Wassertext - Walter Tockner

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Wasser
Wenn ich über einen Acker gehe, der mir
trocken zu sein scheint, so gehe ich doch auf
einer Welt von Wasser, Jedes tiefer liegende
Erdkrümelchen trägt eine Art
Wasserhaut. Die Milliarden kleiner
Lebewesen in der Krume bestehen fast nur
aus Wasser. Stiege ich hinab zu den
Tonschichten, dem Gestein, den
Schifferschichten, so befände ich mich in einer
von Wasser triefenden Unterwelt, bis ich
endlich im Grundwasser stünde, in den
unterirdischen Seen und Flussläufen, in
denen sich Wasservorräte unvorstellbaren
Ausmasses befinden.
Aus der Tiefe kommt der Brunnen, Tag
und Nacht den Reichtum der Tiefe
herausgebend in der Sprache des Wassers, im
Rauschen und Glucksen und Plätschern
und Gurgeln. Und ich schöpfe im
Unerschöpflichen das Geheimnis des
Lebendigen. Im Gefäß gebe ich dem
Formlosen eine Form und werde zum
„Schöpfer“
Berge umgeben mich, und sie alle haben vom
Wasser ihre Gestalt. Denn das Wasser
schwemmt und sägt, hobelt und schleift. Es
netzt sanft als Tau, prasselt als Hagel, schlägt
als Lawine ins Tal, frisst das Land an
Ufern und Küsten, unterhöhlt die Erde,
kerbt das Profil der Felsen. Sickert ein in
den Untergrund, poliert riesige Hohlräume
aus, tropft von den Decken und Verzaubert
die nächtliche Unterwelt zu Palästen von
Feen und Trollen, und eines Tages wird die
Erde in die Tiefe nachstürzen oder
nachgleiten .
Ich stapfe durch den Schnee, die Zauberwelt
der Kristalle ,Wasser in luftig leichter
Gestalt,zart und behutsam die Wärme
bewahrend, die die Erde hat und die sie
braucht über die Zeit des Frostes. Eine
Schlafdecke für Pflanzen und Tiere liegt
ausgebreitet und hält Samenkörner und
Fruchtknoten und das kleine Getier am
Leben. Die Erde ruft aber unter dem
Schnee heimlich die Feuchtigkeit ab, die sie
braucht, und vielleicht empfinden wir, es sei
etwas in uns das ebenso fällt, so liegt, so schmilzt
, auftauend und wieder in die Erde rinnt,
aufsteigend, im Wind treibend, fallend und
sich wieder lösend, einschmelzend in die
Wasser unter der Erde.
Ich entdecke das Heilende. Den Moorsee
oder die Schwefelquelle, Wasser abgestimmt
auf meinen Körper und das was er im
Augenblick braucht. Das Element,
wunderbar verbunden mit dem Leben in mir.
Urflut und Meer, See und Fluss ,Quelle
und Tau. Mein Dasein begann im Wasser
des Leibes meiner Mutter, und solange ich
lebe gibt das Wasser mir eine seltsame
Geborgenheit.
Wir sehen im Wasser etwas wie das Urbild
alles Lebendigen. Aber Leben ist eigentlich
anders als das Wasser. Leben heißt wachsen.
Das Wasser aber wächst nicht. Leben heißt
sich fortpflanzen. Das Wasser aber kennt
keinen Wechsel der Generationen. Leben
heißt, den eigenen Rhythmus finden und
durchhalten. Aber dem Wasser wird immer
und überall der Rhythmus fremden Lebens
vorgeschrieben. Und doch ist kein Leben
möglich ohne das Wasser. Indem das
Wasser kein eigenes Leben beansprucht, ist es
die Urkraft alles Lebendigen. Das Wasser
hat kein eigenes Licht. Der Himmel über
ihm gibt ihm seine Farbe, die Sonne spiegelt
sich in ihm, der Baum an seinem Ufer.
Seine Farbe empfängt das Wasser immer
von anderen Dingen oder Wesen dieser
Erde.
(Solarplexus 13. 6. 2009 )
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