Bildung des Menschen durch Erfahrung, Umgang und

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Allgemeine Didaktik – Fachliteratur
Adl-Amini / Künzli (Hrsg.):
Benner, D.:
Comenius, Johann Amos:
Gudjons, Herbert:
Gudjons, Herbert / Winkel, Rainer (Hrsg.):
Heimann, P. / Otto, G. / Schulz, W. (Hrsg.):
Hentig, Hartmut v.:
Jank, W. / Meyer, H.:
Klafki, Wolfgang:
Kron, Friedrich W.:
Matthes, Eva:
Peterßen, Wilhelm H.:
Reich, Kersten:
Terhart, Ewald:
Didaktische Modelle und Unterrichtsplanung
Allgemeine Pädagogik (Weinheim 2001)
Didactica Magna (Hrsg. Flitner)
Handbuch Gruppenunterricht (Weinheim 1993)
Pädagogisches Grundwissen (Klinkhardt 2003)
Didaktik zum Anfassen. LehrerInpersönlichkeit
und lebendiger Unterricht (Bad Heilbrunn 1997)
Didaktische Theorien (Bergmann + Helbig)
Unterricht – Analyse und Planung
(Hannover 1965)
Die Schule neu denken (München 1993)
Didaktische Modelle (Frankfurt/M. 2002)
Das pädagogische Problem des Elementaren
und die Theorie der kategorialen Bildung
(Weinheim 1963)
Neue Studien zur Bildungstheorie und
Didaktik (Weinheim 1996)
Grundwissen Didaktik
(München und Basel 1993)
Von der geisteswissenschaftlichen zur
kritisch-konstruktiven Pädagogik und Didaktik
Bad Heilbrunn 1992
Handbuch Unterrichtsplanung (München 2000)
Lehrbuch Allgemeine Didaktik (Oldenbourg)
Systemisch-konstruktivistische Pädagogik
(Neuwied u. Kriftel, Berlin 1996)
Theorien der Allgemeinen Didaktik
(Stuttgart 1977)
Lehr-Lern-Methoden
(Weinheim u. München 1999)
Unterrichtsmethode als Problem
(Weinheim 1983)
1
Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
LITERATURLISTE für ALLGEMEINE DIDAKTIK
Anders, Günther:
Ansermet, Ernest:
Bach, Richard:
Brooks, Charles:
Buber, Martin:
Coblenzer - Muhar:
Comenius, Johann Amos:
Dietz, Karl-Martin:
Dürckheim, Graf Karlfried:
Eccles, John:
Einstein, Albert:
Feldenkrais, Moshe:
Fischer, Edwin:
Fried, Erich:
Fromm, Erich:
Geiger, Joachim Th.:
Geissler, Karlheinz:
Guggenmos, Josef:
Heisenberg, Werner:
Hentig, Hartmut:
Herrigel, Eugen:
Jacoby, Heinrich:
Kamper, Dietmar - Wulf, Christoph:
Kästner, Erhart:
Kleist, Heinrich:
Koestler, Arthur:
Lorenz, Konrad:
Maturana/Varela:
Middendorf, Ilse:
Montessori, Maria:
Mulford, Prentice:
Piaget, Jean:
Picht, Georg:
Platon:
Ritskes, Rients:
Rumpf/Kranich:
Schrödinger, Erwin:
Steiner, George:
Tart, Charles:
Thoreau, Henry David:
Tomatis, Alfred A.:
Vester, Frederic:
Wagenschein, Martin:
Watts, Alan W.:
Watzlawick, Paul:
Weil, Simone:
Wiedemann, Herbert:
Die Antiquiertheit des Menschen I
Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein (Piper)
Die Möwe Jonathan (Ullstein)
Erleben durch die Sinne (dtv)
Reden über Erziehung (Lambert Schneider)
Begegnung (Lambert Schneider)
Atem und Stimme (Österreichischer Bundesverlag)
Didactica magna
Die Suche nach Wirklichkeit (Freies Geistesleben)
Der Alltag als Übung (Huber)
Das Rätsel Mensch (Piper)
Aus meinen späten Jahren (Deutsche Verlags - Anstalt)
Bewusstheit durch Bewegung (Suhrkamp)
Das starke Selbst (Insel)
Musikalische Betrachtungen (Ogham - Bücherei)
Es ist was es ist (Wagenbach)
Vom Haben zum Sein (Ullstein); Die Kunst des Liebens (Ullstein)
Körperbewusstsein und Instrumentalpraxis
(Berliner Schriften, Forum Musikpädagogik Band 23)
Zeit leben (Beltz)
Warum - Wieso - Weshalb - Geschichten (Ravensburger)
Ordnung der Wirklichkeit (Piper); Der Teil und das Ganze (dtv)
Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit (Hanser)
Zen in der Kunst des Bogenschiessens (Barth)
Jenseits von „Begabt“ und „Unbegabt“ (Christians)
Musik. Gespräche - Versuche (Christians)
Das Schwinden der Sinne (Suhrkamp)
Der Aufstand der Dinge (Suhrkamp)
Über das Marionettentheater, in: Kleist - Ein Lesebuch
(Aufbau-Verlag)
Die Armut der Psychologie (Scherz)
Die Rückseite des Spiegels (dtv)
Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit (Piper)
Der Baum der Erkenntnis (Goldmann)
Der erfahrbare Atem (Junfermann)
Kinder sind anders (dtv/Klett - Cotta)
Unfug des Lebens und des Sterbens (Fischer)
Das Weltbild des Kindes (dtv/Klett - Cotta)
Die Verantwortung des Geistes (Klett)
Kunst und Mythos (Klett - Cotta)
Der Staat (Reclam)
Zen in der Kunst des Lernens (Bauer)
Welche Art von Wissen braucht der Lehrer? (Klett - Cotta)
Mein Leben - Meine Weltansicht (Diogenes)
Geist und Materie (Diogenes)
Die Natur und die Griechen (Diogenes)
Von realer Gegenwart (Edition Akzente - Hanser)
Hellwach und bewusst leben (Heyne)
Leben aus den Wurzeln (Herder)
Der Klang des Lebens (rororo)
Denken, Lernen, Vergessen (dtv)
Neuland des Denkens (dtv)
Erinnerungen für morgen (Beltz)
Verstehen lernen (Beltz)
Weisheit des ungesicherten Lebens (Barth)
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Piper)
Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen (dtv)
Schwerkraft und Gnade (Piper)
Aufmerksamkeit für das Alltägliche (Kösel)
Klavierspiel und das rechte Gehirn (Bosse)
Allgemeine Didaktik
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Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Allgemeine Didaktik – Leseproben zur Literaturliste
Günther ANDERS: Die Antiquiertheit des Menschen I
Da es dem König aber wenig gefiel, dass sein Sohn, die kontrollierten Straßen verlassend, sich
querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und
Pferd.
„Nun brauchst du nicht mehr zu Fuß gehen“, waren seine Worte.
„Nun darfst du es nicht mehr“, war deren Sinn.
„Nun kannst du es nicht mehr“, deren Wirkung.
Ernest ANSERMET: Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein
Im Verlauf unserer Untersuchung werden wir den Finger auf die Konsequenzen aus der Trennung von
Kopf und Herz legen, die für die rein intellektuelle Haltung vor den Dingen charakteristisch ist, und auf
die Konsequenzen aus dieser Blindheit und, um es beim Namen zu nennen, Verdummung der Intelligenz,
wenn sie in dieser Verblendung sich allein genügen will.
Was das Wesen des Menschen und seinen Wert als menschliches Wesen schafft, ist nicht sein Haben,
das sich stets durch einen materiellen Besitz, ein Wissen oder Können überträgt, sondern das, was er mit
Hilfe seines Habens aus sich selbst macht.
Richard BACH: Die Möwe Jonathan
Du wirst zum ersten Mal den Rand des Paradieses streifen, wenn du die vollkommene Geschwindigkeit
erreicht hast. Und das bedeutet nicht, dass du in der Stunde tausend oder hunderttausend Kilometer
zurücklegen kannst. Selbst, wenn du mit der Geschwindigkeit des Lichtes fliegen würdest, hättest du nicht
die Vollkommenheit erreicht. Alle Ziffern sind Begrenzungen, Vollkommenheit aber ist grenzenlos.
Vollkommene Geschwindigkeit, mein Sohn, das heißt: ganz da sein.
Charles BROOKS: Erleben durch die Sinne
Das Studium dieser Arbeit umschließt unser gesamtes organisches Funktionieren in der Welt, die wir
wahrnehmen und zu der auch wir gehören - unsere persönliche Ökologie; wie wir unseren Tätigkeiten
nachgehen, wie wir uns mit Menschen, mit Situationen, mit Gegenständen in Beziehung setzen, was die
Welt um uns von uns benötigt.
Es gibt aber in dieser Arbeit so wenig Techniken wie in der Liebe. Man kann in einen muffigen Raum
nicht frische Luft „integrieren“. Man lässt die frische Luft herein, und die schlechte Luft vergeht, wenn es
soweit ist. Jeder, der sich ernsthaft in diese Arbeit versenkt, wird verändert werden, ohne dass er durch
Anstrengung darauf hinzielt, und die Veränderung wird in seinen Handlungen zum Ausdruck kommen.
Martin BUBER: Reden über Erziehung (I)
Es war eine Zeit, es waren Zeiten, wo es keine spezifische Berufung des Erziehers, des Lehrers, gab und
keine zu geben brauchte. Da lebte ein Meister, ein Philosoph etwa oder ein Erzschmied, seine Gesellen
und Lehrlinge lebten mit ihm, sie lernten, was von seinem Hand- oder Kopfwerk er sie lehrte, indem er sie
daran teilnehmen ließ, aber sie lernten auch, ohne dass sie oder er sich damit befasst hätten, lernten,
ohne es zu merken, das Mysterium des personhaften Lebens, sie empfingen den Geist.
Doch bleibt der Meister das Vorbild des Lehrers. Denn wenn dieser wissend tun muss, soll er es so, „als
täte er nicht“. —
Das Eingreifen spaltet die ihm ausgelieferte Seele in einen gehorchenden und einen sich empörenden
Teil; aber das verborgene Einwirken aus der Ganzheit des Wesens hat die glänzende Kraft.
Martin BUBER: Reden über Erziehung (II)
Mit den Grundkräften der Künste, dem Zeichnerischen etwa, dem Musikalischen, sind alle elementar
begabt. Auf dem Urhebertrieb, der natürlichen Selbsttätigkeit, muss jede Erziehung der ganzen Person
aufbauen. Der Mensch, das Menschenkind, will Dinge machen. Wonach das Kind verlangt, ist der eigene
Anteil am Werden der Dinge. Worauf es ankommt, ist, dass durch die intensiv empfundene eigene
Handlung etwas entsteht, was es vorhin, was es eben erst noch nicht gegeben hat.
3
Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Man lernt das Objektsein der Welt von innen her, aber ihr Subjektstein, ihr Ichsagen nicht, als auch ihr
Dusagen nicht. Was uns zur Erfahrung des Dusagens bringt, ist nicht mehr der Urhebertrieb, es ist der
Trieb der Verbundenheit.
In zwei Grundweisen kann sich der Mensch zur Welt verhalten, kann sich dem Menschen Welt
erschließen:
Erstens die Welt der Erfahrung. Jedoch: die Welt hat keinen Anteil an der Erfahrung. Sie lässt sich
erfahren, aber es geht sie nichts an, denn sie tut nichts dazu, und ihr widerfährt nichts davon. Das
hervorgetretene Ich erklärt sich als Träger der Empfindungen. Der Welt der Erfahrung gehört das
Grundwort Ich-Es an. Diese Welt ist einigermaßen zuverlässig, sie hat Dichte und Dauer, ihre Gliederung
lässt sich überschauen, man kann sie immer wieder hervorholen, man repetiert sie, prüft. Aber:
Geordnete Welt ist nicht Weltordnung.
Zweitens die Ich-Du-Beziehung. Die eigentliche Bestimmung des Menschen ist das eingeborene Du, seine
Passion und Aktion in einem. Voraussetzung aller Begegnung ist, dass sich der Mensch dem Begegnenden
öffnet, sich auf die Begegnung einlässt, dass er sich hergibt, die Hinwendung macht.
Martin BUBER: Begegnung
Soll ich einem Fragenden Auskunft geben, welches denn das in gedanklicher Sprache aussagbare
Hauptergebnis meiner Erfahrungen und Betrachtungen sei, dann ist mir keine andere Erwiderung gegeben,
als mich zu dem den Fragenden und mich umfassenden Wissen zu bekennen: Mensch sein heißt, das
gegenüber seiende Wesen sein. Die Einsicht in diesen schlichten Sachverhalt ist im Gang meines Lebens
gewachsen. Wohl sind allerhand andere Sätze gleichen Subjekts und ähnlicher Konstruktion geäußert
worden, und ich halte manche davon durchaus nicht für unrichtig; mein Wissen geht nur eben dahin, dass
es dies ist, worauf es ankommt.
COBLENZER / MUHAR: Atem und Stimme
Wir wollen uns bewusstmachen, dass die angestrebte Funktionseinheit von physischen und psychischen
Vorgängen auf Aktivierung der inspiratorischen Kräfte abzielt. Die Schulung dafür darf niemals auf ein
mechanisches Üben reduziert werden. Richtiges Üben bedeutet, jede Gelegenheit im Alltag spielerisch zu
nützen, nicht aber, nur zu besonderen Anlässen irgendeine (Stimm-) Übung zu machen.
Johann Amon COMENIUS: Didactica magna
Endlich muss der Mensch sich selbst zu gebrauchen und zu genießen verstehen: er darf sich auf keine
andere Kreatur mehr verlassen als auf sich selbst, darf bei keiner anderen mehr Erquickung suchen als in
sich selbst. In dir selbst ruht eine Welt, such drum nicht außer dir!
Unser Schöpfer gab uns einen hellen Verstand. - Warum erfreuen wir uns mehr am Schatten?
Karl-Martin DIETZ: Die Suche nach Wirklichkeit
Die Übung der „Hingabe“ bedeutet, sein eigenes Urteil und vor allem jegliche Kritik bewusst schweigen
zu lassen, seine Vorurteile bewusst hintanzustellen und alle mitgebrachten Maßstäbe der Beurteilung eines
anderen Menschen oder einer Situation beiseite zu legen. Man kann dies z.B. besonders gut üben
gegenüber Menschen, vor denen man eine Abscheu hat. Man versucht, sich unbefangen den Eindrücken
auszusetzen und die Dinge und Ereignisse zu sich sprechen zu lassen. Es ist dies eine „Öffnungs“ – Übung
insofern, als man seine Gedanken mehr von außen bewirken lassen möchte, als sie aus sich selbst
herauszusetzen.
In scheinbarem Gegensatz dazu steht die Übung der „Gedankenkontrolle“. Sie dient dazu, sich selbst in
die geistige Umwelt richtig einzufügen. Man prüft bei jedem Gedanken, ob er den Gesetzen der Wahrheit
entsprechend abläuft. Man überlässt sich nicht den durchziehenden, regellosen Gedanken, Assoziationen
usw., sondern versucht, die Gedankenfolge streng aus dem jeweiligen Inhalt der Gedanken hervorgehen zu
lassen, ähnlich wie dies im mathematischen Denken der Fall ist. Man vermeidet so, immer wieder seinen
eigenen Lieblingsgedanken zu verfallen.
Diese beiden Übungen in ihrer Polarität – die Hingabe, die Willkür vermeidet, und die
Gedankenkontrolle, die Lässigkeit bekämpft – ergeben zusammen das Spannungsverhältnis, in dem Wille in
das Denken hineingeschickt werden kann.
Geht man auf diesem Weg ein Stück weit, so wird man eines Tages das Erlebnis haben: Bisher habe ich
immer gedacht: ich denke das, was ich denke. In Wirklichkeit ist es aber so, dass es in mir denkt: mein
Denken ist geleitet von gängigen Theorien, von Gewohnheiten usw.. Auch in meinem Fühlen: bin ich es
wirklich selbst? Mein Fühlen ist bestimmt von Vorlieben oder stereotypen Antipathien, die eigentlich nicht
viel mit mir selbst zu tun haben.
Allgemeine Didaktik
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Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Und besonders deutlich im Willen: wie viele meiner Handlungen sind einfach Ausführungen von Rollen,
im Beruf wie im Privatleben, die mein eigenes Wesen nur locker umkleiden. Wieviel von meinen
Handlungen kommt aus einer sehr allgemeinen Triebnatur und keineswegs aus Individuellem. Wie sehr sind
meine Willenshandlungen in Wirklichkeit emotional bestimmt, also auch von einer Seite, die mit meinem
eigenen Wesenskern wenig zu tun hat?
Macht man sich dieses klar, so kann man bemerken: Alles, was ich bisher mit mir selbst identifizierte, ist
deutlich zu unterscheiden von mir. „Ich“ bin eigentlich noch ein anderer.
Karlfried GRAF DÜRCKHEIM: Der Alltag als Übung
Das Reifen und Mündigwerden des Menschen ist eine Entwicklung, die sich nicht wie das Reifen der
Frucht im Raum der Natur von selbst vollzieht, sondern der Mitwirkung des Menschen bedarf. Im Raum der
natürlichen Triebe erfüllt sich der Drang im einfachen Zulassen der Bewegung, zu der unsere Natur uns
hintreibt. Es genügt, sich dem Trieb zu überlassen, der einen mit elementarer Kraft ergreift, und die
Trieberfüllung geschieht.
Im Raume des Geistes ist es ganz anders. Auch hier ist das Ergriffenwerden von einem Impuls die
Voraussetzung der Bewegung. Aber die Welle der Bewegung verebbt, wenn der Mensch das ihn Ergreifende
nicht von sich aus ergreift, sich für seine Verwirklichung bindend entscheidet und treu die Bewegung
vorantreibt.
Fortschreiten im Geiste bedeutet immer Verwandlung. Jede Verwandlung erfordert die Preisgabe von
etwas, das die bisherige Lebensform trug. So müssen wir z.B. eine Gewohnheit, einen Anspruch, eine
Einstellung, eine in leidvoller Entwicklung glücklich gewonnene theoretische oder praktische „Position“
drangeben. Zuletzt geht es darum, die so selbstverständliche Vorherrschaft der „natürlichen“ Sicht
unseres Welt-Ichs aufzugeben. Weil die Preisgabe von allem, womit man unbewusst und aus Gewohnheit
so selbstverständlich geeint war, so schwer ist, ist alle Verwandlung im Geiste Arbeit und noch einmal
Arbeit. Dies meint nicht nur innere Übung, sondern auch Übung in der Weise, da zu sein, also zusätzlich
auch Übung im Leibe!
John C. ECCLES: Das Rätsel Mensch
Die Welt der Bewusstseinszustände bildet eine Schlüsselrolle bei der Schaffung des Selbst und diese Welt
ist die nicht–materielle Welt des Geistes. Das Gehirn und die Welt der Kultur sind notwendig, damit das
bewusste Selbst sich entwickelt, aber sie reichen nicht aus. Jeder von uns weiß, wie einzigartig sein
persönliches Selbst ist. Das Entstehen jeder einzelnen einzigartigen Individualität liegt jenseits des
Bereichs, der der wissenschaftlichen Forschung zugänglich ist. Meine These lautet: Wir müssen die
einzigartige Individualität als das Resultat einer übernatürlichen Schöpfung von etwas anerkennen, das im
religiösen Sinne Seele genannt wird.
Albert EINSTEIN: Aus meinen späten Jahren
Schule und Lehrer müssen sich davor hüten, das bequeme Mittel der Erregung des individuellen
Ehrgeizes anzuwenden, um die Schüler zu emsigem Streben anzuregen (. . .) sowie ebenfalls davor, den
Erfolg im landläufigen Sinne den jungen Menschen als Lebensziel zu predigen, denn ein erfolgreicher
Mensch ist in den meisten Fällen ein solcher, der von den „Nebenmenschen“ viel empfängt, meist
unvergleichlich viel mehr als seiner Leistung für die „Nebenmenschen“ entspricht. Der Wert eines
Menschen soll aber in dem gesehen werden, was er gibt, und nicht in dem was er zu nehmen imstande war
oder ist.
Man hat manchmal in der Schule einfach das Instrument gesehen, um ein gewisses, möglichst hohes
Quantum von Wissen auf die heranwachsende Generation zu übertragen. So ist es aber nicht. Wissen ist
tot; die Schule aber ist die Dienerin des Lebens. Sie soll in den jungen Individuen jene Qualitäten und
Fähigkeiten zur Entwicklung bringen, welche für das Gedeihen der Gemeinschaft von Wert sind.
Moshé FELDENKRAIS: Das starke Selbst
Die ideale bewusste Handlung entspricht einer einzigen und klar erkannten Motivierung. Die bewusste
Handlung ist monomotiviert, und die Kunst des Handelns besteht darin, dass man erlernt, alle parasitären
Elemente zu hemmen und auszuschalten, die aus Gewohnheit, Konditionierung und stereotyp gewordener
Bewegung dazu neigen, sich selbst in Handlung umzusetzen. Wenn wir nicht erreichen, was wir erreichen
möchten, so geschieht dies meistens nicht so sehr, weil wir am Wesentlichen vorbeisehen, sondern weil
wir mehr ausführen, als uns bewusst ist. Das gilt vor allem, wenn wir Neues lernen.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Während des Lernprozesses pflegt eine Anzahl gewohnheitsmäßiger und mehr geahnter als erkannter
Motivationen sich durch- und in Handlung umzusetzen. Das Wesentliche am Lernen ist, solche
unerwünschte, schwach erkennbare Motivationen einzusehen und abzustreifen.
Moshé FELDENKRAIS: Bewusstheit durch Bewegung
Dass eine Pause möglich ist zwischen der Entstehung der Denkfigur zu irgendeiner bestimmten Handlung
und deren Ausführung als Handlung, bildet die physische Grundlage der Bewusstheit. Diese Pause
ermöglicht es einem, das zu prüfen, was in ihm vorgeht, wenn seine Absicht zu handeln entsteht, wie
auch, während sie ausgeführt wird. Dass er sein Tun hinausschieben, d. h. die Zeitspanne zwischen der
Absicht und deren Ausführung verlängern kann, macht es dem Menschen möglich, sich selber kennen zu
lernen.
Es geht hier weder um die Stärkung des Willens, noch um eine Erhöhung der Willenskraft, noch um
vermehrte, bessere Selbstbeherrschung, noch um sonst irgendein Training zu dem Zweck, dass einer über
sich oder über andere Macht und Herrschaft gewinnt. Begriffe wie Selbstkorrektur, Besserung, Training der
Bewusstheit und andere beschreiben hier lediglich verschiedene Aspekte dessen, was wir Entwicklung
nennen. Entwicklung betont das harmonische Zusammenwirken von Struktur, Funktion und Leistung.
Harmonisches Zusammenwirken erfordert grundsätzlich, dass einer frei sei insofern, dass er keinen Zwang
leide, weder von anderen noch von sich selbst.
„Bewusstheit“ ist die heute höchstmögliche Stufe menschlicher Entwicklung. Wo sie vollständig da ist,
übt sie harmonische „Herrschaft“ über die Tätigkeiten des Körpers aus. Es ist daher besser, Bewusstheit zu
entwickeln und zu erhöhen, als instinktive, primäre Triebe zu unterdrücken. Der Vorgang entspricht einem
Erziehungsprozess, in dem jede der Handlungen menschenähnlicher, dem Menschen gemäßer wird.
Edwin FISCHER: Musikalische Betrachtungen
Handelt es sich hier ja nicht darum, Ihnen schnell ein paar Stücke beizubringen – ich habe nichts
anderes, nichts Geringeres im Sinn, als Sie vom Klavier fort und zu sich selbst zu führen.
In der heutigen Zeit vollkommener Technik und Mechanik hat ein nur im rein pianistisch-artistischen
Sinne gut gespieltes Klavierstück keinen Zweck mehr. Nur innerlich erlebte Kunst, an der Ihre
Persönlichkeit schöpferischen Anteil hat, interessiert, wirkt und baut auf.
Sie müssen zu sich selbst gelangen. Um Sie dazu zu bringen, müssen die, die nicht schon einmal
gestorben sind, sterben; und zwar den Opfertod aller Eitelkeit, alles Angelernten, Aufgeklebten, Falschen.
Erich FRIED: Es ist was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe.
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe.
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Erich FROMM: Vom Haben zum Sein
Meiner Meinung nach kommt heute alles darauf an, dass wir die klassische Auffassung von innerer und
äußerer Befreiung wiederentdecken und das zweifache Verständnis von Vernunft, das sowohl auf die Natur
(in den Wissenschaften) wie auf den Menschen selbst (als Gewahrwerden seiner selbst) Anwendung findet.
Was ist schon dabei, wenn andere unser Verhalten nicht verstehen? Ihre Forderung, wir dürften nur das
tun, was sie verstehen, ist ein Versuch, uns zu beherrschen. Wenn dies aus ihrer Sicht „asozial“ oder
„irrational“ ist, dann ist es eben so. Die anderen verübeln uns hauptsächlich unsere Freiheit und den Mut,
selbst zu sein. Solange unsere Handlungen sie nicht verletzen oder gegen sie verstoßen, schulden wir
niemandem eine Erklärung oder eine Rechtfertigung. Wieviele Leben sind durch dieses Bedürfnis zu
„erklären“ – was gewöhnlich bedeutet, dass die Erklärung „verstanden“, dass heißt gebilligt wird – schon
ruiniert worden. Lass deine Taten beurteilen, und von deinen Taten aus beurteile deine wirklichen
Absichten; aber bedenke dabei, dass ein freier Mensch nur sich selbst, seiner Vernunft, seinem Gewissen
eine Erklärung schuldet und vielleicht noch einigen wenigen, die einen berechtigten Anspruch auf
Erklärung haben.
Erich FROMM: Die Kunst des Liebens
Liebe ist die tätige Sorge für das Leben und das Wachstum dessen, was wir lieben. Das Wesen der Liebe
besteht darin, „für etwas zu arbeiten“, „etwas aufzuziehen“; Liebe und Arbeit sind nicht voneinander zu
trennen. Man liebt das, wofür man sich müht, und man müht sich für das, was man liebt.
Neben der Fürsorge gehört noch ein weiterer Aspekt zur Liebe: das Verantwortungsgefühl. Heute
versteht man unter Verantwortungsgefühl häufig „Pflicht“, also etwas, das von außen auferlegt wird. Aber
in seiner wahren Bedeutung ist das Verantwortungsgefühl etwas völlig Freiwilliges; es ist meine Antwort
auf die ausgesprochenen oder auch unausgesprochenen Bedürfnisse eines anderen Wesens. Sich für
jemanden „verantwortlich“ zu fühlen, heißt fähig und bereit zu sein zu „antworten“.
Das Verantwortungsgefühl könnte leicht dazu verleiten, den anderen beherrschen und ihn für sich
besitzen zu wollen, wenn eine dritte Komponente der Liebe nicht hinzukommt: die Achtung vor dem
anderen. Achtung hat nichts mit Furcht und nichts mit Ehrfurcht zu tun: sie bezeichnet die Fähigkeit,
jemanden so zu sehen, wie er ist, und seine einzigartige Individualität wahrzunehmen. Achtung bezieht
sich darauf, dass man ein echtes Interesse daran hat, dass der andere wachsen und sich entfalten kann.
Daher impliziert Achtung das Fehlen von Ausbeutung. Ich will, dass der andere um seiner selbst willen
wächst und nicht mir zuliebe.
Die Liebe ist das Kind der Freiheit, niemals der Beherrschung.
Joachim Th. GEIGER: Körperbewusstsein und Instrumentalpraxis
Es liegt auf der Hand, warum Körpererfahrung nicht nur in Form eines modernen therapeutischen
Programms bei unterschiedlichen psychophysischen Insuffizienzen gefragt ist, sondern warum die
Erfahrung des eigenen Körpers ganz allgemein als pädagogische Aufgabe immer dringlicher wird: Die
ersten frühkindlichen Erfahrungen mit und aus dem eigenen Körper, die, wie Piaget gezeigt und mit dem
Begriff der „sensomotorischen Intelligenz“ bezeichnet hat, prärational fühlend, empfindend und
wahrnehmend und nicht intellektuell, willentlich oder rational gemacht werden, konstituieren ein
Körperkonzept, welches die Voraussetzung ist für alle kognitiven, motorischen, sensorischen, emotionalen
und handlungsmäßigen Entwicklungen und Differenzierungen. Körpererfahrung, insbesondere die darauf
beruhende Verwurzelung im Körper, ist die Grundlage von Welt- und Selbsterfahrung und vollzieht sich im
Spannungsfeld zwischen beiden.
Es ist eine Tatsache, dass weit über den Rahmen des modischen Körperkults hinaus seit zwei
Jahrzehnten aus einer buchstäblich not–wendigen Bedürftigkeit heraus der „Bedarf“ an Körpererfahrung
rapide zunimmt. Auch psychologische Richtungen, die sich mit der Entwicklung des Selbst bzw. mit der
Etablierung des Selbstkonzeptes befassen, betonen, dass im Gegensatz zu früheren Zeiten heute alles
darauf hinweist, dass „der Umgang mit dem eigenen Körper – speziell im Zeitalter fortschreitender
Industrialisierung und Technisierung – systematisch erlernt, dass der Körper als materiale Basis des ,Ich‘
oder ,Selbst‘ vielfältig im positiven Sinne erfahren werden muss.“
Karlheinz A. GEISSLER: Zeit leben
Erinnert sei an das, was „Warten“ früher (vor nicht allzu langer Zeit) bedeutete. Im Grimm’schen
Wörterbuch finden wir folgende Definition: „Warten, verb., wohin schauen, seine Aufmerksamkeit auf
etwas richten, versorgen, pflegen, einem dienen, Anwartschaft haben, harren usw.“. Enthalten ist in
dieser Wortbedeutung, sich wohlwollend und geduldig einer Person oder Sache anzunehmen.
Allgemeine Didaktik
7
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Wachsen und reifen lassen, Entwicklungen aufmerksam verfolgen, diese Einstellungen zeigen die Nähe
des Warten-Könnens zu innerer und äußerer Natur.
„Wenn man mit dem Wasser zu thun hat, kann man nicht sagen: Ich werde heut’ da oder da seyn“.
(J.W.Goethe, Italienreise 1786)
Alles Lebendige ist unberechenbar. So auch wirkliche Bildung. Sie braucht Geduld. Geduld ist etwas
anderes als bloße Gleichgültigkeit, vielmehr ist sie die Fähigkeit - und der Verzicht auf das eigenwillige
Vorwärtsdrängen -, im Einklang zu leben mit dem, was sich nach eigener Gesetzlichkeit entwickelt.
Zu schätzen wäre das Langsamwerden der Aufmerksamkeit, bei dem „die Berührung von Wirklichkeit
wichtiger ist als ihre schleunige Beherrschung“. (Rumpf 1983) Die Aufgabe des Pädagogen bestünde dann
nicht darin, die Lernenden ungeduldig hinter sich herzuzerren, vielmehr in der Anleitung zur Entwicklung
und Ermöglichung von Eigenzeiten, die die einzelnen Schüler zur Konzentration und Aufmerksamkeit
benötigen. Zeit würde so zum Raum und zum Schutz für kognitive und emotionale Entwicklung.
Damit verbunden wäre ein Respekt vor der Eigengesetzlichkeit des Individuums und das Abkoppeln von
der verbreiteten Hybris, alles machen, alles planen, alles erreichen zu können.
Josef GUGGENMOS: Warum – Wieso – Weshalb – Geschichten
„Wann hört es auf zu regnen?“, fragte die junge Eintagsfliege.
„Kind“, entgegnete die alte Eintagsfliege, „es regnet. Das ist das Leben.“
„So muss ich immer unter diesem Blatte sitzen?“, fragte die junge Eintagsfliege.
„Andern ist es nicht anders ergangen“, beschwichtigte die alte Eintagsfliege. „Auch ich war einmal ein
blutjunges Ding, so wie du jetzt. Damals wollte auch ich hoch hinaus. Bis ich allmählich begriff, dass dies
das Leben ist: unter einem Blatte sitzen, während der Regen niedergeht.“
„Aber was tragen wir auf dem Rücken?“, klagte die junge Eintagsfliege. „Sind es nicht Flügel? Flügel, um
zu fliegen? Wozu sind uns Flügel gegeben, wenn wir uns niemals in die Lüfte erheben dürfen? Wozu?
Wozu?“
„Die Flügel sind uns zum Troste verliehen. Damit wir den Glauben nicht verlieren. Den Glauben an den
Traum …
Es war einmal eine Zeit, da kam der große Friede über das Bachtal. Das Wasser hörte auf, vom Himmel
zu fallen …“
„Wann war das?“, rief die junge Eintagsfliege begierig. „Wann wird das wieder sein?“
„Es ist ein Märchen, Kind! Begreifst du denn nicht? Bei einem Märchen fragt man nicht nach dem Wann.
Also: Das Wasser hörte auf, vom Himmel zu fallen, und die Winde hörten auf zu toben. Der schwarzgraue
Himmel öffnete sich, und ein neuer Himmel erschien, hoch und blau . . . . Über diesen blauen Himmel
aber wanderte ein herrliches goldenes Wesen, das warme Strahlen auf die Erde hernieder schickte. Und
siehe, nun stiegen Eintagsfliegen aus tausend Verstecken zu beiden Seiten des Baches. Sie hoben sich
allüberall in die laue, stille Luft. Zu Tausenden tanzten sie über dem Tal. Und des Jubels war kein Ende.
Dies war das Märchen. Bewahre es gut in deinem Herzen, und gib es denen weiter, die nach dir kommen
werden. Meine letzte Sekunde ist angebrochen. Lebe wohl!“
Werner HEISENBERG: Der Teil und das Ganze
Vielleicht erscheinen uns Gestalten wie Bach oder Mozart nur deshalb als Könige der Musik, weil sie für
zwei Jahrhunderte so vielen kleineren Musikern die Möglichkeit gegeben haben, in größter Sorgfalt und
Gewissenhaftigkeit ihre Gedanken nachzuvollziehen, neu zu interpretieren und damit den Zuhörern
verständlich zu machen. Und selbst die Zuhörer nehmen noch an dieser Arbeit des sorgfältigen
Nachvollziehens und Interpretierens teil, und dabei werden ihnen jene Inhalte gegenwärtig, die von den
großen Musikern dargestellt worden sind.
Wenn man die historische Entwicklung ansieht – und das scheint mir für die Künste und die
Wissenschaften in gleicher Weise zuzutreffen –, so muss es in jeder Disziplin lange Zeiten der Ruhe oder
einer nur langsamen Entwicklung geben. Auch in diesen Zeiten kommt es auf die gewissenhafte, bis in alle
Einzelheiten genaue Arbeit an. Alles, was nicht mit vollem Einsatz gemacht ist, wird sowieso vergessen
und verdient nicht, auch nur erwähnt zu werden. Aber dann bringt dieser langsame Prozess, in dem sich
mit dem Wandel der Zeiten auch der Inhalt der betreffenden Disziplin verändert, plötzlich und manchmal
ganz unerwartet neue Möglichkeiten, neue Inhalte hervor. Große Begabungen werden von diesem Vorgang,
von den Wachstumskräften, die hier spürbar werden, gewissermaßen magisch angezogen, und so kommt
es, dass innerhalb weniger Jahrzehnte auf einem engen Raum die bedeutendsten Kunstwerke geschaffen
oder wissenschaftliche Entdeckungen größter Wichtigkeit gemacht werden. Die großen Begabungen geben
den neuen geistigen Inhalten zwar ihre äußere Darstellung, sie schaffen die gültigen Formen, in denen sich
die weitere Entwicklung vollzieht; aber sie bringen die neuen Inhalte doch nicht eigentlich selbst hervor.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Werner HEISENBERG: Ordnung der Wirklichkeit
Beim geistigen Bereich ist es auch – noch mehr als etwa beim biologischen Bereich – offensichtlich,
dass es sich um Zusammenhänge handelt, die nicht in einfacher Weise auf Raum und Zeit bezogen oder in
Raum und Zeit geordnet werden können.
Eine Ordnung der Gedanken etwa nach ihrem Inhalt oder ihrer logischen Verknüpfung ist ungleich
wichtiger. Auch kommt man, wenn man eine raum-zeitliche Ordnung der Gedanken durch ihren Träger
vornehmen will, auf die alten, von den Philosophen so oft diskutierte Fragen: An welcher Stelle des
menschlichen Körpers hat die Seele ihren Sitz? – Ist sie nicht überall im Körper gegenwärtig, da wir doch
an allen Teilen des Körpers empfinden und handeln können? – usw.
Man erkennt aus diesen Fragen, dass man den geistigen Vorgängen Gewalt antun muss, wenn man sie in
ganz bestimmter Weise in Raum und Zeit einordnen will.
Hartmut von HENTIG: Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit
Rückblickend auf die eigene Kindheit und Jugend, rückblickend auf diese ersten Jahre in einer
pädagogischen Gemeinschaft und – diesmal bewusst – von mir inzwischen bekannten Theorien absehend,
bin ich geneigt, Bildung und Erziehung ganz anders zu verteilen – nicht nach Absichten, Zeiten,
Gegenständen und Tätigkeiten, sondern nach Wirkungen. Drei Viertel von dem, was der Bildung zugedacht
war, wirkte nicht „bildend“. Drei Viertel von dem, was auch noch geschah, hat uns gebildet – hat das,
was der bildende Unterricht als mehr oder weniger totes Gestein anlieferte, geordnet, zu einem Gebäude
/ Gebilde zusammengesetzt und mit Sinn versehen. Und an dem Gebilde bauen wir – wir alle – unser
ganzes Leben lang. Das sich bildende Gebilde sind wir selbst.
Eugen HERRIGEL: Zen in der Kunst des Bogenschiessens
„Wissen Sie, weshalb Sie auf den Abschuss nicht warten können und weshalb der Atem in Not gerät,
bevor er gefallen ist? Der rechte Schuss im rechten Augenblick bleibt aus, weil Sie nicht von sich selbst
loskommen. Sie spannen sich nicht auf die Erfüllung hin, sondern warten auf Ihr Versagen. Solange dem so
ist, bleibt Ihnen keine andere Wahl, als ein von Ihnen unabhängiges Geschehen selbst hervorzurufen, und
solange Sie es hervorrufen, öffnet sich Ihre Hand nicht in der rechten Weise – wie die Hand eines Kindes;
sie platzt nicht auf, wie die Schale einer reifen Frucht.“
„Aber schließlich spanne ich den Bogen und löse den Schuss, um das Ziel zu treffen. Das Spannen ist also
Mittel zum Zweck. Und diese Beziehung kann ich nicht aus dem Auge verlieren. Das Kind kennt sie noch
nicht, ich aber kann sie nicht mehr ausschalten.“
„Die rechte Kunst“, rief da der Meister aus, „ist zwecklos, absichtslos! Je hartnäckiger Sie dabei
bleiben, das Abschießen des Pfeiles erlernen zu wollen, damit Sie das Ziel sicher treffen, um so weniger
wird das eine gelingen, um so ferner das andere rücken. Es steht Ihnen im Wege, dass Sie einen viel zu
willigen Willen haben. Was Sie nicht tun, das, meinen Sie, geschehe nicht.“
Heinrich JACOBY: Musik, Gespräche – Versuche
An den Anfang der Arbeit darf nicht mehr die Aufgabe gestellt werden, das schlechte oder „unbegabte“
Gehör oder rhythmische Empfinden oder Gedächtnis zu üben oder zu verbessern. Es muss vielmehr zuvor
festgestellt werden, wodurch die Bereitschaft des Schülers, von seinen latenten Fähigkeiten Gebrauch zu
machen, gestört worden sei. Zur wichtigsten Aufgabe wird es, diese Funktionsbereitschaft auszulösen, die
Bereitschaft, von dem, was einem jeweils widerfährt – auch dann widerfährt, wenn man nichts zu merken
glaubt –, bewusst Notiz zu nehmen. Wenn man das Wesen des hier nötigen erzieherischen und
psychologischen Verhaltens überhaupt durch ein Wort charakterisieren will, so könnte man das, was zu
geschehen hat, vielleicht als Bewusst - Seins - Erweiterung anstreben, nicht aber als Sinnesschulung! Es
handelt sich hier, wie bei aller unmittelbaren Wahrnehmung, um ein Ganzheitsproblem, um Bewusst werden - Lassen von Zustandsänderungen, die immer den Gesamtzustand betreffen, und die um so eher
von uns missverständlich interpretiert werden müssen, je isolierter wir sie zur Kenntnis nehmen.
KAMPER / WULF: Das Schwinden der Sinne
Eine Form des Sehens, in der sich der Macht- und Kontrollanspruch des Menschen den Sehgegenständen
gegenüber noch nicht durchgesetzt hat, in der aber auch nicht das Sichtbare den individuellen
Leidenschaften geopfert wird, ist das von Goethe im Rahmen seiner naturwissenschaftlichen Studien
entwickelte „anschauende Denken“. Eine Maxime Goethes formuliert die Grundlage dieses Zugangs zur
Welt:
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
„Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermaßen zum
lebendigen Anschauen der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu halten, nach dem
Beispiel, mit welchem sie uns vorangeht.“ Nicht die Gewinnung eines Standpunktes, von dem aus die
Naturphänomene in objektiver Distanz zu beschreiben und zu vermessen sind, ist das Ziel des
anschauenden Denkens. Vielmehr gilt es, sich „lebendig und bildsam“ wie die Natur zu verhalten, mit den
Augen ihrem Wachsen und Gestalten zu folgen und sich in „nachschaffender Bildsamkeit zu üben“.
In diesem Prozess muss man sich einer schnellen sprachlichen Deutung enthalten, damit der Reichtum
der geschauten Gestalt in der inneren Anschauung zur Entfaltung kommt. Eine eilige begriffliche Fassung
würde die Lebendigkeit der geschauten Gestalt erledigen.
„Man suche nicht hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre.“ Deutlicher kann das Ziel eines
anschauenden Denkens nicht formuliert werden, das sich dem distanzierten, und einordnenden Blick der
entstehenden Wissenschaften zu widersetzen versucht.
Erhart KÄSTNER: Aufstand der Dinge
Numen inest
Ein griechischer Freund erzählte mir vor Langem: Begleitet von einem Deutschen, habe er eines Tages
die Hagia Sophia betreten. Für ihn, den Griechen, sei es die dreißigste oder vierzigste Wallfahrt nach dem
verlorenen Jerusalem seines geliebten Vaterlandes gewesen, für den Deutschen jedoch die erste.
Der Augenblick, wenn der Besucher von der Vorhalle, dem Narthex, durch das Kaiserportal in das
Kircheninnere geht, ist für jeden der große Moment. Wenn sich die Wölbung eröffnet und die mütterlich
warme Höhle ihn aufnimmt, wenn durch die vierzig Fenster, die hoch droben am Fußring der Kuppel wie
Tropfen hängen, Lichtfahnen einfahren: so ist er angekommen, von wo es ihn nicht anderswohin drängt.
In eben dem Augenblick, so erzählte mein Freund, habe der Deutsche den Fuß zurückgenommen, sich
abgewandt und gemurmelt: „Numen inest.“
Es wird sich nie aufhellen lassen, warum sich manche Sätze im Gedächtnis festhängen, in demselben
Gedächtnis, das doch zu seinem Glück, zu seiner Gesundheit ununterbrochen vergisst. Die Geschichte
blieb mir.
Offenbar fühlte der Deutsche sich nicht verpflichtet, seine Aufmerksamkeit sogleich dem zuzuwenden,
was sonst so wichtig gemacht wird: Grundriss und Maße, Säulenordnung und Stil, Historie, Daten,
Materialien, Herkünfte. Alles dies Gegenständliche, womit die datenversessene Neuzeit sich davor drückt,
die Dinge dieser Welt in ihrem Recht sein zu lassen, in demselben Recht, in dem wir sind.
Er, immerhin, hatte den Mut, diesen Bau nicht gegenständlich zu sehen. Er nahm wahr, was den Raum
füllte. Nicht so sehr, was ihn eingrenzte, nicht so sehr das Gewände.
Numen inest. Das hieße: Hier waltet etwas, das in der Welt ist, doch offenbar nicht aus ihr stammt.
Numen, der Wink, die Nachricht, deren Absender man nicht kennt.
Erhart KÄSTNER: Über die Macht (aus > „Aufstand der Dinge“)
Dieser mächtige Wölb - Raum (der Hagia Sophia, Istanbul), ich nehme ihn für den Erz- und Inbegriff
dessen, was Macht ist. Macht ist also, was den Übermächtigten reicher macht, keineswegs schwächer und
ärmer. Diese Erfahrung hat, wer in diesem Raum steht. Macht, ursprünglich, beim Wort genommen, ist
also nicht etwas, was sich auf Kosten Anderer ergibt, aus deren Schwächung. Das Wort Macht ist einer
Verderbnis erlegen oder doch einer Verformung. Macht, aus der Lebensmacht Anderer gestohlen: das ist
ihr Missbrauch.
Es wird den Weltlauf nicht ändern, wenn man das Wort Macht richtig stellt. Macht wird, wie von jeher,
allermeist dadurch entstehen, dass die Einen die Anderen zu unterdrücken bestrebt sind, denn das ist die
gemeinste und billigste Sorte Macht, die zu Markt steht.
Dennoch, ich folge dem Kung fu Dse nach, wenn ich meine: Wenn das Wort Macht von seinem Zenit aus
gehört wird, scheint etwas in Ordnung gekommen. Wenn die Mächtigen, die es geben muss, ihren Begriff
von Macht von dorther ziehen, so scheint mir etwas gewonnen.
Zu Macht kommen heißt, zu seiner höchsten Möglichkeit kommen. In Macht sein: Sonnenhochstand.
Macht: eines Dinges großer Moment, seine Glücksstunde. Macht: wenn etwas ganz bei sich selbst ist.
Heinrich von KLEIST: Über das Marionettentheater
Jede Bewegung hat einen Schwerpunkt. Es ist genug, diesen, im Inneren der Figur, zu regieren. Die
Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgendein Zutun, von selbst. Die Linie nun, die
dieser Schwerpunkt zu beschreiben hat, ist einerseits etwas sehr Einfaches und andererseits etwas sehr
Geheimnisvolles. Denn sie ist nichts anderes als der Weg der Seele des Tänzers. Und sie kann nicht anders
gefunden werden als dadurch, dass der Puppenspieler sich in den Schwerpunkt der Marionette versetzt,
das heißt, mit anderen Worten, tanzt.
Allgemeine Didaktik
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Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Was ist der Vorteil, den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraushaben würde?
Der Vorteil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, dass sie sich niemals
zierte. – Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele in irgendeinem anderen Punkte
befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung. Da der Maschinist nun schlechthin, vermittelst des
Drahtes oder Fadens, keinen andern Punkt in seiner Gewalt hat, als diesen: so sind alle übrigen Glieder,
was sie sein sollen, tot, reine Pendel, und folgen dem bloßen Gesetz der Schwere; eine vortreffliche
Eigenschaft, die man vergebens bei dem größten Teil unserer Tänzer sucht.
Sehen Sie nur die P. an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm
umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes ... Sehen Sie den jungen F. an, wenn er, als Paris,
unter den drei Göttinnen steht, und der Venus den Apfel überreicht: die Seele sitzt ihm gar (es ist ein
Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.
Solche Missgriffe, setzte er abbrechend hinzu, sind unvermeidlich, seitdem wir von dem Baum der
Erkenntnis gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub ist hinter uns, wir müssen die
Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.
Arthur KOESTLER. Die Armut der Psychologie
Ich persönlich würde den Zweck der Bildung in einer „geistigen Katalyse“ sehen. Beeinflussen heißt
letzten Endes beherrschen; ein Katalysator dagegen löst eine chemische Reaktion aus oder beschleunigt
sie, ohne an dem Ergebnis irgendwie teilzuhaben und ohne selbst verändert zu werden. Auf die Gefahr
hin, eine Binsenweisheit von mir zu geben: Jemand, der bildet, fungiert im Idealfall als Katalysator, nicht
als Konditionierer.
Um aber Freude an der Kunst der Entdeckung (wie an allen anderen Künsten auch) zu finden, muss der
Student den schöpferischen Prozess wenigstens in bestimmten Grenzen nachvollziehen. Mit anderen
Worten: Man muss ihn dahin bringen – mit entsprechender Anleitung und Hilfe –, bestimmte Entdeckungen
selbst noch einmal zu machen.
Das bedeutet weiterhin, dass dem aufnahmebereiten jungen Menschen Rätsel „aufgegeben“ werden
sollten; denn das Lösen von Problemen ist die produktivste Form des Lernens. Die traditionellen Methoden
dagegen stellen den Schüler gar nicht erst vor das Problem, sondern sofort vor die fertige Lösung,
versagen ihm also jeden Nervenkitzel, ersticken jede schöpferische Regung und reduzieren das Abenteuer
der Menschheit zu einem staubigen Haufen von Theoremen.
Kunst ist eine Form von Kommunikation, die ein Echo ihrer Schöpfung auslösen will. Bildung sollte als
Kunst betrachtet werden und daher ihrerseits die Methoden verwenden, die der Kunst dieses Echo sichern.
Konrad LORENZ: Die Rückseite des Spiegels
Auch heute noch blickt der Realist nur nach außen und ist sich nicht bewusst, ein Spiegel zu sein. Auch
heute noch blickt der Idealist nur in den Spiegel und kehrt der realen Außenwelt den Rücken zu. Die
Blickrichtung beider verhindert sie zu sehen, dass der Spiegel eine nicht spiegelnde Rückseite hat, eine
Seite, die ihn in eine Reihe mit den realen Dingen stellt, die er spiegelt: der physiologische Apparat,
dessen Leistung im Erkennen der wirklichen Welt besteht, ist nicht weniger wirklich als sie. Von der
Rückseite dieses Spiegels handelt dieses Buch.
Konrad LORENZ: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit
Wir ermangeln nicht der Hindernisse, die wir überwinden müssen, soll die Menschheit nicht zugrunde
gehen, und der Sieg über sie ist fürwahr schwer genug, um befriedigende Bewährungssituationen für jeden
einzelnen von uns zu liefern. Es müsste eine durchaus erfüllbare Aufgabe der Erziehung sein, die Existenz
dieser Hindernisse allgemein bekannt zu machen. – Man muss sich fragen, was der heutigen Menschheit
größeren Schaden an ihrer Seele zufügt: die verblendende Geldgier oder die zermürbende Hast. Welches
von beiden es auch sei, es liegt im Sinne der Machthabenden aller politischen Richtungen, beides zu
fördern und jene Motivationen bis zur Hypertrophie zu steigern, die den Menschen zum Wettbewerb
antreiben. Meines Wissens liegt noch keine tiefenpsychologische Analyse dieser Motivationen vor, ich halte
es aber für sehr wahrscheinlich, dass neben der Gier nach Besitz oder nach höherer Rangordnungsstellung,
oder nach beidem auch die Angst eine sehr wesentliche Rolle spielt, Angst, im Wettlauf überholt zu
werden, Angst vor Verarmung, Angst, falsche Entscheidungen zu treffen und der ganzen aufreibenden
Situation nicht mehr gewachsen zu sein. Der hastende Mensch ist sicher nicht nur von Gier gelockt, – die
stärksten Lockungen würden ihn nicht zu so energischer Selbstbeschädigung veranlassen können, – er ist
getrieben, und was ihn treibt, kann nur Angst sein.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Ängstliche Hast und hastende Angst tragen (u. a.) dazu bei, den Menschen seiner Fähigkeit zu
reflektieren zu berauben. Ein Wesen, das aufhört zu reflektieren, ist in Gefahr, all die spezifisch
menschlichen Eigenschaften zu Leistungen zu verlieren.
MATURANA / VARELA: Der Baum der Erkenntnis
Der Augenblick der Reflexion vor einem Spiegel ist immer ein ganz besonderer Augenblick, weil es der
Augenblick ist, in dem wir uns des Teiles unserer selbst bewusst werden, den wir auf keine andere Weise
sehen können. Die Reflexion ist ein Prozess, indem wir erkennen, wie wir erkennen, das heißt eine
Handlung, bei der wir auf uns selbst zurückgreifen. Sie ist die einzige Gelegenheit, bei der es uns möglich
ist, unsere Blindheiten zu entdecken und anzuerkennen, dass die Gewissheiten und die Erkenntnisse der
anderen ebenso überwältigend und ebenso unsicher sind wie unsere eigenen.
Wir haben den Leser eingeladen, von der Frucht des Baumes der Erkenntnis zu essen, indem wir ihm
eine wissenschaftliche Untersuchung der Erkenntnis als biologisches Phänomen vorgelegt haben. Und wenn
wir der Argumentation dieses Buches gefolgt sind und seine Konsequenzen verinnerlicht haben, stellen wir
auch fest, dass diese unentrinnbar sind.
Die Erkenntnis der Erkenntnis verpflichtet.
Sie verpflichtet uns zu einer Haltung ständiger Wachsamkeit gegenüber der Versuchung der Gewissheit.
Sie verpflichtet uns dazu einzusehen, dass unsere Gewissheiten keine Beweise der Wahrheit sind, dass die
Welt, die jedermann sieht, nicht die Welt ist, sondern eine Welt, die wir mit anderen hervorbringen. Sie
verpflichtet uns dazu zu sehen, dass die Welt sich nur ändern wird, wenn wir anders leben. Sie
verpflichtet uns, da wir, wenn wir wissen, dass wir wissen, uns selbst und anderen gegenüber nicht mehr
so tun können, als wüssten wir nicht.
Ilse MIDDENDORF: Der erfahrbare Atem
Zwischen unbewusstem Atmen und willkürlichem Atem: der erfahrbare Atem.
Wir lassen unseren Atem kommen,
wir lassen ihn gehen
und warten,
bis er von selber wiederkommt.
Die Dreiheit: atmen, sammeln, empfinden ist die Grundlage des Übens am Erfahrbaren Atem. Sammeln
heißt anwesend sein: ich bin in einer Körpergegend anwesend, d.h. meine Achtsamkeit richtet meine
ganzheitlichen Kräfte zu gewählten Gegend hin. Bin ich anwesend, so bildet sich Kraft. Kraft ist
Sammlung, aus der Wesentliches entsteht. Sie bildet die vom Wesen nicht getrennte Ich - Kraft, die
gleichzeitig Bewusstheit ist.
(Achte auf die Unterscheidung: SAMMLUNG = Sammeln aller Lebensäußerungen auf einen Raum, eine
zentrale Gegend hin; KONZENTRATION = Sammeln auf einen Punkt unter Ausschluss aller anderen
Lebensäußerungen.)
Empfindungsfähigkeit: Die Präzision unserer Arbeit am Atem verlangt eine durchgehende
Empfindungsfähigkeit, welche Wahrnehmung vermittelt, ohne die wir z.B. einer Atembewegung gar nicht
innewerden könnten. Eine der köstlichsten Gaben des Atems ist die ganzheitliche Empfindungsfähigkeit,
die uns ein sehr großes Feld an Bewusstseinserweiterung ermöglicht.
Maria MONTESSORI: Kinder sind anders
Der Lehrer wäre im Irrtum, der meinte, der könne sich auf seine Aufgabe ausschließlich durch Studium
und Anhäufung von Wissen vorbereiten: in allererster Linie ist für ihn eine klare innere Haltung
erforderlich.
Wir bestehen mit Nachdruck darauf, dass der Lehrer sich innerlich vorbereiten muss: er muss mit
Beharrlichkeit und Methode sich selber studieren, damit es ihm gelingt, seine hartnäckigsten Mängel zu
beseitigen, eben die, die seiner Beziehung zum Kinde hinderlich sind. Um diese verborgenen Mängel zum
Bewusstsein zu bringen, haben wir Hilfe von außen nötig, bedarf es einer gewissen Weisung; es ist
unumgänglich, dass jemand uns auf das hinweist, was wir in uns erkennen sollen.
Die Vorbereitung, die unsere Methode vom Lehrer verlangt, besteht in Selbstprüfung und im Verzicht auf
Tyrannei. Er muss aus seinem Herzen Zorn und Stolz verbannen, muss lernen, demütig zu sein, und sich in
Liebe kleiden. Das ist die innere Haltung, die er einnehmen muss, die Grundlage, auf der es sich zur
Ausgewogenheit gelangen lässt, der unentbehrliche Stützpunkt für sein Gleichgewicht. Darin besteht die
innere Vorbereitung: Ihr Ausgangspunkt und ihr Ziel.
Wir sollen andererseits natürlich nicht das auslöschen, was bei der Erziehung helfen kann und muss,
wohl aber jene innere Haltung des Erwachsenen überwinden, die uns am Verstehen der Kinder hindert.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Jean PIAGET: Das Weltbild des Kindes
Das Problem, das wir hier untersuchen wollen, ist eines der wichtigsten, aber auch eines der
schwierigsten der Kinderpsychologie: Welche Vorstellungen haben die Kinder in den verschiedenen Stadien
ihrer intellektuellen Entwicklung spontan von der Welt?
Das Problem hat zwei wesentliche Aspekte:
Die WIRKLICHKEIT BEIM KIND; die Frage nach der Modalität des kindlichen Denkens: Auf welchen
Wirklichkeitsebenen bewegt sich dieses Denken?
Die KAUSALITÄT BEIM KIND; die Frage nach der Erklärung beim Kind: Wie gebraucht das Kind die Begriffe
Ursache und Gesetzmäßigkeit? Welche Struktur hat die kindliche Kausalität? Mit der Realität und der
Kausalität beim Kind setzen wir uns in diesem Buch auseinander.
Georg PICHT: Kunst und Mythos
Die Worte „Kunst“ und „Mythos“ verweisen das Denken in ein für das moderne Bewusstsein verdunkeltes
Reich. Wir wissen nicht, was sie bedeuten. Der ideologische Missbrauch von Phantomen des Mythos und
der spätbürgerliche Ausverkauf von Kunst bezeugen nicht die Gegenwart, sondern das Verschwinden
dessen, womit hier umgegangen wird. Auch die wissenschaftliche Erforschung der Künste und der
Religionen aller Völker konnte sich nur deshalb ausbreiten, weil Kunst und Mythos selbst ihre Macht über
menschliches Bewusstsein verloren hatten. Die Wissenschaft steht außerhalb der Sphäre ihrer
Gegenstände. Sie konstituiert sich, wie allein schon ihre Sprache bezeugt, durch eine eigentümliche
Blindheit gegen mythische Welterfahrung und künstlerische Form. So sanktioniert neuzeitliche
Wissenschaft eine Einstellung des Bewusstseins, die Kunst und Mythos nicht einmal mehr negieren kann,
weil sie so beschaffen ist, dass das, was negiert zu werden scheint, gar nicht mehr wahrgenommen wird.
Wir sind nicht mehr naiv genug, um eine solche Wandlung des Bewusstseins unreflektiert als Fortschritt
der Aufklärung ausgeben zu können. Sie spiegelt historische Prozesse wider, denen sich die moderne
Zivilisation unkritisch ausgeliefert hat. Als bloße Widerspiegelung ist sie unaufgeklärt. Man kann
historische Prozesse nicht rückgängig machen, aber man kann versuchen, sie zu durchschauen. Für die
Geschichte gilt dasselbe wie für die Biographie: in ihrer Tiefe versteht man sie nur, wenn man entdeckt,
was sie verdrängt. Wer nicht davon ablässt, Aufklärung des Bewusstseins - also Philosophie - für
unentbehrlich zu halten, wird deshalb in jene Bereiche vordringen müssen, vor denen unsere Zivilisation
zurückschreckt. Er wird das Reich von Kunst und Mythos aufsuchen müssen, wenn er den Durchbruch in die
wirkliche Gegenwart unserer Geschichtsepoche vollziehen will.
PLATON: Der Staat
Diese geistige Kraft in der Seele eines jeden und das Organ, mit dem jeder lernt, das muss man, genauso
wie beim Auge, das man nicht anders als mit dem ganzen Körper vom Dunkel ins Licht wenden kann, mit
der ganzen Seele aus der Welt des Werdens herumdrehen, bis sie fähig wird, den Blick in das Seiende, ja
in das Hellste des Seienden, auszuhalten; dies Hellste aber ist, wie wir sagen, das Gute.
Darum geht nun die Erziehungskunst, um diese Umwendung, und zwar um die leichteste und
erfolgreichste Art, nicht um die Kunst, ihm das Sehen einzupflanzen, sondern, da er ja die Kraft besitzt,
nur sie nicht richtig gewendet hat und nicht dorthin blickt, wo er soll, eben dies (die Umwendung) zu
bewirken.
Rients R. RITSKES. Zen in der Kunst des Lernens
In jedem Augenblick können wir etwas lernen. Die Zen - Übung zielt darauf, uns dies zu Bewusstsein zu
bringen. Wir können immer und überall etwas lernen. In diesem Zusammenhang ist unwichtig, was wir
tun. Entscheidend ist, wie wir es tun.
Konzentration ist dabei ein äußerst wichtiger Aspekt. Bei allem, was wir tun, können wir versuchen,
unser Konzentrationsvermögen zu schärfen, indem wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir jede
Tätigkeit als Konzentrationsübung nutzen können. Ob es sich dabei um das Lesen oder Schreiben eines
Buches handelt oder um das Trinken einer Tasse Tee, ist unwesentlich.
Wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind, was wir im Grunde unseres Wesens wollen, dahin wir
unser tägliches Tun darauf ausrichten können. Welche konkreten Ziele wir wählen, scheint dabei weniger
wichtig zu sein als die Tatsache, dass wir auf bewusst gewählte Ziele hinarbeiten. Das Ziel muss etwas
sein, das wir wirklich erreichen wollen. Sich mit irgendetwas zu identifizieren bedeutet hier, eins damit
sein zu können.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
RUMPF / KRANICH: Welche Art von Wissen braucht der Lehrer?
.... Die Vorbereitung auf eine Unterrichtsstunde kann dann allerdings nicht mehr nur darin bestehen,
dass man sich den Stoff in einer methodisch geschickten Weise zurechtlegt, einige motivierende Elemente
einbaut und sich dabei an bestimmten Lernzielen orientiert. Der wichtigste Teil dessen, was man für
einen Unterricht inhaltlich zu leisten hat, besteht eben darin, dass man sich immer wieder neu mit den
Phänomenen befasst, um sich mit den Dingen erlebend zu verbinden. Es dürfte deutlich sein, dass mit
Erleben nicht das gemeint ist, was man meistens mit diesem Wort bezeichnet: ein diffuses Reagieren der
Gefühle auf irgendwelche Eindrücke. Und das pädagogische Ziel ist das Gegenteil der so genannten
Erlebnispädagogik, der die Sache über einem angeheizten Erleben leicht entschwindet. Es geht dagegen
um Erweiterung des Horizontes, in der die ursprünglichste Kraft des Lernens, das Interesse, wirksam wird
und Fragen entstehen. Damit wird das Erleben für den Lehrer und seine Schüler zur Grundlage für eine
weitere Stufe des Lernens.
Erwin SCHRÖDINGER: Mein Leben - meine Weltansicht
Das wahre Übel ist dies: die Ausprägung des Gedankens in das mittelbare und merkbare Wort gleicht der
Arbeit des Seidenspinners. Erst durch diese Formung erhält der Stoff seinen Wert. Aber am Licht des
Tages erstarrt er, wird ein Fremdes, nicht mehr Formbares. Wir können damit denselben Gedanken zwar
leichter und nach Wunsch zurückrufen, aber wir können ihn vielleicht nie wieder in derselben
Ursprünglichkeit erleben wie vorher. - Darum sind und bleiben die letzten und tiefsten Erkenntnisse immer
voce meliora.
Erwin SCHRÖDINGER: Geist und Materie
Es sind die gleichen Gegebenheiten, aus denen mein Geist und die Welt gebildet sind. Die Lage ist für
jeden Geist und seine Welt die gleiche, trotz der unermesslichen Fülle der „Querverbindungen“ zwischen
ihnen. Die Welt gibt es für mich nur einmal, nicht eine existierende und eine wahrgenommene Welt.
Subjekt und Objekt sind nur eines. Man kann nicht sagen, die Schranke zwischen ihnen sei unter dem
Ansturm neuester physikalischer Erfahrungen gefallen; denn diese Schranke gibt es gar nicht.
Erwin SCHRÖDINGER: Die Natur und die Griechen
Ich halte es tatsächlich für wahr, dass ich meinen Geist aus dem Bild fortlasse, wenn ich die reale
Außenwelt konstruiere. Und dieses Fortlassens bin ich nicht gewahr, und dann bin ich sehr erstaunt, dass
mein Bild der realen Außenwelt sehr mangelhaft ist. Es liefert eine Menge faktischer Information, bringt
all unsere Erfahrung in eine wundervoll systematische Ordnung, aber es hüllt sich in tödliches Schweigen
über alles und jedes, was unserm Herzen wirklich nahe steht, was uns wirklich etwas bedeutet. Es sagt uns
kein Wort über rot und blau, bitter und süß, körperlichen Schmerz oder körperliche Lust; es weiß nichts
von schön und hässlich, gut oder schlecht, nichts von Gott und Ewigkeit. Die Naturwissenschaft gibt
gelegentlich vor, auf Fragen aus diesen Bereichen zu antworten, aber die Antworten sind oft so albern,
dass wir sie nicht ernst nehmen mögen.
George STEINER: Von realer Gegenwart
Einer der radikalen Geister des gegenwärtigen Denkens hat gesagt, es sei die Aufgabe dieses finsteren
Zeitalters, „Menschlichkeit neu zu erlernen“. Auf einer beschränkteren Ebene müssen wir, so denke ich,
neu erlernen, worin eine umfassende Erfahrung schöpferisch hervorgebrachten Sinnes besteht, eine
Erfahrung des Rätsels des Schaffensprozesses, wie er im Gedicht, im Gemälde, in musikalischer Aussage
wahrnehmbar wird. Zu diesem Zwecke möchte ich mit einer Parabel oder einer rationalen Fiktion
beginnen. Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der jedes Gespräch über Kunst, Musik und Literatur
verboten ist. In dieser Gesellschaft gilt jedweder Diskurs, sei er mündlich oder schriftlich, über
ernstzunehmende Bücher oder Gemälde oder Musikstücke als illegales Geschwätz.
Unsere imaginäre Stadt ist also eine, in der Menschen die Künste des Lesens, der Musik, der Malerei oder
Bildhauerei auf direktestmögliche Weise praktizieren. Die große Mehrheit von ihnen, die selbst weder
Schriftsteller noch Maler noch Komponisten sind, werden, soweit es in ihren Fähigkeiten und ihrer Freiheit
liegt, Reagierende sein, aktiv Antwortende. Sie werden auswendig lernen und dabei des elementaren
Impulses der Liebe innewerden, der dieses Idiom auszeichnet; und sie wissen, dass der „Amateur“ der
Liebhaber (amatore) dessen ist, was er kennt und ausführt. Was sich an akademisch - journalistischen
Paraphrasen, Kommentaren, Richtsprüchen dazwischenschiebt, ist ausgeschaltet. Interpretation wird in
größtmöglichem Maß gelebt.
Allgemeine Didaktik
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Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Das Kunstwerk, um ihm neu zu begegnen, sei zu behandeln als ein Gast, ein Fremder, der plötzlich
erscheint in unserem gewöhnlichen Alltag, dessen Ankunft Freude und leise Furcht begleiten. Dem
Verstehen der Andersheit sind Grenzen gesetzt; mehr als Annäherung, als ein Umgang der „kardinalen
Diskretionen“ ist nicht möglich. Wichtiger ist, wie sich der Empfangende verhält: ob seine Begabung
ausreicht, sich überwältigen zu lassen; ob er stark genug und widerstandslos zugleich sein wird für das
singuläre Zustoßen eines Gedichts, einer Musik, einer Plastik, und bedachtsam genug, um das Fremde
nicht dem Vielen einzumischen, es nicht zu verbrauchen und mit allem übrigen durcheinander zu bringen.
Charles TART: Hellwach und bewusst leben
Der Mensch ist eine Maschine. (G.I.Gurdjieff)
Einer der beunruhigendsten und beleidigendsten Aussprüche Gurdjieffs war, dass der Mensch eine
Maschine sei. Maschinen sind lärmende, schmutzige, geistlose Dinge, die eine stupide Aufgabe endlos
wiederholen, von außen kontrolliert werden, irgendwann kaputtgehen und dann unbrauchbar sind. „Und
so etwas bin ich doch wohl nicht!“ Die Vorstellung ist für die meisten Menschen ziemlich beunruhigend.
Sie streiten vehement ab, Maschinen zu gleichen, und natürlich erst recht, Maschinen zu sein.
Psychologisch betrachtet, ist dies höchst interessant. Wenn die Vorstellung, dass der Mensch eine
Maschine ist, wirklich unsinnig wäre, warum regt sich dann überhaupt jemand darüber auf? Die
Tiefenpsychologie lehrt, wenn Menschen etwas vehement abstreiten, so enthält es doch oft zumindest ein
Körnchen Wahrheit. Leider hatte Gurdjieff recht: In vielerlei Hinsicht sind wir Maschinen, ohne es zu
merken. Und das sollte uns beunruhigen!
Gurdjieff ging es nicht um gewöhnliche, mechanische gesellschaftliche Zustimmung. Er wollte die
Menschen bewusst schockieren, um so die Möglichkeit zu schaffen, mit jener Arbeit zu beginnen, die uns
über das Maschine - Sein hinausführt. Die akademische Psychologie erkennt nicht an, dass es möglich ist,
aufzuwachen und über ein rein mechanisches Dasein hinauszuwachsen. Deshalb verschleiert sie ihre
entmenschlichenden philosophischen Grundlagen sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber.
Indem wir Maschinen erforschen, können wir etwas über uns selbst lernen. Wenn wir jedoch unsere
maschinenartigen Eigenschaften vollständig erkennen und studieren, können wir einen Schritt tun, der
keiner anderen Maschine möglich ist: Wir können wirklich menschlich werden und die maschinenartigen
Eigenschaften samt unserem damit verbundenen Schicksal transzendieren.
Henry D. THOREAU: Leben aus den Wurzeln
Verfolge dein Leben, halte Schritt mit ihm, gehe immer wieder im Kreis um dein Leben wie ein Hund um
die Kalesche seines Herrn. Tue das, was du liebst. Kenne deinen eigenen Knochen; nage an ihm, vergrabe
ihn, grabe ihn wieder aus und nage weiter daran.
Sei nicht zu moralisch. Auf diese Weise bringst du dich um ein gutes Stück deines Lebens. Setz dir ein
Ziel über der Moral. Sei nicht einfach gut - sei für etwas gut.
Alfred A. TOMATIS: Der Klang des Lebens
Das Horchen ist eine Gabe höherer Ordnung, die sich mit Vorliebe und vorrangig das Gehör zunutze
macht. Je besser dieses ist, desto weitgehender gelingt es uns, mit der Wahrnehmung der Klangwelt einer
bestimmten Wirklichkeit nahe zu kommen, die natürlich ihrerseits wiederum den Möglichkeiten des Gehörs
Rechnung trägt. Wenn das Gehör einwandfrei ist, dann sagen wir, dass die betreffende Person hören kann.
Das heißt aber keineswegs, dass sie auch horchen will. Mit anderen Worten: Der Apparat, das Ohr, ist
vorhanden und in der Lage, die eintreffenden Geräusche und Töne aufzufangen. Damit ist jedoch nicht
gesagt, dass auch ein entsprechender Wunsch vorhanden ist: der nämlich, die Laute zu empfangen, sie zu
sammeln, sie miteinander zu verknüpfen, sie zu speichern, sie zu integrieren. Diese Dimension ist das
Merkmal des Horchens, bei dem das Wollen eine entscheidende Rolle spielt. Ein solches Horchen kann
durch die ständig treibende Kraft, die von ihm ausgeht, das Leben des Menschen völlig umgestalten, der
sich ihm mit dem Ziel verschreibt, die Kommunikation mit allem aufzunehmen, was ihn umgibt. Wer das
vorhat, der muss die Welt entdecken, sie sehen, sie benennen, sie mit einer Synthese umgreifen, um
hinter allem Beiwerk das Substrat wahrzunehmen, aus dem alle Erscheinungen erwachsen: das Leben.
Frederic VESTER: Denken, Lernen, Vergessen
Auch die völlig andere Haltung, die wir in unseren Schulen gegenüber dem Fehler einnehmen müssen,
wäre eine Abhandlung wert. Vom Schreib- und Rechenfehler bis zum Denkfehler, zum mangelnden
Weitblick und zur Fehleinschätzung wird der Fehler ja heute immer noch als Beweis für Versagen
angesehen, anstatt ihn als das zu benutzen, was er ist, als Orientierungshilfe.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Denn auch die große positive Bedeutung des Fehlers ergibt sich wieder aus biologischen
Wechselwirkungen. Nur indem wir uns an Fehlern entlangtasten, lernen wir als Säugling das Köpfchen
heben, laufen, uns in der Umwelt zurechtfinden.
So ist die Rückkoppelung mit dem Fehler, die ja nichts anderes als das Tasten eines Lebewesens in
seiner Umwelt ist, der Grundvorgang des Lernens überhaupt. Ihn wieder als solchen einzusetzen, den
Fehler vom Frustrationserlebnis zum Erfolgserlebnis umzuwandeln, wäre eine der wichtigsten Aufgaben
einer Schulerneuerung.
Frederic VESTER: Neuland des Denkens
So wie der einzelne Mensch die Sprache der Natur immer weniger verstand, verlernte er auch die
Sprache seines Organismus. Von der Weisheit der Zellen und ihrer Regelkreise abgeschnitten, versuchte er
nun auf anderem, indirektem Wege, nämlich abstrahierend und analysierend seinen Körper zu verstehen,
ihn zu behandeln, seine Fähigkeiten durch technische Funktionen zu ersetzen, und endete dabei oft nur in
kläglichen Reparaturen: ein Lebewesen, von der Weisheit seiner inneren Natur ebenso getrennt wie von
der Weisheit der es umgebenden Biosphäre.
Und immer noch überschattet der an keiner realen Notwendigkeit orientierte Leistungsdruck oft das
ganze Familienleben. Doch von Leistung im wirklichen Sinne des Wortes kann keine Rede sein. Im
Gegenteil: nicht nur, dass uns auf diese Weise das erwähnte Abenteuer des Lernens entgeht, wir werden
darüber hinaus zu lebenslänglichen Lernkrüppeln gemacht, die jene so wichtige Fähigkeit eines
Lebewesens verloren haben, mit einer ständig sich ändernden Umwelt in lernendem Austausch zu bleiben.
Was wir brauchen, ist also keine Revolution, sondern eine Evolution, ein neues Verständnis der
Wirklichkeit, eine Weiterentwicklung in unserem Denken, ja unserem ganzen Selbstverständnis.
Einer Änderung unseres Denkens und Handelns, wie ich sie in diesem Buch propagiere, steht weniger der
Mangel an geistigen und technischen Möglichkeiten entgegen als vielmehr ein ungeheurer Ballast an
Traditionen, an Lehrmeinungen und Dogmen. Obwohl keineswegs genetisch verankert, wurden sie doch
von Generation zu Generation als unverrückbare „Wahrheiten“ weitergegeben.
Eine der wichtigsten Aufgaben in Richtung eines neuen Denkens wird es daher sein, die eigentliche Natur
jener Normen zu analysieren. Es gilt, die Scheinkonstanten unter ihnen zu erkennen, die - abgesehen von
der Tatsache, dass sie unsere festgefahrene Situation zum Teil mitverschuldet haben - mit unserer
heutigen Realität nicht mehr das Geringste zu tun haben.
Martin WAGENSCHEIN: Erinnerungen für morgen
Eine auf „Mechanik“ verengte Sehweise und Auffassung wird nur dadurch möglich, dass wir uns
verhüllen, alle unsere anderen seelischen Organe abblenden außer dem Mess - Verstand.
Didaktik zeigt „Herz“, sofern sie das eigene Denken der Kinder achtet.
Wenn wir uns verführen lassen, voreilig Halbverstandenes (also Hinfälliges) anzuhäufen, so nehmen wir
dem, was als Lehren und Lernen geschieht, seine pädagogische Würde. Früh missratene Abstraktionen
lassen durch Gewohnheit „aus Spinnweben Drähte werden“. „Jene Menschenklasse“ braucht gerade heute
im strengen Sinne „Verstehen“. Sie weiß bis heute nicht recht (was sie sehr wohl begreifen würde, wenn
die Schule es früh und in Ruhe bewusst machte), warum es unsinnig ist, zu glauben (etwa): Musik sei
„eigentlich“ nichts als Lufterschütterung und Elektronen „nichts als so etwas wie kleine Erbsen“.
Martin WAGENSCHEIN: Verstehen lernen
(Aus der Einführung von Hartmut von Hentig):
Vor zweieinhalb Jahrtausenden ging Sokrates durch die Straßen Athens und brachte seinen Landsleuten
das Fragen wieder bei: das Zutrauen zu dem, was sie selber von der Welt sehen und verstehen konnten,
gegen die Fülle vorgegebener Weisheit - alter und neuer - , wenn sie’s nur wagten. Er ertappte die
Menschen dabei, dass sie sagten, was sie nicht wussten, und - schlimmer noch -, dass sie nicht wussten,
dass sie es nicht wussten.
Wagenschein ist freundlicher als Sokrates, aber er tut das Gleiche mit der gleichen Unerbittlichkeit.
Eigentlich tut Martin Wagenschein nur, was jeder Pädagoge tun sollte: er hilft Kindern beim Lernen. Er ist
kein besonderer Pädagoge, sondern ein wirklicher Pädagoge - aus Liebe zu den Kindern und, wie er in
einer autobiographischen Notiz schreibt: aus einer großen „Lust am Klarmachen“. Dass es seinesgleichen
so selten gibt, dass er gleichsam die Pädagogik im Unterricht wieder entdecken musste, das spricht gegen
unsere Zeit und dafür, wie nötig es ist, auf wirkliche Pädagogen hinzuweisen, solange es sie zufällig noch
gibt: wir brauchen diesen Maßstab.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Alan W. WATTS: Weisheit des ungesicherten Lebens
Wie können wir die Spaltung zwischen dem geistigen „ICH“ und dem physischen „ICH“, zwischen Gehirn
und Körper, Mensch und Natur bereinigen und die vielen circula vitiosa, die sie hervorruft, beenden? Wie
können wir Sicherheit und Frieden des Geistes in einer Welt finden, deren ganze Natur gerade
Unsicherheit, Unbeständigkeit und unaufhörlicher Wechsel ist? Alle diese Fragen verlangen nach Methode
und zielbewusstem Handeln. Zu gleicher Zeit aber beweisen sie, dass das Problem noch nicht verstanden
wurde.
Aber bei einem Problem, das du nicht verstehst, etwas zu tun, hieße die Dunkelheit zu verscheuchen,
indem du sie mit der Hand beiseite schiebst. Sobald Licht gemacht wird, verschwindet die Dunkelheit
sofort.
Licht meint in diesem Falle Gewahrsein, des Lebens gewahr sein, der Erfahrung, wie sie in diesem
Augenblick ist, ohne Urteil oder Ideen darüber. Mit anderen Worten, du sollst, was du erfährst, sehen und
empfinden, wie es ist, nicht aber, wie es benannt ist. Dies höchst einfache „Augenöffnen“ bewerkstelligt
die merkwürdigste Verwandlung von Verstehen und Leben und beweist, dass viele unserer verwirrendsten
Probleme nur in unserer Vorstellung bestehen.
Um Musik zu verstehen, musst du ihr lauschen. Aber solange du denkst „ich höre zu“ hörst du nicht zu.
Um Freude oder Furcht zu verstehen, musst du ihrer gänzlich und ungeteilt gewahr sein. Solange du sie
benennst und sagst: „Ich bin glücklich“ oder „ich fürchte mich“ bist du ihrer nicht gewahr.
Das Gefühl als Mittel der Erkenntnis ist nur denjenigen verdächtig, die mangels Übung und Pflege nicht
wissen wie man es gebraucht.
Die Hauptsache ist die Erkenntnis, dass es Gesichertsein oder Sicherheit nicht gibt.
Paul WATZLAWICK: Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen
Die Programmierung junger Menschen zu Nullsummenspielem (es gibt nur zwei Möglichkeiten: zu
gewinnen oder zu verlieren - kein Drittes) wird von Hekate eifrig und auf verschiedenste Weise betrieben.
Die Militärs haben wir bereits kurz gewürdigt. Besonders lobende Erwähnung verdienen aber auch die
Sporttrainer mit ihrer Betonung der alles überragenden Bedeutung des Gewinnens (und damit auch des
raschen Handelns, das eben wieder einmal nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sein sollte) und
der Schmach jeder Niederlage. Die vereitelnde Wirkung der ganz aufs Sieghafte ausgerichteten
Massenmedien braucht nicht eigens erwähnt zu werden.
In Cacciavillani war all dies in besonders reiner Form zusammengekommen. Er lebte fürs Gewinnen in
jeder, aber auch jeder Hinsicht - und daher in ununterbrochener Angst vor dem Verlieren. Damit war seine
Philosophie einfach, aber unbequem; denn immer in höchster Alarmbereitschaft zu leben kann selbst dem
Stärksten auf die Nerven gehen. Dass er aus dieser permanenten Angst heraus dazu neigt, sich am
Missgeschick anderer zu erfreuen, sei nur ganz nebenbei erwähnt. Dazu kam noch etwas, für das er ganz
blind war. Seine dauernde Angriffs- und Abwehrhaltung erzeugte weitgehend die Situation, gegen die er
sich dauernd wappnen zu müssen glaubte, und bewies ihm wiederum die Richtigkeit seiner Annahme vom
Leben als dauerndem Kampf.
Paul WATZLAWICK: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Wer für seine Wirklichkeitswahrnehmungen oder für die Art und Weise, wie er sich selbst sieht, von für
ihn lebenswichtigen anderen Menschen getadelt wird, wird schließlich dazu neigen, seinen Sinnen zu
misstrauen.
Die damit verbundene Unsicherheit wird die anderen zur Aufforderung veranlassen, sich doch mehr
anzustrengen und die Dinge „richtig“ zu sehen. Da ihm auf diese Weise immer wieder nahe gelegt wird,
er habe unrecht, wird es ihm noch schwerer fallen, sich in der Welt und besonders in
zwischenmenschlichen Situationen zurechtzufinden, und er wird in seiner Konfusion dazu neigen, auf
immer abwegigere und verschrobenere Weise nach jenen Sinnzusammenhängen und jener Ordnung der
Wirklichkeit zu suchen, die den anderen anscheinend so klar sind, ihm aber nicht.
Wer von anderen, die für ihn lebenswichtig sind, dafür verantwortlich gemacht wird, anders zu fühlen,
als er fühlen sollte, wird sich schließlich dafür schuldig fühlen, nicht die „richtigen“ Gefühle in sich
erwecken zu können. Dieses Schuldgefühl kann dann selbst der Liste jener hinzugefügt werden, die er
nicht haben sollte.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Simone WEIL: Schwerkraft und Gnade
Nicht neue Dinge begreifen wollen, sondern durch immer größere Geduld, Anstrengung und Methode
dahin gelangen, die offenkundigen Wahrheiten mit seinem ganzen Selbst zu begreifen.
Man muss das Mögliche vollbringen, um das Unmögliche zu berühren. Die richtige, pflichtgemäße
Ausübung der natürlichen Fähigkeiten des Willens, der Liebe und der Erkenntnis ist hinsichtlich der
geistigen Wirklichkeiten genau dasselbe wie die Bewegung des Körpers hinsichtlich der Wahrnehmung der
sinnlichen Gegenstände.
Simone WEIL: Aufmerksamkeit für das Alltägliche
Ein Märchen der Eskimo erklärt den Ursprung des Lichtes folgendermaßen:
„Der Rabe, der in der ewigen Nacht keine Nahrung finden konnte, begehrte nach dem Licht, und es ward
hell über der Erde."
Ist das Begehren echt, begehrt man wirklich das Licht, so bringt das Begehren nach dem Licht das Licht
hervor. Das Begehren ist echt, wenn man die Aufmerksamkeit anstrengt. Und man begehrt wirklich das
Licht, wenn jeder andere Beweggrund fehlt. Selbst, wenn die Anstrengungen der Aufmerksamkeit durch
Jahre hindurch scheinbar fruchtlos bleiben sollten, so wird eines Tages doch ein dem Grade dieser
Anstrengungen genau entsprechendes Licht die Seele überfluten. Jede Anstrengung fügt ein Körnchen Gold
zu einem Schatz, den nichts auf der Welt uns rauben kann.
Herbert WIEDEMANN: Klavierspiel und das rechte Gehirn
Der herkömmliche Unterricht zielt in erster Linie darauf ab, das Codieren bzw.
Decodieren
musikalischer Abläufe mit dem Ziel zu erlernen, reproduktiv Klavierspielen zu können.
Diese technikorientierten methodischen Konzepte vieler klaviermethodischer Werke werden weder
anhand der ebenfalls überall zuvor beschriebenen geistigen Grundlagen des Klavierspiels entwickelt noch
zueinander in Beziehung gesetzt. So ist zu vermuten, dass hinter wohlklingenden Begriffen mit vielen
Deutungsmöglichkeiten eigentlich die Unwissenheit über die komplexen geistigen Vorgänge, die beim
Klavierspielen ablaufen, versteckt werden soll. Begriffspaare wie Intellekt/Intuition bzw. Emotion oder
Seele werden aber meist nur in den Einleitungen zu klaviermethodischen Werken eingeführt. In den
Hauptteilen, in denen es um methodische Fragen geht, werden sie nicht mehr erwähnt.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Allgemeine Didaktik:
Spezialliteratur zum systemisch-konstruktivistischen Themenbereich
Boal, Augusto:
Theater der Unterdrückten:
Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler
(edition suhrkamp)
Buber, Martin:
Begegnung (Lambert Schneider)
Capra, Fritjof:
Das Tao der Physik –
Die Konvergenz von westlicher Wissenschaft und östlicher
Philosophie (Scherz Verlag)
Dalin, Per:
Schule auf dem Weg in das 21. Jahrhundert (Luchterhand)
Foerster, Heinz von:
Wissen und Gewissen - Versuch einer Brücke
(suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Foerster, Heinz von / Pörksen, Bernhard: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners Gespräche für Skeptiker (Carl-Auer-Systeme Verlag)
Franke-Gricksch, Marianne:
„Du gehörst zu uns!“ - Systemische Einblicke und Lösungen für
Lehrer, Schüler und Eltern (Carl-Auer-Systeme Verlag)
Furman, Ben:
Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben
Geisslinger, Hans:
Die Imagination der Wirklichkeit Experimente zum radikalen Konstruktivismus
Gibran, Khalil:
Der Prophet (Walter Verlag)
Hennig, Claudius / Ehinger Wolfgang:
Lösungsorientierte Beratung - Ein nützlicher Leitfaden für
LehrerInnen, BeraterInnen, ErzieherInnen, TherapeutInnen
und SozialarbeiterInnen (CreaSys Tübingen);
Sprüche und Widersprüche (CreaSys Tübingen)
Hofstadter, Douglas R.:
Gödel, Escher, Bach - Ein Endloses Geflochtenes Band
(Klett-Cotta)
Krishnamurti, Jiddu:
Du bist die Welt - Reden und Gespräche (Fischer)
Laszlo, Ervin:
Global denken - Die Neu-Gestaltung der vernetzten Welt
(Goldmann)
Loriot:
Wahre Geschichten erlogen von Loriot (Diogenes)
Luisi, Pier Luigi (Hrsg.):
Treffpunkt Zukunft - Naturwissenschaft und die Ganzheit des
Lebens (Verlag Bonn Aktuell)
Maturana, Humberto R. / Varela, Francis J.: Der Baum der Erkenntnis - Die biologischen Wurzeln
des menschlichen Erkennens (Goldmann)
Milne, A. A.:
Pu der Bär (Dressler Verlag)
Rotthaus, Wilhelm:
Wozu erziehen? - Entwurf einer systemischen Erziehung
(Carl-Auer-Systeme Verlag)
Rumpf, Horst/Kranich, Ernst-Michael:
Welche Art von Wissen braucht der Lehrer? (Klett-Cotta)
Satir, Virginia:
Kommunikation . Selbstwert . Kongruenz (Junfermann)
Schumacher, Bernd:
Die Balance der Unterscheidung - Zur Form systemischer Beratung
und Supervision (Carl-Auer-Systeme Verlag)
Sheldrake, Rupert:
Die Gegenwart der Vergangenheit
Shah, Idries:
Die fabelhaften Heldentaten des weisen Narren Mulla Nasrudin
(Herder spektrum)
Simon, Fritz B.:
Die Kunst, nicht zu lernen - und andere Paradoxien
(Carl-Auer-Systeme Verlag)
Tillmetz, Eva:
Familienaufstellungen - Sich selbst verstehen, die eigenen
Wurzeln entdecken (Kreuz)
Varga von Kibéd, Matthias/Sparrer, Insa: Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere
Grundformen systemischer Strukturaufstellungen für Querdenker und solche, die es werden wollen
(Carl-Auer-Systeme Verlag)
Voß, Reinhard (Hg.):
Unterricht aus konstruktivistischer Sicht - Die Welt in den Köpfen
der Kinder (Luchterhand)
Watzlawick, Paul:
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? - Wahn . Täuschung . Verstehen
(Serie Piper)
Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen (dtv)
Wilber, Ken:
Halbzeit der Evolution - Der Mensch auf dem Weg vom
animalischen zum kosmischen Bewusstsein (Goldmann)
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Leseproben
zum systemisch-konstruktivistischen Themenbereich
Augusto BOAL: Theater der Unterdrückten
Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler
Wir denken nicht nur mit dem Gehirn, atmen nicht nur mit der Lunge, singen nicht nur mit den
Stimmbändern. Unser ganzer Körper denkt, atmet, singt, liebt..... und leidet.
In unserer überspezialisierten, arbeitsteiligen Industriegesellschaft entwickeln wir einzelne Sinne,
einzelne Fähigkeiten auf Kosten anderer Sinne, anderer Fähigkeiten. Durch Reizüberflutung abgestumpft,
reduziert sich unsere Wahrnehmung auf einen geringen Bruchteil der Realität.
Überspezialisierung auf der einen Seite, Verkümmerung auf der anderen, Überforderung und
Unterforderung sind die Folge. Es gilt, das ursprüngliche Gleichgewicht wieder herzustellen.
Der erste Schritt ist die „Entspezialisierung“: das Bewusstwerden unseres eigenen Körpers, seiner durch
den einseitigen Berufsalltag verursachten Deformationen, seiner automatisierten, mechanisierten
Bewegungsabläufe. Bewusstwerden aber auch unserer Fähigkeit, Blockierungen rückgängig zu machen,
umzulernen, sich harmonisch zu entfalten, den ganzheitlichen Menschen in uns zu erschaffen. Es ist nie zu
spät.
Zugleich gilt es, unsere gesamte Wahrnehmung, die durch die Vorrangstellung des Sehens in unserer Kultur
verkümmert ist, neu zu entdecken und zu entwickeln. Wir müssen alle Sinne entwickeln, nicht nur das
Sehen, sondern auch das Hören, Tasten, Riechen, Fühlen, wir müssen nicht nur hinschauen, sondern auch
wahrnehmen, nicht nur hören, sondern hinhören, zuhören. Wir müssen die Spaltung zwischen
Wahrnehmen, Fühlen, Tun, Denken überwinden. Wir müssen uns bewusst in Beziehung zur Umwelt
erleben, zur Schwerkraft, zum Raum, wir müssen unser „Sinnesgedächtnis“ wiedererwecken, unsere
Ausdruckskraft wieder erlangen.
Keine akrobatischen Leistungen sind angestrebt, sondern das Ausschöpfen all dessen, was in uns angelegt
ist, denn nicht nur der Schauspieler - jeder kann Theater machen: nicht nur der Künstler kann Kunst
machen - jeder Mensch ist ein Künstler.
Die Realität, auch die des Theaters, Geschichten und Geschichte nicht als gegeben hinnehmen, sondern
immer wissen, dass alles einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können, und immer an die Möglichkeit
der Veränderung glauben und darauf hinarbeiten!
Martin BUBER: Begegnung
„Betrachte den Menschen mit dem Menschen,
und du siehst jeweils die dynamische Zweiheit, die das Menschenwesen ist,
zusammen:
Hier das Gebende und hier das Empfangende,
hier die angreifende und hier die abwehrende Kraft,
hier die Beschaffenheit des Nachforschens und hier die des Erwiderns,
und immer beides in einem,
einander ergänzend im wechselseitigen Einsatz,
miteinander den Menschen darstellend.
Jetzt kannst du dich zum Einzelnen wenden
und du erkennst ihn als den Menschen nach seiner Beziehungsmöglichkeit;
du kannst dich zur Gesamtheit wenden
und du erkennst sie als den Menschen nach seiner Beziehungsfülle.
Wir mögen der Antwort auf die Frage, was der Mensch sei, näher kommen,
wenn wir ihn als das Wesen verstehen lernen,
in dessen Dialogik, in dessen gegenseitig präsentem
Zu-zweien-Sein
sich die Begegnung des Einen mit dem Anderen jeweils verwirklicht und erkennt.“
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Fritjof CAPRA: Das Tao der Physik
Die Quantentheorie hat den Begriff von grundsätzlich selbstständigen Objekten abgeschafft, hat den
Begriff des Teilnehmers eingeführt, der den Begriff des Beobachters ersetzen soll, und mag es sogar
notwendig finden, das menschliche Bewusstsein in ihre Beschreibung der Welt einzubeziehen. Sie sieht
jetzt das Universum als zusammenhängendes Gewebe physikalischer und geistiger Beziehungen, dessen
Teile nur durch ihre Beziehung zum Ganzen definiert werden können. Jede Reaktion beteiligt Teilchen,
die sie mit anderen Reaktionen verbindet und so ein ganzes Netzwerk von Prozessen aufbaut. Jedes
Teilchen hilft, andere Teilchen zu erzeugen, die wiederum es selbst erzeugen. Jedes Teilchen enthält alle
anderen und ist gleichzeitig Teil eines jeden anderen.
Das Wichtige an der S-Matrix-Theorie (Heisenbergs) ist, dass nicht mehr Objekte, sondern Ereignisse
betont werden, nicht mehr die Teilchen, sondern ihre Reaktionen. Was man wirklich unterscheiden kann,
ist die Art der Verknüpfungen, die für gewisse Erscheinungen in erster Linie wichtig sind. Die von uns in
der Natur beobachteten Strukturen und Phänomene sind nichts als Gebilde unseres messenden und
kategorisierenden Verstandes.
In der Mystik kann Wissen nicht von einer bestimmten Lebensweise getrennt werden, die zu ihrer
lebendigen Manifestation wird. Mystisches Wissen zu erwerben heißt, sich einer Wandlung zu unterziehen.
Man könnte sogar sagen, dass dieses Wissen die Wandlung ist.
Dagegen kann das wissenschaftliche Wissen oft im Abstrakten und Theoretischen bleiben. So nehmen die
meisten heutigen Physiker die philosophischen, kulturellen und spirituellen Auswirkungen ihrer Theorien
anscheinend nicht zur Kenntnis. Viele von ihnen unterstützen aktiv eine Gesellschaft, die immer noch auf
der mechanistischen, fragmentarischen Weltanschauung basiert, und sehen nicht ein, dass die
Wissenschaft darüber hinausweist, zu einer Einheit des Universums, die nicht nur unsere natürliche
Umgebung, sondern auch unsere Mitmenschen umfasst. Ich glaube, dass die Weltanschauung, die aus der
modernen Physik hervorgeht, mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft unvereinbar ist, weil sie den
harmonischen Zusammenhängen, die wir in der Natur beobachten, nicht Rechnung trägt. Um einen solchen
Zustand des dynamischen Gleichgewichts zu erreichen, bedarf es einer völlig anderen sozialen und
ökonomischen Struktur: einer kulturellen Revolution im wahren Sinne des Wortes. Das Überleben unserer
ganzen Zivilisation kann davon abhängen, ob wir zu einer solchen Wandlung fähig sind.
Heinz von FOERSTER: Wissen und Gewissen
Der ästhetische Imperativ: „Willst du erkennen, lerne zu handeln!“
Es geht um eine selbstreferentielle Bewegung, - da ist mir das Bild des Tanzes am liebsten: „You can´t
tango alone! You need two to tango.“ Der Tanz ist das Ziel des Tanzes. Der Tanz entsteht durch das
Tanzen. Der Weg ist nichts Ewiges und von vornherein Festgelegtes, der Weg entsteht im Moment des
Gehens, im Augenblick der Bewegung.
Der ethische Imperativ: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten wächst!“
GEGENÜBERSTELLUNG Wissenschaft - Mystik
Die Welt erscheint in dieser Weise als ein kompliziertes Gewebe von Vorgängen, in dem sehr
verschiedenartige Verknüpfungen sich abwechseln, sich überschneiden und zusammenwirken und so
schließlich die Struktur des ganzen Gewebes bestimmen.
(Werner Heisenberg)
Das stoffliche Objekt wird etwas anderes, als was wir es jetzt sehen, nicht ein selbstständiges Objekt vor
dem Hintergrund oder in der Umgebung der übrigen Natur, sondern ein untrennbares Teil und auf subtile
Art sogar ein Ausdruck der Einheit von allem, was wir sehen.
(Aurobindo)
In irgendeinem merkwürdigen Sinn ist das Universum ein teilnehmendes Universum.
(John Wheeler)
Wo es eine Dualität gibt, da sieht eins das andere: da riecht eins das andere, da schmeckt eins das
andere...... Aber wo alles das eigene Selbst geworden ist, womit und wen würde man sehen? Womit und
was würde man riechen? Womit und wen würde man schmecken?
(Upanischaden)
Ein Elementarteilchen ist keine unabhängig existierende, analysierbare Einheit. Es ist im Grunde eine
Reihe von Zusammenhängen, die sich nach außen zu anderen Dingen hin erstrecken.
(H.P.Stapp)
Dinge leiten ihre Natur und ihr Sein von gegenseitiger Abhängigkeit her und sind nichts in sich selbst.
(Nagarjuna)
Allgemeine Didaktik
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Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Hans GEISSLINGER: Die Imagination der Wirklichkeit
Experimente zum radikalen Konstruktivismus
Das Dynamit in allen Geschichten heißt: „Sprache“. Was sprechbar ist, ist auch denkbar; und was denkbar
ist, betritt den Vorhof des Wirklichen: das Mögliche. Der Aggregatzustand des Wirklichen ist flüssig - dies
lässt sich nirgendwo besser beobachten als dort, wo die Grenze zwischen dem Reich des Wirklichen und
des Möglichen verläuft, - dort also, wo jener aus Gedanken gewobene Stoff entsteht, den wir „Einbildung“
nennen. Aus ihm schneidern wir jene Ereignis- und Interpretationsräume, die den Organisationsprinzipien
unserer Erfahrung entsprechen: Geschichten. Haben wir uns aber einmal in eine Geschichte verstrickt was wir permanent tun -, dann greift diese Verstrickung sowohl auf unser Denken wie auch auf unsere
Wahrnehmung über: ein soziales Perpetuum Mobile, das die Bedingungen herstellt, die es für sein
Funktionieren benötigt.
Khalil GIBRAN: Der Prophet – Vom Lehren
Niemand kann euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern eures Wissens schlummert.
Der Lehrer, der zwischen seinen Jüngern im Schatten des Tempels umhergeht, gibt nicht von seiner
Weisheit, sondern eher von seinem Glauben und seiner Liebe. Wenn er wirklich weise ist, fordert er euch
nicht auf, ins Haus seiner Weisheit einzutreten, sondern führt euch an die Schwelle eures eigenen Geistes.
Der Astronom kann euch von seinem Verständnis des Weltraums reden, aber er kann euch nicht sein
Verständnis geben.
Der Musiker kann euch vom Rhythmus singen, der im Weltraum ist, aber er kann euch weder das Ohr
geben, das den Rhythmus festhält, noch die Stimme, die ihn wiedergibt.
Und wer der Wissenschaft der Zahlen kundig ist, kann vom Reich der Gewichte und Maße berichten, aber
er kann euch nicht dahin führen.
Denn die Einsicht eines Menschen verleiht ihre Flügel keinem anderen.
Und wie jeder von euch allein in Gottes Wissen steht, so muss jeder von euch allein in seinem Wissen von
Gott und seinem Verständnis der Erde sein.
Rainer Maria RILKE
Aber nun, da so vieles sich ändert, ist es nicht an uns, uns zu verändern? Könnten wir nicht versuchen, uns
ein wenig zu entwickeln, und unseren Anteil Arbeit in der Liebe langsam auf uns nehmen nach und nach?
Man hat uns all ihre Mühsal erspart, und so ist sie uns unter die Zerstreuung geglitten, wie in eines Kindes
Spiellade manchmal ein Stück echter Spitze fällt und freut und nicht mehr freut und endlich daliegt, unter
Zerbrochenem und Auseinandergekommenem, schlechter als alles.
Wir sind verdorben vom leichten Genuss wie alle Dilettanten und stehen im Geruch von Meisterschaft. Wie
aber, wenn wir unsere Erfolge verachten, wie, wenn wir ganz von vorne begännen, die Arbeit der Liebe zu
lernen, die immer für uns getan worden ist?
Wie, wenn wir hingingen und Anfänger würden, nun, da sich vieles verändert?
Idries SHAH: Die fabelhaften Heldentaten des weisen Narren Mulla Nasrudin
Warum wir hier sind
Eines Nachts, als Mulla Nasrudin eine einsame Straße entlang wanderte, sah er eine Schar Reiter, die ihm
entgegenkam. Seine Phantasie begann zu arbeiten; er sah sich bereits gefangen und als Sklave verkauft
oder in die Armee gepresst.
Nasrudin nahm Reißaus, stieg über eine Mauer in einen Friedhof und legte sich in ein offenes Grab.
Verdutzt über das merkwürdige Betragen, folgten ihm die Männer, alles ehrbare Reisende.
Sie fanden ihn ausgestreckt daliegend, angstvoll und zitternd.
„Was machst du da im Grab? Wir sahen, wie du davonliefst. Können wir dir behilflich sein?“
„dass ihr eine Frage stellen könnt, bedeutet nicht, dass es auch eine schlichte Antwort darauf gibt“, sagte
der Mulla, dem jetzt aufging, was geschehen war. „Es hängt alles von eurem Gesichtspunkt ab. Wenn ihr
es aber denn wissen wollt: Ich bin hier wegen euch, und ihr seid hier wegen mir.“
Rupert SHELDRAKE: Die Gegenwart der Vergangenheit
Morphogenese bedeutet das Eintreten in das Sein der Gestalt. Das morphogenetische Feld ist das Feld,
welches das Eintreten in das Sein der Gestalt organisiert. Durch diese morphogenetischen (kurz: morphen)
Felder sind die Organismen in einer Art resonanter Verbindung mit allen vorhergehenden ähnlichen
Formen. Dieser Prozess wird morphe Resonanz genannt. Diese morphe Resonanz findet durch oder über
Raum und Zeit statt. Die Felder, bedingt durch die morphe Resonanz, haben eine Art Gedächtnis und
können sich gegenseitig an verschiedenen Orten beeinflussen
Allgemeine Didaktik
22
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Fritz B. SIMON: Die Kunst, nicht zu lernen
Jedes lebende System schafft sich seine Umwelt, es verändert sie oder erhält sie dadurch, dass es lebt,
dass es bestimmte Verhaltensweisen realisiert und andere nicht. Die Entwicklung von System und Umwelt
ist aneinander gekoppelt, beide vollziehen miteinander eine „Koevolution“ (Bateson 1979). Beide sind
füreinander Umwelt, verändern sich gegenseitig, und bestimmen füreinander die Überlebensbedingungen.
Die Überlebenseinheit ist also nicht ein System, sondern die Einheit aus einem lebenden System und seiner
Umwelt.
Wenn wir als Beobachter die Veränderung oder Nichtveränderung eines lebenden Systems kausal allein
dem System zuschreiben, so abstrahieren wir vom interaktionellen und kommunikativen Kontext. Wir
denken uns gewissermaßen die Umwelt weg. Merkmale der System-Umwelt-Beziehung werden einseitig als
Merkmale des Systems betrachtet.
Das ist so ähnlich, als würde man die Tatsache, dass eine Kerze unter der Glasglocke nach kurzer Zeit
aufhört zu brennen, einem möglicherweise chronifizierten Mangel an Lebenskraft der Kerze zuschreiben
und als Minussymptomatik etikettieren.
Wenn einer in einem Bereich eine Minussymptomatik zeigt, so wird das meist mit einem Defizit erklärt: Er
hat ein Loch im Ich oder das Ich ist zu schwach oder er hat nicht gelernt, sich selbst zu versorgen. Die
logische Konsequenz ist, dass andere diese Funktion für ihn übernehmen und versuchen, das Defizit
aufzufüllen. Die Umwelt hat in solch einem Modell eine kompensatorische oder edukative Funktion
auszuüben.
Dieses Modell hat zwangsläufig eine chronifizierende Wirkung. Das so entstehende Interaktionsmuster oder
Spiel, in dem einer die Rolle des Versorgers oder Kontrolleurs, der andere die des Versorgten oder
Kontrollierten übernimmt, funktioniert hinreichend gut, so dass größere Krisen vermieden werden können
und Entwicklung nicht stattzufinden braucht.
Will man nun die Chronifizierung eines Menschen beenden helfen, so kommt man nicht umhin, auf der
Ebene des sozialen Systems zu intervenieren. Man muss das spezifische chronifizierende Muster in der
konkreten Familie, in der Institution etc. analysieren. Nur dann kann man die Mechanismen, die es
erhalten, stören. Da solche Systeme Kommunikationssysteme sind, bietet sich dazu u. a. die Methode an,
die auch anderen Orthodoxien den Garaus macht: man muss die Macht der Worte brechen, die
Kommunikation über Chronizität verändern, die stillschweigenden Vorannahmen, Erklärungen und
Bewertungen in Frage stellen. Nur wer der Suggestion der Begriffe „gestört“ und „chronisch“ widersteht,
kann aus dem alle Entwicklung blockierenden Teufelskreis sprachlicher Versteinerung aussteigen und
Neues erproben.
Die Chronifizierung aber stören heißt, Krisen zu riskieren. Und „Krise“ bedeutet Chance und Gefahr - für
Therapeut wie für Patient.
Matthias VARGA von KIBÉD / Insa SPARRER: Ganz im Gegenteil
Wir alle haben viele unserer besten Kräfte, Erfahrungen und Ressourcen durch vergangene Krisen
gewonnen. Und manche davon waren gewiss nicht leicht. Hätten wir wählen können, alle diese Krisen zu
vermeiden – manche kostbare Gewinne aus der Bewältigung der Hindernisse hätten wir nicht gemacht.
Es lohnt sich also, genauer zu betrachten, wie wir Ereignisse in unserem Bewusstsein als Problem
konstruieren. Wenn wir nämlich etwas „Problem“ oder „Hindernis“ nennen, verstellen wir durch diese – in
anderer Hinsicht oft notwendige und nützliche – Sichtweise bereits einen Teil der Chancen, die wir
vielleicht nur durch diesen Anlass, dieses Hindernis oder Problem gewinnen können.
Nach der Lösung ist es oft schwer, die Bestandteile des alten Problems noch klar zu erkennen: Problem
und Lösung sind oft nur Eigenschaften der Struktur; sie entstehen beide durch unterschiedliche Arten und
Weisen, die gleichen Elemente zueinander in Beziehung zu setzen.
Hartnäckiges Vermeiden von Hindernissen verhindert, dass wir die im Hindernis verborgene oder durch es
in uns angesprochene Ressource schneller entwickeln.
Eigene Fehler erweisen sich so manchmal als nützlich; bei manchen Fehlern wäre es ja geradezu
jammerschade, sie nie gemacht zu haben. Sie waren sozusagen die für uns richtigen Fehler, durch die wir
unvergleichlich wirksamer gelernt haben. Versuchen wir allzu krampfhaft, Fehler zu vermeiden, so hilft
uns selbst der Erfolg dabei oft nicht viel: Wir leben dann mit einer falschen Richtigkeit, die uns
übervorsichtig und unkreativ werden lassen kann.
Der Querdenker fordert daher:
Lieber einen richtigen Fehler als eine falsche Richtigkeit!
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
DIDAKTISCHE MODELLE:
Wolfgang RATKE, Ratichius (1571 - 1635)
Johann Amos COMENIUS, Komensky (1592 - 1670)
Lehrkunst
„Alles fließe von selbst. Gewalt sei ferne den Dingen.“
„Alles nach Ordnung oder Lauf der Natur.“
„Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtspraxis aufzuspüren und zu erkunden,
bei welcher die Lehrer weniger lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen.“
„Es ist aber nichts in dem Verstand, was nicht zuvor im Sinn gewesen.“
„Große Didaktik – die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren“
(Johann Amos Comenius, Didactica Magna 1657)
Johann Friedrich HERBART (1776 – 1841)
Unterrichtslehre
Bildung des Menschen durch Erfahrung, Umgang und
„erziehenden Unterricht“
Auf der Grundlage der Assoziationspsychologie aufgebaute Gedanken sollen das Wollen und Handeln des
Lernenden bestimmen
„Die Bildung des Gedankenkreises
ist der wesentliche Teil der Erziehung“
(Johann Friedrich Herbart, Allgemeine Pädagogik 1806)
> kognitivistischer Ansatz
„Didaktisches Dreieck“:
Lehrer - Schüler - Gegenstand
(Erziehung durch mittelbare Beziehung
zwischen Lehrer und Schüler)
Durch Auswahl und Ordnung der Unterrichtsinhalte
sowie durch die Art der Auseinandersetzung mit ihnen
sollen Charakterstärke und Sittlichkeit erreicht werden
Stufenplan (Artikulation von Unterricht):
Aufnehmen - Denken - Einordnen – Anwenden
„Herbart´sche Formalstufen des Unterrichts“
Otto WILLMANN (1839 - 1920)
Bildungslehre
„Didaktik ist die Lehre vom Bildungserwerb,
wie er auf Grund und als Grund des Bildungswesens von Individuen vollzogen und vermittelt wird“
Didaktik als Beschäftigung mit jedem organisierten und freien Bildungsgeschehen
zum Zweck der geistigen Assimilation
An christlichem und patriotischem Verhalten orientierte Zielvorstellungen
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Didaktik als Programm
(der geisteswissenschaftlich orientierten
Bewegung der Reformpädagogik
im beginnenden 20. Jhdt.)
Umfassende Bildungslehren für die Praxis
Schulkritik führt zu Versuchsschulen und Schulgründungen
unter neuen Aspekten:
Gesamtunterricht – Arbeitsschule – Lebensgemeinschaftsschule –
Landerziehungsheimbewegung – Kunsterziehungsbewegung
Natürlicher Unterricht durch Schüleraktivität in Freiheit und Lebensnähe
Alfred Lichtwark (1852 – 1914):
Erlebnisorientiert – über Empfinden und eigenes Darstellen zu
Originalität und Kreativität
Georg Kerschensteiner (1854 – 1932):
Schwerpunkt: Tun, Handwerk – Verbindung Schule/Beruf
John Dewey (1859 – 1952):
„Erziehung durch und für Erfahrung“ – learning by doing
Hugo Gaudig (1860 – 1923):
Schwerpunkt: geistige Selbstständigkeit – Persönlichkeitsbildung
Rudolf Steiner (1861 – 1925):
„Freie Waldorfschulen“ – allgemeine Menschenbildung auf Grundlage
der Anthroposophie – sozialer und künstlerischer Schwerpunkt
Maria Montessori (1870 – 1952):
Kindgemäße Umgebung – spezielles didaktisches Entfaltungsmaterial für Vorschulkinder
Paul Geheeb (1870 – 1961):
„Odenwaldschule“ - Gesamtmodell
Geisteswissenschaftliche Didaktik
Wilhelm Dilthey (1833 – 1911)
Herman Nohl (1879 – 1960)
Erich Weniger (1894 – 1961)
Bildungstheoretische Orientierung: Didaktik ist die Theorie der Bildungsinhalte und befasst sich mit
dem Problem der Auswahl und Konzentration von Inhalten für den schulischen Bildungsprozess. Bildung ist
Begegnung des Schülers mit der kulturellen Umwelt. Ausgangspunkt für den Gesamtzusammenhang des
Bildungsprozesses ist die Bildungswirklichkeit, die in einem ständigen geschichtlichen Wandlungs-Prozess
steht.
„Didaktik kann nicht ein für allemal gültige Einsichten hinstellen, sondern muss sich immer wieder neu
um das Verständnis der sich wandelnden Lage bemühen und von da aus die Theorie des Handelns
umformen.“
Bildung ist nicht nur als Produkt der Kultur, sondern auch als Produzent der Kultur zu verstehen: „Der
Lehrplan soll nicht nur ein Bild der Vergangenheit und den geistigen Besitz der erwachsenen Generation
repräsentieren, sondern zugleich ihren Zukunftswillen und ihr Zukunftsbild.“ >Funktionale Wechselwirkung
zwischen Schule und allgemeiner Kultur.
Entwicklung aus den eigenen Voraussetzungen heraus mit Rückwirkung auf den Gesamtzusammenhang.
Wiederbelebung der geisteswissenschaftlichen Didaktik nach dem 2. Weltkrieg durch:
Eduard Spranger (1882 – 1963),
Wilhelm Flitner (1889 – 1990) und
Erich Weniger (Göttinger Schule: Inhalte für Lehrerausbildung und –Fortbildung)
25
Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Lerntheoretische Didaktik
Paul Heimann (1901 – 1967)
„Berliner Modell“
„Didaktik ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen überhaupt.
Sie befasst sich mit dem Lernen in allen Formen und dem Lehren aller Art“ (Dolch)
Weder Meisterlehre noch doktrinäre Vermittlung von Theorien, sondern Kenntnis vom Zustandekommen
der Theorien ist die wesentliche Orientierung einer Lehrerbildung, welche selbstständig denkende, eigene
Theorienbildungen entwickelnde und eigenverantwortlich entscheidende Persönlichkeiten hervorbringen
soll.
Schwerpunktverlagerung von einem immer ungreifbarer gewordenen Begriff der Bildung (Abhängigkeit,
Relativität, Wandelbarkeit, Unverfügbarkeit, ideologische Verführbarkeit) hin zu einer Theorie des
Lehrens und Lernens, die ein Vorverständnis der didaktischen Wirklichkeit bietet - inhaltliche
Entscheidungen aber trifft nach ausführlicher Analyse der Bedingungen jeweils die einzelne
Lehrerpersönlichkeit.
Der unterrichtlichen Vielfalt, Komplexität und Einzigartigkeit tritt Heimann durch das Axiom des
„Urphänomens“ (Goethe) entgegen. Unterricht ist in allen seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen
nur Abwandlung dieses einen
Grundphänomens, das sich in
„Elementarstrukturen“
ausdrückt -, die formal konstant und inhaltlich variabel sind:
Der Lehrer hat sich unter
anthropologisch-psychologischen sowie sozial-kulturellen Voraussetzungen
für entsprechende
Intentionen, Inhalte, Methoden und Medien zu entscheiden,
wobei all diese Aspekte
in wechselseitiger Abhängigkeit (Interdependenz)
zueinander stehen.
Lerntheoretisch-emanzipatorische Didaktik
Wolfgang Schulz (1929 – 1993)
„Hamburger Modell“
Planungsmodell:
Perspektivenplanung – Umrissplanung – Prozessplanung - Planungskorrektur
Handlungsmodell:
Über die Inhalte der
Sacherfahrung, Gefühlserfahrung und Sozialerfahrung
zu den Lernzielen der
Kompetenz, Autonomie und Solidarität
Theorie vom emanzipatorisch relevanten, professionell pädagogischen Handeln in Unterricht und
Schule. Lernen dient dazu, dass eigene Emanzipation möglich wird.
Kritische, humanitär engagierte Didaktik unter dem Gebot der Realisation der Theorie. Engagement
für die unterdrückte Minderheit der Kinder
Das pädagogische Interesse richte sich auf die Förderung aller Menschen zur Verfügung über sich
selbst. Schule kann jedoch kein Ort unmittelbarer Veränderung der Gesellschaft sein, sondern:
- hat die Aufgabe der Relativierung unkritischer Haltungen und Entwicklung der Fragestellung nach
alternativen Antworten
- soll die Befähigung zur Erweckung jener Kräfte entwickeln, die Benachteiligungen aufzudecken und zu
beseitigen vermögen
- soll Hilfen zur eigenen Emanzipation bieten: Kritische Reflexion des Tradierten und Neu-Entscheidung
zum eigenen Handeln
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Bildungstheoretisch fundierte, kritisch-konstruktive Didaktik
Wolfgang Klafki (geb. 1927)
Zentrale Kategorie: Begriff einer „Allgemeinbildung“:
1. für alle, 2. allseitig, 3. allgemein gültig (> Comenius!)
- im Sinne von „kritisch“ (Hinterfragen der vorgefundenen Wirklichkeit) durch die Entwicklung der
Grundfähigkeiten zu:
Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidaritätsfähigkeit (Individualbildung)
- im Sinne von „konstruktiv“ (durch Entwickeln von Visionen und Vorschlägen für Veränderungen der
vorgefundenen Wirklichkeit) im Praxisbezug durch das Interesse zu:
Handlung, Gestaltung und Veränderung
Mischtheorie: unter der „Überschrift“ der Geisteswissenschaft werden die Gedanken der
lerntheoretischen, kritisch-kommunikativen und lernzielorientierten Didaktik integriert.
Klafkis „Didaktische Analyse“ - ursprünglich (1957) inhaltsorientiert -, wird durch Revidierung und
Weiterführung (1980) zielorientiert:
> von der impliziten zur expliziten Bedingungsanalyse
> vom Bildungsideal des „gebildeten Laien“ zu jenem des in seinen Grundfähigkeiten emanzipierten
Individuums unter dem Aspekt des Begründungszusammenhanges, ob und warum ein geplanter Lehr- und
Lernprozess stattfinden kann und soll: in seiner Bedeutung für die Gegenwart, für die Zukunft und im
exemplarischen Sinn.
> vom Allgemeinen - als Maßstab für kategoriale Bildung - zu den „Schlüsselproblemen“ –
als Maßstab für Allgemeinbildung (thematische Strukturierung)
> von individueller Orientierung zu gesellschaftspolitischer Orientierung
> von der Begegnung mit Inhalten zum Beziehungsaspekt im Interaktionsprozess
(methodische Strukturierung)
> Lernzielkontrolle
Zeitgemäße Bildung bedeutet nach Klafki:
Kenntnis von aktuellen, menschheitsumfassenden „Schlüsselproblemen“, die alle und jeden angehen. Die
Sensibilisierung dafür erfolge durch „Problemunterricht“, dessen Voraussetzungen und zugleich
Zielsetzungen sind:
Kritikbereitschaft und –fähigkeit, Argumentationsbereitschaft und –fähigkeit, Empathie und vernetzendes
Denken
Entsprechende Methoden: Exemplarisches Lehren und Lernen
Methodenorientierung
Handlungsorientierung
Sachbezogenes und soziales Lernen
Erweiterung des Leistungsbegriffes auch auf den sozialen Bereich
Epochenunterricht - Fächerübergreifender Unterricht – Teamteaching
DIDAKTIK: wissenschaftliche Reflexion von organisierten Lehr- und Lernprozessen – daraus wird
Analyse und Planung abgeleitet
27
Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Kritisch-kommunikative Didaktik
Rainer Winkel (geb. 1943)
„Kritisch ist diese Didaktik insofern, als sie vorhandene Wirklichkeiten, die Ist-Werte unserer Gesellschaft,
eben nicht unkritisch akzeptiert, sondern – soweit dies Schule überhaupt kann – permanent zu verbessern
trachtet, in Soll-Werte zu überführen sucht.“
(Winkel 1980)
„Unterricht ist ein kommunikativer Prozess. Zunehmend wird erkannt, dass Gegenstand und Präsentation
eines Gegenstandes nicht nur sachadäquat, sondern auch interaktionsadäquat vermittelt werden sollen.“
(Baacke 1978)
Bildung, Lernen, Erziehung etc. wird nicht länger nur als Vorbereitungsprozess auf das gesellschaftliche
Leben aufgefasst (und zwar als ein Vorbereitungsprozess, in dem selbst Abhängigkeiten herrschen dürfen,
auch wenn spätere Unabhängigkeit das Ziel ist).
Lernen wird vielmehr als ein gleichwertiger Teilbereich des gesamtgesellschaftlichen Lebens begriffen, für
den eben deshalb auch dessen Regeln gelten.
Unterricht wird in dieser didaktischen Konzeption nicht mehr bloß als ein Mittel sozialen Lebens, sondern
selbst als ein Zweck begriffen.
Kritisch-kommunikative Didaktik sieht Unterrichtsprozesse unter vier ineinander greifenden
Hauptaspekten:
- Vermittlungsaspekt
- Inhaltsaspekt - Rationale Mitteilung von Inhalten
- Beziehungsaspekt – symmetrische statt komplementärer Interaktion
Watzlawick: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt derart, dass letzterer
den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.“
„Man kann nicht nicht kommunizieren“
- Störfaktorialer Aspekt
und ist an folgenden Grundsatzgedanken orientiert:
- Unterrichtsplanung und -analyse entstehen in Interdependenz ohne äußere Normen
Unterricht ist ein Kommunikationsprozess mit unterschiedlich kompetenten, jedoch gleichberechtigten
Teilnehmern
- Die Störanfälligkeit jedes Unterrichts ist unter dem Blickwinkel der schulischen Alltagswirklichkeit
Hauptthema von Unterrichtsanalyse und -planung
(Störungsarten, -festlegungen, -richtungen, -ursachen, -folgen) „Störung hat Vorrang“
- Statt instrumentell-subjektivistischer Evaluation: Bezugnahme auf die Verbesserung menschlicher
Zustände
- Lehren und Lernen ist ein Akt der Befreiung aus Unwissen und Missverständnis, inhumaner und
undemokratischer Lebensführung. Emanzipation bestimmt das Lehr- und Lerngeschehen: über bloßer
Individualbildung steht die soziale Existenz des Menschen.
Didaktik – eine Kunst, die wirksames Lehren ermöglicht – sei um
Mathetik – eine Kunst, die wirksames Lernen ermöglicht – zu erweitern und zu ergänzen.
(> Comenius!)
Mathetik sieht den Lehrer weder als Informator noch als Moderator, sondern als Berater von Lernenden bei
deren notwendigen Lernprozessen.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Informationstheoretisch – kybernetische Didaktik
Felix von Cube (geb. 1927)
Vorausgesetzte Auffassung:
Erziehungs-, Lehr- und Lerngeschehen sind Informationsvorgänge und entsprechend den Kategorien und
Erkenntnissen der Informationstheorie regelbar.
Regelung: Steuerung mit zielgerichteten Korrekturen, wenn unberechenbare Störgrößen auftreten oder
wenn sich Auswirkungen einer Steuerung nicht exakt vorhersagen lassen.
Regelkreis:
Lernplanung (Regler) – Lernsteuerung (Stellglied) – Lernender (Regelgröße) –
Lernkontrolle (Messfühler) – Lernplanung.
Dabei ausgeklammert wird - als notwendige Konsequenz des logisch-empirischen Wissenschaftsbegriffes die Frage nach der Zielsetzung.
Zielprobleme, Zielsetzung und Zielentscheidung sind Ausdruck subjektiver Interessen und Bedürfnisse.
(Wissenschaftsauffassung des kritischen Rationalismus)
Die Aufgabe der Didaktik besteht darin, für jede nur erdenkliche Lehr- und Lernsituation die schlechthin
optimale Strategie zu ermitteln, damit vorgesehene Lernziele in kürzester Zeit, mit geringstem Aufwand
und kleinsten unerwünschten Nebenwirkungen erreicht werden.
Entwurf einer praxisgerichteten Theorie:
Redundanztheorie des Lehrens und Lernens
„Lernen kann als Abbau subjektiver Informationen aufgefasst werden.“ (Informationseinheit: bit. 1 bit: 2
gleich wahrscheinliche Möglichkeiten).
Dieselbe Information bietet bei niedrigem Vorwissen viele bits, bei hohem Vorwissen wenige bits.
Lernen wird aus dieser Sicht zum Prozess des Informationsabbaus:
„Alles schon da gewesen!“
„Kybernetik ist die mit dem begrifflichen Werkzeug der mathematischen Informationstheorie erfolgende
Erforschung oder technische Beherrschung des Problemkreises der Aufnahme, Verarbeitung und raumzeitlichen Übertragung von Nachrichten innerhalb oder zwischen Systemen.“ (Frank 1969)
Lernzielorientierte (curriculare) Didaktik
Christine Möller (geb. 1934)
Priorität von Lernzielen
Die Betonung liegt dabei auf der eindeutigen Beschreibung der Ziele. Diese stellen unabdingbare
Voraussetzungen für eine effektive Methodenauswahl dar.
Nur anhand der Zielbeschreibung kann der Erfolg des Lehrens und Lernens bzw. des erstellten Curriculums
überprüft werden.
Sammlung von Lernzielen: Literatur, Personengruppen, Systeme etc.
Explizite Beschreibung von Lernzielen (was und unter welchen Bedingungen der Lernende etwas tun soll;
woran das richtige Verhalten erkannt werden kann): Formulierung und Mitteilung
Ordnung der Lernziele:
Fähigkeiten im kognitiven Bereich (Wissen),
Fertigkeiten im psycho-motorischen Bereich (Können) und
Einstellungen im affektiven Bereich (Haltungen)
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Diesen drei Bereichen sind jeweils entsprechende Lehrmethoden zugeordnet, welche der Entscheidung
darüber, welche Lernziele verwirklicht werden sollen, entsprechen.
Didaktisches Handeln in drei Phasen:
- Planung
- Eigentliches Lernen und Lehren
- Kontrolle des Lernens und Lehrens
Zweckrationale Unterrichtsplanung
Lernziele werden nach ihrem Grad an Abstraktheit bzw. Konkretheit eingeteilt in:
Richtziele (vieldeutig)
Grobziele (einige Interpretationen möglich)
Feinziele (nur eine Interpretation)
„Lernen äußert sich durch dauerhafte, auf Erfahrungsvorgängen beruhende
Verhaltensänderung“
Operationalisierung von Lernzielen:
Beschreibung von wahrnehmbaren Operationen (Handlungen) des Schülers, aus denen man schließen will,
dass er gelernt hat, was er lernen soll.
Systemisch-konstruktivistische Didaktik
Fragen nach der Erkenntnis von Wirklichkeit:
„Wie erkennen wir was?“ statt „Was erkennen wir wie?“
Konstruktion statt Abbildung
Erkennen des Erkennens
„Wirklichkeit ist das Resultat, nicht das unabhängige Objekt von Beschreibungen. Beschreibungen werden
von Beobachtern erzeugt. Wirklichkeit zu beobachten erfordert deshalb, Beobachter zu beobachten, die
Wirklichkeit beschreiben. Erkenntnissubjekt und –objekt bilden ein System, in dem sie sich gegenseitig
bewirkend und beeinflussend ständig einander zugeordnet sind.“
(Rustemeyer 1999)
„Interessiere dich. Interessiere dich. Interessiere dich.“ (H.v.Hentig * 1925)
Kybernetik der Kybernetik (Heinz v. Foerster, 1911 - 2002 „Vater des Konstruktivismus“, „Neugierologe“)
Die Wirklichkeitskonstruktionen des Menschen sind weder falsch noch richtig, sondern möglich oder
entsprechend. (> Jacoby!)
Konstruktion: Wir sind die Erfinder unserer Wirklichkeit.
Rekonstruktion: Wir sind die Entdecker unserer Wirklichkeit
Dekonstruktion: Es könnte auch noch anders sein!
(> Relativität der Bedeutung von Unterrichtsinhalten)
Beim Spiel in der Arbeit und der Arbeit im Spiel kann eigenständige Konstruktion, Rekonstruktion und
Dekonstruktion geübt werden. (> Freinet, Dewey!)
„Über das, was „Wissen“ ist, stellen wir als Beobachter in der Weise einen Konsens her,
indem wir es als „Wissen“ gelten lassen.“ (Balgo 1996)
„Alles, was gesagt wurde, wurde von jemandem gesagt.“ (Heinz v. Foerster)
Es gibt nicht „die“ Wahrheit und damit auch keinen Soll-Wert als anzustrebendes Ziel.
Kinder entwickeln sich nicht zum Menschen, sondern als Menschen.
Zusammenhang statt Dualismus – es geht nicht um Objekte, sondern um Beziehungen.
Zirkuläres Fragen: Fragen nach anderen Perspektiven, Umständen und Zeiten.
„Ethischer Imperativ“ (Heinz v. Foerster):
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
„Handle stets so, dass du die Anzahl der Wahlmöglichkeiten erweiterst!“
Lernende sind selbstreferentielle psychische Systeme
- sie erzeugen und steuern sich selbst
- sie können von außen nur beobachtet/angeregt/verstört/gestört werden.
Didaktik ist aus systemisch-konstruktivistischer Sicht:
- ein Ort der eigenen Weltfindung: (Maturana/Varela 1987)
„Das Bild der Welt entsteht im Kopf des Einzelnen.“
- eine Beobachtertheorie, welche die konstruktiven Akte des Aufklärens und der Reflexion in möglichst
hoher Selbsttätigkeit an die Schüler als auch an die Lehrer zurückgibt
- eine Konstruktion, die in Beziehungen ausgehandelt werden kann
Sinn und Zweck der Schule in der Aufmerksamkeit auf:
To know – to understand – to do – to be – to be together
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Die rechte und linke Hemisphäre des Gehirns
und die ihnen zugeordneten Fähigkeiten
Linke Hemisphäre
Rechte Hemisphäre
Sprache
räumliches Erkennen
analytisches und sequentielles Denken
bildhaftes Denken
abstraktes Denken
ganzheitliches Verarbeiten von Information
verbales Denken
analog
digital
Wahrnehmen der Realität
Wahrnehmen von Symbolen
musikalisches Empfinden
Codieren musikalischer Wahrnehmung
tonales Gedächtnis
rhythmisches Gedächtnis
Zustand der Zeitlosigkeit
Zeitgefühl
Intuition
Logik
Körpergefühl
Rationalität
Emotionalität
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Hans Aebli: „Zwölf Grundformen des Lehrens“
(Eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage)
Intrinsität ist das innerlich wirkende Prinzip, dessen Motive
1) nicht nach der Aufhebung eines Mangelzustandes wie Hunger oder Durst streben,
2) zweckfrei sind und ihr Ziel in sich selbst haben.
3) Dieses Ziel besteht darin, ein optimales Niveau der Aktivität zu realisieren bzw. unter einem
optimalen Grad der Stimulation zu stehen, d. h. weder überstrapaziert noch gelangweilt zu sein.
4) Intrinsisch motivierte Tätigkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie „fließen“, („rollen“) und
5)
dass der Tätige ganz in ihnen aufgeht. Dadurch wird das Erlebnis der Selbstbestimmung und
Unabhängigkeit erfahren.
Die Gleichheit der Thematik von Handlung und Handlungsziel wird betont. Extrinsische Handlung
verfolgt ein Ziel, das nichts mit seinem inneren Wesen zu tun hat.
Wichtig ist die Aufmerksamkeitsrichtung des Übenden. Dessen Bewusstsein ist nicht so sehr auf den
äußeren Effekt als auf den eigenen Akt gerichtet. Er erstrebt die höchste ihm derzeit mögliche
Vollkommenheit des Vollzugs, und er wendet darauf alle ihm zur Verfügung stehende Sorgfalt an.
Dazu ist Hingabe notwendig. Sie bewirkt eine Stimmung der „gesammelten Heiterkeit“, in der
sowohl Spannung als auch Gelöstheit enthalten sind. Bescheidener würden wir einfach von der
rechten Konzentration sprechen. Ein derartiges Üben geschieht freudvoll. Solches Üben bewirkt eine
besondere innere Haltung oder Verfassung des Menschen und erzeugt innere Freiheit. Es ergeben
sich daraus keine neuartigen Übungsformen, sondern viel eher ein neuer „Geist des Übens“. Es ist
ein Geist, den der Lehrer zuerst in seinem eigenen Verständnis des Übens realisieren muss, um ihn
in der Folge seinen Schülern mitteilen zu können.
Herrigel schildert in seinem Buch „Zen in der Kunst des Bogenschiessens“ anschaulich, wie sich
dieser Geist vom japanischen Zen-Meister, bei dem er fünf Jahre lang Unterricht genommen hat, auf
ihn selbst übertrug. Der Schüler muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass man den Ablauf der
eigenen körperlichen und geistigen Funktionen wahrnehmen kann und spüren kann, wie man eine
Bewegung durchführt, oder ein Werkzeug führt, wie man eine zeichnerische oder gedankliche Figur
bildet und wie man in diesem Vollzug versuchen kann, die beste mögliche Form zu finden.
Es ist aber auch möglich, intrinsische Motivation zu zerstören, und dies ganz einfach dadurch, dass
man eine Tätigkeit, die Kinder um ihrer selbst willen und aus Freude betreiben, materiell zu
belohnen beginnt. Sie stellen sich in der Regel auf die Belohnung rasch ein. Sobald diese aber
wegfällt, fällt auch das Interesse an der Tätigkeit ab: die Belohnung hat die intrinsische Motivation
korrumpiert.
Hans Aebli: *1923 Zürich, † 1990 Burgdorf/Bern; Psychologe, Philosoph und Pädagoge; Professor der
Psychologie an der Freien Universität Berlin, Leiter der Abteilung Psychologie des
Zentrums für Bildungsforschung an der Universität Konstanz, Direktor der Abteilung
Pädagogische Psychologie der Universität Bern.
Seine Forschungen betreffen die Entwicklungspsychologie, die Psychologie des Denkens
und Handelns und deren Anwendungen auf das Lehren und Erziehen.
33
Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Charles V. W. Brooks: „Erleben durch die Sinne“
(„Sensory Awareness“)
Das Studium der Wahrnehmung ist einfach ein Studium der Bewusstheit. Man kann dahin
kommen, dass man spürt, wann die Bewusstheit mit Gedanken beschäftigt ist und wann diese
Gedanken organisch aus unseren Wahrnehmungen entstehen oder wann sie aus
unzusammenhängenden und verwirrenden Assoziationsreihen bestehen. Wir können spüren, wann
wir für die Realität des Augenblicks offen sind und wann wir uns in Beklemmung oder angestrengter
Selbstkontrolle verschließen. Wir können fühlen, wann unsere Bewusstheit frei fließt und wann sie
auf Widerstände stößt und stockt oder zaudert.
Was wir häufig unter „Denken“ verstehen - die immer wiederkehrende, zwanghafte
Beschäftigung des Bewusstseins mit losen Assoziationen, Klischees und Kalkulierungen -, führt uns
weg von umfassenderem Bewusstsein und nicht zu ihm hin. Diese Art des „Denkens“ ist in Wahrheit
die betäubende und lähmende Droge, zu der so vieles in unserer etablierten Kultur uns Tag für Tag
verführt und der wir seit unserer Kindheit verfallen sind. Sich davon zu lösen, ist zwar nicht so
schmerzhaft, aber gewiss ebenso schwierig wie vom Heroin.
Sich dem Spüren zu überlassen, stillt die Zwanghaftigkeit unserer Gedanken, so dass der Geist
frei wird und zugänglich für seine normalen Wahrnehmungsfunktionen. Wenn das Radio in unserem
Kopf zum Schweigen gebracht ist, dann kann alles andere zum Leben kommen.
Die Laterne im Zelt ist ausgelöscht, und die Dunkelheit füllt sich mit Sternen, während die
Wälder tiefer und weiter werden.
Charles V. W. Brooks
gab von 1963 bis zu seinem Tod 1991 gemeinsam mit seiner Frau
Charlotte Selver in Kalifornien, Maine, New York und Mexico Kurse in
„sensory awareness“.
Für Alan Watts war sensory awareness das „lebendige Zen“, für Erich
Fromm die wichtigste Schule, um zu lernen, das Ich als Zentrum aller
Kräfte zu spüren, und Frederick S. Perls nahm viele Elemente daraus in
seine Gestalttherapie auf. Von 1938 bis zu ihrem Tod 2003 hat Charlotte
Selver auf der Grundlage von Elsa Gindlers „Arbeit am Menschen“ diese
Praxis der Körpererfahrung unter der Bezeichnung „sensory awareness“ in
den USA weiterentwickelt und verbreitet. Sensory awareness – das
bedeutet Sinneswahrnehmung, Sinnbewusstheit. Grundlegende
Funktionen des Organismus wie Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Atmen
können in zahlreichen Experimenten langsam neu erfahren werden, um so
das verlorengegangene Gefühl für den eigenen Körper wiederzugewinnen,
vernachlässigte und abgestumpfte sinnliche Erfahrungen neu zu beleben
und die Entfremdung vom eigenen Körper zu überwinden. Sensory
awareness bedeutet aber auch, die Sinneswahrnehmung von anderen,
vornehmlich intellektuellen, Prozessen des Bewusstseins – Gedanken,
Vorstellungen, Phantasien, Emotionen – unterscheiden zu lernen, um
schließlich zu reiner sinnlicher Wahrnehmungskraft und authentischer
Erfahrung zu gelangen.
34
Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
John Dewey: „Erziehung durch und für Erfahrung“
Ausschließliches Interesse an dem Resultat macht Arbeit knechtisch. Darunter verstehen wir
eine Tätigkeit, bei der das Interesse an dem Ergebnis nicht die Mittel durchdringt, die dazu führen
sollen, das Ergebnis zu erreichen. Dort, wo wir Fronarbeit begegnen, verliert der Prozess für den
Ausführenden jeden Wert. Es handelt sich für ihn einzig und allein um den Lohn, der ihn erwartet.
Die Arbeit selbst, die Betätigung seiner Kräfte ist ihm verhasst und nur ein notwendiges Übel,
dessen er sich bedienen muss.
Es ist aber möglich, spielerische und ernsthafte Haltung zu verbinden, ja, dies ist sogar die
ideale geistige Haltung. Im freien Spiel der Gedanken über irgendein Thema manifestiert sich die
geistige Neugierde, bewegliches und vorurteilsfreies Denken. Diese Erkenntnis soll jedoch nicht zum
Tändeln mit Gedanken ermutigen, sondern Interesse an der geistigen Tätigkeit um ihrer selbst
willen entwickeln und das Denken von den Fesseln der Gewohnheit und der Vorgefassten Meinungen
befreien.
Das freie Spiel der Gedanken beruht auf einer vorurteilsfreien Denkweise, auf dem Vertrauen in
die Integrität der eigenen geistigen Kräfte, auf dem Glauben an die eigene geistige Selbstständigkeit
und Unabhängigkeit. Es ist daher eine ernsthafte Haltung, die mit einer überlegenden Entwicklung
des Denkinhaltes verbunden ist. Sie lässt sich nicht mit leerem Geschwätz und nachlässigem Denken
vereinbaren, denn sie ist nur dort möglich, wo jedes Resultat, zu dem man gelangt, genau
wahrgenommen wird, um weiter verwendet zu werden.
Das Interesse an der Wahrheit um ihrer selbst willen ist sicher eine ernste Angelegenheit, aber
das Interesse an der Wahrheit fällt mit der Liebe zum freien Spiel der Gedanken zusammen.
John Dewey, * 1859 Burlington – † 1952 New York; amerikanischer Philosoph, Pädagoge und
Psychologe; Gründung der Laborschule, Vorlesungen in Japan, China, Mexico. Berater
beim Aufbau des neuen Schulwesens in der Türkei, Mexico und in der Sowjetunion.
Neben den pädagogischen Hauptschriften verfasste er Texte zur Kunst und Religion,
Moral und Politik. Wissenschaft als praxisabhängiges Werkzeug zur Problem- und
Lebensbewältigung. Pädagogik wird als praktische Vermittlung von Denkformen zur
Bewältigung konkreter Probleme gesehen. Besondere Bedeutung hat dabei die soziale
und demokratische Ausrichtung der Erziehung. Systematische Anwendung
durchdachter Erfahrung.
Moshé Feldenkrais: „Das starke Selbst“(Anleitung zur Spontanität)
Wenn wir zugeben, dass der Mensch sich von einem nur maschineähnlichen Organismus durch
bewusste Kontrolle unterscheidet, dann müsste theoretisch das Stadium des Erwachsenseins die
Befreiung von all jenen Schranken und Fesseln mit sich bringen, die uns die frühkindliche vollständige
Abhängigkeit auferlegt hat.
In vielen Menschen bleibt das Bedürfnis nach Bestätigung oder die Furcht vor Missbilligung ebenso
stark wie in ihrer frühen Kindheit. In anderen ist es der Hunger nach Zuneigung, wieder in anderen
das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit; und jeder dieser Faktoren ist dann Quelle und Triebfeder
der gesamten Persönlichkeit.
Jede Art Flucht vor der Realität besteht ausnahmslos darin, dass man aus seinem Bewusstsein das
Wissen um die eigene Abhängigkeit verbannt.
Unsere gewohnheitsmäßigen Handlungen sind zu solchen geworden als Mittel, den Gefühlen der
Verunsicherung und Angst vorzubeugen. Aber hier gibt es kein Ausweichen. Irgendwann müssen wir
der Angst ins Gesicht sehen und Verantwortung auf uns nehmen, wenn wir zu erwachsenen Menschen
werden wollen, die sich weiter entwickeln. Wenn wir diese beiden Vorbedingungen nicht erfüllen, so
bleibt uns der Zustand spontanen Handelns versagt, in dem allein wir fühlen, dass wir uns erfüllen.
Und ohne diese Erfüllung lohnt das Leben kaum.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Das Abhängigkeitsverhältnis, in dem wir mit Süßigkeiten (oder anderem) belohnt werden, wenn
wir brav gewesen sind, und in dem wir das Recht auf Leben dadurch erwerben müssen, dass wir uns
den Wünschen und Forderungen anderer unterwerfen, muss restlos abgeschafft werden, wenn je eine
Gesellschaft schöpferischer und sich weiterentwickelnder, erwachsener Menschen entstehen soll.
Moshé Feldenkrais, * 1904 Slawuta/Russland – † 1984 Tel Aviv; Physiker, Forschungen und Versuche
in Neuro-, Verhaltensphysiologie und Neuropsychologie. Unterrichtete an
Hochschulen Nordamerikas, Israels, Englands und Frankreichs. Begründer der
Feldenkrais-Methode, Feldenkrais-Institut in Zürich.
„Das Wichtigste von allem ist, was wir mit unserem gegenwärtigen Selbst
tun.Liebe dich wie deinen Nächsten“.
Heinz von Foerster: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“(Gespräche für Skeptiker)
Die übliche Vorstellung von einem Lehrer ist, dass er alles weiß - und die Kinder, die Schüler,
nichts wissen. Lernen wäre demnach als die schrittweise Beseitigung von Unwissen zu begreifen.
Man überführt einen schlechten Zustand in einen besseren, transformiert Unwissende in Wissende,
arbeitet wie ein Alchimist, der Eisen zu Gold werden lässt: die Schüler erscheinen, wenn man von
dieser sehr alten lerntheoretischen Metapher einer schrittweisen alchimistischen Transformation
ausgeht, als billiges Material, das über verschiedene Stufen in ein besseres, edleres und
wertvolleres verwandelt werden muss. Und das Ferment, das Zaubermittel, das diese
Schülertransformation einleitet, ist das Wissen.
Aber schon mit der Idee der Wissensvermittlung will ich nichts zu tun haben. Wissen lässt sich
nicht vermitteln, es lässt sich nicht als eine Art Gegenstand, eine Sache oder ein Ding begreifen, das
man - wie Zucker, Zigaretten oder Kaffee - von A nach B transferieren kann, um in einem
Organismus eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Meine Vorstellung ist dagegen, dass das Wissen
von einem Menschen selbst generiert wird und es im Wesentlichen darauf ankommt, die Umstände
herzustellen, in denen diese Prozesse der Generierung und Kreation möglich werden.
Das Bild des Lernenden wird auf diese Weise ein anderes. Er ist nicht mehr passiv, er ist keine
leere Kiste, kein Container, in den eine staatlich legitimierte Autorität Fakten und Daten und seine
enorme Weisheit hineinfüllt. Der Lernende erscheint aus einer solchen kognitions- und
perzeptionstheoretischen Perspektive als aktiver Konstrukteur; er ist es, der sich das Wissen
erarbeitet.
Mein Vorschlag ist, dass der Lehrer von der Idee Abstand nehmen sollte, er wisse alles, und die
Schüler nichts. Der Lehrer sollte die Haltung der sokratischen Ignoranz einnehmen, die auf der
Aussage basiert: Ich weiß, dass ich nichts weiß! Das ist schon ein Fortschritt gegenüber der Position
eines Menschen, der, wie ich sagen würde, die Haltung der fundamentalen Ignoranz vertritt: Man
weiß noch nicht, dass man nichts weiß. Aber was tut der sokratische Nichtwisser? Was macht man,
wenn man weiß, dass man nichts weiß? - Die Antwort heißt: Man beginnt zu forschen.
Heinz von Foerster, * 1911 Wien – † 2002 Pescadero/Kalifornien; Physiker, Philosoph.
1958 schuf Heinz von Foerster das biologische Computerlabor an der
Universität Illinois, das zu einem „transdisziplinären“ Sammelpunkt für
Logiker, Mathematiker, Informatiker, Neurophysiologen, Psychologen und
Sozialwissenschaftern avancierte.
Fächerübergreifend tätiger Wissenschafter, Mitarchitekt der Kybernetik,
„Kybernetik der Kybernetik“ Begründer des Konstruktivismus auf dem Gebiet
der Erkenntnistheorie.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Erich Fried
Wo lernen wir?
Wo lernen wir leben und wo lernen wir lernen
und wo vergessen um nicht nur Erlerntes zu leben?
Wo lernen wir klug genug sein
die Fragen zu meiden
die unsere Liebe nicht einträchtig machen
und wo lernen wir ehrlich genug sein
trotz unserer Liebe und unserer Liebe zuliebe
die Frage nicht zu meiden?
Wo lernen wir uns gegen die Wirklichkeit wehren
die uns um unsere Freiheit betrügen will
und wo lernen wir träumen
und wach sein für unsere Träume
damit etwas von ihnen unsere Wirklichkeit wird?
Erich FROMM: Der kreative Mensch
(Vortrag „The Creative Attitude“ an der Michigan State University, 1957, überarbeitet 1959)
Unterscheidung zwischen reproduktiver und generativer Wahrnehmung im Sinne von
... sehen, bewusst wahrnehmen, antworten ... / ... to see, to be aware, to respond ...
Von Kreativität kann man in einem zweifachen Sinne sprechen: Kreativität kann heißen, dass
etwas Neues geschaffen wird, etwas, das andere sehen oder hören können, etwa ein Gemälde, eine
Skulptur, eine Sinfonie, ein Gedicht, ein Roman usw. Unter Kreativität versteht man aber auch die
Haltung, aus der heraus erst jene Schöpfungen entstehen, von denen eben gesprochen wurde, und
die vorhanden sein kann, ohne dass in der Welt der Dinge etwas Neues geschaffen wird.
Für Kreativität im ersten Sinne, für das kreative Schaffen eines Künstlers, gibt es verschiedene
Voraussetzungen: Begabung (oder besser gesagt: genetische Veranlagung), Studium und Übung sowie
bestimmte ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen, die es dem Betreffenden erlauben,
seine Begabung durch Studium und Übung zu entwickeln. Mir geht es im Folgenden nicht um diese
Art von Kreativität, sondern um die kreative Haltung um den kreativen Charakterzug.
Was ist Kreativität? Die beste Antwort scheint mir folgende zu sein: Kreativität ist die Fähigkeit,
zu sehen (oder bewusst wahrzunehmen) und zu antworten. Es könnte der Eindruck entstehen, als
sei diese Definition von Kreativität zu einfach. Man könnte sagen: „Wenn das Kreativität ist, dann
bin ich ganz gewiss kreativ, denn ich nehme Dinge und Menschen ganz bewusst wahr und reagiere
darauf. Nehme ich denn nicht wahr, was auf meinem Weg zum Büro geschieht? Reagiere ich nicht
mit einem freundlichen Lächeln auf jene Menschen, die mit mir in Kontakt kommen? Sehe ich nicht
meine Frau und reagiere auf ihre Wünsche? Tatsächlich denken die meisten Menschen so, doch sie
irren sich. Die Wahrheit ist, dass die meisten Menschen so gut wie gar nichts bewusst wahrnehmen
und auf nichts wirklich antworten. Untersuchen wir zunächst, was beim Prozess des Sehens und
Antwortens vor sich geht und was hierbei die kreative von der nicht-kreativen Einstellung
unterscheidet.
Nehmen wir an, jemand sieht eine Rose und stellt fest: „Das ist eine Rose“ oder „Ich sehe eine
Rose“. Sieht er die Rose wirklich? Manche tun es wirklich, aber die meisten tun es nicht. Welche
Erfahrung machen sie? Ich möchte es folgendermaßen beschreiben: Sie sehen einen Gegenstand (die
Rose) und stellen fest, dass der von ihnen gesehene Gegenstand unter den Begriff „Rose“ fällt und
dass ihre Feststellung: „Ich sehe eine Rose“ aus diesem Grund richtig ist. Obgleich es den Anschein
hat, dass der Nachdruck hier auf dem Akt des Sehens liegt, handelt es sich in Wirklichkeit um ein
rein kognitives Erfassen und dessen Verbalisierung. Der Mensch, der auf diese Weise feststellt, dass
er eine Rose sieht, stellt in Wirklichkeit nur fest, dass er sprechen gelernt hat. Er hat gelernt, einen
konkreten Gegenstand zu erkennen und mit dem richtigen Wort zu klassifizieren. Das Sehen ist hier
kein wirkliches Sehen, sondern seinem Wesen nach ein verstandesmäßiger Akt. Was ist Sehen dann
aber in der wirklichen Bedeutung des Wortes?
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Vielleicht kann ich es am besten erklären, wenn ich ein konkretes Beispiel anführe. Eine Frau,
die in der Küche Erbsen enthülst hat, sagt zu einem Bekannten, den sie später am Morgen trifft,
voller Begeisterung: „Ich habe heute morgen etwas Wunderbares erlebt: Ich habe zum ersten Mal
gesehen, dass Erbsen rollen.“ Viele, die so etwas hören, werden sich etwas unbehaglich fühlen und
fragen, was mit der Frau los ist, die das sagt. Sie nehmen es als selbstverständlich hin, dass Erbsen
rollen, und wundern sich nur darüber, dass jemand sich darüber wundern kann. Aber was sie
wirklich erleben, wenn sie Erbsen rollen sehen, ist nur eine Bestätigung ihres verstandesmäßigen
Wissens, dass runde Körper auf einer geneigten und relativ glatten Fläche rollen. Für sie bedeutet
es, wenn sie Erbsen rollen sehen, nur eine Bestätigung ihres Wissens und keine vollständige
Wahrnehmung der rollenden Erbsen durch den ganzen Menschen.
Auffallend ist der Unterschied zwischen dem Benehmen der Erwachsenen und der Einstellung
eines zweijährigen Kindes zu einem rollenden Ball. Das Kind kann den Ball immer und immer wieder
auf den Boden werfen und ihn hundertmal rollen sehen, ohne sich zu langweilen. Weshalb? Wenn
man einen Ball rollen sieht und dies nur mit seinem Verstand aufnimmt, dann genügt das einmalige
Erlebnis. Wenn man es zwei-, drei- oder fünfmal erlebte, würde es nichts Neues bringen. Mit
anderen Worten, es langweilt uns, es immer wieder zu sehen. Für das Kind dagegen handelt es sich
primär nicht um eine verstandesmäßige Erfahrung, sondern um den Spaß, den Ball rollen zu sehen,
wie es ja auch manchen von uns noch immer Spaß macht, bei einem Tennisspiel den Ball hin- und
herhüpfen zu sehen.
Wenn wir uns eines Baumes, den wir sehen, voll bewusst sind, wenn wir ihn in seiner vollen
Wirklichkeit, in seinem So-Sein sehen und auf sein So-Sein mit unserer ganzen Person antworten,
dann machen wir die Erfahrung, die die Voraussetzung dafür ist, den Baum malen zu können. Ob wir
die technischen Fertigkeiten besitzen, das zu malen, was wir erleben, ist eine andere Frage, aber
kein gutes Gemälde ist je geschaffen worden, wenn der Maler sich nicht zunächst seines besonderen
Gegenstandes voll bewusst war und entsprechend darauf antwortete.
Um den Unterschied noch von einer anderen Seite aus zu verdeutlichen: Bei der rein
begrifflichen Wahrnehmung besitzt der Baum keine Individualität, sondern ist nur ein Beispiel für
die Gattung „Baum“. Er ist nur die Repräsentanz einer Abstraktion. Beim vollen Gewahrwerden
dagegen gibt es keine Abstraktion. Der Baum behält seine volle Konkretheit und damit seine
Einzigartigkeit. Es gibt dann auf der Welt nur diesen einen Baum, mit dem ich in Beziehung trete,
den ich sehe und auf den ich antworte. Der Baum wird zu meiner Schöpfung.
Normalerweise unterscheidet sich das, was wir erleben, wenn wir Menschen sehen, nicht von
dem, was wir erleben, wenn wir Gegenstände sehen. Was geht vor sich, wenn wir einen bestimmten
Menschen zu sehen glauben? Wir sehen zunächst nur nebensächliche Dinge: seine Hautfarbe, die Art,
wie er gekleidet ist seine soziale Stellung und Erziehung, ob er freundlich oder unfreundlich ist, ob
er uns nützlich sein kann oder nicht. Was wir zuerst wissen wollen, ist, wie wir eine Blume
klassifizieren, indem wir sagen, dass es eine Rose ist. Die Art, wie wir ihn wahrnehmen,
unterscheidet sich nicht allzusehr von der Art, wie er sich selbst wahrnimmt. Fragen wir ihn, wer er
sei, wird er uns zunächst antworten, er heiße Jones. Geben wir ihm zu verstehen, dass wir damit
immer noch nicht recht über ihn Bescheid wüssten, wird er vielleicht sagen, dass er verheiratet,
Arzt und Vater von zwei Kindern sei. Wer dann immer noch nicht das Gefühl hat, diesen Mann zu
kennen, dem fehlt es offensichtlich am nötigen Scharfsinn, oder er ist ungewöhnlich indiskret. Wir
sehen in der konkreten Person eine Abstraktion, genauso wie er in sich selbst und in uns eine
Abstraktion sieht. Mehr wollen wir auch gar nicht sehen. Wir teilen die allgemeine Phobie, wir
könnten einem Menschen zu nahe kommen, wir könnten durch die Oberfläche zu seinem Kern
vorstoßen, deshalb sehen wir lieber nur wenig von ihm, nicht mehr, als wir unbedingt für unser
jeweiliges Vorhaben mit ihm sehen müssen. Diese Art des flüchtigen Kennens entspricht einem
inneren Zustand der Gleichgültigkeit unserer Gefühle dem anderen Menschen gegenüber.
Aber das ist noch nicht alles. Wir sehen nicht allein den Betreffenden nur am Rande und auf eine
oberflächliche Weise. Wir sehen ihn auch in vieler Hinsicht unrealistisch. Hieran sind in erster Linie
unsere Projektionen schuld. Wir sind zornig, projizieren unseren Zorn auf die andere Person und
glauben, sie sei zornig. Wir sind eitel und empfinden den anderen als eitel. Wir haben Angst und
bilden uns ein, er habe Angst, und so weiter. Wir machen ihn zum Aufhänger für die vielen Kleider,
die wir selbst nicht tragen möchten, und glauben trotzdem, das sei alles er, und merken nicht, dass
es nur die Kleider sind, die wir ihm anziehen. Aber wir projizieren nicht nur, wir entstellen auch das
Bild des anderen, weil unsere eigenen Emotionen uns unfähig machen, den anderen so zu sehen, wie
er ist. Die drei wichtigsten Eigenschaften, die zu diesem Resultat führen, entsprechen den drei
Grund-„Sünden“ der buddhistischen Ethik: Gier, Torheit und Zorn. Es erübrigt sich, eigens zu
betonen, dass wir einen anderen Menschen nicht objektiv sehen können, wenn wir aus Gier etwas
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
von ihm haben wollen. Wir sehen ihn dann entstellt, ganz so wie ihn unsere Gier haben möchte,
unser Zorn ihn zu sein zwingt und unsere Torheit ihn sich vorstellt.
Einen anderen Menschen kreativ sehen, heißt, ihn objektiv, ohne Projektionen und ohne
Entstellungen sehen, und das bedeutet, dass man in sich selbst jene neurotischen „Laster“
überwindet, die unausweichlich zu Projektionen und Entstellungen führen. Es bedeutet, zur
Wahrnehmung der inneren und äußeren Wirklichkeit voll zu erwachen. Nur wer jene innere Reife
erreicht, wer seine Projektionen und Entstellungen auf ein Minimum reduzieren kann, wird kreativ
leben.
Das Erlebnis, einen Menschen in seiner ganzen Wirklichkeit zu sehen, erscheint uns manchmal
wie eine plötzliche Erfahrung und kann uns überraschen. Wir können einen Menschen schon
hundertmal gesehen haben, und plötzlich beim hundertsten Mal, sehen wir ihn ganz und haben das
Gefühl, als hätten wir ihn zuvor nie richtig gesehen. Sein Gesicht, seine Bewegungen, seine Augen,
seine Stimme gewinnen eine neue, intensivere und konkretere Wirklichkeit durch den Unterschied,
der zwischen unserem neuen Bild von ihm und dem früheren besteht. So können wir den
Unterschied zwischen sehen und sehen lernen.
Die gleiche Erfahrung können wir bei einer vertrauten Landschaft, einem weltbekannten
Gemälde oder bei einem sonstwie bekannten Gegenstand machen.
Einen Menschen oder einen Gegenstand in seiner Totalität, in seiner ganzen Wirklichkeit zu
sehen, ist die Voraussetzung für ein wirklichkeitsgerechtes Antworten. Die meisten Antworten sind –
wie die Wahrnehmungen – unwirklich und rein verstandesmäßig. Wenn ich in der Zeitung von einer
Hungersnot in Indien lese, reagiere ich kaum darauf, oder ich reagiere nur mit einem Gedanken –
mit dem Gedanken, dass das einfach furchtbar ist, mit einem Gedanken des Bedauerns oder
bestenfalls des Mitgefühls. Etwas anderes ist es, wenn ich jemanden leidend vor mit sehe. Dann
reagiere ich mit meinem Herzen, meinem ganzen Körper. Ich leide mit ihm, ich habe den Impuls,
ihm zu helfen und folge diesem Impuls. Aber selbst, wenn ich den konkreten Leiden oder dem Glück
eines Menschen gegenüberstehe, reagiere ich nur oberflächlich. Ich „denke“, das in einem solchen
Fall angebrachte Gefühl und tue auch das, was angebracht ist, bleibe aber trotzdem distanziert.
Im realistischen Sinn reagieren und antworten bedeutet, dass ich mit all meinen menschlichen
Kräften, mit denen ich leiden, mich freuen, die Wirklichkeit verstehen kann, antworte. Ich antworte
dann auf einen Menschen so, wie er ist; mein Erleben des anderen orientiert sich an dem, wie er ist
und bestimmt meine Antwort. Ich reagiere nicht mit meinem Gehirn oder mit meinen Augen und
Ohren. Ich antworte vielmehr mit meiner ganzen Person, so wie ich bin. Ich denke mit meinem
ganzen Körper und sehe mit meinem Herzen. Antworte ich auf ein Objekt mit den realen in mir
vorhandenen Kräften, mit allen, die eben die Fähigkeit zur Antwort haben, dann hört das Objekt
auf, Objekt zu sein. Ich werde eins mit ihm und bin kein bloßer Beobachter mehr. Ich höre auf, sein
Richter zu sein. Zu dieser Art von Antwort kommt es in einer Situation vollkommenen Bezogenseins,
in der der Sehende und das Gesehene, Beobachter und Beobachtetes eins werden, obwohl sie
gleichzeitig zwei bleiben.
Welche sind die Voraussetzungen für diese kreative Einstellung, zu sehen und zu antworten,
wahrzunehmen und ein Gespür für das Wahrgenommene zu haben? Die erste Voraussetzung ist die
Fähigkeit des Staunens. Kinder besitzen diese Fähigkeit noch: Sie richten ihr ganzes Bemühen
darauf, sich in einer neuen Welt zu orientieren, immer neue Dinge erfassend, um sie
kennenzulernen. Sie sind verblüfft, überrascht und können staunen, und eben hierdurch können sie
kreativ antworten. Haben sie jedoch einmal den Erziehungsprozess durchlaufen, verlieren die
meisten Menschen die Fähigkeit zum Staunen.
Sie meinen, dass sie eigentlich alles wissen müssten, und dass Staunen ein Indiz ihrer Unbildung
sein würde. Die Welt hört auf, voller Wunder zu sein – man nimmt sie als selbstverständlich hin. Die
Fähigkeit zu staunen ist jedoch die Voraussetzung für alles Schöpferische in Kunst und Wissenschaft.
Der französische Mathematiker Raymond Poincaré formulierte einmal treffend:
„Wissenschaftliche Genialität ist die Fähigkeit, sich überraschen zu lassen.“ Viele wissenschaftliche
Entdeckungen sind eben auf diese Weise zustande gekommen. Der Wissenschaftler beobachtet ein
Phänomen, das schon viele andere vor ihm gesehen haben, ohne davon überrascht zu sein, ohne
erstaunt innezuhalten.
Er aber besitzt die Fähigkeit zu staunen; das Offensichtliche wird ihm zum Problem, seine
Gedanken beginnen zu arbeiten, und das ist der Anfang einer Entdeckung. Zum schöpferischen
Wissenschaftler macht ihn nur zum Teil seine Fähigkeit, das Problem zu lösen. Er verdankt es
großenteils seiner Fähigkeit, sich über das zu wundern, was der durchschnittliche Wissenschaftler
als selbstverständlich hinnimmt.
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Allgemeine Didaktik
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Die zweite Voraussetzung für die kreative Haltung ist die Kraft, sich zu konzentrieren. Dies ist in
unserer westlichen Kultur eine Seltenheit. Wir sind immer beschäftigt, jedoch ohne Konzentration.
Wenn wir etwas tun, denken wir bereits an das Nächste, an den Augenblick, wo wir mit dem, was
wir gerade tun, aufhören können.
Wir tun möglichst viele Dinge gleichzeitig. Wir frühstücken, hören Radio und lesen die Zeitung,
und vielleicht unterhalten wir uns dabei noch mit unserer Frau und unseren Kindern. Wir tun fünf
Dinge gleichzeitig, und wir tun nichts richtig; „nichts“ meint hier, dass es Ausdruck unserer eigenen
Kräfte wäre. Wenn man wirklich konzentriert ist, dann ist das, was man gerade in diesem
Augenblick tut, das Allerwichtigste auf der Welt. Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, wenn
ich etwas lese, wenn ich spazieren gehe – wenn ich dies alles konzentriert tue, dann gibt es für mich
nichts Wichtigeres als das, was ich hier und jetzt tue. Die meisten Menschen leben in der
Vergangenheit oder in der Zukunft. Vergangenheit oder Zukunft gibt es aber gar nicht als reale
Erfahrungen. Es gibt nur das Hier und Jetzt. Darum gilt auch, dass es wirkliche Wahrnehmung und
wirkliches Antworten nur im Hier und Jetzt gibt – wenn man sich dem, was man jetzt im Augenblick
tut, sieht und fühlt, hingibt.
Im Zusammenhang mit dem „ich“ tue und fühle, gibt es noch das Problem, wie ich denn mein
„Ich“, mein Selbst erleben kann. Die Fähigkeit zur Selbst-Erfahrung ist eine weitere Bedingung für
die kreative Haltung.
Bekanntlich ist das „ich“ eines der letzten Worte, die das Kind zu sprechen lernt, aber wenn es
das Wort gelernt hat, benutzt es dies mit leichter Zunge. Wenn wir zum Beispiel eine Meinung
äußern wollen, dann sagen wir, „ich glaube“ das oder jenes. Analysiert man aber diese Meinung,
dann kann man entdecken, dass der Betreffende nur äußert, was er von jemand anderem gehört,
was er in der Zeitung gelesen hat oder was ihm seine Eltern beigebracht haben, als er noch ein Kind
war. Er bildet sich ein, er selbst denke, während es richtiger wäre, wenn er sagt: „Es denkt in mir.“
Er macht sich etwa die gleichen Illusionen wie ein Plattenspieler, der – falls er denken könnte –
sagen würde: „Ich spiele gerade die Mozartsinfonie“, wo wir doch alle wissen, dass wir die
Schallplatte auf den Plattenspieler aufgelegt haben und dass er nur das wiedergibt, was in ihn
hineingegeben wurde.
Was für das Denken gilt, gilt auch für das Fühlen. Fragen wir zum Beispiel jemanden auf einer
Cocktail-Party, wie er sich fühlt, dann antwortet er: „Ich fühle mich wohl und amüsiere mich
köstlich.“ Beobachten wir ihn aber etwa beim Verlassen der Party, dann können wir entdecken, dass
er plötzlich einen traurigen Eindruck macht und müde aussieht. Möglicherweise hat er in der darauf
folgenden Nacht einen Traum, einen richtigen Albtraum. War er wirklich glücklich? Äußerlich
betrachtet, scheint er es tatsächlich gewesen zu sein: Er sieht sich trinken, lächeln und mit anderen
unterhalten, die ebenfalls tranken, redeten, lächelten. Er folgerte, dass er glücklich sein und sich
wohl fühlen müsse wie die anderen. Vielleicht fühlte er sich traurig, gelangweilt und gleichgültig,
aber er glaubt die Gefühle zu haben, die die Situation von ihm verlangte und die man bei einer
solchen Gelegenheit von ihm erwartete.
Wer jedoch wirklich sein Ich, sein Selbst fühlt, der erfährt sich selbst als Zentrum seiner Welt,
als den wahren Urheber seines Tuns. Das ist es, was ich unter Originalität verstehe. Es geht dabei
primär nicht um Neuentdeckungen, sondern um ein Erleben, bei dem das Erlebnis in mir selbst
seinen Ursprung hat.
Jeder Mensch braucht unbedingt ein Gefühl seiner selbst, ein Identitätsgefühl. Wir würden
wahnsinnig, wenn wir nicht dieses „Selbst“-Gefühl hätten. Aber dieses Identitätsgefühl ist je nach
Kultur, in der wir leben, ein anderes.
In einer primitiven Gesellschaft, wo der einzelne noch keine Individualität ist, kann man das
„Ich“-Gefühl mit den Worten beschreiben: „Ich bin wir.“ Mein Identitätsgefühl besteht darin, dass
ich mich mit der Gruppe identifiziere. In dem Maß, wie der Mensch im Evolutionsprozess
fortschreitet und sich als Individuum bewusst wird, trennt sich sein Identitätsgefühl von der Gruppe.
Er als eigenständiges Individuum muss sich jetzt als „Ich“ fühlen können.
Es gibt viele Missverständnisse bezüglich dieses „Selbst“-Gefühls. Manche Psychologen sind der
Meinung, dieses Gefühl sei nur das Spiegelbild der gesellschaftlichen Rolle, die dem Betreffenden
zugeteilt werde, es sei nur die Reaktion auf die Erwartungen, welche die anderen in ihn setzen.
Wenn das auch erfahrungsgemäß die Art eines Selbst ist, wie es die meisten in unserer Gesellschaft
erleben, so handelt es sich dabei nichtsdestoweniger um ein pathologisches Phänomen, das eine
tiefe Unsicherheit und Angst und das zwanghafte Bedürfnis nach Konformität zur Folge hat. Man
kann diese Angst und diesen Zwang, sich anzupassen, nur dadurch überwinden, dass man ein
„Selbst“-Gefühl entwickelt, in welchem ich mich schöpferisch als Urheber meiner Taten erlebe. Das
heißt jedoch keineswegs, egozentrisch oder narzisstisch zu werden. Ganz im Gegenteil kann ich
mich nur im Prozess des Bezogenseins auf andere oder – entsprechend unserem Hauptthema – auf
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
der Grundlage einer kreativen Einstellung als „Ich“ erleben. Wenn ich isoliert und ohne Beziehung
zu andern bin, dann erfüllt mich eine solche Angst, dass es mir völlig unmöglich ist, ein Gefühl für
meine Identität und mein Selbst zu entwickeln. Stattdessen empfinde ich eher das Gefühl, meine
Person zu besitzen. Ich habe ein Gefühl von my home is my castle. Mein Besitz, das bin dann ich.
Alles was ich besitze, einschließlich meines Wissens, meines Körpers, meines Gedächtnisses, macht
mein Ich aus. Es ist dies aber gerade eine Erfahrung des Selbst im oben beschriebenen Sinn. Mein
selbst ist dann nicht der Vollzieher kreativer Erlebnisse, sondern ein „Selbst“, das sich an meine
Person als ein Ding, als einen Besitz klammert. Ein Mensch mit dieser Einstellung ist in Wirklichkeit
ein Gefangener seiner selbst, der eingesperrt und daher unausweichlich voller Angst und ohne Glück
ist.
Um ein echtes Gefühl seines Selbst zu erlangen, muss er aus seiner Person ausbrechen. Er darf
sich nicht länger an sich selbst als an ein Ding klammern.
Er muss lernen, sich selbst im Prozess kreativen Antwortens zu erleben; das Paradoxe dabei ist, dass
er bei diesem Prozess des Sich-selbst-Erlebens sich selbst verliert. Er transzendiert dann die
Grenzen der eigenen Person, und im gleichen Augenblick, in dem er das Gefühl hat „ich bin“, hat er
auch das Gefühl „ich bin du“. Ich bin eins mit der ganzen Welt.
Eine weitere Voraussetzung für die Kreativität ist die Fähigkeit, die sich aus Polaritäten
ergebenden Konflikte und Spannungen zu akzeptieren, anstatt ihnen aus dem Wege zu gehen. Dieser
Gedanke steht in völligem Widerspruch zu der heute gängigen Meinung, dass Konflikte möglichst zu
vermeiden seien. Die gesamte moderne Erziehung läuft darauf hinaus, dem Kind die Erfahrung von
Konflikten zu ersparen. Alles wird ihm leicht gemacht, jeder behandelt es mit Nachsicht. Die
ethischen Normen werden so nivelliert, dass es nur selten Gelegenheit bekommt, den Konflikt
zwischen Wunsch und Norm zu erleben. Es ist ein allgemein verbreiteter Irrtum, Konflikte seien
schädlich und daher zu vermeiden. Das Gegenteil trifft zu. Konflikte sind die Quelle des Staunens,
der Entwicklung der eigenen Kraft und dessen, was man als „Charakter“ zu bezeichnen pflegte.
Vermeidet man Konflikte, so wird man zu einer reibungslos laufenden Maschine, bei der jeder Affekt
sofort ausgeglichen wird, bei der alle Wünsche automatisch ablaufen und alle Gefühle verflachen.
Es gibt nicht nur Konflikte persönlicher und zufälliger Art, es gibt auch Konflikte, die tief in der
menschlichen Existenz wurzeln. Ich meine damit den Konflikt, der durch die Tatsache entsteht, dass
wir durch unseren Körper, durch dessen Bedürfnisse und schließlich Vernichtung dem Tierreich
angehören, aber gleichzeitig dieses Tierreich und die Natur durch das Bewusstsein unserer selbst,
durch unsere Vorstellungskraft und unsere Kreativität transzendieren.
Wir repräsentieren alle Möglichkeiten, welche die menschliche Rasse hat oder jemals haben
wird, und doch realisieren wir in unserem kurzen Leben nur einen verschwindenden Teil dieser
Möglichkeiten. Wir schmieden Pläne und treffen Vorkehrungen und sind doch Zufällen unterworfen,
die von unserem Willen und unserem Planen völlig unabhängig sind.
Diese Konflikte bewusst zu erkennen, sie tief zu erleben und sie nicht nur mit dem Verstand,
sondern auch mit dem Gefühl zu akzeptieren, ist eine Voraussetzung für Kreativität. Wenn man sie
verleugnet oder nur verstandesmäßig erlebt, so führt das zu einem oberflächlichen, nur am Rande
verlaufenden Erleben, das die Kreativität ausschließt. Hinzuzufügen ist hier noch, dass wir nicht nur
Konflikte, sondern auch Polaritäten zu ignorieren versuchen. Diese Polaritäten existieren auf vielen
Ebenen. Auf individueller Ebene gibt es etwa die Polaritäten des Temperaments. Auf
gesellschaftlicher Ebene ist die wichtigste Polarität die zwischen Mann und Frau. Was haben wir
daraus gemacht?
Aufgrund unserer falschen Vorstellung von der Gleichberechtigung, die mehr oder weniger auf
Nivellierung hinausläuft, haben wir diese Polarität stark reduziert. Je mehr der Mensch sich in der
modernen Gesellschaft in ein Ding verwandelt, desto mehr werden auch Mann und Frau zu Dingen
und die zwischen ihnen bestehende Polarität reduziert. Mann und Frau haben sich heute praktisch
angeglichen, und der Unterschied zwischen ihnen ist nur noch auf rein sexuellem Gebiet von
Bedeutung. Bei diesem Prozess wird auch die erotische Anziehung, die aus der kosmischen Polarität
zwischen dem männlichen und dem weiblichen Pol entspringt, in ihrer Intensität stark reduziert.
Liebe wird in gute Kameradschaft verwandelt und verliert dabei ihren echt erotischen und
leidenschaftlichen Charakter, der die Quelle der Kreativität selbst ist.
Zweifellos haben wir in der modernen Kultur durch die Gleichberechtigung der Geschlechter
einen großen Fortschritt miterlebt, und sogar in Bezug auf die Durchführung der Gleichberechtigung
der Rassen wurden schnelle Fortschritte gemacht. Aber wir können auf diese Errungenschaften nicht
recht stolz sein. Obwohl sie in einer Hinsicht zweifellos etwas Gutes sind, haben wir sie andererseits
mit einer Vernachlässigung der Unterschiede und Polaritäten bezahlt. Ursprünglich hat man unter
Gleichheit verstanden, dass wir alle gleich sind in dem Sinn, dass jeder Mensch eine Größe für sich
ist und nicht zum Mittel für Zwecke anderer gemacht werden darf. Oder – um es ins Religiöse zu
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
übersetzen – dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist und dass sich kein anderer Mensch zu seinem
Gott oder Herrn machen darf. Gleichheit bedeutete, dass jeder von uns die gleiche menschliche
Würde besitzt trotz aller bestehenden Unterschiede; sie besagt, dass wir das Recht haben, unsere
Unterschiede zu entwickeln, und dass trotzdem keiner das Recht auf Unterschiede hat, die ihm zur
Ausbeutung anderer dienen. Heute wird Gleichförmigkeit in dem Sinne betont, dass man sich nicht
von der Herde unterscheiden darf. Es herrscht die allgemeine Angst, Unterschiede könnten das
Prinzip der Gleichheit gefährden.
Ich bin überzeugt, dass erst, wenn dieser Standpunkt überwunden ist, wenn an die Stelle der
Gleichförmigkeit wieder echte Gleichheit tritt, Kreativität sich entwickeln kann.
Man kann die Voraussetzung für Kreativität auch noch auf andere Weise formulieren, nämlich mit
der Bereitschaft, täglich neu geboren zu werden. Tatsächlich handelt es sich ja bei der Geburt nicht
um einen einzigen Prozess, der sich abspielt, wenn das Kind sein fötales Dasein aufgibt und selbst zu
atmen beginnt. Dieses Ereignis ist nicht einmal so entscheidend, wie es biologisch gesehen zu sein
scheint. Wenn das Neugeborene auch selbst atmet, ist es doch noch genauso hilflos von seiner
Mutter abhängig wie vor seiner Geburt, als es noch ein Teil ihres Körpers war.
Auch im Hinblick auf die biologische Entwicklung besteht die Geburt aus vielen Einzelschritten.
Sie beginnt mit dem Verlassen des Mutterleibs, dann folgt das Verlassen der Mutterbrust, ihres
Schoßes und ihrer Hände. Jede neu erworbene Fähigkeit, Sprechen, Laufen, Essen bedeutet
gleichzeitig das Verlassen eines früheren Zustandes. Der Mensch wird von einer eigenartigen
Dichotomie (Zweifachheit) beherrscht. Er hat Angst, den früheren Zustand aufzugeben, der
Sicherheit bedeutete, und möchte doch einen neuen Zustand erreichen, der ihm die Möglichkeit
gibt, seine eigenen Kräfte freier und vollständiger zu gebrauchen. Er wird ständig hin- und
hergerissen zwischen dem Wunsch, in den Mutterleib zurückzukehren, und dem Wunsch, ganz
geboren zu werden. Jeder Geburtsakt erfordert den Mut, etwas loszulassen, den Mutterleib
aufzugeben, ihre Brust und ihren Schoß zu verlassen und die Mutterhände loszulassen, um
schließlich auf alle Sicherheiten zu verzichten und sich nur noch auf eines zu verlassen: auf die
eigenen Kräfte, die Dinge wirklich wahrzunehmen und auf sie zu antworten, das heißt auf die eigene
Kreativität. Kreativ sein heißt den gesamten Lebensprozess als einen Geburtsprozess ansehen und
keine Stufe des Lebens als endgültige zu betrachten.
Die meisten Menschen sterben, bevor sie ganz geboren sind.
Kreativität bedeutet: geboren werden, bevor man stirbt.
Die Bereitschaft geboren zu werden – und das bedeutet die Bereitschaft, alle „Sicherheiten“ und
Illusionen aufzugeben – erfordert Mut und Glauben: Mut, die Sicherheiten aufzugeben; Mut, sich von
den andern zu unterscheiden und die Isolierung zu ertragen; Mut, wie es in der Bibel in der
Geschichte Abrahams heißt, sein Vaterland und seine Familie zu verlassen und in ein noch
unbekanntes Land zu gehen; Mut, sich um nichts zu kümmern als um Wahrheit, und zwar um
Wahrheit nicht nur in Bezug auf das eigene Denken, sondern auch in Bezug auf das eigene Fühlen.
Dieser Mut ist nur auf der Grundlage des Glaubens möglich, jedoch nicht eines Glaubens, wie man
ihn heute gern versteht, als Glaube an eine Idee, die man wissenschaftlich oder verstandesmäßig
nicht beweisen kann, sondern eines Glaubens wie im alten Testament, wo das Wort für Glauben
(emuna) soviel wie Gewissheit bedeutet. Der Realität des eigenen Erlebens im Denken und Fühlen
sicher sein, darauf vertrauen und sich darauf verlassen können, das ist Glaube. Ohne Mut zum
Glauben gibt es keine Kreativität. Daher ist eine unentbehrliche Voraussetzung für die Entwicklung
der kreativen Haltung, dass man begreift, was Mut und Glaube ist, und dass man beide fördert.
Um es noch einmal zu wiederholen: Kreativität im hier gebrauchten Sinn ist keine Eigenschaft,
die nur besonders begabte Menschen oder Künstler erreichen können, sondern eine Haltung, die
jeder Mensch erreichen sollte und auch erreichen kann.
Erziehung zu Kreativität ist gleichbedeutend mit der Erziehung zum Leben.
Erich Fromm, * 23. März 1900 Frankfurt/Main – 18. März 1980 Locarno; Studien der Psychologie,
Philosophie und Soziologie bei Alfred Weber, Karl Jaspers und Heinrich Rickert
Psychoanalytiker („Frankfurter Schule“ um Max Horkheimer) und Philosoph
1934 Emigration in die Vereinigten Staaten; 1949 – 1965 Professur in Mexico; 1974
Übersiedlung in den Tessin
„Unser Weltbild entspricht nur in dem Maße der Wirklichkeit,
wie unsere Lebenspraxis frei von Widersprüchen und Irrationalität ist.“
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Heinrich Jacoby: „Jenseits von Begabt und Unbegabt“
Entfaltung entsteht nur durch zweckmäßigen Gebrauch und nie durch „Übungen Machen“
(formales Wiederholen derselben Aufgabe). Jede Wiederholung muss eine neue Nuance eines
Problems ergeben, wenn sie sich nicht in jener routinierten, stumpf machenden Art vollziehen soll,
zu der wir von klein an verführt worden sind.
Mehr Beziehung entsteht nur durch zunehmendes Anwesend-Werden bei der Auseinandersetzung
mit einer Sache. Je häufiger wiederholt, desto routinierter die Beziehung! Dahinter verbirgt sich die
groteske pädagogische Meinung - die man besonders in Bezug auf den Elementarunterricht finden
kann -, man müsse den kleinen Menschen „Automatismen“ anerziehen.
Die Qualität von Zustand und Verhalten ist von entscheidender Bedeutung für die Qualität von
jeder Leistung. Es kann eine große Hilfe werden, wenn Sie erkannt haben, dass man durch jede
kleine Verabredung, die man unroutiniert und anwesend zu bewältigen versucht, so aufgeschlossen
werden kann, dass man dadurch brauchbarer für andere Anforderungen wird. Man sollte anhand
konkreter Aufgaben und Leistungsnotwendigkeiten versuchen, zu sich zu kommen. Ich sage das in
ausdrücklichem Gegensatz zu „Konzentration“ und „Meditation“, die weitgehend doch einen
Rückzug vom Leben bedeuten. Wir sollten im Leben durch die konkrete Aufgabe und bei der
konkreten Aufgabe anwesend werden können und nicht aus dem Leben austreten müssen, um still
werden zu können! Das Entscheidende ist, was ein Mensch tut und wie er es tut.
Wer bei sich ist, spürt deutlich, was notwendig ist. Man sagt gewöhnlich: „So etwas kann man
nicht lernen!“ Und ich sage: „Das ist das Einzige, was zu lernen sich lohnt!“ - Man kann es nicht
lernen, aber man kann es sich erarbeiten.
Zum Erzieherberuf sollte ein Mensch nicht zugelassen werden, bevor er eine Ahnung von der
Tragweite der Wirkung seines Zustandes und Verhaltens hat. Man muss bewusst erfahren haben, was
„Bei-sich-Sein“ für das In-Beziehung-Kommen, das Kontakt-Gewinnen mit Menschen bedeutet, damit
es einem wichtig werden kann, so sein zu können.
Wer in seinem Leben ständig auf Sich - Sichern aus ist, wer so rasch wie möglich zum
„Automatismus“ für seine täglichen Beschäftigungen gelangen will, wer Routine gern hat, weil sie
ihm erspart, ständig neu am Leben zu sein, der muss sich nicht wundern, wenn es ihm schwer wird,
unmittelbar zu reagieren und zu funktionieren, wenn es ihm unmöglich erscheint, sich einer Führung
von innen her überlassen zu können, ja, überhaupt nur die Existenz solcher Führung erfahren zu
können! Die Hauptsache ist und bleibt, dass man nicht nur spürt, dass es so etwas wie
Unmittelbarkeit des Reagierens und Reagierbereitschaft gibt, sondern dass man auch im Alltag das
Bedürfnis hat, wach und reagierbereit zu existieren; alles andere kommt dann von selbst!
Heinrich Jacoby, * 1889 Frankfurt – † 1964 Zürich; Komponist, Dirigent (Schüler von Hans
Pfitzner), Philosoph, Psychologe; Lehrer am Dalcroze-Institut Dresden; Leiter der
Lehrerbildung an der „Neuen Schule für angewandten Rhythmus“; Leitung der
Musikerziehung an der Odenwaldschule;
Zweckmäßige Fragestellung und zweckmäßiges Verhalten – Schlüssel für die
Entfaltung
des Menschen. Verbindung der Künste; Gelassenheit, Spürbereitschaft,
Vertrauen,
Experimentieren
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Heinrich von Kleist: „Über das Marionettentheater“
Jede Bewegung hat einen Schwerpunkt. Es ist genug, diesen, im Inneren der Figur, zu regieren.
Die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgendein Zutun, von selbst. Die Linie
nun, die dieser Schwerpunkt zu beschreiben hat, ist einerseits etwas sehr Einfaches und
andererseits etwas sehr Geheimnisvolles. Denn sie ist nichts anderes als der Weg der Seele des
Tänzers. Und sie kann nicht anders gefunden werden als dadurch, dass der Puppenspieler sich in den
Schwerpunkt der Marionette versetzt, das heißt, mit anderen Worten, tanzt.
Was ist der Vorteil, den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraushaben würde? Der Vorteil?
Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, dass sie sich niemals zierte. –
Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele in irgendeinem anderen Punkte
befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung. Da der Maschinist nun schlechthin, vermittelst des
Drahtes oder Fadens, keinen andern Punkt in seiner Gewalt hat, als diesen: so sind alle übrigen
Glieder, was sie sein sollen, tot, reine Pendel, und folgen dem bloßen Gesetz der Schwere; eine
vortreffliche Eigenschaft, die man vergebens bei dem größten Teil unserer Tänzer sucht.
Sehen Sie nur die P. an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll,
nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes ... Sehen Sie den jungen F. an,
wenn er, als Paris, unter den drei Göttinnen steht, und der Venus den Apfel überreicht: die Seele
sitzt ihm gar (es ist ein Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.
Solche Missgriffe, setzte er abbrechend hinzu, sind unvermeidlich, seitdem wir von dem Baum
der Erkenntnis gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub ist hinter uns, wir
müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder
offen ist.
Moshé Feldenkrais: „Bewusstheit durch Bewegung“
Wenn einer geistige Eindrücke empfängt, so bleibt dies ein rein mechanischer Vorgang, sofern er
sich (oder man ihm) nicht auch die Zeit lässt, sich der Aufmerksamkeit, die er daran wendet,
bewusst zu werden und auch dessen, dass diese Aufmerksamkeit genügt, damit er verstehen kann.
Macht es denn soviel aus, dass einer (z. B.) beim Lesen darauf achtet, was in ihm vorgeht und wie?
Innerer und äußerer Kontakt besteht auch darin, bewusste Aufmerksamkeit für die Empfindungen im
Inneren des Körpers auf seine Veränderungen hinsichtlich des Raumes um ihn zu übertragen.
Eine Handlung ist einfach auszuführen und die Bewegung leicht, wenn die großen Muskeln der
Körpermitte die Hauptarbeit leisten und die Muskeln der Glieder lediglich die Knochen in die
Richtung lenken, an deren Ziel die aufgewendete Kraft wirken soll.
Eugen Herrigel: „Zen in der Kunst des Bogenschiessens“
Es liegt also nicht am Bogen, sondern an der „Geistesgegenwart“, an der Lebendigkeit und
Wachheit, mit der Sie schießen. Um nun die höchste Spannung dieser geistigen Wachheit zu
entfesseln, müssen Sie die Zeremonie anders durchführen als bisher: so etwa, wie ein rechter
Tänzer tanzt. Wenn Sie dies tun, entspringen die Bewegungen Ihrer Gliedmaßen jener Mitte, in
welcher die rechte Atmung geschieht. Es ist dann so, als ob Sie die Zeremonie, anstatt sie wie
Auswendiggelerntes abzuwickeln, aus der Eingebung des Augenblickes schüfen, so dass Tanz und
Tänzer ein und dasselbe sind.
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Horst Coblenzer/Franz Muhar: „Atem und Stimme“
Was wir „Haltung“ nennen, kann also nur ein Ausgleich der Bewegungen sein, ein Balanceakt im
Spiel der Muskeln. Einfache Übungen können den gewünschten Erfolg bringen oder ihn vermissen
lassen, und zwar je nachdem, ob sie mechanisch abgespult werden oder ob man sie in der
erstrebenswerten geistigen bzw. psychischen Einstellung ausführt.
Die aufmerksame Zuwendung auf einen Vorgang bringt eine Sinnesempfindung, aber nur dann,
wenn man sie „durchlässt“. Dies gelingt jedoch nur, wenn man weder verkrampft noch schlaff,
sondern in einer mittleren muskulären, der „eutonischen“ Spannung ist. Die meisten Menschen
müssen sich eine solche Einstellung erst erarbeiten. Ihnen fällt nämlich das „Machen“ weit leichter
als das „Lassen“.
Bei diesem Lassen müssen wir klar unterscheiden lernen zwischen einer Passivität mit totalem
Abschalten einerseits und einem Geschehen-Lassen, das man als Empfindung bewusst erlebt,
andererseits („Luft holen“ <> inspiriert werden).
Prentice Mulford: „Unfug des Lebens und des Sterbens“
Hunderte und Hunderte dieser kleinen Bewegungen, die das Leben ausmachen: Aufheben und
Weglegen von Gegenständen, Schließen von Läden, Reichen und Nehmen, Frisieren und Ankleiden
werden linkisch, unachtsam, daher freudlos ausgeführt, besonders, wenn Wichtigeres droht. Solches
Herumfahren zwischen den Dingen macht müde, hässlich und schließlich feig, denn Panikstimmung
wächst aus dem ganz Kleinen.
Jede Handhabung aber - und gerade die trivialste, weil sie die häufigste, ja geradezu Tagesinhalt
ist, sollte eine Freude sein und kann es auch, wenn mit der größten Grazie, Geschicklichkeit und
Präzision jedes spielenden Muskels ausgeführt.
Was ungeschickt, hektisch, taktlos macht, ist immer wieder die direkt trainierte Unfähigkeit, ein
Ding zu seiner Zeit zu tun. Wer hastig eine Nadel aufhebt, einen Schuhriemen verknüpft, tut es
nicht nur, weil ihm die Handlung lästig ist, sondern auch aus Furcht, eben für diesen Moment ein
Stückchen Freude zu verlieren. Er hat sein Herz dem Angststrom eröffnet, der Angst, etwas zu
versäumen.
Aber mit der Pflege und Übung der Bedachtsamkeit, der Kraftbeherrschung und Präsenz in diesen
allerkleinsten Tagtäglichkeiten wächst die Fähigkeit, Kräfte blitzschnell aus einem Zentrum ins
andere zu werfen, das heißt, sich leben spüren in seinem ganzen Ich, in jedem Augenblick, an jeder
Stelle, wo es auch stehen mag.
Prentice Mulford, * 1834 – † 1891, Autor von Essays in 4 Bänden:
„Your forces and how to use them“;
Gedanken sind reale Kräfte – wie und wofür verwenden wir sie?
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Georg Picht: „Die Verantwortung des Geistes“
Die Musik dient, nach griechischer Auffassung im Zentrum der Erziehung stehend, jener mittleren
Sphäre zwischen Körper und Denken, in der sich die Lebenshaltung des Menschen formt und die
deshalb die eigentlich ethische Sphäre ist. Die abendländische Tradition hingegen hat gerade dieses
Zentrum ausgelassen. Wir bilden den Verstand und den Körper, aber die mittlere, die ethische
Sphäre, soll sich, wie wir meinen, von selbst ausbilden. Wir überlassen sie dem Zufall oder aber
einer Verwahrlosung, deren Heilung wir dann dem Nervenarzt zuweisen.
Die Lehre vom Bildungsziel ist nichts anderes als jener von Sokrates aufgedeckte Schein des
Wissens, durch den sich der Mensch den Zugang zu seinem wahren Wesen verstellt. Das Bild des
Menschen, das, wie man fordert, die Erziehung leiten soll, ist nichts als unser Schatten auf der
Wand der Höhle. Wir nennen diesen Schatten „Bildungsideal“, und wir gebärden uns „idealistisch“,
wenn wir vor dem, was wir in Wahrheit sind, in einen angemaßten Schein entweichen.
Es wird die fundamentale Wahrheit entdeckt, dass die grundlegenden Schritte in Wachstum und
Bildung des Menschen durch die Einwirkung anderer Menschen zwar gestört und/oder verhindert,
aber nicht veranlasst werden können. Erziehung ist in den wichtigsten Bereichen eine Kunst des
Geschehenlassens, nicht eine Kunst der Formung.
Georg Picht * 1913 Straßburg – † 1982; Philologe, Pädagoge, Philosoph. Ehe mit der Pianistin und
Cembalistin Elisabeth Picht - Axenfeld; Leiter des Landeserziehungsheims
Birklehof/Schwarzwald bis 1965; Professor für Philosophie an der Universität
Heidelberg; „Angewandte Philosophie“ auf den verschiedensten Gebieten (z. B. Musik
und Dichtung, Literaturwissenschaft, Malerei und Architektur, Altertumswissenschaft,
Theologie, Soziologie, Humanökologie, Pädagogik); Verflechtung von Denken und
Handeln, Philosophie als Erfahrungswissenschaft. Entwickelte in seinen Vorlesungen
eine eigene Sprache zur Deutung von Kunst.
Simone Weil: „Aufmerksamkeit für das Alltägliche“
(Ausgewählte Texte zu Fragen der Zeit)
Um wirklich aufmerksam zu sein, muss man wissen, wie dies zu bewerkstelligen ist. Meistens
verwechselt man eine gewisse Muskelanstrengung mit der Aufmerksamkeit. In solchen Muskelanstrengungen vergeudet man oft seine Kräfte beim Studium. Weil man dabei am Ende ermüdet,
hat man den Eindruck, tüchtig gearbeitet zu haben. Das ist eine Täuschung. Diese Art von
Muskelanstrengung beim Studium ist gänzlich fruchtlos, selbst wenn sie in guter Absicht geleistet
wird. Auch diese gute Absicht gehört zu denen, mit welchen der Weg zur Hölle gepflastert ist.
Die Aufmerksamkeit besteht darin, das Denken auszusetzen, den Geist verfügbar, leer und für
den Gegenstand offen zu halten, die verschiedenen bereits erworbenen Kenntnisse, die man zu
benutzen genötigt ist, in sich dem Geist zwar nahe und erreichbar, doch auf einer tieferen Stufe zu
erhalten, ohne dass sie ihn berühren. Der Geist soll hinsichtlich aller besonderen und schon
ausgeformten Gedanken einem Menschen auf einem Berge gleichen, der vor sich hin blickt und
gleichzeitig unter sich, doch ohne hin zu blicken, viele Wälder und Ebenen bemerkt. Und vor allem
soll der Geist leer sein, wartend, nichts suchend, aber bereit, den Gegenstand, der in ihn eingehen
wird, in seiner nackten Wahrheit aufzunehmen.
Jeder Irrtum kommt nur daher, dass der Geist sich voller Hast auf etwas stürzte und so, vorzeitig
angefüllt, der Wahrheit nicht mehr zur Verfügung stand. Die Ursache ist immer, dass man aktiv sein
wollte, dass man suchen wollte.
Obwohl man dies heutzutage nicht zu wissen scheint, ist die Ausbildung unseres Vermögens zur
Aufmerksamkeit dennoch das wahre Ziel des Studiums und beinahe das Einzige, was den Unterricht
sinnvoll macht.
Simone Weil, *1909 Paris – †1943 Ashford/Kent; Lehrerin, Fabrikarbeiterin, Philosophin;
Tagebücher, Briefe, Abhandlungen und Aufsätze über Philosophie, Spiritualität,
gesellschaftspolitische Fragen.
„ Man muss das Mögliche vollbringen, um das Unmögliche zu berühren.“
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Allgemeine Didaktik
Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
SPRÜCHE und ZITATE
Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.
Nicht der Wind, sondern die Segel bestimmen den Kurs.
Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.
(Viktor Frankl)
Es gibt keine Wahrheit, nur Verantwortung.
Du bist frei zu tun, was immer du willst. Du musst nur bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.
(Sheldon B. Kopp)
Liebe - und tu, was du willst
(Augustinus)
Wir sind nicht auf der Welt, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.
Erst das Wissen um Blindheit macht sehend.
(Heinz von Foerster)
Regeln muss man akzeptieren oder sie selbst aufstellen.
Das Schiff, das dem Steuer nicht gehorcht, wird den Klippen gehorchen müssen.
Nur die Unsicherheit ist gesichert.
Wirklich ist, was wirkt.
Erzähl mir etwas, und ich vergesse es
Zeig mir etwas, und ich erinnere mich
Lass es mich tun, und ich verstehe.
(Konfuzius)
Erfahrung ist eine verstandene Wahrnehmung.
(Emanuel Kant)
Verstehen ohne Wohlwollen ist unmöglich.
(Max Frisch)
Ich weiß nur, was ich wissen will.
(Jean Piaget)
Die einzige Konstante ist die Veränderung.
Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss.
(Heraklit)
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.
Überzeugungen sind Gefängnisse.
(Friedrich Nietzsche)
Alles, was uns widerfährt, ist ein Echo auf das, was wir sind.
(Jean Gebser)
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Gabriele Riedel – Konservatorium Wien Privatuniversität
Der Mensch ist ein Möglichkeitstier.
(Peter Sloterdijk)
Der Gebrauch bestimmt die Bedeutung eines Wortes.
(Ludwig Wittgenstein)
Das Hermeneutische Prinzip: „Der Hörer, nicht der Sprecher, bestimmt die Bedeutung einer
Aussage“
Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern wie wir sind.
(Talmud)
Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.
(Epiktet)
Die Wälder wären still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen.
Ein Mensch ohne Fehler ist kein vollkommener Mensch.
(Alfred Polgar)
Wenn der Stein zu schwer ist, soll man ihn liegen lassen.
Umwege verbessern die Ortskenntnisse.
Ohne die richtige Haltung taugt das beste Werkzeug nichts.
(Matthias Varga von Kibéd)
Ein guter Lehrer mit schlechten Methoden ist besser als ein schlechter Lehrer mit guten Methoden.
Die Gewohnheit steht dem Schauen des Neuen entgegen,
das für den, der es wagt,
die Verstrickungen in Früheres aufhebt
und von ihren Folgen erlöst.
(Bert Hellinger)
Wer ein Fundament hat, braucht keinen Fundamentalismus.
Die Schwäche der Schwachen ist die Stärke des Drachen.
Wer glaubt, dass ein Abteilungsleiter eine Abteilung leitet,
der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.
Sachzwänge sind Menschenzwänge.
Es ist leichter, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil.
(Albert Einstein)
Wissenschaft ist Irrtum, auf den neuesten Stand gebracht.
(Linus Pauling)
Das „Bei-sich-selbst-Bleiben“ ermöglicht dem anderen das „Zu-sich-selbst-Kommen“.
Zwei sind nötig, damit einer sich kennenlernt.
(Gregory Bateson)
Wir haben nur uns selbst und einander. Das ist vielleicht nicht viel, aber mehr gibt es nicht.
Du fragst mich, Kind, was Liebe ist? - Ein Stern auf einem Haufen Mist.
(Heinrich Heine)
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Allgemeine Didaktik
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Die Furcht zu fehlen ist die reichste Quelle von Fehlern.
(Vergil)
Nichts wahrhaft Wertvolles erwächst aus Ehrgeiz oder bloßem Pflichtgefühl,
sondern vielmehr aus Liebe und Treue zu Menschen und Dingen.
(Einstein)
Viele glauben nichts,
aber fürchten alles.
(Christian Friedrich Hebbel)
Der unzufriedene Mensch findet keinen bequemen Stuhl.
(Benjamin Franklin)
Das Ohr ist der Weg zum Herzen
(Voltaire)
Nur wo Wasser ist,
braucht man eine Brücke zu bauen.
(Schwarzafrika)
Durchdringt die Nadel nicht das Gewebe,
kann auch der Faden nicht folgen.
(Afrika)
Indem er kommt und geht,
flicht der Vogel sein Nest.
Handle so,
wie du im Gefühl
größter Sicherheit und Geborgenheit
handeln würdest.
(Meister Eckhart)
Mut zeigt nicht, dass man keine Angst hat,
sondern,
dass man etwas anderes für wichtiger hält
als die Angst.
(Ambrose Redmoon)
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Inhaltsverzeichnis
Liste Fachliteratur
Literaturliste
Leseproben zur Literaturliste
Liste Spezialliteratur zum systemisch-konstruktivistischen Themenbereich
Leseproben zum systemisch-konstruktivistischen Themenbereich
Didaktische Modelle
Weitere ausgewählte Texte
Sprüche und Zitate
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