Protokoll - Marienberger Seminare

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Protokolarische Ausarbeitung von Arbeitsnotizen über das Seminar
Georg Büchner von Friedhelm Decher
am 12. Mai 2007 in Bad Marienberg
Einleitung
Biographie:
Karl Georg Büchner
Er war einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller;
Georg Büchner kam am 17. Oktober 1813 in Goddelau (heute Riedstadt, bei
Darmstadt), Großherzogtum Hessen, als Sohn des Distriktsarztes Ernst Büchner und
dessen Ehefrau Louise Caroline Büchner, geborene Reuß, zur Welt.
1816 siedelte die Familie nach Darmstadt über, wo der Vater die Stelle des
Bezirksarztes antrat. 1821 begann für den achtjährigen Georg der
Elementarunterricht bei seiner Mutter. Sie unterrichtete ihn im Lesen, Schreiben und
Rechnen. Bei seiner Mutter lernte Büchner wohl auch Werke von Schiller kennen, mit
dessen Weltbild sich Büchner im Laufe seines Schaffens noch kritisch
auseinandersetzen würde.
In der Schule interessierte Georg Büchner sich nicht besonders für die alten
Sprachen, dafür mehr für die damals in den Schulen stark vernachlässigten
Naturwissenschaften. Einmal notierte er am Rande seines Heftes: „Lebendiges! Was
nützt der tote Kram?“ Büchner lernte in der Schulzeit außerdem die Geschichte der
Französischen Revolution kennen, dies würde später noch Eingang in sein Werk
Dantons Tod finden.
Büchner war das erste von sechs Kindern, die es alle im Laufe ihres Lebens zu
Ansehen gebracht haben:
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Wilhelm erfand das synthetische Ultramarin, war Industrieller und Politiker
Luise war Historikerin, Schriftstellerin und Feministin
Ludwig gab die Nachgelassenen Schriften von Bruder Georg heraus , war
selbst ein Philosoph mit einem materialistischen Ansatz (von ihm stammt
das Werk „Kraft und Stoff“)
Alexander , radikaler Demokrat, war an der 1848 Revolution beteiligt, er
war Jurist, Schriftsteller, Professor für Literaturgeschichte, er musste
(ebenfalls) ins Exil.
Mathilde wurde nicht berühmt, sie führte den Haushalt ihrer Schwester
Georg Büchner studierte Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie
von 1831 (im Alter von 18 Jahren!) bis 1833 in Straßburg;
1
dort wohnte er in dem Haus des evangelischen Pfarrers Johann Jakob Jaeglé und
lernte dessen Tochter Wilhelmine kennen. 1832 verlobte er sich heimlich mit
Wilhelmine Jaeglé (1810–1880).
Sie ist die Empfängerin des so genannten „Fatalismus-Briefs“, in dem Büchner sein
Programm des Menschen als Subjectum der Geschichte formuliert. (Der Mensch
könne nicht aktiv in den alles verschlingenden Prozess der Geschichte eingreifen, er
werde zum „Schaum auf der Welle“, zum Spielball). Die Zeit in Straßburg nannte
Büchner später seine glücklichste Zeit.
Am 27.Mai 1832 findet das Hambacher Fest mit 32.000 Teilnehmern statt. Die
Veranstaltung gilt als Höhepunkt frühliberaler bürgerlicher Opposition in Restauration
und Vormärz. Büchner nimmt nicht teil, er ist in Straßburg. Büchner kommentiert in
einem Brief: "Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im
Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch
stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Mund." (An
die Familie, 5.April 1833)
Die wichtigsten Forderungen des Hambacher Festes waren:
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Schaffung eines einheitlichen Marktes
Handels- und Gewerbefreiheit
Schutzzölle (Anm.: Die Wirtschaft der Pfalz war durch hohe Zölle und
Steuern stark benachteiligt, so dass große Teile der Bevölkerung
verarmten. Die isolierte Lage hatte ungünstige zollpolitische Folgen für
die pfälzische Wirtschaft. Betroffen war besonders der Absatz von
Tabak und Wein. Verschärfend wirkten u.a. Missernten, schlechte
Weinbauerträge und Holznot. All dies ließ die Lebensmittelpreise
steigen. Hungersnöte in ärmeren Gebieten waren die Folge).
Nationale Einheit
Bürgerliche Freiheit
Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit
Religiöse Toleranz
von 1833 bis 1834 Studium in Gießen:
zum November 1833 wechselte Georg Büchner an die Universität in Gießen, da
maximal zwei Jahre Studium im Ausland (außerhalb von Hessen-Darmstadt) erlaubt
waren. Hier im Großherzogtum Hessen erlebte er unmittelbar die Schikanen der
Obrigkeit und die Gewalt im Staat. Von nun an konnte er die Vorgänge nicht mehr
aus nüchterner Distanz beobachten.
Aus dieser Zeit sind uns große gesundheitliche Probleme (Gehirnhautentzündung)
von Büchner überliefert. Es bedrückte ihn nicht nur die Trennung von seiner
Geliebten, sondern ihm missfiel die gesamte Situation um ihn herum. Im Vergleich zu
Straßburg hatten ihm die Lehrer in Gießen nichts zu bieten. Zwar lehrte Justus Liebig
hier Chemie, doch Büchner interessierte sich nur für Philosophie und Medizin. Später
wurde einer von Büchners Gießener Dozenten Vorbild für den Doktor in Woyzeck,
den man sich dümmer und grausamer kaum vorstellen kann.
In den gesundheitlichen Problemen zeigt sich die besondere Veranlagung Büchners,
dass Körper und Geist bei ihm eine Einheit bilden.
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Ihm missfielen in zunehmendem Maße die politischen gesellschaftlichen Verhältnisse
der damaligen Zeit. Es herrschte beispielslose Arbeitslosigkeit (zeitweise bis zu 50%)
und in deren Folge große Armut. Vorangegangen war dieser Entwicklung eine
unselige Neuordnung der Verwaltung im Jahre 1803, die zur Folge hatte, dass die
Beamtenschaft enorm zunimmt. Darmstadt beispielsweise wurde dadurch zu einer
reinen Stadt der Beamten, im Volksmund „Pensionopolis“ genannt. Es entwickelten
sich einschneidende Gegensätze zwischen arm und reich
Diese Zustände, die Büchner erlebte, erschienen ihm so unerträglich, dass er tätig
werden wollte und musste.
Er unterstützte als entschiedener Gegner der Reaktion die politischen Kämpfe in
Hessen, er war einer der Vertreter des sog. „Vormärz“.
Erläuterung:
„Vormärz“
ist eine Epochenbezeichnung für die Periode der Deutschen Geschichte zwischen
dem Wiener Kongress (1815) und der „Märzrevolution“ im März 1848, im engeren
Sinne die Zeit von 1830 bis 1848; der Vormärz ist gekennzeichnet durch äußeren
Frieden und gewaltsam erzwungene innere Ruhe, durch Zersplitterung in zahlreiche
Einzelstaaten (zeitweise 39 Kleinstaaten), durch eine reaktionäre Knebelung aller
liberalen Strömungen im „System Metternich“, durch langsam einsetzende
Industrialisierung und in deren Folge ein wachsendes Massenelend. Die
Forderungen des Vormärz nach Schwurgerichten (d.h. grundlegende Reform des
Rechts- und Justizwesens), Pressefreiheit, Bauernbefreiung und die Reform der
Verfassungen blieben unerfüllt. Die Reformunfähigkeit verhinderte die politische
Emanzipation des Bürgertums und führte letztendlich zur Märzrevolution von 1848.
Herausragendes historisches Ereignis war der
Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833, dies war der gescheiterte Versuch
von etwa 50 Aufständischen, durch einen Überfall auf die Hauptwache und die
Konstablerwache in Frankfurt am Main eine allgemeine Revolution in Deutschland
auszulösen. Der Plan der Aufständischen, zumeist Burschenschafter aus Heidelberg
und Würzburg, sah vor, die beiden Frankfurter Polizeiwachen zu stürmen, sich der
dort verwahrten Waffen und der Kasse des Deutschen Bundes zu bemächtigen und
anschließend die Gesandten der deutschen Fürsten, die unweit der Hauptwache im
Palais Thurn und Taxis tagten, gefangen zu nehmen. Dies sollte das Signal zu einer
nationalen und demokratischen Erhebung in ganz Deutschland werden.
Der Plan wurde jedoch verraten und war daher schon im Voraus zum Scheitern
verurteilt. Die Verschwörer erfuhren zwar noch rechtzeitig von dem Verrat, gaben
aber dennoch das Signal zum Angriff, da sie auf Unterstützung durch hessische
Bauern und Frankfurter Bürger hofften. Diese Unterstützung blieb jedoch aus, so
dass das Militär, das die Studenten bereits erwartete, leichtes Spiel hatte. Bei dem
Schusswechsel gab es neun Tote und 24 Verletzte.
Der Frankfurter Wachensturm (auch „Sturm auf die Frankfurter Hauptwache“
genannt) gehörte neben dem Wartburgfest und dem Hambacher Fest zu den
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spektakulärsten politischen Aktionen des deutschen Vormärz und bereitete die
Märzrevolution von 1848 mit vor.
Büchner gründete in seiner Giessener Zeit die „Gesellschaft der Menschenrechte“:
Es gab zwar schon vorher oppositionelle Bestrebungen, doch diese waren ihm nicht
radikal genug. Außerdem kritisierte er, dass die Studenten unter sich bleiben wollten;
Büchner wollte dagegen auch andere Bürger aufnehmen. Deshalb gründete er
zusammen mit ehemaligen Schulkameraden aus Darmstadt, die zu diesem Zeitpunkt
wie er in Gießen studierten, und weiteren Studenten sowie ein paar Handwerkern
die „Gesellschaft für Menschenrechte“, eine Geheimorganisation nach französischem
Vorbild, deren Ziel ein Umsturz der politischen Verhältnisse war. Es schlossen sich
aber nur wenige Mitglieder an.
Schon zu Beginn des Jahres 1834 war Büchner bei Friedrich Ludwig Weidig
eingeführt worden, einem Theologen und führenden Oppositionellen aus HessenDarmstadt. Es kam aber immer wieder zu Differenzen. Weidig stand für ein Bündnis
mit den wohlhabenden Liberalen, Industriellen und Handelsleuten, weil er nur so eine
Chance für die Umsetzung der revolutionären Ideen sah. Büchner dagegen sah als
Grundproblem die materielle Ungleichheit und die Armut der Landbevölkerung. Er
wendete sich deshalb gegen eine Koalition mit den Wohlhabenden.
Büchner verfasste eine radikaldemokratische Kampfschrift mit sozialistischen
Anklängen, den „Hessischen Landboten“ mit dem berühmten Motto: „Friede den
Hütten, Krieg den Palästen“.
Im Juli 1834 wurde der Hessische Landbote in Druck gelegt. Es handelt sich - wie
bereits gesagt - um eine Flugschrift, die unter der Parole „Friede den Hütten! Krieg
den Palästen!“ die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die
Unterdrückung aufrief. Weidig hatte alle Stellen, die in offenem Konflikt mit den
liberalen Bündnispartnern standen, gestrichen. Büchner fand daher, Weidig hätte der
Schrift ihre Grundintention genommen. Trotz der Abschwächungen Weidigs wurde
die Schrift von vielen liberalen und industriellen Oppositionellen scharf kritisiert. Bei
der Landbevölkerung dagegen hatte sie einigermaßen Erfolg, weshalb sogar eine
zweite Auflage aufgesetzt wurde. Die Schrift zeichnet sich durch die Verwendung von
Statistiken aus, die der Landbevölkerung vor Augen führte, dass sie mit ihrer
Steuerlast den überzogenen Hof finanzierten
Zum Schluss ist aus Büchners Schrift die Hälfte von Weidig. Die Urschrift ist nicht
mehr vorhanden, da der Besitz lebensgefährlich war. Diese Überarbeitung wird von
Büchner nicht getragen, aber trotzdem anonym veröffentlicht. Die Veröffentlichung
wird verraten, Büchner muss fliehen, Weidig wird verhaftet und stirbt im Gefängnis.
Georg Büchner wird steckbrieflich gesucht.
Erläuterung:
Der Hessische Landbote ist eine politische Flugschrift, die zum Widerstand gegen
die herrschenden Verhältnisse – allerdings nicht zu konkreten Aktionen – aufruft.
Der hessische Staatsetat bildet das argumentatorische Grundgerüst, indem die
Einnahmen aus Steuern und sonstigen Abgaben (über sechs Millionen Gulden) den
Ausgaben gegenübergestellt werden. Die einzelnen Positionen (Ministerium des
Innern, der Finanzen, Militär, Pensionen etc.) werden aufgeführt und mit einem
Kommentar versehen, der aufzeigt, wie die Gelder der Untertanen zu deren
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Unterdrückung und zur Bereicherung der oberen Schichten verwendet werden.
Schließlich wird das zahlenmäßige Missverhältnis zwischen den »Pressern« und
dem Volk (10.000 zu 700.000) unterstrichen. Das Flugblatt schließt mit einem
allgemeinen, religiös gefärbten Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit (Weidigs
Intention). Gleichzeitig führt Weidig die Idee der deutschen Geschichte als
Heilsgeschichte ein.
Im Großherzogtum Hessen gab es zur dieser Zeit 700.000 Lohnabhängige, die den
ganzen Tag schuften mussten, teilweise in zwei Berufen gleichzeitig und die
trotzdem ihre Familien nicht ernähren konnten und die hungerten. Auf der anderen
Seite standen ca. 10.000 „Presser“ oder auch „Fresser“ genannt, die auf Kosten der
anderen in Saus und Braus lebten.
1835 floh Büchner nach Straßburg;
1836 wurde er in Zürich Dr. med. und Privatdozent für Vergleichend Anatomie
Am 2. Februar 1837 erkrankte er schwer an Typhus (möglicherweise hatte er sich bei
der Arbeit an seinen Präparaten infiziert), woran er am 19. Februar starb. Er wurde
auf dem Stadtzürcher Friedhof „Krautgarten“ auf dem Zeltberg beerdigt. Nach der
Einebnung des Friedhofes bettete man 1875 die sterblichen Überreste auf den
Germaniahügel am Zürichberg um.
Tod 19. Februar 1837 in Zürich;
[Frühstückspause]
Dantons Tod
Dantons Tod ist ein Drama in vier Akten. Büchner hat es von Januar bis Februar
1835 geschrieben. Im gleichen Jahr erschien eine von Karl Gutzkow
herausgegebene Fassung in einem Literatur-Blatt und eine Buchfassung mit dem zur
Beschwichtigung der Zensur erdachten Untertitel „Dramatische Bilder aus
Frankreichs Schreckensherrschaft“ beim Phönix-Verlag.
Das Stück ist damit das einzige noch zu Lebzeiten Büchners veröffentlichte Drama –
wenn auch in stark zensierter Fassung. Die Uraufführung fand erst am 5. Januar
1902 im Berliner Belle-Alliance-Theater als Produktion des Vereins Neue Freie
Volksbühne statt, da das Stück lange Zeit als unspielbar galt.
Büchner hatte Dantons Tod nach eigenen Angaben innerhalb von fünf Wochen
geschrieben, er schickte das Werk an Karl Gutzkow mit der Bitte um rasche
Veröffentlichung. Er brauchte Geld für die geplante Flucht.
Dantons Tod beschreibt das Scheitern der Französischen Revolution. Im Gegensatz
zum historischen Danton, der aufgrund taktischer Fehler scheiterte, erkennt der
literarische Danton von Beginn an die Sinnlosigkeit seines Unternehmens. Büchners
deterministische Grundhaltung kommt hier zum tragen.
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Anmerkung (zu den historischen Personen):
Georges Jacques Danton (1759 - 1794) war eigentlich ein Advokat, er erlangte
Berühmtheit als führender Revolutionär bei der Französischen Revolution; Danton
war ein schwer durchschaubarer, zwiespältiger Charakter; in der Französischen
Revolution war er der Führer der unteren Volksschichten; er galt als mitreißender
Redner. Beim Sturm auf die Tuilerien (10.08.1792) spielte er eine wichtige Rolle. Er
trat 1794 für den Abbau des Terrors ein, was ihm als sog. „Nachsichtigen“ auf die
Guillotine brachte (mit 13 Anhängern, den Dantonisten).
Maximilien de Robespierre (1758 – 1794), zunächst ein angesehener Advokat,
dann einer der führenden Revolutionäre bei der Französischen Revolution. In der
Nationalversammlung fiel Robespierre zunächst auf, weil er die liberale Mehrheit mit
radikalen Forderungen erschreckte: Er forderte allgemeines Wahlrecht für alle
Männer, Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien, Aufhebung der Todesstrafe,
Beseitigung der Privilegien des Klerus. Er war Anhänger der radikalen Aufklärung,
trat ein für Presse- und für Religionsfreiheit, die politische Gleichheit aller Bürger und
gegen das Vetorecht des Königs. Die Vernunft sollte die einzige Grundlage, die
Tugend das große Ziel des Staates sein; er war auf Grund seiner Radikalität
Gegenspieler Dantons; als Vertreter des Dritten Standes war er Mitglied der
Generalstände, dann der Konstituierenden Nationalversammlung; sein Ziel war es u.
a. Moral und Tugend mit Terror durchzusetzen. Er besaß eine führende Stellung
im Klub der Jakobiner (= radikaler Gruppe während der Franz. Revolution). Als
Mitglied des „Wohlfahrtausschusses“ sicherte er sich eine fast unumschränkte
Machtstellung, er betrieb die Absetzung und Hinrichtung des Königs und bekannte
sich zur Schreckensherrschaft („Terreur“) als Mittel zur Überwindung des
Widerstandes. In seiner gesamten politischen Tätigkeit bemühte sich Robespierre
die aufklärerischen Ideale Rousseaus zu verwirklichen, so wie er sie verstand.
Gemäß Jean-Jacques Rousseau erzeugen alle Mitglieder einer Gemeinschaft in
freiwilliger Übereinkunft einen Gemeinwillen, die „volonté générale“. Der
Gemeinwille orientiert sich am Gemeinwohl und hat dabei immer Recht. Er gilt
absolut, auch wenn Einzelne ihn ablehnen. Er ist nicht einfach der Wille der
Mehrheit, sondern derjenigen, die tugendhaft und im Besitz der Wahrheit sind.
Jeder, der den Gemeinwillen angreift, stellt sich außerhalb der aufgeklärten
Gemeinschaft. Im Juni 1794 lies er einige seiner Gegner, u. a. Danton hinrichten.
Die danach betriebene Verschärfung des Terrors („La Grande Terreur;) einigte die
übrigen Konventmitglieder gegen ihn; sie stürzten ihn am 27.07.1794 (9. Thermidor
II); am folgenden Tage wurde er mit seinen Freunden und seinem Bruder Augustin
guillotiniert.
Louis Antoine Léon de Saint-Just (1767 - 1794), einer der führenden
Revolutionäre bei der Französischen Revolution; er hatte ein Jurastudium an der
Universität von Reims aufgenommen; als Mitglied des Nationalkonvents und des
Wohlfahrtsausschusses war er ein entschiedener Anhänger Maximilien de
Robespierres. Er betrieb den Sturz der Girondisten und Georges Jacques Dantons.
Als Konventskommissar veranstaltete er ein blutiges Massaker im Elsaß. Saint-Just
wurde mit Robespierre gestürzt und hingerichtet.
Kurze Inhaltsangabe „Dantons Tod“
1. Akt
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Danton, Desmoulins und andere wollen Robespierres Maßnahmen nicht weiter
mittragen. Im Volk herrscht Unzufriedenheit über die Armut: Ein Bürger klagt, dass
sich seine Tochter prostituieren muss, um zu überleben. Im Konvent spricht sich
Robespierre für die Beseitigung Dantons und seiner Anhänger aus, die den Erfolg
der Revolution bedrohen. Danton interessiert sich mehr für leichtlebige Damen und
zeigt sich illusionslos und angewidert. Auf die Bitten seiner Freunde willigt er in ein
Treffen mit Robespierre ein, das jedoch ergebnislos verläuft. Robespierre beschließt
die Vernichtung Dantons, zeigt sich aber von Skrupeln geplagt.
2. Akt
Dantons Anhänger drängen ihn zum Handeln oder zumindest zur Flucht; dieser aber
sieht darin keinen Sinn und vertraut außerdem darauf, dass der Konvent es nicht
wagen wird, Maßnahmen gegen ihn zu treffen. Danton vertraut seiner Frau Julie
seine Gewissensqualen wegen der von ihm angeordneten Septembermorde an.
Danton wird verhaftet. Im Konvent ist die Stimmung geteilt, doch Robespierre und
St. Just setzen mit demagogischen Reden ihre Position durch.
3. Akt
Die Gefangenen im Palais philosophieren über die Existenz Gottes und das Leben.
Danton und seine Freunde werden hineingeführt; mancher Vorwurf gegen die
ehemaligen Gegner ist zu hören. Die Präsidenten des Revolutionstribunals
beschließen, das Geschworenengericht mit linientreuen Männern zu besetzen.
Danton tritt selbstsicher vor dem Revolutionstribunal auf; angesichts der Anzeichen
von Sympathie im Publikum wird die Sitzung aufgehoben. Der Wohlfahrtsausschuss
berät sich über das weitere Vorgehen. Durch die Denunziation eines Gefangenen
wird Danton in Zusammenhang mit einem angeblichen Komplott gebracht, was
Handhabe zur raschen Durchführung des Prozesses gibt. Nach Dantons zweitem
Auftritt vor dem Revolutionstribunal wendet sich die Stimmung im Volk gegen ihn.
4. Akt
Danton und seine Anhänger sind zum Tode verurteilt worden. Danton und Camille
Desmoulins tauschen Gedanken über Leben und Tod aus. Julie, die Danton ihre
Verbundenheit über den Tod hinaus mitgeteilt hat, vergiftet sich in ihrem Haus. Die
Verurteilten werden zur Hinrichtung geführt, das Volk ist schaulustig und spöttisch.
Lucile kann die Trennung von ihrem Mann Camille nicht ertragen und ist dem
Wahnsinn verfallen; in der letzten Szene ruft sie »Es lebe der König!« und spricht
damit ihr eigenes Todesurteil.
Die Rolle Dantons als die eines genialen Genussmenschen, der sich vom
Blutvergießen des Doktrinäres Robespierre abwendet, wurde erstmalig von Büchner
gestaltet.
Im wesentlichen folgt das Stück den historischen Vorgaben; Büchner hat sehr
wissensreich recherchiert, Texte wurden wörtlich aus historischem Material
entnommen und übertragen (heute bezeichnet man dies als „Montagetechnik“); Teile
aus Originalreden, aus der Verfassung und Dokumenten des Parlament wurden
verarbeitet.
(„Dramatischer Dichter als Geschichtsschreiber“, Büchner hat versucht,
geschichtliche Wirklichkeit in seine Werke zu integrieren).
Nach Büchner hat der Dichter kein Lehrer der Moral zu sein und die Welt zu
schildern wie sie sein sollte (dies richtet sich gegen Schiller; Schiller hatte einen
normativen Kunstbegriff und Büchner einen realistischen), sondern, der Dichter hat
die Welt so zu schildern, wie sie ist.
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Zwischen Robespierre und Danton bestand von Anfang an erbitterte Gegnerschaft;
während Robespierre die Herrschaft des Schreckens als erlaubte Waffe bei dem
Kampf um die Republik und die Erhaltung der Tugend betrachtete, (ohne Tugend,
meinte Robespierre, sei Terror verhängnisvoll, ohne Terror die Tugend machtlos),
war Danton gegen jede Terrorjustiz; dadurch, dass er sich gegen den Terror
einsetzte, geriet er in Gegensatz zu Robespierre und erfuhr dessen unverhüllte
Verachtung; Dantons Lebensekel drückte sich in dem Spruch aus:“ Das Leben ist der
Mühe nicht wert, es zu erhalten“.
Saint-Just allerdings war der wahre Todesengel (sein Alternativname lautete: „der
bleiche Engel der Guillotine“). Im Hochverratsprozess gegen Ludwigs XVI. stimmte er
für den Tod ohne Aufschub und Appellation. Die Gründe bezog er aus Rousseaus
„Contrat social“, einem Werk über die Legitimität der Macht. Er war es auch, der
Robespierre zur Vernichtung der Partei Dantons anfeuerte. Seine Position war an
Menschenverachtung kaum zu überbieten. Er griff sogar zu einem
geschichtsphilosophischen Kontext um Danton zu verurteilen: „Der Weltgeist fordert
seine Opfer“ (Hegel).
Beispiel für eine bedeutende historische Persönlichkeit dieser Zeit:
Mirabeu:
Kurze Erläuterung zur Person:
Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Marquis de Mirabeau (1749 -1791),
er war ein französischer Politiker, Schriftsteller und Publizist. Mirabeau war
Abgeordneter und Wortführer des Dritten Standes in den Generalständen und eine
der führenden Personen während der Anfangszeit der Französischen Revolution.
Mirabeau war 1790 Präsident des Jakobinerclubs und hielt 1791 den präsidialen
Vorsitz der Nationalversammlung.
Parallel zu seinen politischen Aktivitäten fertigte der schriftstellerisch begabte
Mirabeau im Verborgenen einige erotische Werke an, die bis heute einen großen
Anklang finden.
Am 4.4.1789 ließ sich Mirabeau, von Adel der Provence zurückgewiesen, in Aix vom
dritten Stand in die Generalstände wählen und beherrscht nach der Sitzung vom 23.
6.1789 die Nationalversammlung durch seine überlegene Beredsamkeit. Mirabeau
erstrebte eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild unter Erhaltung
einer starken Monarchie im Rahmen der Verfassung; mit seiner Forderung nach
dem absoluten Vetorecht durch den König geriet er in Konflikt mit den „Patrioten“.
Die feudalen Vorrechte bekämpfte er leidenschaftlich. Sein plötzlicher Tod (Mirabeau starb am 2. April 1791 sehr plötzlich, so dass man einen Giftmord
vermuten kann) begünstigte die radikale Entwicklung der Französischen Revolution.
Mirabeau ist u.a. durch seinen „Donnerkeil“ bekannt geworden, mit dem er am 23.
Juni 1789 dem königlichen Zeremonienmeister eine Abfuhr erteilte, als dieser die
Versammlung der Generalstände auflösen wollte.
Heinrich von Kleist schildert Mirabeaus Donnerkeil in seinem Essay „Über die
allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ sehr anschaulich:
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(...) Mir fällt jener "Donnerkeil" des Mirabeau ein, mit welchem er den
Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen
Sitzung des Königs am 23ten Juni, in welcher dieser den Ständen
auseinander zugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die
Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des
Königs vernommen hätten? "Ja", antwortete Mirabeau, "wir haben des Königs
Befehl vernommen" - ich bin gewiss, dass er, bei diesem humanen Anfang,
noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloss: "ja, mein Herr",
wiederholte er, "wir haben ihn vernommen" - man sieht, dass er noch gar nicht
recht weiß, was er will. "Doch was berechtigt Sie" - fuhr er fort, und nun
plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf - "uns hier Befehle
anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation." - Das war es, was er
brauchte! "Die Nation gibt Befehle und empfängt keine" - um sich gleich auf
den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. "Und damit ich mich ihnen ganz
deutlich erkläre" - und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu
welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: "So sagen Sie Ihrem
Könige, dass wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette
verlassen werden." - Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl
niedersetzte.(...)
Büchner selbst war zutiefst enttäuscht über den Ausgang der Französischen
Revolution: „grässlicher Fatalismus der Geschichte“, er sprach von der
Unkalkulierbarkeit der Kräfte des geschichtlichen Prozesses; der Mensch könne nicht
aktiv in den alles verschlingenden Prozess der Geschichte eingreifen, er werde zum
Spielball; wir können nur im Nachhinein sagen was warum passiert, aber vorher…..?!
Der Mensch ist Instrument (Werkzeug) der Geschichte, ohne etwas zu bewegen, er
ist „Schaum auf der Welle der Geschichte“. Das Fatale dabei ist, dass der Einzelne
trotzdem dem Zwang der Geschichte unterliegt, d. h. der Zwang der Verhältnisse hat
Macht über den Einzelnen.
Es gibt keine Hoffnung auf einen transzendenten Vorsehungsplan;
es herrscht immer der Zwang der Verhältnisse.
Nicht wir haben die Revolution gemacht, sondern die Revolution hat uns gemacht.
Bei Robespierre und Danton treffen zwei Lebensprinzipien aufeinander: hier ein
fanatisch rigider Idealist („die Waffe der Republik ist der Schrecken“, „Terror sind mit
Tugend kombiniert“), auf der anderen Seite ein sinnlich materiell ausgerichteten
Epikureer:
„Wir wollen nackte Götter – Venus mit dem schönen Hintern“:
Zentral ist die Reflexion der Darsteller(„Akteure“), der „gebrochenen“ Charaktere. Für
Danton gibt es nur den Ekel an der Welt, reines Luststreben führt zu Langeweile,
Ekel, Lebensüberdruss, überall Grenzen der menschlichen Handlungsmöglichkeiten
Der dritte Akteur (neben der unterschiedlichen Weltsicht eines Robespierre und
Danton) in diesem Trauerspiel der Geschichte ist das Volk: das Volk ist nicht in der
Lage zu erkennen, was die Ursache ihres Elend ist.
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(Oberste Aufgabe und Ziel ist es bzw. muss es sein), den Grund für das eigene
Elend zu finden.
Bei Büchner werden die Begriffe von arm und reich erweitert: nämlich darauf, ob man
von „Genuss“ (im weitesten Sinne: Nahrung, Kultur, Fürsorge usw.) und von Bildung
ausgeschlossen ist oder ob jeder Zugang dazu hat.
„Was ist das, was in uns hurt, lügt und stiehlt?“
„Sind wir nicht alle Nachtwandler?“ (Robespierre)
„Wir sind die Akteure der Geschichte“. (Saint-Just)
Es herrscht die Mitleidslosigkeit der Natur, die Gnadenlosigkeit der Geschichte, so
Büchner:
„Es kommt mir ein entsetzlicher Gedanke. Ich glaube, es gibt Menschen, die
unglücklich sind, bloß weil sie sind“;
„Jeder Mensch ist ein Abgrund und es schwindelt einem, wenn man hinab sieht“;
„Es ist ein Riss in der Schöpfung von oben bis unten“;
„Die Welt ist das Chaos“;
„Der neu zu gebärende Gott ist das Nichts“;
„Die Revolution hat die Lage nicht gebessert!“ (Büchner)
Biographischer Nachtrag:
Nachdem Büchner einer Vorladung des Friedberger Untersuchungsrichters nicht
Folge leistete, wurde er ab 13. Juni 1835 steckbrieflich gesucht.
Am 9. März war er über Weißenburg nach Straßburg geflohen.
Im letzten Moment hatte sich Büchner seiner Mutter anvertraut, die ihm Geld gab.
Im Winter 1835 widmete er sich wieder der Wissenschaft. Er erforschte das
Nervensystem der Fische und vollendete im folgenden Jahr seine Dissertation
„Abhandlung über das Nervensystem der Barbe“. Im Frühjahr stellte er die Arbeit in
mehreren Lesungen der Gesellschaft für Naturwissenschaft in Straßburg vor.
Daraufhin wurde er als Mitglied aufgenommen und die Arbeit wurde von der
Gesellschaft veröffentlicht.
Aufgrund seiner eingereichten Arbeit und der daran anschließenden Probevorlesung
wurde Georg Büchner die Doktorwürde der Universität Zürich verliehen. Am 18.
Oktober 1836 zog er dorthin und begann mit seiner Lehrtätigkeit als Privatgelehrter.
Seinen Kurs „Zootomische Demonstrationen“, in dem er anhand von selbst
angefertigten Präparaten die Anatomie von Fischen und Amphibien lehrte, besuchten
aber nur wenige Studenten.
[Mittagspause]
10
Lenz
Büchner hat sich nachweislich spätestens seit Frühjahr 1835 mit dem Stoff
beschäftigt, jedoch ist die genaue Entstehungszeit unbekannt. Die Novelle erschien
erstmals im Jahre 1839. Einige Forscher gehen davon aus, bei Lenz handele es sich
um ein Fragment. Das ist jedoch umstritten, ebenso wie die Kategorisierung als
Novelle.
Lenz beschreibt den sich verschlechternden Geisteszustand des Schriftstellers Lenz.
Die Erzählung basiert auf einem Bericht von Johann Friedrich Oberlin.
Anmerkung:
Der tatsächliche Lenz, Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 in Seßwegen, Livland
[heute Cesvaine, Lettland]; 1792 in Moskau) war ein deutscher Schriftsteller des
„Sturm und Drang“.
Von 1768-1770 studiert er mit einem Stipendium u.a. in Königsberg Theologie. In
Königsberg hört er auch Vorlesungen von Immanuel Kant und liest auf dessen
Anregung Jean-Jacques Rousseau.
1771 bricht Lenz sein Studium in Königsberg ab und geht nach Straßburg. Er lernt
Goethe kennen und Goethe wird darauf sein bewundertes künstlerisches Vorbild. Er
verliebt sich in Friederike Brion, die vormalige Geliebte Goethes, seine Gefühle
bleiben aber unerwidert.
Nach einem längeren Besuch bei Lavater kommt es im November bei einem
Aufenthalt in Winterthur bei Christoph Kaufmann zu einem Ausbruch seiner
psychischen Krankheit, einer paranoiden Schizophrenie.
Kaufmann schickt Lenz schließlich Mitte Januar 1778 zu dem Philanthropen,
Sozialreformer und Pfarrer Johann Friedrich Oberlin im elsässischen Waldersbach,
wo er sich vom 20. Januar bis 8. Februar aufhält. Trotz der Fürsorge von Oberlin
und seiner Frau verschlimmert sich Lenz' geistiger Zustand noch. Lenz geht 1781
nach Moskau. Er arbeitet als Hauslehrer, verkehrt in Kreisen russischer Freimaurer
und Schriftsteller, arbeitet mit an der Ausarbeitung von verschiedenen
reformerischen Plänen, übersetzt Bücher zur russischen Geschichte ins Deutsche.
Dabei verschlechtert sich sein psychischer Zustand immer mehr. Zuletzt überlebt er
nur durch die Unterstützung russischer Gönner. 4. Juni 1792 wird Lenz tot
(wahrscheinlich verhungert) in einer Moskauer Straße aufgefunden. Der Ort seines
Grabes ist unbekannt.
Bekannte Werke (unter anderen) waren:
Der Hofmeister, oder Vorteile der Privaterziehung. Eine Komödie. Drama, 1774
Die Soldaten. Eine Komödie. Drama, 1776
1831 wurde Büchner mit dem Leben und den Werken von Lenz bekannt und zwar
über das Reformprogramm (Bildung für Bauern und Arme), welches der Pfarrer
Oberlin versucht hat in den Vogesen zu verwirklichen.
Anmerkung:
„Sturm und Drang – Zeit“, (auch „Geniezeit“ genannt):
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So bezeichnet man die nach einem Drama von F. W. Klinger benannte
Umbruchphase der deutschen Literatur um 1775, ausgehend von J. G, von Herders
ästhetischen Ideen eines neuen Typus des Dramas (Ablehnung der Einheit von Zeit,
Raum und Handlung; ausdrucksstarke Prosasprache).
Vertreter: L. M. R. Lenz, Klinger, der junge Goethe, auch Schillers „Räuber“ werden
zum „Sturm und Drang“ gerechnet.
Kurze Inhaltsangabe der Novelle „Lenz“
Lenz ist auf der Reise in das kleine Bergdorf Waldbach (in Wirklichkeit Waldersbach)
zum Pfarrer Oberlin. Der Weg führt ihn durch das winterliche Gebirge, dessen
Unwirtlichkeit und Kälte er nicht spürt. Das Gefühl für Raum und Zeit geht Lenz
verloren, er hört die Stimmen der Felsen, sieht die Wolken jagen und in der Sonne
ein gleißend Schwert, das die Landschaft schneidet. Die eigene völlige Erschöpfung
dringt nicht mehr in sein Bewusstsein, sondern wird Teil des Weltalls, Ausgangspunkt
kürzester Augenblicke höchster Glücksgefühle und langer Phasen der
Gleichgültigkeit. Der Abend bringt ihm Einsamkeit und Angst, seine Schritte werden
ihm wie Donnergrollen, es ist ihm, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm.
Im Dorf angekommen heißt ihn Oberlin willkommen - dortiger Pfarrer und Kenner der
Lenzschen Dramen. Im Pfarrhause nimmt Lenz die Gegenüber fast schmerzhaft
überdeutlich wahr, doch nach und nach beruhigt er sich, eine kindliche Freude
erwacht in ihm durch sein lebhaftes Erzählen aus der Heimat, das seine Gedanken
weit fort in die Vergangenheit schickt.
Einen Rückfall erlebt er, als er sein einsames Zimmer in einem Schulgebäude
bezieht, wo die Erinnerungen an den schönen Abend schnell wieder der
unnennbaren Angst weichen - er ist voll Unruhe. Seine Wahrnehmung stabilisiert
sich, als er sich Schmerzen zufügt und schließlich in den kalten Brunnen taucht Handlungen des Instinktes, die ihn wieder zu sich kommen lassen.
Eine gewisse Ablenkung, einen Zustand des Erträglichen verschaffen ihm die Tage.
Einem Theaterspiel gleich nimmt er die Menschen um sich und ihren Alltag wahr,
wird als Begleiter Oberlins selbst zum Akteur, ohne in dieses Leben eintauchen zu
können. Demgegenüber werden ihm die Nächte zur Qual: Seine Wahrnehmung löst
sich von der Realität, macht sie zum Traum, der Alp des Wahnsinns setzt sich zu
seinen Füßen. Lenz lebt sich ein, erinnert sich an die Erlebnisse der Tage, schöpft
Hoffnung.
In den nächsten Tagen verbessert sich sein Zustand. Lenz genießt die Nähe seines
Seelsorgers Oberlin und empfindet die Natur und die Bewohner des Steintals als
mächtige Ruhe. Dieses Empfinden wird für ihn zum Idealzustand. Doch mit
einsetzender Dunkelheit überfallen ihn wieder Angstzustände und die Ahnung einer
unabwendbaren Erkrankung verstärkt sich bei ihm. Lenz versucht, sich Oberlin als
Vorbild zu nehmen, die Natur als Geschenk Gottes anzusehen und die entstehenden
Ängste mit Hilfe der Bibel abzuwenden. Er erkennt, dass dies seine letzte Möglichkeit
zur Selbsttherapie ist, jedoch kann dieses „süße unendliche Gefühl des Wohls“ nur
kurz anhalten und die Verzweiflung und das Selbstmitleid über seine Einsamkeit
nehmen überhand.
Ein zentraler Moment der Erzählung ist Christof Kaufmanns Besuch. Im Gespräch
über Kunst, im Speziellen über Shakespeare und Goethe, kann Lenz sich
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konzentrieren. Er spricht leidenschaftlich und gelöst. Nur in der Schriftstellerei kann
Lenz seine Identität gewinnen, nicht aber in der Wirklichkeit. Als Kaufmann ihn
auffordert, zu seinem Vater zurückzukehren, bricht er das Gespräch ab. Er empfindet
den Aufenthalt in diesem kleinen Bergdorf als einzige Möglichkeit sich vor seiner
„Tollheit“ zu retten, in die ihn das bürgerliche Leben treiben würde. Am nächsten Tag
brechen Oberlin und Kaufmann zu einer Reise in die Schweiz auf. Lenz begleitet sie
ein Stück des Wegs. Auf seinem Heimweg übernachtet er im Ort Fouday bei Leuten,
wo ein todkrankes Mädchen im Fieber liegt. Wenig später erfährt er vom Tod eines
kleinen Mädchens. Er fasst die fixe Idee, „wie ein Büßender“ mit aschebeschmiertem
Gesicht nach Fouday zu pilgern und wie Jesus das Mädchen wieder zum Leben zu
erwecken. Die Erfahrung, unfähig zu sein, sie wieder ins Leben zurückzuholen, treibt
ihn zu wilden Gotteslästerungen und lässt ihn endgültig zum Atheisten werden ("Lenz
musste laut lachen, und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und fasste ihn
ganz sicher und ruhig und fest").
Als Oberlin aus der Schweiz zurückkommt und den Geisteszustand von Lenz
bemerkt, verweist er ihn an Jesus, denn dieser sei für die Vergebung der
Abgefallenen gestorben. Nachdem Lenz Oberlin nach dem Zustand des
"Frauenzimmers" fragt, worauf dieser ihm antwortet, dass er nichts wisse, gesteht
Lenz seinen Mord an seiner Geliebten, die er wegen seiner Eifersucht und weil sie
noch einen Anderen liebte, getötete hätte ("Verfluchte Eifersucht, ich habe sie
aufgeopfert - sie liebte noch einen andern - ich liebte sie, sie war´s würdig - o gute
Mutter, auch die liebte mich. Ich bin ein Mörder.") Dieser Mord ist nur ein Produkt von
Lenz' Wahnvorstellungen. Von nun an gibt es nur noch kurze Momente, in denen
Lenz bei klarem Verstand ist. Die Ruhe, die er „aus der Stille des Tales und der Nähe
Oberlins“ geschöpft hatte, wirkt nicht mehr auf ihn. Nach einem erneuten
Selbstmordversuch lässt Oberlin Lenz nach Straßburg transportieren. Lenz reagiert
nur noch mit Apathie und Leere. Die Abendlandschaft berührt ihn nicht mehr. Der berühmt gewordene - Schlusssatz von Büchners Text lautet: „Er schien ganz
vernünftig, sprach mit den Leuten; er tat Alles wie es die Andern taten, es war aber
eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen; sein
Dasein war ihm eine notwendige Last – so lebte er hin.“
Was Büchner mit dem „Lenz“ gelingt ist ein detailliertes Psychogramm von Lenz und
dessen schizophrener Psychose.
Büchner über Lenz: „ Er war ein Mensch, dem es nicht gelungen ist, sich in der
Gesellschaft zu integrieren“.
„Lenz“ beschreibt Naturzustände der jeweilig sich äußernden Bewusstseinszustände;
Prägung durch tiefe Gleichgültigkeit; (er – Lenz - möchte) die Erde hinter den Ofen
setzen.
(Die Welt ist) „grau, kalt, erstarrt, feucht und macht krank“ = seit der Antike sind das
negative, weibliche, krankmachende Symbole im Gegensatz zu hell und sonnig;
ersehnt wird das Bedürfnis nach grenzenloser Ausdehnung seiner selbst.
Im „Lenz“ dargestellt wird die Welt als bedrohende Enge, es entsteht der Wunsch
nach Ausdehnung: „er dehnte sich aus bis in das All hinaus“.
Es wird eng im Herzen: „unnennbare Angst“; es entsteht der Wunsch nach
„mächtiger Ruhe“ (als Idealzustand).
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(Lenz leidet unter) der unabwendbaren Krankheit; er versucht die Natur als
Offenbarung (Gottes) zu fassen.
Die Krankheit von Lenz bezeichnete man damals als manisch-depressiv, heute
würde man sagen: er hatte „bipolare Zustände“.
Hier wird die Beschäftigung mit der Kunst als eine Art von Therapie beschrieben.
Büchner entwickelt (im Lenz) zwei Kernpunkte:
schmähliche Verachtung der menschlichen Natur (= gegen die Abstraktheit des
Idealismus gerichtet);
(das bedeutet: die Ideen und Begriffe des Idealismus erzeugen nur Abstraktionen,
die das wirkliche reale Leben des Menschen völlig außer Acht lassen und bei der
Beschreibung der menschlichen Alltagsschicksale völlig versagen)
stattdessen:
„ich verlange in allem Leben, als Möglichkeit des Daseins“ (= Andeutung des
modernen Realismus);
(das bedeutet: ich verlange für den Menschen in seinem Dasein Lebendigkeit, Leben
im Sinne von Authentizität [- wie man heute sagen würde! -]; Büchner wollte die
realen Zustände des Einzelnen, seine Wirklichkeit vor Augen führen so wie es der
moderne Realismus in Kunst und Literatur heute auch versucht; modern
ausgedrückt: die Geworfenheit ins Dasein – ohne jeden romantischen Schnörkel, zu
dem der Idealismus neigt.
„Die Figur des „König Peter“ verkörpert und verspottet hier bestimmte philosophische
Linien (Spinoza, Leibnitz), insbesondere die sog. „Idealistische Philosophie, diese ist
beliebig mit ihren Begriffen, denn sie sind folgenlos, es erscheint die Wirklichkeit und
die Welt als bloßes Ritual;
Büchner schafft ein ironisch-utopisches Gegenbild, ein groteskes Bild mit dem
Kerngedanken: „utopische Gedanken (und Ideen) lassen sich unter den obwaltenden
Möglichkeiten nicht (niemals) realisieren.“].
„Geist bedarf materieller Grundlagen!“ (eine sehr naturwissenschaftliche Aussage;
der junge Karl Marx hat es später sehr ähnlich ausgedrückt)].
Die Novelle erreicht mit dem Tod des Mädchens ihren Höhepunkt;
= Folge über die Erkenntnis des unabwendbaren Todes führt zu Gotteslästerung.
Das heißt: Da Lenz das Mädchen nicht jesusgleich vom Tode erretten kann
(Ausdruck seines Wahnsinns!) zweifelt er an Gott und beginnt seiner zu lästern
Siehe diese Stelle im Text
„Er fasst die fixe Idee, „wie ein Büßender“ mit aschebeschmiertem Gesicht nach
Fouday zu pilgern und wie Jesus das Mädchen wieder zum Leben zu erwecken. Die
Erfahrung, unfähig zu sein, sie wieder ins Leben zurückzuholen, treibt ihn zu wilden
Gotteslästerungen und lässt ihn endgültig zum Atheisten werden)“.
Diese Stelle ist damit der Höhepunkt der Novelle, denn „Die Novelle Lenz wurde von
Büchner als eine politisch-theologische Kritik am Christentum gestaltet.“
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Die Gebirgslandschaft erscheint hier als Symbol eines toten, gefühllosen Gottes,
elementare Empfinden des Menschen sind hilflose Ohnmachtsgefühle, symbolisiert
in den Schlusssätzen des Lenz: - „so lebt er hin!“
Oberlin (er spricht hier als Theologe/Pfarrer): „Der Zustand von Lenz erkläre sich aus
der unsittlichen Lebensweise“.
Die Novelle Lenz wurde von Büchner als eine politisch-theologische Kritik am
Christentum gestaltet.
Im Frühjahr 1835 entstand Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“, mit dem er an
einem Wettbewerb der Cotta'schen Verlagsbuchhandlung teilnehmen wollte. Er
verpasste jedoch den Einsendeschluss und erhielt das Manuskript ungelesen zurück.
Das Lustspiel Leonce und Lena unterscheidet sich stark von Büchners anderen
Werken. Es ist eher romantisch geprägt, obwohl Büchner sonst einen
materialistischen Realismus vertritt.
Leonce und Lena ist eigentlich eine als Lustspiel getarnte Komödie, die nicht
eindeutig als Lustspiel verbucht werden kann, sondern eher als eine in dem
Deckmantel der Fröhlichkeit verpackte Satire verstanden werden sollte. Uraufgeführt
wurde es fast 60 Jahre später, am 31. Mai 1895, in einer Freilichtaufführung des
Münchner Theatervereins Intimes Theater. Die literarische Weltgeltung dieses
Werkes wurde erst im 20. Jahrhundert erkannt.
Kaffeepause
Kurze Inhaltswiedergabe von „Leonce und Lena“
Der melancholische, traumversunkene Prinz Leonce vom Königreiche Popo (in
seiner territorialen Winzigkeit und intellektuellen Versteinerung eine Persiflage auf die
deutschen Kleinstaaten) wird vor die vollendete Tatsache gestellt, dass er Prinzessin
Lena vom Königreiche Pipi heiraten soll. Nicht gewillt, den Bund einzugehen, flüchtet
er mit dem arbeitsscheuen Bonvivant Valerio nach Italien.
In der Zwischenzeit beruft König Peter, ein scheinbar aufgeklärter, dabei völlig
geistloser Absolutist, eine Staatsratsversammlung ein, um vor dieser Zeugnis seiner
grenzenlosen Realitätsferne und geistigen Verwirrtheit abzulegen - und um seinen
Entschluss, dass sein Sohn nämlich heiraten solle, bekanntzumachen.
Auf dem Weg nach Italien begegnen Leonce und Valerio zwei Frauen. Es sind Lena
und ihre Gouvernante, Leonce und Valerio erfahren diese Begebenheit jedoch nicht.
Leonce verliebt sich unmittelbar in das Mädchen, während Valerio und die
Gouvernante eine bissige Konversation führen. Leonce gesteht dem Mädchen seine
Liebe, doch sie erwidert sie nicht: Er will daraufhin Selbstmord begehen, wird aber
von Valerio davon abgehalten, der ihn spöttisch bittet, diese "Leutnantsromantik" sein
zulassen, und so die Tragik des Selbstmords ins Lächerliche zieht. Später verliebt
sich auch Lena noch in Leonce, und die beiden beschließen, gemeinsam alt zu
werden.
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Unterdessen proben offizielle Herren mit dem Bauernvolk den feierlichen Empfang
des erwarteten Hochzeitspaares. Diese Szene ist voller überheblichem Sadismus
seitens des Schulmeisters und schonungsloser Darstellung des bäuerlichen Elends.
Hiernach folgt eine erzählerische Lücke, die zu interpretieren vielfältige Möglichkeiten
eröffnet. Wir befinden uns wieder auf dem Schloss Popo, von dem aus man das
ganze Königreich überblicken kann. Der König und sein Gefolge sind in großer
Trauer, da der Prinz verschwunden ist und die Hochzeit nun nicht stattfinden kann.
Doch da tauchen an der Grenze vier Gestalten auf. Natürlich handelt es sich um die
Gouvernante, Lena, Leonce und Valerio. Leonce und Lena haben sich jedoch bis zur
Unkenntlichkeit verkleidet und werden von Valerio als die "zwei weltberühmten
Automaten" angepriesen, die alle Funktionen menschlichen Lebens perfekt erfüllten.
König Peter beschließt, die Hochzeit ´“in effigie“* zu feiern, mit den Automaten als
Braut und Bräutigam. Die Zeremonie findet statt, und die beiden nehmen ihre
Masken ab - wobei die Identitäten sich entschleiern: Es handelt sich tatsächlich um
Leonce und Lena, die aus dem gleichen Grund wie Leonce ihr Königreich Pipi
verlassen hatte.
Erst jetzt stellen Leonce und Lena fest, dass sie nicht - wie erwartet - ihren Vätern
einen genialen Streich spielen, sondern dem Schicksal ihrer Verbindung nicht aus
dem Weg gehen konnten. Leonce ist fasziniert von dieser "Vorsehung" und
akzeptiert mit verzweifelt komischer Ironie sein Los als König über ein Reich
stumpfsinnig gehorsamer Untertanen; Lena ist - je nach Interpretation des Stückes niedergeschlagen beziehungsweise ganz selig und ruhig vor Glück. Valerio
seinerseits, für die Inszenierung der Hochzeit von Leonce im Voraus zum
Staatsminister ernannt, kündigt, die allgemeine gesellschaftliche Situation
parodierend, an, die bestehende Ordnung im Chaos versinken zu lassen und auf
individuellen Genuss auszurichten.
* (Anm.: „in effigie“ bedeutet soviel wie „bildlich“ und wurde früher benutzt für die
Formulierung jemanden „hinrichten“, „am Bilde des Entflohenen das Urteil
vollstrecken“ = stellvertretend (Beispiel „Bürgschaft“ von Schiller). Büchner spielt hier
offensichtlich ganz bewusst ironisch mit diesem Begriff im Zusammenhang mit einer
Hochzeit.
An dieser Komödie zeigt sich deutlich, dass Büchner von Shakespeare beeinflusst
war.
Im Grunde ist dieses Stück als Parodie des gängigen Schemas der Komödien
angelegt:
Arrangierte Hochzeit zweier Königskinder,
Entschluss zur Flucht,
zufälliges Treffen,
Liebe der beiden,
Heirat (Ehe);
der Gang der Handlung ist determiniert, der Mensch wird zur Marionette (aus
Pappdeckel und Uhrfedern), der Mensch ist ein Automat seiner Umgebung;
es herrscht eine satirisch-subversive Grundstimmung;
zunächst ergibt sich ein Wiedererkennungseffekt (im Handlungsablauf), dann nimmt
Büchner das spätabsolutistische Feudalsystem auf das Korn;
die Langeweile, der alltägliche Leerlauf ist das zentrale Thema bei Leonce = das
ganze ist als Parodie aufgebaut; Leonce leidet auf absurd-melancholische Art und
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Weise am Leben; die Einen sind verdammt zur Langeweile und die Anderen sind
verdammt zu gnadenloser Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen;
Leonce und Valerio sind „Jungfrauen“ in der Arbeit, sie besitzen starke Ausdauer in
der Faulheit (Meister des Müßiggangs).
Die Figur des „König Peter“ verkörpert und verspottet hier bestimmte philosophische
Linien (Spinoza, Leibnitz), insbesondere die sog. „Idealistische“ Philosophie, diese ist
beliebig mit ihren Begriffen, denn sie sind folgenlos, es erscheint die Wirklichkeit und
die Welt als bloßes Ritual;
Büchner schafft ein ironisch-utopisches Gegenbild, ein groteskes Bild mit dem
Kerngedanken: „utopische Gedanken (und Ideen) lassen sich unter den obwaltenden
Möglichkeiten nicht (niemals) realisieren.“
„Geist bedarf materieller Grundlagen!“ (eine sehr naturwissenschaftliche Aussage).
Woyzeck
Schon vor seiner Übersiedlung nach Zürich hatte Büchner mit der Arbeit am
Woyzeck in Straßburg begonnen. Entwürfe nahm er mit in die Schweiz - das Werk
blieb ein Fragment.
Büchner begann vermutlich zwischen Juni und September 1836 mit der Niederschrift.
Bei seinem frühen Tod im Jahr 1837 blieb das Werk als Fragment zurück. Das
Manuskript ist in mehreren Entwurfsstufen überliefert. Im Druck erschien Woyzeck
erstmals 1879 in der stark überarbeiteten und vom Herausgeber veränderten
Fassung von Karl Emil Franzos. Woyzeck wurde am 8. November 1913 im
Residenztheater München uraufgeführt.
Büchners Werk gehört zu den meistgespielten und einflussreichsten Dramen der
deutschen Literatur.
Kurze Inhaltswiedergabe:
Der einfache Soldat Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame
uneheliche Kind, die genau wie er am Rande der Gesellschaft leben, zu unterstützen
versucht, arbeitet als Laufbursche für seinen Hauptmann. Außerdem lässt er sich von
einem skrupellosen Arzt als Versuchsperson auf Erbsendiät setzen, um einen
zusätzlichen Verdienst zu seinem mageren Sold zu erhalten. Hauptmann und Arzt
nutzen Woyzeck physisch und psychisch aus und demütigen ihn in der Öffentlichkeit.
Marie beginnt eine Affäre mit einem Tambourmajor. Woyzecks aufkeimender
Verdacht wird durch ihm nicht freundlich gesonnene Mitmenschen geschürt, bis er
Marie und den Nebenbuhler beim Tanz im Wirtshaus ertappt. Er hört Stimmen, die
ihm befehlen, die treulose Marie umzubringen. Er kauft ein Messer, da das Geld für
eine Pistole nicht reicht, und ersticht Marie in einem Wald nahe einem See.
Grundgedanke:
Die Figuren Hauptmann und Arzt sind ganz bewusst ohne Namen, den sie sind die
Repräsentanten des Staates (und daher beliebig austauschbar, da anonym; jeder
kann dieser Hauptmann oder Arzt sein!).
Büchner macht auch hier etwas Neues, er gestaltet und benutzt ein völlig neues
Menschenbild, er schafft die Kategorie „des Geringsten unter den Menschen“ (für die
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Bühne), er gestaltet den „Subkultur-Helden“, als die tiefste Stufe des menschlichen
Kulturkreises.
Es geht um die Auflösung des Körpers durch zur Verfügung stellen für Versuche
(Experimente), obwohl die Versuchsperson weiß, dass sie zugrunde geht. Aussage:
Mangelhafte Ernährung führt zu psychischen Krankheiten! Der Einzelne hat im
Grunde keine Chance; Woyzecks Verbrechen geht ein soziales Verbrechen voraus =
Sozialdeterminismus.
Woyzeck hat keine eigentlichen (personalen) Gegner, sein Gegner ist die
Gesellschaft, hier startet Büchner ein Angriff auf die Klassenjustiz.
Ein Mensch wie Woyzeck ist seinem Schicksal hilflos ausgeliefert, der Hauptmann
und der Arzt, die Repräsentanten der Gesellschaft, sie haben ihn physisch und
psychisch ausgelöscht. Woyzeck ist ein Opfer der äußeren Umstände, in dieser
„Sozialtragödie“ erscheint das Bürgertum als Tyrann, die Bürger trampeln auf den
jeweils noch tiefer stehenden herum, dargestellt wird ein einsames und sinnloses
Leben, das Ende Woyzecks bleibt (bewusst?) offen (Fragment??).
Büchner bezieht sich bei diesem Stück auf eine konkreten Kriminalfall: Der 41jährige
arbeitslose Perückenmachergeselle Woyzeck bringt seine Geliebte um. In der
öffentlich geführten Diskussion zur Rechts- bzw. Straffähigkeit wird darüber
debattiert, ob Depressionen, Halluzinationen, Verfolgungswahn und/oder soziale
Notlage zur Schuldminderung führen können. Das Gericht sieht keine
Schuldminderungsgründe und verurteilt Woyzeck zum Tode, er wird hingerichtet.
Büchner gelangt an das Material zu diesem spektakulären Fall über seinen Vater, der
als Bezirksarzt Zugang zu solchen Unterlagen hatte.
Auch in diesem Werk zeigt sich wieder der Bezug Büchners zu den bereits im
„Hessischen Landboten“ ausgeführten Lebensbedingungen der Menschen, die
Trennung zwischen arm und reich und damit verbunden die Möglichkeit oder die
Unmöglichkeit an „Genuss und Bildung“ teilzuhaben.
Ausklang:
Büchner lehnte den Idealismus der Klassik und Romantik ab. Er vertrat eine
deterministische Grundhaltung: Der Mensch wird durch die Gesellschaft und seine
soziale Stellung determiniert. Dies zeigt sich beispielsweise in der Hauptmann-Szene
im Woyzeck. Der Idealist Hauptmann will Woyzeck dazu bewegen, doch moralisch
zu sein. Dem geht es aber finanziell so schlecht, dass er nur daran denken kann,
sich und seine Familie zu ernähren.
Büchner ist also Materialist. Die einzige Möglichkeit, aus der Determinierung
auszubrechen, ist für ihn der Aufstand der Besitzlosen gegen die Besitzenden.
Büchners Werk hat stark sozialistische Tendenzen.
Dem Idealismus wirft Büchner vor, dass er Anforderungen an den Menschen stelle,
die dieser nicht erfüllen könne. Wenn man den Menschen ändern wolle, müsse man
die gesellschaftlichen Umstände ändern, so die Argumentation Büchners. Außerdem
wirft Büchner dem Idealismus vor, den Respekt vor dem Menschen zu verlieren. Für
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Büchner ist ferner das Leben nicht nur Mittel, sondern zugleich auch Zweck, weshalb
er ein auf ein Jenseits gerichtetes Leben ablehnt.
Als Grundmotiv erscheint bei Büchner das Mitleid mit dem Menschen.
Zwei Stimmen zu Büchner:
„An Instinkt für die Krise der Zeit war Büchner niemand überlegen. Voller Gespür für
die heraufdrängende Not der breiten Masse hat er in dem Drama Woyzeck in
unheimlich verdichtetem Handlungsablauf erstmals dem unbekannten, unbeachteten
„kleinen Mann“ ins Rampenlicht gestellt: eine überlegene Umwelt zertritt brutal den
wehrlosen Offiziersburschen und sein einziges Gut, seine Liebe zu Maria, und treibt
ihn in eine dumpf aufbegehrende Mordtat.
In „Dantons Tod“ verherrlicht Büchner wie die Stürmer und Dränger die Kraft des
Genies, sieht aber auch in ihm nur Laune einer sinnlosen, zerstörenden Natur, hinter
der kein höherer ordnender Wille steht:
„Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? … Puppen sind wir,
von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! (Danton)“.
Georg Ried, Literaturwissenschaftler
»Dieser Büchner war ein toller Hund. Nach 23 oder 24 Jahren verzichtete er auf
weitere Existenz und starb. Es scheint, die Sache war ihm zu dumm. «
Alfred Döblin
Verfasser: Doris Nicolai und Wolfgang Grätz
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