Roland Reagan,
mit seiner Siegesansprache in der Nacht vom 4./.5.11.1980 in einem
Hotel in Los Angeles. Reagan spricht bewegte Worte des Dankes an
seine Familie, Freunde, Mitarbeiter und Wähler.
BR/Archivnummer DK36802/Produktionsnummer DK 368020/Aufn./Prod.datum 4.11.;5.11. und 11.11.1980/
(0´26´´)
Über Mischung:
4
Erzähler:
Am Samstag, den 6. Dezember 1980, geht ein Mann von 25
Jahren in Manhattan auf der Westseite des Central Parks in die
Jugendherberge des YMCA, des Christlichen Vereins Junger
Menschen.
Als
er
im
zehngeschossigen
kirchenartigen
Backsteingebäude sein Zimmer für 16,50 Dollar bezieht, denkt er
kurz daran, dass vor einem Monat der Filmschauspieler Ronald
Reagan zum 40. Präsidenten der USA gewählt worden ist. Er
sieht in ihm einen politischen Scharlatan. Reagans politisches
Programm strebt nach einer Erneuerung der internationalen
Führungsposition der USA. Der junge Mann schwitzt unter
seinem marine-blauen Trenchcoat von London Fog und seiner
Synthetikfellmütze. Für den milden Dezember 1980 in New York
hat er sich zu warm angezogen. Er hat 25 Kilo Übergewicht, ein
auffälliges Doppelkinn und er trägt eine Brille. Er nimmt einen
Revolver Kaliber 38 aus seinem Gepäck, steckt ihn in die
Manteltasche und verstaut den Koffer unter dem durchgelegenen
Bett.
Gegen Mittag geht er an der Steinmauer des Central Parks
entlang. Neun Blocks nördlich, an der Ecke zur 72. Straße, bleibt
er auf Höhe des Dakota Gebäudes stehen.
Atmo 3: Central Park West / 72nd Street
Schritte, Stimmen, Pferdehufe … rollender Verkehr … Autohupe,
entfernt … Autohupe, entfernt ... Vogelzwitschern … rollender Verkehr,
Stimmen … Autohupe … Autohupe, nahe … vorbeifahrende Autos …
relative Stille … Bus: Hydraulik, Standgeräusch …Stimmen … Abfahrt
Bus … Vorbeifahrt Bus … Quietschen, Bremsen Bus … Standgeräusch
Bus … Abfahrt Bus … Standgeräusch Bus, weiter weg … Abfahrt Bus
… LKW Hupe … Vorbeifahrt Subway im Untergrund … Stimmen …
Vorbeifahrt Bus, schnell … rollender Verkehr … Vogelzwitschern …
relative Stille …
(Total: 8´30´´)
5
Darüber:
Erzähler:
Er setzt sich am Rand des Central Parks auf eine grüne Bank
und betrachtet das neunstöckige Apartmenthaus. Sein Blick
wandert
über
Bogenfenster,
Balkone,
Eckpavillons
und
Mansarden hinauf zu den Spitzen der kleinen Türme. Im Dakota
Building hat Roman Polanski den Horrorfilm Rosemarys Baby
gedreht. Aus einer John Lennon Biografie weiß der junge
Unbekannte, dass im siebten Stockwerk, um das ringsum ein
schmiedeeisernes Balkongitter verläuft, John Lennon mit seiner
Frau Yoko Ono und dem gemeinsamen Sohn Sean in einem
luxuriösen
Apartment
wohnt.
Nach
einer
fünfjährigen
Zurückgezogenheit als „Hausmann“ hat John Lennon erst vor
drei Wochen sein Comeback gefeiert: Gemeinsam mit Yoko Ono
hat er das Album Double Fantasy herausgebracht. Lennon ist
vierzig Jahre alt und glaubt, sein Leben beginnt.
Atmo 3: Central Park West / 72nd Street
Mischen mit:
Musik 6: John Lennon – Anthology - Dakota CD4 / 12. Borrowed
Time
(1´57´´)
Über Mischung:
Erzähler:
Der Unbekannte geht ein Stück die mehrspurige 72. Straße
hinauf und bleibt gegenüber dem Torbogen des Dakota stehen.
6
Durch das mit Blumenornamenten verzierte schmiedeeiserne Tor
blickt er auf den steingefassten Brunnen im Innenhof. Vor dem
Tor steht ein Pförtner in blauer Uniform und schaut den
Passanten nach. Links vom Torbogen glänzt das Wachhäuschen
aus Messing. Zu beiden Seiten des Eingangs hängt eine
schmiedeeiserne Laterne an der Fassade, auch den Tag über
züngeln dort Gasflammen. Jedes Detail des Dakota Buildungs
kündet vom Reichtum seiner Bewohner. Im Dezember 1980
leben außer John Lennon und Yoko Ono auch Mia Farrow und
Leonard Bernstein hier. Der junge Mann geht auf zwei Frauen
zu, die rechts vom Torbogen am gusseisernen schwarzen
Geländer stehen.
Atmo 3: Central Park West / 72nd Street
Darüber:
Erzähler:
Den beiden Lennon Verehrerinnen, Jude und Jerry, stellt er sich
als Tourist aus Hawaii und Beatles Fan vor. Als die Plauderei
über Lennon verebbt, geht er in der Nähe in einen Plattenladen
und kauft sich das Album Double Fantasy.
2. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Haben Sie darüber nachgedacht, warum Sie derart davon
besessen waren, diesem Menschen einen solchen Schaden
7
zuzufügen, der, soweit wir wissen, Ihnen keinerlei Leid zugefügt
hat? Haben Sie darüber nachgedacht?
Chapman 1:
Ja, das habe ich.
Bevollmächtigter:
Warum mussten Sie John Lennon töten?
Chapman 1:
Ich habe mich wertlos gefühlt. Vielleicht ist der Grund eine Frage
der Selbstachtung. Ich habe mich als ein Niemand gefühlt und
dachte, wenn ich ihn erschieße, würde ich Jemand sein. Was
aber überhaupt nicht stimmt.
Bevollmächtigte:
Haben Sie ihn bewundert und gedacht, dass er Einfluss auf ihr
Leben hat?
Chapman 1:
Na ja, eigentlich hat es angefangen, als ich im Sommer 1980 in
Honolulu in der Bibliothek war und in einigen Büchern
geschmökert habe. Da bin ich auf ein Buch mit dem Titel „John
Lennon – A Day at a Time“ gestoßen. Ich sah ihn auf Fotografien
vor seinem Wohnsitz, dem Dakota. Sein Anblick machte mich
wütend. In meiner Dummheit machte es mich wütend, dass
Lennon Liebe und Frieden predigte und dabei auf seinen
Millionen herumsaß... Ich sah diesen Glamour, es war – ich
glaube, ich war neidisch.
8
Musik 7: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 27. Fear
(0´27´´)
Atmo 4: - Springbrunnen
Plätscherndes Wasser, Vogelzwitschern, Hufeklappern im Hintergrund
… Hufeklappern … Hämmerndes Geräusch im Hintergrund …
Stimmen … Hufeklappern kaum noch zu hören … Flugzeug am
Himmel, Stimmen … Stadtgeräusch im Hintergrund, Stimmen …
Kinderstimme: „Water“ … Stimmen und Stadtgeräusch im Hg.
(Total: 3´45´´)
Darüber:
Erzähler:
Im Sommer 1980 lebt der Unbekannte bereits drei Jahre auf
Hawaii. Wie schon zuvor ist auch auf der pazifischen Vulkaninsel
Oahu sein Selbstwertgefühl heftigen Schwankungen unterworfen. Er möchte auf Hawaii, dem Traumziel von Millionen
Touristen, ein neues Leben beginnen, findet aber keinen Ansatz
und hat Depressionen. Am 20. Juni 1977 sitzt er an einem
abgelegenen Strand im Mietauto und will mit Auspuffgasen
seinem sinnlosen Leben ein Ende machen. Ein japanischer
Fischer findet ihn - lebend. Nach zwei Wochen in Honolulus
Castle Memorial Hospital hat sich die Depression in Luft
aufgelöst.
Als
ihn
das
Krankenhaus
später
fest
im
Wartungsdienst anstellt, hat er das erreicht, was er zur
Erhöhung
seines
Selbstwertgefühls
braucht:
Er
ist
mit
bewundernswerten Menschen wie Therapeuten und Ärzten
zusammen. Eine kurze Zeit lang ist er jemand, bis ihm die
Krankenhausleitung nach Streitigkeiten mit Kollegen nahe legt,
er solle kündigen.
9
Atmo 5: Central Park - Springbrunnen
Plätscherndes Wasser, Vogelzwitschern, Hufeklappern im Hintergrund
… Hufeklappern … Hämmerndes Geräusch im Hintergrund …
Stimmen … Hufeklappern kaum noch zu hören … Flugzeug am
Himmel, Stimmen … Stadtgeräusch im Hintergrund, Stimmen …
Kinderstimme: „Water“ … Stimmen und Stadtgeräusch im Hg.
(Total: 3´45´´)
Darüber:
Erzähler:
Im Sommer 1980 lebt er mit einer sechs Jahre älteren USAmerikanerin japanischer Abstammung in einem modernen
Apartmenthochhaus in Honolulu. Seit einem Jahr sind sie
verheiratet. Er mietet Luxuskarossen und besucht mit ihr an
Wochenenden teure Strandhotels in Waikiki. All das bringt ihm
keine Identität, sondern nur Schulden. Von allen Seiten fühlt er
sich unter Druck gesetzt. Auch seine Mutter ist nach der
Scheidung von seinem Vater nach Hawaii gezogen. Sie, die ihm
in der Kindheit immer gesagt hat, aus ihm würde einmal etwas
Besonderes werden, sie, die ihn bei Gewaltausbrüchen ihres
Mannes als Beschützer benutzt hat, drängt ihn erneut in die
Beschützerrolle. Wie als Kind ist er damit überfordert. Wie schon
in der kleinen Vorstadt von Atlanta im Bundesstaat Georgia, wo
er einmal Zuhause gewesen ist, arbeitet er im Sommer 1980 in
Honolulu nachts als Wachmann. Er trinkt viel. Nichts hat
Bedeutung für ihn. Wie früher, als er das Studium nicht schafft
und sich damit eine Karriere beim YMCA verbaut oder als seine
Verlobte sich von ihm trennt, fühlt er sich als ein Niemand. „I’m
going nuts“, schreibt er an eine Freundin, „Ich werde verrückt“.
Musik 8: John Lennon – Anthology –Ascot CD 1 / 7. Mother
(0´28´´)
10
3. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Haben Sie Drogen genommen?
Chapman 1:
Ja, als Teenager. Das ist so lange her. – Ich, ich glaube nicht,
dass ich ein Drogenproblem habe. Alkohol ist wahrscheinlich
mein Problem, nicht die Drogen. In Honolulu hätte ich um Hilfe
schreien müssen, aber im Gegensatz zu John Lennon habe ich
keinen Mund gehabt.
Hören Sie sich einmal einige von Lennons Schallplatten an.
Hören Sie, wie er schreit, wenn er singt, dass seine Mutter nicht
bei ihm ist, dass er verlassen ist von Vater und Mutter. Der arme
Kerl, sein Vater hat die Familie sitzen lassen, dann verließ ihn
seine Mutter, und sein Onkel und seine Tante zogen ihn groß.
Später wurde seine Mutter getötet, nachdem sie gerade wieder zu
ihm zurückgekehrt war. Der Gedanke allein, dass jemand all das
als Kind durchgemacht hat und dann ermordet wird von
jemandem wie mir …
Bevollmächtigte:
Waren Sie unter Einfluss von irgendwelchen bewusstseinsverändernden Substanzen in der Nacht des Verbrechens?
Chapman 1:
Nein.
11
Musik 9: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 19. Arnold
(1´51´´)
Atmo 6: Public Library
Hallende Stimme, Rascheln, Knistern … Stimmen … „Go down this hall
…“ … Halle, leise Schritte … Stimmen …
(Total 3´30´´)
Darüber:
Erzähler:
In der Bibliothek von Honolulu findet der junge Mann ohne
Identität nicht nur die Lennon-Biografie, er erinnert sich auch an
den Roman Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger. In seiner
Jugend hat er das Buch gelesen. Jetzt liest er es noch einmal
und immer wieder. Vom Internat verwiesen und dem Elternhaus
entfremdet, irrt der sechzehnjährige Holden Caulfield im Roman
drei Tage und Nächte lang durch New York. Die Begegnungen
mit Menschen in Taxen, Bars oder im Central Park bringen ihn
zum Schluss, dass nur Kinder aufrichtig und alle Erwachsenen
verlogen sind. Im zentralen
Gespräch mit seiner kleinen
Schwester Phoebe drückt Holden das aus, was er einzig im Leben
sein möchte: der Hüter der Kinder, der sie vor dem Fall in das
Erwachsenenalter bewahrt. Der junge Mann identifiziert sich mit
Holden Caulfield, er identifiziert sich mit einer fiktionalen Figur,
die in die menschliche Gemeinschaft eintreten möchte, aber
keine Menschlichkeit findet.
Atmo 7: Central Park – Playground
Kinder schaukeln auf dem Spielplatz, schreien und lachen. (Total: 3´)
Regie: Atmo 7 unter Chapman 2 und Erzähler legen.
12
Chapman 2: (Selbstgespräch)
Jemand hatte „Fuck you“ an die Schulwand geschrieben. Das
machte mich fast wahnsinnig. Ich dachte, dass meine Schwester
Phoebe und all die andern kleinen Kinder das sehen würden und
dass sie überlegen würden, was das wohl bedeutet, und
schließlich würde es ihnen ein versautes Kind sagen – natürlich
ganz verquer –, was es bedeutet. (…) Die ganze Zeit wollte ich den
umbringen, der das geschrieben hatte. (…) Aber ich wusste auch,
dass mir dafür der Mumm gefehlt hätte. Das wusste ich, und das
deprimierte mich noch mehr.
Erzähler:
Von Holden Caulfield übernimmt der Niemand eine Pseudoidentität. Er schenkt seiner Frau ein Exemplar des Fängers im
Roggen. „Für Gloria von Holden Caulfield“, schreibt er ihr als
Widmung hinein. „Lies“, sagt er, „und du weißt, wer ich bin.“
Musik 10: John Lennon – Anthology –Ascot CD 1 / 2. God
(1´15´´)
Darüber:
Erzähler:
Als er sich im Audioraum der Bibliothek das Lied „God“ anhört,
macht ihn wütend, dass Lennon nicht an Gott und die Beatles
glaubt, sondern nur an sich und Yoko, sagt er Jahre später im
Attica Staatsgefängnis seinem Biografen Jack Jones,. Für wen
hält sich der Typ? Da kommt ihm der Gedanke, John Lennon zu
töten. Das bewunderte Idol, als dessen Teil er sich in seiner
Kindheit und Jugend erlebte, hat etwas getan, das ihn an seine
13
eigene Bedeutungslosigkeit erinnert. An diesem Punkt schlägt die
frühere Bewunderung in Hass um. Jetzt soll der Mord an der
berühmten Figur den Niemand zu einem wirklichen Jemand
machen. Etwas darstellen will er, koste es, was es wolle, etwas
Großes vollbringen.
Atmo 7: Central Park – Playground
Kinder schaukeln auf dem Spielplatz, schreien und lachen. (Total: 3´)
Darüber:
Erzähler:
Am 23. Oktober 1980 unterschreibt er ein letztes Mal den
Dienstplan für seine Arbeit als Wartungsmonteur im luxuriösen
Apartmentkomplex im Zentrum Honolulus. Nicht mit seinem
eigenen
Namen,
auch
nicht
mit
Holden
Caulfield.
Er
unterschreibt mit John Lennon. Als nehme er die Auslöschung
des Popstars vorweg, streicht er den Namenszug wieder durch.
Musik 11: Beatles – Magical Mystery Tour / 1. Magical Mystery
Tour
(0´13´´)
Erzähler:
Zurück in seinem Apartment, erscheinen ihm, wie bereits vor
vielen Jahren in seinem Kinderzimmer, die „kleinen Leute“
wieder. In der Not seiner Kindheit halfen ihm die Gestalten seiner
Phantasie, die eigene Minderwertigkeit in Macht zu verwandeln.
Er hatte Kontrolle über die eingebildeten Wesen. Sie verehrten
ihn wie einen König. Jetzt erzählt er ihnen, jemand aus der
Kindheit, dessen Lieder er ihnen damals vorspielte, habe ihn tief
verletzt und sein Leben ruiniert. Als er ihnen sagt, er brauche
14
ihre Unterstützung, um John Lennon zu töten, ziehen sich die
„kleinen Leute“ vor ihm zurück.
Musik 12: Beatles – Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band / 3.
Lucy in the Sky with Diamonds
(0´23´´)
(vorwärts, rückwärts gespielt)
Regie: Musik 12 unter folgenden Erzähler und Chapman legen.
Erzähler:
Im Apartment sitzt er nachts nackt auf dem Boden, wiegt seinen
Körper im Rhythmus der Beatles Musik. Er betet zum Satan, er
möge ihm Kraft geben, John Lennon zu töten. Nebenan kommt
seiner Frau das Ganze wie ein Alptraum vor.
Chapman 2: (Selbstgespräch)
Der verlogene Schweinehund muss sterben, der Fänger im
Roggen ist sein Verderben. Der Fänger im Roggen ist dir auf den
Fersen. Glaubt nicht an John Lennon. Stellt euch vor, John
Lennon ist tot.
Erzähler:
Er verwechselt Fiktion und Wirklichkeit. Er unterliegt dem
tödlichen Irrtum einer doppelten Phantasie: Sein Opfer sieht er
als eine Popfigur und zugleich flüchtet er selbst in die großartige
Romanfigur Holden Caulfield. Die Einbildung, er sei der Fänger
im Roggen, schützt ihn vor der enttäuschenden Wirklichkeit und
vor jeder Verantwortung. Er ist gefangen in seiner eigenen
Phantasie. Bei einem Mittagessen erzählt er seiner Mutter, dass
15
er nach New York fliegen wird, um auf andere Gedanken zu
kommen und ein neues Leben zu beginnen.
4. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Wusste Ihre Frau von Ihrem Plan?
Chapman 1:
Sie wusste es nicht, bis ich das erste Mal aus New York zurück
kam und ihr erzählte, dass ich John Lennon erschießen wollte.
Ich log sie an und sagte ihr, dass ich die Pistole in den Ozean
geworfen hätte und alles in Ordnung sei.
Bevollmächtigter:
Wo haben Sie die Waffe gekauft?
Chapman 1:
Ich glaube, in der Waffenhandlung J & S Enterprise in Honolulu.
Bevollmächtigter:
Sie haben die Waffe von Honolulu in den Staat New York
gebracht?
Chapman 1:
Ja.
16
Bevollmächtigter:
Sie wussten, dass das illegal ist?
Chapman 1:
Ja.
Bevollmächtigter:
Woher hatten Sie die Munition?
Chapman 1:
Von einem Freund in Atlanta, er war damals stellvertretender
Sheriff.
Bevollmächtigter:
Wusste er, was Sie vorhatten?
Chapman 1:
Nein, ich habe ihm gesagt, New York sei eine gefährliche Stadt
und ich müsste mich schützen.
Bevollmächtigter:
Sie wussten um die zerstörerische Kraft der Hohlmantelgeschosse?
Chapman 1:
Absolut.
17
Musik 13: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 19. Arnold
(1´06´´)
Atmo 8: New York Sound 1
Kontrollgeräusch, Schritte, Stimmen, permanenter Verkehrslärm im
Hintergrund, Vogelzwitschern … Bus Vorbeifahrt … Vorbeirollender
Verkehr … Kontrollgeräusch Bus … Stimmen, Vogelzwitschern … Bus
Vorbeifahrt … Hupe … Bus … Vogelzwitschern … Bus … Hupe in der
Ferne … Bus … Hupe … Hupe
(Total: 3´55´)
Mischen mit:
Musik 14: John Lennon – Double Fantasy / 3. Cleanup time
(0´38´´)
Darüber:
Erzähler:
Vor dem Dakota Building präsentiert der Tourist aus Hawaii den
beiden Lennon Verehrerinnen Jude und Jerry am Nachmittag
des 6. Dezember stolz das Album Double Fantasy. Sie schauen
sich das Foto auf dem Cover an, auf dem sich John Lennon und
Yoko Ono küssen. Die beiden Frauen verabschieden sich, sie
wollen sich einen Film ansehen. Zwei Stunden wartet er noch
vergeblich auf John Lennon. Gegen 17 Uhr packt ihn die
Müdigkeit und er kehrt in das YMCA Hotel zurück.
Atmo 9: Hotelzimmer
Klimaanlage, Polizeisirenen im Hintergrund
Darüber:
18
(Total 2´30´´)
Erzähler:
Nach Mitternacht wacht er in seinem schäbigen Zimmer auf.
Durch die dünne Wand hört er die Laute zweier Männer beim
Geschlechtsakt.
Außer
sich
vor
Wut
greift
er
in
seiner
Manteltasche nach dem Revolver. Im letzten Moment besinnt er
sich auf seinen eigentlichen Plan und beherrscht sich. Er
braucht seine fünf Kugeln noch, für John Lennon.
Atmo 10: Taxifahrt
Einstieg Taxi, Kontrollgeräusch, Türenschlagen /// Schnitt /// Start
Auto, Fahrgeräusch …
(Total: 2´)
Darüber:
Erzähler:
Am frühen Morgen des 7. Dezember, es ist Sonntag und Pearl
Harbour Gedenktag, verlässt er die YMCA Herberge, nimmt ein
Taxi nach Midtown Manhattan zum Sheraton Center an der
Siebten Avenue Ecke 52. Straße. Im graubraunen Hotelklotz, der
heute
Sheraton
New
York
heißt,
bezieht
er
im
siebenundzwanzigsten Stockwerk das Zimmer mit der Nummer
2730. Er schaltet den Fernseher ein, legt sich mit Mütze und
Trenchcoat aufs Bett und schläft ein.
Atmo 11: Vor Sheraton New York
Trillerpfeife doorman … Lachen Frauen … Trillerpfeife … Stimmen …
Trillerpfeife … Stimmen …. Trillerpfeife …. Stimmen … Trillerpfeife …
Stimmen … Autohupe … Frauenstimmen … „The cage“ … Trillerpfeife
… Bus … Stimmen …. Türeschlagen
(Total: 2´40´´)
Darüber:
19
Erzähler:
Kurz nach 9 Uhr 30 steigt er vor dem Dakota Building aus dem
Taxi, hockt sich neben dem Torbogen auf das Geländer und
wartet. Stunden vergehen. Der Wind weht Fetzen von Musik vom
Central Park zu ihm herüber.
Atmo 12: Karussellmusik
Eine Art Drehorgelmusik (Melodie bekannt!), Kinderstimmen, Stimmen
von Erwachsenen … Musik Ende, Kinderstimmen … (Total: 1´45´´)
Regie: Mischung unter Erzähler legen.
Erzähler:
Auf einmal kommt dem vermeintlichen Lennon Fan die Stelle aus
dem Fänger im Roggen in den Sinn, in der Holden Caulfield mit
seiner
kleinen
Schwester
Phoebe
im
Central
Park
zum
Pferdekarussell geht, Sinnbild der Kindheit.
Atmo 13: Karussellmusik
Mann ruft laut, im Hintergrund Sirenen … Glocke läutet, Stimmen …
Musik (aus Mary Poppins!), Kinderstimmen …
(Total 1´27´´)
Chapman 2: (Selbstgespräch)
Dann ging das Karussell los, und ich sah ihr zu, wie sie im Kreis
fuhr. Es fuhren nur noch ungefähr fünf, sechs andere Kinder
mit. (…) Alle Kinder versuchten, nach dem goldenen Ring zu
greifen. (…) Wenn Kinder nach dem goldenen Ring greifen wollen,
muss man sie auch lassen und darf nichts sagen.
Atmo 14: Taxifahrt
Heranfahrende Autos … Klappern …. Klappern Tür … /// … Start
Fahrt, Motor … Rumpeln … Motor … Stopp Motor (Total: 1´30´´)
20
Darüber:
Erzähler:
Gegen Mittag verspürt er Hunger und nimmt ein Taxi zum
Sheraton Center. Auf dem Weg fällt ihm ein, dass er keine
Ausgabe des Fängers im Roggen nach New York mitgenommen
hat. Er fragt den Taxifahrer nach einer Buchhandlung. Nahe dem
Sheraton Center hält das Taxi vor einem bookstore an.
Atmo 15: Eintritt Buchhandlung
Atmo Straße: Bus Vorbeifahrt, Frau singt … Verkehr … Eintritt
Buchhandlung: Musik im Hg., Stimmen
(Total:1´40´´)
Darüber:
Erzähler:
In der Buchhandlung fällt sein Blick auf das Poster von seinem
1939 gedrehten Lieblingsfilm Der Zauberer von Oz. Es zeigt die
Heldin Dorothy, als sie dem ängstlichen Löwen die Tränen
abwischt. Auf dem Weg zu den Taschenbüchern starrt ihn von
einem anderen Poster jäh John Lennon an. Darunter liegt ein
Stapel Playboy-Hefte mit einem Exklusivinterview von John
Lennon und Yoko Ono. Er kauft sich das Poster vom Zauberer
von Oz und den Playboy.
Atmo 16: Restaurant Sheraton New York
Stimmen, Musik (Funk „Celebration“) … Stimmen … Kleppern
Eiswürfel … Stimmen … Kleppern … Stimmen lauter, Musik im Hg. …
Stühleknarren … Pfeifen, Stimmen, Klappern, Musik im Hg. … Musik
aus
(Total: 3´30´´)
21
Regie: Atmo 16 unter Erzähler und Chapman 2
Erzähler:
Am späten Sonntagnachmittag setzt er sich im Sheraton in das
Hotelrestaurant und verschlingt bei Heineken Bier und Tatar mit
Hüttenkäse das Playboy Interview. In seiner Fixiertheit, Lennon
zu töten, kommt ihm nicht in den Sinn, dass der Popstar ein
Mensch aus Fleisch und Blut ist.
Chapman 2: (Selbstgespräch)
All diese Jahre, wo ich mich bemühte, hart zu sein, der harte
Rocker, der Frauenheld, der Säufer – sie brachten mich bald um.
Es ist eine Erleichterung, das nicht mehr machen zu müssen.
Ich
habe
gar
keine
Sehnsucht
danach,
als
Sexualobjekt
angesehen zu werden, als ein männlicher Macho-Rock’n’ RollSänger. Das habe ich vor langer Zeit überwunden. Also mochte
ich es, als bekannt wurde, dass, ja, ich das Baby pflegte, Brot
buk und ich ein Hausmann war, und ich bin stolz darauf. Es war
eine Erfahrung, die mich aufklärte, weil es die totale Umkehr
meiner eigenen Erziehung war.
Erzähler:
Nachdem er das Interview zu Ende gelesen hat, schlägt er den
Playboy in der Mitte auf und betrachtet das nackte Playmate.
Abermals fällt ihm der Fänger im Roggen ein. Holden Caulfield
hat doch in seinem New Yorker Hotel eine Prostituierte auf sein
Zimmer bestellt. Mit einer Frau zusammen sein, danach verlangt
auch ihn jetzt.
22
Atmo 9: Hotelzimmer
Klimaanlage, Polizeisirenen im Hintergrund
(Total 2´30´´)
Darüber:
Erzähler:
Im
Zimmer
2730
bestellt
er
telefonisch
bei
einem
Hostessenservice eine Ausländerin. Die Frau, die eine Stunde
später zu ihm kommt, trägt ein grünes Kleid wie die Prostituierte
Sunny im Fänger im Roggen. Wie Holden Caulfield hat er keinen
Sex mit ihr. Sexualität ist für ihn mit Angst und Schuldgefühlen
besetzt. Gegen 3 Uhr bezahlt er der Prostituierten 190 Dollar.
Nachdem sie gegangen ist, ruft er seine Frau in Honolulu an. Sie
rät ihm, er solle zu Jesus zurückfinden.
Musik 15: John Lennon – Anthology –Ascot CD 1 / 2. God
(0´20´´)
Erzähler:
Er holt seine Bibel aus dem Koffer und schlägt das Evangelium
des Johannes auf. Hinter die Worte „The Gospel According to
John“ fügt er mit Kugelschreiber den Namen „Lennon“ hinzu.
5. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Haben Sie jemals in Ihrem Leben daran gedacht, jemand
anderem als Herrn Lennon Schaden zuzufügen?
23
Chapman 1:
Als Jugendlicher wollte ich einmal mit dem Messer auf meinen
Vater losgehen. Und nachdem mir der Gedanke gekommen war,
John Lennon zu töten, habe ich eine Liste zusammengestellt.
Wahrscheinlich – dachte ich, dass es, wenn ich ihn nicht kriege,
noch eine Liste mit anderen Menschen gibt …
Bevollmächtigter:
Wer stand auf der Liste?
Chapman 1:
Ich kann mich nicht mehr an alle erinnern, aber Jacqueline
Kennedy Onassis, Paul McCartney, Elizabeth Taylor, ja und
Ronald Reagan fallen mir noch ein.
Bevollmächtigter:
Wie sind Sie auf diese Leute gekommen?
Chapman 1:
Ich habe einfach an sie gedacht. Sie waren alle berühmt.
Bevollmächtigter:
Was hat Sie an diesen Leuten geärgert?
Chapman 1:
Ich habe ihre Eitelkeit gesehen, das hat mich in meinem
glanzlosen Leben geärgert und ich wurde neidisch.
24
Bevollmächtigte:
Wie
können
wir
Vertrauen
haben,
dass
sich
das
nicht
wiederholt?
Chapman 1:
Weil, ich, ich fühl mich nicht - ich bin nicht mehr diese Art
Mensch. Ich, ich bin Gott näher. Ich sehe auch die Berühmten
als Menschen. John Lennon habe ich nicht als Mensch gesehen,
jetzt tue ich es, und ich denke, ich habe diese Eitelkeit
überwunden.
Bevollmächtigte:
Also haben Sie aus Eitelkeit getötet?
Chapman 1:
Absolut.
Bevollmächtigter:
Sie wollten Aufmerksamkeit?
Chapman 1:
Sicher.
Bevollmächtigter:
Große öffentliche Aufmerksamkeit?
Chapman 1:
Ja.
25
Musik 16: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 23. Sara
Goldfarb Has
(1´15´´)
Mischen mit:
O-Ton 3: Montage zur Entwicklung in Polen
(O-Ton) Regierungserklärung Helmut Schmidt (Bundeskanzler); RBB,
24.11.1980, Archivnummer 0903216/Produktionsnummer G0011876
(0´11´´)
Darüber:
Erzähler:
Am 8. Dezember 1980, als in Polen die Gewerkschaft Solidarnosc
mit Streiks das kommunistische Regime erschüttert und den
Zusammenbruch der damaligen Ostblockstaaten einleitet, wacht
der junge Mann aus Hawaii am Morgen in seinem Hotelzimmer
mit dem Gedanken auf, dass es heute passiert. Er steht auf und
breitet auf der Kommode einige Sachen aus: Seinen Pass, eine
Kassette mit der Musik seines Lieblingssängers Todd Rundgren,
die beim Johannes Evangelium aufgeschlagene Bibel, einen Brief
von einem früheren Vorgesetzten des YMCA, ein Foto, das ihn
mit lachenden vietnamesischen Kindern zeigt, das Poster von
Dorothy mit dem ängstlichen Löwen. Den Polizisten, die später
das Zimmer betreten, sollen die die Dinge sagen: „Seht her, das
bin ich einmal gewesen.“ Er setzt seine Synthetikfellmütze auf
und zieht seinen Trenchcoat an, verbirgt seinen Revolver in der
Manteltasche unter einem Karton und klemmt das Album Double
Fantasy unter den Arm.
26
Atmo 18: Fahrstuhl Hotel
Klackern des ankommenden Aufzuges … Öffnen der Tür, Zur Seite
Schieben des Gitters … Musik Bee Gees (“Staying alive”… Gitter … ///
… Öffnen des Gitters … Musik … Kontrollgeräusche … Öffnen des
Gitters … Stimmen …
(Total:3´)
Darüber:
Erzähler:
Als er durch die Hotelzimmertür geht, stellt er sich vor, er werde
jetzt zum wahren Holden Caulfield. Seine eingebildete moralische
Überlegenheit gibt ihm das Recht, sein Todesurteil über den
„verlogenen Schweinehund“ Lennon zu vollstrecken.
Atmo 18: Fahrstuhl Hotel (s.o.)
Darüber:
Erzähler:
Im Fahrstuhl kommt ihm der Gedanke, er verhalte sich wie ein
Selbstmörder, der mit den Sachen auf der Kommode einen
Abschiedsbrief hinterlassen hat. Tatsächlich ist das, was er tut,
eine Selbstzerstörung. Er zerstört sein Leben, aber er glaubt,
durch den Mord an Lennon endlich eine Identität zu bekommen,
als Schutzengel der Reinheit.
Atmo 19: Times Square – Jesus Christ
Hupe, Mann: “Do you have the spirit of God? So today receive the Lord
Jesus Christ, before is too light. He said: I am the truth and the light
…He is the only way … See, Jesus Christ is on the way ….
Verkehrslärm starker ….”You see the time is short … “ Verkehrslärm
über der Stimme
(Total: 1´25´´)
Darüber:
27
Erzähler:
Auf der Siebten Avenue geht er durch die Masse eiliger Menschen
in Richtung 72. Straße hinauf. Auf dem Weg kauft er sich in
einem Schreibwarenladen die rote Taschenbuchausgabe des
Fängers im Roggen. „Dies ist meine Erklärung“, schreibt er auf
die erste leere Seite und unterzeichnet mit „Holden Caulfield, der
Fänger im Roggen“. Einzig das Buch soll seine Tat erklären.
Atmo 20: Times Square – Hare Krishna
Stimmen, Trommeln, Schellen, Gesang, Autohupen …. Etwas Wind …
Gesang: „Hare Krishna ….“ Bremsenquietschen … Autohupe … An
Musik vorübergehend … Stimmen lauter, Autohupe …
(Total: 3´)
Darüber:
Chapman 2: (Selbstgespräch)
Dieser Abgrund, auf den du da zurennst – das ist ein besonderer,
ein ganz schrecklicher Abgrund. Dem Menschen, der fällt, ist es
nicht vergönnt, zu spüren oder zu hören, wie er unten
aufschlägt. Er fällt und fällt einfach immer weiter. Dieses
Konstrukt ist für Menschen gedacht, die an irgendeinem
Zeitpunkt in ihrem Leben nach etwas suchten, was ihre
Umgebung ihnen nicht bieten konnte. Oder wovon sie glaubten,
ihre Umgebung könne es ihnen nicht bieten. Also gaben sie das
Suchen auf. Sie gaben es auf, bevor sie überhaupt richtig damit
angefangen hatten.
Atmo 21: New York Sound 2
Hupe … Stimmen … Vorbeifahrt Bus …Quietschen … Kontrollgeräusch
… Stimmen … Vorbeifahrt LKW, Quietschen Bus, Vorbeifahrt Bus
…Stimmen, Vogelzwitschern … Kontrollgeräusch … Vorbeifahrt Bus …
Autoverkehr … in weiter Ferne Sirenen zu hören … Hupen … Flaschen
28
klirren … Lachen fern … Vorbeifahrt Bus … Vorbeifahrt Bus …
Kontrollgeräusch, Hupe … Kontrollgeräusch, Bus … Quietschen Bus …
Hupe in Ferne …
(Total: 5´)
Mischen mit:
Musik 17: John Lennon – Double Fantasy / 7. Beautiful Boy
(Darling Boy)
(1´14´´)
Regie: Die Mischung unter Erzähler und O-Ton legen.
Erzähler:
Das Taschenbuch in der linken Manteltasche und den Revolver
in der rechten, lehnt sich der junge Mann neben dem Torbogen
des Dakota Buildings an das Eisengeländer.
Kurz nach 11 Uhr erscheint Jude. Später gesellt sich noch der
Amateurfotograf Paul Goresh zu ihnen. Während der Hawaii
Tourist mit Jude auf der anderen Straßenseite im Dakota Grill zu
Mittag isst, gibt John Lennon im 1. Stock des Dakota, im „Studio
One“, das letzte Interview seines Lebens.
Zitator:
Ich habe keine Angst vorm Sterben. Es ist, als würde ich aus
einem Auto aus- und in ein anderes einsteigen.
Erzähler:
Als sie zum Dakota zurückkehren, treten der fünfjährige Sean
und seine Kinderfrau aus dem Torbogen. Jude macht den
Touristen aus Hawaii mit dem Jungen bekannt. Er löst die
Umklammerung seines Revolvers und gibt dem Sohn von John
Lennon die Hand.
29
6. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Sie haben nicht nur einem Prominenten grundlos das Leben
genommen, sondern Sie haben auch einen Ehemann und Vater
zweier Kinder getötet.
Chapman 1:
Ja.
Bevollmächtigte:
Ich hoffe nur, dass Sie sich reichlich Gedanken darüber gemacht
haben.
Chapman 1:
Habe ich. Am Tag des Verbrechens ist mir nicht klar gewesen,
dass ich den Vater dieses armen Jungen töten würde und dass
er für den Rest seines Lebens keinen Vater mehr haben würde.
Ich liebe Kinder.
Musik 18: Kristalleon
(0´27´´)
Atmo 21: New York Sound 2 (s.o.)
Darüber:
30
Erzähler:
Gegen 17 Uhr, der Torbogen des Dakota ist in der Dämmerung
beleuchtet, unterhalten sich der vermeintliche Lennon Fan und
der Amateurfotograf mit dem Portier. Da fährt eine Limousine
vor. Auf einmal hören die Wartenden hinter sich die vertraute
Stimme mit dem britischen Akzent.
Atmo 21: New York Sound 2 (s.o.)
Darüber:
O-Ton 4: John Lennon
„I can’t believe it, John Lennon. Well, here we are again.“
(0´05´´)
CD: John Lennon / Yoko Ono – Double Fantasy / 17. Central
Park Stroll
Erzähler:
John Lennon, Yoko Ono und einige Mitarbeiter verlassen das
Gebäude, wie die meisten Prominenten zu dieser Zeit ohne
Leibwächter. Bewegungslos bleibt der Niemand stehen. Erst auf
das Drängen des Amateurfotografen Goresh hält er seinem
früheren Idol wortlos das Album Double Fanatasy hin. Als der
Popstar „John Lennon, December 1980“ auf die Plattenhülle
schreibt, hält Goresh den Augenblick mit einem Foto fest: Hinter
dem nach unten gebeugten Kopf Lennons ist das rundlich weiche
Gesicht eines jungen Mannes zu sehen, seine Augen sind von
den Gläsern eines schwarzen Brillengestells verdeckt, schwarze
Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn und um seine Mundwinkel
spielt ein Lächeln.
31
Musik 19: Kristalleon
(0´45´´)
Chapman 2:
Ich war von seiner ehrlichen Art überwältigt und schwebte auf
Wolke Sieben. Aber etwas fragte in mir: „Warum hast du ihn
nicht erschossen?“
Erzähler:
Mit dem signierten Album in der Hand kämpft er mit sich, ob er
nach Hawaii zurückfliegen oder seinen Plan vollenden soll. Er
bietet Goresh 50 Dollar für einen Abzug des Fotos, wenn er es
am anderen Tag bekommt. Der Amateurfotograf willigt ein. Aber
so etwas Normales kann der junge Mann nicht tun, mit einer LP
und einem Foto nach Hawaii zurückkehren. Er bleibt vor dem
Dakota stehen.
Atmo 21: New York Sound 2 (s.o.)
Erzähler:
Gegen 20 Uhr verlässt ihn Goresh. Am folgenden Tag erscheint
das Foto auf der Titelseite der New York Daily News und die Welt
erfährt, wie John Lennons Mörder aussieht.
Musik 20: John Lennon / Plastic Ono Band – 8. Well Well Well
(0´46´´)
32
Erzähler:
Vom Musikstudio Record Plant in der 44. Straße kommend, biegt
10 Minuten vor 23 Uhr eine weiße Limousine in die 72. Straße
ein und hält vor dem Dakota. Wie in einem Film nimmt der
Tourist aus Hawaii wahr, dass Yoko Ono als erste aussteigt und
ihr John Lennon zwischen den beiden leuchtenden Gaslaternen
in den Torbogen folgt. Als er auf die Figur aus der Filmszene
schießt,
wiederholt
sich
ein
Drama
der
Menschheit:
die
Geschichte von Kain und Abel, der Brudermord aus Neid.
7. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Geschah der Mord aus einer Besessenheit heraus, die Sie nicht
kontrollieren konnten und der Sie folgen mussten?
Chapman 1:
In der Nacht des Verbrechens war es eine Besessenheit, aber ich
hätte sie früher kontrollieren können. Drei Monate vorher hatte
ich die Gelegenheit zur Umkehr und ich habe sie nicht ergriffen.
In meinem Herzen weiß ich, dass mir Gott zweimal gesagt hat, es
nicht zu tun, aber ich habe „Nein“ gesagt. Ich habe mich
entschieden, einen Mann zu ermorden.
Bevollmächtigter:
Haben Sie eine Stimme gehört, die Ihnen sagte, John Lennon zu
töten?
33
Chapman 1:
Ja, sie hat einfach gesagt: „Tu es“.
Bevollmächtigte:
Was denken Sie, wer diese Stimme war?
Chapman 1:
Wahrscheinlich etwas sehr Böses, aber ich habe es getan.
Bevollmächtigte:
Wir sind davon überzeugt, dass Sie es getan haben.
Atmo 22: Polizeisirenen
Straßenverkehr, Stimmen, nahende Polizeisirene
(Total: 2´)
Darüber:
Erzähler:
Nachdem der Niemand das Magazin leer geschossen hat, schlägt
ihm der Pförtner die Pistole aus der Hand und kickt sie weg. Der
Täter reißt seine Mütze vom Kopf, zieht seinen Trenchcoat aus
und
wirft
beides
auf
den
Bürgersteig.
Aus
der
linken
Manteltasche zieht er den Fänger im Roggen heraus und
versucht, darin zu lesen. Es gelingt ihm nicht. Auch seine
Einbildung verwirklicht sich nicht, dass er mit dem Mord ganz
und gar zu Holden Caulfield wird. Der Film ist gerissen, seine
Fiktion vom Mord ist Wirklichkeit geworden.
34
Ein Polizeiauto kommt beim Dakota an und zwei Polizisten
springen heraus. Der Pförtner deutet auf den übergewichtigen
jungen Mann. Der hebt seine Arme und presst das Buch gegen
seine Schädeldecke. Wie Kain hat er jetzt nichts als Angst, selbst
getötet zu werden.
Chapman 2:
Tun Sie mir nichts. Ich bin unbewaffnet. Bitte lassen Sie nicht
zu, dass mir jemand was tut.
Erzähler:
Bei der Verhaftung fällt das rote Taschenbuch unter dem
Torbogen des Dakota zu Boden. Der Mörder fleht den Polizisten
an, das Buch aufzuheben. Obwohl sich seine Vorstellung, der
Fänger im Roggen zu sein, aufgelöst hat, versucht er verzweifelt,
daran festzuhalten.
Atmo 23: Polizeisirenen
Straßenverkehr, Stimmen, entfernende Polizeisirene
(Total: 1´20´´)
Darüber:
Erzähler:
Während ein zweiter herbeigerufener Polizeiwagen mit dem
verblutenden John Lennon auf dem Rücksitz zum Roosevelt
General Hospital rast, bringt der erste seinen Mörder in die 84.
Straße.
Um 1 Uhr 05 am 9. Dezember 1980 unterschreibt der Täter im
dreistöckigen, abgenutzten Betonplattenbau des 20. Polizeireviers sein Geständnis. Aus Angst vor der Reaktion der
35
Polizisten verschweigt er darin, dass er John Lennon als einen
„verlogenen Schweinehund“ verachtet.
Chapman 2:
Ich bin sicher, mein eigentliches Ich ist Holden Caulfield, die
Hauptfigur des Buches Der Fänger im Roggen. Ein kleiner Teil
von mir muss der Teufel sein.
Atmo 24: Polizeisirenen
Stimmen, vorbeirasende Polizeisirenen (Total 2´31´´)
Darüber:
Erzähler:
In Sorge, der Verhaftete könnte wie der Mörder von John F.
Kennedy getötet werden, legt man ihm eine kugelsichere Weste
an. Nach einem stundenlangen Katz und Maus Spiel mit den
Medienleuten wird der Mörder Lennons auf dem kleinen
Parkplatz neben dem Polizeigebäude in einen Zivilstreifenwagen
gesetzt. Die Polizisten rasen mit dem Täter von der Upper
Westside durch Manhattan hinunter zum Criminal Courts
Building in der Center Street 100.
Atmo 25: Center Street
Männerstimme … Schlagen der Turmuhr 12 Uhr … Männerstimme …
Autohupe … Frauenstimme … mehrmaliges Niesen einer Frau …
Fernes Schlagen einer Autotür … ferne Verkehrslärm … Leises
Quietschen einer Bremse … Schritte …
(Total: 2´)
Darüber:
36
Erzähler:
In der Fassade des grauen, verwitterten Gebäudekomplexes nahe
dem
New
Yorker
Rathaus
öffnet
sich
das
von
Kameras
überwachte Rolltor. Im Innern des Gebäudes übergeben die
Polizisten den Mörder an Justizbeamte. Unterdessen versammeln
sich vor dem Dakota Building mehr und mehr Anhänger von
John Lennon.
Musik 2: Soundtrack
Confrontation
„Der
Knochenjäger“
/
14.
Final
(0´31´´)
Erzähler:
Die Fans können nicht glauben, was geschehen ist. Der
gewaltsame Tod ihres Idols hat sie persönlich getroffen. Einige
weinen, andere singen Lieder von John Lennon. In das Tor des
Dakota Buildings stecken sie Blumen. Später sagt der Mörder,
der Tod von Lennon sei der letzte Nagel in den Sarg der sechziger
Jahre gewesen.
Musik 21: Yoko Ono – Seasons of Glass / 16. I don’t know why
(0´27´´)
Musik 22: Kristalleon
(1´24´´)
Atmo 27: Bellevue Hospital
Klappern Tür … leise Musik … Stimmengewirr … Schritte … Mann: „So
…“ … Frau „Thank you very much“ … Schritte … Frauenstimmen nahe
… Stimmengewirr, auch spanisch darunter … Saxophonmusik aus
Lautsprechern … Schritte … Klappern einer Tür … Rollen eines
Wagens … Schritte … Klappern … Surren (=Rollstuhl) …
Stimmengewirr … Quietschen Tür … deutliche Männerstimme …
Klappern … Schritte … Frau: „ID … please“ … Klappern … Stimmen …
Schritte …(Total: 5´)
37
Regie: Die folgende Passage mit Atmo 27 unterlegen.
Erzähler:
Am Nachmittag des 9. Dezember 1980 wird der Mörder dem
Haftrichter vorgeführt. Der Pflichtverteidiger setzt für seinen
Mandanten eine psychiatrische Untersuchung durch. Nach
Todesdrohungen
legt
er
sein
Mandat
nieder.
Der
neue
Pflichtverteidiger plädiert auf geistige Unzurechnungsfähigkeit
des Mörders.
Im Bellevue Hospitals, das eine mehrspurige Schnellstraße vom
Ufer des East River trennt, wird der Mörder psychiatrisch
untersucht. Aus Angst vor Heckenschützen malt man die Fenster
im zweiten Stock, hinter der sich die Abteilung für geistesgestörte
Verbrecher befindet, schwarz an. Im Fernsehraum sieht der
Mörder die Nachrichten und hört seinen Namen:
Ein Mark David Chapman aus Hawaii drängt die Nachrichten
aus Polen und die News über die US-Geiseln im Iran in den
Hintergrund. Mit dem Mord hat er das öffentliche Interesse an
seinem Opfer auf sich übertragen. Jetzt ist der Niemand aus der
kleinen Vorstadt Atlantas ein Jemand: der berühmteste Mörder
der Welt. Wer tötet, lebt ewig.
Zu Untersuchungen geben sich im Bellevue Hospital Psychiater
die Klinke in die Hand. Aus Sicherheitsgründen bringt man
Chapman nach ein paar Tagen auf Riker’s Island unter, der
Gefängnisinsel von New York City nördlich des Stadtteils
Queens.
38
8. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Sie haben gesagt, Sie wollten durch den Mord öffentliche
Aufmerksamkeit bekommen. Haben Sie seit Ihrer Inhaftierung
irgendetwas getan, um diese Aufmerksamkeit zu fördern?
Chapman 1:
1988 habe ich dem Magazin People ein Interview gegeben, was
ich bedauere. Im Zusammenhang mit dieser Biografie, die über
mich geschrieben wurde, habe ich zwei Interviews gegeben. Eines
Larry King von CNN. Davon abgesehen, habe ich in den letzten
Jahren alle Presseanfragen abgelehnt.
Bevollmächtigter:
Was ist mit den letzten Monaten?
Chapman 1:
Jack Jones hat mich gefragt, ob ich ihm zur Fortsetzung der
Biografie ein Interview geben würde. Zuerst wollte ich nicht,
dann habe ich gebetet … ich habe Gott gesagt, ich will das
wirklich nicht machen, aber es ist Dein Projekt, – so fühle ich
wirklich, dass die Biografie ein Projekt Gottes ist - ich mache,
was Du willst. Ich habe Frieden in meinem Herzen gefühlt und
für das Interview zugesagt.
Bevollmächtigte:
Ist Ihnen bewusst, dass es viele, viele Menschen gibt, die darüber
verärgert sind, was Sie getan haben?
39
Chapman 1:
Völlig zu Recht.
Bevollmächtigte:
Haben Sie über Ihre Sicherheit nachgedacht für den Fall, dass
Sie entlassen werden?
Chapman 1:
Ich glaube, dass in Daniels Löwengrube Gott dem Löwen das
Maul zugehalten hat. Und ich denke, er kann das gleiche für
mich tun, wenn er möchte. Das meiste würde ich Gott
überlassen.
Bevollmächtigter:
Denken Sie, Sie haben sich während der Haftzeit gebessert?
Chapman 1:
Ich bin langsam aber sicher zu einem klareren Bewusstsein
gekommen. Das verdanke ich Gott. Und ich verdanke es der
Tatsache, dass ich jahrelang alleine war und Zeit hatte, über das
Verbrechen nachzudenken. Ich wurde, wenn Sie so wollen,
religiöser. Und ich habe mich im Familienzusammenführungsprogramm eingeschrieben.
Bevollmächtigte:
Aus Ihrem Führungsbericht können wir erkennen, dass Sie
Besuche von Ihrer Frau hatten. Ist das richtig?
40
Chapman 1:
Ja, von Anfang an ist sie bei mir gewesen.
Bevollmächtigte:
Wo lebt sie?
Chapman 1:
Auf Hawaii.
Bevollmächtigte:
Wie oft kommt sie her?
Chapman 1:
Zweimal im Jahr für jeweils zwei Wochen.
Bevollmächtigte:
Wo wollen Sie leben, wenn Sie auf Bewährung freigelassen
werden?
Chapman 1:
Ich würde in den Staaten von Ort zu Ort, von Kirche zu Kirche
ziehen, den Menschen erzählen, was mir geschehen ist und
ihnen den Weg zu Christus zeigen.
Musik 22: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 19. Arnold
(0´12´´)
Musik 23: John Lennon – Anthology Ascot CD 1/ 9. Imagine
(1´28´´)
Mischen mit:
41
Atmo 21: New York Sound 2 (s.o.)
Darüber:
Erzähler:
Am Sonntag, dem 14. Dezember, wehen in New York alle Fahnen
an öffentlichen Gebäuden auf Halbmast.
Um
14
Uhr
versammeln
sich
nach
einem
Aufruf
von
Bürgermeister Edward Koch 100.000 Menschen im Central Park.
Dick vermummt gegen die Kälte stehen sie vor dem John Lennon
Poster, das man auf der Freilichtbühne aufgestellt hat, und
hören seine Lieder.
Einige schützen mit den Händen Kerzenlichter vor dem Wind,
andere
strecken
zum
Peace-Zeichen
geformte
Finger
himmelwärts. Unter den Trauernden ist John Hinckley.
O-Ton 7: Attentat auf Ronald Reagan
(O-Ton) Rufe, Schüsse (NDR Info, Serie: Stichtag, 30.3.2001;
Archivnummer F001550/Produktionsnummer HF001550, Herkunft
WDR; Langzeitspeicher NDR 4: Take-ID 3F3BA22D)
(0´09´´)
Erzähler:
Am 30. März 1981 verübt der Nachahmungstäter das Attentat
auf Präsident Reagan, aus Verehrung für die Schauspielerin
Jodie Foster. In seinem Hotelzimmer findet die Polizei das Buch
Der Fänger im Roggen. Reagan überlebt.
42
Musik 24: Marilyn Manson – Take 10 von der CD „Holy Wood“
“We are all nobodies, wanna be somebodies …”
(1´42´´)
Darüber:
Erzähler:
Mit Chapmans Mord an John Lennon ändert sich das Leben der
Prominenten. Mehr und mehr Stalker stellen den Berühmten
nach. Den Gesellschaftskritiker Christopher Lasch meint, dass
Erklärungsversuche
für
dieses
Phänomen
nicht
mit
der
Psychologie der Täter anfangen sollten, sondern mit dem
Versuch, die gesamte Kultur der Massenkommunikation, die
Verehrung Einzelner durch die Massen zu beleuchten, kurz
gesagt, den Starkult zu analysieren.
Zitator:
Heutzutage
wird
die
Öffentlichkeit
von
Bildern
mit
Berühmtheiten beherrscht, die dem Normalbürger erscheinen
wie Wesen von einem anderen Stern. Stars sind an die Stelle von
Helden getreten, und sie existieren in einer Kultur, in der die
Existenz von Helden nahezu unmöglich scheint. Sie sind von
Anfang an reine Geschöpfe der Einbildung.
Erzähler:
In dieser Kultur des Narzissmus, von der Lasch spricht, spiegelt
die Wertvorstellung, berühmt zu sein, die ein narzisstischer
Niemand wie Chapman übernimmt, um sein Selbstwertgefühl zu
43
heben,
auf
eine
düstere
Weise
die
Wertvorstellung
eines
narzisstischen Jemand wieder.
Musik 25: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 18. Dreams
(0´55´´)
Erzähler:
Am 6. Januar 1981 wird um 9 Uhr der Prozess gegen David
Chapman
eröffnet.
Höchste
Sicherheitsstufe
herrscht
im
Criminal Courts Building. Der Gerichtssaal im 11. Stock ist nur
halbvoll, jedem Lennon Fan ist der Zutritt verwehrt. Chapman
steht regungslos in grünen Hosen und einem olivgrünen Parka
da, als der Richter ihm die Anklage auf Mord zweiten Grades
vorliest, die schwerste Strafe im Staat New York für den Mord an
einem Zivilisten. Zuletzt fragt der Richter den Angeklagten,
worauf er plädiere.
Chapman 2:
(leise) Unschuldig.
Erzähler:
„Wegen
geistiger
Unzurechnungsfähigkeit“
fügt
sein
Pflichtverteidiger hinzu. Zwei Wochen später hat Chapman in
seiner Zelle die „Offenbarung“, wie er seinem Biografen sagt, „er
habe John Lennon umgebracht, um die Menschen dazu zu
bringen, den Fänger im Roggen zu lesen.“
Musik 26: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 23. Sara
Goldfarb Has
(0´55´´)
Mischen mit:
44
O-Ton 8: Antrittsrede Ronald Reagan 20.1.1981
(Antrittsrede (O-Ton engl.) „Government is not the solution to the
problem, government is the problem …“
(BR, Archivnummer CD96119/Tonträgermarke Rhino Records
Inc./Tonträgerbestellnr. R2 70567)
(0´14´´)
Erzähler:
Reagan hat bereits das Weiße Haus, das Zentrum der Macht,
bezogen und seinen wirtschaftlichen Neoliberalismus verkündet,
als Chapman am 26. Februar den Gerichtssaal betritt. Zum
ersten Mal hat er den Fänger im Roggen bei sich. Er nimmt sich
vor, sein Leben lang nichts zu sagen, nur dieses Buch soll sein
Verbrechen erklären. Aber für seine Biografie wird er später
reden und reden, als Berühmter über jede Einzelheit seines
Lebens sprechen. Am 8. Juni teilt er seinen Pflichtverteidiger mit,
Gott hätte ihm gesagt, er solle sich schuldig bekennen.
Musik 26: (s.o.)
Erzähler:
Am Tag der Urteilsverkündung, dem 24. August 1981, trägt
Chapman eine dunkle Hose und unter seinem dunkelblauen
Hemd eine kugelsichere Weste. Wieder hat er den Fänger im
Roggen
bei
sich.
Verteidigung
im
An
diesem
brechend
schwülheißen
vollen
Tag
Gerichtssaal
ruft
die
sechs
psychiatrische Gutachter auf. Einer bezeichnet den Mord als
„Stellvertretersuizid“, durch den Mord an Lennon habe sich
Chapman selbst das Leben genommen. Die drei Gutachter der
Anklage kommen zum Ergebnis, Chapman leide zwar an einer
narzisstischen Persönlichkeitsstörung, sei aber nicht geisteskrank, er hätte genau gewusst, was er tat. Aus Ruhmsucht hätte
45
er John Lennon erschossen. Zuletzt fragt der Richter, ob
Chapman vor der Urteilsverkündung noch etwas sagen will. Das
ist sein Auftritt, auf den er acht Monate gewartet hat. Als sei es
die Bibel, schlägt der Angeklagte den Fänger im Roggen an jener
Stelle auf, an der Holden Caulfield seiner Schwester Phöbe
erklärt, was er richtig gern in seinem Leben täte.
Atmo 30: Karussellmusik
Eine Art Drehorgelmusik einer bekannten US-amerikanische Melodie,
Kinderstimmen …
. (Total: 0´50´´)
Darüber:
Chapman 2:
(zuerst unsicher, dann sicher) Ich stelle mir immer kleine Kinder
vor, die in einem großen Roggenfeld spielen und so. Tausende
von kleinen Kindern, und niemand ist da – also, kein Großer -,
nur ich. Und ich stehe am Rand eines verrückten Abgrunds. Und
da muss ich alle fangen, bevor sie in den Abgrund fallen – also,
wenn sie rennen und nicht aufpassen, wo sie hinlaufen, dann
muss ich irgendwo rauskommen und sie fangen. Und das würde
ich den ganzen Tag lang machen. Ich wär einfach der Fänger im
Roggen und so.
Musik 27: John Lennon – Anthology New York City CD 2 / 2.
Attica State
(1´55´´)
Darüber:
46
Erzähler:
Nach der Urteilsverkündung wird Chapman, der selbsternannte
Schutzengel der Reinheit, in das Attica Staatsgefängnis im
nördlichen Bundesstaat New York überführt. Ausgerechnet
Attica. Im September 1971 sind dort bei einer Gefängnisrevolte
43 Gefangene getötet worden. Und John Lennon hat mit dem
Lied „Attica State“ gegen die Gewalt der Staatspolizei protestiert.
Zum Schutz vor den anderen Gefangenen sitzt Chapman hier in
Einzelhaft - in einer zwei Mal drei Meter großen Zelle. Einmal am
Morgen hat er für eine Stunde Ausgang im Gefängnishof.
Verhaftet
in
seiner
spirituellen
Welt,
führt
er
zumeist
Zwiegespräche mit Gott. Wiederum versucht er, sich in einem
anderen zu finden, der außerhalb der Grenzen der Wirklichkeit
existiert. Noch immer ist er der Gefangene seiner Phantasie. Es
hat den Anschein, als hätte er mit seiner Tat darauf hingewirkt,
in realer Gefangenschaft zu leben. Fast täglich bekommt er Post,
Autogrammwünsche
und
Morddrohungen.
Man
sollte
sich
Chapman nicht als unglücklichen Menschen vorstellen. Er ist
nun jemand, er ist der Mörder von John Lennon. In seiner Zelle
muss er die Verantwortung eines Lebens in Freiheit nicht tragen.
9. Verhörszene:
Bevollmächtigte:
Herr Chapman, gibt es noch etwas, was Sie hinzufügen wollen?
Chapman 1:
Ja. Kann ich noch einen Moment sprechen oder -
47
Bevollmächtigte:
Natürlich.
Chapman 1:
Als ich am 8. Dezember willentlich das Leben von John Lennon
ausgelöscht habe, habe ich jedes Recht verwirkt, auf der Erde zu
sein. Es steht mir nicht zu, Sie darum zu bitten, mich
freizulassen. Ich würde die Gelegenheit gerne benutzen, mich bei
Frau Lennon zu entschuldigen. Ich habe gehört, dass sie im Falle
meiner Freilassung fürchtet, ich würde ihr und ihren Kindern
Leid zufügen. Das ist absolut nicht wahr. Ich habe dieses Böse
nicht mehr in mir, es ist fort, aber unglücklicherweise hat es
einen Menschen mit hineingezogen. Und wenn ich den Rest
meines Lebens im Gefängnis bleiben muss, nur um das Leid von
Frau Lennon zu sühnen, werde ich es tun. Wissen Sie, es ist
schrecklich, wenn man begreift, was man getan hat.
Atmo 31: Schlüsselklappern, Zuschlagen einer Gefängnistür
NDR-Archiv
Musik 4: Soundtrack “Requiem for a Dream” / 25. Winter
Ouverture
(0´19´´)
Erzähler:
Der Gnadenausschuss lehnt die Haftentlassung von Mark David
Chapman ab. In der Begründung wird hervorgehoben, dass der
Mörder von John Lennon „äußerst böswillige Absichten“ gehabt
hat. In den Aussagen über seine Tatmotive habe Chapman
erneut die öffentliche Aufmerksamkeit betont, die er durch den
48
Mord auf sich lenken wollte. Der Gnadenausschuss wertet dies
als ein absonderliches und moralisch verdorbenes Denken.
Musik 28: John Lennon – Anthology Dakota CD 4 / 19. Dear
John
(2´00´´)
Darüber
49
Abspann:
Sie hörten:
Warum John Lennon sterben musste
Anhörung eines Mörders
Von Egon Koch
Es sprachen:
Marlen Diekhoff
Siegfried W. Kernen
Burghart Klaußner
Lennardt Krüger
Peter Kurth
Technische Realisation:
Jutta Liedemit und Kerstin Heykamp
Regie: Egon Koch
Redaktion: Ursula Voß
Eine
Produktion
des
Norddeutschen
Rundfunks
mit
Südwestrundfunk und dem Saarländischen Rundfunk, 2005
50
dem
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