Teller voll für 9,63 Cents

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Teller voll für 9,63 Cents
Erfahrungsbericht aus einer Slumschule in Dhaka, Bangladesch
12 Uhr 30 mittags.
Das Läuten eines provisorischen Gongs, geschlagen von einem Schüler der
Abschlussklasse, klingt durch die 5 Stockwerke der Schule an der im
Zweischichtbetrieb ca. 700 Kinder unterrichtet werden.
Die unteren Klassen der Vormittagsschicht ( zwischen 5 und 8 Jahren alt )
verlassen in Reih und Glied ihre beengten und stickigen Klassenzimmer und gehen
so gut wie schweigend durch das meist finstere Treppenhaus in den Speiseraum.
Kein Herumtollen, Schubsen oder Geschrei ist zu vernehmen. An der Eingangstür
werden sie von einem Schüler der oberen Klassen kontrolliert, denn nur wer hier
auch zur Schule geht, wird eingelassen. Zu oft haben sich schon hungrige
Nachbarskinder einzuschleichen versucht. Daher tragen nun alle Schüler einen
Schulausweis an ihre Uniform geheftet.
An langen Tischen aus Metall, deren Farbe schon vor Jahren abgesprungen ist,
nehmen sie Platz doch nicht, ohne sich zuvor die Hände zu waschen. An jedem
Platz steht ein abgewetzter und verblasster Plastikteller mit unterschiedlichen –
längst vergilbten Motiven. Die ganze Umgebung erinnert an eine Kaserne. Planker
Bettonboden, abgesprungener Verputz, Gitter vor den Fenster und keine Bilder,
keine Vorhänge, keine Farben.
Tischweise kommen die Kinder zur Essensausgabe. In einem großen Plastikbottich
steht Reis mit einigen wenigen Gemüsestücken bereit. Jeder bekommt davon die
gleichgrosse Ration auf seinen Teller. Keines der Kinder würde auch nur daran
denken, sich selbst zu bedienen. Zurück am Tisch wird erst dann gegessen, wenn
alle den Reisbrei vor sich stehen haben. Befremdend scheint vor diesem
Hintergrund die Diskussion in Europa ( insbesondere in England ) über die
erwünschte Abwechslung und die scheinbar notwendige Vielfalt des Schul- oder
Kantinenessens.
Nachschlag gibt es selten. Dazu müssen sich die Kinder zunächst getrauen, ihre
Scheu zu überwinden und nochmals einzeln an die Ausgabestelle zu kommen …
sehr häufig gelingt ihnen dies jedoch nicht. . Die Teller werden mit einem kleinen
Schluck Wasser von den Kindern selbst am Tisch ausgespült. das “ Spülwasser
wird dann getrunken. und die Kinder bringen ihre Teller einzeln zurück.
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Keines der Kinder hier an der Schule stirbt den Hungertod doch wirklich
übermäßig satt wird hier niemand 2 Tage in Folge. Die Ernährung ist absolute
einseitig. Reis mit Gemüse, manchmal ein wenig Linsen und eher ganz selten
Fleisch. Getrunken wird Wasser aus der Leitung. Und trotz alledem sind dies die
absolut privilegierten Kinder der Umgebung. denn nur ein Bruchteil in den völlig
übervölkerten Slums kann überhaupt unterrichtet und verköstigt werden... ohne die
Spendengelder, die die Organisation der Ärzte für die Dritte Welt hier einsetzt
würde es mit Sicherheit gar keine medizinische Versorgung, keine Schule und auch
kein Essen für diese Kinder geben.
Wenn Kindern das Essen jedoch rationiert wird, bleiben die Folgen nicht aus:
Konzentrationsmangel und andauernde Ermüdungszustände sind die absolute
gängigsten Merkmale einer konstant andauernden Unterernährung. Keines der 15
jährigen Mädchen bringt über 36kg auf die Wage und die Erstklässler sind nicht
grösser als Vierjährige.
Aus dem Lateinischen übersetzt verwenden wir das Sprichwort: " ein voller Bauch
studiert nicht gern”… hier in Dhaka wird offensichtlich, dass ein andauernd zu
leerer Bauch gar nicht studieren kann… denn: alles dreht sich im Leben der
Slumbewohner täglich nur um das eine Grundbedürfnis - nämlich das Essen!
Wann und wie sich diese Situation verbessern kann? Nun - wir sind sicher, dass die
Kinder der Kinder, die wir hier in der Schule unterrichten keine Analphabeten mehr
sein werden und sich somit deren Chancen auf ein besseres Leben erhöhen. Nur
hoffen können wir jedoch, dass die Überschwemmungen, die dieses Land immer
wieder heimsuchen und Millionen ans Existenzminimum treiben, seltener werden
und die Geburtenrate sich weiterhin nach unten entwickelt. Ohne Hilfe von außen
ist dieser Prozess in den Slums dieses Molochs Dhaka, der mit rund 16 Mio.
Einwohnern zu den dicht besiedelten Flecken auf dieser Erde zählt, nicht kaum
möglich.
Uns allen ist hinlänglich bewusst, dass die Güter auf diesem Planeten nicht
gleichmäßig verteilt sind. doch wie können wir dies gegenüber Kindern erklären
und vor allem rechtfertigen? Wird man ( wenn auch nur für einen sehr
überschaubaren Zeitraum ) ein Teil dieser hier lebenden Gruppe von
erstaunlicherweise äußerst zufriedener Menschen, begreift man schnell, dass es gar
nicht darum geht die WELT zu verbessern … das “ hier und heute” tritt in den
Vordergrund. Hunderte von Schulkindern haben HEUTE Hunger. und diesen
Hunger heute zu stillen ist weitaus mehr als nur der bekannte Tropfen auf den
heißen Stein.
Der durchschnittliche Preis für eine Mahlzeit in der Schule beträgt ca. 0,96 Euro.
Die strahlenden Augen der Hundertschaar von Kindern zu sehen, denen gesagt
wurde, dass die von mir mitgebrachte Geldspende komplett für Essen eingesetzt
wird, kann dagegen mit keinem Gut der Erde aufgewogen werden. Zuvor wurde die
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Essenausgabe aufgrund merklich reduzierter Spendengelder an 2-3 Tagen der
Woche gestrichen.
Vielleicht lässt Euch dieser kurze Bericht beim nächsten Einkauf oder kommenden
Restaurantbesuch nur einen klitzekleinen Moment an die Menschen denken, die
noch niemals in ihrem Leben auch nur eine winzige Menge Essbares in ihrem
Teller zurückgelassen oder gar weggeschmissen haben.
Eines ist sicher:
Die Schulkinder von Dhaka, für die ich erneut einige wenige Tage die exotische,
englischsprechende Lehrerin namens RITU sein darf, senden Euch allen ein
herzliches: DANKE
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