Nr. 1000 VV RVG

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Neue Rechtsprechung zum RVG
Rechtsanwalt Anton Braun, Bonn/Berlin
Hauptgeschäftsführer der
Bundesrechtsanwaltskammer a.D.
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Inhaltsverzeichnis
§ 1 RVG ..................................................................................................................................... 2
§ 11 RVG ................................................................................................................................... 5
Nr. 1000 VV RVG ..................................................................................................................... 7
Nr. 1005 VV RVG ................................................................................................................... 32
Nr. 1008 VV RVG ................................................................................................................... 41
Nr. 2100 VV RVG, § 4 RVG ................................................................................................... 48
Nr. 2400 VV RVG ................................................................................................................... 62
Nr. 3100 VV RVG ................................................................................................................... 96
Nr. 3104 VV RVG ................................................................................................................. 102
Nr. 3105 VV RVG ................................................................................................................. 136
Nr. 3201 VV RVG ................................................................................................................. 136
Nr. 3500 VV RVG ................................................................................................................. 140
Nr. 4000 ff RVG..................................................................................................................... 142
Nr. 5000 ff VV RVG .............................................................................................................. 154
Nr. 7000 VV RVG ................................................................................................................. 155
§ 14 RVG ............................................................................................................................... 159
§ 24 RVG ............................................................................................................................... 195
§ 35 RVG ............................................................................................................................... 198
§ 46 RVG ............................................................................................................................... 204
§ 51 RVG ............................................................................................................................... 211
Übergangsrecht, §§ 60, 61 RVG ............................................................................................ 239
Streitwert ................................................................................................................................ 292
Prozesskostenhilfe .................................................................................................................. 342
Sonstiges (Kostenfestsetzung, Gerichtskosten)...................................................................... 362
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§ 1 RVG
Die einem Nachlassverwalter zu bewilligende Vergütung wird durch das Nachlassgericht
festgesetzt. Die Festsetzung gegen die Staatskasse entsprechend den Regelungen über die
Vergütung von Berufsvormündern ist nicht möglich. Die Besonderheiten der Nachlassverwaltung
schließen die Festsetzung gegen die Staatskasse aus. Der Vergütungsanspruch des
Nachlassverwalters ist auch ohne die Möglichkeit, subsidiär die Staatskasse in Anspruch zu
nehmen, hinreichend gesichert.
KAMMERGERICHT-BERLIN: 1 W 180/03, Beschluss vom 29.11.2005
Verfahrensgang:
LG Berlin 87 T 58/03 vom 26.02.2003
AG Hohenschönhausen 62/61 VI 253/97
Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer:
1 W 180/03
In dem Nachlassverwaltervergütungsverfahren
betreffend den Nachlass des Herrn Tnnn Pnnn, geboren am 23.Januar 1966 und verstorben am
25.Januar 1997
hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu
1 vom 1. April 2003 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 26. Februar 2003 - 87 T
58/03 - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am
Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Amtsgericht Müller am 29. November 2005
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde wird bei einem Verfahrenswert in Höhe von 1.186,30 EUR
zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die sofortige weitere Beschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Landgericht statthaft,
§§ 75 S. 1, 56 g Abs. 7 und 5 S. 2 FGG. Sie ist auch zulässig, insbesondere ist sie form- und
fristgerecht eingelegt worden, §§ 29 Abs. 1 S. 2 und 4, 22 Abs. 1 FGG.
II. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer
Verletzung des Rechts, §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27 FGG.
Gemäß §§ 75 S. 1, 56 g Abs. 7 und Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG in Verbindung mit §§ 1975, 1962 BGB
setzt das Nachlassgericht auf Antrag eine dem Nachlassverwalter zu bewilligende Vergütung fest
(vgl. BayObLG, MDR 2000, 584 f.). Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts ist davon ausgegangen,
dass eine solche Festsetzung nicht gegen die Staatskasse erfolgen kann, so dass sie den
entsprechenden Antrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen hat. Dies ist nicht zu beanstanden.
Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1. daher zu Recht
zurückgewiesen.
Allerdings ist es zutreffend, dass es sich bei der Nachlassverwaltung um eine besondere Art der
Nachlasspflegschaft handelt, vgl. § 1975 BGB, so dass über § 1915 Abs. 1 BGB die
entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Vormundschaft einschließlich der §§ 1835 ff
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BGB grundsätzlich in Betracht kommt. Nach § 1915 Abs. 1 BGB gilt dies aber nur, soweit sich aus
dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt. So ist es hier. Die Besonderheiten der
Nachlassverwaltung schließen eine Festsetzung der Vergütung des Nachlassverwalters gegen
die Staatskasse aus. Weder kommt bis zum 31. Dezember 1998 eine entsprechende Anwendung
des § 1836 Abs. 2 S. 4 BGB in Verbindung mit § 1835 Abs. 4 S. 1 BGB in ihrer damaligen
Fassung, noch für die Zeit danach des § 1836a BGB in Betracht (vgl. Staudinger/Marotzke, BGB,
2002, § 1987, Rdn. 4; Jochum/Pohl, Nachlasspflegschaft, 2. Aufl., Rdn. 949 a.E.). Nach diesen
Vorschriften konnte der Vormund die ihm zu bewilligende Vergütung aus der Staatskasse
verlangen, wenn der Mündel mittellos war.
Die Nachlasspflegschaft dient der Befriedigung der Nachlassgläubiger sowie der
Haftungsbeschränkung des Erben, § 1975 BGB. Ihre Anordnung erfolgt deshalb im vorrangigen
Interesse der Gläubiger sowie des Erben (Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1975, Rdn. 18;
Münchener Kommentar/Siegmann, BGB, 4. Aufl., § 1987, Rdn. 1; Firsching/Graf, Nachlassrecht,
8. Aufl., Rdn. 4.785). Insoweit besteht bereits ein wesentlicher Unterschied zur sonstigen
Nachlasspflegschaft, die der Sicherung des Nachlasses und der Ermittlung der Erben dient.
Hierfür ist der Staat jedenfalls subsidiär zuständig, § 1960 Abs. 1 und 2 BGB (vgl.
Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 1960, Rdn. 1), so dass bei der Nachlasspflegschaft auch ein
öffentliches Interesse an ihrer Anordnung besteht. Entsprechend besteht im Gegensatz zur
Nachlasspflegschaft, §§ 1960 Abs. 2, 1915 Abs. 1, 1785 BGB, keine staatsbürgerliche Pflicht, das
Amt des Nachlassverwalters zu übernehmen, § 1981 Abs. 3 BGB. Fiskalische Interessen spielen
bei der Nachlassverwaltung grundsätzlich keine Rolle, weshalb der Nachlassverwalter in jedem
Fall eine angemessene Vergütung verlangen kann, § 1987 BGB, während bei der
Nachlasspflegschaft der Grundsatz der ehrenamtlichen Führung besteht, §§ 1960 Abs. 2, 1915
Abs. 1, 1836 Abs. 1 S. 1 BGB.
Im Unterschied zum Nachlasspfleger, der gesetzlicher Vertreter des unbekannten Erben ist, hat
der Nachlassverwalter die rechtliche Stellung eines amtlich bestellten Organs zur Verwaltung
einer fremden Vermögensmasse mit eigener Parteistellung im Rechtsstreit (RGZ 135, 305, 307;
Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1975, Rdn. 4; Firsching/Graf, a.a.O., Rdn. 4.786). Er ist damit weder
gesetzlicher Vertreter des Erben noch einzelner Nachlassgläubiger (RGZ, a.a.O.). Der
Nachlassverwalter steht insoweit dem Testamentsvollstrecker und in erster Linie dem
Insolvenzverwalter näher als dem Nachlasspfleger (RGZ, a.a.O., Palandt/Edenhofer, a.a.O.,
Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1975, Rdn. 19; Münchener Kommentar/Siegmann, a.a.O., § 1987,
Rdn. 1; Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1987, Rdn. 1; Bamberger/Roth/Lohmann, BGB, § 1987,
Rdn. 1). Die Vergleichbarkeit mit dem Insolvenzverwalter spiegelt sich vor allem auch bei den
Voraussetzungen für die Anordnung der Nachlassverwaltung wider. Gemäß § 1982 BGB kann die
Nachlassverwaltung abgelehnt werden, wenn eine den Kosten entsprechende Masse nicht
vorhanden ist. Diese Vorschrift entspricht § 26 Abs. 1 S. 1 InsO (Staudinger/Marotzke, a.a.O., §
1982, Rdn. 1; Münchener Kommentar/Siegmann, a.a.O., § 1982, Rdn. 1), wonach der Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuweisen ist, wenn das Vermögen des Schuldners
voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Sowohl das
Nachlassverwaltungs- als auch das Insolvenzverfahren gehen danach vom
Kostendeckungsgrundsatz aus (Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1982, Rdn. 2), weshalb eine
subsidiäre Staatshaftung in diesen Verfahren nicht vorgesehen ist. Deshalb unterbleibt die
Abweisung der Bestellung des Nachlassverwalters in entsprechender Anwendung von § 26 Abs. 1
S. 2 InsO, wenn ein zur Kostendeckung ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird
(Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1982, Rdn. 4; Münchener Kommentar/Siegmann, a.a.O., § 1982,
Rdn. 2; Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1982, Rdn. 1; Erman/W. Schlüter, BGB, 11. Aufl., § 1982,
Rdn. 2; Firsching/Graf, a.a.O., Rdn. 4.794). Zu den Kosten der Nachlassverwaltung gehört neben
den Gerichtskosten auch der durch § 1987 BGB begründete Anspruch des Nachlassverwalters
auf Zahlung einer angemessenen Vergütung.
Der Einwand des Beteiligten zu 1, auch im Insolvenzrecht sei ein gegen die Staatskasse
gerichteter Vergütungsanspruch des Insolvenzverwalters nicht ausgeschlossen, führt zu keinem
anderen Ergebnis. Dem Insolvenzverwalter steht ein solcher Anspruch gegen die Staatskasse nur
dann zu, wenn die Kosten des Verfahrens gestundet sind und die Insolvenzmasse zur Deckung
der Kosten nicht ausreicht, § 63 Abs. 2 InsO. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber dafür
Sorge tragen, dass im Insolvenzverfahren tätige Personen, also insbesondere der vorläufige
Insolvenzverwalter, der Insolvenzverwalter und der Treuhänder im vereinfachten
Insolvenzverfahren, einen werthaltigen Anspruch auf ihre Vergütung erhalten (BT-Drs 14/5680, S.
26), wenn gemäß §§ 26 Abs. 1 S. 2, 207 Abs. 1 S. 2 InsO die Abweisung des Antrags auf
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Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. dessen Einstellung unterbleibt, weil die Kosten nach § 4a
InsO gestundet worden sind. Entsprechende, der Prozesskostenhilfe nachgebildete
Stundungsmöglichkeiten gibt es bei der Nachlassverwaltung jedoch nicht (vgl.
Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1987, Rdn. 4), so dass eine entsprechende Anwendung des ohnehin erst nach der Anordnung der Nachlassverwaltung im hiesigen Verfahren in Kraft
getretenen - § 63 Abs. 2 InsO nicht in Betracht kommt.
Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1 ergibt sich aus § 16 Abs. 3 VwVfG kein Anspruch
gegen die Staatskasse. Danach hat der für eine der in § 16 Abs. 1 VwVfG aufgeführten Personen
von dem Vormundschaftsgericht bestellte Vertreter gegen den Rechtsträger der Behörde, die um
seine Bestellung ersucht hat, Anspruch auf eine angemessene Vergütung und auf die Erstattung
seiner baren Auslagen. Ein allgemeiner Grundsatz ist hieraus nicht abzuleiten, insbesondere
ergibt sich aus dem von dem Beteiligten zu 1 zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4.
Februar 1999 (BGHZ 140, 355 ff) nichts anderes. Der dortige Hinweis auf den Anspruch des unter
den Voraussetzungen von § 11b Abs. 1 S. 1 VermG nach Beendigung der staatlichen Verwaltung
eingesetzten gesetzlichen Vertreters des Eigentümers auf angemessene Vergütung gegen die
Behörde beruhte auf der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 11 b Abs. 1 S. 4 VermG.
Danach findet § 16 Abs. 3 VwVfG in diesen Fällen Anwendung. Wie bereits ausgeführt wurde, ist
der Nachlassverwalter kein gesetzlicher Vertreter der Erben. Seine Bestellung durch das
Nachlassgericht erfolgt im Übrigen nicht auf Ersuchen einer Behörde, sondern auf den Antrag
eines Erben oder Nachlassgläubigers. Eine dem § 16 Abs. 3 VwVfG vergleichbare Sachlage ist
daher nicht gegeben.
Ob die Staatskasse über §§ 1975, 1915 Abs. 1, 1835 Abs. 4 BGB subsidiär für den Anspruch des
Nachlassverwalters auf Ersatz seiner Aufwendungen haftet (Bamberger/Roth/Lohmann, a.a.O., §
1987, Rdn. 5; Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1987, Rdn. 4), kann vorliegend dahinstehen (dagegen:
Münchener Kommentar/Siegmann, a.a.O., § 1987, Rdn. 4; Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1987,
Rdn. 14; Soergel/Stein, a.a.O., § 1987, Rdn. 4). Abgesehen davon, dass
Aufwendungsersatzansprüche nicht Gegenstand des Festsetzungsverfahrens sind, wird von den
Vertretern dieser Auffassung auch nicht der Schluss gezogen, es sei möglich, bei Mittellosigkeit
des Nachlasses den Vergütungsanspruch als Aufwendungsersatz gegen die Staatskasse geltend
zu machen. Denn der Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen ist rechtlich unabhängig von dem
in § 1987 BGB geregelten Vergütungsanspruch des Nachlassverwalters (Soergel/ Stein, a.a.O., §
1987, Rdn. 4). Das gilt auch für Aufwendungen des berufsmäßigen Nachlassverwalters nach §
1835 Abs. 3 BGB. Sie sind, etwa bei Führung eines Rechtsstreits durch den Nachlassverwalter in
seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, nach der maßgeblichen Gebührenordnung zu vergüten
(Bamberger/Roth/Lohmann, a.a.O., § 1987, Rdn. 5).
Zutreffend hat das Landgericht auch die von dem Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom
1. Juli 1980 (BVerfGE 54, 251 ff) aufgestellten Grundsätze über die Erstattung von Zeitaufwand
und anteiligen Bürokosten an berufsmäßig tätige Vormünder und Pfleger nicht auf die
Nachlassverwaltung ausgedehnt, weil der Vergütungsanspruch des Nachlassverwalters auch
ohne die Möglichkeit, subsidiär die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, hinreichend gesichert ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es sich als übermäßige, durch keine
Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung im Sinn des
Art. 12 Abs. 1 GG erweist, wenn der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im
öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch nimmt und den derart Belasteten
eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme vorenthält. Dies ist bei der
Nachlassverwaltung aber gerade nicht der Fall. Nach § 1987 BGB hat jeder Nachlassverwalter
Anspruch auf eine angemessene Vergütung unabhängig davon, ob er die Verwaltung
berufsmäßig führt oder nicht. Durch die Regelung in § 1982 BGB wird sichergestellt, dass bei
Anordnung der Nachlassverwaltung voraussichtlich eine den Kosten einschließlich der Vergütung
entsprechende Masse vorhanden ist. Soweit sich das Gegenteil im Rahmen der
Nachlassverwaltung herausstellt, kann sie aufgehoben werden, § 1988 Abs. 2 BGB. Endet die
Nachlassverwaltung durch Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens, § 1988 Abs. 1 BGB, sind
die Vergütungsansprüche des Nachlassverwalters als Masseverbindlichkeiten vorab zu
berichtigen, §§ 324 Abs. 1 Nr. 4 und 6, 53 InsO (vgl. Staudinger/Marotzke, a.a.O., § 1987, Rdn.
16; Münchener Kommentar/Siegmann, a.a.O., § 1987, Rdn. 5; Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1987,
Rdn. 1; Bamberger/Roth/Lohmann, a.a.O., § 1987, Rdn. 4; Soergel/Stein, a.a.O., § 1987, Rdn. 1).
Verfassungsrechtliche Gründe, den Vergütungsanspruch darüber hinaus zu sichern, bestehen
nicht. Es obliegt dem Nachlassverwalter - dessen diesbezügliche Tätigkeit zu vergüten bzw.
Aufwendungen zu erstatten sind - nach §§ 1985 Abs. 2 S. 2, 1980 BGB, sich beizeiten ein Bild
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von der Zahlungsfähigkeit des Nachlasses unter Berücksichtigung seiner eigenen Ansprüche
gegen den Nachlass zu verschaffen.
Zu Recht hat das Landgericht die Festsetzung einer Vergütung gegen die Staatskasse auch für
die Zeit nach In-Kraft-Treten des (Ersten) Betreuungsrechtsänderungsgesetzes ab 1. Januar 1999
abgelehnt. Der Gesetzgeber strebte die Fortsetzung des bis dahin bestehenden Gleichlaufs der
Vergütung von beruflich tätigen Vormündern, Betreuern und Pflegern an (vgl. BT-Drs. 13/7158, S.
14 li. Sp., 36 re. Sp.; Senat, Beschlüsse vom 9. August 2005 - 1 W 434/03 - und 16. August 2005
- 1 W 361/04 und 1 W 362/04 -). Das schließt es aus, dass im Gegensatz zur vorherigen
Rechtslage mit dem Reformgesetz die Möglichkeit einer zuvor nicht vorgesehenen
Inanspruchnahme der Staatskasse durch den Nachlassverwalter bei mittellosem Nachlass
eingeführt worden ist. Vor allem wurden weder § 1897 BGB noch die auf dem
Kostendeckungsprinzip beruhenden Voraussetzungen der Anordnung einer Nachlassverwaltung
in § 1982 BGB geändert.
III. Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus §§ 131 Abs. 2, 30 KostO.
§ 11 RVG
OLG Koblenz 14. Zivilsenat Beschluss vom 9. August 2004 14 W 511/04
RVG § 11
Rechtsanwaltsvergütung: Behandlung der Rüge der fehlenden Beauftragung im
Verfahren der Vergütungsfestsetzung nach neuem Recht
Orientierungssatz
Zwar steht der Festsetzung der Vergütung im Verfahren nach § 11 RVG die Rüge des
Mandanten, er habe dem Rechtsanwalt keinen Auftrag erteilt, entgegen. Die Rüge ist jedoch
unbeachtlich, wenn sich aus aktenkundigen Schreiben des Mandanten zweifelsfrei ergibt, dass
er den Anwalt beauftragt hat, so dass die Einwendung offensichtlich aus der Luft gegriffen ist.
JurBüro 2004, 593 (red. Leitsatz und Gründe) AGS 2004, 443 (Leitsatz und Gründe) RVGB 2005, 6 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2004, 129-130 (red. Leitsatz) ZAP ENNr 772/2004 (red. Leitsatz) RVGreport 2004, 432-433 (Leitsatz)
Diese Entscheidung wird zitiert von


Anmerkung Schneider, Norbert AGS 2004, 443
Anmerkung Goebel, Frank-Michael RVG-B 2005, 6-7
Für die vereinfachte Festsetzung von Kosten anwaltlicher Tätigkeit im Vollstreckungsverfahren gemäß
§ 19 Abs. 1 BRAGO ist das Vollstreckungsgericht zuständig.
BGH: X ARZ 409/04, Beschluss vom 15.02.2005
5
Verfahrensgang:
OLG Stuttgart
AG Stuttgart
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ARZ 409/04
vom
15. Februar 2005
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und die Richter Asendorf und Dr. Kirchhoff
am 15. Februar 2005
beschlossen:
Tenor:
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Stuttgart als Vollstreckungsgericht bestimmt.
Gründe:
I. Die antragstellenden Rechtsanwälte begehren die Festsetzung der Kosten gemäß § 19 BRAGO
gegen ihren Auftraggeber für ihre Tätigkeit im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Nach Abgabe des
Antrags vom Amtsgericht Stuttgart als Vollstreckungsgericht an das Landgericht Stuttgart als
Prozessgericht haben sich sowohl das Landgericht Stuttgart als auch das Amtsgericht Stuttgart - mit
Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht Stuttgart zur Zuständigkeitsbestimmung - zur
Entscheidung über den Antrag für unzuständig erklärt.
Das Oberlandesgericht hält das Landgericht Stuttgart als Gericht des ersten Rechtszugs für zuständig,
sieht sich an dieser Feststellung jedoch gehindert, weil das Bayerische Oberste Landesgericht
(JurBüro 2003, 326), das Oberlandesgericht Köln (MDR 2000, 1276) und das Oberlandesgericht
Koblenz (JurBüro 2002, 199) ausschließlich das Vollstreckungsgericht als für die vereinfachte
Festsetzung von Rechtsanwaltskosten für anwaltliche Tätigkeit im Zusammenhang mit
Zwangsvollstreckungshandlungen zuständig ansehen.
II. Die Vorlage ist zulässig.
Das zuständige Gericht ist zu bestimmen, weil die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3
ZPO gegeben sind. Sowohl das Amtsgericht Stuttgart als Vollstreckungsgericht wie auch das
Landgericht Stuttgart als Prozessgericht haben sich für unzuständig erklärt, die Kosten der
antragstellenden Rechtsanwälte für ihre Tätigkeit im Rahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 19
BRAGO festzusetzen. Das Oberlandesgericht Stuttgart möchte sich der in Teilen der Literatur
vertretenen Ansicht anschließen, § 788 Abs. 2 ZPO lasse auch in seiner neuen Fassung die
Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs für Festsetzungsklagen gemäß § 19 Abs. 1
BRAGO unberührt. Damit will es von der Rechtsprechung der bereits genannten anderen
Oberlandesgerichte und des Bayerischen Obersten Landesgerichts abweichen.
III. Der Senat bestimmt das Amtsgericht Stuttgart, also das Vollstreckungsgericht, als zuständiges
Gericht.
1. Nach § 19 BRAGO soll für die Festsetzung der Vergütung des Rechtsanwalts das Gericht zuständig
sein, das als Eingangsinstanz für das ihr zugrundeliegende gerichtliche Verfahren sowie die
Entscheidung über die daraus resultierende Kostentragung gemäß §§ 91 ff. ZPO zuständig ist. Dies
dient einer sinnvollen Konzentration der Zuständigkeit. Keine Rolle spielt dabei, daß sich die Parteien
des Kostenfestsetzungsverfahrens nach den §§ 103 ff. ZPO und des Verfahrens zur Festsetzung der
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Vergütung nach § 19 BRAGO unterscheiden.
2. Die Zwangsvollstreckung ist ein eigenständiges, vom Erkenntnisverfahren unabhängiges Verfahren,
für das grundsätzlich das Vollstreckungsgericht zuständig ist. Mit der seit dem 1. Januar 1999
geltenden Fassung des § 788 Abs. 2 ZPO hat der Gesetzgeber klargestellt, dass im
Vollstreckungsverfahren das für gerichtliche Anordnungen zuständige Gericht über die Kosten der
Zwangsvollstreckung entscheidet. Damit hat er entsprechend § 104 ZPO auch für den Bereich der
Zwangsvollstreckung die Entscheidung über die Sache und die Kosten in eine Hand gelegt. Nach dem
Rechtsgedanken des § 19 BRAGO ist dann regelmäßig das Vollstreckungsgericht auch für die
Festsetzung der Anwaltsvergütung zuständig. Eine folgerichtige Ausnahme besteht in den Fällen einer
Vollstreckung nach den §§ 887, 888 oder 890 ZPO, in denen das Prozessgericht des ersten
Rechtszugs als Vollstreckungsgericht tätig wird und folglich auch gemäß § 19 BRAGO die Vergütung
des Rechtsanwalts festzusetzen hat. Eine derartige Ausnahme liegt hier jedoch nicht vor. Zuständig ist
daher das Amtsgericht Stuttgart als Vollstreckungsgericht, das im selbständigen Verfahren der
Zwangsvollstreckung als "Gericht des ersten Rechtszugs" im Sinne des § 19 BRAGO anzusehen ist.
3. Dass § 788 Abs. 2 ZPO nur auf die §§ 103 Abs. 2, 104 und 107 ZPO und nicht auf § 19 BRAGO
verweist, hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung. Diese Verweisung betrifft das vom
Vollstreckungsgericht bei der Festsetzung der Kosten der Zwangsvollstreckung einzuhaltende
Verfahren, nicht jedoch den Umfang der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts.
4. Der Senat verkennt nicht, dass es für einen Anwalt lästig sein kann, die Vergütung seiner Tätigkeit
für das Erkenntnisverfahren beim Gericht des ersten Rechtszugs und diejenige für das
Vollstreckungsverfahren beim Vollstreckungsgericht festsetzen zu lassen. Da nach § 19 BRAGO die
Zuständigkeit zur Festsetzung der Vergütung aber gerade der Zuständigkeit für die Sachentscheidung
und die Kostenfestsetzung folgen soll, ist dies als notwendige Konsequenz der Trennung zwischen
Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren hinzunehmen.
Nr. 1000 VV RVG
Landesarbeitsgericht Düsseldorf 16. Kammer Beschluß vom 15. August 2005 16 Ta
363/05
Einigungsgebühr nach erfolgter Einigung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
und anschließender Klagerücknahme
Leitsatz
Eine Einigungsgebühr iSd Nr 1000 VV RVG entsteht auch dann, wenn die Parteien eines
Kündigungsrechtsstreits sich auf eine Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses einigen und der
Arbeitnehmer daraufhin die Klage zurücknimmt.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) RVGreport 2005, 422 (Leitsatz) JurBüro 2005,
639 (Leitsatz 1) JurBüro 2005, 644 (Leitsatz 1)
Landesarbeitsgericht Düsseldorf 16. Kammer Beschluß vom 15. August 2005 16 Ta
325/05
Einigungsgebühr nach "Rücknahme" einer Kündigung
Leitsatz
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Eine Einigungsgebühr iSd Nr 1000 VV RVG entsteht auch dann, wenn der Arbeitgeber in
einem Kündigungsrechtsstreit die "Rücknahme" der Kündigung erklärt und die Parteien sich
auf eine Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses verständigen.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) Rpfleger 2006, 45-46 (Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 643-644 (Leitsatz 1 und Gründe) RVGreport 2005, 423 (Leitsatz)
JurBüro 2005, 639 (Leitsatz 1, red. Leitsatz 1)
Landesarbeitsgericht Düsseldorf 16. Kammer Beschluß vom 15. August 2005 16 Ta
433/05
Einigungsgebühr nach Abschluss eines Vergleichs über den ungekündigten Fortbestand
eines Arbeitsverhältnisses
Leitsatz
Eine Einigungsgebühr iSd Nr 1000 VV RVG entsteht auch dann, wenn die Parteien eines
Kündigungsrechtsstreits sich per Vergleich darauf verständigen, dass ihr Arbeitsverhältnis
ungekündigt fortbesteht.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) NZA-RR 2005, 604 (Leitsatz 1 und Gründe)
RVG-Letter 2005, 116-117 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 423 (Leitsatz) JurBüro 2005,
639 (Leitsatz 1) JurBüro 2005, 644 (Leitsatz 1)
KG Berlin 1. Zivilsenat Beschluß vom 20. September 2005 1 W 239/05
Leitsatz
Das Entstehen der Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 2608 VV RVG setzt das Vorliegen eines
Vertrags voraus. Das Vorliegen eines Vertrages ist nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen
Grundsätzen zu beurteilen. Allein die Entgegennahme einer aufgrund eines Kaufvertrages als
Nacherfüllung geforderten Leistung führt nicht zu einem Vertrag, auch wenn die geforderte
Leistung von der vertraglich geschuldeten Leistung abweicht.
Tenor
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die weitere Beschwerde vom 18. Mai 2005 ist zulässig, insbesondere ist sie vom
Landgericht in dem Beschluss vom 27. April 2005 zugelassen worden und innerhalb der Frist
von zwei Wochen nach §§ 56 Abs. 2 S. 2, 33 Abs. 3 S. 3, Abs. 6 S. 4 RVG eingelegt worden.
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Der Beschluss des Landgerichts ist am 10. Mai 2005 zugestellt worden und die sofortige
weitere Beschwerde ist am 19. Mai 2005 beim Landgericht eingegangen.
II. Die weitere Beschwerde hat aber keinen Erfolg, weil die Entscheidung des Landgerichts
nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, auf die das Rechtsmittel allein mit Erfolg
gestützt werden kann, §§ 56 Abs. 2 S. 2, 33 Abs. 6 S. 2 RVG, 546f. ZPO.
1. Das Landgericht hat ausgeführt: Das Vorliegen der Voraussetzungen für das Entstehen
einer Einigungsgebühr nach Nr. 2608 VV RVG in Verbindung mit Nr. 1000 VV RVG sei
zweifelhaft, weil es an dem Vorliegen eines Vertrages fehle. Denn die Leistung der zwei
Mobiltelefongeräte sei aufgrund des Schreibens vom 13. September 2004 erfolgt, in dem die
Neulieferung zweier Geräte des Nachfolgemodells als Nachbesserung verlangt worden sei.
Selbst wenn man von einem Vertrag ausginge, hätte sich dieser ausschließlich auf ein
Anerkenntnis beschränkt. Dass dem Antragsteller die Lieferung des Nachfolgemodells nicht
zugestanden habe, sei unerheblich, weil diese allein auf sein Verlangen hin erfolgt sei.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen dem Antragsteller und
seinem Vertragspartner schon kein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV RVG, die hier nach Nr.
2608 VV RVG Anwendung findet, zustande gekommen ist.
Dabei kann offen bleiben, ob die Lieferung der zwei Mobiltelefone des Nachfolgemodells
nicht als Nachbesserung im Sinne des § 439 BGB anzusehen ist, weil hier im Rahmen eines
Stückkaufs über vertretbare Sachen eine Sache geliefert worden ist, die der zunächst
gelieferten Sache wirtschaftlich entspricht und das Leistungsinteresse des Käufers zufrieden
stellen konnte (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 439 Rn. 15 mwN). Denn
zwischen den Parteien ist in Bezug auf die Lieferung des Nachfolgemodells kein Vertrag
zustande gekommen. Wie das Landgericht zu Recht ausführt, erfolgte die Lieferung aufgrund
des Schreibens des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 13. September 2004.
In diesem Schreiben wird aber gerade die Lieferung des Nachfolgemodells als Nachbesserung
verlangt. Von einem objektivierten Empfängerhorizont aus kann dieses Schreiben daher nicht
als Vertragsangebot auf Abschluss eines den Streit über die Gewährleistungsrechte
erledigenden Vertrages angesehen werden. Denn nach dem Schreiben wird das Verlangen auf
Lieferung des Nachfolgemodells damit begründet, dass ein vertraglicher Anspruch bestehe, so
dass auch die hierauf erfolgende Lieferung nicht als Annahme eines Angebots zum Abschluss
eines neuen Vertrages aufgefasst werden kann. Die Frage, ob die Lieferung der
Nachfolgemodelle mehr als ein Anerkenntnis des gestellten Nachbesserungsverlangens
enthält, stellt sich daher nicht.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Das Verfahren ist gebührenfrei, eine
Kostenerstattung findet nicht statt, § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.
RVGreport 2005, 424 (Leitsatz)
OLG Nürnberg 6. Zivilsenat Beschluß vom 29. August 2005 6 W 916/05
9
Leitsatz
Auch nach Inkrafttreten des RVG kann eine Einigungsgebühr nur dann festgesetzt werden,
wenn ein Vergleich ausdrücklich protokolliert worden ist.
AG Halle-Saalkreis Urteil vom 19. Mai 2005 102 C 506/05
Rechtsanwaltskosten: Anfall einer Einigungsgebühr bei Beratung des Mandanten zu
einem Einigungsvertrag mit einer Versicherung
Orientierungssatz
Wenn ein Rechtsanwalt einen Mandanten im Zusammenhang mit einer Schadenregulierung
über eine Versicherung darüber berät, ob ein angebotener Einigungsvertrag angemessen ist
und es daraufhin zur Einigung kommt (hier: Quotelung des Schadenersatzanspruchs), liegt
eine Mitwirkung des Anwalts bei der Einigung vor. Daran ändert auch die Bezeichnung des
Einigungsangebots als "Abrechnung" nichts. Es fallen dann die Einigungsgebühren nach 1000
VV RVG an.
RVG professionell 2005, 135 (red. Leitsatz)
OLG Hamm 23. Zivilsenat Beschluß vom 17. Februar 2005 23 W 24/05
Rechtsanwaltsgebühren nach neuem Recht: Einigungsgebühr bei außergerichtlicher
Regulierungsvereinbarung und anschließendem Anerkenntnisurteil
Leitsatz
Wird während eines Rechtsstreits zwischen den Parteien eine außergerichtliche Absprache
über den Streitgegenstand einzig und allein zu dem Zweck getroffen, wie die als solche
unstreitige Verbindlichkeit reguliert werden soll, fällt dadurch eine Einigungsgebühr nicht an.
AGS 2005, 326-327 (red. Leitsatz und Gründe) OLGR Hamm 2005, 419 (Leitsatz und
Gründe) JurBüro 2005, 588-589 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 224 (Leitsatz)
ZAP EN-Nr 531/2005 (red. Leitsatz)
OLG Koblenz 4. Senat für Familiensachen Beschluß vom 11. März 2005 7 WF 105/05
Rechtsanwaltsgebühren: Vergleichsgebühr bei Einigung der Eltern auf einen Aufenthalt
des gemeinsamen Kindes bei einem Großelternteil
10
Leitsatz
Einigen sich die Eltern nach gegenläufigen Anträgen zur Übertragung des alleinigen
Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Aufenthalt des gemeinsamen Kindes bei einem
Großelternteil und belassen es im Übrigen bei der gemeinsamen Sorge, löst auch dies eine
Vergleichsgebühr nach § 23 Abs. 1 BRAGO (jetzt Einigungsgebühr, RVG VV 1000) aus.
NJW-RR 2005, 1160 (Leitsatz und Gründe) OLGR Koblenz 2005, 685-686 (Leitsatz und
Gründe) FuR 2005, 424-425 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 433-434 (Leitsatz und
Gründe) FamRZ 2005, 1846-1847 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 418 (Leitsatz)
FamRB 2005, 263-264 (Leitsatz)
OLG Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluß vom 24. März 2005 8 W 112/2005, 8 W 112/05
Kostenfestsetzung: Verzichtsvertrag über Vergleichskosten bei Anerkenntnis statt
formgerechten Prozessvergleichs
Leitsatz
Wählen anwaltlich vertretene Parteien anstelle eines formgerechten gerichtlichen Vergleichs
(§ 794a ZPO) mit den sich aus Nr. 1000 Abs. 1, 1003 VV/RVG ergebenden Kostenfolgen
absichtlich eine abweichende Form, die für sich genommen diese kostenrechtlichen Folgen
vermeidet - hier ein Anerkenntnis (Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 2. HS VV/RVG) -, so ist daraus auf
einen Verzichtsvertrag der beteiligten Parteien auf Erstattung von Vergleichskosten zu
schließen.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des
Landgerichts Stuttgart vom 29.11.2004 wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Beschwerdewert: 1.354,00 EUR.
Gründe
I.
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der Güteverhandlung erklärte die Beklagte, sie
erwäge ein Anerkenntnis der Klagforderung. Daraufhin erklärte der Klägervertreter für den
Fall des Anerkenntnisses, auf Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten, wenn bestimmte
Raten fristgemäß gezahlt würden.
Auf das darauf erklärte Anerkenntnis hin verkündete das Landgericht ein Anerkenntnisurteil,
in dem der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden. Dem
Kostenfestsetzungsantrag des Klägers wurde mit Beschluss der Rechtspflegerin vom
11
29.11.2004 stattgegeben mit Ausnahme der beantragten Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000
Abs. 1, 1003 VV/RVG, die nicht entstanden sei.
Gegen den am 17.12.2004 zugegangenen Beschluss legte der Kläger am 22.12.2004 die
sofortige Beschwerde ein, mit der er die Festsetzung einer Einigungsgebühr von 1.354,00
EUR weiterverfolgt.
Die Beklagte ist der sofortigen Beschwerde entgegen getreten.
Mit Beschluss vom 18.3.2005 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart erklärt, der
sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen, und hat die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart
zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Das zulässige - von der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung ist mangels Zustellung
auszugehen - Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
Zwar ist hier aufgrund gegenseitigen Nachgebens eine Vergleichsgebühr nach Nr. 1000 Abs.
1, 1003 VV/RVG entstanden (vgl. Gerold/Schmidt-von Eicken RVG 16. Aufl. Nr. 1000 VV
RN 27; 70), weil vor dem Anerkenntnis der Kläger der Beklagten durch eine
Stundungszusage entgegen gekommen war und deshalb keine ausschließlich auf das
Anerkenntnis beschränkte Einigung vorliegt. Sie ist aber nicht vom Gegner zu erstatten.
Wählen anwaltlich vertretene Parteien anstelle eines formgerechten gerichtlichen Vergleichs
(§ 794 a ZPO) mit den sich aus Nr. 1000 Abs. 1, 1003 VV/RVG ergebenden Kostenfolgen
absichtlich eine abweichende Form, die für sich genommen diese kostenrechtlichen Folgen
vermeidet - hier ein Anerkenntnis (Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 2. HS VV/RVG) -, so ist daraus auf
einen Verzichtsvertrag der beteiligten Parteien auf Erstattung von Vergleichskosten zu
schließen. Ansonsten würden die wirtschaftlichen Vorteile, die hier das Entgegenkommen der
klagenden Partei für die anerkennende Partei hätte und auf die die anerkennende Partei
erkennbar Wert gelegt hat, über das Kostenrecht teilweise oder ganz wieder genommen. Es
wäre treuwidrig (venire contra factum proprium), wenn eine Partei eine kostengünstigere
prozessuale Erledigungsform wählt und dann dennoch die höheren Kosten geltend macht, die
angefallen wären, wenn die an sich dafür vorgesehene Erledigungsform gewählt worden wäre.
Vielmehr muss sich eine Partei nach Überzeugung des Senats an den kostenrechtlichen
Konsequenzen der auch von ihr gewählten Form der Verfahrenserledigung festhalten lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1811 KV/GKG und § 97 Abs. 1 ZPO.
NJW 2005, 2161-2162 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 368 (Leitsatz und Gründe)
AGS 2005, 359 (Leitsatz und Gründe) OLGR Stuttgart 2005, 601-602 (Leitsatz und
Gründe) MDR 2005, 1079-1080 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 63 (Leitsatz)
RVGreport 2005, 224-225 (red. Leitsatz)
LG Bonn 4. Zivilkammer Beschluß vom 21. März 2005 4 T 94/05
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Einigungsgebühr bei Gestattung der ratenweisen
Tilgung der zu vollstreckenden Forderung
Orientierungssatz
12
Erklärt sich der Verfahrensbevollmächtigte bei der Erteilung des Vollstreckungsauftrags (hier:
Abnahme der eidesstattlichen Versicherung) mit einer Ratenzahlung einverstanden und
bewilligt der Gerichtsvollzieher entsprechende Raten, fällt keine Einigungsgebühr gemäß Nr.
1000 VV-RVG an.
DGVZ 2005, 77-78 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 265-266 (red. Leitsatz)
AG Neu-Ulm Beschluß vom 7. Februar 2005 15 M 203/05
Rechtsanwaltsgebühr: Keine Einigungsgebühr bei Verzicht auf sofortige
Zwangsvollstreckung gegen Sonderzahlung und Fortsetzung der Ratenzahlung
Orientierungssatz
Das bloße Stillhalten des Gläubigers und der Verzicht auf die sofortige Einleitung der
Zwangsvollstreckung bei Leistung einer Sonderzahlung und anschließender Fortsetzung der
Ratenzahlung stellt keine Einigung im Sinne des Vergütungsverzeichnisses Nr. 1000 des
RVG dar und lässt somit eine Einigungsgebühr des Prozessbevollmächtigten nicht entstehen.
DGVZ 2005, 47 (red. Leitsatz und Gründe)
Landesarbeitsgericht Köln 4. Kammer Beschluß vom 22. Februar 2005 4 Ta 30/05
Einigungsgebühr
Leitsatz
Für Mehrheits-Gegenstände ist eine Einigungsgebühr nach dem Gebührensatz von 1,0 gemäß
Nr 1003 der Anl 1 zum RVG anzusetzen, nicht von 1,5 gemäß Nr 1000.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) AGS 2005, 330-331 (red. Leitsatz und Gründe)
AnwBl 2005, 588 (Leitsatz 1 und Gründe) AnwBl 2005, 588 (Leitsatz und Gründe)
RVGreport 2005, 188-189 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 97-98 (red. Leitsatz)
Landesarbeitsgericht Niedersachsen 10. Kammer Beschluß vom 18. Februar 2005 10 Ta
129/05
Streitwert - Festsetzung einer Einigungsgebühr
Leitsatz
13
1. Die Einigungsgebühr nach VV 1000 erfordert nicht den Abschluss eines Vergleichs nach §
779 BGB. Ihr Anwendungsbereich ist daher weiter zu ziehen als der der Vergleichsgebühr
nach § 23 Abs 1 BRAGO.
2. Die Einigungsgebühr ist daher entstanden, wenn die Parteien im Kündigungsschutzprozess
einen Vergleich schließen, wonach Einigkeit über den ungekündigten Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses besteht.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1-2 und Gründe) AGS 2005, 281-282 (Leitsatz und Gründe)
LAGE § 11 RVG Nr 1 (Leitsatz 1-2 und Gründe) RVG professionell 2005, 91 (red.
Leitsatz) RVGreport 2005, 266-267 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 98-99 (red. Leitsatz) EzASD 2005, Nr 16, 14 (Leitsatz 1-2)
Landesarbeitsgericht Berlin 17. Kammer Beschluß vom 8. Juni 2005 17 Ta (Kost) 6023/05
Einigungsgebühr nach "Rücknahme" einer Kündigung
Leitsatz
Einigungsgebühr nach "Rücknahme" einer Kündigung zu den Voraussetzungen, unter denen
nach "Rücknahme" einer Kündigung durch den Arbeitgeber eine anwaltliche
Einigungsgebühr entgeht.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) NZA-RR 2005, 488 (red. Leitsatz 1 und Gründe)
AGS 2005, 432 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 92 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 305 (red. Leitsatz) RVG professionell 2005, 182 (red. Leitsatz)
AG Oschatz Urteil vom 7. März 2005 2 C 0556/04, 2 C 556/04
Rechtsanwaltsvergütung: Einigungsgebühr bei Rücknahme der Kündigung im
Kündigungsschutzverfahren
Orientierungssatz
Einigen sich die Parteien eines Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht in der
Güteverhandlung darauf, dass der Arbeitgeber die Kündigung zurückzieht und der
Arbeitnehmer sich mit der Rücknahme einverstanden erklärt, bezieht sich die Vereinbarung
ausschließlich auf ein Anerkenntnis des Arbeitgebers. Dafür fällt eine Einigungsgebühr nach
den Nr. 1000, 1003 VV RVG nicht an.
RVGreport 2005, 143-144 (red. Leitsatz)
AG Euskirchen Beschluß vom 11. Januar 2005 15 M 2334/04
14
Rechtsanwaltskosten im Zwangsvollstreckungsverfahren: Einigungsgebühr für die
Gestattung ratenweiser Tilgung der titulierten Forderung durch den Gerichtsvollzieher
Orientierungssatz
Räumt der Gerichtsvollzieher dem Schuldner im Verfahren zur Erzwingung der Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung Ratenzahlung auf die dem Verfahren zu Grunde liegende
Forderung ein, fällt bei dem Bevollmächtigten des Gläubigers keine Einigungsgebühr nach
Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG an, da seinerseits keine Mitwirkung beim
Abschluss eines Vertrags vorliegt.
DGVZ 2005, 29-30 (red. Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 199-200 (red. Leitsatz und
Gründe)
Auch in Sorgerechtsverfahren kann grundsätzlich eine Einigungsgebühr anfallen.
So z.B., wenn der eine Elternteil seinen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge für ein Kind nicht
weiter verfolgt und der andere Elternteil dem Antrag hinsichtlich des weiteren Kindes zustimmt.
OLG-ZWEIBRÜCKEN: 5 WF 96/05, Beschluss vom 07.10.2005
Verfahrensgang:
AG Pirmasens 1 F 26/05 vom 18.07.2005
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
Aktenzeichen:
5 WF 96/05
In dem Verfahren
betreffend die Regelung der elterlichen Sorge nach Trennung der Eltern für die
ehegemeinschaftlichen Kinder M... D..., geb. am ...1987 und M... D..., geb. am ...1989,
hier: wegen Festsetzung der Anwaltsgebühren,
hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hoffmann sowie die Richter am
Oberlandesgericht Geisert und Kratz auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers vom 22. Juli 2005, eingegangen am 25. Juli 2005, gegen den Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Pirmasens vom 18. Juli 2005 ohne mündliche Verhandlung am 7.
Oktober 2005
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde werden die Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengericht
Pirmasens vom 3. Mai 2005 und 18. Juli 2005 aufgehoben.
Die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung wird auf insgesamt
755,54 ¤ festgesetzt.
15
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer bestellte sich im Januar 2005 in einem isolierten Sorgerechtsverfahren für
den Antragsteller, in dem dieser die Übertragung der alleinigen, elterlichen Sorge auf sich für die
beiden ehegemeinschaftlichen Kinder beantragte.
Mit Beschluss vom 24. Februar 2005 bewilligte das Amtsgericht dem Antragsteller hierfür
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers.
Im Anhörungstermin am 9. März 2005 einigten sich die Kindeseltern darauf, dass das alleinige
Sorgerecht für den Sohn Man... auf den Antragsteller übertragen werden solle, während es
hinsichtlich des Sohnes Mar... bei der gemeinsamen, elterlichen Sorge verbleiben solle. Weiterhin
trafen sie eine Vereinbarung über den Bezug und die Verwendung des Kindergeldes für Mar....
Der Antragsteller beschränkte daraufhin seinen Antrag entsprechend auf die Übertragung der
elterlichen Sorge für Man.... Mit Beschluss des Familiengerichts vom 9. März 2005 wurde
daraufhin das Sorgerecht für Man... auf den Antragsteller übertragen.
Mit Beschluss der Kostenbeamtin bei dem Familiengericht vom 3. Mai 2005 wurde die dem
Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlende Rechtsanwaltsvergütung auf 571,30 ¤
festgesetzt. Dabei wurde eine von dem Beschwerdeführer mit seinem Antrag geltend gemachte
Einigungsgebühr in Höhe von 189 ¤ zzgl. Umsatzsteuer abgesetzt.
Der Beschwerdeführer hat wegen dieser Absetzung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
Erinnerung eingelegt.
Der Familienrichter bei dem Amtsgericht hat mit Beschluss vom 18. Juli 2005 nach Anhörung des
Bezirksrevisors die Erinnerung zurückgewiesen und die Beschwerde gegen diesen Beschluss
zugelassen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers.
II.
Die nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG (schon im Hinblick auf den Wert der Beschwer von einschließlich Umsatzsteuer (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., § 32 RVG, Rnr. 18) - mehr
als 200 ¤ statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde führt in der Sache zum Erfolg.
Die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung richtet sich vorliegend
nach den Bestimmungen des RVG (§§ 60, 61 RVG).
Danach steht dem Beschwerdeführer die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 des
Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1) zum RVG zu. Nach dieser Bestimmung, die an die Stelle
des früher geltenden § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAGO getreten ist, entsteht die Gebühr für die
Mitwirkung des Rechtsanwaltes beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die
Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag
beschränkt sich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.
Die Voraussetzungen dieser Regelung sind hier erfüllt.
Bereits unter der Geltung der BRAGO war es umstritten, ob der Rechtsanwalt in einem
Sorgerechtsverfahren eine - dort so bezeichnete - Vergleichgebühr verdienen konnte (bejahend
OLG Koblenz, OLG-Report 2005, 685; verneinend 2. Zivilsenat des OLG Zweibrücken, FamRZ
2003, 241). Als Begründung für die ablehnende Auffassung wurde vornehmlich darauf abgestellt,
dass es an einer Verfügungsbefugnis der Eltern über das Sorgerecht fehle und deshalb kein
Vergleich im Sinne des § 779 BGB geschlossen werden könne. Die gegenteilige Auffassung
verwies demgegenüber auf die weitgehende Bindungswirkung einer Einigung der Eltern nach §
1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
An der Begründung und auch an dem Ergebnis der eine Einigungsgebühr ablehnenden
16
Auffassung kann jedenfalls nach Inkrafttreten des RVG nicht festgehalten werden.
Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG hat, abweichend vom Rechtszustand unter der
Geltung der BRAGO, den Abschluss eines Vergleichsvertrages im Sinne des § 779 BGB nicht
mehr zur Voraussetzung für das Entstehen der Einigungsgebühr. Von diesem Erfordernis ist der
Gesetzgeber bewusst abgerückt, um "jegliche vertragliche Beilegung des Streits zu honorieren"
(BT-Drs. 15/1971, S. 147 und S. 204). Die inhaltlichen Anforderungen an eine solche vertragliche
Regelung zur Streitbeilegung hat der Gesetzgeber somit gegenüber den Voraussetzungen eines
Vergleiches im Sinne des § 779 BGB herabgesetzt, wobei diese geringeren Anforderungen
allerdings nicht das erforderliche Vorliegen eines gegenseitigen Nachgebens betreffen, wie der
Ausschluss von Anerkenntnis und Verzicht zeigt. Wenn denn aber die Regelung an eine Einigung
im Sinne des RVG geringere Anforderungen stellen soll, als die BRAGO zuvor durch
Bezugnahme auf einen Vergleich, so kann dies gerade darin liegen, dass eine
Verfügungsbefugnis der Parteien über den Gegenstand der Einigung nicht Voraussetzung für den
Gebührentatbestand ist. Es entspricht deshalb seit Inkrafttreten des RVG der - soweit ersichtlich vorherrschenden Auffassung, dass auch in isolierten Sorgerechtsverfahren eine Einigungsgebühr
anfallen kann (Schneider, Die Einigungsgebühr nach dem RVG, MDR 2004, 423; OLG Nürnberg,
FamRZ 2005, 741 m.w.N.).
Dem schließt sich der Senat an. Für diese Auffassung kann zusätzlich angeführt werden, dass es
erklärtes Ziel des Gesetzgebers des RVG war, dass der Rechtsanwalt nach der neuen
Gebührenstruktur auch in isolierten Verfahren zum Sorge- und Umgangsrecht die "allgemein
üblichen Gebühren" erhält (BT-Drucksache 15/1971, S. 149, wenn auch dort nur mit Blick auf die
Verfahrens- und die Terminsgebühr). Zu diesen "allgemein üblichen" Gebühren gehört zweifellos
auch die Einigungsgebühr.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine in diesem Sinne verstandene Einigung erfüllt. Die
Parteien haben beide nachgegeben, indem der Antragsteller seinen Antrag auf Übertragung des
alleinigen Sorgerechts für einen seiner Söhne nicht weiter verfolgt und die Antragsgegnerin dem
Antrag im übrigen hinsichtlich des weiteren Kindes zugestimmt hat und beide Parteien zudem
eine Einigung über den Bezug und die Verwendung des Kindergeldes getroffen haben.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 RVG).
Eine Einigungsgebühr entsteht jedenfalls dann nicht, wenn sich das Verfahren über die Regelung
der elterlichen Sorge auf mehrere Kinder bezieht und die Eltern sich lediglich für einen Teil der
Kinder über das Aufenthaltsbestimmungsrecht verständigen.
OLG-ZWEIBRÜCKEN: 2 WF 110/05, Beschluss vom 30.06.2005
Verfahrensgang:
AG Ludwigshafen am Rhein 5 d F 278/04 vom 21.04.2005
Stichworte: Voraussetzungen der Einigungsgebühr im Sorgerechtsverfahren
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken
- 2. Zivilsenat Beschluss
vom 30. Juni 2005
Aktenzeichen:
2 WF 110/05
In der Familiensache
betreffend die Regelung der elterlichen Sorge bei Getrenntleben der Eltern für die Kinder
17
hier: wegen Festsetzung der der Terminsvertreterin des Antragsgegners aus der Staatskasse zu
gewährenden Vergütung,
hat der 2. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch die
Richterin am Oberlandesgericht Geib-Doll, den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und
die Richterin am Oberlandesgericht Schlachter auf die Beschwerde der Terminsvertreterin des
Antragsgegners vom 19./20. Mai 2005 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht Ludwigshafen am Rhein vom 21. April 2005, der Terminsvertreterin des Antragsgegners zugestellt
am 19. Mai 2005, ohne mündliche Verhandlung am 30. Juni 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Die Beschwerde ist gemäß den §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig; insbesondere ist der
Beschwerdewert von nunmehr 200,00 EUR überschritten, nachdem die Urkundsbeamtin des
Familiengerichts Einigungsgebühren im Sinne von Nr. 1003 VV RVG einschließlich gesetzlicher
Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 271,44 EUR abgesetzt hat.
In der Sache hat das Rechtsmittel allerdings keinen Erfolg.
Es bedarf hier nicht des Eingehens auf die in der Rechtsprechung der Familiensenate der
Oberlandesgerichte kontrovers entschiedene Frage, ob eine Verständigung der Eltern über die
Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil oder über das
Aufenthaltsbestimmungsrecht als dessen Kernbereich und ein hierauf basierender gemeinsamer
Elternvorschlag die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO oder die sog. Einigungsgebühr der Nrn.
1000, 1003 VVRVG auszulösen vermag (für § 23 BRAGO verneinend: Senat FamRZ 2001, 1393;
sowohl für die frühere Regelung als auch für den Geltungsbereich des RVG bejahend: OLG
Nürnberg in FamRZ 2005, 190, 260 und 741 f; siehe auch Rechtssprechungsübersicht in
Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., Rdnr. 43 zu Nr. 1000 VVRVG, Stichwort: "Sorgerecht"); die
Festsetzung der sog. Einigungsgebühr der Nrn. 1000 und 1003 VVRVG scheitert hier nämlich
schon daran, dass die Eltern in der mündlichen Verhandlung beim Familiengericht am 20. Juli
2004 lediglich eine einverständliche Regelung hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts für
die beiden Töchter A... und S..., nicht aber hinsichtlich des jüngsten Kindes Sa.. gefunden haben,
weswegen das Familiengericht insoweit jedenfalls eine streitige Sachentscheidung treffen musste.
Eine Aufteilung der mit Beschluss des Familiengerichts vom 21. Juli 2004 festgesetzten
Gegenstandswerte in Höhe von 3 000,00 EUR für die Hauptsache bzw. in Höhe von 500,00 EUR
für das Verfahren über die einstweilige Anordnung in Teilstreitwerte pro Kind kommt nicht in
Betracht, weil das elterliche Sorgerecht insgesamt eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit
im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 1 KostO darstellt und auch in Fällen, in denen sich eine
Entscheidung oder Anordnung auf mehrere Kinder bezieht, gemäß § 94 Abs. 2 Satz 2 KostO nur
eine Gebühr entsteht (siehe hierzu Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., Rdnr. 61 zu § 30 KostO
Stichwort "Sorgerecht" m.w.N. und § 94 Rdnr. 24); eine Aufspaltung in Teilstreitwerte pro Kind
verbietet sich daher.
Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Eltern hätten außerdem über die - gar nicht
rechtshängige - Frage der Zustimmung der Antragstellerin zur Mandeloperation von Sa... eine
Einigung erzielt, kann hierfür eine Einigungsgebühr zu Lasten der Staatskasse schon deswegen
nicht in Ansatz gebracht werden, weil für diesen gesonderten Verfahrensgegenstand eigens
Prozesskostenhilfe hätte bewilligt werden müssen (vgl. hierzu Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken - 6. Senat - OLGR 2002, 214; Senat Beschluss vom 25. Januar 2005, 2 WF 9/05).
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2
Sätze 2 und 3 RVG).
Die Festsetzung eines Beschwerdewertes erübrigt sich daher.
18
1. Die Einigungsgebühr nach RVG VV 1000, 1003 entsteht durch Abschluss einer
Teilzahlungsvereinbarung jedenfalls dann, wenn dieser zur Voraussetzung hat, dass der
Schuldner seinen Widerspruch gegen den vom Gläubiger erwirkten Mahnbescheid zurücknimmt
und zur Sicherung der Ratenzahlung den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an ihn
abtritt.
2. Nach Rücknahme des Widerspruchs kann der Gläubiger die Einigungsgebühr im
Vollstreckungsbescheid gemäß § 699 Abs. 3 ZPO gegen den Schuldner festsetzen lassen, wenn
dieser im Vertrag seine Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr anerkannt hat.
KAMMERGERICHT-BERLIN: 1 W 288/05, Beschluss vom 19.07.2005
Verfahrensgang:
AG Schöneberg 3 AR 2/05 vom 19.05.2005
Stichworte: Festsetzung einer Einigungsgebühr im Vollstreckungsbescheid nach
Rücknahme des Widerspruchs
Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer:
1 W 288/05
In dem Kostenfestsetzungsverfahren zur Mahnsache
Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts - Einzelrichter - hat auf die sofortige Beschwerde der
Antragstellerin gegen Zurückweisungsbeschluss des Amtsgerichts Wedding/Schöneberg zentrales Mahngericht - vom 11.3.2005 - 04-3633766- 08- N - am 19.7.2005 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 19.5.2005 - 3
AR 2/05 - werden aufgehoben.
Der Vollstreckungsbescheid vom 11.3.2005 auf der Grundlage des Mahnbescheides des
Amtsgerichts Wedding/Schöneberg - zentrales Mahngericht - vom 10.9.2004 - 04-3633766-08-N wird dahin geändert, dass er über die bereits festgesetzten Beträge hinaus wegen weiterer
Rechtsanwaltskosten der Antragstellerin in Höhe von 217,00 EUR nebst den festgesetzten Zinsen
ab 11.3.2005 ergeht.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat mit Mahnbescheid vom 10.9.2004 eine Forderung aus einem fällig
gestellten Darlehen in Höhe von 3.169,20 EUR nebst Verzugszinsen und Inkassokosten geltend
gemacht. Die Antragsgegnerin hat Widerspruch erhoben und diesen am 11.10.2004
zurückgenommen. Im Antrag vom 25.10.2004 hat die Gläubigerin beantragt, in dem zu
erlassenden Vollstreckungsbescheid "sonstige Kosten" in Höhe von 217,00 EUR für "TZVergleichsgebühr" festzusetzen. Sie hat hierzu u. a. Kopie ihres Schreibens an die
Antragsgegnerin vom 1.10.2004 und der von dieser unterschriebenen Teilzahlungsvereinbarung
vom 1.10.2004 vorgelegt. In dieser Vereinbarung erkennt der Schuldner an, der Gläubigerin einen
Betrag von 3.772,68 EUR zuzüglich Zinsen ab 2.10.2004 zu schulden, und verpflichtet sich,
diesen Betrag zuzüglich Zinsen "sowie die Kosten dieser Vereinbarung, die sich aus
nachstehender Abrechnung ergeben", in monatlichen Raten von 125,00 EUR zu zahlen, wobei die
Zahlungen bestimmungsgemäß zuerst auf die "Kosten dieser Vereinbarung" zu verrechnen sind.
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Diese Kosten sind anschließend als 1.0 Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV RVG mit 217,00
EUR berechnet. Im Schreiben vom 1.10.2004, dem der Teilzahlungsvergleich und ein
Rücknahmeschreiben beigefügt waren, teilte die Antragstellerin mit, dass sie der Antragsgegnerin
für den Fall der Rücknahme des Widerspruchs Ratenzahlung gemäß anliegendem Vergleich
gewähre und nach Rücksendung der Anlagen mit Unterschrift der Antragsgegnerin bei künftiger
Einhaltung der Ratenzahlung gegen diese keine weiteren Schritte unternehmen werde "mit
Ausnahme des Vollstreckungsantrages und Zustellung des Vollstreckungsbescheides zur
Absicherung" ihrer Forderung.
Die Rechtspflegerin des Zentralen Mahngerichts hat es mit Beschluss vom 11.3.2005 abgelehnt,
in dem zugleich erlassenen Vollstreckungsbescheid, wie beantragt, eine Vergleichsgebühr in
Höhe von 217,00 EUR festzusetzen. Der hiergegen rechtzeitig eingelegten sofortigen
Beschwerde vom 6.4.2005 hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen und die Sache dem Richter
des Amtsgerichts Schöneberg zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 19.5.2005 - 3 AR
2/05 - hat das Amtsgericht Schöneberg durch den Richter der Abt. 3 die "als befristete Erinnerung
anzusehende" sofortige Beschwerde vom 6.4.2005 "als unbegründet verworfen". Hiergegen hat
die Antragstellerin erneut - rechtzeitig - sofortige Beschwerde eingelegt, die die Zivilkammer 82
des Landgerichts gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG dem Kammergericht vorgelegt hat, da die
Antragstellerin ihren Sitz im Ausland hat.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.
1. Nach § 699 Abs. 3 ZPO sind in den Vollstreckungsbescheid "die bisher entstandenen Kosten
des Verfahrens aufzunehmen". Den hierauf gerichteten Antrag vom 25.10.2004 hat das Zentrale
Mahngericht hinsichtlich des Ansatzes der geltend gemachten Kosten in Höhe von 217,00 EUR
zurückgewiesen. Es ist anerkannt, dass dem Antragsteller gegen einen solchen teilweisen, die
Kostenfestsetzung betreffenden Zurückweisungsbeschluss die sofortige Beschwerde nach §§ 11
Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO zusteht, sofern der Beschwerdewert nach § 567 Abs. 2 ZPO
erreicht ist (Zöller/Vollkommer, ZPO § 699 Rn. 19; Senat, KGReport 01, 69).
Dass das Amtsgericht Schöneberg das Rechtsmittel als "sofortige Erinnerung" gemäß § 11 Abs. 2
RPflG aufgefasst und durch Beschluss vom 19.5.2005 zurückgewiesen hat, ist unschädlich. Diese
Entscheidung durfte nicht ergehen, da - wie ausgeführt wurde - nach den allgemeinen
verfahrensrechtlichen Vorschriften das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist. Die
von der Vorinstanz herangezogene Vorschrift des § 691 Abs. 3 Satz 2 ZPO betrifft die
Zurückweisung des Mahnantrages, sie ist auf die Entscheidung über den Erlass des
Vollstreckungsbescheides nicht entsprechend anwendbar.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) war der Beschluss des
Amtsgerichts vom 19.5.2005 aufzuheben.
2. Für die Entscheidung über das Rechtsmittel ist nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG das
Kammergericht zuständig, da die Antragstellerin ihren Sitz in der Schweiz hat.
3. Die geltend gemachte 1,0 Einigungsgebühr (VV 1000, 1003) ist entstanden und im
Vollstreckungsbescheid festsetzbar.
a) Die Einigungsgebühr tritt als Erfolgsgebühr neben die festgesetzten Verfahrensgebühren VV
3305 und 3308 (Vorbem. 1 vor Nr. 1000 VV), allerdings nur in ermäßigter Höhe gemäß Nr. 1003.
Der Erfolg besteht in der Einigung selbst und der damit in der Regel verbundenen Entlastung des
Gerichts und Herstellung des Rechtsfriedens (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, RVG VV 1000 Rn.
5). Der vom Amtsgericht vermisste Entlastungseffekt ist aufgrund der Einigung auch eingetreten.
Denn die Antragsgegnerin hat ihren Widerspruch zurückgenommen, wodurch die Bedingung für
den Abschluss der Teilzahlungsvereinbarung eingetreten ist (VV 1000 Abs. 3). Ein Nachgeben
der Antragstellerin war für das Entstehen der Einigungsgebühr hingegen nicht erforderlich. Bei der
Einigungsgebühr nach VV 1000, die an die Stelle der Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO
getreten ist, ist die Bezugnahme auf § 779 BGB weggefallen (von Eicken a.a.O. Rn. 3, 4). Im
Übrigen liegt aber auch ein Vergleich im Sinne des § 779 BGB vor, wenn der Gläubiger dem
Schuldner Ratenzahlung bewilligt und dafür einen sicheren Vollstreckungstitel erhält (vgl. BGH
Rpfleger 2005, 330). Das war hier aufgrund der Rücknahme des Widerspruchs und der in der
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Teilzahlungsvereinbarung erklärten Abtretung des pfändbaren Arbeitseinkommens der
Schuldnerin der Fall.
Der Einwand des Amtsgerichts, der Vertrag beschränke sich auf ein Anerkenntnis der Schuldnerin
ohne Entgegenkommen der Gläubigerin, wodurch eine Einigungsgebühr nach VV 1000 Abs. 1
Satz 1 nicht ausgelöst werde, geht fehl. Die Antragsgegnerin hat, um die Bedingung der
Antragstellerin für Bewilligung von Ratenzahlung zu erfüllen, ihren Widerspruch zurückgenommen
und die Abtretung ihres Arbeitseinkommens erklärt. Das geht über ein Anerkenntnis hinaus (vgl.
von Eicken a.a.O. Rn. 63, 71; s. a. BGH a.a.O.).
b) Es handelt sich um Kosten des bisherigen Verfahrens, die nach § 699 Abs. 3 ZPO festsetzbar
sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Teilzahlungsvereinbarung nur für den Fall der
Rücknahme des Widerspruchs gelten sollte, es in der Sache also um die Beitreibung der
unstreitig gestellten Forderung ging. Denn zur Vermeidung des streitigen Verfahrens war die
Rücknahme des Widerspruchs erforderlich. Zu den Kosten des Verfahrens gehören auch solche,
die zu seiner Beendigung aufgewendet werden.
Die Antragstellerin handelt nicht - wie das Amtsgericht meint - widersprüchlich, indem sie die
Festsetzung der Einigungsgebühr verlangt und zugleich angeblich unter Verstoß gegen die
getroffene Einigung den Erlass des Vollstreckungsbescheid beantragt. Damit verkennt das
Amtsgericht den Inhalt der Vereinbarungen:
Die Antragstellerin war berechtigt, "zur Absicherung der Forderung" nach der zur Bedingung
gemachten Rücknahme des Widerspruchs den Vollstreckungsbescheid zu beantragen, lediglich
von Vollstreckungsmaßnahmen und der Offenlegung der Abtretung sollte sie bei pünktlicher
Einhaltung der gewährten Raten absehen. Es war ausdrücklich vorgesehen, dass die
Ratenzahlungen der Schuldnerin auf die von ihr anerkannten "Kosten dieser Vereinbarung" zuerst
verrechnet wurden. Damit hat die Antragsgegnerin die Kosten der Einigung in Abweichung von
der Regel des § 98 Satz 1 ZPO übernommen, so dass sie gegen diese festsetzbar sind (vgl.
Senat JurBüro 1981, 1359).
c) Die Berechnung der 1,0 Gebühr nach einem Wert bis 3.500,00 EUR begegnet keinen
Bedenken. Gegenstand der Einigung war die Rücknahme des Widerspruchs, der sich gegen die
Hauptforderung insgesamt richtete.
III.
Von einer Kostenentscheidung wird abgesehen. Gerichtskosten fallen für die erfolgreiche
Beschwerde nicht an.
Da die Antragsgegnerin zum Verfahren der sofortigen Beschwerde keine Veranlassung gegeben
hat, trägt die Antragstellerin die ihr in diesem Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten
selbst, § 93 ZPO in entsprechender Anwendung.
1. Auf außergerichtliche Einigungsverträge im Sinne von Nr. 1000 VV zum RVG ist die
Auslegungsregel des § 98 ZPO anzuwenden.
2. Eine Festsetzung außergerichtlicher Einigungsgebühren auf Grund einer gerichtlichen
Kostenentscheidung kommt nur in Betracht, wenn die Parteien - in Abweichung von § 98 ZPO eine Vereinbarung getroffen haben, dass die Einigungskosten in die zu erwartende
Kostenentscheidung des Gerichts einbezogen werden sollen.
3. Dies gilt auch, wenn die anschließend ergangene Kostenentscheidung des Gerichts gemäß §
91 a ZPO erfolgt.
OLG-FRANKFURT: 6 W 36/05, Beschluss vom 17.05.2005
21
Verfahrensgang:
LG Gießen 8 O 31/04
Stichworte: Einigungsgebühr; Erstattung
Gründe:
Über die sofortige Beschwerde war durch den Senat in der vom Gerichtsverfassungsgesetz
vorgesehenen Besetzung zu entscheiden, nachdem der Einzelrichter die Sache gemäß § 568
Abs. 1 Satz 2 ZPO dem Senat übertragen hat.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat im Ergebnis zu
Recht die Erstattungsfähigkeit von Einigungsgebühren (Nr. 1000, 1003 VV zum RVG) zu Gunsten
des auf Seiten der Antragstellerin mitwirkenden Anwalts abgelehnt.
Es kann dahinstehen, ob den von den Parteivertretern im Senatstermin vom 18.11.2004
abgegebenen Erklärungen, nämlich der strafbewehrten Unterlassungserklärung des
Antragsgegnervertreters einerseits und der Erklärung des Antragstellervertreters, gegen eine
bestimmte Werbung keine Einwendungen zu erheben, andererseits, ein Vertrag, dass heißt eine
Verständigung zwischen den Parteien darüber zugrunde lag, dass die eine Erklärung nur im
Hinblick auf die jeweils andere Erklärung abgegeben wird. Selbst wenn die Erklärungen in einem
solchen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis gestanden und daher Einigungsgebühren nach
Nr. 1000, 1003 VV zum RVG ausgelöst haben sollten, wären diese Gebühren aufgrund der
anschließend ergangenen Kostenentscheidung des Senats nach § 91 a ZPO nicht
erstattungsfähig. Insoweit lassen sich die Gründe, die der Senat in seinem - den Parteien bekannt
gegebenen - Beschluss vom 13.04.2005 - 6 W 41/05 - dargestellt hat, auch auf den vorliegenden
Fall übertragen.
Die zwischen den Parteien möglicherweise herbeigeführte vertragliche Einigung über die
einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits erfolgte außerhalb eines gerichtlichen Vergleichs.
Auch auf solche Einigungsverträge ist die Auslegungsregel des § 98 ZPO entsprechend
anwendbar mit der Folge, dass die Festsetzung außergerichtlicher Einigungsgebühren aufgrund
einer nachfolgenden gerichtlichen Kostenentscheidung nur in Betracht kommt, wenn die Parteien
- in Abweichung von § 98 ZPO - eine Vereinbarung darüber getroffen haben, dass die
Einigungskosten in die zu erwartende Kostenentscheidung des Gerichts einbezogen werden
sollen (vgl. Senat a.a.O.). Dies gilt unabhängig davon, ob die ausstehende Kostenentscheidung
des Gerichts nach § 269 Abs. 3 ZPO, § 516 Abs. 3 ZPO oder - wie hier - nach § 91 a ZPO zu
ergehen hat.
Eine Vereinbarung darüber, dass die Einigungskosten in die zu erwartende Kostenentscheidung
einbezogen werden sollen, haben die Parteien im vorliegenden Fall nicht getroffen. Sie lässt sich
insbesondere auch nicht aus der im Sitzungsprotokoll festgehaltenen Einigung der Parteien
darüber herleiten, wie die Kosten in einer Entscheidung nach § 91 a ZPO der Billigkeit
entsprechend verteilt werden sollten. Diese Vereinbarung hatte allein den Zweck, im Hinblick auf
die Regelung Nr. 1415 Ziffer 4. KV zum GKG die Gerichtskosten möglichst gering zu halten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
1. Rechnet der Rechtsanwalt entsprechend den DAV-Empfehlungen einen
Verkehrsunfallschaden mit dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners nach dem
"Erledigungswert" ab, so bestehen in diesem Umfang keine weitergehenden Ansprüche gegen
den Mandanten.
2. Übersteigt der Gegenstandswert des Auftrags den "Erledigungswert", so hat der Rechtsanwalt
gegen den Mandanten weitere Vergütungsansprüche nach dieser Differenz.
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OLG-DUESSELDORF: I-24 U 191/05, Urteil vom 24.05.2005
Verfahrensgang:
LG Krefeld 3 O 381/03 vom 16.09.2004
Rechtskraft: JA
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I-24 U 191/04
Verkündet am 24. Mai 2005
In dem Rechtsstreit
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 10.
Mai 2005 durch seine Richter Z, T und H
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. September 2004 verkündete Urteil der 3.
Zivilkammer des Landgerichts Krefeld teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.961,27 ¤ nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03. Juni 2003 zu zahlen. Die weitergehende
Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen zu 62 % die Klägerin und zu 38 % der
Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Klägerin ist die Rechtsschutzversicherung eines Mandanten des Beklagten. Der Mandant ließ
sich im Jahr 2001 im Rahmen der Abwicklung von Ansprüchen aus einem Verkehrsunfall
vertreten. Die Klägerin zahlte auf diverse Kostennoten des Beklagten insgesamt 11.925,55 DM
als Vorschuss. Nach Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs erhielt der Beklagte von der
gegnerischen Haftpflichtversicherung einen Betrag in Höhe von 3.907,58 DM, welcher unter
Berücksichtigung des Abkommens des Deutschen Anwaltvereins (DAV-Empfehlungen) auf Basis
eines Erledigungswerts von 75.500,-- DM errechnet worden war.
Mit Schreiben vom 17. März 2003 unterrichtete der Beklagte die Klägerin von der
vergleichsweisen Einigung, beigefügt war eine Schlusskostennote, welche sowohl einen
Gegenstandswert von 314.683,93 DM als auch Gebühren nach der BRAGO zugrunde legte.
Unter Berücksichtigung der gezahlten Vorschüsse der Klägerin und der Zahlung der gegnerischen
Haftpflichtversicherung errechnete der Beklagte einen Überschuss zugunsten der Klägerin und
zahlte an diese 1.705,26 DM (= 817,87 ¤) zurück.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Rückzahlung weiterer 5.225,57 ¤ verlangt und die Ansicht
vertreten, der Beklagte könne über die von der gegnerischen Haftpflichtversicherung hinaus
geleisteten Beträge kein Honorar mehr geltend machen und sei deshalb zur Rückzahlung der
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zuviel gezahlten Beträge verpflichtet.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, die Klägerin habe aufgrund
der ihr bekannten Sach- und Rechtslage durch die geleisteten vorbehaltlosen Zahlungen eine
Abrechnung auf Grundlage der BRAGO anerkannt.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage in Höhe von 1.832,09 ¤
stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit der
Abrechnung auf Grundlage der DAV-Empfehlungen habe der Beklagte auf die Geltendmachung
der gesetzlichen Gebühren gegenüber seinem Mandanten verzichtet. Dies gelte jedoch nur
hinsichtlich des Erledigungswertes. Die Differenz zum darüber hinausgehenden Gegenstandswert
habe der Beklagte auf Grundlage der BRAGO abrechnen können.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin. Sie stimmt dem
Landgericht nunmehr insoweit zu, als dieses dem Beklagten ein Honorar auf Basis der Differenz
zwischen dem Erledigungswert und dem Gegenstandswert zuerkannt hat, wendet sich aber
dagegen, dass der Beklagte dieses nach der BRAGO abrechnet. Sie meint, der Beklagte sei auf
die Gebühren gemäß den DAV-Empfehlungen festgelegt, weil er dem Grunde nach auf eine
Abrechnung nach der BRAGO verzichtet habe.
Sie beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie weitere
1.761,33 ¤ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03. Juni
2003 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, rügt aber, dass das Landgericht nicht auf seine
erstinstanzliche Argumentation eingegangen sei, mit der vorbehaltlosen Zahlung auf seine
spezifizierten Kostennoten habe die Klägerin seine Abrechnung nach der BRAGO insgesamt
anerkannt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist lediglich in Höhe von 129,18 ¤ begründet. Das landgerichtliche Urteil
ist sowohl in der Sache als auch rechnerisch, bis auf eine recht geringfügige, zu Lasten des
Beklagten gehende Differenz, richtig.
1.
Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 675, 667 f. BGB i.V.m. § 67 VVG, § 20 Abs.
2 ARB.
a.
Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 ARB, § 67 VVG gehen Ansprüche des
Mandanten als des Versicherungsnehmers auf Erstattung von Beiträgen, die der
Rechtsschutzversicherer für ihn geleistet hat, mit ihrer Entstehung auf den Versicherer über. Hier
hat die Klägerin für den Mandanten Vorschüsse in Höhe von 11.925,55 DM an den Beklagten
gezahlt.
b.
Das Landgericht ist bei der Abrechnung des dem Beklagten zustehenden Vergütungsanspruchs
zu Recht davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt bei einer Abrechnung auf Basis des
Gebührenpauschalabkommens zwischen dem Deutschen Anwaltverein und dem HUK-Verband
aus dem Jahre 1971 nicht gehindert ist, einen über dem von der Regulierung erfassten
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Erledigungswert (Nr. 7. a) des Abkommens) liegenden Gegenstandswert mit seinem Mandanten
bzw. dessen Rechtsschutzversicherung abzurechnen (vgl. insoweit auch LG Köln, r+s 1990, 383;
AG Münster, JurBüro 1996, 303; AG Cham, JurBüro 2004, 28 f.; Gerold/Schmidt/von Eicken/
Madert, BRAGO, 15. Auflage, Anhang 11, S. 1480 f. mit zahlreichen Nachweisen;
Gebauer/Schneider, BRAGO, Anhang V, Rn. 45 f. m.w.N.; Madert AGS 2001, 26; ders.,
Anwaltsgebühren in Zivilsachen, 4. Auflage, XIV Rn. 20; Enders, JurBüro 1995, 337). Die
dahingehenden Feststellungen des Landgerichts erkennt die Klägerin nunmehr an, weshalb
zwischen den Parteien insoweit kein Streit mehr besteht.
aa.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat mit dem HUK-Verband im Jahre 1971 ein
Gebührenpauschalabkommen geschlossen, nach dem die außergerichtliche Schadensregulierung
durch Pauschalgebühren abgegolten werden sollte. Dieses Abkommen ist 1991 durch die vom
DAV und HUK-Verband entwickelten "Verhaltens- und Abrechnungsgrundsätze bei der
Regulierung von Kraftfahrzeug-Haftpflichtschäden" ersetzt worden (vgl. AnwBl. 1993, 474). An die
Stelle des HUK-Verbandes ist heute der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
(GdV) getreten.
Die genaue Einordnung des Gebührenabkommens ist umstritten. Teilweise wird es als
Gebührenvereinbarung zugunsten Dritter angesehen (LG Chemnitz, AnwBl. 1995, 47; Hansens,
BRAGO, 8. Auflage 1995, § 3 Rn. 29). Dem gegenüber ist Greißinger (ZfS 1995, 1) der Ansicht,
es handele sich lediglich um Empfehlungen ohne vertraglichen Charakter. Der Streit um die
rechtliche Einordnung ist für die Praxis jedoch ohne Bedeutung (Gebauer/Schneider, aaO,
Anhang V, Rn. 3) und bedarf deshalb auch hier keiner Entscheidung.
Die Regulierungsempfehlungen gewähren dem Anwalt keinen unmittelbaren Anspruch gegen den
Versicherer des Unfallgegners. Sie modifizieren lediglich den nach materiellem Recht gegebenen
Anspruch des geschädigten Mandanten aus den §§ 823 ff. BGB, §§ 7, 18 StVG auf Ersatz der
von ihm aufgewandten Anwaltskosten. Allerdings ergeben sich gewisse Reflexwirkungen
zwischen dem Vergütungsanspruch des Mandanten und dem Vergütungsanspruch des Anwalts,
wenn - wie hier - ein Differenzbetrag zwischen dem Auftragswert und dem Erledigungswert auf
Grundlage der gesetzlichen Gebühren besteht (vgl. dazu Gebauer/Schneider, aaO, Rn. 4, 45).
bb.
Unterschiedlicher Auffassung sind die Parteien hier darüber, ob der Rechtsanwalt hinsichtlich der
Gebührendifferenz zwischen dem Erledigungswert und dem Gegenstandswert an die in den DAVEmpfehlungen genannten Pauschalgebühren gebunden ist oder die gesetzlichen Gebühren
geltend machen kann. Dies ist zugunsten des beklagten Rechtsanwalts zu entscheiden, der nicht
gehindert ist die Gebührendifferenz auf Basis der gesetzlichen Gebühren abzurechnen (so auch
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO; Gebauer/Schneider, aaO).
Eine Bindung an die Gebührensätze des Abkommens besteht aufgrund der Übereinkunft nicht nur
zugunsten des Haftpflichtversicherers, sondern auch zugunsten des Schädigers. Rechnet der
Anwalt nach den Empfehlungen ab, so liegt darin ein gleichzeitig im Namen des Mandanten
erklärter Verzicht auf die höheren gesetzlichen Gebühren. Dieser Verzicht liegt auch im eigenen
Interesse des Rechtsanwalts, sich auch künftig die Anwendung der Regulierungsempfehlung zu
erhalten (vgl. Nr. 7. g der DAV-Empfehlungen): "Die Regelung gilt generell für die Rechtsanwälte
nicht (mehr), die von ihr, sei es auch nur in einem Einzelfall, abweichen.").
Verzichtet der Rechtsanwalt aber im eigenen Interesse darauf, bei der Gegenseite höhere
Gebühren geltend zu machen, so kann er sich nicht anschließend bei seinem Mandanten
schadlos halten, weil darin eine positive Verletzung des Anwaltsvertrages läge (vgl.
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Auflage, Anhang 11, S. 1479 f. m.w.N.).
Dieser Verzicht gegenüber der Haftpflichtversicherung bzw. dem Schädiger bedeutet aber nicht
einen vollständigen Gebührenverzicht gegenüber dem Mandanten. Dem Rechtsanwalt steht
nämlich gegen den Mandanten aus dem Anwaltsvertrag grundsätzlich ein Anspruch auf alle
entstandenen gesetzlichen Gebühren zu. Das Verbot einer Nachforderung gegen den Mandanten
kann deshalb nur so weit reichen, wie der Honoraranspruch des Rechtsanwalts auf Basis der
DAV-Empfehlungen befriedigt wird. Der Sinn und Zweck des Abkommens besteht darin, das
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Massengeschäft "Regulierung der KFZ-Haftpflichtschäden" rationell, effektiv und möglichst
einfach zu erledigen (vgl. Gebauer/Schneider, BRAGO, Anhang V, Rn. 1). Dem ist mit der
Abrechnung auf Grundlage der vereinbarten Pauschgebühren Genüge getan.
Ein weitergehender Schutz bzw. eine Besserstellung des Mandanten bzw. der hinter diesem
stehenden Rechtsschutzversicherung war dadurch weder bezweckt noch ist sie sinnvoll. Gründe
hierfür sind nicht ersichtlich. Dies bedeutet, dass nur im Falle vollständiger Regulierung durch den
Haftpflichtversicherer weitere Forderungen gegen den Mandanten ausgeschlossen sind. Kommt
es wie im vorliegenden Fall nur zu einer Teilregulierung, so ist der Rechtsanwalt nur gehindert,
Gebühren für den Gegenstandswert zu erheben, der den regulierten Teil umfasst.
Im Streitfall hatte der Beklagte namens des Mandanten Ansprüche im Wert von 314.683,93 DM
erhoben. Reguliert hatte der Haftpflichtversicherer auf Grund des Vergleichs mit dem Mandanten
nur 75.500 DM und schuldete die darauf entfallenden Rechtsanwaltsgebühren nach den DAVEmpfehlungen zuzüglich Auslagen.
c.
Es ergibt sich somit folgende Abrechnung:
Die an den Haftpflichtversicherer gerichtete Abrechnung des Beklagten vom 10. Dezember 2001
auf Basis des Erledigungswertes von 75.500,-- DM ist zutreffend und endet mit einem
Gesamtbetrag von 3.907,58 DM (Auslagenpauschale 40 DM und 17,5/10 Gebühr = 3.228,80 DM
zuzüglich Kopiekosten 99,80 DM sowie 16 % Mehrwertsteuer 538,98 DM).
Hinsichtlich der Differenz zwischen Erledigungswert und Gegenstandswert (314.683,93 DM) kann
der Beklagte gegenüber seinem Mandanten und damit auch gegenüber der Klägerin wie folgt
abrechnen (vgl. auch die Abrechnungsbeispiele bei Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, aaO, S.
1480 und Gebauer/Schneider, aaO, Rn. 45 ff.):
1. Entstandene Kosten nach dem Gegenstandswert von 314.683,93 DM:
10/10 Geschäftsgebühr, § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 3.405,00 DM
10/10 Besprechungsgebühr, § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 3.405,00 DM
15/10 Vergleichsgebühr, § 23 BRAGO 5.107,50 DM
11.917,50 DM
zuzüglich Auslagenpauschale, § 26 BRAGO 40,00 DM
zuzüglich Kopiekosten, § 27 BRAGO 121,70 DM
Zwischensumme auf Basis 314.683,93 DM 12.079,20 DM
2. Erledigte Kosten:
35/10 auf Basis 75.500,00 DM: 6.457,50 DM
(10/10 = 1.845,00 DM x 2 + 15/10 = 2.767,50 DM)
Auslagenpauschale, § 26 BRAGO 40,00 DM
Kopiekosten, § 27 BRAGO 99,80 DM
Zwischensumme auf Basis 75.500 DM 6.597,30 DM
3. Kostendifferenz (12.079,20 ./. 6.597,30) 5.481,90 DM
weitere Kopiekosten (121,70 ./. 99,80), § 27 BRAGO 21,90 DM
Zwischensumme netto 5.503,80 DM
16 % Umsatzsteuer 880,61 DM
Gebührenanspruch gegen den Mandanten 6.384,41 DM
abzüglich gezahlter Vorschüsse - 11.925,55 DM
verbleiben - 5.541,14 DM
Umrechnung: 5.541,14 DM = 2.833,14 ¤
abzüglich bereits vom Beklagten gezahlter - 871,87 ¤
noch vom Beklagten zu zahlen 1.961,27 ¤
2.
26
Soweit der Beklagte rügt, die landgerichtliche Entscheidung stelle eine
Überraschungsentscheidung dar, da sich das Landgericht nicht mit seinem Vorbringen zur
vorbehaltlosen Zahlung der Klägerin und einem daraus resultierenden Anerkenntnis
auseinandergesetzt habe, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Eine vorbehaltlose Zahlung der
Klägerin liegt nämlich nicht vor. Vielmehr hat sie nach Erhalt der endgültigen Abrechnung in Form
der Schluss-Kostennote vom 17. März 2003 mit Schreiben vom 02. April 2003 unverzüglich
Einwendungen erhoben.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 und 2, 97 Abs. 1 ZPO. Das geringfügige
Unterliegen des Beklagten im Berufungsrechtszug hat keine Mehrkosten verursacht. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt 1.761,33 ¤.
Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.
Einigen sich die Eltern nach gegenläufigen Anträgen zur Übertragung des alleinigen
Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Aufenthalt des gemeinsamen Kindes bei einem
Großelternteil und belassen es im Übrigen bei der gemeinsamen Sorge, löst auch dies eine
Vergleichsgebühr nach § 23 Abs. 1 BRAGO (jetzt Einigungsgebühr, RVG VV 1000) aus.
OLG-KOBLENZ: 7 WF 105/05, Beschluss vom 11.03.2005
Verfahrensgang:
AG Idar-Oberstein 8 F 684/03 vom 09.12.2004
Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss
Geschäftsnummer:
7 WF 105/05
in der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für M.... H.., geboren am ...02.2000, gemeinsame Tochter der
getrennt lebenden Eheleute
hier: Vergütung der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte.
Der 7. Zivilsenat -4. Senat für Familiensachen- des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den
Richter am Oberlandesgericht Eck als Einzelrichter
am 11. März 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht Idar-Oberstein vom 09.12.2004 wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
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Gründe:
I.
Im vorliegenden isolierten Sorgerechtsverfahren hatten die getrennt lebenden Eltern, denen die
elterliche Sorge für ihre Tochter bisher gemeinsam zustand, gegenläufige Anträge auf
Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gestellt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung
vom 17.03.2004 hat das Familiengericht im Einvernehmen mit den Eltern das
Aufenthaltsbestimmungsrecht der Großmutter väterlicherseits übertragen, es im Übrigen bei der
gemeinsamen Sorge der Eltern belassen und ein Besuchsrecht der Mutter geregelt.
Die den beiden im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Verfahrensbevollmächtigten aus
der Staatskasse zu gewährende Vergütung hat die Urkundsbeamtin auf jeweils 571,30 ¤
festgesetzt und hierbei antragsgemäß eine Vergleichsgebühr berücksichtigt. Die hiergegen
eingelegten Erinnerungen des Bezirksrevisors hat das Familiengericht durch Beschluss vom
09.12.2004 mit der Begründung zurückgewiesen, die einvernehmliche Regelung sei erst nach
sehr streitiger Erörterung im Wege des gegenseitigen Nachgebens gefunden worden, hierdurch
sei die Vergleichsgebühr angefallen. Gegen diesen ihm am 20.12.2004 zugestellten Beschluss
hat der Bezirksrevisor am 28.12.2004 Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, die Vergütung auf
jeweils 352,06 ¤ herabzusetzen. Er ist der Ansicht, eine Vergleichsgebühr sei nicht angefallen,
weil die Dispositionsbefugnis der Eltern nicht die Übertragung des Sorgerechts auf Dritte umfasse.
II.
Die Beschwerde der Staatskasse ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Nach 61 Abs.
1 S. 2 RVG ist auf das Beschwerdeverfahren das seit dem 01.07.2004 geltende Recht
anwendbar, weil das Rechtsmittel nach diesem Zeitpunkt eingelegt wurde, sodass sich die
Zulässigkeit der Beschwerde nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 und 3 RVG richtet; deren
Voraussetzungen sind gewahrt.
Entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors hat das Familiengericht beiden Anwälten zu Recht eine
Vergleichsgebühr gemäß § 23 Abs. 1 BRAGO (für die Vergütung der Anwälte gilt noch altes
Recht, § 60 Abs. 1 S. 1 RVG) zuerkannt. Zwar unterliegt die Sorgerechtsregelung und damit auch
die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts als eines Teils der elterlichen Sorge nach wie
vor nicht der Verfügungsbefugnis der Parteien. Nach der Neuregelung des § 1671 BGB kommt
dem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern jedoch insoweit eine besondere Bedeutung zu, als
das Gericht dem Antrag auf Aufhebung der gemeinsamen Sorge bei Zustimmung des anderen
Elternteils stattgeben und dem gemeinsamen Wunsch entsprechen muss (wenn nicht ein bereits
14 Jahre altes Kind widerspricht, was hier nicht der Fall ist). Eine Richtigkeitskontrolle durch das
Gericht oder eine Überprüfung der Motive erfolgt bei Vorliegen einer entsprechenden
Elternvereinbarung ebenso wenig wie die Überprüfung der Frage, ob die von ihnen getroffene
Regelung zur (teilweisen) Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Wohl des Kindes am besten
entspricht (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1671 Rz. 5 f., 13). Eine am Kindeswohl
orientierte inhaltliche Überprüfung der Elternvereinbarung findet nur statt, wenn Anzeichen für
eine Gefährdung des Kindeswohls durch Sorgerechtsmissbrauch oder Kindesvernachlässigung
bestehen mit der Folge, dass die gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB bestehende Bindung des
Gerichts an den Elternvorschlag entfällt und das Verfahren gemäß § 1671 Abs. 3 BGB von Amts
wegen in ein solches nach § 1666 BGB übergeleitet werden muss. Diese in der Neuregelung des
§ 1671 BGB zum Ausdruck gekommene Stärkung der (Mit-) Bestimmungsrechte der Eltern und
die damit einhergehende Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfanges und
Entscheidungsspielraumes machen deutlich, dass die Eltern unter bestimmten Voraussetzungen
durchaus "verbindliche" Regelungen zum Sorgerecht treffen können, von denen das Gericht in
seiner danach zu treffenden Entscheidung nicht abweichen kann. Dies rechtfertigt die
Zuerkennung einer Vergleichsgebühr für den Anwalt, der durch seine Bemühungen an der
Beilegung eines zuvor bestehenden Streits über das Sorgerecht mitgewirkt hat (h.M. vgl. OLG
Koblenz, 13. Zivilsenat, FamRZ 2002, 36; OLG Düsseldorf JurBüro 2001, 135; OLG Zweibrücken
JurBüro 2001, 134; OLG Stuttgart FamRZ 1999, 389). Dies gilt nach der Rechtsprechung des
Senates auch unter Berücksichtigung der Erwägungen im Beschluss des BGH vom 26.09.2002
(FamRZ 2003, 88). Diese Entscheidung betrifft die Abgrenzung einer einvernehmlichen
Streitbeilegung in Form eines Teilanerkenntnisses nach teilweiser Klagerücknahme zur
vergleichsweisen Beendigung eines Rechtsstreits und dient der Vermeidung von Unklarheiten für
den Kostenbeamten; für die Frage, ob der übereinstimmende Elternvorschlag im Fall des § 1671
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BGB eine Vergleichsgebühr auslöst, ist hieraus nichts herzuleiten (vgl. den Beschluss des
Senates vom 31.07.2003, 7 WF 463/03).
Im vorliegenden Fall gilt nicht deshalb etwas anderes, weil nach der Vereinbarung der Eltern das
Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht auf einen von ihnen sondern auf die Großmutter
väterlicherseits, also eine Dritte, übertragen wurde. Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzugeben,
dass § 1671 Abs. 1 BGB nur die Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teiles wie des
Aufenthaltsbestimmungsrechts (vgl. hierzu Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1671 Rdn. 4;
Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1671 Rdn. 18) auf einen der Elternteile, nicht
aber auf einen Dritten vorsieht (vgl. Bamberger/Roth/Veit, BGB, § 1671 Rdn. 16) und demgemäß
auch die Bindung an einen übereinstimmenden Elternvorschlag gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB
sich nur hierauf bezieht. Jedoch haben die Eltern im vorliegenden Fall insoweit eine das
Familiengericht bindende Vereinbarung dahingehend getroffen, dass die elterliche Sorge
weiterhin gemeinsam ausgeübt werden soll. Die gleichzeitig vereinbarte Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Großmutter ist Ausfluss der ihnen hiermit weiterhin
gemeinsam obliegenden Personensorge (vgl. § 1631 Abs. 1 BGB), die es auch ermöglicht, das
Kind bei einem Dritten unterzubringen (Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1631 Rdn. 8;
Bamberger/Roth/Veit, a.a.O., § 1631 Rdn. 11). Hierdurch ist - entgegen der insoweit etwas
missverständlichen Formulierung des Beschlusses vom 17.03.2004 - nicht das vom Ausnahmefall
des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB abgesehen unverzichtbare Aufenthaltsbestimmungsrecht als
solches übertragen, sondern dieses der Großmutter bis auf Weiteres lediglich zur Ausübung
überlassen (vgl. hierzu Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1626 Rdn. 3); eine völlige Übertragung
dieses Rechts wäre nur nach §§ 1671 Abs. 3, 1666 BGB in Verbindung mit einer teilweisen
Entziehung der Personensorge möglich gewesen, was das Familiengericht aber ersichtlich nicht
beabsichtigte, zumal die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht ersichtlich sind. Durch diese
zusätzliche Vereinbarung verliert die Einigung der Eltern über die Beibehaltung der gemeinsamen
elterlichen Sorge nicht ihren Charakter als einvernehmliche, das Familiengericht bindende
Regelung. Dass die weitere Voraussetzung für einen Vergleich, nämlich Streitbeilegung durch
gegenseitiges Nachgeben vorliegt, nachdem beide Elternteile gegenläufige Anträge auf
Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts gestellt und ausweislich des
angefochtenen Beschlusses im Termin "sehr ausführlich und auch sehr streitig erörtert" hatten,
bedarf hier keiner weiteren Diskussion.
Die Kostenregelung folgt aus § 33 Abs. 9 RVG.
Wählen anwaltlich vertretene Parteien anstelle eines formgerechten gerichtlichen Vergleichs (§
794 a ZPO) mit den sich aus Nr. 1000 Abs. 1, 1003 VV / RVG ergebenden Kostenfolgen
absichtlich eine abweichende Form, die für sich genommen diese kostenrechtlichen Folgen
vermeidet - hier ein Anerkenntnis (Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 2. HS VV / RVG) -, so ist daraus auf
einen Verzichtsvertrag der beteiligten Parteien auf Erstattung von Vergleichskosten zu schließen.
OLG-STUTTGART: 8 W 112/05, Beschluss vom 24.03.2005
Verfahrensgang:
LG Stuttgart 9 O 295/2004 vom 29.11.2004
Rechtskraft: JA
Oberlandesgericht Stuttgart
- 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer:
8 W 112/05
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vom 24. März 2005
In Sachen
wegen Forderung und Feststellung
hier: Kostenfestsetzung
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richter am Oberlandesgericht Rast
als Einzelrichter gem. § 568 S. 1 ZPO
beschlossen:
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des
Landgerichts Stuttgart vom 29.11.2004 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Beschwerdewert: 1.354,00 ¤.
Gründe:
I.
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der Güteverhandlung erklärte die Beklagte, sie
erwäge ein Anerkenntnis der Klagforderung. Daraufhin erklärte der Klägervertreter für den Fall
des Anerkenntnisses, auf Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten, wenn bestimmte Raten
fristgemäß gezahlt würden.
Auf das darauf erklärte Anerkenntnis hin verkündete das Landgericht ein Anerkenntnisurteil, in
dem der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden. Dem
Kostenfestsetzungsantrag des Klägers wurde mit Beschluss der Rechtspflegerin vom 29.11.2004
statt gegeben mit Ausnahme der beantragten Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 Abs. 1, 1003 VV /
RVG, die nicht entstanden sei.
Gegen den am 17.12.2004 zugegangenen Beschluss legte der Kläger am 22.12.2004 die
sofortige Beschwerde ein, mit der er die Festsetzung einer Einigungsgebühr von 1.354,00 ¤
weiterverfolgt.
Die Beklagte ist der sofortigen Beschwerde entgegen getreten.
Mit Beschluss vom 18.3.2005 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart erklärt, der
sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen, und hat die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur
Entscheidung vorgelegt.
II.
Das zulässige - von der Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung ist mangels Zustellung
auszugehen - Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
Zwar ist hier aufgrund gegenseitigen Nachgebens eine Vergleichsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1,
1003 VV / RVG entstanden (vgl. Gerold/Schmidt-von Eicken RVG 16. Aufl. Nr. 1000 VV RN 27;
70), weil vor dem Anerkenntnis der Kläger der Beklagten durch eine Stundungszusage entgegen
gekommen war und deshalb keine ausschließlich auf das Anerkenntnis beschränkte Einigung
vorliegt. Sie ist aber nicht vom Gegner zu erstatten. Wählen anwaltlich vertretene Parteien
anstelle eines formgerechten gerichtlichen Vergleichs (§ 794 a ZPO) mit den sich aus Nr. 1000
Abs. 1, 1003 VV / RVG ergebenden Kostenfolgen absichtlich eine abweichende Form, die für sich
genommen diese kostenrechtlichen Folgen vermeidet - hier ein Anerkenntnis (Nr. 1000 Abs. 1 S.
1 2. HS VV / RVG) -, so ist daraus auf einen Verzichtsvertrag der beteiligten Parteien auf
Erstattung von Vergleichskosten zu schließen. Ansonsten würden die wirtschaftlichen Vorteile, die
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hier das Entgegenkommen der klagenden Partei für die anerkennende Partei hätte und auf die die
anerkennende Partei erkennbar Wert gelegt hat, über das Kostenrecht teilweise oder ganz wieder
genommen. Es wäre treuwidrig ("venire contra factum proprium"), wenn eine Partei eine
kostengünstigere prozessuale Erledigungsform wählt und dann dennoch die höheren Kosten
geltend macht, die angefallen wären, wenn die an sich dafür vorgesehene Erledigungsform
gewählt worden wäre. Vielmehr muss sich eine Partei nach Überzeugung des Senats an den
kostenrechtlichen Konsequenzen der auch von ihr gewählten Form der Verfahrenserledigung
festhalten lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1811 KV / GKG und § 97 Abs. 1 ZPO.
1. Auf außergerichtliche Einigungsverträge im Sinne von Nr. 1000 VV zum RVG ist die
Auslegungsregel des § 98 ZPO anzuwenden.
2. Eine Festsetzung außergerichtlicher Einigungsgebühren auf Grund einer gerichtlichen
Kostenentscheidung kommt nur in Betracht, wenn die Parteien - in Abweichung von § 98 ZPO eine Vereinbarung getroffen haben, dass die Einigungskosten in die zu erwartende
Kostenentscheidung des Gerichts einbezogen werden sollen.
OLG-FRANKFURT: 6 W 41/05, Beschluss vom 13.04.2005
Verfahrensgang:
LG Frankfurt am Main 2-6 O 518/04
Stichworte: Einigungsgebühr; Erstattungsfähigkeit
Gründe:
Über die Beschwerde war durch den Senat in der vom Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen
Besetzung zu entscheiden, nachdem der Einzelrichter die Sache gemäß § 568 Abs. 1 S. 2 ZPO
dem Senat übertragen hat.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat im Ergebnis zu
Recht die Erstattungsfähigkeit von Einigungsgebühren (Nr. 1000, 1003 VV zum RVG) zugunsten
der auf beiden Seiten mitwirkenden Anwälte abgelehnt.
Es kann dahinstehen, ob den von den Parteivertretern im Verhandlungstermin vom 29.12.2004
vor dem Landgericht abgegebenen Prozesserklärungen, nämlich der Rücknahme des
Bestrafungsantrages vom 20.12.2004 und des Verfügungsantrages zu 2. durch den
Antragstellervertreter einerseits und der Rücknahme des (verbleibenden) Widerspruchs durch den
Antragsgegnervertreter andererseits, ein Vertrag, das heißt eine Verständigung zwischen den
Parteien darüber zugrunde lag, dass die eine Erklärung nur im Hinblick auf die jeweils andere
Erklärung abgegeben wird. Selbst wenn die Erklärungen in einem solchen wechselseitigen
Abhängigkeitsverhältnis gestanden und daher Einigungsgebühren nach Nr. 1000, 1003 VV zum
RVG ausgelöst haben sollten, wären diese Gebühren auf Grund der anschließend ergangenen
Kostenentscheidung des Landgerichts nach §§ 92 I, 269 ZPO nicht erstattungsfähig.
Auch auf außergerichtliche Einigungsverträge im Sinne von Nr. 1000 VV zum RVG ist die
Auslegungsregel des § 98 ZPO entsprechend anzuwenden (vgl. hierzu Göttlich/Mümmler, RVG,
Rdz. 92 zu 1000 VV), wonach die Kosten der herbeigeführten Einigung im Zweifel als
gegeneinander aufgehoben anzusehen sind. Die Festsetzung außergerichtlicher
Einigungsgebühren auf Grund einer gerichtlichen Kostenentscheidung kommt daher nur in
Betracht, wenn die Parteien - in Abweichung von § 98 ZPO - eine Vereinbarung darüber getroffen
haben, dass die Einigungskosten in die zu erwartende Kostenentscheidung des Gerichts
einbezogen werden sollen (vgl. zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 23 Abs. 1 S. 3
BRAGO OLG Schleswig SchlHA 01, 222 m.w.N.). Ist dies - wofür auch im vorliegenden Fall keine
Anhaltspunkte bestehen - nicht geschehen, ergibt sich die Erstattungsfähigkeit der
31
Einigungsgebühren auch nicht daraus, dass das Gericht bei seiner Kostenentscheidung davon
abgesehen hat, die - als solche zu den Kosten des Rechtsstreits gehörenden (vgl. hierzu
Mayer/Kroiß-Klees, RVG, Rdz. 40 zu Nr. 100 VV) - Einigungskosten ausdrücklich von der
Kostenentscheidung auszunehmen (vgl. zu dieser Möglichkeit Göttlich/Mümmler a.a.O. Rdz. 93
zu 1000 VV). Hierdurch kann der Vorrang der zwischen den Parteien getroffenen Kostenregelung
nach § 98 ZPO schon deshalb nicht beseitigt werden, weil das Gericht oftmals gar nicht beurteilen
kann, ob den zur Verfahrensbeendigung führenden wechselseitigen Prozesserklärungen der
Parteien eine Einigung vorausgegangenen ist und welche Kostenvereinbarung dem
gegebenenfalls zugrunde lag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) liegen nicht vor.
Nr. 1002 VV RVG
SG Dortmund 7. Kammer Urteil vom 2. November 2005 S 7 SB 87/05
SGB 10 § 63, RVG § 3, RVG § 14, RVG § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 1005, RVG § 2 Abs 2 S 1
Anl 1 Nr 1000, RVG § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 1002
Erledigungsgebühr im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren
Leitsatz
Rechtsanwälte können bei der Erstattung von Kosten im sozialrechtlichen
Widerspruchsverfahren die Erledigungsgebühr nach Nr 1005 RVG VV nur dann
beanspruchen, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt unter besonderer anwaltlicher
Mitwirkung erledigt. Die Mitwirkung des Rechtsanwaltes muss darauf gerichtet sein, die
Sache ohne förmliche Entscheidung zu erledigen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Rahmen einer Kostenerstattung für
außergerichtliche Kosten auch einen Anspruch auf Erstattung einer Einigungs- bzw.
Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i. V. m. 1000 bzw.1002 des Vergütungsverzeichnisses
(VV) zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
(Rechtsanwaltsvergütungsgesetz RVG -) hat.
Das Versorgungsamt E hatte den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers auf einen
Änderungsantrag hin mit Bescheid vom 29.01.2002 mit 70 festgestellt und die
gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen aG" und RF" verneint. Nach einem
erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Dortmund,
die unter dem Az. S 43 SB 148/02 geführt wurde. Auf der Grundlage eines vom Sozialgericht
eingeholten Gutachtens von Frau Dr. E leitete der Beklagte nach Abschluß des gerichtlichen
Verfahrens ein Nachprüfungsverfahren ein. Der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes E
hielt nunmehr nur noch einen Gesamt-GdB von 40 für gerechtfertigt und die gesundheitlichen
Voraussetzungen für das mit Bescheid vom 09.10.2000 anerkannte Merkzeichen G" nicht
mehr für gegeben. Nach Durchführung eines Anhörungsverfahrens, in dem der Kläger von
seinen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde, stellte das Versorgungsamt E mit Bescheid
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vom 24.08.2004 fest, der GdB betrage 40 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das
Merkzeichen G" lägen nicht mehr vor.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers legten für diesen gegen den Bescheid Widerspruch
ein und trugen wie bereits im Anhörungsverfahren vor, eine Besserung des
Gesundheitszustandes sei nicht eingetreten. Es bleibe unerfindlich, wie sich bei
zunehmendem Alter Funktionseinschränkungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, das
Bandscheibenleiden, das Kreuzdarmbeinfugensyndrom und das Carpaltunnelsyndrom
gebessert haben sollten. Darüber hinaus seien sogar zusätzliche Leiden angegeben worden, so
beispielsweise das seelische Leiden und ein Gehörsleiden, das nunmehr beide Ohren betreffe.
Der Widerspruchsführer werde parallel auch noch einen Verschlimmerungsantrag stellen. Zur
weiteren Begründung seines Widerspruchs wurden eine ärztliche Bescheinigung des
Hausarztes, Herrn S vom 04.10.2004 sowie die ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe von
Herrn Dr. C überreicht.
Unter dem 03.11.2004 stellte der Kläger (persönlich) einen Änderungsantrag.
Das Versorgungsamt E erteilte am 09.11.2004 bezogen auf den Widerspruch einen
Abhilfebescheid und stellte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2004
ab diesem Zeitpunkt fest, der GdB betrage 80 und die gesundheitlichen Voraussetzungen der
Merkzeichen G" und B" seien erfüllt.
Der Kläger (persönlich) teilte mit Schreiben vom 23.11.2004 mit, durch den Abhilfebescheid
betrachte er seinen Änderungsantrag als erledigt.
Mit Schreiben vom 07.12.2004 erklärten die Prozessbevollmächtigten des Klägers, der
Widerspruchsführer sei mit einer Erledigung des Verfahrens auf der Basis des
Abhilfebescheides vom 09.11.2004 einverstanden. Es werde beantragt, die notwendigen
Aufwendungen des Widerspruchsführers gemäß § 63 SGB X in vollem Umfang und wie folgt
zu erstatten:
Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten,
EUR
vorausgegangenes
Verwaltungsverfahren § 14,
Nr. 2501, 2500 VV
Einigungsgebühr, sozialrechtliche
Angelegenheiten § 14, Nr. 1005, 1000
Post- und Telekommunikation Nr. 7002
EUR
Dokumentenpauschale für
EUR
Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1 VV
Dokumentenpauschale für Ablichtungen
Behörden- und Gerichtsakten Nr. 7000
(Ablichtungen 13 Stück)
-------------Zwischensumme netto
476,50
16 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV
EUR
zu zahlender Betrag
552,74
150,00
280,00 EUR
VV
VV
40,00
6,50
aus
Nr. 1 a VV
EUR
76,24
EUR
33
Mit Bescheid vom 09.12.2004 setzte das Versorgungsamt E (bei Anerkennung einer
Erstattungspflicht der notwendigen Kosten des Vorverfahrens und der Notwendigkeit der
Zuziehung eines Bevollmächtigten dem Grunde nach) die für die zweckentsprechende
Rechtsverfolgung notwendigen Kosten auf 309,14 Euro fest. Insofern wurden folgende
Aufwendungen als angemessen angesehen:
Gebühr gem. §§ 3, 14 RVG, VV 2500
Gebühr gem. VV 7002
VV 7000
Mehrwertsteuer VV 7008
Insgesamt
240,00 EUR
20,00 EUR
6,50 EUR
42,64 EUR
309,14 EUR.
Zur Begründung wurde ausführt, die Geschäftsgebühr für ein vorangegangenes
Verwaltungsverfahren sei nicht angefallen. Die Tätigkeit der Bevollmächtigten im
Verwaltungsverfahren zum Bescheid vom 24.08.2004 habe vor Inkrafttreten des RVG
gelegen. Die Einigungsgebühr sei ebenfalls nicht angefallen. Streitgegenstand sei die
Wiederherstellung der Feststellungen im Bescheid vom 29.01.2002 (GdB 70) gewesen. Der
Abhilfebescheid gehe mit seiner Feststellung eines GdB von 80 und der Merkzeichen G" und
B" über den Antrag im Widerspruch (Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2004) hinaus.
Dies komme einem Anerkenntnis gleich.
Der Kläger legte, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, gegen diesen Bescheid
Widerspruch ein und trug vor, die Einigungs- und Erledigungsgebühr gemäß VV Nr. 1005 sei
angefallen, da die Erledigungsgebühr bei Förderung der außergerichtlichen Einigung auch bei
einem Anerkenntnis durch die Behörde anfalle.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2005 zurückgewiesen.
Zur Begründung führte die Bezirksregierung N aus, ein vollständiges Anerkenntnis reiche für
den zusätzlichen Anfall einer Erledigungsgebühr nicht aus.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 16.02.2005 erhobenen Klage. Zur Begründung
macht er geltend, eine Einigungs- und Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV sei angefallen.
Die Ablehnung durch den Beklagten sei unzulässig, da sich insoweit die Rechtslage nach
Einführung des RVG gegenüber dem alten Recht geändert habe. Die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) zur Anwendung von §§ 23, 24 BRAGO könne nicht mehr
angewandt werden. Dies ergebe sich aus der Anmerkung zu Nr. 1002 VV, die auch für die
nachfolgenden Nr. 1003 bis Nr. 1007 VV gelte. Danach setze beispielsweise ein Vergleich
kein gegenseitiges Nachgeben mehr voraus. Dementsprechend setze auch die Entstehung der
Erledigungsgebühr allein eine anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung voraus, die erfolgt
sei. Im Übrigen liege hier kein Fall des vollständigen Anerkenntnisses vor, sondern ein Fall
des Vergleichs. Der Abhilfebescheid sei mit einer Erhöhung des GdB auf 80 verbunden
gewesen. Insoweit handele es sich um einen Bescheid, in dem ein Vergleichsangebot
unterbreitet worden sei, das habe angenommen werden müssen. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung wird darüber hinaus geltend gemacht, eine Mitwirkung der
Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Erledigung des Widerspruchsverfahrens sei
jedenfalls deshalb anzunehmen, weil sich auch der Änderungsantrag durch den
Abhilfebescheid erledigt habe.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 09.12.2004 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2005 zu verurteilen, an den Kläger
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Kostenerstattung für außergerichtliche Kosten gemäß § 63 SGB X in Höhe von weiteren
243,60 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen weiterhin für rechtmäßig.
Der Beklagte macht geltend, nach der Begründung zum Gesetzesentwurf habe die Einigungsund Erledigungsgebühr an die Stelle der bisherigen Regelung aus §§ 23, 24 BRAGO treten
sollen. Hinsichtlich der bisherigen Regelung nach der BRAGO habe nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) eine besondere Erledigungsgebühr dann nicht zugestanden,
wenn ein vollständiges Anerkenntnis bzw. eine vollständige Abhilfe gegeben war. Durch die
Einführung des RVG sei insofern keine Änderung ein- getreten. Auch hier gelte die
Einschränkung, dass ein vollständiges Anerkenntnis nicht für den zusätzlichen Anfall einer
Erledigungsgebühr ausreiche (Bt-Drs. 15/1971, S. 204 ff.).
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichts- und beigezogenen SchwbG-Akten des Beklagten bzw. auf die den Beteiligten
erteilten Ablichtungen und Abschriften.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen verletzen den
Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Restkosten i. H. v. 243,60 Euro kommt im
vorliegenden Verfahren die im angefochtenen Bescheid getroffene Kostengrundentscheidung
i. V. m. §§ 3, 14 RVG und Nr. 1005 sowie Nr. 1000 bzw. Nr. 1002 VV in Betracht. Ein
Anspruch des Klägers besteht nicht, denn die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer
Einigungs- oder Erledigungsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Nr. 1005 VV
liegen nicht vor. Dies hat der Beklagte in den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen zu
Recht entschieden.
Eine Einigungsgebühr nach Nr. 1005 i. V. m. Nr. 1000 VV kommt vorliegend schon deshalb
nicht in Betracht, weil das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 24.08.2004 nicht
durch den Abschluß eines Vertrages beseitigt wurde. Der Abschluß eines Vertrages setzt zwei
aufeinander gerichtete Willenserklärungen, Angebot und Annahme voraus. Eine
entsprechende vertragliche Einigung zur Beendigung des Widerspruchsverfahrens haben die
Beteiligten vorliegend nicht getroffen. Der Bescheid vom 24.08.2004 kann keineswegs als
empfangsbedürftige Willenserklärung im Sinne eines Angebots auf Vertragsabschluß
ausgelegt werden. Es handelt sich vielmehr um einen Verwaltungsakt, d. h. um eine auf
unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete behördliche Regelung auf dem Gebiet des
öffentlichen Rechts (vgl. § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB X -), die
gerade auch ohne Annahme durch einen Empfänger, durch Bekanntgabe (vgl. § 37 SGB X)
Wirksamkeit entfaltet.
Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i. V. m. Nr. 1002 VV ist ebenfalls nicht angefallen.
Diese Gebühr entsteht, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder
Änderung des mit dem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakt durch die anwaltliche
Mitwirkung erledigt; das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch
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Erlaß eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt. Im vorliegenden Verfahren fehlt es
bezogen auf die Erledigung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.08.2004 an einer
qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung im Sinne von Nr. 1002 VV.
Nach Auffassung der Kammer ist eindeutig, dass der Gesetzgeber weiterhin mit Nr. 1002 VV
eine Erfolgsgebühr regelt, für die allein eine Mitwirkung eines Rechtsanwalts ausreicht, die
nicht nur auf allgemeine Verfahrensförderung (also natürlich auf das Ziel eines Erfolgs des
Mandanten) gerichtet ist und durch die Tätigkeitsgebühren abgegolten wird, sondern die wie
bei der Einigung auf den besonderen Erfolg einer Erledigung der Sache ohne förmliche
Entscheidung abzielt. Allein diese Ansicht entspricht dem Gesetzeszweck, einen der
Einigungsgebühr entsprechenden Tatbestand für die Fälle zu schaffen, in denen sich die
Beteiligten nicht vergleichen können. Der Erfolg, den das Gesetz honorieren will, kann wie
bei der Einigungsgebühr nicht das Obsiegen einer Partei, sondern nur die Erledigung der
Sache ohne streitige Entscheidung sein (vgl. von Eicken im RVG 16 Auflage 2004 VV 1002
Rdnr. 17 ff.).
Auf der Grundlage der Gesetzesbegründung zu Nr. 1000 ff. der VV kann nicht davon
ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine Änderung der vom BSG und in der
Rechtsprechung weit überwiegend vertretenen Meinung erreichen wollte, wonach die
Entstehung der Erledigungsgebühr eine Mitwirkung des Rechtsanwalts erfordert, die auf den
besonderen Erfolg einer Erledigung der Sache ohne förmliche Entscheidung gerichtet ist (vgl.
BSG Urteil vom 22.02.1993 - 14b/ 4 REg 12/91 - zu § 24 BRAGO, von Eicken a. a. O). In
der Bundestagsdrucksache 15/1971 heißt es auf S. 204 zu Nr. 1002: Die Erledigungsgebühr
der Nr. 1002 VV RVG-E entstammt § 24 BRAGO. Durch die Erhöhung der Vergleichsgebühr
sollte das anwaltliche Bestreben, Streitigkeiten möglichst ohne Anrufung des Gerichts
beizulegen, gefördert und belohnt werden. Aus den gleichen Gründen ist es gerechtfertigt,
auch in dem Falle, wo sich eine Verwaltungssache ganz oder teilweise nach Zurücknahme
oder Änderung des mit einem Rechtsbehelfs angefochtenen Verwaltungsakts erledigt, dem
Anwalt eine Gebühr .. zuzubilligen, wenn dadurch der Verwaltungsrechtsstreit bzw. ein
Verfahren über die Prozesskostenhilfe vermieden wird." Nach der zitierten
Gesetzesbegründung sieht der Gesetzgeber die Erledigungsgebühr bezogen auf den
honorierten Erfolg parallel zur Einigungsgebühr. In der Gesetzesbegründung zur
Einigungsgebühr der Nr. 1000 VV (vgl. Bundestagsdrucksache a. a. O.) wird zwar für die
Entstehung dieser Gebühr nicht der Abschluß eines echten Vergleichs (d. h. eines Vergleichs
im materiell-rechtlichen Sinne) gefordert, allerdings auch eindeutig ausgeführt: Ein
vollständiges Anerkenntnis oder vollständiger Verzicht sollen jedoch nicht für den
zusätzlichen Anfall einer Einigungsgebühr ausreichen. Diese Einschränkung ist notwendig,
damit nicht schon die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs oder der Verzicht auf
Weiterfolgung eines Anspruchs die Gebühr auslösen kann." Diese Ausführungen entsprechen
im der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu §§ 23, 24 BRAGO (vgl. Urteil vom
09.08.1995 - 9 RVs 7/94 -). Sofern für die Gebühr nach Nr. 1002 VV auch nicht konkret
erfolgsbezogene Mitwirkungen als ausreichend angesehen würden, gäben die Ausführungen
Gesetzesgebers unter Nr. 1000 VV keinen Sinn. Es gibt keinen Sinn anzunehmen, der
Gesetzesgeber habe deshalb die Entstehung einer Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV im
Falle des vollständigen Anerkenntnisses ausschließen wollen, nur um dem Rechtsanwalt die
gleiche Gebühr unter einer anderen Ziffer zu geben.
Bei Anwendung der vorgenannten Kriterien auf den vorliegenden Rechtsstreit kann ein
besonderes Bemühen der Prozessbevollmächtigten des Klägers bezogen auf die Erledigung
einer Rechtssache durch bzw. nach der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes vom
24.08.2004 mit Abhilfebescheid vom 09.11.2004 nicht anerkannt werden. Die
36
Prozessbevollmächtigten haben den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.08.2004
lediglich begründet und das Widerspruchsverfahren nach vollständiger Abhilfe durch das
Versorgungsamt mit Bescheid vom 09.11.2004 (mit dem dem Kläger sogar noch über den
angefochtenen Bescheid hinausgehende Rechte eingeräumt würden) für erledigt erklärt. Es
handelt sich insoweit um bloße Verfahrenshandlungen, die mit der Geschäftsgebühr nach Nr.
2500 bzw. Nr. 2501 abgegolten werden.
Letztlich ist der Kammer das Argument des Klägers, die Erledigungsgebühr sei deshalb
gerechtfertigt, weil sich mit Erteilung des Abhilfebescheides auch der Änderungsantrag auch
vom 03.11.2004 erledigt habe, in keiner Weise nachvollziehbar. Der Kläger hat den
Änderungsantrag vom 03.11.2004 persönlich gestellt und mit Schriftsatz vom 23.11.2004, d.
h. zeitlich vor der Erledigungserklärung der Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom
07.12.2004, persönlich zurückgenommen. Die Prozessbevollmächtigten wurden für den
Kläger jedenfalls mit Außenwirkung - gerade nicht im Rahmen des Änderungsverfahrens
tätig. Sie haben bei Einlegung des Widerspruchsverfahrens gerade keinen
Verschlimmerungsantrag für diesen gestellt, sondern nur ausgeführt, der Widerspruchsführer
werde parallel auch noch einen Verschlimmerungsantrag stellen. Sofern die
Prozessbevollmächtigten des Klägers intern im Rahmen des Änderungsantrags für diesen tätig
gewesen sein sollten, mag zwar insofern ggf. ein Gebührenanspruch der
Prozessbevollmächtigten gegen den Kläger entstanden sein, es handelt sich aber keineswegs
um Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 24.08.2004. Dies wird auch
daran deutlich, dass sich der Abhilfebescheid vom 09.11.2004 nur auf den Widerspruch gegen
den Bescheid vom 24.08.2004 und nicht auf den Änderungsantrag vom 03.11.2004 bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei im
Sinne von § 183 Satz 1 SGG, denn der Kläger klagt als Behinderter die Kosten eines
Widerspruchsverfahrens ein, bei dem es um die Feststellung seiner Behinderung und den
daraus resultierenden GdB ging.
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG unzulässig, denn der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR nicht. Die Kammer sieht keine
Veranlassung, die Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Sie misst der Streitsache
auch nach Inkrafttreten des RVG keine grundsätzliche Bedeutung bei, weil sich- wie oben
dargelegt - nach der Gesetzesbegründung die bisher von der Rechtsprechung des BSG
bezogen auf §§ 23, 24 BRAGO aufgestellten Kriterien nicht geändert haben.
Nr. 1005 VV RVG
SG Aachen 11. Kammer Beschluß vom 16. März 2005 S 11 RJ 90/04
Gebühren und Gebührenhöhe bei Untätigkeitsklage
Orientierungssatz
1. Führt eine Untätigkeitsklage zum Erlass des begehrten Widerspruchsbescheids, fällt dem
Prozessbevollmächtigten eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005, 1006 VV RVG an.
2. Bei der Untätigkeitsklage sind niedrigere als die Mittelgebühren anzusetzen.
37
Tatbestand
Im Wege der richterlichen Festsetzung ist über die Höhe der außergerichtlichen Kosten des
Klägers in einer erledigten Untätigkeitsklage zu entscheiden. Der Kläger hatte am 00.00.0000
Untätigkeitsklage erhoben, nachdem sein Widerspruch vom 26.01.2004 noch nicht
beschieden worden war. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides am 02.11.2004 erklärten
die Beteiligten das Klageverfahren für erledigt. Den Gegenstand des Widerspruchsverfahrens
einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung
verfolgt der Kläger seither im Klageverfahren S 00 RJ 000/00 weiter.
Mit Kostennote vom 08.11.2004 machte der Kläger sodann folgende Kosten
geltend:
Verfahrensgebühr gem. § 14 RVG, Nr. 3102 VV RVG
Erledigungsgebühr § 14 RVG, Nr. 1006, 1005 RVG
Auslagenpauschale gem. § 26 BRAGO
zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer
Summe
250,00 Euro
190,00 Euro
20,00 Euro
73,60 Euro
533,60 Euro
Er führte unter Verweis auf den Beschluss des SG Aachen vom 05.06.2001, S 4 RA 3/01, aus,
die Untätigkeitsklage sei unter Berücksichtigung ihres wirtschaftlichen Ziels als Rentensache
anzusehen und habe daher eine große wirtschaftliche Bedeutung gehabt, die zumindest die
Mittelgebühr rechtfertige.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.02.2005 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
die Kosten wie folgt festgesetzt:
Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG
Gebühr nach Nr. 1005, 1006 VV RVG
Auslagenpauschale
16% Mehrwertsteuer
Summe
197,50 Euro
190,00 Euro
20,00 Euro
65,20 Euro
472,70 Euro
Die Beklagte hat hiergegen Erinnerung eingelegt. Sie hält zunächst eine Verfahrensgebühr
von 177,50 Euro für zutreffend, da Bedeutung, Arbeitsaufwand und Schwierigkeitsgrad der
Untätigkeitsklage unterdurchschnittlich gewesen seien. Insbesondere habe die
Untätigkeitsklage nichts mit der Entscheidung über die begehrte Erwerbsminderungsrente zu
tun. Auch die vom Urkundsbeamten vorgenommene Minderung der Mittelgebühr um 52,50
Euro sei kein erheblich geringerer Wert als diese Mittelgebühr. Weiterhin habe der
Urkundsbeamte auch zu Unrecht die Gebühr nach den Nrn. 1005, 1006 VV RVG
angenommen, denn die Untätigkeitsklage sei nicht unter anwaltlicher Mitwirkung erledigt
worden.
Auch der Kläger hat am 14.03.2005 Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
eingelegt. Hinsichtlich der Mittelgebühr wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen.
Er vertritt weiter die Auffassung, die Erledigungsgebühr sei nicht mehr streitig, da die
Beklagte insoweit bereits ein konkludentes Schuldanerkenntnis abgegeben habe.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat beiden Erinnerung nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung der Beklagten ist
teilweise begründet, die des Klägers ist in vollem Umfang unbegründet. Der Urkundsbeamte
der Geschäftsstelle hat die Verfahrensgebühr zutreffend mit 197,50 Euro festgesetzt (dazu
38
sogleich). Er hat auch die Erledigungsgebühr dem Grunde nach zutreffend angenommen, sie
jedoch zu hoch angesetzt (dazu sodann).
Die Höhe der Gebühren des Rechtsanwalts im vorliegenden Verfahren bestimmt sich nach §
14 Abs. 1 Satz 1 und 4 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG) sowie nach dem
Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zum RVG, VV RVG), § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG
zutreffend mit 197,50 Euro festgesetzt. Bei der Untätigkeitsklage ist eine niedrige Gebühr als
die reguläre Mittelgebühr anzusetzen (vgl. aus neuerer Zeit Sächsisches Landessozialgericht,
Beschluss vom 02.07.2004, L 2 B 73/03 AL-PKH), denn die Untätigkeitsklage ist ein rein
prozessuales Instrument zur Beschleunigung des Verfahrens und eröffnet anders als
insbesondere im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen unmittelbaren Weg zur
Erlangung der begehrten Sozialleistung. Die Untätigkeitsklage muss aber zugleich im
Zusammenhang mit der begehrten Sozialleistung (gleichsam als ihrem "Fernziel") betrachtet
werden, zu deren Durchsetzung sie dient. Hierbei ist zu berücksichtigten, dass Kläger und
Beklagte letztlich um Rente wegen Erwerbsminderung und somit um eine unterhaltssichernde
Leistung von hoher wirtschaftlicher Bedeutung streiten, die als solche zumindest für die
Mittelgebühr spricht. Die Kostenfestsetzung durch den UdG trägt diesen gegensätzlichen
Umständen gleichermaßen Rechnung.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Gebühr nach Nrn. 1005, 1006 i.V.m. 1002
Satz 1 VV RVG dem Grunde nach zu Recht angenommen. Ob die Beklagte wie der Kläger
meint ein konkludentes Schuldanerkenntnis hinsichtlich der Erledigungsgebühr abgegeben
hat, ist daher ohne Bedeutung. Der Verweis der Beklagten auf den Zusammenhang zu Nr.
1002 VV RVG spricht nicht gegen die Berücksichtigung der Einigungsgebühr, denn die
Voraussetzungen von Nr. 1002 VV RVG sind erfüllt. Nr. 1002 VV RVG ist § 24 der
aufgehobenen Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) nachgebildet (Hartmann,
Kostengesetze, 34. Aufl., 2004, Vorbemerkung zu Nr. 1002 VV RVG). Das Gericht schließt
sich der Rechtsprechung der 8. Kammer des SG Aachen (Urteil vom 12.03.2004, S 8 AL
150/03) an, wonach der Tatbestand von § 24 BRAGO auch dann verwirklicht ist, wenn sich
die Rechtssache ganz nach Zurücknahme des Verwaltungsakts (oder hier: nach Erlass des
begehrten Widerspruchsbescheids) erledigt. Im Gegensatz zur ständigen Rechtsprechung des
BSG (BSG, Beschluss vom 13.12.1994, 9 BVs 48/94; in diesem Sinne auch BSG, Beschluss
vom 22.02.1993, 14 B/4 REg 12/91; vgl. auch Urteil vom 09.08.1995, 9 RVs 7/94 m.w.N.)
legt das Gericht § 24 BRAGO und somit Nr. 1002 VV RVG nicht dergestalt aus, dass nur bei
einem gegenseitigen Nachgeben, bei dem das anwaltliche Bemühen dem bei einem
Vergleichsabschluss entspricht, von einer Mitwirkung des Rechtsanwalts im Sinne der
Vorschrift gesprochen werden kann. Eine solch restriktive Auslegung erscheint nicht
zwingend, denn die VV RVG enthält mit der Erledigungsgebühr einen eigenen
Gebührentatbestand, der keinen Unterfall der Vergleichsgebühr darstellt, sondern
ausdrücklich neben diese tritt. Auch bei teleologischer Auslegung vermag das Gericht Nr.
1002 VV RVG keine Beschränkung auf Fälle gegenseitigen Nachgebens zu entnehmen.
Vielmehr ist es gerichtsbekannt, dass Rechtsanwälte bisher nicht selten künstlich überhöhte
Anträge gestellt haben, um in den Genuss der Gebührenerhöhung nach §§ 116 Abs. 4, 24
BRAGO zu gelangen, und auf diese Weise Gerichten und Behörden nicht unerhebliche
Mehrarbeit bereitet haben. Angesichts der § 24 BRAGO nachgebildeten Vorschrift in Nr.
1002 VV RVG geht das Gericht davon aus, dass sich diese Praxis nicht ändern wird.
39
Jedoch ist die Gebühr nach Nrn. 1005, 1006 i.V.m. 1002 Satz 1 VV RVG zu hoch bemessen,
denn auch bei dieser Gebühr ist im Falle einer Untätigkeitsklage nicht die Mittelgebühr (hier:
190.- Euro) anzunehmen. Vielmehr muss die der Untätigkeitsklage eigene Minderung
vorgenommen werden. Unter Zugrundelegung des vom Urkundsbeamten zu Recht
angenommenen Satzes von 1/4 der Differenz zur Mindest-/Höchstgebühr (hier: 40 Euro),
ergibt sich eine Gebühr in Höhe von 150.- Euro.
Die notwendigen Gebühren und Auslagen sind daher wie folgt festzusetzen:
Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG
Gebühr nach Nr. 1005, 1006 VV RVG
Auslagenpauschale
Zwischensumme:
16% Mehrwertsteuer
Summe
197,50 Euro
150,00 Euro
20,00 Euro
367,50 Euro
58,80 Euro
426,38 Euro
RVGreport 2005, 225-226 (red. Leitsatz) ZAP EN-Nr 529/2005 (red. Leitsatz)
40
Nr. 1008 VV RVG
OLG Koblenz 1. Strafsenat Beschluß vom 11. Juli 2005 1 Ws 435/05
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt, der in einer Hauptverhandlung mehreren Zeugen beisteht, wird für mehrere
Auftraggeber in derselben Angelegenheit im Sinne des § 7 Abs. 1 RVG tätig und erhält
deshalb die Gebühren - mit der Erhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG - nur einmal.
JurBüro 2005, 589 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 504 (Leitsatz und Gründe) RVGLetter 2005, 112 (Leitsatz)
OLG Zweibrücken 3. Zivilsenat Beschluß vom 8. Juni 2005 3 W 112/05
Wohnungseigentumsverfahren wegen Hausgeldrückständen: Erstattungsfähigkeit einer
anwaltlichen Mehrvertretungsgebühr für die obsiegende Gemeinschaft
Leitsatz
1. Die Wohnungseigentümer trifft keine Pflicht gegenüber einem säumigen
Hausgeldschuldner, zwecks Kostenersparnis den Zahlungsanspruch im gerichtlichen
Verfahren nach § 43 WEG durch den Verwalter als Verfahrensstandschafter geltend machen
zu lassen.
2. Beauftragt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen Rechtsanwalt ist im Falle
einer ihr günstigen Kostengrundentscheidung die angefallene Mehrvertretungsgebühr nach §
6 BRAGO (jetzt: § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV) als Bestandteil der notwendigen Kosten vom
Gegner zu erstatten.
Tenor
I. Der angefochtene Beschluss und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers bei
dem Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein vom 17. Februar 2005 werden geändert:
Die von dem Antragsgegner an die Antragsteller nach dem Beschluss
des
Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 29. Juni 2004 zu
erstattenden
Kosten werden auf 978,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2004
festgesetzt.
II. Der Antragsgegner hat die den Antragstellern im zweiten und dritten Rechtszug
entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 438,48
EUR festgesetzt.
41
Gründe
I.
Die Antragsteller sind die Wohnungseigentümer der im Beschlusseingang bezeichneten
Wohnanlage. Sie haben den Antragsgegner, einen weiteren Wohnungseigentümer, im
Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG anwaltlich vertreten auf die Zahlung rückständiger
Hausgelder in Anspruch genommen. Durch rechtskräftigen Beschluss vom 29. Juni 2004 hat
das Amtsgericht entschieden, dass der Antragsgegner die Gerichtskosten des Verfahrens zu
tragen und die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten hat.
Bei der Kostenfestsetzung hat der Rechtspfleger die von den Antragstellern zur Erstattung
angemeldete 20/10-Erhöhungsgebühr nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO in Höhe von brutto
438,48 EUR abgesetzt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsteller hat
das Landgericht unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung (RPfleger 1984, 201 und
seither) mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Wohnungseigentümer zur
Kostenminderung die Obliegenheit treffe, den Verwalter als Verfahrensstandschafter
einzusetzen, wenn Hausgeldrückstände beigetrieben werden sollen. Werde hiergegen
verstoßen, seien deshalb angefallene Mehrkosten im Rahmen des Festsetzungsverfahrens
nicht als für die Rechtsverfolgung notwendig anzuerkennen. Mit ihrer - vom Landgericht
zugelassenen - weiteren Beschwerde verlangen die Antragsteller weiterhin den
Mehrvertretungszuschlag gemäß § 6 BRAGO.
II.
1. Das Rechtsmittel ist - nachdem es das Landgericht entsprechend § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3
ZPO zugelassen hat - als sofortige weitere Beschwerde an das Oberlandesgericht (§§ 29 Abs.
2 FGG i.V.m. 13 a Abs. 3 FGG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO) statthaft (vgl. insoweit BGH NJW
2004, 3412 = AGS 2005, 9; BayObLGZ 2002, 274 = RPfleger 2003, 43), wahrt die
gesetzliche Form und Frist und ist auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Die weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Der Rechtspfleger hat bei der
Kostenfestsetzung die zur Erstattung angemeldete Mehrvertretungsgebühr zu Unrecht
abgesetzt. Die von den Antragstellern geltend gemachte 20/10-Erhöhungsgebühr ihres
Verfahrensbevollmächtigten ist vielmehr nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO gerechtfertigt und
von dem Antragsgegner als nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG zur zweckentsprechenden
Erledigung der Angelegenheit notwendige Kosten zu erstatten.
Die Bestimmung des § 6 BRAGO regelt die Vergütung des Rechtsanwalts, wenn er mehrere
Auftraggeber vertritt. Davon ist hier auszugehen, weil die aus den Antragstellern bestehende
Wohnungseigentümergemeinschaft nicht - auch nicht mit Blick auf die geänderte
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts - selbst rechtsund parteifähig ist (vgl. BGH RPfleger 1998, 478; BayObLG NJW 2002, 1506, 1507; OLG
Schleswig OLGR 2004, 132; NJW-Spezial 2004, 6, jew. m.w.N.). Sofern der Rechtsanwalt wie hier - mehr als einen Wohnungseigentümer vertritt, steht ihm deshalb gegenüber seinen
Auftraggebern die Mehrvertretungsgebühr zu (statt vieler: Drasdo, MDR 2003, 1385 mit
zahlr. w.N.).
Unter dem Gesichtspunkt der Kostenerstattung und des Schadensersatzes ist davon zu
unterscheiden die Frage, ob die in Bruchteilsgemeinschaft verbundenen
Wohnungseigentümer, wenn sie gegen einzelne Wohnungseigentümer Beitragsrückstände
42
beitreiben, für die sie gemäß § 432 BGB gemeinsam empfangsbefugt sind, zur
Schadensminderung die Obliegenheit trifft, den Verwalter als Verfahrensstandschafter gemäß
§ 27 Abs. 2 Nr. 5 WEG einzusetzen, damit dieser im eigenen Namen den zu beauftragenden
Rechtsanwalt mandatiert und so dem Gegner für den Fall seines Unterliegens die Erstattung
der Mehrvertretungsgebühr erspart wird. Das ist streitig (zum Meinungsstand vgl. die
Nachweise bei Drasdo MDR 2003, 1385, 1387).
Mit der ganz überwiegend vertretenen Meinung ist der Senat der Auffassung, dass eine
derartige Obliegenheit der Wohnungseigentümer nicht besteht, selbst wenn der Verwalter der
Wohnanlage nach dem maßgeblichen Verwaltervertrag zu einer Prozessführung im eigenen
Namen (als Verfahrensstandschafter) hätte beauftragt werden können (vgl. OLG München
ZMR 2003, 451; OLG Hamburg ZMR 2002, 298; KG AGS 2003, 491; LG Hamburg AGS
2004, 475 mit zustimmender Anmerkung von Schneider; OLG Zweibrücken JurBüro 1987,
Spalte 380; Kümmel ZWE 2002, 355 f). Dafür ist die Überlegung maßgebend, dass für alle
Beteiligten der Einsatz des Verwalters als Verfahrensstandschafter erhebliche Risiken birgt,
deren etwaige Verwirklichung im vorhinein nicht hinreichend zuverlässig abzuschätzen ist.
So können für die Wohnungseigentümer Schwierigkeiten auftreten, wenn die Person des
Verwalters im Erkenntnisverfahren oder während der Vollstreckung wechselt, weil die
Verfahrensstandschaft in diesem Fall nicht ohne weiteres auf den neuen Verwalter übergeht.
Ist bereits ein Titel erlassen, geht dieser im Falle des Ausscheidens des Verwalters aus seinem
Amt ebenfalls nicht von selbst auf die Wohnungseigentümergemeinschaft über; auf den
Nachfolger des Verwalters im Amt kann der Titel nicht umgeschrieben werden, weil eine
Rechtsnachfolge im Sinne des § 727 Abs. 1 ZPO nicht gegeben ist. Im Übrigen muss die
Beauftragung des Verwalters als Verfahrensstandschafter für die Geltendmachung von
Ansprüchen der Wohnungseigentümer auch für den Anspruchsgegner nicht stets von Vorteil
sein. Wird etwa die Hausgeldklage abgewiesen und ordnet das Gericht eine Kostenerstattung
an, so ist der erstattungsberechtigte Antragsgegner auf die Solvenz des Verwalters
angewiesen. Ist dieser zahlungsunfähig, kann der obsiegende Beteiligte seinen
Kostenerstattungsanspruch nicht durchsetzen, während er mit der Realisierung gegenüber der
Wohnungseigentümergemeinschaft regelmäßig keine Schwierigkeiten hat (vgl. zum Ganzen
näher: Drasdo MDR 2003, 1385, 1387 f; Schneider AGS 2004, 475, 477; Müller, Praktische
Fragen des Wohnungseigentums, 4. Aufl., Rdnrn. 1051 ff).
Deshalb ist die herrschende Meinung zu Recht der Auffassung, dass den
Wohnungseigentümern in Fällen der vorliegenden Art ein freies Wahlrecht zusteht, ob sie den
Verwalter als Verfahrensstandschafter vorschicken oder ob sie die rückständigen Beiträge im
eigenen Namen als Mehrheit von Anspruchstellern durchsetzen. Wählen sie die letztere
Alternative, ist die Mehrvertretungsgebühr des Rechtsanwalts gemäß § 6 BRAGO auch dann
erstattungsfähig, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft den Verwalter hätte
beauftragen können, das gerichtliche Verfahren im eigenen Namen zu betreiben.
Diese Rechtsfolge gilt im Übrigen auch für die Neuregelung des Gebührenrechts durch das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. Mai 2004, da § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV der
bisherigen Rechtslage entspricht (Schneider AGS 2004, 475 ff).
Danach war die Entscheidung über die Kostenfestsetzung entsprechend dem Begehren der
Antragsteller zu ändern.
Eine Entscheidung über gerichtliche Kosten und Auslagen ist nicht veranlasst. Der Ausspruch
über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG. Den
Geschäftswert hat der Senat nach § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO bestimmt.
43
JurBüro 2005, 482 (Leitsatz und Gründe) OLGR Zweibrücken 2005, 697-698 (Leitsatz und
Gründe) AGS 2005, 463-465 (Leitsatz und Gründe) ZWE 2005, 441-443 (Leitsatz und
Gründe) Info M 2005, 216 (red. Leitsatz) NJW-Spezial 2005, 438 (red. Leitsatz)
GuT 2005, 232 (Leitsatz)
AG Schwabach Beschluß vom 17. März 2005 2 M 969/05
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Mehrvertretungsgebühr bei Beauftragung durch
eine ärztliche Gemeinschaftspraxis
Orientierungssatz
Ist der Auftraggeber eine in Form einer BGB-Gesellschaft tätige ärztliche
Gemeinschaftspraxis, fällt keine Mehrvertretungsgebühr nach Nr. 1008 VV-RVG an.
DGVZ 2005, 79 (red. Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 244 (red. Leitsatz und Gründe)
1. Die Wohnungseigentümer trifft keine Pflicht gegenüber einem säumigen Hausgeldschuldner,
zwecks Kostenersparnis dem Zahlungsanspruch im gerichtlichen Verfahren nach § 43 WEG
durch den Verwalter als Verfahrensstandschafter geltend machen zu lassen.
2. Beauftragt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen Rechtsanwalt ist im Falle einer
ihr günstigen Kostengrundentscheidung die angefallene Mehrvertretungsgebühr nach § 6
BRAGO (jetzt: § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV) als Bestandteil der notwendigen Kosten vom Gegner
zu erstatten.
OLG-ZWEIBRÜCKEN: 3 W 112/05, Beschluss vom 03.05.2005
Verfahrensgang:
LG Frankenthal (Pfalz) 8 T 45/05 vom 02.05.2005
AG Ludwigshafen am Rhein 2 e UR II 54/04.WEG vom 17.02.2005
Stichworte: Erstattungsfähigkeit des Mehrvertretungszuschlags gemäß § 6 BRAGO bei
der Vertretung einer Wohnungseigentümergemeinschaft
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss
Aktenzeichen
3 W 112/05
In dem Verfahren
betreffend die Wohnungseigentumsanlage O..........
44
hier: wegen Erstattungsfähigkeit des Mehrvertretungszuschlags gemäß § 6 BRAGO bei der
Vertretung einer Wohnungseigentümergemeinschaft
hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des
Oberlandesgerichts Dury, den Richter am Oberlandesgericht Petry und die Richterin am
Oberlandesgericht Stutz auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 17. Mai
2005 gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 3. Mai 2005 zugestellten Beschluss der 8.
Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 2. Mai 2005
ohne mündliche Verhandlung
am 8. Juni 2005
beschlossen:
Tenor:
I. Der angefochtene Beschluss und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers bei dem
Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein vom 17. Februar 2005 werden geändert:
Die von dem Antragsgegner an die Antragsteller nach dem Beschluss des Amtsgerichts
Ludwigshafen am Rhein vom 29. Juni 2004 zu erstattenden Kosten werden auf 978,16 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2004 festgesetzt.
II. Der Antragsgegner hat die den Antragstellern im zweiten und dritten Rechtszug entstandenen
Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 438,48 EUR
festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller sind die Wohnungseigentümer der im Beschlusseingang bezeichneten
Wohnanlage. Sie haben den Antragsgegner, einen weiteren Wohnungseigentümer, im Verfahren
nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG anwaltlich vertreten auf die Zahlung rückständiger Hausgelder in
Anspruch genommen. Durch rechtskräftigen Beschluss vom 29. Juni 2004 hat das Amtsgericht
entschieden, dass der Antragsgegner die Gerichtskosten des Verfahrens zu tragen und die
außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten hat. Bei der Kostenfestsetzung hat der
Rechtspfleger die von den Antragstellern zur Erstattung angemeldete 20/10-Erhöhungsgebühr
nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO in Höhe von brutto 438,48 EUR abgesetzt. Die dagegen
eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsteller hat das Landgericht unter Hinweis auf seine
ständige Rechtsprechung (RPfleger 1984, 201 und seither) mit der Begründung zurückgewiesen,
dass die Wohnungseigentümer zur Kostenminderung die Obliegenheit treffe, den Verwalter als
Verfahrensstandschafter einzusetzen, wenn Hausgeldrückstände beigetrieben werden sollen.
Werde hiergegen verstoßen, seien deshalb angefallene Mehrkosten im Rahmen des
Festsetzungsverfahrens nicht als für die Rechtsverfolgung "notwendig" anzuerkennen. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen - weiteren Beschwerde verlangen die Antragsteller weiterhin den
Mehrvertretungszuschlag gemäß § 6 BRAGO.
II.
1. Das Rechtsmittel ist - nachdem es das Landgericht entsprechend § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3
ZPO zugelassen hat - als sofortige weitere Beschwerde an das Oberlandesgericht (§§ 29 Abs. 2
FGG i.V.m. 13 a Abs. 3 FGG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO) statthaft (vgl. insoweit BGH NJW 2004,
3412 = AGS 2005, 9; BayObLGZ 2002, 274 = RPfleger 2003, 43), wahrt die gesetzliche Form und
Frist und ist auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Die weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Der Rechtspfleger hat bei der
Kostenfestsetzung die zur Erstattung angemeldete Mehrvertretungsgebühr zu Unrecht abgesetzt.
Die von den Antragstellern geltend gemachte 20/10-Erhöhungsgebühr ihres
45
Verfahrensbevollmächtigten ist vielmehr nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO gerechtfertigt und von
dem Antragsgegner als nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG zur zweckentsprechenden Erledigung der
Angelegenheit notwendige Kosten zu erstatten.
Die Bestimmung des § 6 BRAGO regelt die Vergütung des Rechtsanwalts, wenn er mehrere
Auftraggeber vertritt. Davon ist hier auszugehen, weil die aus den Antragstellern bestehende
Wohnungseigentümergemeinschaft nicht -auch nicht mit Blick auf die geänderte Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts - selbst rechts- und parteifähig ist
(vgl. BGH RPfleger 1998, 478; BayObLG NJW 2002, 1506;1507; OLG Schleswig OLGR 2004,
132; NJW-Spezial 2004, 6, jew. m.w.N.). Sofern der Rechtsanwalt - wie hier - mehr als einen
Wohnungseigentümer vertritt, steht ihm deshalb gegenüber seinen Auftraggebern die
Mehrvertretungsgebühr zu (statt vieler: Drasdo, MDR 2003,1385 mit zahlr. w.N.).
Unter dem Gesichtspunkt der Kostenerstattung und des Schadensersatzes ist davon zu
unterscheiden die Frage, ob die in Bruchteilsgemeinschaft verbundenen Wohnungseigentümer,
wenn sie gegen einzelne Wohnungseigentümer Beitragsrückstände beitreiben, für die sie gemäß
§ 432 BGB gemeinsam empfangsbefugt sind, zur Schadensminderung die Obliegenheit trifft, den
Verwalter als Verfahrensstandschafter gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 5 WEG einzusetzen, damit dieser
im eigenen Namen den zu beauftragenden Rechtsanwalt mandatiert und so dem Gegner für den
Fall seines Unterliegens die Erstattung der Mehrvertretungsgebühr erspart wird. Das ist streitig
(zum Meinungsstand vgl. die Nachweise bei Drasdo MDR 2003, 1385, 1387).
Mit der ganz überwiegend vertretenen Meinung ist der Senat der Auffassung, dass eine derartige
Obliegenheit der Wohnungseigentümer nicht besteht, selbst wenn der Verwalter der Wohnanlage
nach dem maßgeblichen Verwaltervertrag zu einer Prozessführung im eigenen Namen (als
Verfahrensstandschafter) hätte beauftragt werden können (vgl. OLG München ZMR 2003, 451;
OLG Hamburg ZMR 2002, 298; KG AGS 2003, 491; LG Hamburg AGS 2004, 475 mit
zustimmender Anmerkung von Schneider; OLG Zweibrücken JurBüro 1987, Spalte 380; Kümmel
ZWE 2002, 355 f). Dafür ist die Überlegung maßgebend, dass für alle Beteiligten der Einsatz des
Verwalters als Verfahrensstandschafter erhebliche Risiken birgt, deren etwaige Verwirklichung im
vorhinein nicht hinreichend zuverlässig abzuschätzen ist. So können für die Wohnungseigentümer
Schwierigkeiten auftreten, wenn die Person des Verwalters im Erkenntnisverfahren oder während
der Vollstreckung wechselt, weil die Verfahrensstandschaft in diesem Fall nicht ohne Weiteres auf
den neuen Verwalter übergeht. Ist bereits ein Titel erlassen, geht dieser im Falle des
Ausscheidens des Verwalters aus seinem Amt ebenfalls nicht von selbst auf die
Wohnungseigentümergemeinschaft über; auf den Nachfolger des Verwalters im Amt kann der
Titel nicht umgeschrieben werden, weil eine Rechtsnachfolge im Sinne des § 727 Abs. 1 ZPO
nicht gegeben ist. Im Übrigen muss die Beauftragung des Verwalters als Verfahrensstandschafter
für die Geltendmachung von Ansprüchen der Wohnungseigentümer auch für den
Anspruchsgegner nicht stets von Vorteil sein. Wird etwa die Hausgeldklage abgewiesen und
ordnet das Gericht eine Kostenerstattung an, so ist der erstattungsberechtigte Antragsgegner auf
die Solvenz des Verwalters angewiesen. Ist dieser zahlungsunfähig, kann der obsiegende
Beteiligte seinen Kostenerstattungsanspruch nicht durchsetzen, während er mit der Realisierung
gegenüber der Wohnungseigentümergemeinschaft regelmäßig keine Schwierigkeiten hat (vgl.
zum Ganzen näher: Drasdo MDR 2003, 1385, 1387 f; Schneider AGS 2004, 475, 477; Müller,
Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 4. Aufl., Rdnrn. 1051 ff).
Deshalb ist die herrschende Meinung zu Recht der Auffassung, dass den Wohnungseigentümern
in Fällen der vorliegenden Art ein freies Wahlrecht zusteht, ob sie den Verwalter als
Verfahrensstandschafter "vorschicken" oder ob sie die rückständigen Beiträge im eigenen Namen
als Mehrheit von Anspruchstellern durchsetzen. Wählen sie die letztere Alternative, ist die
Mehrvertretungsgebühr des Rechtsanwalts gemäß § 6 BRAGO auch dann erstattungsfähig, wenn
die Wohnungseigentümergemeinschaft den Verwalter hätte beauftragen können, das gerichtliche
Verfahren im eigenen Namen zu betreiben.
Diese Rechtsfolge gilt im Übrigen auch für die Neuregelung des Gebührenrechts durch das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. Mai 2004, da § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 W der bisherigen
Rechtslage entspricht (Schneider AGS 2004, 475 ff).
Danach war die Entscheidung über die Kostenfestsetzung entsprechend dem Begehren der
Antragsteller zu ändern.
46
Eine Entscheidung über gerichtliche Kosten und Auslagen ist nicht veranlasst. Der Ausspruch
über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG. Den
Geschäftswert hat der Senat nach § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO bestimmt.
LG Frankfurt 9. Zivilkammer Beschluss vom 26. Oktober 2004 2-09 T 507/04
RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 1008 Abs 3, RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 3309
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Erhöhungsgebühr bei der Zwangsvollstreckung
für eine Wohnungseigentümergemeinschaft als Gläubiger
Orientierungssatz
Betreibt eine Wohnungseigentümergemeinschaft als Gläubiger die Zwangsvollstreckung, ist
die Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts für jeden weiteren Auftraggeber um 0,3 Gebühren
bis zur Obergrenze von 2,0 Gebühren zu erhöhen.
NZM 2004, 920 (red. Leitsatz und Gründe) NJW 2004, 3642 (red. Leitsatz und Gründe)
RVG-Letter 2004, 141-142 (red. Leitsatz)
47
Nr. 2100 VV RVG, § 4 RVG
OLG Frankfurt 1. Zivilsenat Beschluß vom 28. April 2005 1 W 33/05
Verneinung von Prozesskostenhilfe für eine Rechtsmittelprüfung
1. Eine Prozesskostenhilfebewilligung für die Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels
(hier: Berufung) kommt nicht in Betracht. Allenfalls möglich ist die Gewährung von
Beratungshilfe.
2. Ein Antrag des erstinstanzlich beigeordneten Rechtsanwalt an das Erstgericht vorsorglich
für den Fall des Unterliegens seiner Partei Prozesskostenhilfe für die Rechtsmittelprüfung zu
gewähren, ist abzulehnen.
RVGreport 2005, 280 (red. Leitsatz) RVG professionell 2005, 185 (red. Leitsatz)
BVerfG 1. Senat 2. Kammer NichtannahmeBeschluss vom 27. Oktober 2004 1 BvR 2292/04
Nichtannahmebeschluss: Wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs unzulässige
Verfassungsbeschwerde gegen die wettbewerbsrechtliche Verurteilung einer
Rechtsanwalts- GmBH wegen Zeitungswerbung mit festen Gebührensätzen bei
Erstberatungen
1a. Zur Verpflichtung des Beschwerdeführers, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde mit
allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor den Fachgerichten eine Korrektur der geltend
gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen, vgl BVerfG, 13. Januar 1987, 2 BvR 209/84,
BVerfGE 74, 102 <113>).
1b. Die Notwendigkeit, vorab das Klageverfahren zu betreiben, fehlt nur dann, wenn dies für
den jeweiligen Beschwerdeführer nicht zumutbar ist. Das ist insbesondere dann der Fall,
wenn die gerügte Grundrechtsverletzung die Eilentscheidung selbst betrifft und im
Hauptsacheverfahren nicht mehr zureichend ausgeräumt werden könnte (vgl BVerfG, 1.
Februar 1989, 1 BvR 1290/85, BVerfGE 79, 275 <279>).
1c. Auf das Hauptsacheverfahren kann ein Beschwerdeführer zudem dann nicht verwiesen
werden, wenn es im konkreten Fall einer weiteren tatsächlichen Klärung nicht mehr bedarf,
wenn die im vorläufigen und im Hauptsacheverfahren zu entscheidenden Rechtsfragen
identisch sind und wenn deshalb nicht damit gerechnet werden kann, dass ein
Hauptsacheverfahren die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts entbehrlich machen
könnte (vgl BVerfG, 11. Mai 1976, 1 BvR 163/72, BVerfGE 42, 163 <167 f>).
2. Hier: Keine Entbehrlichkeit der Durchführung des Hauptsacheverfahrens:
2a. Vorliegend eröffnet das Hauptsacheverfahren die Möglichkeit, die Rspr des BGH zum
Werberecht des freiberuflich Tätigen (vgl BGH, 5. Mai 2003, I ZR 217/00, NJW-RR 2003,
48
1288; BGH, 9. Oktober 2003, I ZR 167/01, NJW 2004, 440; vgl BGH, 23. Oktober 2003, I
ZR 64/01, NJW 2004, 1099) in die Beurteilung der konkreten Werbung mit einzubeziehen.
2b.Im Rahmen einer nicht nur vorläufigen Auseinandersetzung mit der fraglichen Werbung
könnte durch die Fachgerichte berücksichtigt werden, dass die zwischenzeitlich erfolgte
Einführung des RVG auch zur Vereinfachung und Deregulierung des Gebührenrechts erfolgt
ist und dieser Gesetzeszweck möglicherweise Auslegungsvorgaben auch für die Beurteilung
einer Werbung für Erstberatungsgebühren enthält.
NJW 2004, 3768 (red. Leitsatz und Gründe) AnwBl 2005, 71 (red. Leitsatz und Gründe)
Verfahrensgang


vorgehend OLG Hamm 4. Zivilsenat Urteil vom 3. August 2004 4 U 94/04
Wettbewerbswidrige Anwaltswerbung mit "Gebührenbeispielen" für Erstberatungen
vorgehend LG Essen 5. Kammer für Handelssachen Urteil vom 8. Juni 2004 45 O
46/04
Wettbewerbsverstoß: Werbung eines Rechtsanwalts mit niedrigen standardisierten
Höchstgebühren für eine Erstberatung
Diese Entscheidung zitiert






Vergleiche BGH 5. Mai 2003 I ZR 217/00 NJW-RR 2003, 1288
Vergleiche BGH 1. Zivilsenat Urteil vom 9. Oktober 2003 I ZR 167/01
Vergleiche BGH 1. Zivilsenat Urteil vom 23. Oktober 2003 I ZR 64/01
Vergleiche BVerfG 1. Senat Beschluss vom 11. Mai 1976 1 BvR 163/72
Verletzung von GG Art 5 Abs 1 durch überhöhte Anforderungen an die Zulässigkeit
öffentlicher Kritik im politischen Meinungskampf - hier: wertende Äußerung bzgl
Deutschland-Stiftung
Vergleiche BVerfG 2. Senat Beschluss vom 13. Januar 1987 2 BvR 209/84
Zur Frage, ob die in JGG § 10 Abs 1 S 3 Nr 4 als Erziehungsmaßregel vorgesehene
Möglichkeit richterlicher Weisung, Arbeitsleistungen zu erbringen, mit GG Art 12
Abs 2 und Abs 3 vereinbar ist
Vergleiche BVerfG 1. Senat Beschluss vom 1. Februar 1989 1 BvR 1290/85
Unzulässigwerden einer Verfassungsbeschwerde gegen Eilentscheidungen, deren
Gegenstand sich erledigt hat - hier: Untersagung termingebundener szenischer
Darstellung
LG Bremen 12. Zivilkammer Urteil vom 1. Juli 2004 12 O 292/04
Wettbewerbsverstoß: Werbung eines Rechtsanwalts mit Gebührenbeispielen für eine
Erstberatung
1. Eine Gebührenunterschreitung ist dem Rechtsanwalt in außergerichtlichen Angelegenheiten
nicht verwehrt. Deshalb ist die Werbung des Rechtsanwalts mit konkreten
Gebührenbeispielen für die Erstberatung am unteren Rande der Gebührenordnung zulässig.
2. Die Beurteilung der gebührenrechtlichen Zulässigkeit hat sich durch das Inkrafttreten des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) am 1. Juli 2004 nicht geändert. Die neue Regelung
in § 4 Abs. 2 RVG entspricht dem bisherigen § 3 Abs. 5 BRAGO.
49
3. Im Ergebnis kann einem Rechtsanwalt ein "Gebührenaushang" mit einem bestimmten
Gebührenrahmen für bestimmte Rechtsgebiete nicht verboten werden.
NJW 2004, 2837-2838 (red. Leitsatz und Gründe) GRUR-RR 2004, 332-333 (red. Leitsatz
und Gründe) AnwBl 2004, 655 (red. Leitsatz und Gründe) Rbeistand 2005, 102-104 (red.
Leitsatz und Gründe)
Ein Rechtsanwalt, der für eine telefonische Rechtsberatung einen Minutenpreis vereinbart, verstößt
damit nicht notwendig gegen das Verbot der Gebührenunter- oder -überschreitung (im Anschluß an
BGHZ 152, 153 - Anwalts-Hotline). Er muß jedoch in der Werbung für die telefonische Rechtsberatung
auf nicht selbstverständliche Einschränkungen und Besonderheiten der Berechnung hinweisen (hier:
Streitwertgrenze für Minutenpreis; Berechnung des Minutenpreises auch für
Gesprächsunterbrechungen zum Zwecke des Recherchierens).
BGH: I ZR 261/02, Urteil vom 30.09.2004
Verfahrensgang:
Kammergericht Berlin vom 24.05.2002
LG Berlin
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 261/02
Verkündet am:
30. September 2004
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher,
Dr. Schaffert und Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 24. Mai
2002 im Kostenpunkt aufgehoben. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des
Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben mit Ausnahme der durch die Säumnis der
Kläger im Termin vom 6. Juli 2001 verursachten Kosten, die die Kläger zu je einem Drittel zu tragen
haben.
Im übrigen wird die Revision auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist Partner einer als "Telekanzlei" bezeichneten Partnerschaft von Rechtsanwälten.
Diese wirbt bundesweit über ihre im Internet abrufbare Homepage für die von ihr unter dem Zeichen
"Jucall" angebotene telefonische Rechtsberatung, bei der Interessenten gegen 5 DM pro
Beratungsminute eine anwaltliche Rechtsberatung erhalten können.
50
Möchte ein Ratsuchender sich von einem Anwalt der "Telekanzlei" beraten lassen, kann er, ohne dass
für ihn Telefonkosten anfallen, die Kanzlei über eine auf der Homepage angegebene 0800erRufnummer anrufen. Die für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgebliche Zeiterfassung setzt
erst ein, nachdem einige Formalien abgewickelt, insbesondere die Stammdaten des Anrufers erfaßt
sind. Die Beratung, die dem Anrufer anschließend in Rechnung gestellt wird, erfolgt durch
Rechtsanwälte. Die Mindestgebühr für eine solche Beratung beträgt 30 DM einschließlich
Mehrwertsteuer. Auf der Homepage wird das "JUCALL-Leistungsspektrum" u.a. wie folgt beschrieben:
- JUCALL ist eine Leistung der Rechtsanwaltskanzlei Telekanzlei L. & Partner, d.h.,
Sie erhalten den kompletten Beratungsservice aus einer Hand. Es sind keine Provider oder weitere
Dritte zwischengeschaltet, die nicht unmittelbar zur Aufbauorganisation der Kanzlei gehören.
- kostenloser Zugang zur gebührenpflichtigen Rechtsberatung über unsere 0800-Rufnummer.
- kostenlose Stammdatenaufnahme und Ablauferläuterung vor der gebührenpflichtigen
Rechtsberatung.
- 5 DM pro Minute inkl. MwSt. für die eigentliche Rechtsberatung.
- bei sehr einfachen und kurzen Anliegen behalten wir uns vor, den Preis im Einzelfall noch weiter zu
senken.
- Zeiterfassung erst nach Abwicklung aller Formalien.
- Mindestgebühr in Höhe von 30 DM inkl. MwSt. bei jedem Telefonat, das in Beratung mündet.
- Sie treffen entweder direkt auf einen unserer Anwälte oder auf unsere Telefonannahme. Im letzteren
Falle erhalten Sie einen Rückruf durch einen Anwalt.
- Rechtsberatung vor allem für Anrufer aus Wirtschaft und Unternehmen (auch Existenzgründer) mit
spezifischen Fragen.
- Beratung nur durch erfahrene Rechtsanwälte.
- bei komplexen Fragen, wenn Sie wollen, mehrmaliger Rückruf durch uns, bis Ihr Anliegen geklärt ist.
- auf Wunsch Weiterberatung in Fällen, die für eine lediglich telefonische Beratung nicht geeignet sind.
- Rückruf und Weiterberatung zu den gleichen günstigen Konditionen wie beim Erstanruf.
- Zustellung der Rechnung direkt und separat von der Telekanzlei L. & Partner und nicht über die
Telekom.
- Freischaltung von Jucall werktags zwischen 9.00 und 18 Uhr, freitags bis 16 Uhr.
Unter der Überschrift "Was ist, wenn mein Jucall-Anwalt mich vor Gericht vertreten soll?" heißt es:
Nur wenn der Gegenstandswert höher liegt als 50.000 DM, stellen wir einzeln ausgehandelte
Stundensätze in Rechnung. Unser Minutentarif gilt dann nicht.
Darüber hinaus heißt es auf der Homepage:
Bitte bedenken Sie: die Jucall-Idee dient lediglich zur Betreuung einfacher Rechtsfragen. Gleichwohl
bietet Jucall Schnittstellen zur weitergehenden Rechtsberatung, sofern der Mandant dies wünscht und
die Sache am Telefon nicht klärbar ist.
Der Vorteil: Die Preisstruktur ändert sich bei einfachen Angelegenheiten grundsätzlich nicht.
Wird etwa der Austausch von Unterlagen oder ein persönliches Gespräch vor Ort nötig, so kann sich
der Anrufer bei einfachen Angelegenheiten zu den günstigen Konditionen von Jucall weiterbetreuen
lassen.
51
Wir behalten uns bei umfangreicheren Angelegenheiten (z.B. Entwicklung von AGB oder ganzen
Verträgen, nicht dagegen bei deren bloßer Prüfung) vor, im Einzelfall jenseits der o.g. Schnittstelle
eine Weiterberatung zu Jucall-Tarifen abzulehnen und stattdessen nur zu BRAGO- oder individuellen
Honorarsätzen anzubieten. ...
Die Kläger sind in Berlin ansässige Rechtsanwälte. Sie haben den Beklagten auf Unterlassung in
Anspruch genommen. Sie sind der Ansicht, eine telefonische Rechtsberatung mit dem System einer
allein zeitabhängigen Vergütung verstoße gegen zwingendes Gebührenrecht und sei daher
wettbewerbswidrig. Die Abrechnungsart laufe in einer Vielzahl von Fällen auf unangemessen niedrige
Gebühren hinaus, zumal die Gebühr von 5 DM nicht auf die Erstberatung beschränkt sei. Hinzu
komme, dass die erhebliche Zeit der Recherche und des Überdenkens zwischen den Rückrufen nicht
vergütet werde. Darüber hinaus könne die Mindestgebühr von 30 DM zu einer
Gebührenüberschreitung führen. Außerdem sei die Leistung nicht klar umschrieben und mehrdeutig.
Mit den niedrigen Minutenpreisen werde der Verbraucher angelockt, um dann weitere Angebote
unterbreitet zu bekommen. Die Beschränkungen würden zudem erst nach der Herausstellung des
Minutenpreises versteckt angesprochen.
Die Kläger haben ursprünglich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
für die telefonische Rechtsberatung durch ihn oder sein Büro zu einem Preis von 5 DM inklusive
Mehrwertsteuer pro Beratungsminute zu werben.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat angenommen, es bestehe kein hinreichender Anhalt für eine
Gebührenunterschreitung; dagegen sei dem beanstandeten Abrechnungssystem die Gefahr einer
Gebührenüberschreitung immanent, weil in jedem Fall eine Mindestgebühr von 30 DM fällig werde.
Das Landgericht hat daher der Klage nur teilweise stattgegeben: Es hat das beantragte Verbot
dadurch eingeschränkt, dass es vor die Wörter "zu werben" die Wörter "unter Zugrundelegung einer
Mindestgebühr von 30 DM brutto" eingefügt hat. Überwiegend hat es die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben nur die Kläger Berufung eingelegt, die das Kammergericht zunächst durch
Versäumnisurteil zurückgewiesen hat. Auf den Einspruch der Kläger hat das Kammergericht der Klage
entsprechend dem in der Berufungsinstanz geänderten, auf die konkrete Verletzungsform
(Wiedergabe der Homepage) abstellenden Klageantrag stattgegeben, den die Kläger zunächst als
Hilfs-, später als Hauptantrag gestellt hatten.
Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger
beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat - noch vor der erst später ergangenen Senatsentscheidung "AnwaltsHotline" (BGHZ 152, 153) - in dem beanstandeten Angebot des Beklagten einen Verstoß gegen die
Gebührenregelungen in § 49b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 BRAO und in § 3 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 3
BRAGO (entspricht im wesentlichen der heutigen Regelung in § 4 RVG) gesehen und den Klägern
den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG a.F. unter dem Gesichtspunkt des
Rechtsbruchs zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Kläger seien als Mitbewerber von dem beanstandeten Verhalten unmittelbar betroffen und daher
klagebefugt. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei die Klage auch nicht rechtsmissbräuchlich
erhoben. Es seien keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Geltendmachung des
Unterlassungsanspruchs vorwiegend im Gebühreninteresse der Kläger erfolgt sei.
Nach der angegriffenen Werbung handelten der Beklagte und seine Kollegen wettbewerbswidrig, da
die Gefahr von Gebührenunter- und -überschreitungen sowie der Erhebung von nicht geschuldeten
Gebühren bestehe. Eine Vereinbarung, nach der die gesetzlichen Voraussetzungen der Gebühren
von vornherein unterlaufen werden sollten, widerspreche § 3 BRAGO und dem allgemeinen Verbot
der Gebührenunterschreitung in § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO. Auch Zeitvergütungen seien nur zulässig,
soweit sie in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des
52
Anwalts stünden. Dies sei bei der von der Kanzlei des Beklagten in Rechnung gestellten Vergütung
nicht gewährleistet, wenn beispielsweise in einer einfachen Angelegenheit mit einem
Gegenstandswert von 50.000 DM nach einem sechsminütigen Beratungsgespräch nur 30 DM
erhoben würden, während die Ratsgebühr nach § 20 Abs. 1 BRAGO mindestens 142,50 DM (jetzt
75,80 ¤) betrage. Die Rechtsanwälte von "Jucall" böten darüber hinaus auch die Klärung komplexerer
Fragen an, für die gegebenenfalls mehrere Rückrufe notwendig seien und für die nach den
gesetzlichen Gebühren im Falle der Erstberatung bis zu 350 DM anfallen könnten.
Darüber hinaus widerspreche die herausgestellte Angabe von 5 DM pro Beratungsminute auch den
Grundsätzen von Preiswahrheit und Preisklarheit. Soweit dem Anrufer die Zeit einer Recherche
zwischen zwei Beratungsgesprächen in Rechnung gestellt werde, sei die Angabe irreführend, da
angesichts der herausgestellten Beziehung von Telefongespräch und Zeitabrechnung der Eindruck
erweckt werde, nur die Dauer des telefonischen Beratungsgesprächs bestimme die Höhe des
Honorars. Mangels erkennbarer Einschränkung werde im übrigen der unzutreffende Einruck erweckt,
zu dem angegebenen Tarif könnten auch schwierige und komplexe Rechtsfragen gestellt werden. Auf
die wichtige Beschränkung des "Jucall"-Tarifs auf Gegenstandswerte bis 50.000 DM werde nicht in
der gebotenen Deutlichkeit hingewiesen.
II. Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar liegt in der von den Klägern behaupteten
Gebührenunter- und -überschreitung kein Wettbewerbsverstoß, doch ist die beanstandete Werbung
irreführend. Dieser Umstand rechtfertigt das auf die konkrete Verletzungsform beschränkte Verbot.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur ein Teil des ursprünglichen Rechtsstreits. Soweit der
Beklagte durch das Landgericht im Hinblick auf die Forderung einer Mindestgebühr von 30 DM wegen
der Gefahr einer Gebührenüberschreitung zur Unterlassung verurteilt worden ist, ist der Rechtsstreit
nicht in die Rechtsmittelinstanzen gelangt. Gegenstand des Berufungsverfahrens war allein der - in
erster Linie auf die Gefahr einer Gebührenunterschreitung gestützte - Teil der Klage, den das
Landgericht abgewiesen hatte, und zwar in der geänderten, auf die konkrete Verletzungsform
beschränkten Antragsfassung.
2. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass es sich bei den Klägern um Mitbewerber
des Beklagten handelt. Denn die Kläger stehen mit dem Beklagten als Anbieter der Dienstleistung
einer Rechtsberatung in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG). Erwiese
sich das beanstandete Verhalten als wettbewerbswidrig, stünde ihnen daher grundsätzlich ein
Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 8 Abs. 1 UWG zu (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG).
3. Ohne Erfolg beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht die Geltendmachung des
Unterlassungsanspruchs durch die Kläger nicht als missbräuchliche Rechtsverfolgung angesehen hat
(§ 13 Abs. 5 UWG a.F., § 8 Abs. 4 UWG). Das Berufungsgericht hat in der Vielzahl der von den
Klägern gegen Berufskollegen angestrengten Klagen kein Indiz dafür gesehen, dass sie den
Unterlassungsanspruch im Streitfall in erster Linie im eigenen Kosteninteresse angestrengt haben.
Das Berufungsgericht hat sich dabei darauf gestützt, dass die Kläger vorwiegend von den Umständen
des Einzelfalls geprägte Verfahren zur berufswidrigen Werbung angestrengt hätten und dabei ein
erhebliches Prozesskostenrisiko eingegangen seien. Ihre Rechtsverfolgung habe sich nicht auf
geringfügige, wettbewerbsrechtlich eher unproblematische Verstöße beschränkt. Diese im
wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt in der von der Kanzlei des Beklagten
angebotenen telefonischen Rechtsberatung keine wettbewerbswidrige Gebührenunter- oder überschreitung.
a) Wie der Senat bereits in der Entscheidung "Anwalts-Hotline" (BGHZ 152, 153, 160 ff.) im
Zusammenhang mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Werbung für eine telefonische
Rechtsberatung über eine 0190er-Telefonnummer ausgeführt hat, birgt das System einer
telefonischen Rechtsberatung, bei der die Dienstleistung der Beratung nach Zeit abgerechnet wird,
zwar gewisse Risiken für ein berufswidriges Verhalten der beteiligten Rechtsanwälte. Dies führt
indessen nicht dazu, dass die Werbung für einen telefonischen Beratungsdienst schlechthin untersagt
werden könnte.
b) Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den berufsrechtlichen
Mindestpreisvorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung und der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung bzw. des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes um
53
Marktverhaltensregelungen i.S. von § 4 Nr. 11 UWG handelt (vgl. Köhler in Baumbach/Hefermehl,
Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 4 UWG Rdn. 11.139; ferner BGHZ 152, 153, 162 - Anwalts-Hotline, zu
Höchstpreisvorschriften). Im Falle des Verstoßes gegen derartige Bestimmungen steht Mitbewerbern
wie den Klägern ein Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 8 Abs. 1 UWG zu.
c) Mit dem als "Jucall" bezeichneten Rechtsberatungsdienst der Kanzlei des Beklagten sind entgegen
der Auffassung des Berufungsgerichts keine unzulässigen Gebührenunterschreitungen verbunden.
Auch von einer unzulässigen Gebührenüberschreitung kann - ungeachtet der nicht mehr zu prüfenden
Frage der in Rechnung gestellten Mindestvergütung von 30 DM (dazu oben unter II.1.) - nicht
ausgegangen werden. Insbesondere stellt es keinen Verstoß gegen die Bestimmungen der
Bundesrechtsanwaltsordnung und des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes dar, dass die Kanzlei des
Beklagten dem Ratsuchenden für die Beratung eine zeitabhängige Vergütung in Rechnung stellt.
aa) Die telefonische Beratung wird im allgemeinen den Gebührentatbestand erfüllen, der bis 30. Juni
2004 in § 20 Abs. 1 Satz 1 BRAGO geregelt war und seitdem in Nr. 2100 bis 2102 des
Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 RVG geregelt ist. Danach erhält der Rechtsanwalt für einen
mündlichen Rat oder eine Auskunft, wenn die Beratung nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen
Tätigkeit zusammenhängt, eine Gebühr nach dem Satz 0,1 bis 1,0 (1/10 bis 10/10) der vom
Gegenstandswert abhängigen vollen Gebühr (§ 13 RVG). Im Falle einer Erstberatung eines
Verbrauchers darf diese Gebühr jedoch 190 ¤ (nach § 20 Abs. 1 Satz 2 BRAGO: 180 ¤) nicht
übersteigen, was - wenn eine Mittelgebühr von 0,55 zugrunde gelegt wird - ab einem
Gegenstandswert von mehr als 7.000 ¤ (nach § 20 Abs. 1 Satz 2 BRAGO: 6.000 ¤) zu einer
betragsmäßigen Begrenzung des Gebührenanspruchs führt.
bb) Daneben sieht § 4 Abs. 2 Satz 1 RVG (früher § 3 Abs. 5 Satz 1 BRAGO) in außergerichtlichen
Angelegenheiten u.a. eine Zeitvergütung vor, die niedriger sein kann als die gesetzlichen Gebühren.
Zwar empfiehlt das Gesetz für den Fall der Gebührenunterschreitung eine schriftliche Vereinbarung (§
4 Abs. 2 Satz 4 RVG, früher § 3 Abs. 1 Satz 3 BRAGO); das Nichtbefolgen dieser Empfehlung stellt
jedoch kein berufswidriges Verhalten dar (vgl. BGHZ 152, 153, 161 - Anwalts-Hotline, m.w.N.).
Der Anrufer, der die als "Jucall" bezeichnete Dienstleistung einer Rechtsberatung in Anspruch
nehmen will, erklärt sich durch seinen Anruf mit der Vereinbarung einer Zeitvergütung einverstanden.
Wie der Senat bereits in der Entscheidung "Anwalts-Hotline" ausgeführt hat, liegt darin, dass sich
diese Zeitvergütung nicht an den Bemessungskriterien der preisrechtlichen Bestimmungen - in der
Vergangenheit die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung und heute das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - orientiert, kein berufsrechtlicher Verstoß. Mit der Zeitvergütung, die
in vielen Bereichen der anwaltlichen Tätigkeit üblich ist, wählen die Parteien des Anwaltsvertrages
bewusst eine Berechnungsweise, die sich von der streitwertabhängigen Berechnung vollständig löst.
Dies ist für sich genommen weder bei der üblichen Zeitvergütung (vgl. BGHZ 152, 153, 160 f. Anwalts-Hotline) noch im Streitfall zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
würde es auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen, falls ein Rechtsanwalt dabei
lediglich die Zeit der telefonischen Beratung in Rechnung stellen sollte mit der Folge, dass die
Bearbeitungszeit während einer Gesprächsunterbrechung, die dem Anwalt eine kurze Recherche,
etwa die Lektüre einer einschlägigen Entscheidung, ermöglicht, unberechnet bliebe.
cc) Soweit das Landgericht den Beklagten wegen Gebührenüberschreitung verurteilt hat, es zu
unterlassen, "... für die telefonische Rechtsberatung ... zu einem Preis von 5 DM ... pro
Beratungsminute unter Zugrundelegung einer Mindestgebühr von 30 DM brutto zu werben", hat der
Beklagte die durch das Landgericht erfolgte Verurteilung zur Unterlassung nicht angefochten.
Allerdings ist auch unabhängig von der geforderten Mindestgebühr eine Überschreitung der
gesetzlichen Gebühren - etwa bei besonders langen Beratungsgesprächen in Sachen mit niedrigem
Gegenstandswert - denkbar. Anders als für den Fall der Unterschreitung der gesetzlichen Gebühren
sieht das Gesetz für den Fall der Gebührenüberschreitung an sich zwingend die Schriftform vor (§ 4
Abs. 1 Satz 1 RVG, früher § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Doch stellt die Nichtbeachtung dieser Form
nicht notwendig ein berufswidriges und damit zugleich nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG wettbewerbswidriges
Verhalten dar. Denn das Gesetz nimmt auch die nicht schriftlich fixierte Gebührenüberschreitung hin,
wenn der Mandant die höhere Vergütung freiwillig und ohne Vorbehalt zahlt; in diesem Fall ist die
Rückforderung ausgeschlossen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 RVG, früher § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO).
Freiwilligkeit setzt allerdings voraus, dass der Mandant von der Gebührenüberschreitung Kenntnis hat;
er muss wissen, dass er mehr zahlt, als ohne besondere Vereinbarung nach dem Gesetz zu zahlen
wäre. Dagegen braucht ihm die Unklagbarkeit der Forderung nicht bekannt zu sein (BGHZ 152, 153,
161 f. - Anwalts-Hotline, m.w.N.). Ungeachtet der Wirksamkeit der getroffenen Gebührenvereinbarung
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kann es auch generell unlauter sein, wenn der Anwalt eine höhere als die gesetzliche Vergütung
vereinbart, ohne auf den Umstand der Gebührenüberschreitung hinzuweisen (§§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.
mit § 352 StGB).
Im Streitfall besteht indessen kein Anhaltspunkt dafür, dass den Ratsuchenden, die sich über "Jucall"
von Anwälten der Kanzlei des Beklagten beraten lassen, höhere als die gesetzlichen Gebühren in
Rechnung gestellt werden, ohne dass auf eine mögliche Gebührenüberschreitung - wie geboten hingewiesen worden ist. Die bloße denkbare Möglichkeit, dass es zu einer solchen
Gebührenüberschreitung ohne vorherigen Hinweis kommt, kann ein generelles Verbot der von der
Kanzlei des Beklagten beworbenen Dienstleistung nicht rechtfertigen (vgl. BGHZ 152, 153, 162 Anwalts-Hotline, m.w.N.).
5. Ohne Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die
beanstandete Werbung sei aus mehreren Gründen irreführend (§§ 3, 5 UWG) und verstoße teilweise
gegen das Gebot der Preiswahrheit und Preisklarheit (§ 1 Abs. 6 PAngV).
a) Die Kanzlei des Beklagten bietet - wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt - die
telefonische Beratung zum Preis von 5 DM nicht in allen Fällen an. Die Werbung auf der Homepage
macht beispielsweise deutlich, dass "die Jucall-Idee ... lediglich zur Betreuung einfacher Rechtsfragen
(dient)". Dagegen findet sich der Hinweis darauf, dass die Kanzlei den telefonischen Beratungsdienst
zum Minutentarif nur bei Gegenstandswerten bis zu 50.000 DM anbietet, lediglich an versteckter Stelle
unter der Überschrift "Was ist, wenn mein Jucall-Anwalt mich vor Gericht vertreten soll?". Mit Recht
hat das Berufungsgericht gefordert, dass dieser Hinweis, der eine wichtige Einschränkung des
beworbenen Minutenpreises darstellt, im räumlichen Zusammenhang mit der Preisangabe hätte
gegeben werden müssen.
b) Das Berufungsgericht hat es ferner als irreführend angesehen, dass sich auf der beanstandeten
Homepage kein Hinweis darauf findet, dass die Kanzlei des Beklagten im Falle einer Unterbrechung
der telefonischen Beratung zum Zwecke einer Rechtsprechungs- oder Literaturrecherche auch für
diese Zeit das Minutenhonorar in Höhe von 5 DM berechnet, was - wie das Berufungsgericht
angenommen hat - der Übung in der Kanzlei des Beklagten entspricht. Die Annahme des
Berufungsgerichts, der Verkehr rechne hiermit aufgrund der Angaben auf der Homepage nicht,
sondern nehme an, nur die Dauer des Telefongesprächs werde in Rechnung gestellt, ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie ist insbesondere - entgegen der Annahme der Revision nicht erfahrungswidrig. Es stellt einen gewissen Anreiz für den Ratsuchenden dar und mag für viele
der entscheidende Vorteil des Angebots der Kanzlei des Beklagten sein, dass er bei einer
telefonischen Beratung, für die er eine Zeitvergütung zahlt, die Dauer des Gesprächs und damit die
Höhe der zu zahlenden Vergütung selbst beeinflussen kann. Mit einer Berechnung des Zeitaufwandes
für eine von ihm nicht zu steuernde Recherche muss er nicht rechnen, zumal es in der
Werbeankündigung heißt, dass "Rückruf und Weiterberatung zu den gleichen günstigen Konditionen
wie beim Erstanruf" erfolgen.
c) Angaben über den Preis einer Ware oder Dienstleistung sind stets Angaben von zentraler
Bedeutung. Sind diese Angaben irreführend, bestehen im allgemeinen an der Relevanz der
Irreführung keine Zweifel (vgl. Bornkamm in Baumbach/Hefermehl aaO § 5 Rdn. 2.177 und 7.1 f.).
Auch im Streitfall bestehen weder an der Relevanz der Irreführung noch an der Eignung Zweifel, den
Wettbewerb nicht nur unwesentlich zu beeinträchtigen (§ 3 UWG).
6. Neben der (nicht in Anspruch genommenen) Partnerschaft haftet der Beklagte als selbständig
handelnde natürliche Person für den Wettbewerbsverstoß. Seine Verurteilung ist lediglich auf ein
Unterlassen gerichtet. Entgegen der Auffassung der Revision kann der Beklagte dieses
Unterlassungsgebot unabhängig davon befolgen, ob eine Beseitigung der beanstandeten Homepage
die Mitwirkung der nicht mitverklagten Partner erfordern würde.
III. Danach ist die Revision zurückzuweisen, soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung in der
Sache wendet. Da sich der Unterlassungsausspruch im Berufungsurteil auf die konkrete
Verletzungsform bezieht, ist das ausgesprochene Verbot im Hinblick auf die in der Werbung
enthaltene Irreführung zu bestätigen, auch wenn sich der Vorwurf einer Gebührenunter- und überschreitung als unbegründet erweist. Die Kostenentscheidung kann dagegen keinen Bestand
haben. Denn die Kläger haben ihr Klagebegehren in zweiter Instanz durch die Beschränkung auf die
konkrete Verletzungsform erheblich eingeschränkt. Insbesondere haben sie den zunächst im
Mittelpunkt stehenden Streit um die Gebührenunter- und -überschreitung nicht mehr zum Gegenstand
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eines gesonderten Antrags gemacht.
Unter diesen Umständen ist es angemessen, die Kosten der beiden Instanzen, in denen die Kläger
zunächst den weitergehenden Antrag verfolgt haben, gegeneinander aufzuheben (§ 269 Abs. 3 Satz
2, § 92 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten der Revisionsinstanz beruht auf § 97
Abs. 1 ZPO.
a) Der durch den Anruf bei einer Steuerberater-Hotline zustande kommende Beratungsvertrag wird im
Zweifel mit dem den Anruf entgegennehmenden Steuerberater geschlossen und nicht mit dem - zur
Steuerberatung nicht befugten - Unternehmen, das den Beratungsdienst organisiert und bewirbt.
b) Der Steuerberater, der sich an einer Steuerberater-Hotline beteiligt, verstößt damit nicht gegen
berufsrechtliche Verbote. Insbesondere verstößt es nicht gegen § 13 Nr. 2 StBGebV, wenn ein
Steuerberater, der von einem ihm nicht näher bekannten Mandanten um telefonische Beratung
gebeten wird, hierfür eine im Minutentakt berechnete Zeitgebühr vereinbart.
BGH: I ZR 89/02, Urteil vom 30.09.2004
Verfahrensgang:
Kammergericht Berlin vom 09.10.2001
LG Berlin vom 14.02.2000
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 89/02
Verkündet am:
30. September 2004
in dem Rechtsstreit
Steuerberater-Hotline
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher,
Dr. Schaffert und Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 9. Oktober
2001 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Kammer für Handelssachen 97 des Landgerichts
Berlin vom 14. Februar 2000 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Die Beklagte unterhält und bewirbt einen Telefonanschluß, über den Interessenten gegen Entgelt eine
steuerliche Beratung erhalten können. Zur Durchführung der Beratung leitet die Beklagte die Anrufe,
die über die in der Werbung angegebene 0190er-Telefonnummer bei ihr eingehen, unmittelbar an mit
ihr vertraglich verbundene Steuerberater weiter. Die Deutsche Telekom stellt dem Inhaber des
Anschlusses, von dem aus der Anruf erfolgt, mit der Telefonrechnung den Preis von 3,63 DM pro
Minute in Rechnung. Hiervon zahlt die Deutsche Telekom 2,48 DM an die Beklagte aus. Die auf diese
Weise von der Telekom eingenommenen Beträge leitet die Beklagte je nach Gesprächsaufkommen
an die beteiligten Steuerberater weiter, von denen sie ihrerseits eine pauschale monatliche
Teilnahmegebühr sowie eine zeitabhängige Nutzungsgebühr erhält.
Die Klägerin, eine Steuerberaterkammer, hat die Ansicht vertreten, die beanstandete Telefonberatung
verstoße gegen das Steuerberatungsgesetz (StBerG) und die Gebührenverordnung für Steuerberater
(StBGebV). Sie hat im Verhalten der Beklagten einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG a.F.
gesehen und sie auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Steuerberatung zu einem Minutenpreis von 3,63 DM für
den Anrufer per Telefon/Hotline anzubieten.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (LG Berlin MMR 2001, 61 = DStRE 2000,
613). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (KG MMR 2002, 635 [Ls.] = DStRE 2003,
316).
Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat - noch vor der erst später ergangenen Senatsentscheidung "AnwaltsHotline" (BGHZ 152, 153) - in dem beanstandeten Angebot einen Verstoß der mitwirkenden
Steuerberater gegen die Gebührenregelungen in § 64 Abs. 1 StBerG, § 4 Abs. 1, § 13 Satz 1 Nr. 2
StBGebV und § 45 Abs. 4 Satz 1 der Berufsordnung der Bundessteuerberaterkammer (BOStB)
gesehen und der Klägerin den geltend gemachten Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt
des Rechtsbruchs aus § 1 UWG a.F. zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beklagte fördere den unlauteren Wettbewerb der Steuerberater, die sich an der telefonischen
Beratung beteiligten. Diese handelten wettbewerbswidrig, da die Gefahr bestehe, dass die
gesetzlichen Gebühren unter- oder überschritten und nicht geschuldete Gebühren erhoben würden.
Die Steuerberatervergütungsverordnung sei auch auf die telefonische Beratung durch Steuerberater
anzuwenden. Die Erhebung einer Zeitgebühr nach § 13 Satz 1 Nr. 1 StBGebV komme für eine
telefonische Beratung nicht in Betracht. Außerdem dürfe die in der Verordnung vorgesehene
Zeitgebühr die Vergütungssätze der Verordnung nicht unter-, sondern nur überschreiten (§ 4
StBGebV). Im übrigen sei nicht gewährleistet, dass die Rahmengebühr des § 13 Satz 2 StBGebV in
Höhe von 37,50 DM bis 90 DM je angefangene halbe Stunde bei der Abrechnung der telefonischen
Beratung nicht unterschritten werde: Bleibe ein Beratungsgespräch unter zehn Minuten, werde die
Mindestzeitgebühr des § 13 Satz 2 StBGebV nicht erreicht. Auch das Gebot der Angemessenheit der
Gebühren aus § 64 Abs. 1 StBerG und § 45 Abs. 4 Satz 1 BOStB könne ein Unterschreiten der
Gebühren nicht rechtfertigen, da die bei der Gebührenbemessung zu berücksichtigenden Umstände
wie der Wert des Objekts, die Art der Aufgabe und der Schwierigkeitsgrad der Leistung bei der
vorliegenden Zeitabrechnung unberücksichtigt blieben.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur
Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage. Das von der Klägerin beanstandete
Verhalten stellt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als wettbewerbswidrig dar.
1. Die Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG (vgl. Köhler in
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 8 UWG Rdn. 3.33; Bergmann in Harte/Henning,
UWG, § 8 Rdn. 275). Insofern hat sich gegenüber der Regelung in § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F., auf
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die das Berufungsgericht zu Recht abgestellt hat, nichts geändert (dazu BGHZ 79, 390, 392 ff. Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft, m.w.N.). Mit ihrer Werbung für die Dienstleistung einer
Steuerberatung hat sich die Beklagte in ein konkretes Wettbewerbsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG)
zu den Mitgliedern des klagenden Verbandes gestellt.
2. In dem beanstandeten Verhalten der Beklagten liegt kein Angebot einer verbotenen Hilfeleistung in
Steuersachen. Der Klägerin steht daher kein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, §§ 3, 4 Nr. 11
UWG i.V. mit § 5 Abs. 1 Satz 1 StBerG zu.
Das Berufungsgericht geht ohne nähere Begründung, aber zutreffend, aber davon aus, dass bei dem
beanstandeten Geschäftsmodell der Beklagten der Vertrag über die Beratungsleistung nicht mit der
Beklagten, sondern mit dem jeweils telefonisch beratenden Steuerberater zustande kommt. Damit
handelt es sich bei der Beratung um eine nicht von der Beklagten, sondern von dem jeweiligen
Steuerberater erbrachte Dienstleistung. Zwar ist es nach den äußeren Umständen zweifelhaft,
zwischen wem der Vertrag über die Erbringung der Steuerberatungsleistung geschlossen werden soll.
Für den Vertragsschluss mit dem telefonisch beratenden Steuerberater spricht jedoch eindeutig der
Grundsatz, dass der Wille der vertragschließenden Parteien im Zweifel auf eine den Vertragszweck
nicht gefährdende Gestaltung gerichtet ist.
Wäre im Streitfall das Angebot des Anrufers auf einen Vertragsschluss mit der Beklagten gerichtet,
wäre der Vertragszweck gefährdet. Nach § 2 StBerG darf die Hilfeleistung in Steuersachen (vgl. hierzu
§ 1 StBerG) geschäftsmäßig nur von Personen oder Vereinigungen ausgeübt werden, die dazu befugt
sind. Die Beklagte gehört nicht zu diesem in §§ 3, 4 StBerG näher beschriebenen Kreis. Ihr ist es
daher nach § 5 Abs. 1 Satz 1 StBerG versagt, geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu leisten. Käme
der Vertrag über die Beratung in einer steuerlichen Angelegenheit mit der Beklagten zustande, wäre
er auf eine unzulässige geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen gerichtet und damit nach §
134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (vgl. BGHZ 132, 229, 231 f.
m.w.N.). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Vertragschließenden eine derartige, von ihrem
Willen unabhängige Gefährdung des Vertragszwecks nicht beabsichtigen. Ist den Umständen nicht
eindeutig zu entnehmen, an welchen von zwei möglichen Adressaten sich das Angebot zum Abschluß
eines Geschäftsbesorgungsvertrags richtet, ist daher nur diejenige Auslegung nach beiden Seiten
interessengerecht, die die Nichtigkeit des angestrebten Vertrags vermeidet. Auf den Streitfall bezogen
bedeutet dies, dass bei verständiger Würdigung in dem Anruf - in Ermangelung eines erkennbaren
entgegenstehenden Willens des Anrufers - das Angebot zum Abschluß eines Beratungsvertrags mit
dem jeweils sich meldenden Steuerberater zu den in der Werbung im einzelnen wiedergegebenen
Bedingungen liegt (vgl. hierzu eingehend BGHZ 152, 153, 157 ff. - Anwalts-Hotline).
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt in dem von der Beklagten mit ihrem
Geschäftsmodell geförderten Verhalten des telefonisch eingeschalteten Steuerberaters kein
Wettbewerbsverstoß, für den die Beklagte als Teilnehmerin haftbar gemacht werden könnte. Der
Steuerberater, der dem Ratsuchenden für jede Minute der Beratung 2,48 DM berechnet (die Differenz
zu den insgesamt in Rechnung gestellten 3,63 DM sind die an die Deutsche Telekom fließenden
Telefongebühren), verstößt nicht gegen die preisrechtlichen Bestimmungen des
Steuerberatungsgesetzes und der Steuerberatergebührenverordnung.
a) Das Berufungsgericht ist allerdings mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den
berufsrechtlichen Mindest- oder Höchstpreisvorschriften des Steuerberatungsgesetzes und der
Steuerberatergebührenverordnung um Marktverhaltensregelungen i.S. von § 4 Nr. 11 UWG handelt
(vgl. BGHZ 152, 153, 162 - Anwalts-Hotline, zur Rechtsanwaltsgebührenordnung; ferner Köhler in
Baumbach/Hefermehl aaO § 4 Rdn. 11.139 f.). Im Falle des Verstoßes gegen derartige
Bestimmungen steht Mitbewerbern und Verbänden, die - wie die Klägerin - die gewerblichen
Interessen von Mitbewerbern wahrnehmen, ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, § 3 UWG zu.
b) Mit dem von der Beklagten organisierten und geförderten Steuerberatungsdienst sind entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts keine unzulässigen Gebührenunter- oder -überschreitungen
verbunden.
aa) Es stellt keinen Verstoß gegen die Bestimmungen des Steuerberatungsgesetzes und der
Steuerberatergebührenverordnung dar, dass dem Ratsuchenden für die Beratung im Streitfall eine
zeitabhängige Vergütung in Rechnung gestellt wird.
Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 StBerG ist ein Steuerberater an die durch das Bundesministerium der
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Finanzen durch Rechtsverordnung erlassene Gebührenverordnung gebunden. Die Höhe der
Gebühren darf nach § 64 Abs. 1 Satz 3 StBerG den Rahmen des Angemessenen nicht übersteigen
und hat sich nach Zeitaufwand, Wert des Objekts und Art der Aufgabe zu richten. Die telefonische
Beratung wird im allgemeinen den Gebührentatbestand des § 21 Abs. 1 Satz 1 StBGebV erfüllen.
Danach erhält der Steuerberater für einen mündlichen Rat oder eine Auskunft, wenn die Beratung
nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängt, eine Gebühr in Höhe von
einem Zehntel bis zehn Zehntel der vom Gegenstandswert abhängigen vollen Gebühr. Im Falle einer
Erstberatung darf diese Gebühr nach § 21 Abs. 1 Satz 2 StBGebV jedoch 180 ¤ nicht übersteigen,
was - wenn eine Mittelgebühr von 5,5/10 zugrunde gelegt wird - ab einem Gegenstandswert von mehr
als 6.000 ¤ zu einer betragsmäßigen Begrenzung des Gebührenanspruchs führt.
Darüber hinaus sieht § 13 StBGebV ausdrücklich auch die Möglichkeit der Abrechnung nach einer
Zeitgebühr vor. Dies gilt nach § 13 Satz 1 Nr. 1 StBGebV für die in der Verordnung ausdrücklich
vorgesehenen Fällen sowie nach § 13 Satz 1 Nr. 2 StBGebV für den Fall, dass es keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine Schätzung des Gegenstandswerts gibt. Ob die Anhaltspunkte
genügen, ist insbesondere im Hinblick darauf zu beurteilen, ob der Steuerberater in der Lage ist, den
Gegenstandswert ohne langwierige Zusatzermittlungen zu schätzen (Goez in Meyer/Goez, StBGebV,
4. Aufl., § 13 Rdn. 10). Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob sich daraus für die Praxis in
Zweifelsfällen - wie im Schrifttum teilweise angenommen (vgl. Goez aaO § 13 Rdn. 11; enger dagegen
Eckert/Crusen, StBGebV, 4. Aufl., § 13 Rdn. 1) - sogar generell eine Wahlmöglichkeit des
Steuerberaters zwischen Wert- und Zeitgebühr ergibt. Denn ein Steuerberater, der von einem ihm
nicht näher bekannten Mandanten um eine telefonische Beratung in einer Steuerangelegenheit
gebeten wird, verstößt nicht gegen die Preisbestimmungen des Steuerberatungsgesetzes und der
Steuerberatergebührenverordnung, wenn er hierfür unter Berufung auf § 13 Satz 1 Nr. 2 StBGebV
eine Zeitgebühr ansetzt. In vielen Fällen werden von vornherein Anhaltspunkte für eine Schätzung des
Gegenstandswertes fehlen. Aber auch in den Fällen, in denen solche Anhaltspunkte an sich ermittelt
werden könnten, wäre der Steuerberater vollständig auf die Angaben des ihm nicht näher bekannten
Ratsuchenden angewiesen, die er in keiner Weise überprüfen könnte. Hinzu kommt, dass sich ein
Anrufer, der sich an einen der von der Beklagten vermittelten Steuerberater wendet, durch seinen
Anruf mit der Vereinbarung einer Zeitvergütung einverstanden erklärt. Mit der Zeitvergütung wählen
die Parteien des Beratungsvertrages bewußt eine Berechnungsweise, die sich von der
gegenstandswertabhängigen Berechnung vollständig löst. Dies ist für sich genommen im Streitfall
nicht zu beanstanden (vgl. für den Fall der anwaltlichen Beratung, für den andere gesetzliche
Gebührenbestimmungen gelten, BGHZ 152, 153, 160 f. - Anwalts-Hotline).
bb) Die von der Beklagten vermittelten Steuerberater verstoßen auch nicht deswegen gegen die
gebührenrechtlichen Bestimmungen, weil die von ihnen in Rechung gestellten Gebühren den in der
Steuerberatergebührenverordnung gesetzten Rahmen unterschreiten.
Die Zeitgebühr, die der Abrechnung eines Steuerberaters zugrunde gelegt wird, beträgt nach § 13
Satz 2 StBGebV zwischen 19 und 46 ¤ je angefangene halbe Stunde. Die zeitabhängige
Mindestgebühr wird damit bei der von der Klägerin beanstandeten telefonischen Beratung, für die dem
Ratsuchenden ein Betrag von 2,48 DM pro Minute berechnet wird, nach 15 Minuten erreicht, die
Höchstgebühr wird auch nach 30 Minuten nicht überschritten. Eine Unterschreitung des
Gebührenrahmens des § 13 Satz 2 StBGebV bei Gesprächen von weniger als 15 Minuten ist daher
nicht auszuschließen. Erfolgt die Gebührenberechnung nicht nach Zeit, sondern nach
Gegenstandswerten, liegt die Mittelgebühr (5,5/10) nach der Steuerberatergebührenverordnung
mindestens bei 13,75 ¤ (Gegenstandswert bis zu 300 ¤); auch bei Ausschöpfung des
Gebührenrahmens (1/10 bis 10/10) darf sie 10 ¤ nicht unterschreiten (§ 3 StVGebV). Bei einem
Gegenstandswert von 1.500 ¤ beträgt die Mittelgebühr bereits 57,75 ¤. Dies macht deutlich, dass die
im Rahmen des beanstandeten Beratungsdienstes vereinbarte Vergütung in Höhe von 2,48 DM pro
Minute die nach Gegenstandswerten berechneten gesetzlichen Gebühren häufig unterschreiten
würde.
Die in der Steuerberatergebührenverordnung vorgesehenen Mindestgebühren betreffen jedoch allein
den Fall der Abrechnung nach den gesetzlichen Gebühren. Im Streitfall geht es dagegen um die
Berechnung einer vereinbarten Vergütung. Für den Fall der Gebührenvereinbarung enthält die
Steuerberatergebührenverordnung keine ausdrückliche Regelung über zu beachtende Mindestsätze.
Die Bestimmung des § 4 StBGebV legt lediglich die Voraussetzungen für die Vereinbarung einer
höheren als der gesetzlich vorgesehenen Vergütung fest. In der Begründung zur Verordnung werden
Abweichungen von den vorgesehenen Gebühren - auch hinsichtlich Gebührenunterschreitungen - in
zivil- und preisrechtlicher Hinsicht ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Vielmehr wird es den
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beruflichen Selbstverwaltungskörperschaften überlassen, die berufsrechtlichen Grenzen einer Unteroder Überschreitung aufzuzeigen und deren Einhaltung zu überwachen (zitiert bei Eckert/Winkler aaO
§ 4 Rdn. 1). Dementsprechend ist in § 45 Abs. 4 Satz 1 der Berufsordnung der
Bundessteuerberaterkammer (BOStB) vom 2. Juni 1997 (DStR, Beihefter zu Heft 26/1997), zuletzt
geändert durch Beschluss der Satzungsversammlung vom 24. Oktober 2001 (DStR 2002, 518),
geregelt, dass eine Unterschreitung der angemessenen Vergütung berufswidrig ist. Die Berufsordnung
knüpft damit ausdrücklich nicht an die in der Steuerberatergebührenverordnung genannten
Mindestgebühren, sondern an eine angemessene Vergütung an.
Unter den gegebenen Umständen kann im Streitfall in der Berechnung einer Vergütung, die den
Mindestsatz des § 13 Satz 1 Nr. 2 StBGebV nicht erreicht, kein Unterschreiten der angemessenen
Vergütung gesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betrag, der dem Ratsuchenden
vereinbarungsgemäß für eine halbstündige Beratung in Rechnung gestellt wird, bei etwa 38 ¤ und
damit durchaus im Rahmen des § 13 Satz 1 Nr. 2 StBGebV liegt. Die Unterschreitung ergibt sich allein
dadurch, dass für eine kürzere Inanspruchnahme des Steuerberaters auch nur eine anteilige
Vergütung in Rechnung gestellt wird. In dieser Abweichung von der Gebührenregelung in § 13 Satz 1
Nr. 2 StBGebV liegt kein Unterschreiten der angemessenen Vergütung, sondern nur eine Abweichung
im Modus der Gebührenberechnung. Während die Verordnung aus naheliegenden
Praktikabilitätsgründen einen 30-Minuten-Takt vorsieht, kommt dem Ratsuchenden, der die
Vermittlung der Beklagten in Anspruch nimmt, der günstigere Zeittakt zugute, der bei der telefonischen
Beratung keinerlei praktische Schwierigkeiten aufwirft. Hierin liegt keine berufswidrige Unterschreitung
einer angemessenen Vergütung.
cc) Eine Gebührenüberschreitung durch den vermittelten Steuerberater ist mit dem Geschäftsmodell
der Beklagten nicht verbunden. Denn die Vergütung, die der Ratsuchende dem Steuerberater über
seine Telefonrechnung zahlt, überschreitet in keinem Fall den durch § 13 Satz 1 Nr. 2 StBGebV
gesetzten Rahmen.
dd) Gegenüber dem telefonischen Beratungsdienst kann auch nicht eingewandt werden, der
vermittelte Steuerberater nehme die Vergütung auch in Fällen ein, in denen er sich - aus welchen
Gründen auch immer - nicht in der Lage sehe, die erbetenen Hilfe in Steuersachen zu leisten. Es ist
einem Steuerberater im Rahmen des § 13 StBGebV nicht verwehrt, mit dem Mandanten eine
Zeitvergütung für ein Beratungsgespräch von angemessener Dauer auch für den Fall zu vereinbaren,
dass sich der konkrete Sachverhalt nicht für eine telefonische Auskunft eignet oder es sich empfiehlt,
sich hierfür an einen Steuerberater mit speziellen Kenntnissen und Erfahrungen zu wenden (vgl.
BGHZ 152, 153, 163 - Anwalts-Hotline).
III. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Beklagten ist
die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
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Nr. 2102 VV RVG
OLG Hamm 4. Zivilsenat Urteil vom 3. August 2004 4 U 94/04
UWG § 3, UWG § 4 Nr 11, BRAO § 49b Abs 1, BRAGebO § 3 Abs 5, BRAGebO § 12,
BRAGebO § 20, RVG § 2, RVG § 4 Abs 2
Wettbewerbswidrige Anwaltswerbung mit "Gebührenbeispielen" für Erstberatungen
Orientierungssatz
1. Obwohl es sowohl nach altem als auch nach neuem Gebührenrecht im Einzelfall
grundsätzlich möglich ist, für anwaltliche Erstberatungen die gesetzlichen Gebühren
herabzusetzen, kann die Werbung mit bestimmten niedrigen Gebühren wettbewerbswidrig
sein.
2. Die Wettbewerbswidrigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Anwalt standardisiert die
Gebühren für eine Erstberatung unterschreitet und so den Bewertungsmaßstab der
Gebührenordnung verlässt, also sich nicht mehr an der Schwierigkeit der Beratung, dem
Umfang der Tätigkeit usw. orientiert, sondern den Gebührenrahmen willkürlich pauschal für
bestimmte Beratungsfälle festsetzt (hier: Werbung mit "Gebührenbeispielen" von 10 bis 50
EURO z.B. für eine arbeitsrechtliche Beratung).
NJW 2004, 3269-3270 (red. Leitsatz und Gründe) Info M 2004, Nr 4, 24 (red. Leitsatz und
Gründe) AnwBl 2004, 653-654 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-B 2005, 1 (red. Leitsatz und
Gründe) NJW-Spezial 2004, 286 (red. Leitsatz) BKK 2004, 427 (Kurzwiedergabe) ZAP
Fach 1, EN-Nr 730/2004 (red. Leitsatz) RVGreport 2004, 432 (red. Leitsatz) RVG
professionell 2004, 214 (red. Leitsatz) ArbRB 2004, 370 (red. Leitsatz, Kurzwiedergabe)
Verfahrensgang

nachgehend BVerfG 1. Senat 2. Kammer NichtannahmeBeschluss vom 27.
Oktober 2004 1 BvR 2292/04
Nichtannahmebeschluss: Wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs unzulässige
Verfassungsbeschwerde gegen die wettbewerbsrechtliche Verurteilung einer
Rechtsanwalts- GmBH wegen Zeitungswerbung mit festen Gebührensätzen bei
Erstberatungen
Diese Entscheidung wird zitiert von




Anmerkung Hansens, Heinz RVGreport 2004, 426-429
Erstberatung eines Arbeitnehmers
Anmerkung Hillmeister, Georg Info M 2004, Nr 4, 24
Anmerkung Nohr, Christian ArbRB 2004, 371
Anmerkung Goebel, Frank-Michael RVG-B 2005, 1-2
61
Nr. 2400 VV RVG
Für 1,8 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen:
- LG Saarbrücken, RVGReport 2005, 146 = JurBüro 2005, 306 = AGS
2005, 245 (überdurchschnittlich schwierig bei schwerer Verletzung und
Verdienstausfallansprüchen, selbst wenn Haftungsgrund unstreitig,
Toleranzgrenze 20%)
- AG Köln, AGS 2005, 287 (bei besonderem Umfang und besonderer
Schwierigkeit im Schadenersatzprozess)
Für 1,5 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen:
- AG Kempen, AGS 2005, 252 = JurBüro 2005, 591 (Toleranzgrenze von
20% findet auch bei der Kappungsgrenze von 1,3 Anwendung)
- AG Aachen, Schaden-Praxis 2005, 284 (für Gebührenbestimmung ist
grundsätzlich von der Mittelgebühr in Höhe von 1,5 auszugehen,
Reduzierung nur, wenn Tätigkeit weder umfangreich oder schwierig
war)
Für 1,3 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen und durchschnittlichen
Angelegenheiten:
- AG Aachen, RVGreport 2005, 60 (Toleranzgrenze 20%)
- AG Landstuhl, RVGreport 2005, 61 (zügige Verkehrsabwicklung)
- AG Karlsruhe, RVGreport 2005, 61 (Freistellungsanspruch wandelt sich
bei ernsthafter Weigerung in Zahlungsanspruch um)
- AG Bielefeld, RVGreport 2005, 62
- AG Kelheim, RVGreport 2005, 62 (Toleranzgrenze 20%)
- AG Jülich, RVGreport 2005, 63
- AG München, RVGreport 2005, 63
- AG Ingolstadt, DAR 2005, 178
- AG Gießen, RVG-Letter 2005, 33 (auch wenn die Sache weder
umfangreich noch schwierig war)
- AG Greifswald MDR 2005, 659 = RVGReport 2005, 191
- AG Gießen, RVGReport 2005, 149 0 Schaden-praxis 2005, 319
- AG Hagen, AGS 2005, 62 = JurBüro 2005, 194 = RVGReport 2005,
112
- AG Hamburg-Barmbek, RVGReport 2005, 148 = JurBüro 2005, 307
- AG Heidelberg, RVGReport 2005, 148 = JurBüro 2005, 254
- AG Nürnberg, JurBüro 2005, 363
- AG Nürnberg, RVGReport 2005, 192
- AG Gelsenkirchen, RVGReport 2005, 250 = JurBüro 2005, 252 = AGS
2005, 250 (die Gebühr von 1,3 ist Kappungsgrenze und kein neuer
Gebührenrahmen)
- AG Brilon, RVG-Letter 2005, 53
- AG Zweibrücken, RVG-Letter 2005, 54
- AG Chemnitz, AGS 2005, 252 = ZfSch 2005, 308 (nur in
Ausnahmefällen unter 1,3)
- AG Bad Neustadt, AGS 2005, 254 = ZfSch 2005, 310 (ohne
Besprechung und zügige und einfache Verkehrsunfallabwicklung)
62
-
-
-
-
AG Würzburg, RVGReport 2005, 247 = AGS 2005, 247
(Schematisierung auf 1,3 ist bei Verkehrsunfällen als
Massenphänomen gestattet)
AG Nettetal RVGReport 2005, 228
AG Wuppertal JurBüro 2005, 363
AG Limburg, RVGReport 2005, 267 = AGS 2005, 333 (bei nicht
streitiger Unfallregulierung)
AG Magdeburg, RVGReport 2005, 268 (bei Anspruchsschreiben mit
Formschreiben)
AG Hamburg, RVGReport 2005, 268 = AnwBl 2005, 588 (bei
unstreitiger Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung)
AG Essen, MDR 2005, 899 = ZfSch 2005, 512
AG St. Ingbert, AGS 2005, 334 (typischer Fall einer
Verkehrsunfallabwicklung)
AG Wetzlar, AGS 2005, 336
AG Lingen, AGS 2005, 337 (bei Mahnung des Arbeitslohnes)
AG München, Schaden-Praxis 2005, 285 (übermäßig strenge
Handhabung der Gebührenvorschriften bei der Bestimmung nach § 14
RVG ist vom Gesetzgeber nicht gewollt)
AG Bielefeld, RVG professionell 2005, 73
AG Hannover, RVG professionell 2005, 73
AG Kaiserslautern, RVG-Letter 2005, 52
AG Köln, RVG professionell 2005, 73
AG Köln, RVGReport 2005, 192 = AGS 2005, 146
AG München, RVG professionell 2005, 73
AG Hamburg, RVG professionell 2005, 73
AG Bielefeld, Verkehrsrecht aktuell 2005, 57 (die Gebühr von 1,3 ist
Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Coburg, RVGReport 2005, 190 = JurBüro 2005, 307 (die Gebühr
von 1,3 ist Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Delbrück, AGS 2005, 248 (die Gebühr von 1,3 ist Kappungsgrenze
und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Frankenthal, RVGReport 2005, 149 = JurBüro 2005, 254 = DAR
2005, 238 (die Gebühr von 1,3 ist Kappungsgrenze und kein neuer
Gebührenrahmen)
AG Hof, Verkehrsrecht aktuell 2005, 57 (die Gebühr von 1,3 ist
Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Iserlohn, RVGReport 2005, 147 = JurBüro 2005, 254 (die Gebühr
von 1,3 ist Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Karlsruhe, Verkehrsrecht aktuell 2005, 57 (die Gebühr von 1,3 ist
Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Lörrach, RVGReport 2005, 148 = JurBüro 2005, 255 (die Gebühr
von 1,3 ist Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Pinneberg, JurBüro 2005, 308 = AGS 2005, 249 (die Gebühr von
1,3 ist Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Saarlouis, AGS 2005, 249 (die Gebühr von 1,3 ist Kappungsgrenze
und kein neuer Gebührenrahmen)
AG Stuttgart, Verkehrsrecht aktuell 2005, 57 (die Gebühr von 1,3 ist
Kappungsgrenze und kein neuer Gebührenrahmen)
Für 1,0 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen:
63
-
AG Gronau, RVGreport 2005, 64
AG Berlin-Mitte, RVGreport 2005, 63
LG Coburg, RVGReport 2005, 310 = NZV 2005, 2005, 483 (bei
unterdurchschnittlichem Zeitaufwand)
Für 0,9 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen:
- AG Duisburg-Hamborn, NJW 2005, 911 = NJW-Spezial 2005, 114
- AG Osnabrück RVGReport 2005, 114 = JurBüro 2005, 308
- AG Duisburg-Hamborn, RVGReport 2005, 571 = VersR 2005, 571
- AG Stuttgart, RVGReport 2005, 189 = JurBüro 2005, 308
(Nachbarrechtsstreitigkeit und Besprechung mit dem Mandanten)
- AG Gütersloh, JurBüro 2005, 363 = Schaden-Praxis 2005, 250 (bei
Regulierung innerhalb von vier Tagen)
- AG Ettlingen, Schaden-Praxis 2005, 250 (einfacher Verkehrsunfall mit
unterdurchschnittlichem Zeitaufwand)
- AG Duisburg-Ruhrort, Schadenpraxis 2005, 250
- AG Arnstadt, NZV 2005, 484 = Schaden-Praxis 2005, 250
Für 0,8 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen:
- AG Gütersloh, NJW 2005, 2466 = NJW-RR 2005, 939 (wenn
Haftpflichtversicherung 100%ige Einstandspflicht mitgeteilt hat und RA
nur noch die Schadenspositionen zusammenstellt)
Für Gebührenrahmen von 0,5 bis 1,3:
- AG Worms, RVGReport 2005, 229 (bei einfach gelagerter
Verkehrsunfallschadenregulierung)
AG Köln Urteil vom 8. Juni 2005 147 C 86/05
Schadenersatzklage nach Verkehrsunfall: Gerichtliche Nachprüfung der
Angemessenheit einer 1,8-Geschäftsgebühr für den Geschädigtenanwalt
Orientierungssatz
1. Für den mit der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens beauftragten Rechtsanwalt ist
im Falle
a) des besonderen Umfangs der Angelegenheit infolge ungerechtfertigter Kürzung
sachverständig geschätzter Beträge, wodurch eine Rückfrage beim Sachverständigen und
weitere Korrespondenz erforderlich wurde, und
b) der besonderen Schwierigkeit der Angelegenheit infolge notwendiger vertiefter Befassung
mit dem Schadenersatzrecht einschließlich Rechtsprechungsrecherche (um die gegnerische
Versicherung durch entsprechende Hinweise zu einem Einlenken zu bewegen),
der Ansatz einer 1,8-Geschäftsgebühr gerechtfertigt.
64
2. Im Erstattungsprozess ist das Gericht angesichts des dem Rechtsanwalt eingeräumten
Ermessens beschränkt auf eine Kontrolle dahin, ob die Gebührenbestimmung unbillig ist (§
14 Abs. 1 S. 4 RVG), wofür angesichts der aufgezeigten Umstände nichts ersichtlich ist.
3. Im Erstattungsprozess ist die Einholung des Gutachtens des Vorstandes der
Rechtsanwaltskammer nicht erforderlich, da kein Streit zwischen Anwalt und Auftraggeber,
sondern zwischen Auftraggeber und einem ersatzpflichtigen Dritten gegeben ist.
AGS 2005, 287-288 (red. Leitsatz und Gründe) ZfSch 2005, 463-464 (red. Leitsatz und
Gründe) JurBüro 2005, 647 (red. Leitsatz und Gründe) AnwBl 2005, 723 (red. Leitsatz)
BGH 1. Zivilsenat Beschluß vom 20. Oktober 2005 I ZB 21/05
Geltendmachung der Abmahnkosten
Die auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4
der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG nicht anrechenbare Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 dieser
Anlage für eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung zählt nicht zu den Kosten des
Rechtsstreits i.S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren
nach §§ 103, 104 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG festgesetzt werden.
Gründe
I. Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerin mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Juli
2004 wegen einer Kennzeichenverletzung und eines Wettbewerbsverstoßes ab. Nachdem sich
die Antragsgegnerin geweigert hatte, die begehrte Unterwerfungserklärung abzugeben,
erwirkte die Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. In dem Beschluss wurden der
Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Antragstellerin u.a. beantragt, gegen die
Antragsgegnerin auch die anteilige Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG
(Vergütungsverzeichnis Anlage 1 zum RVG) abzüglich des nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4
VV RVG anzurechnenden Teils festzusetzen.
Das Landgericht hat dem Antrag insoweit nicht entsprochen. Das Oberlandesgericht hat die
sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen (OLG Hamburg MDR 2005, 898).
Mit ihrer (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag weiter,
die anteilige Geschäftsgebühr von 1.020,92 EUR festzusetzen.
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige
Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Kosten des vorgerichtlichen Abmahnschreibens seien keine Kosten des Rechtsstreits i.S.
des § 91 ZPO, die im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden könnten. Die
65
Zielrichtung des wettbewerbsrechtlichen Abmahnschreibens gehe dahin, den Rechtsstreit im
Wege des Vergleichs oder einer freiwilligen Leistung des Gegners zu vermeiden. Der
Rechtsfrieden solle ohne Prozess wiederhergestellt oder dem Gegner ein sofortiges
Anerkenntnis i.S. des § 93 ZPO verwehrt werden. Bei der Abmahnung gehe es nur darum, die
rechtlichen Voraussetzungen einer auch im Kostenpunkt erfolgreichen Klage herzustellen und
nicht die Durchführung eines Rechtsstreits vorzubereiten. Der Umstand, dass die Abmahnung
auch erfolge, um dem Gegner die Berufung auf § 93 ZPO zu verwehren, führe nicht dazu,
dass die Abmahnung aus nachträglicher Sicht als Vorbereitung des späteren Prozesses
angesehen werden könne.
2. Diese Auffassung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der
Rechtsbeschwerde kann die anteilige Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG für die
erfolglose Abmahnung nicht zur Erstattung im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104
ZPO angemeldet werden.
a) Die Frage, ob die Kosten, die für eine Abmahnung entstanden sind, zu den Kosten des
Rechtsstreits i.S. des § 91 ZPO zählen und im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden
können, war bereits vor dem Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 1. Juli
2004 in Rechtsprechung und Literatur umstritten (bejahend: OLG Köln NJW 1969, 935; OLG
München JurBüro 1982, 1192; KG WRP 1982, 25; OLG Nürnberg WRP 1992, 588; OLG
Dresden GRUR 1997, 318; OLG Düsseldorf AnwBl 2001, 187; Großkomm.UWG/Kreft, Vor
§ 13 C Rdn. 184; Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., Vor § 13 Rdn. 191; Teplitzky,
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 41 Rdn. 90;
Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rdn. 11; Dittmar, NJW 1986, 2088, 2089 f.;
Borck, WRP 2001, 20, 23 f.; a.A.: OLG Frankfurt GRUR 1985, 328; OLG Schleswig JurBüro
1985, 1863; OLG Hamburg MDR 1993, 388; OLG Rostock MDR 1996, 1192; OLG Hamm
MDR 1997, 205; OLG Karlsruhe AnwBl 1997, 681; Melullis, Handbuch des
Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl. Rdn. 802). Auch unter Geltung des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist die Frage nach wie vor umstritten. Für die anteilige,
nicht anrechenbare Geschäftsgebühr des Rechtsanwalts nimmt die überwiegende Ansicht
losgelöst von der Frage der Abmahnkosten generell an, diese Gebühr könne nicht im
Kostenfestsetzungsverfahren angemeldet werden, sondern müsse im Klageverfahren
eingeklagt werden (OLG Köln RVG-Report 2005, 76; OLG Frankfurt NJW 2005, 759;
Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Eulerich, NJW 2005, 3097, 3099; vgl. auch
Weglage/Pawliczek, NJW 2005, 3100; unter Geltung der BRAGO: OLG Bamberg JurBüro
1991, 704; OLG Karlsruhe MDR 2001, 293; OLG München MDR 2002, 237; OLG Frankfurt
JurBüro 2003, 201; a.A. OLG Frankfurt AGS 2004, 276; AG Hamburg ZMR 2005, 79, 80).
Teilweise wird die Möglichkeit einer Festsetzung der wettbewerbsrechtlichen Abmahnkosten
im Kostenfestsetzungsverfahren allgemein (Harte/Henning/Brüning, UWG, § 12 Rdn. 87;
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 91 Rdn. 286; Musielak/Wolst, ZPO, 4.
Aufl., § 91 Rdn. 36) oder jedenfalls der Festsetzung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV
RVG bejaht (M. Stöber, AGS 2005, 45, 47), während zum Teil die Möglichkeit der
Kostenfestsetzung der Abmahnkosten nach wie vor verneint wird (OLG Frankfurt GRUR
2005, 360; Ahrens/Scharen, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 11 Rdn. 3;
Baumbach/Hefermehl/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 12 UWG Rdn. 1.91;
Gerold/Schmidt/Madert, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, VV 2400 Rdn. 253;
Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rdn. 43; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 104 Rdn. 21
"Außergerichtliche Anwaltskosten").
b) Die für die Abmahnung entstehende Geschäftsgebühr zählt nicht zu den Kosten des
Rechtsstreits i.S. des § 91 ZPO.
66
aa) Zu den Prozesskosten rechnen nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines
Prozesses ausgelösten Kosten, sondern auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines
konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (vgl. BGH, Urt. v. 11.12.1986 - III ZR 268/85,
WM 1987, 247, 248; Stein/Jonas/Bork aaO § 91 Rdn. 39). Diese werden aus Gründen der
Prozesswirtschaftlichkeit den Prozesskosten zugerechnet und können im
Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden (vgl. BGH WM 1987, 247, 248;
Teplitzky aaO Kap. 41 Rdn. 90; Dittmar, NJW 1986, 2088, 2089 f.; M. Stöber, AGS 2005,
45, 47). Hierzu werden Kosten für Detektivermittlungen (vgl. OLG Frankfurt NJW 1971,
1183), für Testkäufe (KG GRUR 1976, 665) und für Nachforschungen im Zusammenhang
mit Patentstreitigkeiten (BPatGE 8, 181; Benkard/Schäfers, Patentgesetz, 9. Aufl., § 80 Rdn.
53) gerechnet.
bb) Die Kosten einer Abmahnung gehören nicht zu den einen Rechtsstreit unmittelbar
vorbereitenden Kosten. Die Abmahnung hat eine doppelte Funktion. Sie dient der
Streitbeilegung ohne Inanspruchnahme der Gerichte und mit ihr verfolgt der Gläubiger das
weitere Ziel, dem Schuldner die Möglichkeit zu verwehren, den gerichtlich geltend
gemachten Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anzuerkennen. Auch dieser
letztgenannte Zweck hat keine den Prozess unmittelbar vorbereitende Funktion. Zulässigkeit
und Begründetheit der Klage hängen nicht von einer vorangegangenen Abmahnung ab (vgl.
hierzu auch BGH, Beschl. v. 15.7.2005 - GSZ 1/04, GRUR 2005, 882, 885 = WRP 2005,
1408 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
Soweit der Gläubiger mit der Abmahnung darauf abzielt, die ihm ungünstige Kostenfolge des
§ 93 ZPO zu vermeiden, kommt diese Funktion auch einer Mahnung zu, ohne dass die
Mahnkosten den im Kostenfestsetzungsverfahren zu erstattenden Prozesskosten zugerechnet
werden (vgl. Musielak/Wolst aaO § 91 Rdn. 7; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 91
Rdn. 8; Zöller/Herget aaO § 91 Rdn. 13, Stichwort "Mahnschreiben"; a.A.
Wieczorek/Schütze/Steiner aaO § 91 Rdn. 70). Auch vermögen Gründe der
Prozesswirtschaftlichkeit nach der Neuregelung, die die Geschäftsgebühr durch das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz erfahren hat, eine Festsetzung der Abmahnkosten im
Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu rechtfertigen. Zwar erfolgt anders als unter Geltung der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, die eine Anrechnung der vorprozessual entstandenen
Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auf die Gebühren des anschließenden
gerichtlichen Verfahrens im vollen Umfang vorsah (§ 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO), nach der
Vorbemerkung 3 Abs. 4 des VV RVG nur eine anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf
die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens. Dadurch hat die Frage der Festsetzung
der für eine Abmahnung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entstandenen
Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren aber keine derartige Bedeutung erlangt,
dass allein aus Gründen der Verfahrensökonomie eine Festsetzung der nicht anrechenbaren
Geschäftsgebühr gerechtfertigt wäre. Im Regelfall wird ein Unterlassungsschuldner, der eine
im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 935, 940 ZPO ergangene
Verbotsverfügung hinnimmt, die für die Abmahnung entstandenen Kosten begleichen.
Akzeptiert der Schuldner die einstweilige Verfügung nicht, kann im anschließenden
Hauptsacheverfahren die anteilige, nicht anrechenbare Geschäftsgebühr ohne weiteres mit
eingeklagt werden. Die verbleibenden Fälle haben dagegen zahlenmäßig kein solches
Gewicht, dass anders als bei den Mahnkosten eine Kostenerstattung der Abmahnkosten im
Kostenfestsetzungsverfahren vorzusehen ist. Zudem müssen der materielle und der
prozessuale Kostenerstattungsanspruch keineswegs deckungsgleich sein. So kann der
Gläubiger zwar einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten nach § 12 Abs. 1 Satz 2
UWG haben, während der prozessuale Kostenerstattungsanspruch wegen eines nur teilweisen
Obsiegens im Prozess dahinter zurückbleibt, etwa wenn der Gläubiger nur mit dem
67
Unterlassungsantrag durchdringt, während der Auskunfts- und der Schadensersatzantrag
abgewiesen werden.
NSW ZPO § 91 (BGH-intern)
AG Kempen Urteil vom 1. Februar 2005 13 C 450/04
Schadenersatz bei Verkehrsunfall: Ersatzfähigkeit einer 1,5 Geschäftsgebühr für den
eingeschalteten Rechtsanwalt
Orientierungssatz
Für den mit der Regulierung eines Verkehrsunfalls beauftragten Rechtsanwalts kann eine
Geschäftsgebühr in Höhe von 1,5 angemessen sein. Zwar kann in Ansehung der
Kappungsgrenze in VV 2400 eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die
Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, so dass grundsätzlich von der 1,3fachen Gebühr
als Mittelgebühr auszugehen ist. Mit einer gegenüber dieser Mittelgebühr leicht erhöhten
Geschäftsgebühr von 1,5 ist der Rechtsanwalt in einer durchschnittlichen Verkehrsunfallsache
von der angemessenen Gebühr nur um lediglich 20% abgewichen. Bis zur Höhe von
einschließlich 20% aber ist die Abweichung vertretbar; dem Rechtsanwalt kann keine
unbillige Gebührenbestimmung i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG vorgeworfen werden.
ZfSch 2005, 309-310 (red. Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 252 (red. Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 591-592 (red. Leitsatz und Gründe)
§ 14 RVG; Nr. 2400 VV RVG
Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen
Leitsatz des Verfassers:
Auch in einer einfach gelagerten Verkehrsunfallsache hat der
RA einen Anspruch auf die 1,3 Geschäftsgebühr und ist nicht
verpflichtet, den Rahmen nach unten hin auszuschöpfen.
AG Lüdenscheid, Urt. v. 30. 12. 2004 – 92 C 321/04 = RVGreport 2005, Heft 3
I. Sachverhalt
Für die Vertretung bei der außergerichtlichen Schadensregulierung
hatte der RA des Klägers eine 1,3 Geschäftsgebühr angesetzt.
Die für den Schaden einstehende Haftpflichtversicherung
hatte lediglich die Geschäftsgebühr nach einem nicht mitgeteilten
niedrigeren Gebührensatz reguliert.
II. Höhe der Geschäftsgebühr
In seiner nur wenige Zeilen umfassenden Urteilsbegründung hat
das AG Lüdenscheid ausgeführt, dem RA stehe auch in einfach
gelagerten Fällen ein Anspruch auf die 1,3 Geschäftsgebühr zu.
Er sei hingegen nicht verpflichtet, den Rahmen nach unten hin
„auszuschöpfen“.
III. Kritische Anmerkung
Die Entscheidung ist zwar für die Anwaltschaft erfreulich, jedoch
nicht überzeugend. Die 1,3 Geschäftsgebühr ist als Regelgebühr
für all diejenigen durchschnittlichen Angelegenheiten bestimmt,
in denen die Tätigkeit des RA weder umfangreich noch
schwierig war. Handelt es sich hingegen um eine nicht durchschnittliche
68
Angelegenheit, sondern – wovon das AG Lüdenscheid
ausgegangen ist – um eine einfache Angelegenheit, ist
nicht mehr die Regelgebühr, sondern eine darunter liegende Gebühr
angemessen. Allenfalls könnte dem RA dann noch die Toleranzgrenze
von 20 % helfen. Wäre bei einer einfacheren Verkehrsunfallsache
eine 1,1 Gebühr gerechtfertigt, so würde die 1,3
Geschäftsgebühr noch innerhalb dieser Toleranzgrenze liegen. Eine
Herabsetzung durch das Gericht käme dann nicht in Betracht.
Viel entscheidender hängt die Höhe der Geschäftsgebühr von der
Beantwortung der Frage ab, ob die vom RA im konkreten Fall erledigte
Unfallschadenregulierung einfach, durchschnittlich oder
seine Tätigkeit sogar schwierig und/oder umfangreich war.
H.Hansens
§ 14 RVG; Nr. 2400 VV RVG
Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen
Leitsatz des Verfassers:
Eine unterhalb des Satzes von 1,3 liegende Geschäftsgebühr ist
nur dann gerechtfertigt, wenn alle für die Gebührenhöhe maßgebenden
Umstände eine Gebühr im unteren Bereich rechtfertigen
würden.
AG Bielefeld, Urt. v. 28. 12. 2004 – 41 C 1221/04
I. Sachverhalt
Für die Vertretung bei der außergerichtlichen Schadensregulierung
hatte der RA der Klägerin eine 1,3 Geschäftsgebühr angesetzt
und folgende Kosten berechnet:
1. 1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG
(Wert: bis 1.500 €) 136,50 €
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
3. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG + 25,04 €
_________
Summe: 181,54 € _________ _________
Die beklagte Haftpflichtversicherung, die für die Unfallfolgen einzustehen
hatte, hat die Zahlung jeglicher Anwaltskosten verweigert.
Mit ihrer Klage auf Freistellung von den Anwaltskosten hatte
die Klägerin Erfolg.
II. Eintrittspflicht für Rechtsanwaltskosten
Das AG Bielefeld hat darauf hingewiesen, dass die beklagte Haftpflichtversicherung
auch die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung,
die bei der gegebenen Sachlage zur Schadensbeseitigung
vernünftig und zweckmäßig erscheinen, zu ersetzen hat. Zu
diesen Rechtsverfolgungskosten gehörten auch die Kosten anwaltlicher
Hilfe im Rahmen einer außergerichtlichen Schadensregulierung.
Diese habe gem. § 249 BGB die Haftpflichtversicherung
in der erforderlichen Höhe zu tragen.
III. Höhe der Geschäftsgebühr
Das AG hat zunächst ausgeführt, bei der gem. § 14 RVG vorzunehmenden
Gebührenbestimmung sei zunächst von der Mittelgebühr
von 1,5 auszugehen. Anhand der einzelnen Umstände
des § 14 RVG sei dann zu prüfen, ob eine Erhöhung oder eine Verringerung
der Mittelgebühr angezeigt sei. Die so gefundene Gebühr
sei dann auf den Satz von 1,3 zu begrenzen, wenn die Tätigkeit
des RA nicht umfangreich oder schwierig war. Dies entspricht
auch der von den Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern
vorgeschlagenen Vorgehensweise (s. HANSENS
RVGreport 2004, 209, 213). Die von dem RA bestimmte 1,3 Geschäftsgebühr
sei nur dann nicht verbindlich, wenn die Bestimmung
unbillig sei (s. § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB, das AG hat noch die
frühere Vorschrift des § 315 Abs. 1 BGB zitiert). Ein solcher Ermessensmissbrauch
würde dann vorliegen, wenn alle für die Gebührenhöhe
maßgebenden Umstände eine Gebühr im unteren Bereich
rechtfertigen würden. Dies ließe sich jedoch dem Vorbringen
der Beklagten nicht entnehmen. Diese habe nicht vorgetragen,
dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin
noch die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin
unterdurchschnittlich wären. Wenn allein Umfang und Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit im unteren Bereich lägen, sei die
berechnete Geschäftsgebühr von 1,3 nicht ermessensmissbräuchlich.
69
IV. Kritische Stellungnahme
Das Urteil ist im Ergebnis zutreffend, jedoch sind die Ausführungen
des AG Bielefeld zur Darlegungs- und Beweislast unzutreffend.
Darlegungs- und beweispflichtig für den Grund und die Höhe
des Schadensersatzanspruchs ist allein der Kläger. Dieser hat
sowohl die die Haftung begründenden Umstände (die Eintrittspflicht
der Versicherung war hier unstreitig) als auch die haftungsausfüllenden
Umstände im Einzelnen darzulegen und im
Streitfall zu beweisen. Dies setzt hinsichtlich der Geschäftsgebühr
u.a. die Darlegung der für die Gebührenberechnung maßgebenden
Umstände im Einzelnen voraus (s.HANSENS RVGreport 2005,
42, 47).Der Kläger hat also darzulegen, welche nach § 14 RVG zu
berücksichtigenden Umstände der Bestimmung der verlangten
Geschäftsgebühr zugrunde liegen. Erst wenn der Kläger insoweit
seiner Darlegungspflicht genügt hat, kann der Beklagte diesen
Vortrag bestreiten oder Gegentatsachen vorbringen. Es ist also
nicht Sache der beklagten Haftpflichtversicherung – wie das AG
Bielefeld meint – vorzutragen, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse
des Klägers unterdurchschnittlich waren. Behauptet
beispielsweise der Kläger, sein RA habe bei der Gebührenbestimmung
durchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse
zugrunde gelegt, kann die beklagte Versicherung
dies bestreiten. Der Kläger muss dann die Einzelheiten der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse vortragen. Anhand der
Unterlagen des Statistischen Bundesamtes kann dann festgestellt
werden, ob die Verhältnisse des Klägers tatsächlich durchschnittlich
sind, wie behauptet.
Da sich die beklagte Haftpflichtversicherung offensichtlich vorprozessual
geweigert hatte, die Anwaltskosten zu tragen, hätte
die Klägerin hier sogar auf Zahlung anstelle auf Freistellung klagen
können (s. hierzu HANSENS RVGreport 2005, 42, 47).
In der Sache verwundert, wie die beklagte Haftpflichtversicherung
mit den ihr anvertrauten Geldern ihrer Versicherten herumgegangen
ist. Die von Anfang an ziemlich aussichtslose Weigerung
der Versicherung, auch die Anwaltskosten zu erstatten, hat
die Versichertengemeinschaft mehr gekostet, als überhaupt im
Streit war, nämlich:
I. Gerichtskosten:
3,0Verfahrensgebühr,GKG KostVerz. Nr. 1210
(Wert: 181,54 €) 75,00 €
II. Anwaltskosten der Klägerin:
1. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG
(Wert: 181,54 €) 32,50 €
2. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG
(Wert: 181,54 €) 30,00 €
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 12,50 €
4. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG + 12,00 €
___________
Summe: 87,00 € ___________ ___________
III. Anwaltskosten der Beklagten(!):
wie bei der Klägerin 87,00 €
Damit hat die Versicherung für ihre zu erwartende Verurteilung
249 € aufgewandt.
H.Hansens
§ 14 RVG; Nr. 2400 VV RVG
Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen
Leitsatz des Verfassers:
Für die außergerichtliche Regulierung eines Verkehrsunfallschadens
steht dem RA grds. eine 1,3 Geschäftsgebühr zu, solange
seine Tätigkeit nicht umfangreich und nicht schwierig
war.
AG Hagen, Beschl. v. 3. 1. 2005 – 19 C 572/04
I. Sachverhalt
Für die außergerichtliche Verkehrsunfallschadenregulierung hatte
der RA seinem Auftraggeber eine 1,3 Geschäftsgebühr berechnet.
Die für den Schaden eintretende Haftpflichtversicherung verweigerte
70
deren Zahlung. Hieraufhin verklagte der Auftraggeber
des RA die Halterin des gegnerischen Fahrzeugs und deren Haftpflichtversicherung
auf Freistellung von den Anwaltskosten.
Nachdem die Haftpflichtversicherung die Anwaltskosten gezahlt
hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für
erledigt erklärt. Das AG Hagen hat den Beklagten die Kosten des
Rechtsstreits als Gesamtschuldner auferlegt.
II. Höhe der Geschäftsgebühr
Nach Auffassung des AG hatte der Prozessbevollmächtigte des
Klägers seinem Auftraggeber zu Recht eine 1,3 Geschäftsgebühr
berechnet. Diese habe die bisherige Besprechungsgebühr nach §
118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO ersetzt. Für durchschnittliche Angelegenheiten
sei grds. eine 1,5 Geschäftsgebühr gerechtfertigt. Für die
außergerichtliche Regulierung eines Verkehrsunfallschadens
könne der RA grds. eine 1,3 Geschäftsgebühr als Schwellengebühr
verlangen, solange seine Tätigkeit nicht umfangreich und
nicht schwierig war. Da die Beklagten sich zur Gebührenhöhe
nicht geäußert hätten, sei deshalb zugunsten des Klägers davon
auszugehen, dass die von seinem RA angesetzte 1,3 Geschäftsgebühr
begründet war.
III. Kritische Stellungnahme
Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG ersetzt entgegen der
Auffassung des AG Hagen nicht die Besprechungsgebühr aus §
118 Abs.1 Nr.2 BRAGO, sondern sämtliche der in § 118 Abs.1 BRAGO
aufgeführten drei Gebühren. Bei der außergerichtlichen Vertretung
konnten allerdings lediglich die Geschäftsgebühr und die
Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO anfallen,
bspw. in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten zusätzlich
noch die Beweisaufnahmegebühr des § 118 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO.
Für unzutreffend halte ich die Auffassung des AG Hagen, der Beklagte
müsse konkrete Einwendungen gegen die Höhe der von
dem Anwalt des Klägers bestimmten Geschäftsgebühr erheben.
Zunächst muss nämlich der Kläger die anspruchsbegründenden
Tatsachen im Einzelnen vortragen, wozu auch die Umstände i.S.v.
§ 14 Abs. 1 RVG gehören, die sein RA bei der Bestimmung der Geschäftsgebühr
berücksichtigt hat. Erst auf diesen Vortrag hin obliegt
es dem Beklagten, konkrete Einwendungen zu erheben.
In den übrigen mir bekannt gewordenen Entscheidungen hatte
der jeweilige Kläger die (restliche) Geschäftsgebühr allein gegen
die Haftpflichtversicherung seines Unfallgegners eingeklagt.
Hierbei ist das Kostenrisiko geringer. Im Falle des (Teil-)Unterliegens
kommt nämlich zu den erstattungsfähigen Kosten der Beklagtenseite
ggf. die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG in
Betracht, soweit sich die Haftpflichtversicherung und der Halter
anwaltlich vertreten lassen. Dies kommt zwar in der Praxis selten
vor, in dem Fall des AG Bielefeld, RVGreport 2005, XXX (HANSENS)
hatte sich jedoch die allein verklagte Haftpflichtversicherung anwaltlich
vertreten lassen. In jenem Fall war diese allerdings unterlegen.
H.Hansens
§ 14 RVG; Nr. 2400 VV RVG
Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen
Leitsätze des Verfassers:
1. Der Gesetzgeber kann nicht eine nahezu Verdopplung der
Gebühren für einfache und durchschnittliche Fälle der Unfallschadenregulierung
(1,3 Geschäftsgebühr nach Nr.
2400 VV RVG statt 7,5/10-Geschäftsgebühr nach § 118 Abs.
1 Nr.1 BRAGO) gewollt haben. Eine höhere Geschäftsgebühr
als 0,8 kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn entweder
der Fall schwierig oder/und umfangreicher als üblich ist
oder aber wenn zusätzlich Tätigkeiten wie eine Besprechung
oder Teilnahme an einer Beweisaufnahme anfallen.
2. Ob eine 1,3 oder eine 0,8 Geschäftsgebühr angemessen ist,
stellt eine Rechtsfrage dar, die das Gericht aus eigener
Kenntnis ohne Einholung eines Gutachtens des Vorstandes
der Rechtsanwaltskammer zu klären hat.
AG Herne, Urt. v. 23. 12. 2004 – 5 C 349/04 –
71
I. Sachverhalt
Auf das Fahrzeug des verkehrsbedingt haltenden Klägers schob
das Fahrzeug der Beklagten zu 1 den dahinter anhaltenden LKW.
Hierdurch wurde der Pkw des Klägers beschädigt wurde. Nachdem
die Beklagte zu 1 ihre Haftpflichtversicherung von dem Unfall
unterrichtet hatte, bestätigte diese dem Kläger drei Tage nach
dem Unfall ihre grds. Eintrittspflicht. Kurz darauf machten die späteren
Prozessbevollmächtigten des Klägers die Ansprüche bei der
Haftpflichtversicherung geltend. Diese erkannte ihre Eintrittspflicht
zu 100 % an und rechnete den Unfallschaden ab, die Nutzungsausfallentschädigung
übernahm sie jedoch nicht. Kurz darauf
machte der Kläger auch seine Rechtsanwaltskosten gegenüber
der Haftpflichtversicherung wie folgt geltend:
1. 1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG
(Wert: 2.155,77 €) 209,30 €
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
3. 16 % USt, Nr. 7008 VV RVG + 36,69 €
_________
Summe: 265,99 € _________ _________
Hierauf zahlte die Versicherung nur eine 0,8 Geschäftsgebühr, sodass
sich die erstatteten Anwaltskosten wie folgt errechnen:
1. 0,8 Geschäftsgebühr, Nr. 2400 VV RVG
(Wert: 2.155,77 €) 128,80 €
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
3. 16 % USt, Nr. 7008 VV RVG + 23,81 €
_________
Summe: 172,61 € _________ _________
(im Urteil wird allerdings ein Betrag von 175,51 € genannt).
Den Restbetrag von (265,99 € – 172,61 € =) 93,38 € machte der
Kläger gegen die Unfallgegnerin und deren Haftpflichtversicherung
klageweise geltend.
II. Höhe der Geschäftsgebühr
Nach Auffassung der Amtsrichterin war lediglich die von der Haftpflichtversicherung
gezahlte 0,8 Geschäftsgebühr anzusetzen. In
Anwendung der bisherigen Regelung in § 118 Abs. 1 Nr.1 BRAGO
hätten die RAe für ihre Tätigkeit bei der Unfallschadenregulierung
eine 7,5/10-Geschäftsgebühr erhalten, die sich zzgl. Postentgeltpauschale
und USt auf 161,07 € errechnet hätte. Aus dem neuen
§14 RVG werde deutlich, dass der Gesetzgeber alle bisherigen Gebührentatbestände
des § 118 Abs. 1 BRAGO durch die Geschäftsgebühr
nach Nr. 24000 VV RVG abdecken wollte. Jedoch sei dem
Gesetz nicht zu entnehmen, dass eine Gebühr von 1,3 der Regelfall
für die Schadenregulierung bei Verkehrsunfällen sein solle. Da
der Gesetzgeber den Begriff der „Regelgebühr“ gerade nicht in
das Gesetz geschrieben habe, komme es auf die diesen Begriff erwähnenden
amtlichen Begründungen ebenso wenig an wie auf
die Äußerung des parlamentarischen Staatssekretärs im BMJ. Der
Gesetzgeber könne auch nicht eine nahezu Verdoppelung der
Gebühren für einfache und durchschnittliche Fälle von der bisherigen
7,5/10-Gebühr auf eine 1,3 Gebühr gewollt haben, da er dies
ansonsten in das Gesetz hätte schreiben müssen.
III. Kein Gutachten der Rechtsanwaltskammer
Nach dem Wortlaut des § 14 Abs.2 RVG sei zwar ein Gutachten des
Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen, wenn in einem
Rechtsstreit die Höhe der Gebühren streitig sei. Jedoch sei
die Auslegung von Gesetzen die ureigenste Aufgabe eines Gerichtes,
von der es sich auch nicht durch diverse Sachverständigengutachten
befreien könne. Die Rechtsfrage, ob eine Gebühr
von 1,3 oder aber von 0,8 angemessen sei bzw. eine Mittelgebühr
darstelle, könne jedoch das Gericht aus eigener Kenntnis lösen.
Mit der Schaffung des § 14 Abs. 2 RVG könne der Gesetzgeber
nicht gewollt haben, Teile der Rechtsprechung auf die Rechtsanwaltskammer
zu verlagern.
IV. Kritische Stellungnahme
Statt mit markigen Worten die unabhängige Stellung des Richters
zu betonen, hätte die Amtsrichterin besser das Gesetz richtig anwenden
sollen. So hätte sie sich an dem Begriff der tatsächlich gesetzlich
nicht erwähnten „Regelgebühr“ nicht stören müssen, sondern
72
hätte von der seit langem einhellig anerkannten 1,5 Mittelgebühr
für Durchschnittsfälle ausgehen müssen. Dann hätte sie
sich mit der Frage befassen müssen, ob die Tätigkeit des RA umfangreich
und/oder schwierig war. Verneinendenfalls hätte sie
prüfen müssen, ob die nach § 14 RVG zu berücksichtigenden Umstände
durchschnittlich oder unterdurchschnittlich waren. Gerade
diese wichtige Prüfung hat die Amtsrichterin hingegen nicht
vorgenommen. Sie hätte dann erkannt, dass ihre Auffassung,„ein
erhöhter Gebührenrahmen“ sei nur dann angemessen, wenn
entweder der Fall schwieriger und/oder umfangreicher als üblich
ist oder aber wenn zusätzliche Tätigkeiten wie eine Besprechung
oder Teilnahme an einer Beweisaufnahme anfallen, unzutreffend
ist. Es gibt auch keinen „erhöhten Gebührenrahmen“, sondern nur
einen einzigen Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5. Bei richtiger Gesetzesanwendung
hätte die Amtsrichterin auch erkannt, dass entgegen
ihrer Auffassung der Gesetzgeber im Bereich der Geschäftsgebühr
für Durchschnittsfälle eine Gebührenanhebung
ausdrücklich vorgesehen hat (so ausdrücklich AG Landstuhl
RVGreport 2005, 61 [HANSENS]).
Auch die Ausführungen zur Einholung eines Gutachtens des Vorstandes
der Rechtsanwaltskammer sind falsch. § 14 Abs. 2 Satz 1
RVG betrifft nur den Rechtsstreit zwischen RA und Auftraggeber,
nicht hingegen den Schadensersatzprozess des Geschädigten
gegen die Haftpflichtversicherung. In einem solchen Rechtsstreit
muss ein Gutachten also nicht eingeholt werden (HANSENS
RVGreport 2005, 42, 47; AG Aachen RVGreport 2005, 60 [HANSENS]).
Die Amtsrichterin wäre jedoch besser beraten gewesen,
gleichwohl ein solches Gutachten, zu dessen Erstattung sich die
Rechtsanwaltskammern allgemein bereit erklärt haben, einzuholen.
Wie die eigenen Ausführungen der Amtsrichterin zeigen, ist
sie ohne den Sachverstand der zuständigen Anwaltskammer gerade
nicht in der Lage gewesen, den Begriff der „Mittelgebühr“
richtig zu erkennen und anzuwenden.
In der Sache dürfte es sich um einen eher einfachen Fall gehandelt
haben, für den ich eine Geschäftsgebühr im Bereich von 0,9
– 1,1 vorgeschlagen habe (s.HANSENS RVGreport 2005,42,44).Wäre
nach Auffassung des Gerichts eine 1,1 Gebühr angemessen, so
läge die von den RAe bestimmte Geschäftsgebühr noch innerhalb
der Toleranzgrenze von 20 % und wäre dann vom Gericht
nicht herabzusetzen gewesen. Auch hierzu hat sich die Amtsrichterin
nicht geäußert.
Der Kläger hat die zugelassene Berufung zum LG Bochum – 5 S
15/05 – eingelegt, das hoffentlich das Gesetz anwenden wird.
H.Hansens
AG Landstuhl Urteil vom 23. November 2004 4 C 189/04
RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 2400, RVG § 13, RVG § 14
Rechtsanwaltsvergütung: Zügige Abwicklung eines Verkehrsunfallschadens
Orientierungssatz
Im Fall einer zügigen Abwicklung eines Verkehrsunfallschadens durch den Rechtsanwalt
liegt eine durchschnittliche Angelegenheit vor, für die eine Geschäftsgebühr in Höhe der
Regelgebühr von 1,3 gerechtfertigt ist.
NJW 2005, 161 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 6-7 (red. Leitsatz)
AG Nürnberg Entscheidung vom 3. Februar 2005 21 C 9007/04
73
RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 2400, RVG § 14
Schadenersatz bei Verkehrsunfall: Ersatzfähigkeit einer 1,3 Geschäftsgebühr des
unfallregulierenden Rechtsanwalts
Orientierungssatz
In einer durchschnittlichen Verkehrsunfallangelegenheit ist es nicht zu beanstanden, wenn der
Rechtsanwalt des Geschädigten eine 1,3 Geschäftsgebühr ansetzt.
Verkehrsrecht aktuell 2005, 37 (red. Leitsatz)
AG Gießen Entscheidung vom 1. Februar 2005 46 C 2379/04
RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 2400, RVG § 14
Schadenersatz bei Verkehrsunfall: Ersatzfähigkeit einer 1,3 Geschäftsgebühr des
unfallregulierenden Rechtsanwalts
Orientierungssatz
In einer durchschnittlichen Verkehrsunfallangelegenheit ist es nicht zu beanstanden, wenn der
Rechtsanwalt des Geschädigten eine 1,3 Geschäftsgebühr ansetzt.
Verkehrsrecht aktuell 2005, 37 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 149 (red. Leitsatz)
AG Hamburg-Barmbek Entscheidung vom 18. Januar 2005 814 C 328/04
RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 2400, RVG § 14
Schadenersatz bei Verkehrsunfall: Ersatzfähigkeit einer 1,3 Geschäftsgebühr des
unfallregulierenden Rechtsanwalts
Orientierungssatz
In einer durchschnittlichen Verkehrsunfallangelegenheit ist es nicht zu beanstanden, wenn der
Rechtsanwalt des Geschädigten eine 1,3 Geschäftsgebühr ansetzt.
Verkehrsrecht aktuell 2005, 37 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 148-149 (red. Leitsatz)
AG Singen Urteil vom 27. Januar 2005 1 C 281/04
RVG § 2 Abs 2 Anl 1 Nr 2400, RVG § 14, BGB § 254 Abs 2
Schadenersatz bei Verkehrsunfall: Ersatzfähige Geschäftsgebühr des
Geschädigtenanwalts und deren Anrechnung im Prozess
74
Orientierungssatz
1. In einer Verkehrsunfallsache kann der Geschädigte von der gegnerischen KfzHaftpflichtversicherung die Freistellung von einer 1,3 Geschäftsgebühr für die Tätigkeit
seines Rechtsanwalts verlangen. Hierzu ist der Versicherer verpflichtet, selbst wenn die
entsprechende Gebührennote leicht überhöht wäre. Auch aus der Schadensminderungspflicht
gem. § 254 Abs. 2 BGB folgt nicht, dass der Geschädigte schuldhaft zu einem zu hohen
Schaden beitragen würde, wenn er die Anwaltsrechnung mit einem Gebührensatz von 1,3
akzeptiert.
2. Im gerichtlichen Verfahren ist jedoch die Anrechnungsvorschrift von Nr. 2400 VV-RVG
zu beachten. Auch wenn es hier nicht um Zahlung, sondern um Freistellung geht und um
grundsätzliche Fragen des Gebührenrechts gestritten wird, liegt doch außergerichtlich und
gerichtlich der selbe Streitgegenstand vor. Somit ist die Hälfte der Gebühr, die in das
gerichtliche Verfahren übergegangen ist, anzurechnen.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte
Z gemäß Rechnung vom 03.11.2004 in Höhe von 23,17 EUR freizustellen. Im übrigen wird
die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe
Sicherheit leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Am 07.10.2004 ereignete sich im Kreisverkehr bei der Firma Mc Donalds in Singen ein
Verkehrsunfall. Hierbei wurde das Fahrzeug der Klägerin mit dem amtlichen Kennzeichen
XXX beschädigt. Die alleinige Haftung trifft den Unfallgegner mit seinem PKW mit dem
amtlichen Kennzeichen YYY. Dieses Fahrzeug ist bei der Beklagten haftpflichtversichert. Zur
Abwicklung dieses üblichen Verkehrsunfalls mandatierte die Klägerin eine
Rechtsanwaltskanzlei. Die Kanzlei ließ mit Anwaltsschreiben vom 13.10.2004 zum Grunde
und mit weiterem Anschreiben vom 22.10.2004 zur Höhe des Schadens vortragen. Der
Beklagten wurde eine Gebührenrechnung der von der Klägerin mandatierten
Rechtsanwaltskanzlei vom 03.11.2004 zugesandt. Dort wird von einem - unbestrittenen Gegenstandswert von 1.682,22 EUR ausgegangen. Es wird u.a. eine Geschäftsgebühr von 1,3
gemäß 2400 VV-RVG in Höhe von 172,90 EUR zzgl. Mehrwertsteuer erhoben. Die Beklagte
akzeptierte die vollumfängliche Haftung und regulierte den gesamten Schaden mit Ausnahme
der Rechtsanwaltsrechnung, die nur anteilig reguliert wurde. Auf den Gesamtbetrag der
Rechnung in Höhe von 223,76 EUR wurden 177,42 EUR bezahlt. Der Restbetrag (Differenz
der Faktoren 1,0 und 1,3 der Geschäftsgebühr) ist Streitgegenstand.
75
Da die Klägerin selbst den Restbetrag nicht bezahlt hat, begehrt sie mit dieser Klage
Freistellung. Sie ist der Auffassung, dass eine Geschäftsgebühr von 1,3 gemäß Nr. 2400 VVRVG zu regulieren sei. Dies entspräche dem Gesetzeswortlaut der Bestimmung. Es sei
außerdem herrschende Meinung, dass die Mittelgebühr nach dem neuen Gebührenrecht 1,5
betrage. Aufgrund der Gesetzesformulierung könne jedoch eine Gebühr von mehr als 1,3 nur
gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig sei. Umgekehrt bedeutet
dies aber auch, dass dann, wenn die Rechnung diese zusätzlichen Merkmale nicht enthalte,
jedenfalls die Gebühr mit 1,3 anzusetzen sei.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Gebührenansprüchen
der Rechtsanwälte Z gemäß Rechnung vom 03.11.2004 in Höhe von 46,34
EUR freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass aus den Gesetzesmotiven sich ergebe, dass der
Gesetzgeber keinesfalls eindeutig erkannt habe, dass die Schwellengebühr von 1,3 zur
Regelgebühr werden solle. Eine generelle Gebührenerhöhung sei nicht Wille des
Gesetzgebers gewesen. Deshalb sei nur eine Gebühr in Höhe von 1,0 bezahlt worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf hälftige Freistellung von den
streitgegenständlichen Gebührenansprüchen in Höhe von 23,17 EUR aus §§ 823, 249 BGB, 7
Abs. 1 StVG, 1, 3 PflVersG.
1. Seit langem anerkannt ist, dass dem Geschädigten grundsätzlich auch die bei der
Verfolgung seines Schadensersatzanspruches entstandenen Rechtsanwaltskosten als adäquater
dem Schädiger zurechenbarer Folgeschaden zu ersetzen sind (s. Palandt, Komm. zum BGB
64. Auflage § 249, 39). Richtigerweise begehrt die Klägerin, die selbst die Gebührennote
nicht bezahlt hat, mangels Vermögensschaden auch nicht Zahlung an sich, sondern
Freistellung (s. hierzu z.B. OLG Hamm VersR 2001, 249; LG Berlin DAR 2000, 361).
2. Die Beklagte ist grundsätzlich verpflichtet, die Klägerin von der gesamten Geschäfts
gebühr von 1,3 gemäß der Gebührennote der klägerischen Anwälte vom 03.11.2004
freizustellen.
Hierzu ist die Beklagte verpflichtet, selbst wenn die Gebührennote leicht überhöht wäre.
Gemäß §§ 249 ff BGB sind die zur Schadensbeseitigung erforderlichen Kosten vom
Schädiger, bzw. hier von seiner Versicherung zu begleichen, bzw. ist hiervon freizustellen.
Das Kriterium der Erforderlichkeit bedeutet jedoch nicht, dass dann, wenn eine leicht
überhöhte Geschäftsgebühr in Rechnung gestellt wird und der Geschädigte keine
Anhaltspunkte dafür hat, die Überhöhung zu erkennen, der Schaden nicht auch insoweit
vollumfänglich zu begleichen ist (so auch AG Wiesbaden, NZV 2004, 417, beim dortigen Fall
war eine 8/10 Geschäftsgebühr statt einer 7,5/10 Geschäftsgebühr in Ansatz gebracht
worden). Der gegenteiligen Auffassung (AG Düsseldorf RuS 1977, 1) wird nicht gefolgt, weil
anderenfalls vom Geschädigten abverlangt würde, dass er sich mit seinem eigenen Anwalt
76
zivilrechtlich bis hin zum Prozess über die Gebührenhöhe auseinandersetzt . Dies würde das
Vertrauensverhältnis, das zwischen Anwalt und Mandant bestehen soll, beschädigen.
3. Auch aus der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB folgt nicht, dass die Klägerin
schuldhaft zu einem zu hohen Schaden beitragen würde, wenn sie die Rechnung mit einem
Gebührensatz von 1,3 akzeptiert (mehrfach bereits entschieden zu Fällen, bei denen ein
Sachverständigengutachten nach einem Verkehrsunfall eingeholt wurde, so AG Bielefeld Schaden-Praxis 2002, 359, AG München, VersR 1999, 332 und AG Recklinghausen ZfSch
1999, 195). Die Grenze ist dort zu ziehen, wo sich die Unangemessenheit der
Gebührenberechnung aufdrängt, bzw. wenn Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass Anwalt
und Mandant zusammenwirken, um von der gegnerischen Versicherung eine überhöhte
Rechnung beglichen zu bekommen.
4. Somit ist die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Schädigers grundsätzlich
verpflichtet, auch eine leicht überhöhte Gebührenrechnung zu bezahlen, bzw. hiervon
freizustellen. Jedoch ist die Anrechnungsvorschrift von Nr. 2400 VV-RVG zu beachten. Auch
wenn es hier nicht um Zahlung, sondern um Freistellung geht und um grundsätzliche Fragen
des Gebührenrechts gestritten wird, so liegt doch außergerichtlich und gerichtlich der selbe
Streitgegenstand vor, nämlich die Haftung aus dem Verkehrsunfall. Somit ist die Hälfte der
Gebühr die in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist, anzurechnen. Die Hälfte des
streitigen Betrages von 46,34 EUR sind 23,17 EUR.
Außerdem muss der Beklagten die Möglichkeit gegeben werden, sich ggfs. direkt mit dem
Rechtsanwalt, der die überhöhte Gebührennote erstellt hat, auseinander zu setzen. Dies kann
dadurch geschehen, dass der Kläger (auf richterlichen Hinweis) der Versicherung die
Abtretung etwaiger Ansprüche gegen seinen Anwalt anbietet und hierauf eine Verurteilung
zur Zahlung (Freistellung) Zug-um-Zug gegen Abtretung der Ansprüche tenoriert wird.
Im vorliegenden Fall unterblieb eine entsprechende Verurteilung Zug-um-Zug, da eine
Gebührenüberhöhung der Rechtsanwaltskanzlei der Klägerin aus scheidet. Gemäß § 14 RVG
i.V.m. Nr. 2400 VV-RVG beträgt die Rahmen gebühr bei der (außergerichtlichen)
Geschäftsgebühr 0,5 bis 2,5. Bei der Nr. 2400 ist jedoch weiter wörtlich festgehalten: Eine
Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder
schwierig war. Nun bedarf es wenig rechnerischen Geschicks, um die mathematische Mitte
zwischen 0,5 und 2,5 mit 1,5 zu errechnen. Auch wenn heute Gesetze mit weniger Bedacht
verabschiedet werden, ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bekannt war, dass nach
der alten Regelung des § 118 BRAGO tatsächlich in durchschnittlich schweren Fällen die
mathematische Mitte zwischen 5/10 und 10/10 mit 7,5/10 als Mittelgebühr anerkannt war (s.
Gerold/Schmid u.a. Komm. Zur BRAGO, 14. Auflage, § 12, 18 und dortige Nachweise).
Sowohl die mathematische Mittelgebühr nach der neuen Vorschrift als auch die
Verfahrensweise zu § 118 BRAGO fand Einfluß in die Gesetzesmotive
(Bundestagsdrucksache15/1971, Seite 207) in dem es dort heißt: In durchschnittlichen
Angelegenheiten ist grundsätzlich von der Mittelgebühr (1,5) auszugehen. In der Anmerkung
soll jedoch bestimmt werden, dass der Rechtsanwalt eine Gebühr von mehr als 1,3 nur fordern
kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Damit ist gemeint, dass Umfang
oder Schwierigkeit über dem Durchschnitt liegen. In anderen Fällen dürfte die
Schwellengebühr von 1,3 zur Regelgebühr werden.
Rechnerisch und denklogisch ist somit unhaltbar eine neue oder weitere Rahmengebühr von
0,5 bis 1,3 zu schaffen und hieraus einen (kleinen?) Mittelwert von 0,9 zu bilden. Dies gibt
der Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses gewiss nicht her. Zieht man die Motive des
77
Gesetzgebers hinzu, wird darüberhinaus klar, dass der Gesetzgeber gewollt hat, dass in den
Fällen, in denen die Tätigkeit weder vom Umfang noch von der Schwierigkeit her über dem
Durchschnitt lag, mehr als 1,3 nicht in Ansatz gebracht werden können. Zum anderen wird das sei noch einmal wiederholt - festgehalten, dass in den nicht überdurchschnittlichen Fällen
die Schwellengebühr von 1,3 zur Regelgebühr wird. Somit ergibt sich aus der Heranziehung
der Gesetzesmaterialien auch, dass nur in den Fällen in denen die Tätigkeit des
Rechtsanwaltes vom Umfang oder von der Schwierigkeit her über dem Durchschnitt lag, von
der Schwellengebühr von 1,3 nach oben abzuweichen ist. Von einem Abweichen nach unten
kann jedoch bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall nicht ausgegangen werden. Hierzu
kann auf die langjährige Rechtsprechung zur Schadensregulierung von Verkehrsunfällen nach
dem alten Recht abgestellt werden.
5. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr.
11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Sowohl die
Fragen zur Erforderlichkeit und der Schadensminderungspflicht betreffend eine etwaigen
Gebührenüberhöhung als auch der Streit über den Berechnungsfaktor der Geschäftsgebühr bei
Verkehrsunfällen nach dem neuen Recht hat grundsätzliche Bedeutung, dient der Fortbildung
des Rechts und zumindest der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im
Landgerichtsbezirk.
RVG-Letter 2005, 33-34 (red. Leitsatz)
Bayerisches Oberstes Landesgericht Vergabesenat Beschluß vom 16. Februar 2005 Verg
028/04, Verg 28/04
GWB § 128, RVG § 14 Abs 1 S 1, RVG § 14 Abs 1 S 4, ZPO § 91 Abs 2 S 1
Leitsatz
1. Wird ein Anwalt im Vergabenachprüfungsverfahren tätig, ist es auch bei durchschnittlichen
Fällen jedenfalls dann nicht unbillig, den 2,5-fachen Gebührensatz abzurechnen, wenn der
Antrag zulässig war und eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
2. Die Reisekosten eines auswärtigen Anwalts sind auch im Vergabenachprüfungsverfahren
nur erstattungsfähig, wenn die Zuziehung dieses Anwalts zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Das ist nicht der Fall, wenn die
Beigeladene am Ort der zuständigen Vergabekammer ihren Firmensitz hat und dort auf eine
große Zahl spezialisierter Anwälte zurückgreifen kann.
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der
Vergabekammer Südbayern vom 21. Dezember 2004 in Ziff. 1 und 2 dahingehend
78
abgeändert, dass die der Beigeladenen durch die anwaltliche Vertretung erwachsenen
notwendigen Aufwendungen im Nachprüfungsverfahren auf 37.510 EUR festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragstellerin 19/20 und die
Beigeladene 1/20 zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 14.732 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner beabsichtigt den Neubau einer staatlich anerkannten privaten Berufsschule
zur sonderpädagogischen Förderung. Den Auftrag, ihm ein geeignetes Gelände zu beschaffen,
die Baugenehmigung einzuholen, die Finanzierung sicherzustellen und nach seinen Vorgaben
ein Schulgebäude zu errichten, schrieb er im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaft als Verhandlungsverfahren europaweit aus. Neben der Beigeladenen gehörte
auch die Antragstellerin zum Kreis der Bewerber, die er zur Abgabe eines Angebots
aufforderte. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin am 22.7.2004 nach § 13 VgV mit,
dass ihr der Zuschlag nicht erteilt werden könne, weil das Angebot nicht das wirtschaftlichste
sei. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Nach
erfolgloser Rüge rief die Antragstellerin die Vergabekammer an mit dem Ziel, den Zuschlag
auf das Angebot der Beigeladenen zu verhindern und das Verhandlungsverfahren mit ihrer
Beteiligung fortzuführen. Die Vergabekammer hat mit bestandskräftigem Beschluss vom
1.9.2004 den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Kosten des
Verfahrens der Antragstellerin auferlegt. Zugleich hat sie die Zuziehung eines
Bevollmächtigten durch die Beigeladene für notwendig erklärt.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.12.2004 hat die Vergabekammer die der
Beigeladenen durch die anwaltliche Vertretung erwachsenen notwendigen Aufwendungen im
Nachprüfungsverfahren auf 24.013,60 EUR festgesetzt. Die Kammer ist von einem für die
anwaltliche Gebührenbemessung maßgeblichen Streitwert von 4.460.777 EUR ausgegangen
und hat eine 1,6-fache Geschäftsgebühr nach VV 2400 angesetzt. Reisekosten des in Berlin
ansässigen Rechtsanwalts zum Sitz der Vergabekammer in München hat sie nicht
zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Beigeladene mit ihrer sofortigen Beschwerde vom
30.12.2004. Unter Abänderung des Beschlusses begehrt sie, ihre notwendigen Aufwendungen
einschließlich der Reisekosten mit 38.146,05 EUR festzusetzen. Den Betrag errechnet sie aus
einer 2,5-fachen Geschäftsgebühr nach VV 2400 sowie zweier Flüge ihres Bevollmächtigten
von Berlin und München und zurück zum Zweck der Akteneinsicht und der mündlichen
Verhandlung.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung der
Vergabesenate ist ein Kostenfestsetzungsbeschluss der Vergabekammer ein selbständig
anfechtbarer Verwaltungsakt, gegen den abweichend vom allgemeinen Verwaltungsrechtsweg
nach §§ 40 ff. VwGO die sofortige Beschwerde nach §§ 116 ff. GWB zum zuständigen
Vergabesenat statthaft ist (z.B. BayObLG JurBüro 2002, 362 m.w.N.). Die Entscheidung des
Senats kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.
79
2. In der Sache ist die sofortige Beschwerde überwiegend erfolgreich.
a) Die Vergabekammer hat in ihrem Beschluss vom 1.9.2004 die für die Kostenfestsetzung
notwendige Grundentscheidung getroffen und auch darüber befunden, dass die Zuziehung
eines Bevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig war (vgl. § 128 Abs. 4 Satz 2, Satz
3 GWB, Art. 80 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG). Der Wertansatz mit knapp
4.500.000 EUR ist zutreffend und unbeanstandet. Der Senat kann insoweit auf seinen den
gleichen Auftrag betreffenden Beschluss vom 18.11.2004 (Verg 022/04) verweisen, wonach
die maßgebliche Bruttoauftragssumme (vgl. § 50 Abs. 2 GKG) sich aus den Mietkaufraten
einschließlich des Restkaufpreises abzüglich eines angemessenen Refinanzierungszinses
errechnet.
b) Wird der Rechtsanwalt im Vergabenachprüfungsverfahren nach den §§ 97 ff. GWB tätig,
so richtet sich seine Vergütung nach Teil 2 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 2 Abs. 2
RVG. Denn es handelt sich um eine außergerichtliche Tätigkeit. Der Anwalt erhält eine
Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV. Entgegen dem Ansatz im Beschluss der Vergabekammer
ist dieser im gegebenen Fall nicht nur mit dem 1,6-fachen, sondern mit dem 2,5-fachen Satz
zu bemessen.
Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall die Gebühr unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Nach der amtlichen Anmerkung zu VV 2400 kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert
werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Für Vergabesachen spielt diese
Kappungsgrenze im Allgemeinen keine Rolle. Denn in der großen Mehrzahl der Fälle sind
Vergabenachprüfungsverfahren umfangreich oder schwierig, oftmals auch beides (Rojahn
VergabeR 2004, 454/456). Nach dem insoweit eindeutigen amtlichen Zusatz zu VV 2400
braucht die Tätigkeit nicht umfangreich und schwierig zu sein. Es genügt vielmehr eines der
beiden Kriterien (Rojahn VergabeR 2004, 454/456; Schneider AnwBl 2004, 129/137).
In seinem Beschluss vom 4.8.2000 (Verg 3/00 = BauR 2001, 238) hat der Senat die
Festsetzung einer 10/10-Gebühr nach dem damals maßgeblichen § 118 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
mit den Besonderheiten des Rechtsgebiets und dem Umfang, insbesondere dem zeitlichen
Arbeitsaufwand des Anwalts gerechtfertigt. Den Maßstab bildet insoweit das
verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren. Maßgeblich ist nicht, ob die Sache für einen
Vergaberechtsspezialisten schwierig war oder nicht (OLG Dresden VergabeR 2002, 418;
Schneider IBR 2004, 725). Gegenüber dem üblichen Verwaltungsverfahren ist das
Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gerichtsähnlich ausgestaltet. Es findet in der
Regel eine mündliche Verhandlung statt (§ 112 Abs. 1 GWB). Regelmäßig ist umfangreich
und umfassend unter einem erheblichen Zeitdruck (vgl. § 113 GWB) vorzutragen. Hinzu
kommen die Erschwernisse, die sich aus einer meist nur beschränkt gewährten Akteneinsicht
(vgl. § 111 Abs. 2 GWB, § 72 Abs. 2 GWB) ergeben. Das hatte nach der früheren Rechtslage
zur Folge, dass die Ausschöpfung des Gebührenrahmens im Regelfall sachgerecht, zumindest
aber nicht unbillig war (OLG Dresden VergabeR 2002, 418).
Schwierigkeit und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Vergabenachprüfungsverfahren sind
heute nicht anders als seinerzeit zu beurteilen. Die Rechtsmaterie ist zwar nicht mehr neu; sie
ist aber an sich schwierig, nämlich vielschichtig und kompliziert. Diese Einschätzung
rechtfertigt sich umso mehr, wenn die Vergabe, wie hier, einen komplexen Auftrag mit hohen
Auftragswerten und langfristigen gegenseitigen Bindungen in einem so genannten PPP80
Modell betrifft. So gestaltete sich bereits die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht ohne
Probleme, weil der Auftraggeber ein privatrechtlicher Verein war und sich
Finanzierungsfragen im Rahmen von § 98 Nr. 5 GWB stellten. Die Rügepräklusion zur Frage,
ob das Grundstück der Beigeladenen die geforderte öffentliche Verkehrsanbindung aufweist,
erforderte eine breite und vertiefte Befassung. Schließlich bot sich für die Beigeladene im
Anschluss an die mündliche Verhandlung noch Anlass, die Vollständigkeit des Angebots der
Antragstellerin zu erörtern. Der Umstand, dass sich die Beigeladene im Allgemeinen und
auch hier nicht nur gegen die Angriffe zur Wertung ihres eigenen Angebots verteidigen muss,
sondern ihrerseits Mängel im Angebot der Antragstellerin im Hinblick darauf aufzuführen
hat, dass diese schon gar nicht in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein kann
(dazu BGH VergabeR 2003, 313; BayObLG Beschluss vom 24.11.2004 Verg 025/04),
begründet eine zusätzliche Schwierigkeit, die normale Verwaltungsverfahren nicht
aufzuweisen haben. Ob diese Gesichtspunkte es rechtfertigen, das konkrete Verfahren nun als
schwierig oder als umfangreich (oder sowohl als umfangreich als auch als schwierig)
einzuordnen, muss nicht abschließend geklärt werden. Jedenfalls lassen die aufgeführten
Umstände nicht nur die Überschreitung der Kappungsgrenze, sondern die volle Ausschöpfung
des gesetzlich vorgegebenen Rahmens als nicht unbillig erscheinen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4
RVG). Ohne maßgebliche Bedeutung ist hingegen, ob das gegenständliche
Nachprüfungsverfahren im Verhältnis zu anderen vor der Vergabekammer verhandelten
Nachprüfungsverfahren als schwierig einzustufen ist.
Hinzu kommt noch Folgendes: Mit der neuen Gebührenstruktur des RVG wollte der
Gesetzgeber die wirtschaftliche Situation der Anwaltschaft verbessern (im Einzelnen Hartung
NJW 2004, 1409/1411). Insoweit wäre es nicht verständlich, im Nachprüfungsverfahren nur
eine Gebühr knapp oberhalb des 1,3-fachen zuzuerkennen, weil die Tätigkeit des Anwalts
dann im Allgemeinen schlechter honoriert würde als nach dem alten Rechtszustand bei
Zuerkennung zweier 10/10-Gebühren nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BRAGO (a.F.). Der
2,5-fache Satz rechtfertigt sich aus dem Wegfall der Beweisaufnahmegebühr des § 118 Abs. 1
Nr. 3 BRAGO (a.F). Er ist nach der neuen Rechtslage jedenfalls nicht erst dann angemessen,
wenn tatsächlich eine Beweisaufnahme stattgefunden hat, die Tätigkeit des Rechtsanwalts
also vergleichbar wäre mit einer solchen vor dem 1.7.2004, bei der drei Gebühren angefallen
wären.
c) Hingegen kann die Beigeladene für ihre anwaltlichen Vertreter nicht die Erstattung von
Reisekosten zu Lasten der Antragstellerin verlangen.
Reisekosten des auswärtigen Anwalts sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung dieses
Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war (vgl.
§ 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO; Zöller/Herget ZPO 25. Aufl. § 91 Rn. 13 Stichwort auswärtiger
Anwalt und Reisekosten des Rechtsanwalts). Das ist nach der herrschenden zivilrechtlichen
Rechtsprechung nicht der Fall, wenn die Partei im eigenen Gerichtsstand verklagt wird und
einen auswärtigen Rechtsanwalt beauftragt. Denn im Regelfall kann davon ausgegangen
werden, dass eine vernünftige und kostenbewusste Partei, die im Anwaltsprozess am eigenen
Sitz verklagt wird, einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung
beauftragt. Anderes gilt nur dann, wenn ein Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen erforderlich
ist und ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann (BGH
NJW 2003, 901; siehe auch schon BayObLG Beschluss vom 20.1.2003 Verg 28/02 = OLGReport 2003, 266 - Leitsatz -).
Die für den zivilrechtlichen Bereich geltenden Erstattungsgrundsätze lassen sich auf die
Vertretung im Vergabeverfahren im Wesentlichen übertragen. Die Beigeladene befindet sich
81
in einer Lage, die der eines Nebenintervenienten gleicht (vgl. § 66 ZPO). Der Gegner der
Hauptpartei trägt dessen Kosten nach den Regeln der §§ 91 bis 98 ZPO (vgl. § 101 Abs. 1
Halbsatz 1 ZPO). Hat die Beigeladene, wie hier, ihren Geschäftssitz am Ort der zuständigen
Vergabekammer, bietet es sich im Allgemeinen an, einen Bevollmächtigten aus dem Kreis der
dort ansässigen Rechtsanwälte auszuwählen. Hinzu kommt, dass auch der gegenständliche
Auftrag an ihrem Geschäftssitz abzuwickeln ist. Aufgrund der im Vergaberecht geltenden
Besonderheiten hat sie einen Anspruch auf einen dementsprechend spezialisierten Anwalt
(vgl. OLG Dresden WuW/E Verg 497/499). Gerichtsbekannt verfügt die Stadt München aber
nicht nur über eine hohe Anwaltsdichte, sondern auch über eine größere Zahl vergaberechtlich
ausgerichteter und spezialisierter Kanzleien. Es fehlt somit jeglicher Anhaltspunkt, dass die
Beigeladene in diesem Kreis keinen geeigneten und bereiten Anwalt zu ihrer Vertretung
gefunden hätte, sondern sich eines auswärtigen Spezialisten bedienen musste.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 2
ZPO. Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO. Der Geschäftswert des
Beschwerdeverfahrens entspricht dem von der Beigeladenen verfolgten Interesse, den
maßgeblichen Differenzbetrag von der Antragstellerin erstattet zu erhalten.
IBR 2005, 239 (red. Leitsatz)
82
Nr. 2500 VV RVG
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 12. Senat Beschluss vom 18. Mai 2004 L 12 B
3/03 RJ
BRAGebO § 116 Abs 1 Fassung vom 17. August 2001, BRAGebO § 116 Abs 1 Fassung vom
20. August 1990, BRAGebO § 116 Abs 1 Fassung vom 11. Januar 1993, BRAGebO § 116
Abs 1 Fassung vom 24. Juni 1994, BRAGebO § 116 Abs 1 Fassung vom 30. März 1998,
BRAGebO § 116 Abs 1 Fassung vom 27. April 2001, RVG § 3, BRAO § 43c, GG Art 12 Abs
1
Fachanwalt für Sozialrecht - Rahmengebühr des § 116 Abs 1 BRAGebO Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz
Die Höhe der Rahmengebühren des § 116 Abs 1 BRAGebO verletzt auch im Jahre 2002 einen
Fachanwalt für Sozialrecht nicht in seiner Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG). Dies gilt auf der
Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 17.10.1990 - 1 BvR 283/85 = BVerfGE 83, 1 =
SozR 3-1930 § 116 Nr 1 - auch dann, wenn der Rechtsanwalt überwiegend sozialgerichtliche
Fälle bearbeitet.
Orientierungssatz
Die Spezialisierung von Rechtsanwälten und die verstärkte Herausbildung von Fachanwälten
stellt einen Vorgang dar, der insgesamt von der Anwaltschaft ausgegangen ist und von dieser
organisiert wird; sie stellt eine Möglichkeit, nicht aber eine Verpflichtung des einzelnen
Rechtsanwalts dar.
Tatbestand
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Höhe der anwaltlichen Gebühren, die dem
Beschwerdeführer (Bf.) im Rahmen von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zu
erstatten sind.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die ausführliche Darstellung in dem
angefochtenen Beschluss verwiesen.
Die Kostenkammer des Sozialgerichts (SG) Bremen hat die Erinnerung des Bf. mit Beschluss
vom 30. Juni 2003 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die seitens
des Urkundsbeamten festgesetzte Gebühr in Höhe von DM 1.300 erscheine angesichts der
Bedeutung der Angelegenheit für die Auftraggeberin, des Umfangs und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der
Auftraggeberin überhöht. Die Einlegung der Erinnerung dürfe jedoch nicht zu einer
Schlechterstellung führen. Die der Gebührenfestsetzung zugrunde liegende Norm des § 116
Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) sei im Übrigen nicht
verfassungswidrig. Dies ergebe sich zum einen aus der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17. Oktober 1990 1 BvR 283/85 , in welcher eine
Verfassungswidrigkeit der Vorschrift in der Fassung von 1982 im Hinblick auf die im Jahre
1990 erfolgte Neuregelung verneint wurde. Zum anderen hat das SG auch auf die weitere
83
Anhebung der Rechtsanwaltsgebühren mit Wirkung zum 1. Juli 1994 und die Erweiterung der
Rechtsstreite, in denen nach Streitwert abgerechnet wird, mit Wirkung von Januar 2002
hingewiesen. Die gesetzlichen Neuregelungen zeigten, dass sich der Gesetzgeber in einem
Anpassungsprozess befinde.
Der Bf. hat gegen den ihm am 20. August 2003 zugestellten Beschluss am 3. September 2003
Beschwerde beim SG Bremen eingelegt. Er trägt vor, es sei früher gerechtfertigt gewesen, die
Rechtsanwaltsgebühren für sozialgerichtliche Verfahren niedrig zu halten, um das
Prozessrisiko für besonders schonungsbedürftige, sozial schwache Kläger aus
sozialpolitischen Gründen abzumildern. Diese Gründe seien zwischenzeitlich jedoch
entfallen. Zum einen gebe es die PKH, die es im sozialgerichtlichen Verfahren zunächst nicht
gegeben habe. Zum anderen seien die Kläger vor den Sozialgerichten auch nicht mehr
überwiegend sozial schwach, da in Deutschland ein hohes Lohnniveau und ein hohes Niveau
der sozialen Sicherung anzutreffen sei. Auch der Gesichtspunkt, die Erstattungen eines im
sozialgerichtlichen Verfahren unterlegenen Sozialversicherungsträgers möglichst niedrig zu
halten, stelle keinen ausreichenden Grund für die niedrige Höhe der Rechtsanwaltsgebühren
dar. Im Übrigen werde inzwischen auch die Einführung von Gerichtskosten für die
Klägerseite diskutiert; dies belege, dass eine besondere Schutzbedürftigkeit auch seitens des
Gesetzgebers heute nicht mehr gesehen werde. Nach der Entscheidung des BVerfG seien aber
insbesondere die wirtschaftlichen Folgen der Gebührenbegrenzung für die betroffenen
Rechtsanwälte zu berücksichtigen. Es sei in der Zwischenzeit eine starke Spezialisierung der
Anwaltschaft eingetreten. Dies führe dazu, dass die Fachanwälte für Sozialrecht (wie der Bf.)
nahezu ausschließlich sozialgerichtliche Verfahren durchführten, während Rechtsstreite mit
höheren Anwaltsgebühren von Fachanwälten anderer Art durchgeführt würden. Auch sei die
Erweiterung der Rechtsstreite, in denen nach § 116 Abs. 2 BRAGO nach Streitwert
abgerechnet werde, wirtschaftlich bedeutungslos; diese Verfahren machten nur etwa 2 % der
sozialgerichtlichen Prozesse aus. Die für das Jahr 2004 geplante Änderung des
Gebührenrechts durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RAVG) bringe schließlich für den
Bereich des Sozialrechts nur eine Erhöhung der Gebührensätze um ca. 12 % und im Übrigen
auch etliche gebührenrechtliche Nachteile.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 30. Juni 2003 aufzuheben und die Vergütung
unter Änderung des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle des Sozialgerichts Bremen vom 12. April 2002 in der Gestalt des
Änderungsbeschlusses vom 28. Januar 2003 antragsgemäß auf DM 4.060 (= EUR 2.075,85)
festzusetzen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Begründung des angefochtenen Beschlusses an und verweist im Übrigen
auf einen Beschluss des Beschwerdegerichts vom 5. August 2003 L 4 B 2/03 SF .
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nach § 128 Abs. 4 BRAGO zulässig. Das SG Bremen hat der Beschwerde
nicht abgeholfen, so dass das Landessozialgericht (LSG) über sie zu entscheiden hat (§§ 174,
176 Sozialgerichtsgesetz SGG ).
84
Die Beschwerde ist der Sache nach jedoch nicht begründet. Zunächst ist darauf hinzuweisen,
dass das Beschwerdegericht die Bedenken des SG Bremen hinsichtlich der Höhe der durch
den Urkundsbeamten festgesetzten Gebühr teilt, da insgesamt ausreichende Gründe für eine
über der Mittelgebühr liegende Rechtsanwaltsgebühr nicht zu erkennen sind. Dies führt
jedoch nicht zu einer Änderung der festgesetzten Gebühr, da wie im Erinnerungsverfahren
auch im Beschwerdeverfahren das Verbot der Verschlechterung gilt (Meyer-Ladewig SGG §
189 Rdnr. 3; vor § 172 Rdnr. 4).
Die der Gebührenfestsetzung zugrunde liegende Norm des § 116 Abs. 1 BRAGO ist nicht
verfassungswidrig. Das Beschwerdegericht schließt sich insofern den Ausführungen des SG
Bremen in dem angefochtenen Beschluss an und nimmt hierauf zur Vermeidung von
Wiederholungen (in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 153 Abs. 2 SGG)
Bezug.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen: Es mag zwar sein, dass die Spezialisierung
innerhalb der Anwaltschaft, die bereits in der Entscheidung des BVerfG vom 17. Oktober
1990 beschrieben worden ist, zwischenzeitlich noch weiter fortgeschritten ist. Den insgesamt
allgemein gehaltenen Ausführungen des Bf. ist jedoch nicht zu entnehmen, in welchem
Umfange dieser Prozess vorangeschritten ist. Insbesondere lässt sich für den Bf. selbst
insoweit keine Aussage treffen. Es ist zwar gerichtsbekannt, dass dieser in vielen
sozialgerichtlichen Prozessen als Prozessbevollmächtigter auftritt und auch Fachanwalt für
Sozialrecht ist. Ausweislich seines Briefkopfs firmiert er jedoch als Fachanwalt für
Verwaltungsrecht, was auf einen erheblichen Anteil seiner Tätigkeit in diesem Rechtsbereich
hinweist. Zum anderen ist er auch als Notar niedergelassen, so dass insgesamt eine nahezu
ausschließliche Tätigkeit im Sozialrecht fernliegend erscheint.
Es bedarf jedoch insoweit keiner weiteren Ermittlungen bezüglich der bei dem Bf.
bestehenden Verhältnisse oder aber Erhebungen über die Mandate von Fachanwälten für
Sozialrecht im Allgemeinen. Auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 17.
Oktober 1990 (a. a. O.) geht das Gericht nämlich davon aus, dass durch die Novellierung des
§ 116 Abs. 1 BRAGO mit Wirkung ab September 1990 sowie die weiteren zwischenzeitlich
erfolgten Änderungen mit Wirkung ab Juli 1994 und Januar 2002 jedenfalls keine Situation
mehr besteht, welche eine verfassungswidrige unangemessene Benachteiligung von
Fachanwälten für Sozialrecht beinhaltet. So ist bereits durch die Novellierung von 1990 die
Mittelgebühr für die erste Instanz um etwa 78 %, für die zweite Instanz um etwa 46 % und für
die dritte Instanz um etwa 44 % erhöht worden (BVerfG, a. a. O). Auf die weitere Anhebung
mit Wirkung ab Juli 1994 (durch Gesetz vom 29.06.1994, BGBl. I, S. 1325) hat das SG
bereits hingewiesen. Diese betrug wiederum auf die Mittelgebühr bezogen für die erste
Instanz etwa 23 %, für die zweite Instanz etwa 22 % und für die dritte Instanz etwa 23 %.
Damit lagen die Steigerungen im Übrigen offenkundig deutlich über der durchschnittlichen
nominellen Steigerung der Löhne und Gehälter in dem fraglichen Zeitraum.
Ferner kann nicht übersehen werden, dass die Spezialisierung von Rechtsanwälten und die
verstärkte Herausbildung von Fachanwälten einen Vorgang darstellt, der insgesamt von der
Anwaltschaft ausgegangen ist, von dieser organisiert wird und eine Möglichkeit, nicht aber
eine Verpflichtung des einzelnen Rechtsanwalts darstellt. So regelt § 43c der
Bundesrechtsanwaltsordnung (in der Fassung des Gesetzes vom 2.9.1994, BGBl. I S. 2278),
dass dem Rechtsanwalt, der besondere Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsgebiet
erworben hat, durch die Rechtsanwaltskammer, der er angehört, die Befugnis verliehen
werden kann, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen (Abs. 1). Über den Antrag des
Rechtsanwalts auf Erteilung der Erlaubnis entscheidet der Vorstand der
85
Rechtsanwaltskammer (Abs. 2). Diese Regelungen zeigen, dass das Gesetz insoweit zwar
Möglichkeiten zur Spezialisierung eröffnet, die diesbezügliche Entscheidung aber den
einzelnen Rechtsanwälten und ihren Berufsorganisationen überlässt.
Darauf, ob das demnächst in Kraft tretende RAVG eine Verbesserung der wirtschaftlichen
Situation von Fachanwälten für Sozialrecht mit sich bringt, kommt es bei dieser Sachlage
nicht an.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Verfahrensgang

vorgehend SG Bremen 30. Juni 2003 S 11 RJ 47/00 Beschluss
Diese Entscheidung zitiert

Vergleiche BVerfG 1. Senat Beschluss vom 17. Oktober 1990 1 BvR 283/85
Gebührenbegrenzung für Sozialrechtsanwälte durch BRAGebO § 116 Abs 1 aF im
Ergebnis verfassungsmäßig: Eingriff in die Berufsfreiheit verhältnismäßig - Änderung
der Verhältnisse für Anwälte mit Spezialgebiet Sozialrecht und Anpassungsspielraum
des Gesetzgebers
LG Braunschweig 1. Zivilkammer Beschluß vom 28. Dezember 2004 1 O 3125/04
Streitwertbemessung: Miteingeklagte verzugsbedingt entstandene Rechtsanwaltskosten
Orientierungssatz
Vorprozessual entstandene Rechtsanwaltskosten, die als Verzugsschaden mit eingeklagt
werden, sind streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da sie nicht als Nebenforderung
eingeklagt werden.
AGS 2005, 75 (red. Leitsatz und Gründe)
Bayerisches Oberstes Landesgericht Vergabesenat Beschluß vom 16. Februar 2005 Verg
028/04, Verg 28/04
Vergabenachprüfungsverfahren: Höhe der anwaltlichen Geschäftsgebühr;
Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwaltes eines
Beigeladenen
Leitsatz
1. Wird ein Anwalt im Vergabenachprüfungsverfahren tätig, ist es auch bei durchschnittlichen
Fällen jedenfalls dann nicht unbillig, den 2,5-fachen Gebührensatz abzurechnen, wenn der
Antrag zulässig war und eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
86
2. Die Reisekosten eines auswärtigen Anwalts sind auch im Vergabenachprüfungsverfahren
nur erstattungsfähig, wenn die Zuziehung dieses Anwalts zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Das ist nicht der Fall, wenn die
Beigeladene am Ort der zuständigen Vergabekammer ihren Firmensitz hat und dort auf eine
große Zahl spezialisierter Anwälte zurückgreifen kann.
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der
Vergabekammer Südbayern vom 21. Dezember 2004 in Ziff. 1 und 2 dahingehend
abgeändert, dass die der Beigeladenen durch die anwaltliche Vertretung erwachsenen
notwendigen Aufwendungen im Nachprüfungsverfahren auf 37.510 EUR festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragstellerin 19/20 und die
Beigeladene 1/20 zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 14.732 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner beabsichtigt den Neubau einer staatlich anerkannten privaten Berufsschule
zur sonderpädagogischen Förderung. Den Auftrag, ihm ein geeignetes Gelände zu beschaffen,
die Baugenehmigung einzuholen, die Finanzierung sicherzustellen und nach seinen Vorgaben
ein Schulgebäude zu errichten, schrieb er im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaft als Verhandlungsverfahren europaweit aus. Neben der Beigeladenen gehörte
auch die Antragstellerin zum Kreis der Bewerber, die er zur Abgabe eines Angebots
aufforderte. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin am 22.7.2004 nach § 13 VgV mit,
dass ihr der Zuschlag nicht erteilt werden könne, weil das Angebot nicht das wirtschaftlichste
sei. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Nach
erfolgloser Rüge rief die Antragstellerin die Vergabekammer an mit dem Ziel, den Zuschlag
auf das Angebot der Beigeladenen zu verhindern und das Verhandlungsverfahren mit ihrer
Beteiligung fortzuführen. Die Vergabekammer hat mit bestandskräftigem Beschluss vom
1.9.2004 den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Kosten des
Verfahrens der Antragstellerin auferlegt. Zugleich hat sie die Zuziehung eines
Bevollmächtigten durch die Beigeladene für notwendig erklärt.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.12.2004 hat die Vergabekammer die der
Beigeladenen durch die anwaltliche Vertretung erwachsenen notwendigen Aufwendungen im
Nachprüfungsverfahren auf 24.013,60 EUR festgesetzt. Die Kammer ist von einem für die
anwaltliche Gebührenbemessung maßgeblichen Streitwert von 4.460.777 EUR ausgegangen
und hat eine 1,6-fache Geschäftsgebühr nach VV 2400 angesetzt. Reisekosten des in Berlin
ansässigen Rechtsanwalts zum Sitz der Vergabekammer in München hat sie nicht
zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Beigeladene mit ihrer sofortigen Beschwerde vom
30.12.2004. Unter Abänderung des Beschlusses begehrt sie, ihre notwendigen Aufwendungen
einschließlich der Reisekosten mit 38.146,05 EUR festzusetzen. Den Betrag errechnet sie aus
einer 2,5-fachen Geschäftsgebühr nach VV 2400 sowie zweier Flüge ihres Bevollmächtigten
87
von Berlin und München und zurück zum Zweck der Akteneinsicht und der mündlichen
Verhandlung.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung der
Vergabesenate ist ein Kostenfestsetzungsbeschluss der Vergabekammer ein selbständig
anfechtbarer Verwaltungsakt, gegen den abweichend vom allgemeinen Verwaltungsrechtsweg
nach §§ 40 ff. VwGO die sofortige Beschwerde nach §§ 116 ff. GWB zum zuständigen
Vergabesenat statthaft ist (z.B. BayObLG JurBüro 2002, 362 m.w.N.). Die Entscheidung des
Senats kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.
2. In der Sache ist die sofortige Beschwerde überwiegend erfolgreich.
a) Die Vergabekammer hat in ihrem Beschluss vom 1.9.2004 die für die Kostenfestsetzung
notwendige Grundentscheidung getroffen und auch darüber befunden, dass die Zuziehung
eines Bevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig war (vgl. § 128 Abs. 4 Satz 2, Satz
3 GWB, Art. 80 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG). Der Wertansatz mit knapp
4.500.000 EUR ist zutreffend und unbeanstandet. Der Senat kann insoweit auf seinen den
gleichen Auftrag betreffenden Beschluss vom 18.11.2004 (Verg 022/04) verweisen, wonach
die maßgebliche Bruttoauftragssumme (vgl. § 50 Abs. 2 GKG) sich aus den Mietkaufraten
einschließlich des Restkaufpreises abzüglich eines angemessenen Refinanzierungszinses
errechnet.
b) Wird der Rechtsanwalt im Vergabenachprüfungsverfahren nach den §§ 97 ff. GWB tätig,
so richtet sich seine Vergütung nach Teil 2 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 2 Abs. 2
RVG. Denn es handelt sich um eine außergerichtliche Tätigkeit. Der Anwalt erhält eine
Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV. Entgegen dem Ansatz im Beschluss der Vergabekammer
ist dieser im gegebenen Fall nicht nur mit dem 1,6-fachen, sondern mit dem 2,5-fachen Satz
zu bemessen.
Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall die Gebühr unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Nach der amtlichen Anmerkung zu VV 2400 kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert
werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Für Vergabesachen spielt diese
Kappungsgrenze im Allgemeinen keine Rolle. Denn in der großen Mehrzahl der Fälle sind
Vergabenachprüfungsverfahren umfangreich oder schwierig, oftmals auch beides (Rojahn
VergabeR 2004, 454/456). Nach dem insoweit eindeutigen amtlichen Zusatz zu VV 2400
braucht die Tätigkeit nicht umfangreich und schwierig zu sein. Es genügt vielmehr eines der
beiden Kriterien (Rojahn VergabeR 2004, 454/456; Schneider AnwBl 2004, 129/137).
In seinem Beschluss vom 4.8.2000 (Verg 3/00 = BauR 2001, 238) hat der Senat die
Festsetzung einer 10/10-Gebühr nach dem damals maßgeblichen § 118 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
mit den Besonderheiten des Rechtsgebiets und dem Umfang, insbesondere dem zeitlichen
Arbeitsaufwand des Anwalts gerechtfertigt. Den Maßstab bildet insoweit das
verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren. Maßgeblich ist nicht, ob die Sache für einen
Vergaberechtsspezialisten schwierig war oder nicht (OLG Dresden VergabeR 2002, 418;
Schneider IBR 2004, 725). Gegenüber dem üblichen Verwaltungsverfahren ist das
Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gerichtsähnlich ausgestaltet. Es findet in der
88
Regel eine mündliche Verhandlung statt (§ 112 Abs. 1 GWB). Regelmäßig ist umfangreich
und umfassend unter einem erheblichen Zeitdruck (vgl. § 113 GWB) vorzutragen. Hinzu
kommen die Erschwernisse, die sich aus einer meist nur beschränkt gewährten Akteneinsicht
(vgl. § 111 Abs. 2 GWB, § 72 Abs. 2 GWB) ergeben. Das hatte nach der früheren Rechtslage
zur Folge, dass die Ausschöpfung des Gebührenrahmens im Regelfall sachgerecht, zumindest
aber nicht unbillig war (OLG Dresden VergabeR 2002, 418).
Schwierigkeit und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Vergabenachprüfungsverfahren sind
heute nicht anders als seinerzeit zu beurteilen. Die Rechtsmaterie ist zwar nicht mehr neu; sie
ist aber an sich schwierig, nämlich vielschichtig und kompliziert. Diese Einschätzung
rechtfertigt sich umso mehr, wenn die Vergabe, wie hier, einen komplexen Auftrag mit hohen
Auftragswerten und langfristigen gegenseitigen Bindungen in einem so genannten PPPModell betrifft. So gestaltete sich bereits die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht ohne
Probleme, weil der Auftraggeber ein privatrechtlicher Verein war und sich
Finanzierungsfragen im Rahmen von § 98 Nr. 5 GWB stellten. Die Rügepräklusion zur Frage,
ob das Grundstück der Beigeladenen die geforderte öffentliche Verkehrsanbindung aufweist,
erforderte eine breite und vertiefte Befassung. Schließlich bot sich für die Beigeladene im
Anschluss an die mündliche Verhandlung noch Anlass, die Vollständigkeit des Angebots der
Antragstellerin zu erörtern. Der Umstand, dass sich die Beigeladene im Allgemeinen und
auch hier nicht nur gegen die Angriffe zur Wertung ihres eigenen Angebots verteidigen muss,
sondern ihrerseits Mängel im Angebot der Antragstellerin im Hinblick darauf aufzuführen
hat, dass diese schon gar nicht in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein kann
(dazu BGH VergabeR 2003, 313; BayObLG Beschluss vom 24.11.2004 Verg 025/04),
begründet eine zusätzliche Schwierigkeit, die normale Verwaltungsverfahren nicht
aufzuweisen haben. Ob diese Gesichtspunkte es rechtfertigen, das konkrete Verfahren nun als
schwierig oder als umfangreich (oder sowohl als umfangreich als auch als schwierig)
einzuordnen, muss nicht abschließend geklärt werden. Jedenfalls lassen die aufgeführten
Umstände nicht nur die Überschreitung der Kappungsgrenze, sondern die volle Ausschöpfung
des gesetzlich vorgegebenen Rahmens als nicht unbillig erscheinen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4
RVG). Ohne maßgebliche Bedeutung ist hingegen, ob das gegenständliche
Nachprüfungsverfahren im Verhältnis zu anderen vor der Vergabekammer verhandelten
Nachprüfungsverfahren als schwierig einzustufen ist.
Hinzu kommt noch Folgendes: Mit der neuen Gebührenstruktur des RVG wollte der
Gesetzgeber die wirtschaftliche Situation der Anwaltschaft verbessern (im Einzelnen Hartung
NJW 2004, 1409/1411). Insoweit wäre es nicht verständlich, im Nachprüfungsverfahren nur
eine Gebühr knapp oberhalb des 1,3-fachen zuzuerkennen, weil die Tätigkeit des Anwalts
dann im Allgemeinen schlechter honoriert würde als nach dem alten Rechtszustand bei
Zuerkennung zweier 10/10-Gebühren nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BRAGO (a.F.). Der
2,5-fache Satz rechtfertigt sich aus dem Wegfall der Beweisaufnahmegebühr des § 118 Abs. 1
Nr. 3 BRAGO (a.F). Er ist nach der neuen Rechtslage jedenfalls nicht erst dann angemessen,
wenn tatsächlich eine Beweisaufnahme stattgefunden hat, die Tätigkeit des Rechtsanwalts
also vergleichbar wäre mit einer solchen vor dem 1.7.2004, bei der drei Gebühren angefallen
wären.
c) Hingegen kann die Beigeladene für ihre anwaltlichen Vertreter nicht die Erstattung von
Reisekosten zu Lasten der Antragstellerin verlangen.
Reisekosten des auswärtigen Anwalts sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung dieses
Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war (vgl.
§ 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO; Zöller/Herget ZPO 25. Aufl. § 91 Rn. 13 Stichwort auswärtiger
89
Anwalt und Reisekosten des Rechtsanwalts). Das ist nach der herrschenden zivilrechtlichen
Rechtsprechung nicht der Fall, wenn die Partei im eigenen Gerichtsstand verklagt wird und
einen auswärtigen Rechtsanwalt beauftragt. Denn im Regelfall kann davon ausgegangen
werden, dass eine vernünftige und kostenbewusste Partei, die im Anwaltsprozess am eigenen
Sitz verklagt wird, einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung
beauftragt. Anderes gilt nur dann, wenn ein Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen erforderlich
ist und ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann (BGH
NJW 2003, 901; siehe auch schon BayObLG Beschluss vom 20.1.2003 Verg 28/02 = OLGReport 2003, 266 - Leitsatz -).
Die für den zivilrechtlichen Bereich geltenden Erstattungsgrundsätze lassen sich auf die
Vertretung im Vergabeverfahren im Wesentlichen übertragen. Die Beigeladene befindet sich
in einer Lage, die der eines Nebenintervenienten gleicht (vgl. § 66 ZPO). Der Gegner der
Hauptpartei trägt dessen Kosten nach den Regeln der §§ 91 bis 98 ZPO (vgl. § 101 Abs. 1
Halbsatz 1 ZPO). Hat die Beigeladene, wie hier, ihren Geschäftssitz am Ort der zuständigen
Vergabekammer, bietet es sich im Allgemeinen an, einen Bevollmächtigten aus dem Kreis der
dort ansässigen Rechtsanwälte auszuwählen. Hinzu kommt, dass auch der gegenständliche
Auftrag an ihrem Geschäftssitz abzuwickeln ist. Aufgrund der im Vergaberecht geltenden
Besonderheiten hat sie einen Anspruch auf einen dementsprechend spezialisierten Anwalt
(vgl. OLG Dresden WuW/E Verg 497/499). Gerichtsbekannt verfügt die Stadt München aber
nicht nur über eine hohe Anwaltsdichte, sondern auch über eine größere Zahl vergaberechtlich
ausgerichteter und spezialisierter Kanzleien. Es fehlt somit jeglicher Anhaltspunkt, dass die
Beigeladene in diesem Kreis keinen geeigneten und bereiten Anwalt zu ihrer Vertretung
gefunden hätte, sondern sich eines auswärtigen Spezialisten bedienen musste.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 2
ZPO. Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO. Der Geschäftswert des
Beschwerdeverfahrens entspricht dem von der Beigeladenen verfolgten Interesse, den
maßgeblichen Differenzbetrag von der Antragstellerin erstattet zu erhalten.
ZfBR 2005, 417-419 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 205-208 (red. Leitsatz und Gründe)
VergabeR 2005, 406-408 (Leitsatz und Gründe) NZBau 2005, 415-416 (Leitsatz und
Gründe) JurBüro 2005, 361-362 (Leitsatz und Gründe) BayObLGR 2005, 603-604 (Leitsatz
und Gründe) IBR 2005, 239 (red. Leitsatz) BauR 2005, 1226 (Leitsatz) NJW-Spezial 2005,
410 (red. Leitsatz) BauRB 2005, 269-270 (red. Leitsatz)
Thüringer Oberlandesgericht Vergabesenat Beschluß vom 2. Februar 2005 9 Verg 6/04
Kostenfestsetzung im Vergabenachprüfungsverfahren nach Antragsrücknahme:
Bestimmung angemessener Rechtsanwaltsvergütung, Kappungsgrenze und
Ermessensspielraum
Orientierungssatz
1. Die Vertretung eines Mandanten im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist als
überdurchschnittlich schwierig einzustufen, so dass die Bestimmung der angemessenen
Gebühr in solchen Fällen grundsätzlich innerhalb des vom Gesetz gezogenen erweiterten
Rahmens von 0,5 bis 2,5 erfolgen darf.
90
2. Steht der abstrakten Schwierigkeit des Vergaberechts bzw. des
Vergabenachprüfungsverfahrens der Umstand gegenüber, dass der tatsächlich notwendige
zeitliche Aufwand (hier: nicht zuletzt wegen des frühen Zeitpunkts der Rücknahme des
Nachprüfungsantrags) minimal war, kann ein Gebührensatz von unter 1,3 angemessen sein.
3. Die Kappungsgrenze von 1,3 kann nicht durch das gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG
eingeräumte Ermessen überspielt werden.
AGS 2005, 201-204 (red. Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 303-306 (Leitsatz und
Gründe) NZBau 2005, 356-358 (Leitsatz und Gründe) VergabeR 2005, 679-683 (Leitsatz
und Gründe) RVG-Letter 2005, 28-30 (red. Leitsatz) AnwBl 2005, 296 (Leitsatz)
RVGreport 2005, 145-146 (red. Leitsatz) BauR 2005, 1825 (red. Leitsatz)
OLG Koblenz 14. Zivilsenat Beschluß vom 23. März 2005 14 W 181/05
Festsetzung vorprozessualer Anwaltskosten
Leitsatz
Mangels Prozessbezogenheit kann die im Vorfeld eines Rechtsstreits entstandene anwaltliche
Geschäftsgebühr nicht im Verfahren nach §§ 103 ff. ZPO festgesetzt werden.
JurBüro 2005, 313 (Leitsatz und Gründe) MDR 2005, 838 (red. Leitsatz und Gründe)
Rpfleger 2005, 485-486 (Leitsatz und Gründe) OLGR Koblenz 2005, 561-562 (red. Leitsatz
und Gründe) AnwBl 2005, 435-436 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 516 (Leitsatz und
Gründe) RVGreport 2005, 197 (Leitsatz) RVG professionell 2005, 134 (red. Leitsatz)
RVG-B 2005, 88 (Leitsatz)
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 9. Zivilsenat Beschluß vom 13. April 2005 9
W 68/05
Kostenfestsetzungsverfahren: Festsetzbarkeit einer anwaltlichen Geschäftsgebühr
Leitsatz
Zu den Anforderungen an die Festsetzung einer Geschäftsgebühr (Nr. 2400 VV RVG) im
Kostenfestsetzungsverfahren.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
91
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, nämlich die Gebühren nach Nr.
1811 KV GKG und Nr. 3500 VV RVG (insoweit nach einem Wert von 703,31 EUR).
Gründe
Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde ist
nicht begründet.
Zwar kann entgegen der möglicherweise dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden
Annahme des Rechtspflegers nicht davon ausgegangen werden dass die
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ausgerechnet den Teil der geltend gemachten
Geschäftsgebühr haben festsetzen lassen wollen, der nach Abs. 4 der Vorbemerkung 3 VV
RVG auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Die
Interessenlage spricht vielmehr dafür, dass die angemeldete 0,65-Geschäftsgebühr nebst
zusätzlicher Auslagenpauschale der nach der genannten Vorbemerkung (u.U.) nicht
anzurechnende Teil einer höheren (1,3) Geschäftsgebühr sein soll, auch wenn das mit der
wünschenswerten Eindeutigkeit nicht einmal aus der Beschwerdebegründung hervorgeht.
Auch dieses unterstellte Ergebnis einer Auslegung des Antrags kann der Beschwerde nicht
zum Erfolg verhelfen. Im Ergebnis hat der Rechtspfleger die Festsetzung zu Recht abgelehnt.
Der Streit über die Frage, ob der nicht der Anrechnung unterliegende Teil der
Geschäftsgebühr überhaupt grundsätzlich einer Titulierung im Kostenfestsetzungsverfahren
zugänglich ist (bejahend z.B. Stöber, AGS 2005, 45 ff.; verneinend z.B. OLG Frankfurt,
JurBüro 2005, 202, jeweils m.w.Nachw.), bedarf keiner Entscheidung. Der Antrag erfüllt
nicht die Mindestvoraussetzungen für eine Festsetzung. Soweit die Geschäftsgebühr
überhaupt festsetzungsfähig ist, müsste geprüft werden können, ob sie in der geltend
gemachten Höhe entstanden ist und ob die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Dazu gehört bei
der Geschäftsgebühr auch die Prüfung, ob der in den Grenzen von Nr. 2400 VV RVG
bestimmte Gebührensatz billigem Ermessen entspricht (vgl. Stöber a.a.O. S. 48 m.w.Nachw.).
Ferner müsste die Prüfbarkeit des konkreten Anrechnungssatzes ermöglicht werden, der nach
Abs. 4 der Vorbemerkung 3 nur im Regelfall 50% beträgt, aber bis zu 75 % erreichen kann.
Abgesehen von den schon angedeuteten Unzuträglichkeiten des Antrags, der selbst keinerlei
Begründung enthält, fehlt es insoweit an allem. Auf die Anfrage des Rechtspflegers, womit
die Erstattungsfähigkeit der Geschäftsgebühr begründet werde, haben die
Verfahrensbevollmächtigten pauschal nur außergerichtliche Korrespondenz, in mündlich als
auch schriftlicher Form getätigt angeführt (Schriftsatz vom 06.01. 2005). Das einzige bei den
Akten befindliche vorgerichtliche Anwaltsschreiben der Verfahrensbevollmächtigten vom
08.11. 2004 betrifft zudem nicht unmittelbar das einstweilige Verfügungsverfahren, dessen
Kostengrundentscheidung dem Festsetzungsantrag zugrunde liegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1811 KV GKG und § 97 Abs. 1 ZPO.
OLGR Schleswig 2005, 528 (Leitsatz und Gründe)
OLG Düsseldorf Vergabesenat Beschluß vom 24. Mai 2005 VII Verg 98/04, VII-Verg
98/04, Verg 98/04
92
Kostenerstattung für den im Vergabenachprüfungsverfahren obsiegenden
Beigeladenen: Maßgeblicher Gegenstandswert und Höhe der Geschäftsgebühr des
eingeschalteten Rechtsanwalts
Orientierungssatz
1. Der im Vergabenachprüfungsverfahren obsiegende Beigeladene hat mit seiner sofortigen
Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung der Vergabekammer Erfolg, wenn die
Vergabekammer bei der Gebührenberechnung für den Rechtsanwalt des Beigeladenen als
Gegenstandswert die Nettoauftragssumme zugrunde gelegt hat. Gemäß § 50 Abs. 2 GKG ist
nunmehr jedoch die Bruttoauftragssumme maßgebend.
2. In Bezug auf die Anwaltskosten ist das RVG anzuwenden. Für die Geschäftsgebühr des
Rechtsanwalts spielt die Kappungsgrenze in Nr. 2400 VV regelmäßig keine Rolle, weil
Vergabenachprüfungsverfahren im Allgemeinen "umfangreich oder schwierig" sind, denn das
Vergaberecht ist eine von Haus aus unübersichtliche und schwierige Rechtsmaterie und es ist
in der Regel umfangreich und umfassend (§ 113 Abs. 2 GWB) sowie stets unter erheblichem
Zeitdruck vorzutragen. Es ist daher im Regelfall im Sinne von § 14 Abs. 1 RVG nicht
unbillig, wenn der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Verfahren vor der Vergabekammer mit
mündlicher Verhandlung eine 2,0-fache Geschäftsgebühr ansetzt. Allerdings bedarf die volle
Ausschöpfung des nach Nr. 2400 VV eröffneten Gebührenrahmens der näheren Begründung.
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Beigeladenen wird - unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels - der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes beim
Bundeskartellamt vom 10. November 2004 (VK 1 - 87/04) aufgehoben.
Die dem Beigeladenen von der Antragstellerin zu erstattenden Auslagen werden auf 1.098,88
EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsantrag des Beigeladenen vom 25. August 2004
abgelehnt.
II. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin 2/3 und der
Beigeladene 1/3.
Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.
III. Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 792,40 EUR.
Gründe
I. Der Beigeladene, der im Nachprüfungsverfahren obsiegt hat, wendet sich mit seiner
sofortigen Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung der Vergabekammer, die die von der
Antragstellerin zu erstattenden Auslagen des Beigeladenen auf 566,90 EUR festgesetzt hat. Er
erstrebt die Festsetzung weiterer 792,40 EUR an Anwaltskosten für das Verfahren vor der
Vergabekammer.
II. Die sofortige Beschwerde des Beigeladenen ist überwiegend begründet.
93
Die Antragstellerin hat dem Beigeladenen über die von der Vergabekammer festgesetzten
Kosten von 566,90 EUR hinaus weitere 531,98 EUR, insgesamt 1.098,88 EUR, zu erstatten.
1. Die Vergabekammer hat der Gebührenberechnung die Nettoauftragssumme zugrunde
gelegt. Gemäß § 50 Abs. 2 GKG ist nunmehr jedoch die Bruttoauftragssumme maßgebend.
Letztere führt zu einem Gegenstandswert der Stufe bis 9.000 EUR.
2. In Bezug auf die Anwaltskosten ist das RVG anzuwenden, das seit dem 1.7.2004 Gültigkeit
hat. Einschlägig ist die 0,5 - 2,5-fache Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV. Da es sich um
eine Rahmengebühr handelt, gilt § 14 Abs. 1 RVG, wonach der Rechtsanwalt die Gebühr
nach billigem Ermessen bestimmt. Dabei ist ungeachtet der in Nr. 2400 VV enthaltenen
Kappungsgrenze die dem billigen Ermessen entsprechende Gebühr zunächst gemäß § 14 Abs.
1 RVG nach allen Umständen des Einzelfalls aus dem vollen Gebührensatzrahmen zu
ermitteln. Liegt die so bestimmte Gebühr über dem 1,3-fachen Gebührensatz, kann der
Anwalt die höhere Gebühr fordern, wenn die Tätigkeit im Sinne der Anmerkung zu Nr. 2400
VV umfangreich oder schwierig war (vgl. Otto, NJW 2004, 1420, 1421; Rojahn, VergabeR
2004, 454, 456; Schneider, IBR 2004, 725; abw.: Diemer/Maier, NZBau 2004, 526, 542;
Braun, Gebührenberechnung nach dem neuen RVG, 2004, S. 62).
Im Allgemeinen sind Vergabenachprüfungsverfahren allerdings umfangreich oder schwierig,
so dass die Kappungsgrenze gemäß Nr. 2400 regelmäßig keine Rolle spielt (vgl. BayObLG,
Beschluss vom 16.2.2005, Verg 028/04; Rojahn, VergabeR 2004, 454, 456). Das
Vergaberecht ist eine von Haus aus unübersichtliche und schwierige Rechtsmaterie.
Ungeachtet einer Beiladung anderer Bieter oder Bewerber durch die Vergabekammer sind in
einem Nachprüfungsverfahren von Beginn an die Interessen der Mitbewerber und deren
Angebote betroffen und ist deren sowie tatsächliche und rechtliche Argumentation von den
Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen. Besondere Schwierigkeiten treten bei der Klärung
des Sachverhalts auf, weil ein Geheimwettbewerb stattfindet und fremde
Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden müssen. Dennoch ist in der Regel umfangreich und
umfassend (vgl. § 113 Abs. 2 GWB) sowie stets unter einem erheblichen Zeitdruck
vorzutragen. Im Regelfall erscheint es daher im Sinne von § 14 Abs. 1 RVG nicht unbillig,
wenn der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Verfahren vor der Vergabekammer mit
mündlicher Verhandlung eine 2,0-fache Geschäftsgebühr ansetzt. Andererseits bedarf die
volle Ausschöpfung des nach Nr. 2400 VV eröffneten Gebührenrahmens der näheren
Begründung. Eine solche ist im Streitfall weder durch das Vorbringen des Beigeladenen noch
durch den Akteninhalt nahe gelegt. Der von Diemer/Maier a.a.O. vertretenen Auffassung,
dass allein die Tatsache der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer wegen des
größeren Aufwands für den Rechtsanwalt eine volle Ausschöpfung des Gebührensatzrahmens
rechtfertige, folgt der Senat nicht. Zwar ist der Höchstsatz von 2,5 nicht von einem
lückenlosen Zusammentreffen sämtlicher Erhöhungsmerkmale abhängig (vgl. Hartmann,
Kostengesetze, 34. Auflage, § 14 RVG Rn. 15 m.w.N.). Gleichwohl setzt er besondere
Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit voraus, die allein mit der Mehrbeanspruchung
durch eine mündliche Verhandlung noch nicht gegeben sind. Hinzu kommt: Der Gesetzgeber
hat den Gebührensatzrahmen gemäß Nr. 2400 VV bewusst weit gewählt, um eine flexiblere
Handhabung zu ermöglichen. Entsprechend heißt es in der Regierungsbegründung (BTDrucks. 15/1971, Seite 207):
Vorgesehen ist eine Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatzrahmen
von
0,5 - 2,5. Der insgesamt weite Rahmen ermöglicht eine flexiblere
Gebührengestaltung.
94
Ein fixer Ansatz von 2,5 in jedwedem Fall der mündlichen Verhandlung vor der
Vergabekammer - dem nach § 112 Abs. 1 GWB gesetzlich vorgesehenen Regelfall - würde
den insoweit intendierten Spielraum weithin verengen.
Umgekehrt führt allein der Umstand, dass der Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen
worden ist, nicht zu der Annahme, dass ein 2,0-facher Gebührensatz in jedem Fall unbillig ist.
Maßgebend sind auch insoweit stets die Umstände des Einzelfalls (§ 14 Abs. 1 RVG).
Vorliegend, hat die Vergabekammer zwar bereits die Antragsbefugnis des Antragstellers
verneint. Dies setzte jedoch voraus, dass sich die Verfahrensbeteiligten und die
Vergabekammer ausführlich mit den von der Antragsgegnerin geforderten
Eignungsnachweisen befassen.
3. Aus einem Streitwert bis 9.000 EUR ergibt sich folgende Berechnung der Kosten, die die
Antragstellerin dem Beigeladenen zu erstatten hat:
2,0 Geschäftsgebühr gemäß §§ 13, 2 RVG in Verbindung mit Nr. 2400
EUR
VV RVG (2,0 x 449,- EUR)
Auslagenpauschale für Post- und Telekommunikation, § 2 RVG in
EUR
Verbindung mit Nr. 7002 VV RVG
Umsatzsteuer hierauf, § 2 RVG in Verbindung mit Nr. 7008 VV RVG
EUR
(unbestritten)
Fahrtkosten des Beigeladenen gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG
EUR
898,00
20,00
146,88
34,00
Summe: 1.098,88 EUR
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Eine Auslagenerstattung unterbleibt
(§ 11 Abs. 2 S. 6 RVG).
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens bestimmt sich nach dem verfolgten Interesse
des Beigeladenen, mithin nach der Höhe der begehrten Mehrfestsetzung.
ZfBR 2005, 622 (Leitsatz) IBR 2005, 513 (red. Leitsatz) BauRB 2005, 333 (red. Leitsatz)
OLG München Senat für Familiensachen Beschluß vom 6. Mai 2005 11 WF 1000/05
Rechtsanwaltsgebühren: Übergangsrecht bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr
Leitsatz
Hat der Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach der BRAGO und eine Verfahrensgebühr
nach dem RVG verdient, so richtet sich die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach § 118 Abs.
2 BRAGO und nicht nach VV Vorbemerkung 3 Abs. 4.
AGS 2005, 344-345 (Leitsatz und Gründe) OLGR München 2005, 600-601 (Leitsatz und
Gründe) Rpfleger 2005, 571-572 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 87-88 (red.
Leitsatz) RVGreport 2005, 303 (Leitsatz) RVG-B 2005, 145 (Leitsatz)
95
Nr. 3100 VV RVG
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat Beschluß vom 27. April 2005 6 KO 3/05
Rechtsanwaltsgebühren: Verfahrensgebühr nach dem RVG im Aussetzungsverfahren
Orientierungssatz
Die Verfahrensgebühr eines Verteidigers ist in einem Aussetzungsverfahren vor dem
Finanzgericht lediglich mit dem 1,3fachen Satz gemäß Nr. 3100 Vergütungsverzeichnis RVG
anzusetzen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Rückforderung von Kindergeldzahlungen.
Die im Hauptverfahren beklagte Familienkasse hatte gegen den Kläger einen
Rückforderungsbescheid erlassen, da nach Auffassung der Familienkasse Kindergeldbeträge
zu Unrecht ausgezahlt worden seien. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem
Einspruchsverfahren Klage und stellte einen Antrag auf gerichtliche Aussetzung der
Vollziehung. Diesem Aussetzungsantrag half die beklagte Familienkasse ab. Die Kosten für
das Aussetzungsverfahren wurden der Familienkasse durch Beschluss vom 15. November
2004 auferlegt. Der Streitwert für das Aussetzungsverfahren wurde auf 246,40 EUR
festgesetzt. Mit Antrag vom 10. Januar 2005 beantragte der Kläger über seinen
Prozessbevollmächtigten, die Kosten für das Aussetzungsverfahren mit netto 48 EUR
zuzüglich Umsatzsteuer festzusetzen. Dabei wurde eine 1,6fache Verfahrensgebühr gemäß §§
2, 13 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. Nr. 3200 Vergütungsverzeichnis (VV)
i.H.v. 40 EUR nebst Post- und Telekommunikationspauschale i.H.v. 8 EUR geltend gemacht.
Mit Beschluss vom 3. Februar 2005 setzte der Kostenbeamte die zu erstattenden
Aufwendungen mit einem Betrag von netto 39 EUR zuzüglich Umsatzsteuer fest. Dabei ging
der Kostenbeamte von einer 1,3fachen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV (= 32,50 EUR)
zuzüglich der Post- und Telekommunikationspauschale mit 20 v.H. (= 6,50 EUR) aus.
Hiergegen erhob der Antragsteller den Rechtsbehelf der Erinnerung und machte zur
Begründung geltend, dass die Verfahrensgebühr zu Unrecht nicht mit dem 1,6fachen, sondern
lediglich mit dem 1,3fachen Satz berechnet worden sei. Nach der Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1
VV RVG seien die nach Nr. 3200 VV RVG in allen Verfahren vor dem Finanzgericht und
somit auch im Aussetzungsverfahren anzuwenden sein.
Der Kostenbeamte half der Erinnerung nach Anhörung der Beklagten nicht ab, sondern legte
sie zur Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
II. Die Erinnerung ist unbegründet. In dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Februar 2005
sind die zu erstattenden Aufwendungen zu Recht i.H.v. netto 39 EUR zuzüglich Umsatzsteuer
(6,24 EUR) festgesetzt worden. Der Kostenbeamte hat zutreffend die Verfahrensgebühr mit
dem 1,3fachen Satz gemäß Nr. 3100 VV RVG berechnet.
96
Zwar berechnen sich die Gebühren in Verfahren vor dem Finanzgericht grundsätzlich gemäß
Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG nach Abschnitt 3.2 des
Vergütungsverzeichnisses. Gemäß Nr. 3204 VV RVG ergibt sich danach die Gebühr nach
dem 1,6fachen Satz des nach § 13 RVG gültigen Betrages.
Allerdings sind nach Vorbemerkung 3.2. Abs. 2 VV RVG in Verfahren über vorläufigen
Rechtsschutz, in denen das Berufungsgericht das Gericht der Hauptsache ist, die Gebühren
nach Abschnitt 3.1 zu berechnen. Die in der Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 VV RVG enthaltene
Regelung entspricht damit der Regelung des zuvor gültigen § 40 Abs. 3 BRAGO. Nach dieser
Vorschrift berechneten sich die Gebühren im Verfahren über den erstmalig in einer höheren
Instanz beantragten vorläufigen Rechtsschutz ebenfalls nach den für die niedrigere Instanz
geltenden Gebührensätzen. Entsprechendes gilt auch für das Aussetzungsverfahren vor dem
Finanzgericht. Durch die Regelung des Abschnittes 3.2.1 Abs. 1 Nr. 1 VV wurde lediglich
dem Umstand Rechnung getragen, dass die Finanzgerichte auf der Ebene der
Oberlandesgerichte eingerichtet sind. So heißt es ausdrücklich in der Gesetzesbegründung
zum RVG und zum Vergütungsverzeichnis: "Abs. 1 Nr. 1 der Vorbemerkung sieht in Abkehr
von geltendem Recht darüber hinaus vor, dass der Rechtsanwalt in Zukunft auch in
erstinstanzlichen Verfahren vor den Finanzgerichten die für die Rechtsmittelverfahren
erhöhten Gebühren nach Abschnitt 2 erhalten soll. Das Finanzgericht ist seiner Struktur nach
ein Obergericht wie das Oberverwaltungsgericht. ... Die Tätigkeit des Rechtsanwalts im
Finanzgerichtsprozess ist daher nicht vergleichbar mit seinen Tätigkeiten vor den sonstigen
erstinstanzlichen Gerichten. Sie ist vielmehr vergleichbar mit der anwaltlichen Tätigkeit vor
den Berufungsgerichten."
Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG vollzieht daher lediglich den Schritt der
gebührenrechtlichen Gleichstellung der Finanzgerichte mit den übrigen Obergerichten. Nach
dem Sinn und Zweck dieser Regelung ist jedoch nicht beabsichtigt, auch das Verfahren über
vorläufigen Rechtsschutz im Verfahren vor dem Finanzgericht höher zu vergüten, als bei
anderen Gerichten höherer Instanz. Entsprechend berechnet sich daher die Gebühr für das
Aussetzungsverfahren vor dem Finanzgericht gemäß Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 VV RVG
nach den Gebühren des Abschnittes 3.1 VV RVG.
Daher hat der Kostenbeamte zu Recht die Gebühren gemäß Nr. 3100 VV RVG mit dem
1,3fachen Satz der nach § 13 RVG geltenden Gebühr angesetzt. Entsprechend war auch die
20 %ige Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte von der 1,3fachen Gebühr zu
berechnen.
EFG 2005, 1803 (Leitsatz und Gründe) DStRE 2005, 1366-1367 (red. Leitsatz und Gründe)
StE 2005, 678 (red. Leitsatz)
OLG Hamm 23. Zivilsenat Beschluß vom 24. Januar 2005 23 W 368/04
Rechtsanwaltskosten im einstweiligen Verfügungsverfahren: Verfahrensgebühr bei
vorzeitiger Auftragsbeendigung
Leitsatz
97
1. Die Verfahrensgebühr (VV 3100) entsteht bereits dann, wenn der Anwalt irgendeine
Geschäftstätigkeit für das Verfahren ausübt. Insoweit finden die nämlichen Grundsätze
Anwendung, wie sie bereits für die Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO gegolten
haben.
2. Für das erste Stadium der Verfahrensgebühr (VV 3101) ist es nicht erforderlich, dass die
Geschäftstätigkeit des Anwalts dem Gericht gegenüber erfolgt.
Orientierungssatz
Eine (0,8-)Verfahrensgebühr entsteht für den Rechtsanwalt auf Antragsgegnerseite im
einstweiligen Verfügungsverfahren bereits dann, wenn er die Antragsschrift
entgegengenommen hat, um die Rechtsverteidigung vorzubereiten, auch wenn es infolge
Antragsrücknahme nicht mehr zur Einreichung eines Schriftsatzes bei Gericht kommt.
OLGR Hamm 2005, 385 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 338 (red. Leitsatz und Gründe)
AnwBl 2005, 587 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 593 (Leitsatz und Gründe)
RVGreport 2005, 230-231 (Leitsatz)
OLG Nürnberg 5. Zivilsenat Beschluß vom 11. April 2005 5 W 262/05
Rechtsanwaltsvergütung: Anfall einer Verfahrensgebühr bei Einreichung einer
Schutzschrift
Leitsatz
Im Geltungsbereich des neuen RVG löst eine bei Gericht eingereichte Schutzschrift in der
Regel eine volle Verfahrensgebühr aus (1,3 Gebühr gem. VV 3100), wenn der Gegner später
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt.
Dies gilt nur dann nicht, wenn die Schutzschrift auf Grund eines Auftrags zu einer reinen
Einzeltätigkeit und damit nicht auf Grund einer generellen Beauftragung für ein zukünftiges
einstweiliges Verfügungsverfahren gefertigt und eingereicht wird (in diesem Fall 0,8
Verfahrensgebühr gem. VV 3403).
OLGR Nürnberg 2005, 397-398 (Leitsatz und Gründe) NJW-RR 2005, 941-942 (Leitsatz
und Gründe) AGS 2005, 339 (Leitsatz und Gründe) Magazindienst 2005, 962-964 (Leitsatz
und Gründe) MDR 2005, 1317-1318 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 65
(Leitsatz) RVGreport 2005, 230 (Leitsatz) RVG-B 2005, 131-132 (red. Leitsatz) ZAP ENNr 685/2005 (red. Leitsatz)
Im Geltungsbereich des neuen RVG löst eine bei Gericht eingereichte Schutzschrift in der Regel
eine volle Verfahrensgebühr aus (1,3 Gebühr gem. VV 3100), wenn der Gegner später einen
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt.
98
Dies gilt nur dann nicht, wenn die Schutzschrift auf Grund eines Auftrags zu einer reinen
Einzeltätigkeit und damit nicht auf Grund einer generellen Beauftragung für ein zukünftiges
einstweiliges Verfügungsverfahren gefertigt und eingereicht wird (in diesem Fall 0,8
Verfahrensgebühr gem. VV 3403).
OLG-NUERNBERG: 5 W 262/05, Beschluss vom 11.04.2005
Verfahrensgang:
LG Regensburg 3 O 2135/04 vom 16.12.2004
Nürnberg, den 11.04.2005
5 W 262/05
In Sachen
erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 5. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden
Beschluß:
Tenor:
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss
des Landgerichts Regensburg vom 16.12.2004 abgeändert.
Die von dem Antragsteller der Antragsgegnerin zu 1) zu erstattenden Kosten werden auf 532,90
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.09.2004
festgesetzt.
II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den o.g. Beschluss wird zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Beschwerdewert beträgt 532,90 Euro.
V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrte beim Landgericht Regensburg mit am selben Tag eingegangenem
Schriftsatz vom 13.09.2004 den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch die den beiden
Antragsgegnerinnen das Betreten des Grundstücks und der Räume eines vormals gepachteten
Hotels untersagt werden sollte. Die Antragsgegnerin zu 1) war die Verpächterin des Hotels, die
Antragsgegnerin zu 2) ist eine Grundstücksnachbarin.
Bereits am 10.09.2004 hatte die Antragsgegnerin zu 1) beim Landgericht eine Schutzschrift in
dieser Angelegenheit eingereicht.
Das Landgericht vermerkte auf dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung das
Vorhandensein der Schutzschrift, stellte fest, dass eine Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung nicht veranlasst sei und bestimmte Termin auf 27.09.2004. Am 22.09.2004 wurde
der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen. Mit Beschluss vom
27.09.2004 wurden dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Am 10.09.2004 hatte die Ehefrau des Antragstellers beim Amtsgericht Kelheim den Erlass einer
einstweiligen Verfügung beantragt, wonach die hiesige Antragsgegnerin zu 1) verpflichtet werden
99
sollte, der dortigen Antragstellerin den Zugang zum Hotel zu verschaffen und die neuen Schlüssel
auszuhändigen. Eine entsprechende einstweilige Verfügung wurde noch am selben Tag vom
Amtsgericht erlassen.
Im Anschluss an diese einstweilige Verfügung findet sich in den - Akten dieselbe Schutzschrift der
Antragsgegnerin wie im hiesigen Verfahren, die deren Prozessbevollmächtigter - allerdings im
Hinblick auf einen möglichen Antrag des hiesigen Antragstellers - auch zum Amtsgericht Kelheim
eingereicht hatte. Gegen die dortige einstweilige Verfügung legte die Antragsgegnerin, vertreten
durch ihren Prozessbevollmächtigten, Widerspruch ein. In der mündlichen Verhandlung vor dem
Amtsgericht erklärten die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Das Amtsgericht
erlegte in seinem Beschluss nach § 91 a ZPO der Verfügungsklägerin die Kosten des Verfahrens
auf, da diese nicht Pächterin des Objekts gewesen sei. Das Verfahren wurde mit Verfahrens- und
Terminsgebühr abgerechnet.
Im hiesigen Verfahren verlangt die Antragsgegnerin zu 1) aufgrund der eingereichten
Schutzschrift eine Verfahrensgebühr gemäß VV 3100 RVG. Dem tritt der Antragsteller mit dem
Argument entgegen, die Schutzschrift sei bereits Gegenstand des amtsgerichtlichen Verfahrens
gewesen, sie könne deshalb nicht auch noch im landgerichtlichen Verfahren eine
Verfahrensgebühr auslösen. Allenfalls stehe der Antragsgegnerin eine 0,8 Gebühr zu.
Die Rechtspflegerin beim Landgericht Regensburg hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom
16.12.2004 der Antragsgegnerin zu 1) eine 0,8 Verfahrensgebühr gemäß VV 3403 RVG für die
Fertigung und Einreichung der Schutzschrift zuerkannt. Auf die Gründe des Beschlusses wird
verwiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegnerin zu 1), die weiterhin eine 1,3
Gebühr verlangt, und der Antragsteller, nach dessen Meinung eine Verfahrensgebühr überhaupt
nicht angefallen ist, fristgerecht sofortige Beschwerden eingelegt.
II.
1. Beide sofortigen Beschwerden sind zulässig.
Zwar liegt die Beschwer der Antragsgegnerin zu 1) unter 200,00 Euro - beantragt wurden 532,90
Euro, festgesetzt wurden demgegenüber 336,86 Euro -. Das Nichterreichen der an sich nötigen
Beschwerdesumme (§ 567 Abs. 2 ZPO) macht das Rechtsmittel jedoch nicht unzulässig. Da der
Wert der Beschwerde des Antragstellers die Beschwerdesumme erreicht, ist nämlich die
Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) als Anschlussbeschwerde zu werten, für die wiederum die
Beschwerdesumme ohne Bedeutung ist (vgl. zum Ganzen: Thomas -Putzo/Hüßtege, ZPO, 26.
Aufl., § 104, Rdnr. 45 und Thomas-Putzo/Reichold, § 567, Rdnr. 22).
2. Die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) ist begründet, die des Antragstellers dagegen
unbegründet.
Der Antragsgegnerin zu 1) steht eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß VV 3100 RVG zu.
a) Die Antragsgegnerin zu 1) hat glaubhaft dargetan, dass sie ihrem anwaltlichen Vertreter einen
umfassenden Auftrag zur Vertretung in einem möglichen einstweiligen Verfügungsverfahren erteilt
hat. Damit kommen die Gebühren nach VV 3100 f. und nicht die nach VV 3403 f. RVG zur
Anwendung; denn VV 3403 wäre - als Auffangtatbestand - nur einschlägig, wenn eine reine
Einzeltätigkeit - hier: Fertigung und Einreichung der Schutzschrift - beauftragt worden wäre. Dies
wäre z.B. der Fall gewesen, wenn sich die Antragsgegnerin im eigentlichen Verfügungsverfahren
von einem anderen Rechtsanwalt hätte vertreten lassen wollen (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe,
RVG, 16. Aufl., Teil D II "Einstweiliger Rechtsschutz", Anhang, Rdnr. 199). Für einen solchen
Einzelauftrag ist im Streitfall nichts ersichtlich. Umgekehrt zeigt vielmehr die Vertretung der
Antragsgegnerin zu 1) im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Amtsgericht Kelheim durch
denselben Rechtsanwalt, dass sich die Antragsgegnerin im Rahmen der Auseinandersetzungen
um das Hotel umfassend von derselben Kanzlei vertreten ließ.
b) Der Antragsgegnerin steht eine volle Verfahrensgebühr gemäß VV 3100 RVG zu.
Im Gegensatz zum früheren Recht löst eine Schutzschrift nach neuem Gebührenrecht eine volle
Gebühr aus. Hing im Geltungsbereich der BRAGO die Entstehung einer vollen Gebühr davon ab,
ob man den in einer Schutzschrift regelmäßig enthaltenen Antrag auf Zurückweisung eines
100
eventuellen Antrags auf einstweilige Verfügung als Sachantrag auffasste (so in der
Rechtsprechung insbesondere OLG Koblenz, JurBüro 90, 1160 f.), oder nicht (so die herrschende
Meinung, vgl. BGH NJW 03, 1257 f = JurBüro 03, 369 f. m.w.N.), so kommt es nach den
Bestimmungen des jetzt gültigen RVG auf eine Antragstellung nicht mehr unbedingt an.
Ausreichend für den Anfall der vollen Gebühr ist nämlich nun auch ein Sachvortrag in einem
eingereichten Schriftsatz (Argument aus VV 3101 Ziff. 1). Der Gesetzgeber hat bewusst den
Antrag nicht mehr als ausschlaggebend erachtet, weil "kein Grund ersichtlich" sei, weshalb bei
Einbringung von Sachvortrag nicht auch ohne ausdrückliche Antragstellung die volle
Verfahrensgebühr anfallen solle (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs zum RVG,
Bundestagsdrucksache 15/1971, S. 211).
Da im Streitfall ein umfangreicher Sachvortrag in der Schutzschrift enthalten ist, ist die volle
Gebühr angefallen (so auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Rdnr. 202; anderer Ansicht:
Göttlich/Mümmler/Reberg, RVG, 1. Aufl., "Schutzschrift", der sich aber wiederum nur mit der
Qualifizierung des "Antrags" beschäftigt).
3. Die volle Verfahrensgebühr entfällt auch nicht deshalb, weil die Schutzschrift bereits in einem
anderen Verfahren eine Gebühr ausgelöst hätte und gebührenrechtlich verbraucht wäre.
Zum einen fehlt es schon an der Parteiidentität in den Verfahren vor dem Amtsgericht Kelheim
und dem Landgericht Regensburg. Zum anderen war die Schutzschrift beim Amtsgericht Kelheim
gerade nicht im Hinblick auf eine mögliche einstweilige Verfügung der Ehefrau des hiesigen
Antragstellers eingereicht worden. Sie beschäftigte sich dementsprechend mit einem
Pachtvertrag, den der Ehemann der dortigen Antragstellerin mit der Antragsgegnerin zu 1)
geschlossen hatte. Die Schutzschrift wurde auch erst nach dem Erlass der einstweiligen
Verfügung und - mangels Parteiidentität - offenbar aus Informationsgründen zu den Akten
genommen. Die Verfahrens- und Terminsgebühr im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem
Amtsgericht Kelheim fielen aufgrund des Widerspruchs und der Wahrnehmung des Termins der
mündlichen Verhandlung an. Für dieses Verfahren war der Rechtsanwalt auch erst am
13.09.2004 mandatiert worden.
Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zur
Argumentation in der Schutzschrift es dem Amtsgericht bei seiner Kostenentscheidung auch nicht
darauf ankam, ob aufgrund eines - früheren - Pachtverhältnisses noch ein Besitzrecht bestünde
oder nicht, sondern das Amtsgericht stützte seine Entscheidung darauf, dass die dortige
Antragstellerin die Pächterin des Objektes war.
Nach alledem sind der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Regensburg abzuändern
und die der Antragsgegnerin zu 1) zu erstattenden Kosten antragsgemäß festzusetzen. Das
diesbezügliche Rechenwerk der Antragsgegnerin zu 1) ist zutreffend und rechnerisch von dem
Antragsteller auch nicht bestritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 5 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 ZPO zugelassen.
101
Nr. 3104 VV RVG
SG Koblenz 5. Kammer Beschluß vom 19. August 2005 S 5 KR 351/04
Terminsgebühr bei Anerkenntnis im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
1. Die Tatsache, dass kein Termin stattgefunden hat, führt nicht dazu, den Umfang der
Tätigkeit des Rechtsanwaltes im Rahmen der Terminsgebühr als unterdurchschnittlich zu
bewerten.
2. Der Gesetzgeber hat eine gebührenrechtliche Gleichstellung der realen und der fiktiven
Terminsgebühr bei Anerkenntnis vorgenommen, so dass sich keine Unterscheidung
hinsichtlich der Über- oder Unterdurchschnittlichkeit im Bereich der fiktiven Terminsgebühr
treffen lässt.
AnwBl 2005, 722 (red. Leitsatz)
SG Düsseldorf 23. Kammer Beschluß vom 26. Juli 2005 S 23 AL 311/04
Terminsgebühr bei Anerkenntnis im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
1. Die Terminsgebühr der Nr 3106 RVG-VV fällt auch an, wenn das Verfahren nach
angenommenem Anerkenntnis ohne Termin endet.
2. Das Anerkenntnis ist kein Grund, die anwaltliche Tätigkeit bei der Bemessung der
Terminsgebühr innerhalb des Betragsrahmens als gering zu bewerten.
AnwBl 2005, 722 (red. Leitsatz)
SG Aachen 9. Kammer Beschluß vom 9. August 2005 S 9 AL 18/05
Terminsgebühr bei Anerkenntnis im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
1. Auch wenn kein Termin stattgefunden hat, muss die Bemessung der Terminsgebühr so
erfolgen, als wenn ein Termin stattgefunden hätte.
2. Die Regelung über die Terminsgebühr in sozialrechtlichen Verfahren, in denen
Betragsrahmengebühren entstehen, ist im Zusammenhang mit der allgemeinen Regelung über
die Terminsgebühr der Nr 3106 RVG-VV zu verstehen. Hier entsteht eine Gebühr von 1,2
nach dem Gegenstandswert, auch wenn in bestimmten Fällen kein Termin stattgefunden hat.
102
Auch in sozialrechtlichen Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, kann das
Fehlen des Termins deswegen nicht gebührenmindernd berücksichtigt werden.
RVGreport 2005, 389-390 (red. Leitsatz) AnwBl 2005, 722 (red. Leitsatz)
BGH 3. Zivilsenat Beschluß vom 27. Oktober 2005 III ZB 42/05
Leitsatz
Wird in einem in erster Instanz geführten Zivilprozess über den rechtshängigen Anspruch (auf
Vorschlag des Gerichts) ein schriftlicher Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen,
entsteht für den beauftragten Prozessbevollmächtigten - neben einer 1,3 Verfahrensgebühr
nach Nr. 3100 VV und einer 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV - eine 1,2
Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV.
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg, 2.
Zivilsenat, vom 24. Februar 2005 - 2 W 208/05 - aufgehoben und der
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Regensburg vom 10. November 2004 - 1 O
1787/04 (3) - abgeändert.
Die von der Beklagten an den Kläger aufgrund des Vergleichs des Landgerichts Regensburg
vom 24. September 2004 zu erstattenden Kosten werden auf 1.148,65 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2004 festgesetzt.
Die Beklagte hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird
auf 347,84 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit seiner im Juli 2004 eingegangenen Vollstreckungsabwehrklage begehrte der Kläger die
Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem von der Beklagten erwirkten
Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 5.412,02 EUR nebst weiterer Kosten
und Zinsen. Das Landgericht führte ein schriftliches Vorverfahren durch und machte nach
einem entsprechenden vorangegangenen Schriftsatz des Klägers vom 14. September 2004
durch Verfügung vom 16. September 2004 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen
Vergleichsvorschlag, den die Parteien annahmen. Durch Beschluss vom 24. September 2004
stellte das Landgericht das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs nach § 278 Abs. 6
Satz 2 ZPO fest. Hiernach haben der Kläger 14 v.H. und die Beklagte 86 v.H. der Kosten des
Rechtsstreits und des Vergleichs zu tragen.
103
In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. November 2004 berücksichtigte das
Landgericht die von den Parteien zum Ausgleich angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr gemäß
Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses (im Folgenden: VV) in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG
und die 1,0-Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV, sah aber von der Ausgleichung der vom
Kläger beanspruchten 1,2-Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV ab, weil die mündliche
Verhandlung für die in § 278 Abs. 6 ZPO vorgesehene Möglichkeit, in einem schriftlichen
Verfahren einen Vergleich abzuschließen, nicht vorgeschrieben sei. Das Oberlandesgericht
hat die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtberücksichtigung der
Terminsgebühr zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht (vgl. auch OLG Nürnberg NJW-RR 2005, 655 mit kritischen
Anmerkungen Henke AnwBl. 2005, 222; Enders JurBüro 2005, 250; Schons AGS 2005, 145)
nimmt auf den zur Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ergangenen Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 30. März 2004 (VI ZB 81/03 - NJW 2004, 2311) Bezug. Danach
lösten die außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und
Verhandlung der Parteien oder ihrer Vertreter vor einem Vergleichsabschluss nach § 278 Abs.
6 ZPO keine Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus, sondern sie wurden
durch die Prozessgebühr abgegolten. Des weiteren äußerte der VI. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs außerhalb der tragenden Gründe die Auffassung, auch nach dem
inzwischen verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Rechtsanwaltsvergütungsrechts solle
beim Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO, der die
Einigungsgebühr und Verfahrensgebühr auslöse, keine Terminsgebühr entstehen. Das
Beschwerdegericht nimmt ferner auf den auf Gegenvorstellung ergangenen Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2004 (NJOZ 2004, 4083, 4084) in dieser Sache Bezug, in
dem darauf hingewiesen wird, der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV lege die Annahme
nahe, dass mit dem Verfahren, in dem im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche
Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich
geschlossen werde, das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht nach § 278 Abs. 6 ZPO
gemeint sei. Das Beschwerdegericht folgt dieser zum neuen Recht angedeuteten Auffassung
des Bundesgerichtshofs und meint, für die hier vorliegende Fallkonstellation komme allein
die Alternative in Betracht, dass für das Verfahren die mündliche Verhandlung
vorgeschrieben sei. Für einen Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO sei jedoch eine
mündliche Verhandlung nicht erforderlich.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Neuordnung des anwaltlichen Gebührenrechts durch das am 1. Juli 2004 in Kraft
getretene, vorliegend anwendbare Rechtsanwaltsvergütungsgesetz hat für den hier betroffenen
Anwendungsbereich der Terminsgebühr - ungeachtet der inhaltlichen Übernahme einiger
Bestimmungen der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - zu Änderungen der
Rechtslage gegenüber der Verhandlungs- und Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1, 4
BRAGO geführt. Die Terminsgebühr entsteht nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des
Vergütungsverzeichnisses für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder
Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten
Sachverständigen anberaumten Termins. Es kommt damit nicht mehr - wie bei der
Verhandlungs- und Erörterungsgebühr - darauf an, ob in dem Termin Anträge gestellt werden
oder ob die Sache erörtert wird (vgl. Gesetzentwurf BT-Drucks. 15/1971, S. 209). Anders als
104
nach früherem Recht ist ihr Anwendungsbereich auch auf die Mitwirkung an Besprechungen
ohne Beteiligung des Gerichts erstreckt worden, die auf die Vermeidung oder Erledigung des
Verfahrens gerichtet sind, wobei dies allerdings für Besprechungen (nur) mit dem
Auftraggeber nicht gilt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs
fördern und honorieren wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder
Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sachund Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen soll. Ihm soll nach
neuem Recht eine nach früherem Recht geübte Praxis, einen gerichtlichen
Verhandlungstermin anzustreben, in dem ein ausgehandelter Vergleich nach "Erörterung der
Sach- und Rechtslage" protokolliert wird, um eine Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr
auszulösen, erspart bleiben (vgl. BT-Drucks. aaO). Konnte daher nach früherem Recht eine
außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der
Parteien vor einem Vergleichsabschluss eine Erörterungsgebühr nicht auslösen (vgl. BGH,
Beschluss vom 30. März 2004 aaO), ist dies durch Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des
Vergütungsverzeichnisses bewusst abweichend geregelt worden. Allerdings ist vorliegend
nach dieser Bestimmung keine Terminsgebühr ausgelöst worden, weil der Inhalt des später
geschlossenen Vergleichs nicht, wie im Beschwerdeverfahren berichtigend vorgetragen
worden ist, Anfang September 2004 in einem Gespräch zwischen den
Prozessbevollmächtigten der Parteien abgestimmt worden ist.
b) Auch wenn es an einer Terminswahrnehmung im vorgenannten Sinn fehlt, eröffnet Nr.
3104 VV für bestimmte Verfahrenskonstellationen die Entstehung einer Terminsgebühr für
einen tatsächlich nicht wahrgenommenen Termin. Nach Abs. 1 Nr. 1 dieser Bestimmung, mit
der - allerdings nur zum Teil - die Regelung des § 35 BRAGO übernommen wird, entsteht
eine Terminsgebühr alternativ auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche
Verhandlung vorgeschrieben ist,
(1) im Einverständnis mit den Parteien,
(2) gemäß § 307 Abs. 2 ZPO (a.F.),
(3) gemäß § 495a ZPO
ohne mündliche Verhandlung entschieden wird oder - und das ist gegenüber der Rechtslage
nach § 35 BRAGO neu (4) in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich
geschlossen wird.
In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage soll der Prozessbevollmächtigte, der in
einem Zivilprozess im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO)
erwarten kann, in der mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen, keinen
Gebührennachteil erleiden, wenn durch eine andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche
Verhandlung verzichtet wird (vgl. Keller, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, VV Teil
3 Abschnitt 1 Rn. 45). Dies betrifft die Fälle, in denen nach § 128 Abs. 2 ZPO mit
Zustimmung der Parteien oder gemäß § 307 Satz 2 ZPO oder bei einem 600 EUR nicht
übersteigenden Streitwert (§ 495a Satz 1 ZPO) auch ohne deren Zustimmung ohne mündliche
Verhandlung entschieden werden kann. Dabei wird die Terminsgebühr erst durch den Erlass
der Entscheidung ausgelöst (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/MüllerRabe, RVG, 16. Aufl. 2004, Nr. 3104 VV Rn. 17; Keller aaO Rn. 46, 50).
105
Der Erlass einer Entscheidung ist jedoch zur Entstehung der Terminsgebühr nicht
erforderlich, wenn nach der Variante (4) in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung
vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Der Umstand, dass das
Gericht nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines nach Satz 1
der Bestimmung geschlossenen Vergleichs durch Beschluss feststellt, der nach § 128 Abs. 4
ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, ist daher für die Entstehung der
Terminsgebühr in dieser Variante ohne Bedeutung. Deshalb schöpft auch die Überlegung des
Beschwerdegerichts, für ein Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO sei die mündliche
Verhandlung nicht vorgeschrieben, den Bedeutungsgehalt der Variante (4) der Nr. 3104 Abs.
1 Nr. 1 VV nicht aus. Zwar stünde der Wortlaut dieser Bestimmung einer Auslegung nicht
entgegen, nach der der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nur dann eine Terminsgebühr
auslöst, wenn er in einem schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO oder nach § 495a
ZPO geschlossen wird (so im Bewusstsein des einengenden Charakters dieser Auslegung
OLG Nürnberg NJW-RR 2005, 655, 656; vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl. 2005,
VV 3104 Rn. 30). Der Wortlaut legt jedoch - in Übereinstimmung mit der überwiegenden
Meinung in der Literatur - die Auslegung näher, dass der in Variante (4) geregelte Abschluss
eines schriftlichen Vergleichs für alle Verfahren gilt, für die mündliche Verhandlung
vorgeschrieben ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 278 Rn. 27; Müller-Rabe aaO
Rn. 58, 60; Keller aaO Rn. 51; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2004, VV 3104 Rn. 22;
Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, 2004, Vergütungsverzeichnis Teil
3 Anm. 2.6.1.1; Vorwerk/Schneider, Prozessformularbuch, 8. Aufl. 2005, Kap. 42 Rn. 88;
Hansens, in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2004, Teil 7 Rn. 347 f;
Scherer, Grundlagen des Kostenrechts - RVG, 10. Aufl. 2005, Ziffer 6.1.1.2, S. 277 f; Goebel
RVG-B 2004, 105, 106 und RVG-B 2005, 8, 9 f; Schneider AGS 2004, 232, 233; wohl auch
Jungbauer/Mock, Rechtsanwaltsvergütung, 3. Aufl. 2004, Rn. 1239), also auch für den hier
vorliegenden Fall, dass die Sache durch einen Haupttermin (§ 272 ZPO) erledigt werden soll
und dieser Haupttermin nach dem Ermessen des Vorsitzenden durch ein schriftliches
Vorverfahren (§ 276 ZPO) vorbereitet wird, während dessen Verlauf es zum Abschluss des
schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO kommt. Insoweit kann es im Hinblick auf das
Erfordernis, dass für das Verfahren die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nicht
darauf ankommen, ob der Haupttermin durch einen frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder
ein schriftliches Vorverfahren vorbereitet wird. Wollte man der einengenden Auffassung
folgen, nach der lediglich ein im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) oder im
Verfahren nach § 495a Satz 1 ZPO geschlossener schriftlicher Vergleich die Terminsgebühr
nach Nr. 3104 VV auslöst, ergäben sich Wertungswidersprüche, die durch das Argument
einer günstigen kostenmäßigen Erledigung für die Parteien nicht ausgeräumt werden könnten.
Aus der Sicht der anwaltlichen Tätigkeit macht es keinen Unterschied, ob eine Sache mit
einem 600 EUR nicht übersteigenden Wert im Verfahren nach § 495a Satz 1 ZPO oder mit
einem höheren Wert vor der mündlichen Verhandlung schriftlich verglichen wird. Es ließe
sich wohl kaum ernsthaft vertreten, im letzteren Fall habe der Rechtsanwalt für seine
Tätigkeit weniger Zeit und Mühe aufgewendet, weil er noch die mündliche Verhandlung vor
Augen gehabt habe. Es will auch nicht einleuchten, dass der Rechtsanwalt in dem letzteren
Fall nur deshalb die Terminsgebühr erhalten sollte, weil das Gericht im Einverständnis der
Parteien das schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) angeordnet hat. Die einengende
Auslegung wird schließlich den allgemeinen Vorstellungen des Gesetzgebers nicht gerecht,
mit denen er die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Terminsgebühr (s. oben a)
begründet hat, um im Interesse auch der Gerichte zu vermeiden, dass die früher geübte Praxis,
einen gerichtlichen Verhandlungstermin nur um einer anwaltlichen Gebühr willen
anzustreben, fortgesetzt wird. Solche allgemeinen Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren
können zwar nicht dazu führen, davon abzusehen, wie die Entstehung einer Gebühr im
Vergütungsverzeichnis im Einzelnen umschrieben und wie der jeweils zu beurteilende
106
Sachverhalt hierunter einzuordnen ist. Legt der Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV jedoch
- wie hier - die Entstehung einer Terminsgebühr nahe und stimmt dieses Ergebnis mit den in
Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses zu entnehmenden Wertungen
überein, verdient eine entsprechende, den Wortlaut der Bestimmung ausschöpfende
Auslegung den Vorzug. Daran ist der Senat durch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs
vom 30. März und 30. Juni 2004 (aaO), die sich mit den im jetzigen Verfahren
streiterheblichen Vorschriften nur am Rande - ohne dass es auf sie angekommen wäre beschäftigt haben, nicht gehindert. Es ist daher auch ein Verfahren nach § 132 GVG nicht
erforderlich.
3. Bei der Kostenausgleichung ist daher eine 1,2-Terminsgebühr zusätzlich zu
berücksichtigen, und zwar auch ohne einen besonderen Antrag auf Seiten der
Beschwerdegegnerin, da die Gebühr auf beiden Seiten entstanden ist (vgl. OLG Oldenburg
MDR 1993, 390; OLG Köln JurBüro 1994, 601, 602; Zöller/Herget, § 106 Rn. 6). Hiernach
belaufen sich die außergerichtlichen Kosten des Klägers unter Einschluss der Mehrwertsteuer
gegenüber der landgerichtlichen Festsetzung auf (924,98 EUR + 470,50 EUR =) 1.395,48
EUR (vgl. Bl. 66, 57) und diejenigen der Beklagten ohne Mehrwertsteuer auf (797,40 EUR +
405,60 EUR =) 1.203 EUR (vgl. Bl. 66, 59, 57), das sind zusammen 2.598,48 EUR. Nach
dem Vergleich hat der Kläger hiervon 14 v.H., das sind 363,79 EUR, zu tragen, denen eigene
Kosten von 1.395,48 EUR gegenüberstehen. Aus der Differenz ergibt sich ein
Erstattungsbetrag von 1.031,69 EUR. Hinzu kommt hinsichtlich der Gerichtskosten nach dem
insoweit unbeanstandet gebliebenen Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ein
Erstattungsbetrag von 116,96 EUR, so dass die Beklagte insgesamt 1.148,65 EUR nebst
Zinsen an den Kläger zu erstatten hat.
Der Wert der Beschwerdeverfahren entspricht der Höhe des bisher nicht ausgeglichenen
Differenzbetrags auf der Grundlage der Terminsgebühr und der Kostenquote des Vergleichs.
Schlick Wurm Kapsa
Dörr Galke
NSW RVG VV Nr. 3104 (BGH-intern) NSW ZPO § 278 (BGH-intern)
AG Schleiden Beschluß vom 31. Mai 2005 2 C 169/04
Rechtsanwaltskosten: Terminsgebühr bei Rechtsstreiterledigung durch
Anwaltstelefonat
Orientierungssatz
Eine anwaltliche Terminsgebühr fällt auch dann an, wenn die Rechtsanwälte in einer
rechtshängigen Angelegenheit ein Telefonat zu deren Erledigung führen, ohne dass noch eine
mündliche Verhandlung stattfindet (hier: Vergleichsschluss aufgrund anschließenden
Schriftwechsels).
NJW-RR 2005, 1232 (red. Leitsatz und Gründe)
107
AG Hamburg-Altona Beschluß vom 4. März 2005 303 II 63/04 b, 303 II 63/04
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Terminsgebühr in einem
Wohnungseigentumsverfahren
Leitsatz
Auch wenn im WEG-Verfahren ausnahmsweise ohne mündliche Verhandlung entschieden
wird, entsteht die volle Terminsgebühr beim Anwalt.
ZMR 2005, 657 (Leitsatz und Gründe)
Thüringer Oberlandesgericht 9. Zivilsenat Beschluß vom 21. Juli 2005 9 W 245/05
Rechtsanwaltsgebühr: Erstattungsfähigkeit der Terminsgebühr auch nach neuem
Gebührenrecht bei Entscheidung im schriftlichen Vorverfahren ohne mündliche
Verhandlung
Leitsatz
Dem Rechtsanwalt steht auch nach Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes am 1.
September 2004 in entsprechender Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG die
Terminsgebühr zu, wenn im schriftlichen Vorverfahren auf der Grundlage des § 307 S. 2 ZPO
(in der Fassung vom 28. April 2004) ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
JurBüro 2005, 529-530 (Leitsatz und Gründe) OLG-NL 2005, 240 (Leitsatz und Gründe)
RVGreport 2005, 389 (Leitsatz) NJ 2005, 505 (Leitsatz) ZAP EN-Nr 760/2005 (red.
Leitsatz)
LG Bonn 8. Zivilkammer Beschluß vom 29. April 2005 8 T 39/05
Rechtsanwaltskosten: Terminsgebühr bei Vergleichsschluss auf schriftlichen Vorschlag
des Gerichts vor einem Gütetermin
Orientierungssatz
Schließen die Parteien im normalen Prozessverfahren nach Anberaumung eines Termins zur
Güteverhandlung mit eventuell anschließendem Haupttermin auf einen Einigungsvorschlag
des Gerichts einen Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO und wird daraufhin der Termin
aufgehoben, ist jedenfalls dann die Terminsgebühr des Nr. 3104 VV entstanden, wenn dem
Vergleichsschluss (telefonische) Besprechungen zwischen den Verfahrensbevollmächtigten
und dem Abteilungsrichter vorausgegangen sind.
108
AGS 2005, 288-290 (red. Leitsatz und Gründe)
OLG Nürnberg 1. Zivilsenat Beschluß vom 1. Juni 2005 1 W 692/05
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Terminsgebühr bei Abschluss eines Vergleiches
nach einem schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts
Leitsatz
Bei einem Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO fällt eine 1,2 Terminsgebühr an, wenn
die Parteivertreter außergerichtliche Vergleichsgespräche führen (Abgrenzung zu OLG
Nürnberg, 3. Senat, 15. Dezember 2004, 3 W 4006/04, AnwBl 2005, 222 und OLG Nürnberg,
2. Senat, 24. Februar 2005, 2 W 208/05).
OLGR Nürnberg 2005, 634-635 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 530-531 (Leitsatz
und Gründe) AGS 2005, 476-477 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 99-100
(Leitsatz) RVG professionell 2005, 167-169 (red. Leitsatz) ZAP EN-Nr 609/2005 (Leitsatz)
OLG Koblenz 14. Zivilsenat Beschluß vom 11. April 2005 14 W 211/05
Rechtsanwaltskosten: Terminsgebühr bei Flucht in die Säumnis
Orientierungssatz
Auch bei sog. Flucht in die Säumnis (hier: des Klägeranwalts) entsteht für den Rechtsanwalt
eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV (und nicht lediglich eine 0,5 Gebühr nach Nr.
3105 VV).
AGS 2005, 190 (red. Leitsatz und Gründe) NJW 2005, 1955-1956 (Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 360 (Leitsatz und Gründe) Rpfleger 2005, 487 (Leitsatz und Gründe)
MDR 2005, 897-898 (red. Leitsatz und Gründe) AnwBl 2005, 432-433 (Leitsatz und Gründe)
FamRZ 2005, 1849 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 50-51 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 231 (Leitsatz) ZAP EN-Nr 382/2005 (red. Leitsatz) RVG
professionell 2005, 152 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 84 (red. Leitsatz) ZAP ENNr 647/2005 (red. Leitsatz)
OLG Koblenz 14. Zivilsenat Beschluß vom 3. Mai 2005 14 W 265/05
Rechtsanwaltskosten: Anfall der Terminsgebühr bei telefonischer
Zahlungsankündigung und Bitte um Klagerücknahme
Orientierungssatz
109
Ruft der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Rechtsanwalt des Klägers an und stellt
eine Zahlung in Aussicht und bittet im Hinblick darauf um eine Klagerücknahme, fällt die
Terminsgebühr der Nr. 3104 VV RVG an. Hierfür genügt es, wenn der Angerufene bloß
zuhört. Nicht entscheidend ist es, ob das Ansinnen positiv aufgenommen oder eine Einigung
herbeigeführt wird.
AGS 2005, 278 (red. Leitsatz und Gründe) Rpfleger 2005, 488 (Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 416-417 (Leitsatz und Gründe) AnwBl 2005, 586 (Leitsatz und Gründe)
MDR 2005, 1137-1138 (red. Leitsatz und Gründe) FamRZ 2005, 1852 (Leitsatz und Gründe)
RVG-Letter 2005, 66-67 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 270 (Leitsatz) RVG-B 2005,
130 (red. Leitsatz)
OLG Koblenz 14. Zivilsenat Beschluß vom 29. April 2005 14 W 257/05
Rechtsanwaltskosten: Anfall der Terminsgebühr bei einem telefonischen
Meinungsaustausch vor Klagerücknahme
Orientierungssatz
Ruft der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Rechtsanwalt des Klägers an und regt
eine Klagerücknahme an, fällt die Terminsgebühr der Nr. 3104 VV RVG an, wenn dieser
erwidert, er werde die Angelegenheit mit seinem Mandanten besprechen. Nicht erforderlich
ist es, dass dieses Telefonat ursächlich für die später tatsächlich erfolgte Klagerücknahme
war.
NJW 2005, 2162-2163 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 278 (red. Leitsatz und Gründe)
Rpfleger 2005, 488 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 417 (Leitsatz und Gründe)
AnwBl 2005, 586 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 66 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 269 (Leitsatz) RVG-B 2005, 130-131 (red. Leitsatz)
LG Bonn 8. Zivilkammer Entscheidung vom 29. April 2005 8 T 39/04
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Terminsgebühr bei Abschluss eines
Prozessvergleichs im schriftlichen Verfahren
Orientierungssatz
Unterbreitet das Gericht den Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag, auf dessen
Grundlage diese nach einer weiteren fernmündlichen Erörterung mit dem Richter gemäß §
278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich im schriftlichen Verfahren schließen, fällt die
Terminsgebühr der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG an.
Prozessrecht aktiv 2005, 101-102 (red. Leitsatz)
110
LG Itzehoe 1. Zivilkammer Beschluß vom 8. März 2005 1 T 264/04
Rechtsanwaltsgebühren: Terminsgebühr im WEG-Verfahren
Orientierungssatz
Wird in einem WEG-Verfahren nach § 43 WEG abweichend von § 44 Abs. 1 WEG ohne
mündliche Verhandlung entschieden, so erhält der Rechtsanwalt die Terminsgebühr wie in
einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung.
RVGreport 2005, 193 (red. Leitsatz)
LG Stuttgart 10. Zivilkammer Beschluß vom 1. Februar 2005 10 T 546/04
Rechtsanwaltsvergütung: Terminsgebühr bei Anerkenntnisurteil im schriftlichen
Verfahren
Orientierungssatz
Nachdem der im VV Nr. 3104 geregelte Fall des § 307 Abs. 2 ZPO a.F. von der neuen
Fassung des § 307 ZPO umfasst ist, handelt es sich bei der Nichtanpassung um ein Versehen
des Gesetzgebers. Die volle Terminsgebühr entsteht daher trotzdem.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 16.12.2004 wird der
Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 03.12.2004 Aktenzeichen: 11
C 2079/04 - wie folgt abgeändert:
Der Beklagte hat aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Amtsgerichts Nürtingen
vom 11.11.2004 - Az.: 11 C 2079/04 - 581,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des BGB seit 19.11.2004 an die Klägerin
zu erstatten.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde zum BGH wird zugelassen.
Beschwerdewert: 226,00 EUR.
Gründe
I.
Im vorliegenden Verfahren erließ das Amtsgericht Nürtingen am 11.11.2004 ein schriftliches
Anerkenntnisurteil gemäß § 307 ZPO, da der Beklagte nach der Anordnung des schriftlichen
111
Vorverfahrens durch das Amtsgericht Nürtingen die streitgegenständliche Forderung
anerkannte.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin beantragte daraufhin die Kosten gegen den Beklagten
gemäß §§ 103 ff. ZPO festzusetzen und begehrte in ihrem Antrag insbesondere auch die
Festsetzung der Terminsgebühr gemäß § 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG in Höhe von 226,80
EUR.
Das Amtsgericht Nürtingen erließ am 03.12.2004 den Kostenfestsetzungsbeschluss, nach
welchem der Beklagte 354, 70 EUR nebst Zinsen an die Klägerin zu erstatten hat (Blatt 40/41
der Akte). Die beantragte Festsetzung der Terminsgebühr wurde mit der Begründung
abgelehnt, dass nach der ersatzlosen Streichung des § 307 Abs. 2 ZPO eine Terminsgebühr
nach VV 3104 RVG nicht mehr entstünde.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde der Klägerin am 06.12.2004 zugestellt. Mit
Schriftsatz vom 16.12.2004 legte sie hiergegen sofortige Beschwerde ein, (Blatt 44/45 der
Akte). In ihrer Beschwerdebegründung ist die Klägerin weiterhin der Ansicht, dass die
Terminsgebühr angefallen und erstattungsfähig sei.
Mit Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 20.12.2004 wurde der
Rechtsstreit dem Landgericht vorgelegt.
Der Beklagte erhielt Gelegenheit zur sofortigen Beschwerde Stellung zu nehmen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 567 Abs. 1 und 2 ZPO statthaft und
wurde innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt.
Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des
Amtsgerichts Nürtingen vom 03.12.2004 war abzuändern, da die Terminsgebühr gemäß § 13
Abs. 1, Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV (Vergütungsverzeichnis) RVG in Höhe von 226,80 EUR
beim Klägervertreter angefallen war.
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV entsteht die Terminsgebühr,
wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im
Einverständnis mit den Parteien oder gemäß § 307 Abs. 2 oder § 495 a ZPO ohne mündliche
Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich
geschlossen wird, ....
Vor Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes wäre im vorliegenden Fall des § 307
Abs. 2 ZPO eine Terminsgebühr entstanden. Durch Artikel 1 Nr. 9 a des 1.
Justizmodernisierungsgesetzes, welches seit 01.09.2004 in Kraft ist, wurde § 307 Abs. 2 ZPO
ersatzlos gestrichen. Stattdessen wurde § 307 ZPO wie folgt formuliert: Erkennt eine Partei
den gegen sie geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil an, so ist sie dem
Anerkenntnis gemäß zu verurteilen. Einer mündlichen Verhandlung bedarf es insoweit nicht.
Die neue Fassung des § 307 ZPO umfasst damit die frühere Regelung des § 307 Abs. 2 ZPO.
Der Text des VV 3104 I Nr. 1 wurde dem neuen Gesetzeswortlaut jedoch nicht angepasst. Im
Hinblick auf die Gebührenregelung im Vergütungsverzeichnis Nr. 3104 sollte nach der
112
Intention des Gesetzgebers beim Anerkenntnisurteil eine Terminsgebühr entstehen, wenn
tatsächlich keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, weil ein Anerkenntnisurteil im
schriftlichen Vorverfahren erlassen wurde. Dieser Fall wird nunmehr aber in § 307 n.F. ZPO
geregelt. Die Abänderung des Vergütungsverzeichnisses Nr. 3104 wurde jedoch
offensichtlich übersehen.
Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte aus den Gesetzesmaterialien zum 1.
Justizmodernisierungsgesetz, die auf eine Abschaffung der Terminsgebühr für den Fall des
Anerkenntnisses im schriftlichen Vorverfahren hindeuten.
Nachdem der im VV Nr. 3104 geregelte Fall des § 307 Abs. 2 ZPO von der neuen Fassung
des § 307 ZPO umfasst ist, handelt es sich bei der Nichtanpassung um ein Versehen des
Gesetzgebers. Die volle Terminsgebühr entsteht daher trotzdem (so auch Zöller, ZPO, 25.
Auflage, § 307 Rdn. 12; Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 307 Rdn. 20).
Soweit das Amtsgericht Nürtingen meint, die Terminsgebühr sei nicht angefallen, da es nach
§ 307 Satz 2 ZPO für das Anerkenntnis einer mündlichen Verhandlung nicht mehr bedarf, ist
dem nicht zu folgen. Satz 2 des § 307 ZPO stellt lediglich klar, dass entgegen der früheren
Regelung, nach welcher ein Anerkenntnis nur in einer mündlichen Verhandlung abgegeben
werden konnte, nunmehr ein Anerkenntnisurteil ohne mündliche Verhandlung erlassen
werden kann. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass es sich bei Verfahren, die mit einem
Anerkenntnisurteil abgeschlossen werden, um Verfahren handelt, für welche die mündliche
Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Insoweit genügt es, dass es sich um ein Verfahren
handelt, für welches das Gesetz grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorschreibt. Eine
mündliche Verhandlung ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Verfahren auf den Erlass
eines Urteils nach § 128 Abs. 1 ZPO grundsätzlich immer notwendig (vgl. Peter Hartmann,
Kostengesetze, 34. Auflage, VV 3104 Rdnr. 15).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 2 Nr. 1 ZPO
wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
AGS 2005, 328 (red. Leitsatz und Gründe) NJW 2005, 3152-3153 (red. Leitsatz und Gründe)
RVG-Letter 2005, 68-69 (red. Leitsatz)
Wird in einem in erster Instanz geführten Zivilprozess über den rechtshängigen Anspruch (auf
Vorschlag des Gerichts) ein schriftlicher Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen, entsteht für
den beauftragten Prozessbevollmächtigten - neben einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV und
einer 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV - eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV.
BGH: III ZB 42/05, Beschluss vom 27.10.2005
Verfahrensgang:
OLG Nürnberg 2 W 208/05 vom 24.02.2005
LG Regensburg 1 O 1787/04 (3) vom 10.11.2004
113
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 42/05
vom
27. Oktober 2005
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter
Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg, 2.
Zivilsenat, vom 24. Februar 2005 - 2 W 208/05 - aufgehoben und der Kostenfestsetzungsbeschluss
des Landgerichts Regensburg vom 10. November 2004 - 1 O 1787/04 (3) - abgeändert.
Die von der Beklagten an den Kläger aufgrund des Vergleichs des Landgerichts Regensburg vom 24.
September 2004 zu erstattenden Kosten werden auf 1.148,65 ¤ nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2004 festgesetzt.
Die Beklagte hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
347,84 ¤ festgesetzt.
Gründe:
I.
Mit seiner im Juli 2004 eingegangenen Vollstreckungsabwehrklage begehrte der Kläger die
Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem von der Beklagten erwirkten
Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 5.412,02 ¤ nebst weiterer Kosten und Zinsen.
Das Landgericht führte ein schriftliches Vorverfahren durch und machte nach einem entsprechenden
vorangegangenen Schriftsatz des Klägers vom 14. September 2004 durch Verfügung vom 16.
September 2004 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleichsvorschlag, den die Parteien annahmen.
Durch Beschluss vom 24. September 2004 stellte das Landgericht das Zustandekommen und den
Inhalt des Vergleichs nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO fest. Hiernach haben der Kläger 14 v.H. und die
Beklagte 86 v.H. der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zu tragen.
In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. November 2004 berücksichtigte das Landgericht die
von den Parteien zum Ausgleich angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 des
Vergütungsverzeichnisses (im Folgenden: VV) in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG und die 1,0Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV, sah aber von der Ausgleichung der vom Kläger beanspruchten
1,2-Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV ab, weil die mündliche Verhandlung für die in § 278 Abs. 6
ZPO vorgesehene Möglichkeit, in einem schriftlichen Verfahren einen Vergleich abzuschließen, nicht
vorgeschrieben sei. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die
Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Beschwerdegericht (vgl. auch OLG Nürnberg NJW-RR 2005, 655 mit kritischen Anmerkungen
Henke AnwBl. 2005, 222; Enders JurBüro 2005, 250; Schons AGS 2005, 145) nimmt auf den zur
Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ergangenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.
März 2004 (VI ZB 81/03 - NJW 2004, 2311) Bezug. Danach lösten die außerhalb eines gerichtlichen
Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der Parteien oder ihrer Vertreter vor einem
114
Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO keine Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO
aus, sondern sie wurden durch die Prozessgebühr abgegolten. Des weiteren äußerte der VI.
Zivilsenats des Bundesgerichtshofs außerhalb der tragenden Gründe die Auffassung, auch nach dem
inzwischen verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Rechtsanwaltsvergütungsrechts solle beim
Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO, der die Einigungsgebühr und
Verfahrensgebühr auslöse, keine Terminsgebühr entstehen. Das Beschwerdegericht nimmt ferner auf
den auf Gegenvorstellung ergangenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2004 (NJOZ
2004, 4083, 4084) in dieser Sache Bezug, in dem darauf hingewiesen wird, der Wortlaut von Nr. 3104
Abs. 1 Nr. 1 VV lege die Annahme nahe, dass mit dem Verfahren, in dem im Einverständnis mit den
Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher
Vergleich geschlossen werde, das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht nach § 278 Abs. 6
ZPO gemeint sei. Das Beschwerdegericht folgt dieser zum neuen Recht angedeuteten Auffassung
des Bundesgerichtshofs und meint, für die hier vorliegende Fallkonstellation komme allein die
Alternative in Betracht, dass für das Verfahren die mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei. Für
einen Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO sei jedoch eine mündliche Verhandlung nicht
erforderlich.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Neuordnung des anwaltlichen Gebührenrechts durch das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene,
vorliegend anwendbare Rechtsanwaltsvergütungsgesetz hat für den hier betroffenen
Anwendungsbereich der Terminsgebühr - ungeachtet der inhaltlichen Übernahme einiger
Bestimmungen der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - zu Änderungen der Rechtslage
gegenüber der Verhandlungs- und Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1, 4 BRAGO geführt. Die
Terminsgebühr entsteht nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses für die
Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung
eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins. Es kommt damit nicht
mehr - wie bei der Verhandlungs- und Erörterungsgebühr - darauf an, ob in dem Termin Anträge
gestellt werden oder ob die Sache erörtert wird (vgl. Gesetzentwurf BT-Drucks. 15/1971, S. 209).
Anders als nach früherem Recht ist ihr Anwendungsbereich auch auf die Mitwirkung an
Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts erstreckt worden, die auf die Vermeidung oder
Erledigung des Verfahrens gerichtet sind, wobei dies allerdings für Besprechungen (nur) mit dem
Auftraggeber nicht gilt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs fördern
und honorieren wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder
Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und
Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen soll. Ihm soll nach neuem Recht
eine nach früherem Recht geübte Praxis, einen gerichtlichen Verhandlungstermin anzustreben, in dem
ein ausgehandelter Vergleich nach "Erörterung der Sach- und Rechtslage" protokolliert wird, um eine
Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr auszulösen, erspart bleiben (vgl. BT-Drucks. aaO). Konnte
daher nach früherem Recht eine außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung
und Verhandlung der Parteien vor einem Vergleichsabschluss eine Erörterungsgebühr nicht auslösen
(vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2004 aaO), ist dies durch Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des
Vergütungsverzeichnisses bewusst abweichend geregelt worden. Allerdings ist vorliegend nach dieser
Bestimmung keine Terminsgebühr ausgelöst worden, weil der Inhalt des später geschlossenen
Vergleichs nicht, wie im Beschwerdeverfahren berichtigend vorgetragen worden ist, Anfang
September 2004 in einem Gespräch zwischen den Prozessbevollmächtigten der Parteien abgestimmt
worden ist.
b) Auch wenn es an einer Terminswahrnehmung im vorgenannten Sinn fehlt, eröffnet Nr. 3104 VV für
bestimmte Verfahrenskonstellationen die Entstehung einer Terminsgebühr für einen tatsächlich nicht
wahrgenommenen Termin. Nach Abs. 1 Nr. 1 dieser Bestimmung, mit der - allerdings nur zum Teil die Regelung des § 35 BRAGO übernommen wird, entsteht eine Terminsgebühr alternativ auch dann,
wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,
(1) im Einverständnis mit den Parteien,
(2) gemäß § 307 Abs. 2 ZPO (a.F.),
(3) gemäß § 495a ZPO
ohne mündliche Verhandlung entschieden wird oder - und das ist gegenüber der Rechtslage nach §
35 BRAGO neu -
115
(4) in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.
In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage soll der Prozessbevollmächtigte, der in einem
Zivilprozess im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten kann, in der
mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen, keinen Gebührennachteil erleiden, wenn
durch eine andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird (vgl. Keller,
in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, VV Teil 3 Abschnitt 1 Rn. 45). Dies betrifft die Fälle, in denen
nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien oder gemäß § 307 Satz 2 ZPO oder bei einem
600 ¤ nicht übersteigenden Streitwert (§ 495a Satz 1 ZPO) auch ohne deren Zustimmung ohne
mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Dabei wird die Terminsgebühr erst durch den
Erlass der Entscheidung ausgelöst (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/MüllerRabe, RVG, 16. Aufl. 2004, Nr. 3104 VV Rn. 17; Keller aaO Rn. 46, 50).
Der Erlass einer Entscheidung ist jedoch zur Entstehung der Terminsgebühr nicht erforderlich, wenn
nach der Variante (4) in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein
schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Der Umstand, dass das Gericht nach § 278 Abs. 6 Satz 2
ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines nach Satz 1 der Bestimmung geschlossenen
Vergleichs durch Beschluss feststellt, der nach § 128 Abs. 4 ZPO ohne mündliche Verhandlung
ergehen kann, ist daher für die Entstehung der Terminsgebühr in dieser Variante ohne Bedeutung.
Deshalb schöpft auch die Überlegung des Beschwerdegerichts, für ein Verfahren nach § 278 Abs. 6
ZPO sei die mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben, den Bedeutungsgehalt der Variante (4) der
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV nicht aus. Zwar stünde der Wortlaut dieser Bestimmung einer Auslegung
nicht entgegen, nach der der Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nur dann eine Terminsgebühr
auslöst, wenn er in einem schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO oder nach § 495a ZPO
geschlossen wird (so im Bewusstsein des einengenden Charakters dieser Auslegung OLG Nürnberg
NJW-RR 2005, 655, 656; vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl. 2005, VV 3104 Rn. 30). Der
Wortlaut legt jedoch - in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur - die
Auslegung näher, dass der in Variante (4) geregelte Abschluss eines schriftlichen Vergleichs für alle
Verfahren gilt, für die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl.
2005, § 278 Rn. 27; Müller-Rabe aaO Rn. 58, 60; Keller aaO Rn. 51; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG,
2004, VV 3104 Rn. 22; Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, 2004,
Vergütungsverzeichnis Teil 3 Anm. 2.6.1.1; Vorwerk/Schneider, Prozessformularbuch, 8. Aufl. 2005,
Kap. 42 Rn. 88; Hansens, in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2004, Teil 7
Rn. 347 f; Scherer, Grundlagen des Kostenrechts - RVG, 10. Aufl. 2005, Ziffer 6.1.1.2, S. 277 f;
Goebel RVG-B 2004, 105, 106 und RVG-B 2005, 8, 9 f; Schneider AGS 2004, 232, 233; wohl auch
Jungbauer/Mock, Rechtsanwaltsvergütung, 3. Aufl. 2004, Rn. 1239), also auch für den hier
vorliegenden Fall, dass die Sache durch einen Haupttermin (§ 272 ZPO) erledigt werden soll und
dieser Haupttermin nach dem Ermessen des Vorsitzenden durch ein schriftliches Vorverfahren (§ 276
ZPO) vorbereitet wird, während dessen Verlauf es zum Abschluss des schriftlichen Vergleichs nach §
278 Abs. 6 ZPO kommt. Insoweit kann es im Hinblick auf das Erfordernis, dass für das Verfahren die
mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nicht darauf ankommen, ob der Haupttermin durch einen
frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder ein schriftliches Vorverfahren vorbereitet wird. Wollte man der
einengenden Auffassung folgen, nach der lediglich ein im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO)
oder im Verfahren nach § 495a Satz 1 ZPO geschlossener schriftlicher Vergleich die Terminsgebühr
nach Nr. 3104 VV auslöst, ergäben sich Wertungswidersprüche, die durch das Argument einer
günstigen kostenmäßigen Erledigung für die Parteien nicht ausgeräumt werden könnten. Aus der
Sicht der anwaltlichen Tätigkeit macht es keinen Unterschied, ob eine Sache mit einem 600 ¤ nicht
übersteigenden Wert im Verfahren nach § 495a Satz 1 ZPO oder mit einem höheren Wert vor der
mündlichen Verhandlung schriftlich verglichen wird. Es ließe sich wohl kaum ernsthaft vertreten, im
letzteren Fall habe der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit weniger Zeit und Mühe aufgewendet, weil er
noch die mündliche Verhandlung vor Augen gehabt habe. Es will auch nicht einleuchten, dass der
Rechtsanwalt in dem letzteren Fall nur deshalb die Terminsgebühr erhalten sollte, weil das Gericht im
Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) angeordnet hat. Die
einengende Auslegung wird schließlich den allgemeinen Vorstellungen des Gesetzgebers nicht
gerecht, mit denen er die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Terminsgebühr (s. oben a)
begründet hat, um im Interesse auch der Gerichte zu vermeiden, dass die früher geübte Praxis, einen
gerichtlichen Verhandlungstermin nur um einer anwaltlichen Gebühr willen anzustreben, fortgesetzt
wird. Solche allgemeinen Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren können zwar nicht dazu führen,
davon abzusehen, wie die Entstehung einer Gebühr im Vergütungsverzeichnis im Einzelnen
umschrieben und wie der jeweils zu beurteilende Sachverhalt hierunter einzuordnen ist. Legt der
Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV jedoch - wie hier - die Entstehung einer Terminsgebühr nahe
116
und stimmt dieses Ergebnis mit den in Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses
zu entnehmenden Wertungen überein, verdient eine entsprechende, den Wortlaut der Bestimmung
ausschöpfende Auslegung den Vorzug. Daran ist der Senat durch die Beschlüsse des
Bundesgerichtshofs vom 30. März und 30. Juni 2004 (aaO), die sich mit den im jetzigen Verfahren
streiterheblichen Vorschriften nur am Rande - ohne dass es auf sie angekommen wäre - beschäftigt
haben, nicht gehindert. Es ist daher auch ein Verfahren nach § 132 GVG nicht erforderlich.
3. Bei der Kostenausgleichung ist daher eine 1,2-Terminsgebühr zusätzlich zu berücksichtigen, und
zwar auch ohne einen besonderen Antrag auf Seiten der Beschwerdegegnerin, da die Gebühr auf
beiden Seiten entstanden ist (vgl. OLG Oldenburg MDR 1993, 390; OLG Köln JurBüro 1994, 601,
602; Zöller/Herget, § 106 Rn. 6). Hiernach belaufen sich die außergerichtlichen Kosten des Klägers
unter Einschluss der Mehrwertsteuer gegenüber der landgerichtlichen Festsetzung auf (924,98 ¤ +
470,50 ¤ =) 1.395,48 ¤ (vgl. Bl. 66, 57) und diejenigen der Beklagten ohne Mehrwertsteuer auf
(797,40 ¤ + 405,60 ¤ =) 1.203 ¤ (vgl. Bl. 66, 59, 57), das sind zusammen 2.598,48 ¤. Nach dem
Vergleich hat der Kläger hiervon 14 v.H., das sind 363,79 ¤, zu tragen, denen eigene Kosten von
1.395,48 ¤ gegenüberstehen. Aus der Differenz ergibt sich ein Erstattungsbetrag von 1.031,69 ¤.
Hinzu kommt hinsichtlich der Gerichtskosten nach dem insoweit unbeanstandet gebliebenen
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ein Erstattungsbetrag von 116,96 ¤, so dass die
Beklagte insgesamt 1.148,65 ¤ nebst Zinsen an den Kläger zu erstatten hat.
Der Wert der Beschwerdeverfahren entspricht der Höhe des bisher nicht ausgeglichenen
Differenzbetrags auf der Grundlage der Terminsgebühr und der Kostenquote des Vergleichs.
OLG Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluß vom 10. März 2005 8 W 89/05
Rechtsanwaltsgebühr: Termin- und Einigungsgebühr bei Einbeziehung eines
anderweitig rechtshängigen Anspruchs in einen Prozessvergleich
Leitsatz
Wird in einem Rechtsstreit ein in einem anderen Verfahren rechtshängiger Anspruch mit
verglichen, fällt allein dadurch eine Terminsgebühr und Einigungsgebühr in dem anderen
Verfahren nicht an.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der
Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 21.12.2004 in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses vom 17.2.2005 wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die durch Zurückweisung seiner Beschwerde angefallene Gerichtsgebühr
und die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 1.038,95 EUR
Gründe
I.
In dem Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht Stuttgart, AZ: 17 O 271/04 schlossen die
Parteien nach beidseitigen Erledigungserklärungen bezüglich des Zivilrechtsstreits, AZ: 17 O
117
271/04, und bezüglich des vorliegenden Rechtsstreits, AZ: 17 O 406/04, einen
Prozessvergleich über die Kosten. Danach sollte der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 der
Kosten beider Verfahren tragen. Der Streitwert des Verfahrens wurde auf 7.500,-- EUR und
der Streitwert des Vergleichs auf die Höhe des Kostenwerts der beiden Verfahren festgesetzt.
Der auf den gleichen Tag bestimmte Termin zur Güteverhandlung und frühe erste Termin zur
mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren wurde danach nicht mehr aufgerufen.
Nach den wechselseitigen Kostenanträgen setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts
Stuttgart durch Beschluss vom 21.12.2004, berichtigt mit Beschluss vom 17.2.2005, die von
der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 468,98 EUR nebst Zinsen fest.
Während die zur Festsetzung beantragten Kosten der Prozessbevollmächtigten des Klägers
aus Frankfurt vollständig in den Kostenausgleich einbezogen wurden, blieben die Kosten des
Esslinger Unterbevollmächtigten des Klägers, bestehend aus einer 1,2 Terminsgebühr, einer
1,0 Einigungsgebühr und einer 0,65 Verfahrensgebühr aus dem Gegenstandswert von 7.500,-EUR sowie einer Auslagenpauschale und Umsatzsteuer mit einer Gesamtsumme von 1,385,27
EUR unberücksichtigt.
Mit seinem Rechtsmittel begehrt der Kläger die Berücksichtigung der außergerichtlichen
Kosten seines Unterbevollmächtigten.
Mit Beschluss vom 3.3.2005 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart erklärt, der
Beschwerde nicht abzuhelfen, und hat die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur
Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Nachdem der Kläger die Berücksichtigung der Kosten seines Unterbevollmächtigten mit der
im Prozessvergleich vom 24.9.2004 vereinbarten Quote von 3/4 begehrt, errechnet sich seine
Beschwer auf 1.038,95 EUR, so dass sein Rechtsmittel als sofortige Beschwerde gemäß § 104
Abs. 3 Satz 1 ZPO zu behandeln ist. Die sofortige Beschwerde ist zulässig; insbesondere
wurde sie fristgemäß eingelegt.
2.
In der Sache bleibt die sofortige Beschwerde jedoch ohne Erfolg. Die geltend gemachten
außergerichtlichen Kosten des Unterbevollmächtigten sind teilweise nicht angefallen und,
soweit sie entstanden sind, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig
gewesen und deshalb nach § 91 ZPO nicht zu erstatten.
a) Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale
...
b) Terminsgebühr:
Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV/RVG entsteht eine Terminsgebühr entweder für die
Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin, der
Wahrnehmung eines von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumten Termins oder
für die Mitwirkung an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung ohne
Mitwirkung des Gerichts.
118
Im vorliegenden Verfahren wurde der anberaumte Termin aufgrund der vorangegangenen
Gesamterledigung des Rechtsstreits durch die beidseitige Erledigungserklärungen und den
Prozessvergleich über die Kosten im Verfahren 17 O 271/04 nicht mehr aufgerufen. Weil der
Termin nie begonnen hatte, verdiente der Rechtsanwalt die Terminsgebühr nicht
(Gerold/Schmidt - Müller-Rabe RVG 16. Aufl. VV Vorbem. 3 RN 71).
Außerhalb des Verfahrens 17 O 271/04 ist auch nach der 3. Alternative der Vorbem. 3 Abs. 3
VV/RVG keine Terminsgebühr angefallen, weil die Vergleichsgespräche, soweit sie sich auf
den Streitgegenstand oder die Kosten des Verfahrens 17 O 406/04 bezogen haben, nicht ohne
Beteiligung des Gerichts erfolgten.
Nr. 3104 Abs. 2 VV/RVG regelt nicht das gleichzeitige Entstehen einer Terminsgebühr im
nicht aufgerufenen Verfahren, dessen Gegenstand im aufgerufenen Verfahren mitverglichen
wurde, sondern setzt eine bereits entstandene Terminsgebühr voraus (Gerold/Schmidt Müller-Rabe a.a.O. VV 3104 RN 75).
Im vorliegenden Fall konnte die Einbeziehung des Streitgegenstands oder der Kosten des
vorliegenden Verfahrens in das Verfahren 17 O 271/04 nach der Vorbem. 3 Abs. 3 VV/RVG
i.V.m. Nr. 3104 Abs. 1 und 2 VV/RVG gegebenenfalls lediglich eine Erhöhung der
Terminsgebühr im Verfahren 17 O 271/04 bewirken (vgl. Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke
RVG 1. Aufl., Einigungsgebühr Nr. 1000 VV/RVG Abschnitt 10.3, Seite 257;
Gerold/Schmidt - Müller-Rabe a.a.O. VV Vorbem. 3 RN 76; VV 3104 RN 69). Ob und in
welchem Umfang sich die Terminsgebühr in dem Verfahren 17 O 271/04 erhöht hat, ist nicht
Gegenstand dieser sofortigen Beschwerde.
c) Einigungsgebühr:
Bei der Einbeziehung anderweitig anhängiger Ansprüche in einen Prozessvergleich erwächst
eine einheitliche 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV/RVG auf den Gesamtwert der
verglichenen Ansprüche. Der Einigungsvertragswert errechnet sich aus der Summe aller
verglichenen Ansprüche (Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke a.a.O.; Gerold/Schmidt - von
Eicken a.a.O. VV 1000 RN 45). Damit wurde durch die Einbeziehung der Kosten des
vorliegenden Verfahrens in den Prozessvergleich des Verfahrens 17 O 271/04 für das
vorliegende Verfahren keine gesonderte Einigungsgebühr verursacht, sondern lediglich der
Wert der im Verfahren 17 O 271/04 angefallenen Einigungsgebühr um den Kostenwert des
vorliegenden Verfahrens erhöht. Diese Erhöhung des Werts der Einigungsgebühr in dem
Verfahren 17 O 271/04 wurde von der Rechtspflegerin des Landgerichts im dort ergangenen
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.12.2004 berücksichtigt.
3.
Die Kostenentscheidung ergibt aus Nr. 1811 KV/GKG und § 97 Abs. 1 ZPO.
AGS 2005, 256-257 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 303 (Leitsatz und Gründe) NJWRR 2005, 940-941 (Leitsatz und Gründe) MDR 2005, 838-839 (red. Leitsatz und Gründe)
OLGR Stuttgart 2005, 559-560 (Leitsatz und Gründe) Justiz 2005, 327-328 (Leitsatz und
Gründe) RVG-Letter 2005, 39 (Leitsatz)
119
Zum Entstehen der Terminsgebühr bei Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO
OLG-DUESSELDORF: II-10 WF 11/05, Beschluss vom 21.07.2005
Verfahrensgang:
AG Kempen 18 F 146/04 vom 24.03.2005
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
BESCHLUSS
II-10 WF 11/05
In der Rechtsanwaltsvergütungssache
hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am
Oberlandesgericht ...
am 21.07.2005
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 31.03.2005 wird der Beschluss des Amtsgerichts
Mönchengladbach - Familiengericht - vom 24.03.2005 teilweise abgeändert und insgesamt wie
folgt neu gefasst:
Auf die Erinnerung des Antragstellers vom 04.03.2005 wird die Kostenfestsetzung des
Amtsgerichts Mönchengladbach - Rechtspfleger - vom 24.02.2005 teilweise abgeändert und
insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die dem Rechtsanwalt ... aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung wird festgesetzt auf EUR
676,86.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die am 04.04.2005 bei Gericht eingegangene Beschwerde des Antragstellers (Bl. 28 f PKH-Heft)
gegen den ihm am 31.03.2005 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom
24.03.2005 (Bl. 23, 32 PKH-Heft) ist zulässig gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 bis 8 RVG.
Sie richtet sich gegen die Zurückweisung der Erinnerung des Antragstellers vom 04.03.2005 (Bl.
17 f PKH-Heft), mit der ersieh gegen die Ablehnung der Festsetzung der aus der Staatskasse zu
zahlenden Vergütung nach §§ 60 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt., 55 RVG (Bl, 13 ff PKH-Heft) gewandt hat.
Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Zu Recht rügt der Antragsteller, dass das
Amtsgericht seinem Antrag vom 16.02.2005 (Bl. 11 f PKH-Heft) auf Festsetzung einer
Terminsgebühr nach RVG-VV Nr. 3104 (EUR 183,20 zuzüglich MWSt, gesamt EUR 224,11) nicht
entsprochen hat. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles fällt eine solche
Terminsgebühr auch im hier fraglichen Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO a.F., seit 01.09.2004; §
278 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. ZPO n.F. an.
1.
Im Regelfall fällt für das Verfahren nach § 278 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. ZPO n.F. keine
Terminsgebühr an.
120
Nach RVG-VV, Vorbemerkung 3 Abs. 3 entsteht die Terminsgebühr unter anderem "für die
Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen
ohne Beteiligung des Gerichts". Die genannten Voraussetzungen werden regelmäßig erfüllt sein,
wenn die Parteien nach § 278 Abs. 6 Satz 1, 1. Alt. ZPO n.F. dem Gericht einen schriftlichen
Vergleichsvorschlag unterbreiten. Etwas anderes gilt dagegen, wenn sich die Tätigkeit der
Prozessbevollmächtigten der Parteien darauf beschränkt, gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. ZPO
n.F. einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem
Gericht anzunehmen. Dann fehlt es an einer in RVG-VV, Vorbemerkung 3 Abs. 3 für die
Entstehung einer Terminsgebühr genannten Mitwirkungshandlung.
Auch nach RVG-VV Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 entsteht für das Verfahren nach § 278 Abs. 6 Satz 1,
2. Alt. ZPO keine Terminsgebühr. Nach diesem Gebührentatbestand entsteht die Terminsgebühr
auch, wenn in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im
Einverständnis mit den Parteien oder gemäß § 307 Abs. 2 (richtig: Satz 2) oder § 495 a ZPO ohne
mündliche Verhandlung entschieden wird; gleiches gilt, wenn in einem solchen Verfahren ein
schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Die Frage, ob im Verfahren nach § 278 Abs. 6 Satz 1, 2.
Alt. ZPO die Voraussetzungen der genannten Gebührenvorschrift erfüllt werden, ist streitig.
a.
Unterschiedlich wird bereits die Frage beurteilt, auf welches Verfahren für die Frage nach der
Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung abzustellen ist: Teilweise wird auf das unmittelbar
zum Vergleich führende Verfahren des § 278 Abs. 6 ZPO abgestellt, das selbst keine mündliche
Verhandlung erfordert; folgerichtig wird der Anfall einer Terminsgebühr verneint (vgl. BGH
Beschluss vom 30.04.2004 - VI ZB 81/03 - MDR 2004, 965; Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl.,
RVG-VV Nr. 3104, Rn. 16, 30). Teilweise wird auf das zugrundeliegende Streitverfahren
abgestellt, wobei - außerhalb des hier nicht relevanten Geltungsbereichs des § 495 a ZPO wiederum unterschiedliche Meinungen vertreten werden in Bezug auf die Frage, ob sich der
Verweis "in einem solchen Verfahren" lediglich auf "Verfahren, für das eine mündliche
Verhandlung vorgeschrieben ist" bezieht (vgl. Keller in Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV Nr.
3104, Rn. 51; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl., VV Nr. 3104 Rn. 60) oder auch auf
die zugehörige Einschränkung "im Einverständnis mit den Parteien .. ohne mündliche
Verhandlung .." (vgl. OLG Nürnberg MDR 2005, 599 f; wohl auch Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., §
278 Rn. 27).
b.
Der Senat lässt die Frage offen, ob es für die Frage nach dem Erfordernis einer mündlichen
Verhandlung auf das unmittelbar zum Vergleich führende Verfahren oder das zugrundeliegende
Streitverfahren ankommt. Stellt man auf das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO ab, so fehlt es
schon an einem Verfahren, das eine mündliche Verhandlung erfordert. Stellt man auf das
zugrundeliegende Verfahren - hier das Unterhaltsverfahren - ab, fehlt es an dem erforderlichen
Einverständnis der Parteien mit einem Verfahren ohne mündliche Verhandlung.
aa.
Insoweit vermag sich der Senat nicht der Ansicht anzuschließen, wonach eine Terminsgebühr
immer dann entstehen soll, wenn in einem eine mündliche Verhandlung erfordernden Verfahren
ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, in den Fällen des § 278 Abs. 6 ZPO also stets (vgl.
Müller-Rabe, aaO, Rn. 58). Der Argumentation, auf diese Weise solle eine Schlechterstellung des
Anwalts durch die Schriftform des Vergleichsschlusses vermieden werden (vgl. Keller, aaO;
Müller-Rabe, aaO, Rn. 57), kann nicht gefolgt werden. Nach der Rechtslage unter Geltung der
BRAGO entstand im Falle der gerichtlichen Feststellung des Zustandekommens eines Vergleichs
durch Beschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO keine Verhandlungsgebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 2,
35 BRAGO (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 22.06.2004 - 10 WF 24/04 mwN), sondern lediglich
eine Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und eine Vergleichsgebühr nach § 23
BRAGO. Auch den Anfall einer Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO hat der BGH
verneint und zur Begründung darauf hingewiesen, dass die Ausdehnung des
Gebührentatbestandes auf einen Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO dem Interesse der
Parteien widerspreche, die Kosten eines Rechtsstreites so gering wie möglich zu halten. Der mit
einer Erörterung im Gerichtssaal verbundene Zeitaufwand sei nicht vergleichbar mit einem
121
Telefongespräch, welches ohne räumliche und zeitliche Bindung und dem mit dem Weg zum
Gericht verbundenen Zeitaufwand geführt werden könne (vgl. BGH aaO). Diese Argumente sind
auf die Rechtslage nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des
Rechtsanwaltsvergütungsrechts entsprechend übertragbar. So hat der BGH in seinem zitierten,
zur alten Rechtslage nach der BRAGO (und der alten Fassung des § 278 Abs. 6, dem die
nunmehr hinzugefügte 1. Alt. fehlte) gefassten Beschluss darauf hingewiesen, dass nach dem
seinerzeit bereits verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des Rechtsanwaltsvergütungsrechts
neben der Einigungsgebühr nach RVG-VV Nr. 1000 die Verfahrensgebühr nach RVG-VV Nr.
3101, nicht jedoch die Terminsgebühr nach RVG-VV Nr. 3104 entstehe (vgl. BGH aaO).
bb.
Entsprechend wäre - sofern kein Verfahren nach § 495 a ZPO vorliegt - als zusätzliche
Voraussetzung zu verlangen, dass im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche
Verhandlung verfahren wird, was jedoch im Verfahren nach § 278 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. ZPO nicht
gegeben ist. Mit "Einverständnis der Parteien" im Sinne des Gebührentatbestandes ist die in §
128 Abs. 2 ZPO genannte Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemeint (vgl.
auch OLG Nürnberg MDR 2005, 599 f; Hartmann, RVG-VV Nr. 3104 Rn. 30). Eine solche
Zustimmung kann nicht in der schriftsätzlichen Vergleichsannahmeerklärung der Parteien
gegenüber dem Gericht gesehen werden (a.A. Enders in JurBüro 2003, 1, 2). Dies würde die
Erklärung der Parteien über ihren wirklichen Inhalt hinaus ausdehnen. Die Parteien erklären
lediglich, einen Vergleichsvorschlag des Gerichts anzunehmen, wodurch der Vergleich
zustandekommt. Für eine weitergehende Erklärung besteht kein Anlass. Das weitere Verfahren
verlangt keine mündliche Verhandlung mehr. Der Feststellungsbeschluss des Gerichts dient
lediglich der Protokollierung (vgl. auch OLG München MDR 2003, 533; OLG Stuttgart JurBüro
2004, 80; OLG Koblenz JurBüro 2003, 467) und bewirkt, dass der Vergleich - wie ein in der
mündlichen Verhandlung geschlossener Vergleich - zum Vollstreckungstitel im Sinne des § 794
Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., § 278 Rn. 25).
2.
Etwas anderes gilt jedoch im vorliegenden Fall. Die Parteien haben zwar - wie sich aus dem
Schreiben der Klägerin vom 27.10.2004 (Bl. 75 f GA) ergibt - ausdrücklich den Weg über § 276
Abs. 6 ZPO a.F./§ 278 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. ZPO n.F. gewählt und den unter dem 15.11.2004 vom
Gericht "vorgeschlagenen" Vergleich durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Gericht
angenommen (Bl. 77, 84 f GA). Zu berücksichtigen ist aber, dass der vom Gericht
"vorgeschlagene" Vergleich letztlich vollständig von den Parteien ohne Mitwirkung des Gerichts
ausgehandelt und schriftlich formuliert worden war. Diesen Vergleichsvorschlag der Parteien hat
das Gericht - wie von den Parteien gewünscht - wortgleich in seinen Vorschlag übernommen.
Verfahrensrechtlich wäre es auch möglich gewesen, nach dem zum 01.09.2004 in Kraft
getretenen § 278 Abs. 6 Satz 1, 1. Alt. ZPO n.F. zu verfahren, wofür nach den obigen
Ausführungen (zu Beginn von Ziff. 1) eine Terminsgebühr nach RVG-VV, Vorbemerkung 3 Abs. 3
angefallen wäre. Diese Umstände rechtfertigen im vorliegenden Fall auch für das Verfahren nach
§ 278 Abs. 6 Satz 1,2. Alt. ZPO eine Terminsgebühr nach RVG-VV, Vorbemerkung 3 Abs. 3.
Nach der Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließen, liegen die
Voraussetzungen für die Entstehung einer Terminsgebühr auch nach der Regelung in VV Nr.
3104 Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2) zum RVG bei einem Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO
nicht vor (BGH MDR 2004, 965; Beschl. v. 30.6.2004 - VI ZB 81/03).
SAARLAENDISCHES-OLG: 2 W 192/05, Beschluss vom 06.07.2005
Verfahrensgang:
LG Saarbrücken 14 O 463/04 vom 06.05.2005
Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss
122
2 W 192/05
In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die als sofortige Beschwerde zu
behandelnde "Erinnerung" der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des
Landgerichts in Saarbrücken vom 6. Mai 2005 - 14 O 463/04 - durch den Richter am
Oberlandesgericht Neuerburg als Einzelrichter
am 6. Juli 2005
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: bis 300 EUR
Gründe:
Das als gemäß §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige
Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel ist nicht begründet.
Das Landgericht hat die Einbeziehung der von der Beklagten zur Erstattung angemeldeten
Terminsgebühr in den Kostenausgleich zu Recht verneint. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, liegen die Voraussetzungen für die
Entstehung einer Terminsgebühr auch nach der hier einschlägigen Regelung in VV Nr. 3104
Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2) zum RVG (vgl. zu § 35 BRAGO etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Mai
2005 - 2 W 127/05-28 - und vom 5. November 2004 - 2 W 206/04-32 -, m.w.N.) bei einem
Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO in der im Streitfall gegebenen Fallgestaltung nicht
vor (BGH, MDR 2004, 965 sowie Beschluss vom 30 Juni 2004 - VI ZB 81/03 -, Juris-Dokument
Nr. KORE560862005; vgl. auch OLG Nürnberg, MDR 2005, 599; Hartmann, Kostengesetze, 34.
Aufl., VV 3104, Rz. 30).
Daher hat der im Übrigen nicht angegriffene und nicht zu beanstandende
Kostenfestsetzungsbeschluss Bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§ 574 Abs. 3
Satz 1 i.V. mit Abs. 2 ZPO).
OLG Celle 2. Zivilsenat Beschluß vom 24. Februar 2005 2 W 36/05
Rechtsanwaltsgebühren: Keine Ermäßigung der Terminsgebühr bei zweitem
Versäumnisurteil
Leitsatz
Der Ermäßigungstatbestand der Nr. 3105 VV RVG findet auf den Fall eines zweiten
Versäumnisurteils keine Anwendung, wenn derselbe Prozessbevollmächtigte bereits das erste
Versäumnisurteil erwirkt hat.
123
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. Januar 2005 wird dahin abgeändert, dass die von
der Antragsgegnerin an den Antragsteller zu erstattenden weiteren Kosten auf 431,47 EUR
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit
dem 22. Dezember 2004 festgesetzt werden.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des
Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin nach einem Beschwerdewert von 356,47
EUR.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 126, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1
RPflG) und begründet.
Dem Antragsteller steht gemäß § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3104 VV eine Terminsgebühr von
1,2 zu, die auf die bereits mit Beschluss vom 1. Dezember 2004 bewilligte Gebühr von 0,5
gemäß § 15 Abs. 2 RVG anzurechnen ist. Der Ermäßigungstatbestand der Nr. 3105 VV findet
auf den Fall eines zweiten Versäumnisurteils keine Anwendung, wenn derselbe
Prozessbevollmächtigte bereits das erste Versäumnisurteil erwirkt hat. Denn er hat damit
nicht nur einen Termin, sondern insgesamt zwei Termine wahrgenommen (vgl. Zöller-Herget,
ZPO, 25. Aufl., § 345 Rdnr. 7). Die gegenteilige Auffassung, wonach in dieser Konstellation
insgesamt nur eine 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG entsteht (vgl. Hansens,
JurBüro 2004, 251), steht im Widerspruch zur gesetzgeberischen Intention, wonach die
Reduzierung dem in der Regel verminderten Aufwand des Rechtsanwalts Rechnung trägt und
nur dann gelten soll, wenn er tatsächlich keine weiteren Tätigkeiten entfaltet (BT-Drs.
15/1971, 212). Dies ist hier gerade nicht der Fall, weil er mit der Wahrnehmung eines zweiten
Termins tätig geworden ist.
Auf die im Kostenfestsetzungsantrag vom 21. Dezember 2004 geltend gemachte Gebühr von
1,2 war somit die bereits bewilligte 0,5 Terminsgebühr anzurechnen (§ 15 Abs. 2 RVG). Für
die Festsetzung der entstandenen Gebühren ergibt sich somit folgende Berechnung:
Gegenstandswert:
34.805,90
1,2 Terminsgebühr VV 3104 RVG
EUR
abzgl. 0,5 Terminsgebühr
EUR
bleiben
EUR
Abwesenheitsgeld VV 7005 RVG
EUR
Summe netto
EUR
Honorar brutto
EUR
Fahrkarte
EUR
Summe
EUR
Abzgl. im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe nach
EUR
EUR
996,00
415,00
581,00
35,00
616,00
714,56
34,40
748,96
317,49
124
Beschränkung auf Differenz zwischen 1,2 und 0,5 Terminsgebühr
angemeldeter
Festsetzungsbetrag:
EUR
431,47
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wobei berücksichtigt worden ist,
dass die sofortige Beschwerde, weil sie erfolgreich ist, Gerichtsgebühren nicht veranlasst hat.
Die sofortige Beschwerde hatte auch im vollen Umfang Erfolg, weil der Antragsteller seinen
ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag, der auf Festsetzung einer Terminsgebühr von 1,2
neben der bereits bewilligten Gebühr von 0,5 lautete, mit seiner sofortigen Beschwerde auf
die Differenz beider Gebühren beschränkt hat.
NJW 2005, 1283 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 188 (Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 302 (Leitsatz und Gründe) OLGR Celle 2005, 408 (Leitsatz und Gründe)
RVGreport 2005, 150 (red. Leitsatz) RVG professionell 2005, 80 (Leitsatz) RVG-B 2005,
97 (red. Leitsatz)
Die Mitwirkung am Zustandekommen des im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO
abgeschlossenen Vergleichs lässt für den Beschwerdeführer keine Gebühr nach Nr. 3104
Anlage 1 zum RVG entstehen.
OLG-NAUMBURG: 12 W 78/05, Beschluss vom 01.08.2005
Verfahrensgang:
LG Halle 3 O 456/04 vom 13.04.2005
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
12 W 78/05 OLG Naumburg
In dem Vergütungsfestsetzungsverfahren
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 01. August 2005 durch den Richter
am Landgericht Nolte als Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Rechtsanwaltes W. gegen den Beschluss des Landgerichts Halle vom 13.
April 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 331,30 EUR.
Gründe:
Dem Kläger ist im vorliegenden Rechtsstreit unter Beiordnung des Beschwerdeführers
Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Parteien haben den Rechtsstreit durch Abschluss eines
Vergleichs beendet, dessen Zustandekommen das Landgericht Halle im Verfahren nach § 278
Abs. 6 ZPO festgestellt hat. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 05. April 2005 beantragt, seine Vergütung gegen
die Landeskasse auf 989,48 EUR festzusetzen. Demgegenüber hat die Urkundsbeamtin der
125
Geschäftsstelle des Landgerichts die Vergütung am 13. April 2005 auf 658,18 EUR festgesetzt
und zur Begründung ausgeführt, eine Terminsgebühr sowie die hierauf entfallende
Mehrwertsteuer seien abgesetzt worden, weil ohne mündliche Verhandlung auch keine
Terminsgebühr anfalle. Hiergegen hat der Beschwerdeführer durch Schriftsatz vom 18. April
2005, beim Landgericht Halle eingegangen am 20. April 2005, "den zulässigen Rechtsbehelf"
eingelegt und sich darauf berufen, dass nach der Kommentierung bei Gerold/Schmidt-MüllerRanke, RVG, Rn. 58 zu VV 3104 auch in einer solchen Konstellation eine Terminsgebühr anfalle.
Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Halle hat am 10. Mai 2005 Stellung genommen und sich
der Auffassung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Halle angeschlossen.
Diese hat der Beschwerde durch Beschluss vom 11. Juli 2005 nicht abgeholfen und die Sache
dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Der Rechtsbehelf ist als Beschwerde auszulegen; diese ist gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3
S. 1 RVG statthaft, denn die Beschwer übersteigt 200 EUR. Sie ist auch innerhalb der Frist aus §
33 Abs. 3 RVG eingelegt.
Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Mitwirkung am Zustandekommen des
im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO abgeschlossenen Vergleichs lässt für den
Beschwerdeführer keine Gebühr nach Nr. 3104 Anlage 1 zum RVG entstehen. Nach Nr. 3104
Anlage 1 zum RVG entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das
mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder gemäß § 307
Abs. 2 oder § 495 a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen
Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Ob auch ein im schriftlichen Verfahren
nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellter Vergleich eine solche Gebühr auslöst, ist in Literatur und
Rechtsprechung umstritten. Entgegen der vom Beschwerdeführer angeführten, auf den Wortlaut
der Bestimmung gestützten Literaturmeinung hat der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 30. Juni
2004, Az. VI ZB 81/03, zitiert nach juris) in einer noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des RVG
ergangenen Entscheidung die Auffassung vertreten, eine solche Terminsgebühr falle weder nach
alter Rechtslage gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO noch nach neuer Rechtslage aus Nr. 3104 der
Anlage 1 zum RVG an. Der Wortlaut der Bestimmung lege vielmehr nahe, dass in der ersten
Alternative jener Vorschrift das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO, nicht aber das Verfahren nach
§ 278 Abs. 6 ZPO gemeint sei. Dieser Auffassung hat sich nachfolgend das Oberlandesgericht
Nürnberg (Beschluss vom 15.12.2004, Az. 3 W 4006/04, veröffentlicht: OLGR Nürnberg 2005,
179) mit der weiteren Begründung angeschlossen, die Ausdehnung von Nr. 3401 der Anlage 1
zum RVG auch auf das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO widerspreche dem Kosteninteresse der
Parteien. Zudem sei der Arbeits- und Zeitaufwand bei einem Gerichtstermin für den Anwalt höher
als bei einem Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO. Auch der Senat folgt dieser
Auffassung. Weder gebietet der Wortlaut der Bestimmung in Nr. 3104 der Anlage 1 zum RVG die
Ausdehnung des Anwendungsbereichs über das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO hinaus auch
auf das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO, wo zwar das Zustandekommen des Vergleichs eine
Einigung der Parteien voraussetzt, nicht aber die Entscheidung im schriftlichen Verfahren vom
Einverständnis der Parteien abhängt. Noch ist nach Sinn und Zweck - insbesondere im Hinblick
auf den durchschnittlichen Arbeitsanfall - eine Gleichstellung der Mitwirkung im Verfahren nach §
278 Abs. 6 ZPO mit der Mitwirkung in den weiteren in Nr. 3104 der Anlage 1 zum RVG
aufgeführten Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO, § 307 Abs. 2 oder § 495 a ZPO geboten, bei
welchen die mündliche Verhandlung aus anderen Gründen entfällt.
Die Entscheidung ergeht gem. § 56 Abs. 2 S. 2 RVG gerichtskostenfrei; Kosten werden nicht
erstattet. Der Beschwerdewert ergibt sich aus der Differenz zwischen beantragten und
festgesetzten Vergütungsansprüchen des Beschwerdeführers.
Für die Mitwirkung des Rechtsanwalts beim Abschluss eines schriftlichen Vergleichs (§ 278 Abs.
6 ZPO) in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, fällt die
Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV/ RVG an.
OLG-STUTTGART: 8 W 180/05, Beschluss vom 16.06.2005
126
Verfahrensgang:
OLG Stuttgart 6 U 181/04
LG Stuttgart 27 O 97/2004 vom 29.03.2005
Rechtskraft: JA
Oberlandesgericht Stuttgart
- 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer:
8 W 180/2005
vom 16. Juni 2005
In Sachen
wegen orderung
hier: Kostenfestsetzung
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am OLG Bräuning,
der Richterin am OLG Dr. Zeller-Lorenz,
des Richters am OLG Grüßhaber
beschlossen:
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der
Rechtspflegerin beim Landgericht Stuttgart vom 29.03.2005 wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 387,58 ¤.
Gründe:
1.
Die Klägerin hatte gegen ein Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 13.08.2004, durch das ihre
Klage abgewiesen worden war, Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren haben die Parteien
auf Anregung des Gerichts ohne vorherige mündliche Verhandlung einen gerichtlichen Vergleich
gem. § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen danach die
Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4.
Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag vom 28./31.01.2005 hat die Beklagte u. a. die Einbeziehung
einer 1,2 Terminsgebühr nach RVG/VV Nr. 3202, 3104 in den Kostenausgleich beantragt. Die
Klägerin ist dem Kostenfestsetzungsantrag insoweit entgegengetreten. Sie meint, dass die
Voraussetzungen für das Entstehen der Terminsgebühr nicht vorlägen. Auf entsprechenden
Hinweis der Rechtspflegerin ergänzte die Klägerin ihren eigenen Kostenfestsetzungsantrag um
eine Terminsgebühr in II. Instanz, gab aber - unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG
Nürnberg vom 15.12.2004 (AnwBl. 05, 222 = AGS 05,144) - zu erkennen, dass sie weiter an ihrer
Rechtsmeinung festhalte.
Die Rechtspflegerin hat die Kosten unter Einbeziehung der Terminsgebühr in II. Instanz
127
festgesetzt.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde, der die Beklagte
entgegengetreten ist.
Die Rechtspflegerin hat die Sache dem Oberlandesgericht ohne Abhilfe zur Entscheidung über
das Rechtsmittel vorgelegt.
2.
Das zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg,
da die Rechtspflegerin zu Recht vom Entstehen einer Terminsgebühr nach RVG/VV Nr. 3202 i. V.
m. Nr. 3104 durch den Abschluss des schriftlichen Vergleichs in II. Instanz ausgegangen ist.
Der Senat teilt entgegen der Entscheidung des OLG Nürnberg die bei Zöller/Greger (ZPO, 25.
Aufl., § 278 Rn. 27) und Gerold/Schmidt/Müller-Rabe (RVG, 16. Aufl., Rn. 54) vertretene
Auffassung, dass für die Mitwirkung des Rechtsanwalts bei Abschluss eines schriftlichen
Vergleichs in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, die
Terminsgebühr nach RVG/VV Nr. 3104 anfällt. Anders als Hartmann (Kostengesetze, 34. Aufl.,
RVG/VV 3104, Rn. 30) sieht der Senat den Teilsatz "in einem Verfahren, für das mündliche
Verhandlung vorgeschrieben ist" als Obersatz, unter dem nachfolgend die Fälle aufgeführt sind, in
denen eine Terminsgebühr entsteht, auch wenn eine mündliche Verhandlung tatsächlich nicht
stattgefunden hat. "In einem solchen Verfahren" bezieht sich nach Auffassung des Senats
demnach auf das Verfahren, in dem eigentlich mündlich zu verhandeln ist, und gerade nicht auf
einen schriftlichen Vergleich, der in einem Verfahren ohne vorgeschriebene mündliche
Verhandlung geschlossen wird.
Die ausdrückliche Erwähnung des Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO erscheint bedeutsam im
Hinblick auf die frühere, ganz einhellige Rechtsprechung, wonach ein solcher Vergleichsschluss
keine Verhandlungs- oder Erörterungsgebühr ausgelöst hat, da er weder von § 31 BRAGO noch
von § 35 BRAGO erfasst wurde (m. w. Nachw. BGH AGS 2004, 231 = NJW 04, 2311 = FamRZ
04, 1195 = Rpfl 04, 524 = JurBüro 04, 481 = MDR 04, 965 = AnwBl. 04, 593). In den ersten
Entwürfen wird § 278 Abs.6 ZPO noch nicht aufgeführt. Nachdem § 35 BRAGO fast wörtlich in VV
Nr. 3104 aufgenommen worden ist, stellt die Anfügung des Falles eines schriftlichen
Vergleichsabschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO eine klarstellende Ergänzung dar, die auch im
Licht der Intention des Gesetzgebers zu sehen ist, die vergleichsweise Einigung in einem
möglichst frühen Verfahrensstadium zu fördern und zu honorieren und damit zur Beschleunigung
der Gerichtsverfahren beizutragen und die Justiz zu entlasten (s. hierzu BT-Drucks. 15/1971, 209;
für den Fall der zu einer Erledigung des Verfahrens führenden Besprechung ohne Beteiligung des
Gerichts bestimmt dies Vorbemerkung 3, Abs. 3 ausdrücklich).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Beschwerdewert berechnet sich nach dem Betrag, den die Klägerin weniger zu bezahlen
hätte, wenn - bei beiden Parteien - keine Terminsgebühr angesetzt würde.
4.
Die Rechtsbeschwerde wird im Hinblick auf die anderslautende Entscheidung des OLG Nürnberg
zugelassen, die sich ihrerseits auf ein "obiter dictum" des BGH in der oben zitierten Entscheidung
beruft. Dort ist - ohne nähere Begründung - ausgeführt, dass beim Abschluss eines schriftlichen
Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO neben der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV zwar die
Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV, nicht jedoch die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV entsteht.
1. Nachdem nunmehr die prozessuale Situation des § 307 Abs. 2 ZPO a.F. auf das gesamte
zivilprozessuale Verfahren ausgedehnt wurde, ist Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG auf den
Erlass eines Anerkenntnisurteils ohne mündliche Verhandlung nicht nur im schriftlichen
Vorverfahren, sondern auf solche Urteile im gesamten Zivilprozess anzuwenden.
128
2. Ob die Regelung des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV / RVG angesichts des Zwecks dieser Norm
und des Umfangs der Tätigkeit der jeweiligen Prozessbevollmächtigten beider Seiten im
Einzelnen angemessen ist, ist außerhalb des Verfassungsrechts der Beurteilung der Judikative
entzogen und fällt allein in den Verantwortungsbereich der Legislative.
3. Die Gebühr in Höhe von 1,2 nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG ist bei Erlass eines
Anerkenntnisurteils ohne mündliche Verhandlung nicht durch eine erweiternde Auslegung des
Nr. 3105 VV / RVG auf 0,5 zu reduzieren.
OLG-STUTTGART: 8 W 183/05, Beschluss vom 17.05.2005
Verfahrensgang:
LG Ellwangen 3 O 464/04 vom 14.04.2005
Rechtskraft: JA
Oberlandesgericht Stuttgart
- 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer:
8 W 183/05
vom 17. Mai 2005
In dem Rechtsstreit
wegen Duldung der Zwangsvollstreckung
hier: Sofortige Beschwerde gegen Kostenfestsetzung
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch
Richter am Oberlandesgericht Rast
als Einzelrichter gemäß § 568 Satz 1 ZPO
beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der
Rechtspflegerin des Landgerichts Ellwangen vom 21.2.2005 in der Fassung des Beschlusses vom
14.4.2005 wird
zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die mit der Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerde angefallene
Gerichtsgebühr. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden
gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: 3.596,77 ¤
Gründe:
I.
Nach Abschluss des schriftlichen Vorverfahrens erkannte der Beklagte schriftsätzlich die
Klagforderung vor Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung an. Der anberaumte
Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung wurde daraufhin aufgehoben und vom
Landgericht Ellwangen ein Anerkenntnis- Vorbehalts-Urteil im Urkundenprozess erlassen und den
129
Parteien zugestellt. Nach diesem Urteil hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Klägerin beantragte die Festsetzung ihrer Kosten gegen den Beklagten, darunter eine 1,2
Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV/RVG in Höhe von 1.624,80 ¤ zuzüglich Mehrwertsteuer.
Mit Beschluss vom 21.2.2005 setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts Ellwangen die vom
Beklagten der Klägerin zu erstattenden Kosten mit 6.517,80 ¤ nebst Zinsen fest. Gegen den am
23.2.2005 zugestellten Beschluss legte der Beklagte am 24.2.2005 die sofortige Beschwerde ein,
der die Rechtspflegerin des Landgerichts Ellwangen mit Beschluss vom 14.4.2005 bezüglich dem
gerügten Ansatz von drei Gerichtsgebühren abhalf. Bezüglich der Einwendung der Beklagten
gegen die Festsetzung einer Terminsgebühr hat die Rechtspflegerin eine Abhilfe abgelehnt und
die Akten dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Der Beklagte ist der Ansicht, für den Ansatz einer Terminsgebühr enthalte Nr. 3104 VV / RVG
keine Rechtsgrundlage, weil in dessen Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. lediglich auf § 307 Abs. 2 ZPO
verwiesen werde, der jedoch durch die Neufassung des § 307 ZPO seit dem 1.9.2004 entfallen
sei. Im übrigen sei Nr. 3104 VV / RVG insoweit verfassungswidrig und müsse im Hinblick auf Nr.
3105 VV / RVG einschränkend dahin ausgelegt werden, dass allenfalls eine auf 0,5 ermäßigte
Terminsgebühr entstanden sei.
Die Klägerin ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig, aber in der Sache unbegründet.
1.
Der Ansatz einer 1,2-Terminsgebühr findet seine Grundlage in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV /
RVG.
Während § 307 ZPO in der Fassung vor dem 1.9.2004 ein Anerkenntnisurteil ohne mündliche
Verhandlung grundsätzlich nur im Rahmen des schriftlichen Vorverfahrens nach § 276 Abs. 1
ZPO erlaubte (§ 307 Abs. 2 ZPO), wurde der Erlass eines Anerkenntnisurteils ohne mündliche
Verhandlung durch die Neufassung des § 307 ZPO ab dem 1.9.2004 für den gesamten
Zivilprozess zugelassen. Nachdem nunmehr die prozessuale Situation des § 307 Abs. 2 ZPO a.F.
auf das gesamte zivilprozessuale Verfahren ausgedehnt wurde, ist Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt.
VV / RVG auf den Erlass eines Anerkenntnisurteils ohne mündliche Verhandlung nicht nur im
schriftlichen Vorverfahren, sondern auf solche Urteile im gesamten Zivilprozess anzuwenden. Der
Text des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV / RVG wurde lediglich aufgrund eines gesetzgeberischen
Versehens nicht an die Neufassung des § 307 ZPO angepasst. Vom Sinn und Zweck des Nr.
3104 Abs. 1 Nr. 1 VV / RVG und der Entstehungsgeschichte des § 307 ZPO ist deshalb Nr. 3104
Abs. 1 Satz 1 VV / RVG dahin auszulegen, dass sämtliche Anerkenntnisurteile, die nicht aufgrund
einer mündlichen Verhandlung ergehen, gebührenrechtlich erfasst werden sollen (vgl. ZöllerVollkommer ZPO 25. Aufl., § 307 RN 12 a. E.).
2.
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG ist weder wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 GG
verfassungswidrig noch durch eine analoge Anwendung des Nr. 3105 VV / RVG einzuschränken.
a) Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor, weil
hier nicht vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden (vgl. auch unten unter b))
und die Regelung des Nr. 3104 VV / RVG sachlich gerechtfertigt ist. Ob die Regelung des Nr.
3104 Abs. 1 Nr. 1 VV / RVG, insbesondere der Anfall einer Gebühr in Höhe von 1,2 und das
Entstehen einer solchen Gebühr auch auf der Seite des Klägers unabhängig von seinem
Hinwirken auf ein Anerkenntnis, angesichts des Zwecks dieser Norm und des Umfangs der
Tätigkeit der jeweiligen Prozessbevollmächtigten beider Seiten im Einzelnen angemessen ist, ist
außerhalb des Verfassungsrechts der Beurteilung der Judikative entzogen und fällt allein in den
Verantwortungsbereich der Legislative.
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG bevorzugt einen Prozessbevollmächtigten, weil er ohne
130
mündliche Verhandlung eine Terminsgebühr verdient. Die Rechtfertigung für diese Regelung ist in
der Beschleunigung von Gerichtsverfahren und der Entlastung der Justiz zu finden. Nr. 3104 VV /
RVG soll auch dazu dienen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder
Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und
Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beiträgt. Den Parteien wird durch den
erweiterten Anwendungsbereich der Terminsgebühr oft ein langwieriges und kostspieliges
Verfahren erspart bleiben (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drucksache 15/1971 Seite
209 und 212). Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG dient damit dem Zweck, trotz der
Anerkenntnisbereitschaft des Beklagten allein aus einem Gebühreninteresse seines
Bevollmächtigten vor dem Anerkenntnis eine streitige mündliche Verhandlung mit der Folge des
Nr. 3104 VV / RVG zu vermeiden, durch die die Parteien und das Gericht unnötig belastet
werden. Der Klägervertreter wird durch die Gebühr des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG für
das Stellen eines Sachantrags belohnt, der zu einem Anerkenntnis und damit ohne Verhandlung
zu einem Anerkenntnisurteil geführt hat.
Soweit ersichtlich, wurden auch gegen die frühere Regelung des § 35 BRAGO durchgreifende
verfassungsrechtliche Bedenken nicht erhoben.
b) Die Gebühr in Höhe von 1,2 nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VV / RVG ist nicht durch eine
erweiternde Auslegung des Nr. 3105 VV / RVG auf 0,5 zu reduzieren. Dies würde den
geschilderten Sinn und Zweck des Nr. 3104 Abs. 1 VV / RVG, streitige mündliche Verhandlungen
trotz einer Anerkenntnisbereitschaft aus Gebühreninteressen von Verfahrensbevollmächtigten zu
vermeiden, widersprechen. Darüber hinaus ist die Lage bei der Abgabe eines Anerkenntnisses
gegenüber einer Säumnissituation nicht vollständig vergleichbar. Bei einem Anerkenntnis wirkt ein
Prozessbevollmächtigter bei der Schaffung eines Titels gegen die eigene Partei mit und kann
deshalb in diesen Fällen ein erhöhtes Haftungsrisiko haben. Das Anerkenntnisurteil beruht allein
auf dem Sachantrag der klagenden und dem Anerkenntnis der beklagten Partei (vgl. KG AGS
2004, 286), während das Versäumnisurteil eine Schlüssigkeitsprüfung durch das Gericht verlangt
und dadurch einen Teil der Verantwortung von den Prozessbevollmächtigten nimmt.
Auch wenn durch die Abgabe eines prozessualen Anerkenntnisses die außergerichtlichen Kosten
gegenüber einer Säumnis in einem Termin höher sein werden, wird dieser Nachteil durch die
Reduzierung der Gerichtskosten zumindest teilweise ausgeglichen.
3.
Die Entscheidung zu den Gerichtskosten ergibt sich aus Nr. 1811 KV / GKG. Nachdem die
sofortige Beschwerde bezüglich der Gerichtskosten schon im Rahmen der Abhilfeentscheidung
erfolgreich war, ist die Anordnung einer Kostenaufhebung angemessen, die auf den §§ 97, 91, 92
Abs. 1 ZPO beruht.
Die Festsetzung des Geschäftswerts des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Summe von
1.712,- ¤ Gerichtskosten und einer 1,2 Terminsgebühr zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von 1.884,77
¤.
Dem Rechtsanwalt steht auch nach Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes am
01.09.2004 in entsprechender Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG die Terminsgebühr
zu, wenn im schriftlichen Vorverfahren auf der Grundlage des § 307 S. 2 ZPO (n.F.) ohne
mündliche Verhandlung entschieden wird.
OLG-THUERINGEN: 9 W 245/05, Beschluss vom 21.07.2005
Verfahrensgang:
LG Erfurt 9 O 2356/04 vom 09.03.2005
Stichworte: Terminsgebühr
131
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
Beschluss
9 W 245/05
In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am
Oberlandesgericht Giebel auf die sofortige Beschwerde vom 01.03.2005 gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 09.03.2005 ohne mündliche
Verhandlung am 21.07.2005
beschlossen:
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 679,99 ¤ festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
Die sofortige Beschwerde ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, und auch
sonst zulässig, §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1, Abs. 2, 569 ZPO. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
Die Rechtspflegerin hat zurecht die von der Klägerin zur Kostenfestsetzung angemeldete
Terminsgebühr für erstattungsfähig angesehen.
1. Die Zivilkammer hat auf die Klage vom 18.11.2004 den Beklagten nach dessen Anerkenntnis
im schriftlichen Vorverfahren durch Anerkenntnisurteil vom 29.12.2004 antragsgemäß in der
Sache und in die Kosten verurteilt. Mit dem im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren
eingelegten Rechtsmittel wendet sich der Beklagte gegen die Erstattung einer 1,2-Terminsgebühr.
Die insoweit einschlägige Vorschrift der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG sei schon vor
Klageerhebung ihrer Bezugsnorm verlustig gegangen, nachdem die darin genannte Bestimmung
des § 307 Abs. 2 ZPO a.F. durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz mit Wirkung vom
01.09.2004 aufgehoben worden sei. Der Gesetzgeber habe mit dieser Novelle insbesondere den
Zweck einer nachhaltigen Verfahrensbeschleunigung und -erleichterung verfolgt, der u.a. in einer
Kostenminderung für die anerkennende Partei seinen Niederschlag fände. Jedenfalls sei eine
erweiternde Auslegung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG in der geltenden Fassung
gesetzeswidrig; die Berichtigung eines etwaigen Redaktionsversehens bleibe allein dem
Gesetzgeber vorbehalten.
Die Klägerin verteidigt den angefochtenen Beschluss mit dem Hinweis auf ein
Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei der Neugestaltung des § 307 S. 2 ZPO n.F., das keine
Änderung in der Sache rechtfertige.
2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin steht in entsprechender Anwendung der Nr. 3104 Abs.
1 Nr. 1 VV RVG eine Terminsgebühr zu, die vom Beklagten gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO zu
erstatten ist.
a) Zwar ist es zutreffend, dass durch die im Rahmen des 1. Justizmodernisierungsgesetzes
erfolgte Änderung des § 307 ZPO - Streichung des Abs. 2, Einfügung eines S. 2 in Abs. 1 - und
das Versäumnis einer gleichzeitigen Anpassung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG nach dem
strengen Wortlaut des Gesetzes eine Regelungslücke entstanden ist. Denn die prozessuale
Konstellation eines Anerkenntnisurteils im schriftlichen Vorverfahren, die bislang aufgrund der
ausdrücklichen Verweisung auf § 307 Abs. 2 ZPO a.F. eine Terminsgebühr entstehen ließ, ist
132
nunmehr an anderer Stelle in § 307 S. 2 ZPO n.F. geregelt und wird daher von der Verweisung
formal nicht mehr erfasst.
b) Gleichwohl stellt auch weiterhin die Zuerkennung einer Terminsgebühr in der genannten
Konstellation entgegen der Auffassung des Beklagten keine Umgehung des Gesetzes, sondern
vielmehr die zulässige und gebotene Schließung einer Gesetzeslücke im Wege der Analogie dar,
wie sie sowohl für das materielle Recht als auch für das Verfahrensrecht grundsätzlich statthaft ist
(vgl. BGHZ 46, 195, 198; NJW-RR 1994, 1406, 1407; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Einl. Rn.
97 mit Nachw.). Soweit im Schrifttum für den Bereich des Justizkostenrechts ein Analogieverbot
befürwortet wird (vgl. Lappe Rechtspfleger 1984, 337), ist nur das Verhältnis zwischen Bürger und
Staatskasse, nicht aber das der Verfahrensbeteiligten untereinander angesprochen.
Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung des Gesetzes sind erfüllt.
Der Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG liegt - ebenso wie bereits dem früheren § 35
BRAGO - der Gedanke zugrunde, dass der Rechtsanwalt zum Ausgleich dafür, dass ihn in den
Fällen eines anstelle einer vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung durchgeführten
schriftlichen Verfahrens eine erhöhte Verantwortung und noch genauere Prüfungspflicht trifft, eine
Termins- bzw. Verhandlungsgebühr erhält, so als ob verhandelt worden wäre (vgl.
Gerold/Schmidt/von Eicken, RVG, 16. Aufl., Nr. 3104 VV, Rn. 14). Der Rechtsanwalt soll
insbesondere keine Nachteile erleiden, wenn seine Schriftsätze das Verfahren so gründlich
vorbereitet haben, dass eine mündliche Verhandlung nicht mehr stattzufinden braucht (vgl. BGH
NJW 2003, 3133). Nichts spricht dafür, dass der mit der bisherigen Zubilligung einer fiktiven
Terminsgebühr intendierte Zweck gegenüber den mit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz
verfolgten Zielen aus Sicht des Gesetzgebers in Nachrang geraten bzw. in Wegfall gekommen
sei. Vielmehr handelt es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen (so auch LG Stuttgart
Beschl. vom 01.02.2005 Az. 10 T 546/04; Zöller/Vollkommer, 25. Aufl., § 307, Rn. 12:
"offenkundiges Versehen"). Hätte der Gesetzgeber mit der Novelle tatsächlich - wie der Beklagte
meint - einen Wegfall der Terminsgebühr beabsichtigt, hätte er die ausdrückliche Verweisung auf
§ 307 Abs. 2 ZPO a.F. ersatzlos gestrichen. Gerade der Umstand, dass nach geltender
Gesetzesfassung in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG auf eine nicht mehr existente Vorschrift Bezug
genommen wird, belegt das Übersehen dieses Zusammenhangs.
Im Ergebnis veranlasst die Neugestaltung des § 307 ZPO daher keine Änderung des
Anwendungsbereichs der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG. Auch die übrigen Voraussetzungen
dieser Bestimmung liegen vor. Insbesondere ergeht das Anerkenntnisurteil nach wie vor in einem
Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die Formulierung des § 307 S. 2
ZPO n.F., wonach es im Falle eines Anerkenntnisses keiner mündlichen Verhandlung mehr
bedarf, schafft kein neuartiges Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung nicht
vorgeschrieben ist, sondern lässt nur eine Ausnahme von dem in § 128 Abs. 1 ZPO für jeden
Zivilrechtsstreit normierten Verhandlungsgrundsatz zu (vgl. LG Stuttgart a.a.O.).
Die Beschwerde war danach als unbegründet zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Wert des Beschwerdeverfahrens hat
der Senat nach dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Kosteninteresse in Höhe der festgesetzten
Terminsgebühr bemessen.
4. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Rechtsbeschwerde
zuzulassen (§ 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Führen Parteien auf einen gerichtlichen Vorschlag zur gütlichen Einigung hin miteinander
Vergleichsgespräche, deren Ergebnis in einem Gerichtsbeschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO
festgestellt wird, so steht den beteiligten Rechtsanwälten eine Terminsgebühr zu.
OLG-NUERNBERG: 5 W 512/05, Beschluss vom 11.05.2005
Verfahrensgang:
133
LG Regensburg 3 O 2308/04 vom 07.02.2005
5 W 512/05
Nürnberg, den 11.05.2005
In Sachen
erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 5. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden
Beschluss:
Tenor:
I. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des
Landgerichts Regensburg vom 07. Februar 2005 dahin geändert, dass die Klägerin den Beklagten
über den bereits festgesetzten Betrag hinaus weitere 372,79 Euro sowie Zinsen hieraus in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21. Dezember 2004 zu erstatten hat.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
IV. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 372,79 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die sofortige Beschwerde, mit der sich die Beklagten gegen die Versagung einer Terminsgebühr
wenden, ist zulässig (§ 104 Abs. 3 Satz 1, §§ 567 ff. ZPO) und erfolgreich.
1. Nach Eingang von Klage und Klageerwiderung richtete das Landgericht mit der Terminsladung
an die Parteien die Anfrage, ob sie sich nicht bei Zahlung einer Summe von 1.000,00 Euro an die
Klägerin gütlich einigen wollten.
Nachdem die Klägerin diese Anfrage abschlägig beantwortet hatte, besprachen die Parteivertreter
am Vormittag des 03. Dezember 2004 die beiderseitigen Interessen und Prozessrisiken
telefonisch und unterbreiteten das Ergebnis - Zahlung von 2.500,00 Euro zur Abgeltung aller
Ansprüche der Klägerin, Kostenverteilung 65 % zu 35 % zu Lasten der Klägerin - noch am selben
Tag den Parteien, die einwilligten. Das Gericht wurde von beiden Kanzleien per Fax noch am 03.
Dezember 2004 informiert und gebeten, den Termin vom 06. Dezember 2004 abzusetzen sowie
den gefundenen Kompromiss als gerichtlichen Vergleichsvorschlag den Parteien schriftlich nach §
278 Abs. 6 ZPO zu unterbreiten. Dementsprechend wurde verfahren und mit Beschluss vom 16.
Dezember 2004 das Zustandekommen des Vergleiches festgestellt.
2. Bei dieser Sachlage ist durch das Tätigwerden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten
eine Terminsgebühr entstanden, die ihre Rechtsgrundlage in der Vorb. 3, 3. Absatz des
Vergütungsverzeichnisses (W) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) hat.
a) Das RVG findet Anwendung, weil die Beklagten ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Oktober
2004, somit nach dem in den gesetzlichen Übergangsvorschriften bestimmten Stichtag, dem 01.
Juli 2004, beauftragten (§ 61 Abs. 1 Satz 1 RVG).
b) Die Terminsgebühr ist aufgeführt in Nr. 3104 VV RVG. Dort ist in Absatz 1 Nr. 1 folgendes
geregelt:
"Die Gebühr entsteht auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung
vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder gem. § 307 Abs. 2 oder § 495 a ZPO
ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher
Vergleich geschlossen wird."
134
Strittig ist allerdings, ob der Fall eines schriftlichen Vergleiches nach § 278 Abs. 6 ZPO generell
eine Terminsgebühr auslöst (weil sich der Verweis "in einem solchen Verfahren" auf ein
"Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist" bezieht) oder ob die
Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleiches (nur) entsteht, wenn in einem
Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, "im Einverständnis mit den
Parteien oder gem. § 307 Abs. 2 oder § 495 a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden ...
wird (erstere Auffassung vertreten: Zöller/Greger, ZPO, 25. Auflage, § 278 Rdnr. 27; Musielak,
ZPO, 4. Auflage, § 278 Rdnr. 19; Müller-Raabe in Gerold/Schmidt, RVG, 16. Auflage, VV 3104,
Rdnrn. 54 und 60; Göttlich/Mummler, RVG, 1. Auflage, T 4.3.2; letztere Auffassung vertreten:
OLG Nürnberg, 3. Senat, AnwBl. 2005, 222 mit Anm. Henke; 2. Senat, Beschluss vom 24.
Februar 2005, Az.: 2 W 208/05; Hartmann, Kostengesetze, 34. Auflage, RVG VV 3104, Rdnr. 30;
dahin tendierend: BGH NJW 2004, 2311 mit - zur Gegenvorstellung - NJOZ 2004, 4083, die
Entscheidung erging jedoch primär zum alten Recht nach BRAGO).
c) Vorliegend kann indes der Anwendungsbereich von Nr. 3104 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG im Fall des
Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO offen bleiben, weil sich die Erstattungsfähigkeit der
Terminsgebühr aus Absatz 3 der Vorb. 3 des Vergütungsverzeichnisses ergibt.
aa) Die Vorbemerkungen des Vergütungsverzeichnisses enthalten wesentliche Regelungen des
Vergütungsrechts. Sie können auch zusätzliche Tatbestände enthalten (Enders, JurBüro 2004,
225, 227/Müller-Raabe in Gerold/Schmidt, a. a. O., Vorb. 3. VV Rdnr. 30).
Dies ergibt sich für die vorliegend zu diskutierende Terminsgebühr bereits aus der Formulierung
der Nr. 3104 VV RVG, wenn es dort heißt "die Gebühr entsteht auch, wenn ...".
bb) Nach Absatz 3 der Vorb. 3 des VV RVG fällt eine Terminsgebühr nicht nur für die anwaltliche
Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin an, sondern auch
für "die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten
Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichtes" (nicht jedoch für die Besprechung allein mit dem
Auftraggeber). Vorb. 3, Abs. 3 schafft somit einen Gebührentatbestand für eine Terminsgebühr
außerhalb jeden Termins. Gesetzgeberische Motivation war, dass der Anwalt nach seiner
Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu
einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens
beiträgt. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die
Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichtes mitwirkt,
insbesondere wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Regelung zielen
(BT-Drucksache 15/1971, Seite 209, 3. Absatz).
cc) Die Voraussetzungen der Vorb. 3, 3. Absatz, 3. Alternative VV RVG sind vorliegend erfüllt:
Nach einem ersten Anstoß durch das Gericht mit der Terminsladung vom 18. November 2004
besprachen die Parteivertreter am 03. Dezember 2004 die Sach- und Rechtslage telefonisch und
gelangten nach Rücksprache mit den Parteien zu einer einvernehmlichen Regelung, wie sie dann
auf ihre Anträge hin vom Gericht vorgeschlagen und nach Zustimmung der Parteien als Vergleich
festgestellt wurde. Damit haben beide Parteivertreter durch Besprechungen mit einem Dritten und
in der entscheidenden Phase ohne Beteiligung des Gerichtes zur Beilegung des Rechtsstreites
beigetragen, so wie es der gesetzliche Gebührentatbestand verlangt (vgl. zu dieser Variante der
Terminsgebühr: Hartmann, a. a. O., VV 3104, Rdnr. 9 ff.; Müller-Raabe in Gerold/Schmidt, a. a.
O., VV, Vorb. 3, Rdnr. 81 ff.).
Angesichts der großen Bedeutung moderner Kommunikationstechniken im heutigen
Geschäftsleben ist auch eine telefonische Besprechung ausreichend, die gleichzeitige persönliche
Anwesenheit der Gesprächspartner ist nicht zu verlangen (Müller-Raabe in Gerold/Schmidt, a. a.
O., VV, Vorb. 3, Rdnr. 87; Mayer, RVG-Letter 2004, 2).
dd) Der infolge der erfolgreichen sofortigen Beschwerde von der Klägerin an die Beklagten über
den im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07. Februar 2005 zuerkannten Betrag von 422,00 Euro
hinausgehende weitere Betrag von 372,79 Euro errechnet sich aus einer 1,2 Terminsgebühr von
494,40 Euro zzgl. MwSt. unter Berücksichtigung der Erstattungsquote gemäß Vergleich von 65 %.
II.
135
Der Kostenentscheidung liegt § 97 ZPO zugrunde.
Als Beschwerdewert wurde der Betrag festgesetzt, um den die Beklagten eine Erhöhung der
Kostenerstattung begehren.
III.
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3,
Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
OLG Nürnberg 3. Zivilsenat Beschluss vom 15. Dezember 2004 3 W 4006/04
ZPO § 278 Abs 6, RVG Nr 3104
Leitsatz
Im Falle des Abschlusses eines Vergleiches nach § 278 Abs. 6 ZPO ohne mündliche
Verhandlung fällt keine Terminsgebühr an, soweit es sich nicht um Verfahren handelt, die
nach § 128 Abs. 2 oder § 495a ZPO keine mündliche Verhandlung erfordern.
Verfahrensgang

vorgehend LG Regensburg 29. Oktober 2004 3 O 1746/04 Beschluss
Nr. 3105 VV RVG
OLG Celle 2. Zivilsenat Beschluß vom 24. Februar 2005 2 W 36/05
RVG Nr 3104
Leitsatz
Der Ermäßigungstatbestand der Nr. 3105 VV RVG findet auf den Fall eines zweiten
Versäumnisurteils keine Anwendung, wenn derselbe Prozessbevollmächtigte bereits das erste
Versäumnisurteil erwirkt hat.
NJW 2005, 1283 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 150 (red. Leitsatz) RVG
professionell 2005, 80 (Leitsatz)
Nr. 3201 VV RVG
KG Berlin 1. Zivilsenat Beschluß vom 9. Mai 2005 1 W 20/05
136
Vergütung des Rechtsanwalts: Anfall und Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr
des Berufungsgegners bei fristwahrender Berufungseinlegung
1. Die Entstehung der Verfahrensgebühr nach VV 3201 für den Anwalt des
Rechtsmittelgegners setzt nicht voraus, dass dieser sich bereits zum Verfahren bestellt.
2. Die Bitte an den erstinstanzlichen Bevollmächtigten des Rechtsmittelgegners, sich vorerst
noch nicht beim Berufungsgericht zu bestellen, schließt die Erstattungsfähigkeit der durch die
Beauftragung mit der Vertretung in der Rechtsmittelinstanz erwachsenen Verfahrensgebühr
nach VV 3201 nicht aus.
3. In diesem Falle bedarf es auch keiner weiteren Glaubhaftmachung des Gebührenansatzes.
Gründe
Das Rechtsmittel ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG in Verbindung mit § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO
zulässig, hat jedoch in der Sache aus den im klägerischen Schriftsatz vom 20.1.2005
genannten Gründen keinen Erfolg. Ergänzend ist auszuführen:
1) Einer weiteren Glaubhaftmachung des Vortrages, der Klägervertreter habe den Auftrag
gehabt, die Kläger auch in der Berufungsinstanz zu vertreten, bedurfte es nicht. Insbesondere
bedurfte es eines Bestellschriftsatzes hierzu nicht. Der Klägervertreter entsprach insoweit der
Bitte der Beklagtenvertreter, sich vorerst noch nicht beim Kammergericht zu bestellen.
2) Die Gebühr nach VV 3201 erforderte ein Tätigwerden aufgrund des Auftrages, das jedoch
nicht nach außen in Erscheinung treten musste und lediglich in der Entgegennahme des
Auftrags und der Information bestehen konnte (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, VV 3200
Rn. 49). Soweit der Auftrag - wie offenbar im vorliegenden Fall - schon mit dem
erstinstanzlichen Mandat zur gerichtlichen Geltendmachung der Klageforderung erteilt wurde,
bedurfte es nach Zustellung der Berufungsschrift gemäß § 172 Abs. 2 ZPO keiner besonderen
Auftrags- oder Informationserteilung. Die mit der Empfangnahme der Rechtsmittelschrift und
deren Weiterleitung an den Auftraggeber entfaltete Tätigkeit ist zwar mit der erstinstanzlichen
Verfahrensgebühr nach VV 3100 abgegolten, § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG. Daraus folgt aber nicht,
dass das Entstehen der weiteren Verfahrensgebühr nach VV 3201 eine zusätzliche Tätigkeit
des beauftragten Rechtsanwalts erfordert, die in diesem Stadium des Verfahrens für den
Vertreter des Rechtsmittelgegners auch nicht veranlasst ist.
3) Ein Stillhalteabkommen ist nicht geschlossen worden, so dass es auf die in diesem Falle
geltenden erstattungsrechtlichen Grundsätze (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O. Rn. 54
- 57) nicht ankommt. Zwar haben die Berufungskläger bei der fristwahrenden Einlegung der
Berufung die Bitte an den Klägervertreter ausgesprochen, anwaltlich noch nicht im
Berufungsverfahren tätig zu werden. Dies konnte aber keine rechtliche Verpflichtung für den
Klägervertreter begründen, die Gebühr nach VV 3201 nicht geltend zu machen, und erst recht
nicht für die Auftraggeber, insoweit keine Erstattung ihrer Kosten zu verlangen. Aus den
Gründen zu 2) ist es für die Entstehung und Erstattungsfähigkeit der Gebühr nämlich nicht
erforderlich, dass der Rechtsanwalt sich mit einem Meldeschriftsatz zum Verfahren bestellt.
4) Der Erstattungsfähigkeit gemäß § 91 Nr. 1 ZPO steht schließlich auch nicht, wie die
Beklagten meinen, der Gesichtspunkt entgegen, dass ein Tätigwerden des Rechtsanwalts im
Berufungsverfahren solange objektiv nicht erforderlich gewesen sei, wie die Beklagten über
die Durchführung des Berufungsverfahrens noch nicht entschieden hätten. Dieser
137
Gesichtspunkt betrifft nur eine die volle Gebühr nach VV 3200 auslösende weitergehende
Tätigkeit des Rechtsanwalts, nicht schon die Entgegennahme des Auftrags zur Vertretung in
der Berufungsinstanz, deren Notwendigkeit aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei zu
beurteilen ist und im Regelfall nicht verneint werden kann (vgl. BGH NJW 03, 756/757).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
KGR Berlin 2005, 684 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 418 (Leitsatz und Gründe)
Rpfleger 2005, 569 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 314-315 (red. Leitsatz)
Bei Zurücknahme einer Berufung innerhalb der Begründungsfrist kann die gegnerische Partei bei
Stellung eines Antrages auf Zurückweisung (nur) eine 1,1-fache Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG
erstattet verlangen.
OLG-OLDENBURG: 2 WF 204/05, Beschluss vom 08.11.2005
Verfahrensgang:
AG Oldenburg 64 F 42/04 (UEUK) vom 13.09.2005
Stichworte: Berufungsrücknahme, Kostenerstattung
Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss
2 WF 204/05
In der Familiensache
hat der 2. Zivilsenat - 6. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg am 8.
November 2005 durch den unterzeichneten Richter als Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des
Amtsgerichts Oldenburg vom 13.9.2005 unter Zurückweisung der Beschwerde im übrigen
dahingehend geändert, dass die aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts Oldenburg 2 UF 137/04 - vom 19.11.2004 vom Beklagten an die Klägerinnen zu erstattenden Kosten auf
694,38 ¤ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB
seit dem 17.6.2005 festgesetzt werden. Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben der Beklagte zu 70 % und die Klägerinnen zu 30 %
zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert beträgt 999,46 ¤.
Gründe:
Der Beklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 7.9.2004 zur Zahlung von
Trennungs- und Kindesunterhalt verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat er mit einem am
138
18.10.2004 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Antrag und Begründung sind einem
gesonderten Schriftsatz vorbehalten worden.
Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hatte den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen
gebeten, bis zur endgültigen Entscheidung über die Durchführung der Berufung keinen Antrag zu
stellen.
Durch Verfügung vom 16. November 2004 ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum
1.12.2004 verlängert worden. Mit einem am 17. November 2004 eingegangenen Schriftsatz hat
der Beklagte die Berufung zurückgenommen. Mit Schriftsatz vom 16. November 2004 eingegangen beim Oberlandesgericht am 18. November 2004 - hatten die Klägerinnen beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Durch den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13.9.2005 hat das Amtsgericht
Oldenburg u.a. eine 1,6-fache Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG festgesetzt.
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss wendet sich der Beklagte mit seiner Erinnerung, die
als sofortige Beschwerde umzudeuten ist.
Er macht im wesentlichen geltend, dass seine Prozessbevollmächtigte den Anwalt der Gegenseite
dazu aufgefordert habe, kollegialiter keine Anträge zu stellen.
Die gem. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg.
Die Klägerinnen haben gem. § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. Nr. 3201 VV RVG (nur) Anspruch auf
Erstattung einer 1,1-fachen Gebühr.
Die hier maßgebliche Rechtsfrage ist zur damals geltenden BRAGO höchstrichterlich geklärt.
Durch Beschluss vom 17.12.2002 (NJW 2003, 756) hat der BGH für eine vergleichbare
Konstellation - nur zur Fristwahrung eingelegte Berufung verbunden mit der Bitte an die
Gegenseite zunächst noch keinen Anwalt für die zweite Instanz zu bestellen - ausgesprochen,
dass Rechtsanwaltskosten auch in derartigen Fällen grundsätzlich erstattungsfähig sind. Die
Frage, ob eine volle oder eine halbe Gebühr gem. § 32 Abs. 1 BRAGO erstattungsfähig sei, hat er
seinerzeit ausdrücklich offengelassen. Durch Beschluss vom 3. Juni 2003 (NJW 2003, 2992 f) hat
der BGH diese Frage dann dahingehend geklärt, dass die Erstattungsfähigkeit der weiteren
Gebührenhälfte nicht in Betracht komme. Bei einer nur zur Fristwahrung eingelegten Berufung sei
ein die volle Prozessgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung der Berufung sachlich nicht
gerechtfertigt, solange ein Berufungsantrag nicht gestellt und das Rechtsmittel nicht begründet
worden sei. Soweit durch einen solchen vorzeitigen Sachantrag die volle 13/10 Gebühr
entstanden sei, könne der Berufungsbeklagte daher nicht gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine
Erstattung hinsichtlich der zweiten Hälfte der Gebühr verlangen.
Im Unterschied zu § 32 BRAGO, der zwar in der Entscheidung vom 3. Juni 2003 nicht
ausdrücklich erwähnt worden ist, auf den allerdings bereits der BGH in seinem Beschluss vom
17.12.2002 (NJW 2003, 756) abgestellt hatte, sieht Nr. 3201 VV RVG nicht nur eine halbe Gebühr
vor, sondern eine 1,1-fache Verfahrensgebühr. In Anwendung dieser Rechtsprechung des BGH
ist deshalb seit Geltung des RVG diese 1,1-fache Gebühr in Ansatz zu bringen, da Nr. 3201 VV
RVG - ebenso wie seinerzeit § 32 BRAGO - die vorzeitige Beendigung des Auftrages erfasst (so
auch Riedel/Sußbauer-Keller, RVG 9. Aufl., VV Teil 3 Abschnitt 2 Rn. 36 und Gerold/Schmidt/von
Eicken/Madert/Müller-Rabe - Müller-Rabe, RVG 16. Aufl., VV 3200 Rn. 49 und 50).
Die 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG beträgt 578,60 ¤. Hinzu kommen 20, ¤
Auslagenpauschale sowie 95,78 ¤ Mehrwertsteuer. Insgesamt ergibt dies 694,38 ¤.
Der von den Klägerinnen neben dem Zurückweisungsantrag gestellte Kostenantrag löst keine
Gebühren (mehr) aus, da über die Kostentragungspflicht (nunmehr) von Amts wegen zu
entscheiden ist ( § 516 Abs. 3 Satz 2 ZPO ) (Zöller-Gummer/Heßler ZPO § 516 RN 30, vgl. auch
OLG Hamburg MDR 03, 1261 betr. Kostanantrag nach Zurücknahme einer
Nichtzulassungsbeschwerde).
Die weitergehenden Einwendungen des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss sind
139
unerheblich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs.1, 92 Abs. 1 ZPO.
Nr. 3500 VV RVG
ArbG Koblenz 4. Kammer Beschluß vom 6. Januar 2005 4 Ca 1266/03
Verfahrensgebühr - Beschwerde gegen Nichtzulassung der Revision
Orientierungssatz
1. Für Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht ist eine
0,5 Gebühr nach Nr 3500 VV RVG festzusetzen.
2. Der Erinnerung wurde durch Beschluss vom 28.02.2005 dahingehend abgeholfen, dass eine
1,1 Gebühr nach Nr 3506, 3507 VV RVG festgesetzt worden ist.
Tenor
werden die nach dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 29.09.2004 von dem Kläger
an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf
188,50 EUR (in Worten: Einhundertachtundachtzig 50/100
Euro)
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus
170,50 EUR seit dem 11.10.2004 festgesetzt.
Der zugrundeliegende Titel ist rechtskräftig.
Gründe
Von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten wurde für die Durchführung des Verfahrens
über die Nichtzulassung der Revision eine 1,1 Gebühr nach Nr. 3507, 3506 VV RVG geltend
gemacht. Diese Vorschriften erfassen das Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde
nach § 544 ZPO (Rn 3 zu Nr. 3506 VV RVG, Hartmann, Kostengesetze, 34. Auflage). Für
Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht findet die
Vorschrift des § 544 ZPO keine Anwendung. Dieses Verfahren richtet sich vielmehr nach §
72 a ArbGG (vgl. BGH, Beschluss vom 27.11.2003, 8 AZB 52/03).
Es kann nur eine 0,5 Gebühr nach Nr. 3500 VV RVG festgesetzt werden.
Die geltend gemachten Auslagen für den beglaubigten Handelsregisterauszug in Höhe 18,00
EUR zur Berichtigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 23.08.2004 sind Kosten des
Rechtsstreits (Rn 24 zu § 319 ZPO, Zöller, 24. Auflage).
Bibliothek BAG (Gründe) AGS 2005, 261 (red. Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 292 (red.
Leitsatz und Gründe) RVG-B 2005, 33 (red. Leitsatz 1, Kurzwiedergabe) RVGreport 2005,
106-107 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 81 (red. Leitsatz)
140
141
Nr. 4000 ff RVG
OLG Bamberg 1. Strafsenat Beschluß vom 13. September 2005 Ws 676/05
1. Einem Rechtsanwalt, der vor dem 01.07.2004 die Wahlverteidigung eines Mandanten
angezeigt hat und bis zu seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger nach dem 01.07.2004
bereits in die Sache eingearbeitet war, steht nicht die Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG
sondern nur die Vorverfahrensgebühr nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 und 3
BRAGO zu.
2. Längere Sitzungspausen sind bei der Frage der Zubilligung einer Zusatzgebühr für eine
überlange Verhandlungsdauer nach Nr. 4116 VV RVG nicht in die Verhandlungsdauer
einzurechnen.
Gründe
I.
Rechtsanwalt ... hat mit am 9.3.2004 eingegangenem Schriftsatz die Wahlverteidigung des
Beschuldigten übernommen, gegen den am 15.2.2004 durch das Amtsgericht Aschaffenburg
die Untersuchungshaft angeordnet und vollzogen worden war. Am 19.5.2004 hat die
Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage zum Landgericht - Große Strafkammer
- Aschaffenburg erhoben. Am 4.8.2004 hat die Vorsitzende der Strafkammer dem
Beschuldigten Rechtsanwalt ... gemäß § 140 Abs. 1 Ziff. 2 StPO als Pflichtverteidiger
beigeordnet. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten hat am 28.10.2004 von 9.00 Uhr
bis 15.20 Uhr mit Pausen von 9.47 Uhr bis 10.00 Uhr, 10.45 Uhr bis 11.07 Uhr, 11.40 Uhr bis
13.05 Uhr und 13.22 Uhr bis 13.32 Uhr stattgefunden und endete mit rechtskräftiger
Verurteilung.
Mit Schriftsatz vom 4.1.2005 hat Rechtsanwalt ... beantragt, die aus der Staatskasse zu
zahlenden Pflichtverteidigergebühren gemäß § 55 RVG einschließlich Mehrwertsteuer auf
1.613,39 EUR festzusetzen, wobei er die Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG VV mit 162,-EUR, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4105 RVG VV mit 137,-- EUR, eine Verfahrensgebühr
nach Nr. 4113 RVG VV mit 151,-- EUR, eine Terminsgebühr nach Nr. 4115 RVG VV mit
263,-- EUR, eine Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV mit 108,-- EUR, Fotokopiekosten für
317 Blatt nach Nr. 7000 RVG VV mit 65,05 EUR, eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002
RVG VV mit 20,-- EUR, Fahrtkosten für fünf Fahrten mit dem eigenen PKW bei einer
Gesamtfahrstrecke von 1216 Kilometern nach Nr. 7003 RVG VV mit 364,80 EUR sowie
Tage- und Abwesenheitsgeld für mehrere Geschäftsreisen nach Nr. 7005 RVG VV mit 120,-EUR angesetzt hat.
Mit Beschluss vom 27.1.2005 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts
Aschaffenburg die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigerkosten nach den
bis zum Inkrafttreten des RVG geltenden Bestimmungen der BRAGO auf 1.125,63 EUR
festgesetzt.
Gegen diesen ihm am 29.1.2005 zugestellten Beschluss hat Rechtsanwalt ... mit am 7.2.2005
eingegangenem Schriftsatz Beschwerde (Erinnerung) eingelegt, der die Urkundsbeamtin mit
Beschluss vom 14.2.2005 nicht abgeholfen hat.
142
Das Landgericht Aschaffenburg hat mit Kammerbeschluss vom 21.7.2005 der Erinnerung des
Beschwerdeführers abgeholfen und die Rechtsanwalt ... aus der Staatskasse zu zahlende
Pflichtverteidigervergütung antragsgemäß auf 1.613,39 EUR festgesetzt und die sofortige
Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.
Gegen diesen ihm am 9.8.2005 zugestellten Beschluss hat der Bezirksrevisor beim
Landgericht Aschaffenburg mit am 16.8.2005 eingegangenem Schreiben sofortige
Beschwerde eingelegt.
Ziel seines Rechtsmittels ist die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin, dass
anstelle der Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG VV in Höhe von 162,-- EUR und der
Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV in Höhe von 108,-- EUR die Vorverfahrensgebühr
nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAGO in Höhe von 150,-- EUR
tritt. Hilfsweise beantragt der Bezirksrevisor, die Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV in
Wegfall kommen zu lassen, weil die Verhandlungsdauer unter Abzug der Pausen 4 Stunden
33 Minuten nur gedauert habe.
Das Landgericht Aschaffenburg hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 18.8.2005
nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der
Staatskasse (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 2 und 3 RVG) ist begründet.
1.
Dass auf den Gebührenanspruch des Pflichtverteidigers nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die
Gebührensätze des RVG anzuwenden sind, weil Rechtsanwalt ... dem Beschuldigten am
4.8.2004 und somit nach Inkrafttreten des RVG am 1.7.2004 beigeordnet wurde, hat der Senat
bereits mit Beschluss vom 25.2.2005 (Ws 130/05) entschieden. Zutreffend geht deshalb das
Landgericht Aschaffenburg mit dem Senat davon aus, dass es für die Gebühren des
Pflichtverteidigers grundsätzlich nur auf den Zeitpunkt seiner Bestellung ankommt.
Die von Rechtsanwalt ... in seinem Antrag vom 4.1.2005 angesetzten Gebühren mit
Ausnahme der Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG VV und der Zusatzgebühr nach Nr. 4116
RVG VV sind nicht zu beanstanden.
2.
Mit Jungbauer in ihrer Anmerkung zum Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20.10.2004
(JurBüro 2005, 31) vertritt der Senat wie bereits in seiner Entscheidung vom 25.2.2005
weiterhin die Auffassung, dass dem Antragsteller im vorliegenden Fall nicht die Grundgebühr
nach Nr. 4101 RVG VV, sondern lediglich die Vorverfahrensgebühr nach der BRAGO
zusteht. § 48 Abs. 5 S. 1 RVG bestimmt, dass der im ersten Rechtszug bestellte
Pflichtverteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung
einschließlich seiner Tätigkeit vor der Anklageerhebung erhält. Es bleibt aber offen, ob die
Vergütung insoweit nach der BRAGO oder dem RVG zu erfolgen hat.
Die Grundgebühr entsteht nach dem RVG für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall.
Der Antragsteller war zum Zeitpunkt seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger am 4.8.2004
143
bereits in die Materie eingearbeitet. Die Einarbeitung erfolgte bereits zwischen der
Wahlmandatsübernahme am 9.3.2004 und dem Inkrafttreten des RVG am 1.7.2004. In der
Einarbeitungsphase des Verteidigers war das RVG somit noch nicht in Kraft. Die
Rückwirkung der Bestellung führt nach §§ 48 Abs. 5, 61 RVG deshalb auch unter
Berücksichtigung der Gesetzesbegründung, die im Gesetz selbst keinen Niederschlag
gefunden hat, nicht dazu, dass der Antragsteller seine Einarbeitungstätigkeit im
Ermittlungsverfahren nach dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen RVG
vergütet erhalten kann. Mit Jungbauer ist der Senat deshalb der Ansicht, dass Rechtsanwalt ...
für die Einarbeitung in die Sache im Ermittlungsverfahren nicht die Grundgebühr nach Nr.
4101 RVG VV in Höhe von 162,-- EUR, sondern die Vorverfahrensgebühr nach §§ 97 Abs. 1
S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAGO in Höhe von 150,-- EUR beanspruchen kann.
3.
Der Senat hat bei seinen Entscheidungen zur Pauschvergütung nach § 99 BRAGO in
ständiger Rechtsprechung einen einzelnen Hauptverhandlungstag als besonders umfangreich
erachtet, wenn die Verhandlungsdauer vor der Großen Strafkammer mehr als 8 Stunden in
Anspruch genommen hat, wobei eine Mittagspause bis zu 2 Stunden grundsätzlich
angerechnet wurde (vgl. OLG Bamberg, JurBüro 1988, 1347). Diese Rechtsprechung kann
nicht auf die Frage der Zubilligung einer Zusatzgebühr für eine überlange Verhandlungsdauer
pro Termintag nach Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123 RVG VV übertragen werden.
Nach dem klaren Wortlaut der hier in Betracht kommenden Nr. 4116 RVG VV setzt deren
Anwendung voraus, dass der Rechtsanwalt mehr als 5 Stunden an der Hauptverhandlung
teilnimmt . Eine Teilnahme an der Hauptverhandlung setzt aber voraus, dass sie stattfindet. Ist
die Hauptverhandlung unterbrochen, kann der Rechtsanwalt an ihr nicht teilnehmen. In
Übereinstimmung mit Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., Rdnr. 1 zu Nrn. 4110, 4111 RVG
VV ist auch der Senat der Auffassung, dass kurze Sitzungspausen die Uhr weiterlaufen lassen,
weil eine kleinliche Auslegung dieser Vorschrift zu unfruchtbaren Streitereien führen würde,
zumal in diesen Pausen oft sitzungsrelevante Probleme zwischen dem Angeklagten und dem
Verteidiger besprochen werden. Dies kann jedoch für längere Sitzungspausen, insbesondere
die Mittagspause, nicht gelten. In dieser Zeit findet die Hauptverhandlung nicht statt und der
Rechtsanwalt nimmt an ihr nicht teil.
Im vorliegenden Fall rechnet der Senat die kurzen Sitzungspausen von 9.47 Uhr bis 10.00
Uhr, 10.45 Uhr bis 11.07 Uhr und 13.22 Uhr bis 13.32 Uhr deshalb in die
Hauptverhandlungsdauer ein, nicht jedoch die Mittagspause von 11.40 Uhr bis 13.05 Uhr.
Diese Zeitdauer von 1 Stunde 25 Minuten ist von der Gesamtdauer von 9.00 Uhr bis 15.20
Uhr in Abzug zu bringen, so dass sich eine Teilnahmedauer des Rechtsanwalts an der
Hauptverhandlung von 4 Stunden 55 Minuten ergibt, weshalb kein Anspruch auf die
Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV besteht.
4.
Die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigergebühren betragen deshalb
1.270,85 EUR und einschließlich 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 203,34 EUR insgesamt
1.474,19 EUR brutto.
Der von der Staatskasse angefochtene Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg ist deshalb
insoweit abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 RVG.
144
AG Trier Beschluß vom 9. Mai 2005 8011 Js 20717/04.3 Cs, 8011 Js 20717/04 3 Cs
Strafverteidigerkosten: Terminsgebühr für kurze Hauptverhandlung vor dem
Amtsgericht
Orientierungssatz
Für den Rechtsanwalt, der in einer (nur) 30-minütigen Hauptverhandlung (nach Einspruch
gegen einen Strafbefehl mit einer geringen Geldstrafe) tätig war, ist die Abrechnung einer
Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr (230 Euro) jedenfalls gerechtfertigt, wenn der
(freigesprochene) Angeklagte bislang nicht bestraft, das Strafverfahren mithin für ihn von
erheblicher Bedeutung war, und eine intensive, wenn auch kurze, Beweisaufnahme
durchgeführt worden ist.
JurBüro 2005, 419 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 271 (red. Leitsatz) RVG
professionell 2005, 136 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 147 (red. Leitsatz)
KG Berlin 5. Strafsenat Beschluß vom 28. Juni 2005 1 AR 708/05 - 5 Ws 311/05, 1 AR
708/05, 5 Ws 311/05
Leitsatz
Im Revisionsverfahren entsteht die Gebühr nach VV 4141 nicht durch die Rücknahme der
Revision, wenn das Rechtsmittel nicht zuvor begründet worden ist.
Tenor
Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Berlin wird der Beschluss des
Landgerichts Berlin vom 25. April 2005 aufgehoben.
Die Vergütung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W. K., ... Berlin, ..., wird auf 609,00
EUR festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Rechtsanwalt W. K. war in dem vorliegenden Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) als
Pflichtverteidiger für den Beschuldigten tätig. Das Landgericht Berlin ordnete am 28. Oktober
2004 die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63
StGB) an. Mit Schriftsatz vom 2. November 2004 legte der Verteidiger rechtzeitig Revision
145
gegen das Urteil ein. Durch Schriftsatz vom 20. Dezember 2004 nahm er das Rechtsmittel mit
ausdrücklicher Ermächtigung des Beschuldigten zurück. Eine Revisionsbegründung hatte er
nicht gefertigt.
Mit seinem Antrag vom 23. Dezember 2004 begehrte Rechtsanwalt K., die
Pflichtverteidigervergütung für das Revisionsverfahren nach der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG
(Vergütungsverzeichnis - VV -) wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren
mit Zuschlag nach Nr. 4131, 4130 VV RVG
EUR
zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG
EUR
Pauschale für Post- und Telekommunikations- Dienstleistungen
EUR
nach Nr. 7002 VV RVG
Zwischensumme netto
EUR
Umsatzsteuer auf Vergütung nach Nr. 7008 VV RVG
EUR
zu zahlender Betrag
EUR
505,00
412,00
20,00
937,00
149,92
1.086,92
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG) hat die
Vergütung demgegenüber nur auf 609,00 EUR (Verfahrensgebühr in Höhe von 505,00 EUR,
Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 EUR sowie anteilige Umsatzsteuer in Höhe von 84,00
EUR) festgesetzt und dies damit begründet, die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG
sei nicht entstanden. Mit Beschluss vom 31. März 2005 hat er demgemäß die Festsetzung der
zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete
Erinnerung (§ 56 Abs. 1 Satz 1 RVG) hat das Landgericht durch Beschluss vom 25. April
2005 (ergänzt durch Beschluss vom 4. Mai 2005) die Entscheidung des Urkundsbeamten
aufgehoben und die dem Rechtsanwalt zu zahlende Vergütung antragsgemäß festgesetzt.
Dagegen wendet sich die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht mit ihrer Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Der Beschwerdewert nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz
1 RVG übersteigt 200,- EUR. Ohnehin hat das Landgericht die Beschwerde in dem
angefochtenen Beschluss gemäß § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG wegen der grundsätzlichen
Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen. Demgemäß entscheidet der
Senat über die Beschwerde (§ 33 Abs. 8 Satz 2 RVG). Das Rechtsmittel ist schließlich auch
innerhalb der Frist des § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG erhoben. Es hat Erfolg.
2. Zu Recht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts die Festsetzung
einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG abgelehnt. Denn eine solche ist vorliegend
nicht entstanden.
a) Die Gebühr gemäß Nr. 4141 VV RVG betrifft Verfahrensgestaltungen, in denen durch die
anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Sie entsteht bei Vorliegen
der Voraussetzungen zusätzlich zu der jeweiligen Verfahrensgebühr. Nach Absatz 1 Nr. 3 der
Anmerkung zu diesem Gebührentatbestand entsteht sie, wenn sich das gerichtliche Verfahren
durch Rücknahme (hier:) der Revision erledigt. Nach Absatz 2 der Anmerkung entsteht die
Zusatzgebühr jedoch nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit
des Rechtsanwalts nicht ersichtlich ist.
146
Sinn der Zusatzgebühr ist es, anwaltliche Tätigkeiten abzugelten, die zu einer Vermeidung der
Hauptverhandlung führen. Sie übernimmt den Grundgedanken der Regelung des § 84 Abs. 2
BRAGO und erweitert ihn auf Verfahrenserledigungen, die durch Revisionsrücknahmen
eintreten. Die Regelung soll intensive und zeitaufwendige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu
einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der
Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich honorieren (vgl. BT-Drucks. 12/6962,
S. 106; Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdn. 108). Der
Gesetzgeber verspricht sich von ihr einen Entlastungseffekt für die Revisionsgerichte (vgl.
Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4141 VV Rdn. 37).
b) Gemessen an diesen Anliegen, die der Gesetzgeber des RVG mit dem Gebührentatbestand
der Nr. 4141 VV RVG aufgegriffen hat, hat die Rücknahme der Revision hier nicht dazu
geführt, dass die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht entbehrlich wurde. Im
Revisionsverfahren findet eine Hauptverhandlung nicht statt, wenn die Revision nicht gemäß
§ 344 Abs. 1 StPO begründet wurde. In diesem Fall unterliegt das Rechtsmittel der
Verwerfung durch das Tatgericht im Beschlusswege (§ 346 Abs. 1 StPO); das
Revisionsgericht wird mit ihm nicht befasst.
Vorliegend war die Revision zur Zeit der Rücknahme nicht begründet worden, so dass die
Rücknahme nicht förderlich für das Entbehrlichwerden der Hauptverhandlung werden konnte.
Somit wurde nicht durch eine tätige anwaltliche Mitwirkung eine Hauptverhandlung
entbehrlich, sondern bereits deshalb, weil eine Revisionsbegründung nicht vorlag, der
Verteidiger also gerade nicht tätig geworden war.
c) Ausgehend vom Sinn und Zweck der Zusatzgebühr ist zudem zu bedenken, dass
Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit im Revisionsverfahren die Begründung der Revision
ist (vgl. Hartung in Hartung/Römermann, RVG VV Teil 4 Rdn. 117). Die Einlegung der
Revision fällt nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG noch unter die Tätigkeit im
vorhergehenden Rechtszug (vgl. Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen Nr. 4130 VV Rdn.
6). Erst die darauf folgende prüfende und beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts, vor allem
aber die Revisionsbegründung, wird durch die Verfahrensgebühr (Nr. 4130, 4131 VV RVG)
abgegolten. Wird die Revision nicht begründet, entfällt folglich eine anwaltliche Kerntätigkeit
im Revisionsverfahren, ohne dass die Verfahrensgebühr entfiele. Für derartige
Fallgestaltungen besteht daher nach dem Regelungszweck des Gebührentatbestandes der Nr.
4141 VV RVG kein Bedarf, die anwaltliche Tätigkeit im Falle einer Rechtsmittelrücknahme
über die Verfahrensgebühr hinaus zu entgelten, da ein Tätigkeitsaufwand, der nicht bereits
durch die Verfahrensgebühr abgegolten wäre, nicht vorliegt.
Nach alledem hatte es bei der Vergütungsfestsetzung, wie sie von dem Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle de Landgerichts vorgenommen worden ist, zu verbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
JurBüro 2005, 533 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 434-435 (red. Leitsatz und Gründe)
RVG-Letter 2005, 103-104 (Leitsatz) RVGreport 2005, 352 (Leitsatz)
LG Berlin 12. Große Strafkammer Beschluß vom 1. März 2005 512 Qs 21/05
147
Pflichtverteidigergebühren: Entstehung der Verfahrensgebühr bei Einziehung
Orientierungssatz
Der Verteidiger erhält die Gebühr Nr. 4142 VV RVG, wenn die Einziehung nach Lage der
Sache auch nur in Betracht kommt. Die Einziehung muss also nicht etwa von der
Staatsanwaltschaft ausdrücklich beantragt worden sein.
AGS 2005, 395-396 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 193-194 (red. Leitsatz)
ZAP EN-Nr 418/2005 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 147-148 (red. Leitsatz)
OLG Koblenz 1. Strafsenat Beschluß vom 11. Januar 2005 1 Ws 717/04
Verfahrensgebühr des Verteidigers: Keine Tätigkeit außerhalb des
Hauptverhandlungstermins
Orientierungssatz
Ist der Verteidiger außerhalb des Hauptverhandlungstermins nicht für den Angeklagten tätig
gewesen, ist er vielmehr erst im Hauptverhandlungstermin bestellt worden und wird am Ende
des Hauptverhandlungstermins bereits das Urteil verkündet und Rechtsmittelverzicht erklärt,
hat der Verteidiger keine Tätigkeit entfaltet, die eine Verfahrensgebühr nach Nrn. 4106, 4107
VV RVG auslösen könnte.
JurBüro 2005, 199-200 (red. Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 158-160 (red. Leitsatz und
Gründe) AnwBl 2005, 587 (Leitsatz und Gründe) RVG-B 2005, 83 (red. Leitsatz)
KG Berlin 5. Strafsenat Beschluß vom 31. Januar 2005 1 AR 1490/04 - 5 Ws 4/05, 1 AR
1490/04, 5 Ws 4/05
Vergütung des Pflichtverteidigers im jährlichen Überprüfungsverfahren für eine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Leitsatz
Pflichtverteidigergebühren im Verfahren nach § 67e StGB.
Orientierungssatz
Die Pflichtverteidigergebühren im jährlichen Überprüfungsverfahren nach § 67e Abs. 2 StGB
für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bestimmen sich nach Nr. 4200
ff. VV.
148
NStZ-RR 2005, 127-128 (red. Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 251-252 (red. Leitsatz
und Gründe) AGS 2005, 393-395 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 102103 (red. Leitsatz) NJ 2005, 321 (red. Leitsatz) RVG-B 2005, 148-149 (red. Leitsatz)
1. Für die Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung ist in der Regel der in der Ladung
bestimmte Zeitpunkt und nicht der tatsächliche Beginn der Sitzung maßgebend. Dies gilt nicht,
wenn der verspätete Beginn nachweislich auf Umständen beruht, die der Rechtsanwalt zu
vertreten hat.
2. Verhandlungspausen verkürzen die Dauer der Hauptverhandlung nicht. Inwieweit hiervon bei
sehr langen Pausen Ausnahmen zu machen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
OLG-STUTTGART: 4 Ws 118/05, Beschluss vom 08.08.2005
Verfahrensgang:
LG Heilbronn 2 KLs 30 Js 13042/04 hw. vom 20.04.2005
Oberlandesgericht Stuttgart
- 4. Strafsenat Beschluss
Geschäftsnummer:
4 Ws 118/05
vom 8. August 2005
in der Strafsache
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Verteidigers wird der Beschluss des Landgerichts - Jugendkammer H. vom 20. April 2005 aufgehoben.
2. Die Verfügung des Landgerichts H. vom 11. Januar 2005 wird dahin abgeändert, dass die
Vergütung des gerichtlich bestellten Verteidigers in Höhe von 1.316,16 ¤ festgesetzt wird. Bereits
ausbezahlte Gebühren sind anzurechnen.
3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).
Gründe:
I. Der Beschwerdeführer war im vorliegenden (erstinstanzlichen) Strafverfahren vor der
Jugendkammer des Landgerichts H. als bestellter Verteidiger tätig. Die Hauptverhandlung fand
am 23. November 2004 in seiner Anwesenheit statt. Am Vormittag dieses Tages begann die auf
9.00 Uhr anberaumte Sitzung um 9.12 Uhr und endete um 12.17 Uhr. Termin zur Fortsetzung
wurde bestimmt auf 15.00 Uhr. Tatsächlich nahm die Hauptverhandlung ihren weiteren Verlauf
von 15.10 Uhr bis 15.45 Uhr.
Mit Schriftsatz vom 25. November 2004 beantragte Rechtsanwalt W. die Festsetzung seiner
Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 1.316,16 ¤. Vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
des Gerichts wurde die vom Verteidiger gemäß Nr. 4116 des Vergütungsverzeichnisses (VV;
Anlage 1 zum RVG) geltend gemachte Zusatzgebühr in Höhe von 108 ¤ abgesetzt. Dagegen hat
der Rechtsanwalt Erinnerung eingelegt, der nicht abgeholfen worden ist. Gemäß § 56 RVG hat
das Landgericht - Jugendkammer - H. darüber entschieden und die Erinnerung mit Beschluss
vom 20. April 2005 zurückgewiesen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung
stehenden Frage der Anrechenbarkeit von Verhandlungspausen bei den Gebührentatbeständen
149
der Nrn. 4110, 4111, 4116 und 4117 VV hat die Kammer das Rechtsmittel der Beschwerde
zugelassen. Deshalb ist die vom Verteidiger innerhalb der zweiwöchigen Frist eingelegte
Beschwerde, obwohl es lediglich um die Absetzung eines Betrags von weniger als 200 ¤ geht,
zulässig (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG).
II. Das Rechtsmittel ist begründet.
Da die Kammer in der Besetzung mit drei Richtern entschieden hat, hat auch der Senat in dieser
Besetzung zu befinden (§ 56 Abs. 2 Satz1 i.V.m.
§ 33 Abs. 8 RVG).
Vorliegend geht es um die Fragen, ob bei der Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung für
die Anerkennung einer Zusatzgebühr nach Nrn. 4110, 4111, 4116 und 4117 VV auf den Zeitpunkt
abzustellen ist, zu dem der/die Verteidiger/in geladen worden ist oder zu dem mit der
Hauptverhandlung ausweislich des Protokolls tatsächlich begonnen wurde, und ob Pausen und
längere Unterbrechungen der Hauptverhandlung an ein und demselben Tag in Abzug zu bringen
sind.
1. Im Hinblick auf die Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung kommt es grundsätzlich auf
den Zeitpunkt an, zu dem der/die Verteidiger/in geladen worden ist. Etwas anderes kann nur
gelten, wenn allein aus Gründen, die dem/der Verteidiger/in zuzurechnen sind, erst zu einem
späteren Zeitpunkt hat begonnen werden können. Kürzere Pausen sind nicht zu berücksichtigen
(ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2005, 2 (s) Sbd. VIII - 54/05; Burhoff, RVG Strafund Bußgeldsachen, Nr. 4110 VV RVG Rdnr. 8 ff.; Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., VV 4110,
4111 Rdnr. 1; Riedel/Sußbauer/Schmahl, RVG, 9.Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1, Rdnr. 64 ).
Gegen diese Auffassung spricht auch nicht die in den Bestimmungen des
Vergütungsverzeichnisses verwendete Formulierung: "Der gerichtlich bestellte oder beigeordnete
Rechtsanwalt nimmt mehr als fünf bis acht Stunden bzw. mehr als acht Stunden an der
Hauptverhandlung teil..." Nach § 243 Abs. 1 Satz1 StPO beginnt die Hauptverhandlung zwar
(erst) mit dem Aufruf der Sache, woraus gefolgert werden könnte, dass Wartezeiten vom
Zeitpunkt der Ladung bis zum Aufruf der Sache bei der Berechnung, wie lange ein/e
Rechtsanwalt/anwältin an einer Hauptverhandlung teilgenommen hat, nicht zu berücksichtigen
sind. Dem steht jedoch entgegen, dass ausweislich der Gesetzesmaterialien feste
Terminsgebühren geschaffen werden sollten, auf deren Höhe die Umstände des Einzelfalls
keinen Einfluss haben. Der besondere Zeitaufwand für die anwaltliche Tätigkeit soll angemessen
honoriert werden. Insbesondere sollen Rechtsanwälte/innen aufgrund länger dauernder zeitlicher
Inanspruchnahme nicht mehr ausschließlich auf die Bewilligung einer Pauschgebühr angewiesen
sein. Eine maßgebliche Intention des Gesetzgebers war, durch diese neue Regelung eine
Verminderung der Fälle herbeizuführen, in denen Pauschgebühren festgesetzt werden müssen
(Begründung im Gesetzentwurf KostRMoG - BT-Drs. 15/1971, S. 224). Dem würde jedoch ein
Abzug von Verspätungen und auch von kleineren Verhandlungspausen zuwiderlaufen. Die
zeitliche Inanspruchnahme eines/r Rechtsanwalts/anwältin ist genau die gleiche, wenn eine
Hauptverhandlung, zu der beispielsweise auf 9.00 Uhr geladen worden ist, erst um 10.00 Uhr
beginnt und dann bis 14.05 Uhr andauert, wie wenn sie pünktlich begonnen hätte. Würde der/die
Rechtsanwalt/anwältin in diesem Beispielsfall, trotz einer zeitlichen Inanspruchnahme von mehr
als fünf Stunden, keine Zusatzgebühr erhalten, wären Anträge auf Bewilligung von
Pauschgebühren quasi "vorprogrammiert". Deren Erfolg wäre allerdings im Hinblick auf die engen
Voraussetzungen von §§ 42, 51 RVG in hohem Maße fraglich.
Darüber hinaus hat sich der Gesetzgeber mit den zeitlichen Grenzen (fünf bzw. acht Stunden) an
der bisherigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte im Rahmen der Gewährung von
Pauschgebühren orientiert (aaO). Denn bislang war die Dauer der Hauptverhandlung in der
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu § 99 BRAGO ein wesentlicher Umstand für die
Gewährung einer Pauschgebühr. Soweit ersichtlich, wurden in der bisherigen Rechtsprechung
Verspätungen und kürzere Pausen bei der Berechnung der Dauer einer Hauptverhandlung nicht
berücksichtigt (vgl. OLG Karlsruhe, ZfSch 1993, 387; Hanseatisches OLG Hamburg, StV 1991,
120 f.; Thüringer OLG, StV 2000, 132 f.).
Derartige Wartezeiten eines/r Rechtsanwalts/anwältin werden auch nicht durch die neu
geschaffene Verfahrensgebühr abgegolten, und zwar selbst dann nicht, wenn man unterstellt,
dass der/die Rechtsanwalt/anwältin während solcher Pausen mit anderen Beteiligten das
150
Verfahren fördernde Gespräche führt. Zwar werden von der Verfahrensgebühr tatsächlich
Besprechungen mit Verfahrensbeteiligten, (außergerichtliche) Termine und auch die (allgemeine)
Vorbereitung der Hauptverhandlung (und vieles mehr) erfasst, aber gerade nicht die Teilnahme an
gerichtlichen Terminen.
Weiter spricht für die Auffassung des Senats die Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 2 in Teil 4 VV. Auch
wenn es dort nicht um die Höhe einer Gebühr, sondern um die Frage, ob eine Gebühr überhaupt
ausgelöst wird, geht, kann der darin enthaltene Rechtsgedanke, die Teilnahme an einem Termin,
der tatsächlich überhaupt nicht stattgefunden hat, soll dennoch honoriert werden, durchaus
herangezogen werden (so auch Burhoff aaO).
Hieraus ergibt sich, dass auch kürzere Verhandlungspausen bei der Berechnung der Dauer der
Hauptverhandlung nicht in Abzug zu bringen sind.
Anders mag es sich bei extrem langen Verhandlungspausen verhalten, wenn beispielsweise eine
Hauptverhandlung, die um 9.00 Uhr begonnen hat, um 10.00 Uhr unterbrochen und dann erst um
15.00 Uhr fortgesetzt wird. Ab welcher Länge eine Unterbrechung zu berücksichtigen ist, hängt
von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei wird maßgebend sein, inwieweit der/die
Rechtsanwalt/wältin die Pause im Hinblick auf seine/ihre berufliche Tätigkeit hat sinnvoll nützen
können. Folglich werden zahlreiche Umstände von Bedeutung sein, wie beispielsweise neben der
Länge der Pause auch die Entfernung der Kanzlei zum Gerichtsort, die tatsächliche (der/die
Rechtsanwalt/anwältin muss wählen können, ob er/sie öffentliche Verkehrsmittel oder ein
Kraftfahrzeug benutzt) Fahrtzeit, die zurückzulegen ist, und ähnliches. Bei Mittagspausen muss
ein ausreichender Zeitraum zur Verköstigung zugebilligt werden, der wiederum von der Dauer der
Pause abzuziehen ist.
2. Im angefochtenen Beschluss hat das Landgericht dem Beschwerdeführer eine Mittagspause
von "einer halben bis etwa einer Stunde" zugebilligt. Dies erscheint recht knapp bemessen. Doch
selbst wenn hiervon ausgegangen wird, ist die Zusatzgebühr nach § 4116 VV entstanden, denn
bei deren Feststellung ist - wie dargelegt - in der Regel bezüglich des Beginns der
Hauptverhandlung die Ladung und nicht der tatsächliche Beginn maßgebend. Vorliegend war der
Rechtsanwalt auf 9.00 Uhr geladen. Die Hauptverhandlung wurde um 12.17 Uhr unterbrochen
und sollte um 15.00 Uhr fortgesetzt werden. Am Nachmittag war Verhandlungsende um 15.45
Uhr. Daraus ergibt sich eine "reine" Teilnahme an der Hauptverhandlung von vier Stunden zwei
Minuten. Räumt man dem Rechtsanwalt auch nur eine Stunde Mittagspause ein, so ist bereits
dann die in Nr. 4116 VV enthaltene Grenze von fünf Stunden überschritten.
Mithin ist dem Rechtsanwalt vorliegend die Zusatzgebühr Nr. 4116 VV zuzubilligen.
Nr. 4200 ff. VV RVG
Pflichtverteidigergebühren im Überprüfungsverfahren
nach § 67 e StGB
Leitsatz des Verfassers:
Die gesetzliche Vergütung des RA, der dem Untergebrachten
im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB beigeordnet worden
ist, richtet sich nach Teil 4 Abschn.2 VV RVG. Es handelt sich
grds. nicht um eine Einzeltätigkeit i.S.v.Teil 4 Abschn.3 VV RVG.
KG, Beschl. v. 31. 1. 2005 – 5 Ws 4/05
I. Sachverhalt
Der RA wurde einem Untergebrachten in einem Anhörungstermin
am 27.8.2004 im alljährlichen Überprüfungsverfahren nach §
67e StGB in entsprechender Anwendung des § 140 Abs.2 StPO als
Pflichtverteidiger beigeordnet. Der RA berechnete seine gesetzliche
Vergütung wie folgt:
1. Verfahrensgebühr mit Zuschlag,
Nr.4200 Nr.1 b),Nr. 4201 VV RVG 300 €
2. Terminsgebühr mit Zuschlag,
Nr. 4202, 4203 VV RVG 145 €
3. Postentgeltpauschale,Nr. 7002 VV RVG + 20 €
___________
Summe: 465 € ___________ ___________
zzgl. USt
Vom Urkundsbeamten der Geschäftstelle des LG wurde lediglich
151
die Vergütung auf der Grundlage einer Verfahrensgebühr nach Nr.
4301 VV RVG festgesetzt. Auf die Erinnerung des RA hat das LG die
Pflichtverteidigervergütung antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen
gerichtete Beschwerde des Bezirksrevisors hatte keinen Erfolg.
II. Grds. keine Einzeltätigkeit
In Übereinstimmung mit dem OLG Schleswig (vgl. RVGreport
2005, 70 [BURHOFF]) ist das KG der Auffassung, dass sich die Vergütung
des Pflichtverteidigers im Verfahren nach § 67e StGB nach
den Gebührentatbeständen des Abschn. 2 von Teil 4 des VV RVG
bemisst. Die Tätigkeit des RA erfüllt alle Voraussetzungen der Nr.
4200 – 4203 VV RVG.
• Es unterliegt keinem Zweifel, dass der RA als Verteidiger tätig
geworden ist. Denn die Strafvollstreckungskammer hat
ihn entsprechend § 140 Abs.2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Eine Beschränkung der Bestellung auf eine Einzelaufgabe
hat das Gericht weder erklärt, noch gewollt. Denn es
hat mit der Bestellung nach § 140 Abs. 2 StPO eine prozessuale
Pflicht erfüllt, die eine inhaltliche Einschränkung nicht zulässt.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers war auch erforderlich
(vgl.,dazu KG StraFo 2002,244;EGMR StV 1993,88 und
OLG Karlsruhe Justiz 1997, 343).
• Der Verteidiger ist auch in einem Verfahren der Strafvollstreckung
tätig geworden. Denn die Vollstreckung einer
Unterbringung zählt nach der Systematik des RVG zu den
Strafvollstreckungssachen, was bereits aus der Fassung der
Nr. 4200 Nr. 1 b) erhellt.
• Die im Anhörungstermin vorgenommene neuerliche Pflichtverteidigerbestellung
des seit 2001 für den Untergebrachten
tätigen RA war nach der st. Rspr. des Senats zum Umfang
der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungs-,
namentlich im Unterbringungsverfahren nur für das (inzwischen
rechtskräftig abgeschlossene) jährlich Überprüfungsverfahren
nach § 67e Abs. 2, 2. Alt. StGB erforderlich, weil es
kein fortdauerndes gerichtliches Vollstreckungsverfahren
gibt, sondern durch Anträge der Vollstreckungsbehörde oder
des Verurteilten eingeleitete oder von Amts wegen beginnende
einzelne Verfahren, die mit- der gerichtlichen Entscheidung
ihr Ende finden (vgl. u.a. OLG Schleswig SchlHA
1989, 105 und a.a.O.; KG JurBüro 2002, 63 = StV 2004, 39).
• Aus der zeitlichen Beschränkung des Überprüfungsverfahrens
nach § 67e StGB lässt sich nicht herleiten, dass dem RA
lediglich eine Vergütung für Einzeltätigkeiten zusteht. Die in
Teil 4 Abschn.3 VV RVG genannten Gebühren treffen nämlich
nicht auf den hier zu entscheidenden Fall zu. Aus der dem
Vergütungsverzeichnis zugrunde liegenden Systematik mit
seiner ausdrücklichen Regelung der Verteidigervergütung
im Vollstreckungsverfahren in Teil 4 Abschn. 2 VV RVG ergibt
sich, dass ein Rückgriff auf Abschn.3 grds. ausgeschlossen ist,
obwohl diese Gebühren den §§ 91, 92 BRAGO, die früher auf
vergleichbare Fälle angewendet worden sind, entsprechen.
Denn das neue Gebührenrecht enthält für die Vollsteckung
eine ausdrückliche Abkehr vom alten Konzept, und die Gebührentatbestände
in Abschn. 3 gelten ausschließlich für
zwei Tätigkeitsgruppen, nämlich gemäß (amtlicher) Vorbem.
4.3 Abs. 1 VVV RVG für Tätigkeiten des RA, der zwar zum Verteidiger
bestellt worden ist, aber eine Tätigkeit – zusätzlich –
erbringt, die durch die Verteidigergebühr nicht abgegolten
ist (vgl. OLG Schleswig, a.a.O.). Beide Fallgruppen sind vorliegend
ersichtlich nicht gegeben. Denn zum einen ist RA dem
Untergebrachten als Pflichtverteidiger bestellt worden; zum
anderen hat er keine zusätzliche Tätigkeit erbracht. Es soll
auch neben der Vergütung aus dem Abschn. 2 gerade keine
zusätzliche Vergütung geltend gemacht werden.
III. Erfolgsaussicht des Überprüfungsverfahrens ohne
Belang
Die Erfolgsaussichten des Überprüfungsverfahrens sind für die
Auswahl der Gebühren des Verteidigers ohne Belang. Diese vom
Bezirksrevisor gemachte Unterscheidung zwischen einem Verfahren
152
über die Erledigung oder Aussetzung der Maßregel, das
zur Anwendung der Nr. 4200 – 4207 VV RVG führen soll, einerseits
und einem solchen lediglich über die Fortdauer der Maßregel, das
eine Vergütung nur nach Nr. 4301 VV RVG auslösen soll, andererseits
ist zur Beurteilung des Vergütungsanspruchs untauglich. Eine
solche Aufgliederung ist gesetzlich nicht vorgesehen und verkennt
den Gegenstand des gerichtlichen Tätigwerdens. Bei der
Überprüfung nach § 67e Abs. 2 StGB i.V.m. §§ 463, 454 StPO handelt
es sich vielmehr um ein einheitliches Verfahren. Die Erledigung
oder Aussetzung ist das Spiegelbild der Fortdauer. Die Strafvollstreckungskammer hat in jedem dieser Verfahren zu prüfen,
ob die Maßregel entweder fortzudauern hat oder sie auszusetzen
oder für erledigt zu erklären ist. Damit steht gleichzeitig auch fest,
dass die Vergütung nicht entsprechend Nr. 4204 ff. VV RVG bemessen
werden darf.
IV. Eigene Stellungnahme
Der Entscheidung des KG ist in jeder Hinsicht zuzustimmen. Die
Tätigkeit des RA im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB ist
keine Einzeltätigkeit (so auch schon OLG Schleswig (RVGreport
2005,70 [Burhoff ]).Das KG setzt zudem mit deutlichen Worten das
Anliegen des Gesetzgebers, durch die Neuregelungen des RVG
die Verteidigung gerade auch im Strafvollstreckungsverfahren zu
stärken, durch. Dieses Anliegen scheinen die Bezirksrevisoren
noch nicht immer voll verinnerlicht zu haben, wie insbes. auch
hier das Vorbringen der Beschwerde zeigt. Geradezu abenteuerlich
erscheint in dem Zusammenhang die Argumentation des Bezirksrevisors,
die dem Verteidiger zustehenden Gebühren von der
Erfolgsaussicht des Überprüfungsverfahrens abhängig machen
zu wollen. Zu Recht weist das KG darauf hin, dass das Festsetzungsverfahren,
das beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
angesiedelt ist, nun wahrlich nicht der Ort ist, an dem inhaltlich
über die Aussichten des Untergebrachten, der Freiheit teilhaftig
werden zu können, auch nur im Geringsten befunden werden
könnte. Ob die ärztlichen Berichte, die sich für eine Fortdauer aussprechen,
überzeugen oder einer kritischen Nachprüfung bedürfen
und ob sie für die rechtliche Betrachtung ausreichen, erfordert
juristischen Sachverstand. Denn auch die Fortdauer der Unterbringung
eines zweifelsfrei Kranken kann unverhältnismäßig
werden oder an andere rechtliche Grenzen, stoßen. Diese Fragen
zu beurteilen, steht dem Urkundsbeamten nun wirklich nicht zu.
D. Burhoff
OLG Frankfurt 3. Strafsenat Beschluss vom 27. Oktober 2004 3 Ws 1094/04
BRAGO § 87, BRAGO § 97, RVG § 19, RVG § 61, StPO § 140, StPO §§ 140ff
Leitsatz
1. Dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise dann
zu entsprechen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die
Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für
die Staatskasse verursacht werden.
2. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der bisherige Pflichtverteidiger nur im ersten Rechtszug
einschließlich der Einlegung der Revision tätig war, sein Gebührenanspruch sich nach der
BRAGO bemisst und die Gebühren für die Tätigkeit des neuen Pflichtverteidigers im
Revisionsverfahren nach dem RVG zu beurteilen sind.
153
3. Die Grundgebühr gem. Nr. 4100 RVG für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall
entsteht nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt die erstmalige
Einarbeitung erfolgt, in der Rechtsmittelinstanz also grundsätzlich nur, wenn der Verteidiger
nicht bereits in der Vorinstanz tätig war.
4. Dies gilt indes nicht, wenn sich der Gebührenanspruch des Verteidigers nach der
Übergangsvorschrift des § 61 RVG für die Vorinstanz nach der BRAGO und für die
Revisionsinstanz nach dem RVG richtet. Diese Besserstellung der in der Übergangszeit
tätigen Rechtsanwälte ist hinzunehmen, da ansonsten eine undurchschaubare Gemengelage
zwischen BRAGO und RVG entstünde.
NStZ-RR 2005, 31-32 (Leitsatz und Gründe) NJW 2005, 377-379 (Leitsatz und
Gründe) RVG-Letter 2005, 7 (Leitsatz) RVGreport 2005, 28 (Leitsatz)
Nr. 5000 ff VV RVG
LG Stralsund Strafkammer Beschluß vom 28. April 2005 22 Qs 118/05 OWi
Wahlverteidigerkosten im Bußgeldverfahren: Zusätzliche Gebühr wegen Mitwirkung
an der Verfahrenseinstellung
Orientierungssatz
Hat die Staatsanwaltschaft gegen eine amtsgerichtliche Bußgeldentscheidung
Rechtsbeschwerde eingelegt und regt der Verteidiger des Betroffenen in einem an das
Amtsgericht gerichteten Schriftsatz die Rücknahme des Rechtsmittels seitens der
Staatsanwaltschaft an und macht er dazu Ausführungen, die zur Förderung einer
Verfahrenseinstellung geeignet erscheinen, woraufhin die Staatsanwaltschaft die
Rechtsbeschwerde zurücknimmt, erhält er eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG.
AGS 2005, 442 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 272-273 (red. Leitsatz) RVGB 2005, 102 (red. Leitsatz)
LG Weiden Kammer für Bußgeldsachen Beschluß vom 1. August 2005 OWi 1 Qs 60/05
Gebühr des Rechtsanwalts: Ansatz der Grund-, der Verfahrens- und der
Terminsgebühr in einem Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
Orientierungssatz
1. In einem Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit und einer Geldbuße
von 15 EUR ist die Grundgebühr der Nr. 5100 VV-RVG wegen der geringen Bedeutung
(insoweit deutlich unter der Mittelgebühr) mit 40 EUR anzusetzen.
154
2. Bei der Verfahrens- und der Terminsgebühr nach Nr. 5101 und 5102 VV-RVG für
Verfahren, die eine Geldbuße von weniger als 40 EUR betreffen, ist auch im vorgenannten
Fall grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr von 55 EUR gerechtfertigt.
Nr. 7000 VV RVG
OLG Celle Vergabesenat Beschluß vom 20. Januar 2005 13 Verg 14/04
Vergabenachprüfungsverfahren: Erstattungsfähigkeit der Flugreisekosten des
Prozessbevollmächtigten einer Beigeladenen
Orientierungssatz
1. Zu den notwendigen Auslagen einer Beigeladenen im Vergabenachprüfungsverfahren
können die Flugreisekosten ihres Prozessbevollmächtigten gehören.
2. Ist eine Bahnreise zur Terminsstunde angesichts des damit verbundenen zeitlichen
Aufwands kein zumutbarer Reiseweg, darf der Prozessbevollmächtigte Flugverbindungen zur
Terminswahrnehmung und zwar sowohl für die Hinfahrt als auch für die Rückfahrt nutzen.
AGS 2005, 174 (red. Leitsatz und Gründe) IBR 2005, 172 (red. Leitsatz) ZfBR 2005, 317
(Leitsatz)
OLG Oldenburg (Oldenburg) 1. Strafsenat Beschluss vom 22. Juli 2004 1 Ws 314/04
BRAGebO § 100 Abs 1, RVG § 52 Abs 1, StPO § 464a Abs 2 Nr 2
Pflichtverteidigerauslagen: Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des auswärtigen
Anwalts
Leitsatz
Macht ein nicht am Gerichtsort ansässiger Pflichtverteidiger nach § 100 BRAGO (§ 52 RVG)
Wahlverteidigergebühren geltend, so sind bereits erstattete Reisekosten jedenfalls dann nicht
mindernd auf die Gebühren anzurechnen, wenn die Beauftragung des auswärtigen
Verteidigers notwendig war. Davon ist bei wiederholter Verteidigung gegen den Vorwurf
schwerwiegender Sexualstraftaten auszugehen.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen wird der Beschluss der Rechtspflegerin
des Landgerichts Oldenburg vom 25. Februar 2004 geändert.
155
Die aufgrund des Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 21. Juli 2003 von der Staatskasse
dem Freigesprochenen zu erstattenden Kosten werden auf 3.062,40 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 8. August 2003
festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen
Auslagen des Freigesprochenen fallen der Staatskasse zur Last.
Der Beschwerdewert beträgt 1.154,01 EUR.
Gründe
Der frühere Angeklagte ist nach einer mehrtägigen Hauptverhandlung mit Urteil des
Landgerichts Oldenburg vom 21. Juli 2003 vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines
Kindes in 4 Fällen freigesprochen worden. Seine notwendigen Auslagen sind der Staatskasse
auferlegt worden.
Dem Angeklagten war Rechtsanwalt ... aus ... als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.
Diesem sind zur Erstattung seiner Auslagen (Reisekosten einschließlich Tage- und
Abwesenheitsgelder) insgesamt 1.154,01 EUR von der Landeskasse erstattet worden. Der
Verteidiger hat ferner namens des Freigesprochenen beantragt, seine Gebühren als
Wahlverteidigergebühren in Höhe von 3.062,40 EUR festzusetzen und zu erstatten. Dem ist
das Landgericht nachgekommen, wobei es allerdings die dem Rechtsanwalt als
Pflichtverteidiger bereits gezahlten Auslagen von der Gebührensumme abgezogen hat. Diesen
Abzug hat das Landgericht damit begründet, dass die Geschäftsreisekosten im Rahmen der
Wahlverteidigung nicht erstattungsfähig seien, weil der Angeklagte einen am Gerichtsort
ansässigen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung hätte beauftragen können. Durch die
Inanspruchnahme eines auswärtigen Anwalts entstandene Mehrkosten seien nicht notwendig
im Sinne von § 464a StPO i. V. m. § 91 Abs. 2 ZPO.
Gegen diese Teilabweisung seines Kostenfestsetzungsantrages wendet sich der
Freigesprochene mit der sofortigen Beschwerde.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Es ist auch begründet und führt zu der aus dem Beschlusstenor
ersichtlichen Neufestsetzung der dem Freigesprochenen zu erstattenden Kosten.
Die Geltendmachung der Gebühren eines Wahlverteidigers durch den Pflichtverteidiger
beruht auf § 100 BRAGO (nunmehr weitgehend inhaltsgleich: § 52 RVG). Nach dieser
Vorschrift kann der Pflichtverteidiger vom Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines
gewählten Verteidigers verlangen, soweit dem Verteidiger aus der Staatskasse keine
Pflichtverteidigergebühren gezahlt wurden und dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch
gegen die Staatskasse zusteht.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dem Verteidiger sind aus der Staatskasse
keine Pflichtverteidigergebühren gezahlt worden. Dem freigesprochenen Angeklagten steht
aufgrund der Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. Juli 2003
ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zu.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts können bei der Festsetzung der Gebühren nach § 100
BRAGO die dem Verteidiger als Pflichtverteidiger erstatteten Auslagen nicht in Abzug
gebracht werden.
156
Es ist zu erwägen, ob es für einen derartigen Abzug bereits an einer Rechtsgrundlage fehlt.
Dafür spricht, dass nach dem Wortlaut von § 100 Abs. 1 BRAGO (§ 52 Abs. 1 RVG) nur
gezahlte Gebühren, nicht aber Auslagen anzurechnen sind, vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro
1986, 574. Es muss auch nicht entschieden werden, ob sich eine Anrechnung der Auslagen
gleichwohl generell damit begründen lässt, dass für Reisekosten eines gewählten auswärtigen
Verteidigers einem Angeklagten grundsätzlich kein Erstattungsanspruch gegen die
Staatskasse zusteht. Dagegen dürfte sprechen, dass das Kosten- und Gebührenrecht zwischen
Auslagen und Gebühren klar unterscheidet. Über Auslagen enthält § 100 BRAGO (§ 52
RVG) keinerlei Regelung. Diese ist auch nicht erforderlich, weil der Verteidiger seine
Auslagen als Pflichtverteidiger ersetzt erhält, womit es nach der gesetzlichen Regelung
insoweit ersichtlich sein Bewenden haben soll, vgl. Hartmann, Kostengesetze, 33./34. Aufl., §
100 BRAGO/52 RVG Rdn. 14 m.w.Nachw.
Diese Fragen können hier aber offen bleiben. Denn im vorliegenden Fall sind die
Wahlverteidigergebühren schon deshalb nicht um die gezahlten Auslagen zu kürzen, weil sich
die Kosten der Inanspruchnahme des nicht am Gerichtsort ansässigen Verteidigers als
notwendige Kosten im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 2 ZPO
darstellen. Denn für die Beauftragung von Rechtsanwalt ... sprachen - aus der Sicht des
früheren Angeklagten und auch objektiv - so gewichtige Gründe, dass sie in den Rahmen des
für seine Verteidigung Notwendigen fällt.
Entscheidend ist insoweit, dass Rechtsanwalt ... den Freigesprochenen schon früher in
anderen Fällen vertreten hat, in denen dem Freigesprochenen ebenfalls Sexualstraftaten zur
Last gelegt worden waren. Ein Angeklagter, dem ein schwerwiegendes Sexualdelikt
vorgeworfen wird, muss sich gegenüber seinem Verteidiger in der Regel zu außerordentlich
sensiblen Fragen äußern und seinen Intimbereich offenbaren. Das erfordert ein ganz
besonders enges Vertrauensverhältnis. Der Verteidiger wiederum muss sich in die Psyche des
Angeklagten einfühlen. Ein Verteidiger, der wie hier Rechtsanwalt ... den Angeklagten wegen
eines solchen Vorwurfs früher schon verteidigt hat, ist deshalb zur Durchführung der
Verteidigung in weiteren gleichgelagerten Verfahren in einem solchen Maße besonders
geeignet, dass seine Beauftragung als notwendig im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO
anerkannt werden muss, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 464a, Rdn. 12.
Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.
NdsRpfl 2004, 251 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2004, 547 (Leitsatz und Gründe) RVGB 2005, 3-4 (Leitsatz und Gründe) NStZ-RR 2004, 384 (Leitsatz)
Verfahrensgang

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) 25. Februar 2004 6 KLs 13/03 Beschluss
Diese Entscheidung wird zitiert von

Anmerkung Breyer, Steffen RVG-B 2005, 4
BGH 8. Zivilsenat Beschluss vom 13. Juli 2004 VIII ZB 14/04
BRAGebO § 26 S 2, RVG § 17 Nr 2
157
Rechtsanwaltsgebühren: Erstattungsfähigkeit der Auslagenpauschale im
Mahnverfahren und im Streitverfahren
Orientierungssatz
Die Auslagenpauschale nach § 26 Satz 2 BRAGO ist sowohl für das Mahnverfahren wie auch
für das anschließende Streitverfahren gesondert erstattungsfähig.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Dezember 2003 dahin abgeändert, dass von der
Beklagten über den dort genannten Betrag hinaus weitere 20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. April 2003 an die Klägerin zu erstatten
sind.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren hat die Beklagte zu tragen.
Beschwerdewert: 20 EUR.
Gründe
I.
Die in M. ansässige Klägerin hat durch ihre dortigen Prozessbevollmächtigten gegen die
Beklagte einen Mahnbescheid erwirkt. Nach Einlegung eines Widerspruchs durch die
Beklagte haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus M. das Verfahren vor dem
Amtsgericht F. weiterbetrieben. Die Termine vor diesem Gericht hat ein
Unterbevollmächtigter aus F. für die Rechtsanwälte aus M. wahrgenommen. Das Amtsgericht
hat der Beklagten im Endurteil die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat das Amtsgericht lediglich die Kosten angesetzt, die bei
Beauftragung eines Rechtsanwalts am Sitz des Prozessgerichts in F. samt der Kosten eines
Verkehrsanwalts in M. angefallen wären. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das
Landgericht der Beklagten auch die beantragten Kosten für die Beauftragung eines
Unterbevollmächtigten zugesprochen. Es hat jedoch die sofortige Beschwerde
zurückgewiesen, soweit das Amtsgericht entgegen dem Antrag der Klägerin die
Auslagenpauschale nach § 26 Satz 2 BRAGO lediglich einmal - für das Mahn- und das
Streitverfahren insgesamt - festgesetzt hat.
Mit der vom Landgericht insoweit zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Klägerin die
Auslagenpauschale insgesamt doppelt (je einmal für das Mahn- und das Streitverfahren).
II.
Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist in
der Sache erfolgreich.
Die Auslagenpauschale nach § 26 Satz 2 BRAGO ist sowohl für das Mahnverfahren wie auch
für das sich anschließende Streitverfahren gesondert erstattungsfähig (vgl. OLG Düsseldorf,
Rpfleger 2000, 566 f.; Gerold/Schmidt/von Eicken, BRAGO, 15. Aufl., 2002, § 43 Rdnr. 10,
158
§ 26 Rdnr. 5; a.A. KG, Rpfleger 2000, 238 ff.). Für diese Auffassung spricht vor allem, dass §
43 Abs. 2 BRAGO anderenfalls nicht gesondert eine (partielle) Anrechnung vorschreiben
müßte. Im übrigen hat der Gesetzgeber diese Frage nunmehr ausdrücklich im Sinne der
Beschwerdeführerin geregelt. In § 17 Nr. 2 des am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) werden ausdrücklich das Mahnverfahren und das
streitige Verfahren als verschiedene Angelegenheiten bezeichnet. In der Begründung der
Bundesregierung zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BR-Drucks. 830/03) ist zu § 17
des Entwurfs zum RVG unter anderem ausgeführt, dass nunmehr ausdrücklich bestimmt
werden solle, dass beide Verfahren verschiedene Angelegenheiten darstellten; dies ergebe
sich nach dem geltenden Recht lediglich aus der Anrechnungsbestimmung in § 43 Abs. 2
BRAGO (aaO S. 236).
AGS 2004, 343 (red. Leitsatz und Gründe) FamRZ 2004, 1720-1721 (red. Leitsatz und
Gründe) NJW-RR 2004, 1656 (red. Leitsatz und Gründe) JurBüro 2004, 649 (red. Leitsatz
und Gründe) RVG-Letter 2004, 104 (red. Leitsatz) RVGreport 2004, 347-348 (red.
Leitsatz)
Verfahrensgang


vorgehend LG Frankfurt 9. Zivilkammer Beschluss vom 19. Dezember 2003 2-09 T
554/03, 2/9 T 554/03
Gebühr des Rechtsanwalts: Anfall der Auslagenpauschale im Mahnverfahren und
nachfolgendem Streitverfahren
vorgehend AG Frankfurt 30. Mai 2003 31 C 331/02 - 10
Diese Entscheidung wird zitiert von
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Anmerkung Schneider, Norbert AGS 2004, 343-344
Anmerkung Enders, Horst-Reiner JurBüro 2004, 650
§ 14 RVG
BVerwG 6. Senat Urteil vom 17. August 2005 6 C 7/04
Rechtsanwaltsgebühren; Bestimmung der angemessenen Gebühr
Soweit keine besonderen Umstände vorliegen, entspricht allein die Bestimmung des
Mittelwerts der gesetzlichen Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt billigem Ermessen. Für
die Berücksichtigung einer darüber hinausgehenden Toleranzgrenze bleibt in einem solchen
Fall kein Raum (wie Beschluss vom 18. September 2001 - BVerwG 1 WB 28/01 - Buchholz
311 § 20 WBO Nr 2 = NVwZ-RR 2002, 73).
1. Mit dem in BRAGO (BRAGebO) § 12 Abs 2 S 1 (RVG § 14 Abs 2 S 1) verwendeten
Begriff des Rechtsstreits ist der Gebührenprozess zwischen dem Rechtsanwalt und seinem
Auftraggeber gemeint, die Vorschrift betrifft nicht den Fall eines Rechtsstreits zwischen dem
Auftraggeber des Rechtsanwalts und einem Dritten, der zur Erstattung von Verfahrenskosten
verpflichtet ist.
159
2. Zur Frage der überdurchschnittlich schwierigen Sache im Sinne von BRAGO (BRAGebO)
§ 1 Abs 1 S 1 (RVG § 14 Abs 1 S 1).
SG Hildesheim 12. Kammer Beschluß vom 15. November 2005 S 12 SF 49/05
Rechtsanwaltsgebühren im einstweiligen Rechtschutzverfahren
Sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im einstweiligen Rechtschutzverfahren ist eine
individuelle Einzelfallbetrachtung der gebührenrechtlichen Bestimmungsmerkmale der §§ 3,
14 RVG vorzunehmen. Während dies im Hauptsacheverfahren in der ganz überwiegenden
Zahl der Fälle zu der Festsetzung der Mittelgebühr führt, so fallen im einstweiligen
Rechtschutzverfahren oftmals niedrigere Gebühren als im Hauptsacheverfahren an. Ein
Gebührenansatz oberhalb der Drittelgebühr ist in der Regel unbillig.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im
Kostenfestsetzungsverfahren.
1. Im zugrundeliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren wandte sich die Antragstellerin
gegen die ratenweise Einbehaltung von Rückforderungsansprüchen im Rahmen von
Arbeitslosengeld II Leistungen.
Am 9. September 2005 stellte die Antragstellerin vor dem erkennenden Gericht einen Antrag
auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie begehrte die Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches gegen einen Bescheid des Antragsgegners, mit
welchem dieser die Einbehaltung von Sozialleistungen vornahm. Der Antragsgegner gab am
10. Oktober 2005 ein Sachanerkenntnis und ein Kostenanerkenntnis ab. Das Anerkenntnis
wurde von der Antragstellerin angenommen.
2. Mit Kostenrechnung vom 24. Oktober 2005 machte der Prozessbevollmächtigte der
Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die folgenden Gebühren geltend:
Verfahrensgebühr für Verfahren vor Sozialgericht § 14, Nr. 3102 VV RVG 250,00 EUR
Terminsgebühr im Verfahren vor Sozialgericht § 14, Nr. 3106 VV RVG
EUR
Zwischensumme netto
16 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG
zu zahlender Betrag
200,00
470,00 EUR
75,20 EUR
545,20EUR
Bei der Verfahrens- und Terminsgebühr brachte er die jeweilige Mittelgebühr in Ansatz. Der
Antragsgegner übermittelte die Kostenrechnung am 1. November 2005 zur förmlichen
Kostenfestsetzung an das Gericht.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle brachte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8.
November 2005 die folgenden Gebühren in Ansatz:
160
Verfahrensgebühr §§ 3, 14 RVG Nr. 3102
Terminsgebühr §§ 3, 14 RVG Nr. 3106 VV
Pauschale für Kommunikationsdienstleistungen
16 v.H. MwSt Nr. 7008 VV
Summe
170,00 EUR
135,00 EUR
20,00 EUR
52,00EUR
377,00 EUR
Die Verfahrens- und die Terminsgebühr setzte er in Höhe der Drittelgebühr fest. Die
anwaltliche Gebührenbestimmung in der geltend gemachten Kostenrechnung sei unbillig, da
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ähnlich wie bei einer Untätigkeitsklage
deutlich unterdurchschnittlich seien. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der
Angelegenheit rechtfertige sich insgesamt eine Festsetzung in Höhe der Drittelgebühr.
Gegen den am 9. November 2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss richtet sich die
am 11. November 2005 beim Sozialgericht Hildesheim eingegangene Erinnerung, mit
welcher der Bevollmächtigte eine Kostenfestsetzung in Höhe der Mittelgebühr verlangt. Zur
Begründung vertritt er die Ansicht, dass Eilverfahren nach § 86 Abs. b SGG regelmäßig
deutlich aufwendiger als Hauptsacheverfahren seien. In jedem Fall sei eine mehr oder weniger
umfangreiche materiell rechtliche Begründung erforderlich. Zudem weist er darauf hin, dass
die Betragsrahmengebühren in sozialrechtlichen Angelegenheiten ohnehin sehr niedrig seien.
Eine individuelle Aufwandsprüfung im Einzelfall sei nicht durchzuführen, da der Zweck der
Mittelgebühr gerade darin liege, Streitigkeiten über die Kostenhöhe zu vermeiden.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist zulässig aber unbegründet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht eine Festsetzung in Höhe der
Drittelgebühr vorgenommen. Ein darüber hinausgehender Gebührenansatz ist nicht
verbindlich, da er unbillig ist.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der
Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Wenn die Gebühr von
einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt betroffene Bestimmung nach §
14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dies ist vorliegend der Fall, da
die Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angelegenheit als durchschnittlich nicht zu
rechtfertigen vermögen. Sowohl im Hauptsacheverfahren als auch im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren ist eine individuelle Einzelfallbetrachtung der gebührenrechtlichen
Bestimmungsmerkmale vorzunehmen. Während dies im Hauptsacheverfahren in der ganz
überwiegender Zahl der Fälle zu der Festsetzung der Mittelgebühr führt, so fallen im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren oftmals niedrigere Gebühren als im
Hauptsacheverfahren an. Diese Regelvermutung findet auch im vorliegenden Falle
Anwendung.
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren oftmals
deutlich unterdurchschnittlich. Denn umfangreiche Repliken und Erwiderungen sind hier
zumeist nicht nötig. Vorliegend bestand die gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes in der
Fertigung eines Antragsschriftsatzes, der auf einer Viertelseite begründet wurde. Auch findet
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine summarische Prüfung der Sach- und
161
Rechtslage statt, was eine erheblich geringere Ermittlungstiefe zur Folge hat. Im Vergleich
zum Hauptsacheverfahren ist kein ordnungsgemäßer Beweisantritt unter Benennung der
zulässigen Beweismittel erforderlich; es besteht vielmehr die Beweiserleichterung der
einfachen Glaubhaftmachung durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung. Eine
förmliche Beweisaufnahme findet im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelhaft nicht
statt. Vorliegend hat der Rechtsanwalt jedoch keinerlei Glaubhaftmachung des Sachvortrages
geleistet. Zudem erfolgte kein Sachvortrag zum Anordnungsgrund. Weiterhin ist zu
berücksichtigen, dass ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren und ein Hauptsacheverfahren
im Regelfalle parallel geführt werden, sodass ein erheblicher Teil der anwaltlichen Arbeit
auch in jeweils anderen Verfahren nutzbar gemacht werden kann. Hieraus ergeben sich
Synergieeffekte, die den Umfang der Tätigkeit ebenfalls reduzieren. Dies wird vorliegend
anhand der Tatsache deutlich, dass die Antragsbegründung im Wesentlichen aus einem
einfachen Verweis auf das Parallelverfahren bestand. Schließlich ist auch dem zeitlichen
Umfang Rechnung zu tragen, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ebenfalls geringer
ist. Hier lag zwischen Antragstellung und Anerkenntnis ein Monat.
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
zumeist ebenfalls geringer. Dies ist gleichfalls bedingt in der geringeren Ermittlungstiefe
durch die nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage und in der Beweiserleichterung
der einfachen Glaubhaftmachung, welche hier sogar unterblieben ist. Auch haben die
gleichzeitige Führung des Hauptsacheverfahrens und des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens hier zu einer geringeren Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
beigetragen.
Die Bedeutung der Angelegenheit kann sich durchaus als durchschnittlich bis leicht
überdurchschnittlich darstellen. Denn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann sich auch
einer hohen persönlichen Dringlichkeit der Angelegenheit eine gesteigerte Bedeutung
ergeben. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass jedenfalls bei gerichtskostenpflichtigen
Verfahren regelmäßig ein quotenmäßiger Streitwert von 1/3 bis 1/2 festgesetzt wird, wodurch
die Bedeutung im Vergleich zum Hauptsacheverfahren auch durchaus niedriger sein kann.
Vorliegend ist hier um Abzweigungsbeträge gestritten worden, so dass allenfalls von einer
durchschnittlichen Bedeutung ausgegangen werden kann.
Die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse indiziert bei Empfängern
von SGB II Leistungen im Regelfalle eine Einstufung als unterdurchschnittlich.
Bei der Gebührenbemessung haben betriebswirtschaftliche Erwägungen außer Betracht zu
bleiben.
KG Berlin 3. Strafsenat Beschluß vom 9. August 2005 3 Ws 59/05
Leitsatz
1. Als unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG ist in Fortführung der ständigen
Rechtsprechung der Strafsenate des Kammergerichts zu der inhaltsgleichen Regelung in § 12
162
Abs. 1 Satz 2 BRAGO die Gebührenbestimmung zu behandeln, wenn sie um 20% oder mehr
von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG
genannten Bemessungsgrundlagen ergibt.
2. Schwerhörigkeitsbedingte Verständigungsschwierigkeiten mit dem Mandanten können bei
der für die Bestimmung der Verfahrensgebühren vorzunehmenden Bewertung des
Schwierigkeitsgrads der anwaltlichen Tätigkeit erheblich ins Gewicht fallen.
3. Dass die Gebühr für Terminsteilnahme außerhalb der Hauptverhandlung im vorbereitenden
Verfahren und in jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur
einmal entsteht, besagt aus der Sicht des Senats nicht generell, dass in Fällen mit nur einem
einzigen Haftprüfungstermin wegen des Zurückbleibens hinter der Dreimaligkeit nur eine
entsprechend weit unterhalb des Mittelwerts liegende Gebühr gerechtfertigt ist, wenn der eine
Termin nur durchschnittliches Format hatte.
4. Wenn auch beim Wahlverteidiger anders als beim Pflichtverteidiger Längenzuschläge zur
Terminsgebühr für die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht vorgesehen sind, so geben
doch die Zeitstufen, die bezüglich des Pflichtverteidigers festgelegt sind, Hilfestellung für die
Einordnung im Gebührenrahmen nach der Vorstellung des Gesetzgebers.
5. Es erscheint gesetzeskonform, Verhandlungspausen, die für den Verteidiger nicht sinnvoll
anderweitig nutzbar sind, ihm nicht zum gebührenrechtlichen Nachteil gereichen zu lassen.
Gründe
Der Beschwerdeführer hat aufgrund der - schon unter der Geltung des RVG verfügten Beiordnung vom 10. Juli 2004 den früheren Angeklagten verteidigt. Diesem war mit vor dem
Landgericht Berlin erhobener Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin zur Last gelegt worden,
zum einen am 9. Juli 2004 nach dem Einstieg über den Balkon in die Wohnung einer ihm
bekannten Frau diese dort sexuell genötigt und zugleich körperlich mißhandelt zu haben und
zum andern sich schon ein Jahr zuvor im Juli 2003 in ihrer Wohnung der sexuellen Nötigung
zu ihrem Nachteil schuldig gemacht zu haben. Am zweiten Verhandlungstag der am 31.
August und 8. September 2004 durchgeführten Hauptverhandlung hat das Landgericht den
von der Staatsanwaltschaft vor der Anklageerhebung ausgeschiedenen Vorwurf des
Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit dem Geschehen vom 9. Juli 2004 wieder in das
Verfahren einbezogen und allein deswegen den damaligen Angeklagten zu einer Geldstrafe
verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen und entschieden, dass insoweit seine
notwendigen Auslagen der Landeskasse Berlin zur Last fallen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Den Auslagenerstattungsanspruch hat der teilweise Freigesprochene dem Beschwerdeführer
abgetreten.
Durch den angefochtenen Beschluß hat die Rechtspflegerin des Landgerichts - mangels
Vorliegens einer Kostengrundentscheidung nach Bruchteilen (§ 464d StPO) - anhand der
Differenztheorie (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 465, Rdn. 8, 9) über die sich auf den
Teilfreispruch beziehenden Kosten der Verteidigung befunden, die der Beschwerdeführer als
zu erstattende Auslagen festzusetzen beantragt hat. Er wendet sich dagegen, dass sie im
Ansatz der einheitlichen Verteidigergebühr für die Verteidigung insgesamt, von der
ausgehend der auf den Freispruch entfallende, erstattungsfähige Teil der Verteidigungskosten
festgestellt wird, die von ihm zugrunde gelegten Ausgangsgebühren nach dem RVG in
sämtlichen Positionen unterschritten hat. In der Gegenüberstellung bietet sich dazu folgendes
Bild (Beträge in Euro; HG = Höchstgebühr; MG = Mittelgebühr):
163
Gebührenart:
Grundgebühr
(VV Nr. 4100, 4101)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4104, 4105)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4112, 4113)
Haftprüfungsterminsgebühren
(VV Nr. 4102, 4103)
Hauptverhandlungsterminsgebühren
(VV Nr. 4114, 4115)
31. August 2004
8. September 2004
Gesamtsumme
Antrag:
Festgesetzt:
375,00 (HG)
202,50 (MG)
312,50 (HG)
154,17 (MG - 10%)
337,50 (HG)
188,75 (MG)
171,25 (MG)
119,91 (MG - 30%)
470,00 (HG - 20%)
587,50 (HG)
2.253,75
328,75 (MG)
328,75 (MG)
1.322,83
Die Unterschreitung der in dem Festsetzungsantrag zugrunde gelegten Ausgangsgebühren, die
sich insgesamt auf 930,92 Euro beläuft, führte dazu, dass sich bei der Berechnung des auf den
Freispruch entfallenden, erstattungsfähigen Teils einschließlich der Umsatzsteuer eine
Minderung um 971,88 Euro ergab.
Die nach §§ 304 Abs. 3, 311 Abs. 2, 464b Satz 3 StPO, §§ 103 Abs. 2 Satz 1, 104 Abs. 1 Satz
1 und Abs. 3 Satz 1 ZPO, §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RpflG zulässige sofortige Beschwerde des
Rechtsanwalts als nunmehrigen Inhabers des Kostenerstattungsanspruchs des teilweise
Freigesprochenen hat zum Teil Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Hinsichtlich der beiden Verfahrensgebühren (Tätigkeit bis Eingang der Anklageschrift VV
Nr. 4104, 4105; Tätigkeit im ersten Rechtszug vor der Strafkammer VV Nr. 4112, 4113) und
der Terminsgebühr für die Teilnahme an dem Haftprüfungstermin am 30. Juli 2004 (VV Nr.
4102, 4103) greift die Beschwerde voll durch. Insoweit ist die Rechtspflegerin unberechtigt
von dem Gebührenansatz des beschwerdeführenden Rechtsanwalts, der Höchstgebühr bei den
Verfahrensgebühren und der Mittelgebühr bei der Terminsgebühr für die Teilnahme an dem
Haftprüfungstermin, abgewichen. Der Gebührenansatz in dem Festsetzungsantrag ist insoweit
verbindlich.
Bei Rahmengebühren - wie hier gemäß § 14 RVG in Rede stehend - obliegt die Bestimmung
der Gebühren nämlich im Einzelfall dem Rechtsanwalt. Er hat sie unter Berücksichtigung der
in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu treffen. Ist diese
Gebühr von einem Dritten zu erstatten - so wie hier teilweise von der Staatskasse - ist die von
dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung allerdings nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG dann nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist. Das ist - in Fortführung der ständigen Rechtsprechung der
Strafsenate des Kammergerichts zu der inhaltsgleichen Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 2
BRAGO - der Fall, wenn sie um 20% oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter
Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt.
Diese Gestaltung liegt hinsichtlich der Verfahrensgebühren und der Gebühr für den
Haftprüfungstermin nicht vor.
Die in Rede stehenden Gebühren sind in dem Festsetzungsantrag - die Verfahrensgebühren
mit dem Höchstsatz und die Haftprüfungsterminsgebühr mit dem Mittelwert - zwar zu hoch
angesetzt worden. Doch erreicht die Überschreitung noch nicht die Grenze zur Unbilligkeit,
was dem Gebührenansatz die Verbindlichkeit beläßt.
Bei der Feststellung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG ist - ebenso wie früher
im Rahmen des § 12 Abs. 1 BRAGO - eine Abwägung aller Umstände, d. h. der
164
gebührenerhöhenden und -mindernden vorzunehmen. Dabei ist jeweils von der Mittelgebühr
auszugehen.
Was die Verfahrensgebühren angeht, ist hier ein weit die Mittelgebühr überschreitender
Ansatz in einer bei 10 bis 15% unter der Höchstgebühr liegenden Größenordnung
gerechtfertigt. Denn die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ragte durch einen
besonderen Umstand, nämlich die hochgradige Schwerhörigkeit des Freigesprochenen weit
über das Mittelmaß hinaus. Gerade in dem vorbereitenden, auf die Hauptverhandlung
zuführenden Stadium, das die Verfahrensgebühren abdecken, ist die Kommunikation des
Verteidigers mit seinem Mandanten zur Erarbeitung der optimalen Verteidigungsstrategie von
grundlegender Bedeutung. Die Verständigungsprobleme durch hochgradige Schwerhörigkeit
des Mandanten erschweren die Entwicklung des Verteidigungskonzepts, bei der es ganz
wesentlich auf mündlichen Austausch ankommt, in beträchtlichem Maße.
Das tatsächliche Vorliegen der schwerhörigkeitsbedingten Verständigungsschwierigkeiten in
den in Rede stehenden Verfahrensabschnitten ist durch Hinweise im dem Urteil des
Landgerichts vom 8. September 2004 gesichert. Dort heißt es unter den Feststellungen zur
Person (LG UA S. 3): In dem Zeitraum 1996/1997 erlitt der Angeklagte einen Hörsturz. Er ist
seitdem stark schwerhörig; ohne Hörgerät, über das er in den letzten Monaten nicht verfügte,
ist eine Verständigung mit ihm nur unter großen Schwierigkeiten möglich. Ferner verlautet im
Rahmen der Beweiswürdigung (LG UA S. 18): Hierbei kann nicht außer Acht gelassen
werden, dass sich aufgrund der starken Hörbehinderung des Angeklagten, die in der
Hauptverhandlung die Verwendung eines speziellen Hörgerätes für ihn und die Benutzung
eines Mikrofons erforderlich machte, weil eine Verständigung anders mit ihm kaum möglich
gewesen wäre, nicht feststellen lässt, dass er beim Klopfen an der Wohnungstür die Worte der
Polizeibeamten und bei dem ersten Teil seiner Flucht ihre Rufe Halt, stehenbleiben, Polizei,
hörte.
Was die Gebühr für die Teilnahme an dem Haftprüfungstermin angeht, ist, wenn auch die in
dem Festsetzungsantrag angesetzte Mittelgebühr zu hoch gegriffen ist, doch ein Ansatz in der
Größenordnung von 10 bis 15% unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt. Dass die Gebühr
für Terminsteilnahme außerhalb der Hauptverhandlung im vorbereitenden Verfahren und in
jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur einmal entsteht,
besagt aus der Sicht des Senats nicht generell, dass in Fällen mit nur einem einzigen
Haftprüfungstermin, wie dem vorliegenden, wegen des Zurückbleibens hinter der
Dreimaligkeit nur eine entsprechend weit unterhalb des Mittelwerts liegende Gebühr
gerechtfertigt ist, wenn der eine Termin nur durchschnittliches Format hatte (dahin tendierend
aber Schneider in Gebauer/Schneider, RVG 2. Aufl., S. 1438 Rdn. 11). Der Senat sieht das
Gewicht der Bestimmung mehr bei ihrer gesetzgeberisch gewollten Funktion liegen, zu
verhindern, dass Termine nur aus Gebühreninteresse des Rechtsanwalts herbeigeführt werden
(vgl. Burhoff, RVG, C. Kommentar, Nr. 4102 VV Rdn. 43). Bei der Bemessung der Höhe der
Gebühr sind demnach die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die
sich aus der Terminsdauer ergebende zeitliche Beanspruchung, wobei nicht ausgeschlossen
ist, unter Umständen auch bei nur einem Termin von durchschnittlicher Aufwändigkeit die
Mittelgebühr für gerechtfertigt zu erachten (vgl. Burhoff, Nr. 4102 VV Rdn. 49, 51).
Hier ist die Dauer, die in dem Protokoll nicht ausgewiesen ist, als eher unterdurchschnittlich
zu veranschlagen, zumal der Haftprüfungsantrag in dem Termin zurückgenommen worden ist.
Hinsichtlich der Schwerhörigkeit ist anzunehmen, dass ihr mit den technischen Möglichkeiten
im Sitzungssaal zufriedenstellend begegnet werden konnte, zumal es sich ausweislich der
Terminsbestimmung und der Ladungen um den Saal handelte, in dem später auch die
165
Hauptverhandlung durchgeführt wurde. Alles zusammengenommen rechtfertigt einen Ansatz
um 10 bis 15 % unter dem Mittelwert.
Wegen der Überschreitung der angemessenen Gebührenwerte nur in einer Größenordnung
unterhalb der rechnerischen Schwelle zur Unbilligkeit sind die Verfahrensgebühren und die
Haftprüfungsterminsgebühr in voller Höhe wie in dem Antrag angesetzt der Berechnung des
zu erstattenden Gebührenanteils zugrunde zu legen.
2. Hinsichtlich der Terminsgebühr für den zweiten Hauptverhandlungstag am 8. September
2004 greift die Beschwerde nur teilweise durch. Diese Gebühr ist mit der Höchstgebühr, die
mit dem Festsetzungsantrag geltend gemacht ist, in einem die Grenze zur Unbilligkeit
überschreitenden Umfang überhöht, sie ist jedoch nicht so niedrig festzusetzen wie in dem
angefochtenen Beschluß mit der Festlegung auf den Mittelwert geschehen. Sie ist mit einem
Betrag in Höhe der Mittelgebühr zuzüglich 20% angemessen bestimmt.
Die angefochtene Bewertung wird dem Ausmaß der zeitlichen Beanspruchung des
Verteidigers nicht ausreichend gerecht. Angesichts der Terminsdauer von 6 Stunden und 26
Minuten ist sie als überdurchschnittlich und die Überschreitung der Mittelgebühr um den
vorgenannten Aufschlag rechtfertigend anzusehen. Wenn auch beim Wahlverteidiger anders
als beim Pflichtverteidiger Längenzuschläge (VV Nr. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123,
4128, 4129, 4134, 4135) nicht vorgesehen sind, so geben doch die Zeitstufen, die bezüglich
des Pflichtverteidigers festgelegt sind, Hilfestellung für die Einordnung im Gebührenrahmen
nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 59). Hier von
Belang ist VV Nr. 4116, wonach der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt,
wenn er mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor der
Strafkammer teilnimmt, eine Zusatzgebühr erhält. Das spricht dafür, auch beim
Wahlverteidiger in einer 5 Stunden überschreitenden Terminsteilnahme eine
überdurchschnittliche Inanspruchnahme zu erblicken, die sich in der Höhe des
Gebührenansatzes niederschlägt (vgl. Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 61).
Dass die Hauptverhandlung an dem betreffenden Tage von 12 Uhr 54 bis 15 Uhr 44
unterbrochen war, vermag im vorliegenden Falle nichts an der Bewertung zu ändern. Der
Rechtsanwalt war gleichwohl durch die Sache in Anspruch genommen und der Wahrnehmung
seiner übrigen Geschäfte entzogen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es sich um eine schon
vorab zu erwartende und in ihrer Länge von vornherein absehbare Pause gehandelt hat, auf
die sich der Rechtsanwalt im Voraus hätte einstellen und die er für anderweitige berufliche
Aufgaben hätte nutzen können. Der in VV Teil 4 Vorbemerkung 4 Absatz 3 Satz 2 festgelegte
Fall des Anfallens einer Vergütung, ohne daß es zur Entfaltung der eigentlichen Tätigkeit
gekommen ist, nämlich in der Situation, dass der Anwalt zu einem anberaumten Termin
erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, wovon er
auch nicht in Kenntnis gesetzt worden war, spricht dafür, dass es gesetzeskonform ist, auch
Pausen, die nicht sinnvoll anderweitig nutzbar sind, nicht zum gebührenrechtlichen Nachteil
gereichen zu lassen (zur Behandlung von Pausen vgl. auch Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn.
63; Riedel/Sußbauer/Schmahl, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdn. 64).
3. Erfolglos bleibt die Beschwerde, soweit sie sich gegen den Ansatz der Grundgebühr und
den der Terminsgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag am 31. August 2004 richtet.
Der Ansatz des Höchstsatzes für die Grundgebühr durch den Beschwerdeführer ist
unverbindlich, weil die Grenze zur Unbilligkeit deutlich überschreitend. Die erstmalige
Einarbeitung in den Rechtsfall ist hier mit der Mittelgebühr angemessen vergütet. Mochte
166
auch die Bedeutung der Sache für den Beschuldigten von überaus hohem Gewicht sein, ist
doch, wie schon von der Rechtspflegerin des Landgerichts zutreffend herausgestellt,
wesentlich, dass die Sache nach Umfang und rechtlichem Schwierigkeitsgrad nichts
Herausragendes an sich hatte. Der Aktenumfang war gering - bei Einsichtnahme durch den
Verteidiger am 16. Juli 2004 ein Band von 70 Blatt -, das zugrundeliegende Geschehen und
die Beweismittel waren überschaubar und der rechtliche Schwierigkeitsgrad hielt sich in
Grenzen. Dafür ist nicht mehr als die festgesetzte Mittelgebühr angemessen.
Unverbindlich, weil die Grenze zur Unbilligkeit überschreitend, ist auch der Ansatz der
Terminsgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag durch den Beschwerdeführer. Der
Termin hatte nach seiner Dauer von 4 Stunden und 54 Minuten und seinem
Schwierigkeitsgrad nichts an sich, was ihn über das Durchschnittsübliche in einer
erstinstanzlichen Strafkammersache hinaushob. Zutreffend hat die Rechtspflegerin
dementsprechend die Mittelgebühr angesetzt.
4. Aus dem Vorstehenden ergibt sich in der Zusammenschau folgende Festsetzung der Höhe
des Verteidigungsaufwands insgesamt:
Grundgebühr
(VV Nr. 4100, 4101)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4104, 4105)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4112, 4113)
Haftprüfungsterminsgebühren
(VV Nr. 4102, 4103)
Hauptverhandlungsterminsgebühren
(VV Nr. 4114, 4115)
31. August 2004
8. September 2004
Gesamtsumme
202,50
(MG)
312,50
(HG)
337,50
(HG)
171,25
(MG)
328,75
394,50
1.747,00
(MG)
(MG)
Gegenüber der angegriffenen Festsetzung des Gesamtverteidigungsaufwands mit 1.322,83
Euro bedeutet dies eine Besserstellung um 424,17 Euro von den insgesamt mit der
Beschwerde erstrebten 930,92 Euro Heraufsetzung.
5. Der Berechnung des auf den freisprechenden Teil entfallenden Verteidigungsaufwands hat
die Rechtspflegerin des Landgerichts zugrunde gelegt, dass der Teilfreispruch mit einer Quote
von 90% zu bewerten ist. Das führt auf der Grundlage der durch die sofortige Beschwerde
erzielten vorstehenden Festsetzung zu einem sich auf 90% von 1.747,00 Euro belaufenden
Betrag, mithin 1.572,30 Euro. Darauf sind 90% der 1.221,00 Euro Pflichtverteidigergebühren,
also 1.098,90 Euro, anzurechnen, die dem Verteidiger bereits zugeflossen sind. Danach
verbleibt ein offener Betrag von 473,40 Euro zu Gunsten des beschwerdeführenden
Rechtsanwalts. Diese Summe erhöht sich um die darauf entfallende anteilige 16%ige
Umsatzsteuer auf 549,14 Euro als den als erstattungsfähig festzusetzenden Endbetrag.
Die Verzinsung ab dem Tag der Anbringung des Festsetzungsantrags ergibt sich aus § 464b
Satz 3 StPO in Verbindung mit § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der Senat, der, weil im Kostenfestsetzungsverfahren kein Verbot der Schlechterstellung gilt
(vgl. Meyer-Goßner, § 464b StPO Rdn. 8), die von der Rechtspflegerin vorgenommene
Bemessung der auf den Teilfreispruch entfallenden Quote des Verteidigungsaufwands mit
90% auch auf etwaige Überhöhung zu überprüfen hatte, konnte dem Landgericht in dem
Ansatz folgen. Die Kostengrundentscheidung trägt ihn.
167
Das Landgericht hat den Angeklagten erkennbar sowohl von dem Vorwurf der auf 2003
datierten Sexualstraftat als auch von demjenigen betreffend die Sexualstraftat von 2004
freigesprochen. Das umfaßt das weitaus überwiegende Schwergewicht der Vorwürfe und ist
mit 90% angemessen bewertet. Die Quote entspricht der als authentisch einzuschätzenden
Interpretation durch den Strafkammervorsitzenden, der auf Anfrage der Rechtspflegerin des
Landgerichts die Aufteilung im Verhältnis ca. 10:1 als angemessen bezeichnet hat.
Die Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit dem Vorfall von 2004
steht nicht entgegen. Dass das Landgericht insoweit Tatidentität mit eben dem Geschehen
zugrunde gelegt hat, auf das sich der der Vorwurf der Sexualstraftat gründete, und insofern
den Angeklagten nicht freigesprochen, sondern ein und dieselbe Tat nur rechtlich abweichend
abgeurteilt hat, ist nicht anzunehmen. Vielmehr hat es erkennbar einen Teil der ihm durch die
Anklage zur Urteilsfindung unterbreiteten Tat im prozessualen Sinne (vgl. Meyer-Goßner, §
264 StPO Rdn. 1ff.), der als Hausfriedensbruch zu dem Vorwurf des Sexualdelikts als in
Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehend einzustufen ist und insoweit daneben Raum für den
Freispruch von dem Vorwurf des Sexualdelikts ließ, in das Verfahren wieder einbezogen.
Dass die Staatsanwaltschaft von Tateinheit ausgegangen ist, was sich daran ablesen läßt, dass
sie den Hausfriedensbruch in der Anklagebegleitverfügung unter Bezugnahme auf § 154a
Abs. 1 StPO ausgeschieden hat, fällt nicht ins Gewicht. Das Verhältnis der während eines
Hausfriedensbruchs begangenen weiteren Straftaten, so auch von Sexualdelikten, zu dem
Hausfriedensbruch ist in höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich als dasjenige der
Tatmehrheit gesehen worden (vgl. BGHSt 18, 29, 32f.). Da hier kein ausnahmsweise die
Annahme von Tateinheit rechtfertigendes Bindeglied zu ersehen ist, drängt sich auf, dass sich
das Landgericht, wenn auch nicht ausdrücklich klargestellt, so doch faktisch auf den Boden
des höchstrichterlich vertretenen Grundsatzes gestellt hat.
Die von dem Rechtsanwalt in den Festsetzungsantrag mit aufgenommenen Pauschalbeträge in
Höhe von jeweils 20,00 Euro für zum einen Entgelte für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen (VV Nr. 7002) und zum andern 40 Kopien (VV Nr.
7000) konnten unberücksichtigt bleiben, ebenso wie schon vor dem Landgericht geschehen,
ohne dass der Beschwerdeführer dies angegriffen hat. Es hat ersichtlich in diesen Positionen,
und dies auch nachvollziehbar, Auslagen erblickt, die auch dann entstanden wären, wenn der
Angeklagte von herein nur wegen der Straftat angeklagt worden wäre, wegen der er letztlich
auch verurteilt worden ist.
6. Nach alldem konnte die sofortige Beschwerde nur teilweise zum Erfolg führen. Es liegt
eine Beschwerde mit dem Ergebnis eines verhältnismäßig dicht an 50% heranreichenden
Teilerfolgs vor.
Erwirkt hat der Beschwerdeführer die Heraufsetzung des Erstattungsbetrags um 442,83 Euro
(90% des Differenzbetrages, um den der Senat den Gesamtverteidigungsaufwand höher
bemessen hat als das Landgericht, zuzüglich 16% Umsatzsteuer). Erstrebt hatte er
demgegenüber die Heraufsetzung des Erstattungsbetrags um 971,88 Euro (90% des
Differenzbetrags von 930,92 Euro, um den das Landgericht seinen Ansatz des
Gesamtverteidigungsaufwands gekürzt hat, zuzüglich 16% Umsatzsteuer).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 StPO.
Der Beschwerdewert entspricht der als erstattungsfähig geltend gemachten Gebührensumme,
deren zusätzliche Festsetzung der Beschwerdeführer begehrt hat, zuzüglich der zugehörigen
Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer).
168
AG Köln Urteil vom 8. Juni 2005 147 C 86/05
Schadenersatzklage nach Verkehrsunfall: Gerichtliche Nachprüfung der
Angemessenheit einer 1,8-Geschäftsgebühr für den Geschädigtenanwalt
1. Für den mit der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens beauftragten Rechtsanwalt ist
im Falle
a) des besonderen Umfangs der Angelegenheit infolge ungerechtfertigter Kürzung
sachverständig geschätzter Beträge, wodurch eine Rückfrage beim Sachverständigen und
weitere Korrespondenz erforderlich wurde, und
b) der besonderen Schwierigkeit der Angelegenheit infolge notwendiger vertiefter Befassung
mit dem Schadenersatzrecht einschließlich Rechtsprechungsrecherche (um die gegnerische
Versicherung durch entsprechende Hinweise zu einem Einlenken zu bewegen),
der Ansatz einer 1,8-Geschäftsgebühr gerechtfertigt.
2. Im Erstattungsprozess ist das Gericht angesichts des dem Rechtsanwalt eingeräumten
Ermessens beschränkt auf eine Kontrolle dahin, ob die Gebührenbestimmung unbillig ist (§
14 Abs. 1 S. 4 RVG), wofür angesichts der aufgezeigten Umstände nichts ersichtlich ist.
3. Im Erstattungsprozess ist die Einholung des Gutachtens des Vorstandes der
Rechtsanwaltskammer nicht erforderlich, da kein Streit zwischen Anwalt und Auftraggeber,
sondern zwischen Auftraggeber und einem ersatzpflichtigen Dritten gegeben ist.
AGS 2005, 287-288 (red. Leitsatz und Gründe) ZfSch 2005, 463-464 (red. Leitsatz und
Gründe) JurBüro 2005, 647 (red. Leitsatz und Gründe) AnwBl 2005, 723 (red. Leitsatz)
1. Hat sich der Mandant vor Einschaltung des Rechtsanwalts mit dem Gegner schon teilweise
geeinigt, so richtet sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts nach dem Wert des noch
nicht erledigten Gegenstandes (hier: Streit um Lizenzgebühren).
2. Bei der Bemessung der Rahmengebühr (§ 12 BRAGO a.F. = § 14 RVG) ist das Gericht nicht
an das Gutachten der Rechtsanwaltskammer gebunden.
OLG-DUESSELDORF: I-24 U 220/04, Urteil vom 05.07.2005
Verfahrensgang:
LG Düsseldorf 5 O 4/03 vom 13.10.2004
Rechtskraft: JA
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
169
I-24 U 220/04
Verkündet am 5. Juli 2005
In dem Rechtsstreit
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die am 7. Juni 2005 geschlossene
mündliche Verhandlung unter Mitwirkung seiner Richter Z, E und T
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das
am 13. Oktober 2004 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 2.321,92
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.
September 2002 zu zahlen.
Die Kosten beider Rechtszüge werden dem Kläger zu 83%, dem Beklagten zu 17% auferlegt mit
Ausnahme derjenigen Kosten, welche durch die Anrufung des Landgerichts Berlin entstanden und
vom Kläger allein zu tragen sind.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
Das Rechtsmittel der Beklagten, mit welchem sie ihre Verurteilung zur Honorarzahlung (13.801,28
EUR nebst gesetzlichen Verzugszinsen) bekämpft, hat überwiegend Erfolg. Sie schuldet dem
klagenden Rechtsanwalt unter Berücksichtigung der außergerichtlichen Teilzahlung (5.000 EUR)
nur noch ein Resthonorar in Höhe von 2.321,92 EUR.
I. Das dem Kläger gemäß §§ 611, 612 Abs. 2, 675 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO), die gemäß § 61
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wegen der Auftragserteilung vor dem 01. Juli 2004 in der
bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist, zustehende Honorar errechnet sich
wie folgt:
01 Gegenstandswert: 621.000 EUR
02 7,5/10-Geschäftsgebühr, §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 1.716,00 EUR
03 5/10-Besprechungsgebühr, §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 1.144,00 EUR
04 15/10-Vergleichsgebühr, §§ 11, 23 Abs. 1 S. 1 BRAGO 3.432,00 EUR
05 Post- und Telekommunikationspauschale, § 26 BRAGO 20,00 EUR
06 Zwischensumme 6.312,00 EUR
07 16% Mehrwertsteuer, § 25 Abs. 2 BRAGO 1.009,92 EUR
08 Honorar 7.321,92 EUR
09 Vorschuss, §§ 17, 18 Abs. 2 BRAGO - 5.000,00 EUR
10 Resthonorar 2.321,92 EUR
II. Erläuterungen:
1. Der Gegenstandswert der in Auftrag gegebenen Geschäftsbesorgung beträgt nicht, wie das
Landgericht (dem Kläger folgend) angenommen hat, 1.286.115,50 EUR, sondern nur 621.000
EUR (Zeile 01).
a) Die Gebühren des Rechtsanwalts werden gemäß § 7 Abs. 1 BRAGO (jetzt § 2 Abs. 1 RVG)
nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand seiner Tätigkeit hat. Unter dem Gegenstand ist
das Recht oder Rechtsverhältnis (auch Streitgegenstand oder Streitverhältnis genannt) zu
verstehen, auf welches sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach dem Inhalt des erteilten
170
Auftrags bezieht (vgl. BGH MDR 1976, 742). Geht es wie hier um außergerichtliche Tätigkeiten
des Rechtsanwalts, sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (jetzt § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG) zur
Bewertung der bearbeiteten Gegenstände die für das gerichtliche Verfahren maßgeblichen
Wertvorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der jeweils maßgeblichen (hier in der bis
zum 30. Juni 2004 geltenden) Fassung (nachfolgend GKG a.F. genannt) heranzuziehen, wenn die
außergerichtliche Tätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens hätte sein können.
Dafür genügt es, dass ohne eine außergerichtliche Regelung die gerichtliche Auseinandersetzung
der Beteiligten unumgänglich wäre und dass zwischen der außergerichtlichen Tätigkeit des
Rechtsanwalts und derjenigen in einem etwaigen nachfolgenden Gerichtsverfahren ein innerer
Zusammenhang bestehen würde (vgl. BGH NJW 1997, 188 sub Nr. 2; Senat OLGR Düsseldorf
2005, 651, Urt. v. 12.04.2005 -I 24 U 66/04- sub Nr. I.2b und I.3 m.w.N., z.V. b.). So verhält es
sich im Streitfall.
b) Wäre es nicht zu dem außergerichtlichen Vergleich gekommen, hätten sich die Beklagte und
ihre Lizenznehmerin R-GmbH (nachfolgend: Lizenznehmerin) über die gegenseitig erhobenen
Ansprüche gerichtlich auseinandersetzen müssen. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich
deshalb mangels einer besonderen kostenrechtlichen Bestimmung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1
GKG a.F. (jetzt § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG), § 3 ZPO nach dem Interesse der Beklagten im Zeitpunkt
der Auftragserteilung bzw. einer werterhöhenden Auftragsänderung (§ 15 GKG a.F., jetzt § 40
GKG).
aa) Im Streitfall maßgeblich für die Bestimmung des Auftragsumfangs ist zwar entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht der dem Kläger zunächst erteilte (eingeschränkte) Auftrag von
März/April 2002 zur Frage der Durchsetzung der Lizenzgebührenforderung in Höhe von 160.500
DM, sondern der (erweiterte) Auftrag vom 15./21. Mai 2002, in welchem es (auch) um die Abwehr
der geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Lizenznehmerin ging. Entgegen ihrer
Behauptung hat die Beklagte den Kläger auch insoweit beauftragt. Das ergibt sich aus dem
Schreiben des Klägers vom 15. Mai 2002, in welchem Bezug genommen wird auf eine Lösung,
die Gegenstand des Gutachtens (des Klägers) vom 07. Mai 2002 sub Nr. II.4 gewesen ist und die
beiderseitigen Ansprüche erfasst. Dieses Angebot hat die Beklagte spätestens mit Schreiben vom
27. Mai 2002 angenommen. Dort billigt sie nämlich die vom Kläger vorgeschlagene
Vorgehensweise.
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers ging es im Zeitpunkt der Auftragserteilung von Mai 2002
aber nicht mehr um abzuwehrende Schadensersatzansprüche der Lizenznehmerin in ursprünglich
geltend gemachter Höhe von mehr als 2,5 Mio. DM, sondern nur noch um solche in Höhe von
621.000 DM. Das ergibt sich aus dem Schriftwechsel, den die Beklagte vor Auftragserteilung mit
der Lizenznehmerin geführt und welche dem Kläger bei der Bearbeitung des Mandats vorgelegen
hat.
Die Höhe der von der Lizenznehmerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche war
zunächst streitig. Mit Schreiben vom 25. Februar 2002 machte die Lizenznehmerin dann nur noch
Schadensersatzansprüche in Höhe von 621.000 DM geltend, die sie in der Folgezeit in der mit
dem Kläger namens der Beklagten geführten Korrespondenz nicht wieder erweiterte. Damit ist
das Interesse der Beklagten im Sinne des § 3 ZPO und gleichzeitig der Auftragsumfang definiert.
Daran vermag auch nichts der Umstand zu ändern, dass der Kläger in der Korrespondenz mit der
Lizenznehmerin deren Schadensersatzforderung in ursprünglicher Höhe angesprochen hatte.
Denn die historische Nachzeichnung des Konflikts führte nicht zu einer Auftragserweiterung,
sondern diente nur der Sachverhaltsdarstellung.
2. Der Senat folgt auch nicht dem Landgericht darin, dass dem Kläger die in Ansatz gebrachte
Geschäftsgebühr von 10/10 zusteht. Angemessen ist nur die Mittelgebühr von 7,5/10 (Zeile 02).
a) Geht es wie bei dem hier anzuwendenden § 118 Abs. 1 BRAGO um den Ansatz einer Gebühr
im Rahmen von 5/10 bis 10/10 (Rahmengebühr), richtet sich deren Angemessenheit gemäß § 315
Abs. 1 BGB, § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach
der Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten, nach dem Umfang und der Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit sowie nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des
Auftragsgebers. Der Rechtsanwalt hat bei der Leistungsbestimmung einen zu respektierenden
Ermessensspielraum. Im Streitfall hat der Kläger mit Blick darauf, dass es immerhin um die
Abweichung im Umfange einer Viertelgebühr geht, den ihm zustehenden Ermessensspielraum
verlassen, ohne dass der Senat hier entscheiden müsste, wo genau die Grenze verläuft (vgl. BGH
171
NJW 2004, 1043 sub Nr. II.3). Das vom Landgericht gemäß § 12 Abs. 2 BRAGO eingeholte
Gebührengutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer dient der Kontrolle des
anwaltlichen Billigkeitsermessens durch das Prozessgericht, bindet es aber nicht, sondern
unterliegt der freien richterlichen Würdigung, § 286 ZPO (BGH aaO).
aa) Der Senat folgt dem angefochtenen Urteil darin, dass die Bedeutung der Angelegenheit für die
Beklagte überdurchschnittlich gewesen ist. Denn die Beklagte befürchtete zu Recht, im Falle von
(in der Branche immer wieder vorkommenden) Lizenzrechtsverstößen künftig Schadensersatz in
Geld leisten zu müssen. Statt dessen war sie sehr daran interessiert, einer in der Branche
verbreiteten und bisher auch mit der hiesigen Lizenznehmerin geübten Praxis gemäß deren
Vermögensnachteile gleichsam in Natur, nämlich in Gestalt verlängerter oder auf andere Sender
erweiterter Lizenzen für das verletzte oder das Recht an anderen Filmproduktionen, ausgleichen
zu dürfen. Die Beklagte wollte einen Präzedenzfall - Geldersatz - unbedingt vermeiden.
bb) Der Senat folgt nicht dem Landgericht, das in Übereinstimmung mit dem Gutachter den
Umfang und den Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit als überdurchschnittlich beurteilt.
Der Senat ist vielmehr der Auffassung, dass die Tätigkeit des Klägers eher unterdurchschnittlich
umfangreich und schwierig gewesen ist.
Aus der zur Verfügung gestellten Vorkorrespondenz konnte der Kläger den Sach- und Streitstand
mühelos feststellen. Mit Blick auf das Schreiben der Lizenznehmerin vom 22. Februar 2002
brauchte sich der Kläger auch nicht mit den früher umstrittenen Lizenzrechtsverstößen zu
beschäftigen. In tatsächlicher Hinsicht war nichts mehr aufzuklären. Die Forderungen beider
Seiten waren nach Grund und Höhe unstreitig, nachdem die Beklagte bereits vor Mandatierung
des Klägers gegenüber der Lizenznehmerin eingeräumt hatte, ihr durch (eingeräumte)
Lizenzrechtsverletzungen Schaden in zuletzt noch geltend gemachter Höhe (621.000 DM)
zugefügt zu haben. Das erteilte Rechtsgutachten ist in weiten Teilen abstrakter Natur und war
weder umfangreich noch schwierig. Die mit der Lizenznehmerin geführte Korrespondenz war
ebenfalls von geringem Umfang und erstreckte sich nur über einen kurzen Zeitraum.
In rechtlicher Hinsicht waren keine spezifisch urheberrechtlichen Fragen zu prüfen, weil die in
Rede stehenden Rechtsverletzungen evident und von der Beklagten zugestanden worden waren.
cc) Obwohl zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beklagten kein konkreter
Vortrag vorliegt, kann aus den vorliegenden Indizien zugunsten des Klägers angenommen
werden, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten eher
überdurchschnittlich sind (vgl. den vorgetragenen Internetauftritt der Beklagten).
b) Unter Abwägung der maßgeblichen Kriterien kommt der Senat zu einem insgesamt
durchschnittlich gelagerten Fall, der ein Abweichen von der Mittelgebühr nicht rechtfertigt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Es besteht kein Anlass, die
Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.
KG Berlin 3. Strafsenat Beschluß vom 9. August 2005 3 Ws 59/05
Leitsatz
1. Als unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG ist in Fortführung der ständigen
Rechtsprechung der Strafsenate des Kammergerichts zu der inhaltsgleichen Regelung in § 12
Abs. 1 Satz 2 BRAGO die Gebührenbestimmung zu behandeln, wenn sie um 20% oder mehr
von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG
genannten Bemessungsgrundlagen ergibt.
172
2. Schwerhörigkeitsbedingte Verständigungsschwierigkeiten mit dem Mandanten können bei
der für die Bestimmung der Verfahrensgebühren vorzunehmenden Bewertung des
Schwierigkeitsgrads der anwaltlichen Tätigkeit erheblich ins Gewicht fallen.
3. Dass die Gebühr für Terminsteilnahme außerhalb der Hauptverhandlung im vorbereitenden
Verfahren und in jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur
einmal entsteht, besagt aus der Sicht des Senats nicht generell, dass in Fällen mit nur einem
einzigen Haftprüfungstermin wegen des Zurückbleibens hinter der Dreimaligkeit nur eine
entsprechend weit unterhalb des Mittelwerts liegende Gebühr gerechtfertigt ist, wenn der eine
Termin nur durchschnittliches Format hatte.
4. Wenn auch beim Wahlverteidiger anders als beim Pflichtverteidiger Längenzuschläge zur
Terminsgebühr für die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht vorgesehen sind, so geben
doch die Zeitstufen, die bezüglich des Pflichtverteidigers festgelegt sind, Hilfestellung für die
Einordnung im Gebührenrahmen nach der Vorstellung des Gesetzgebers.
5. Es erscheint gesetzeskonform, Verhandlungspausen, die für den Verteidiger nicht sinnvoll
anderweitig nutzbar sind, ihm nicht zum gebührenrechtlichen Nachteil gereichen zu lassen.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts B. M. wird der Beschluß der
Rechtspflegerin des Landgerichts Berlin vom 31. Januar 2005 dahin abgeändert, daß die dem
Rechtsanwalt zu erstattenden notwendigen Auslagen des teilweise Freigesprochenen in Höhe
von 549,14 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 8.
Dezember 2004 festgesetzt werden; die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; die Gebühr und die
notwendigen Auslagen der Staatskasse werden um die Hälfte ermäßigt; die Hälfte der
notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse Berlin.
Der Beschwerdewert beträgt 971,88 Euro.
Gründe
Der Beschwerdeführer hat aufgrund der - schon unter der Geltung des RVG verfügten Beiordnung vom 10. Juli 2004 den früheren Angeklagten verteidigt. Diesem war mit vor dem
Landgericht Berlin erhobener Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin zur Last gelegt worden,
zum einen am 9. Juli 2004 nach dem Einstieg über den Balkon in die Wohnung einer ihm
bekannten Frau diese dort sexuell genötigt und zugleich körperlich mißhandelt zu haben und
zum andern sich schon ein Jahr zuvor im Juli 2003 in ihrer Wohnung der sexuellen Nötigung
zu ihrem Nachteil schuldig gemacht zu haben. Am zweiten Verhandlungstag der am 31.
August und 8. September 2004 durchgeführten Hauptverhandlung hat das Landgericht den
von der Staatsanwaltschaft vor der Anklageerhebung ausgeschiedenen Vorwurf des
Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit dem Geschehen vom 9. Juli 2004 wieder in das
Verfahren einbezogen und allein deswegen den damaligen Angeklagten zu einer Geldstrafe
verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen und entschieden, dass insoweit seine
notwendigen Auslagen der Landeskasse Berlin zur Last fallen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Den Auslagenerstattungsanspruch hat der teilweise Freigesprochene dem Beschwerdeführer
abgetreten.
173
Durch den angefochtenen Beschluß hat die Rechtspflegerin des Landgerichts - mangels
Vorliegens einer Kostengrundentscheidung nach Bruchteilen (§ 464d StPO) - anhand der
Differenztheorie (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 465, Rdn. 8, 9) über die sich auf den
Teilfreispruch beziehenden Kosten der Verteidigung befunden, die der Beschwerdeführer als
zu erstattende Auslagen festzusetzen beantragt hat. Er wendet sich dagegen, dass sie im
Ansatz der einheitlichen Verteidigergebühr für die Verteidigung insgesamt, von der
ausgehend der auf den Freispruch entfallende, erstattungsfähige Teil der Verteidigungskosten
festgestellt wird, die von ihm zugrunde gelegten Ausgangsgebühren nach dem RVG in
sämtlichen Positionen unterschritten hat. In der Gegenüberstellung bietet sich dazu folgendes
Bild (Beträge in Euro; HG = Höchstgebühr; MG = Mittelgebühr):
Gebührenart:
Grundgebühr
(VV Nr. 4100, 4101)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4104, 4105)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4112, 4113)
Haftprüfungsterminsgebühren
(VV Nr. 4102, 4103)
Hauptverhandlungsterminsgebühren
(VV Nr. 4114, 4115)
31. August 2004
8. September 2004
Gesamtsumme
Antrag:
Festgesetzt:
375,00 (HG)
202,50 (MG)
312,50 (HG)
154,17 (MG - 10%)
337,50 (HG)
171,25 (MG)
188,75 (MG)
119,91 (MG - 30%)
470,00 (HG - 20%)
587,50 (HG)
2.253,75
328,75 (MG)
328,75 (MG)
1.322,83
Die Unterschreitung der in dem Festsetzungsantrag zugrunde gelegten Ausgangsgebühren, die
sich insgesamt auf 930,92 Euro beläuft, führte dazu, dass sich bei der Berechnung des auf den
Freispruch entfallenden, erstattungsfähigen Teils einschließlich der Umsatzsteuer eine
Minderung um 971,88 Euro ergab.
Die nach §§ 304 Abs. 3, 311 Abs. 2, 464b Satz 3 StPO, §§ 103 Abs. 2 Satz 1, 104 Abs. 1 Satz
1 und Abs. 3 Satz 1 ZPO, §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RpflG zulässige sofortige Beschwerde des
Rechtsanwalts als nunmehrigen Inhabers des Kostenerstattungsanspruchs des teilweise
Freigesprochenen hat zum Teil Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Hinsichtlich der beiden Verfahrensgebühren (Tätigkeit bis Eingang der Anklageschrift VV
Nr. 4104, 4105; Tätigkeit im ersten Rechtszug vor der Strafkammer VV Nr. 4112, 4113) und
der Terminsgebühr für die Teilnahme an dem Haftprüfungstermin am 30. Juli 2004 (VV Nr.
4102, 4103) greift die Beschwerde voll durch. Insoweit ist die Rechtspflegerin unberechtigt
von dem Gebührenansatz des beschwerdeführenden Rechtsanwalts, der Höchstgebühr bei den
Verfahrensgebühren und der Mittelgebühr bei der Terminsgebühr für die Teilnahme an dem
Haftprüfungstermin, abgewichen. Der Gebührenansatz in dem Festsetzungsantrag ist insoweit
verbindlich.
Bei Rahmengebühren - wie hier gemäß § 14 RVG in Rede stehend - obliegt die Bestimmung
der Gebühren nämlich im Einzelfall dem Rechtsanwalt. Er hat sie unter Berücksichtigung der
in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu treffen. Ist diese
Gebühr von einem Dritten zu erstatten - so wie hier teilweise von der Staatskasse - ist die von
dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung allerdings nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG dann nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist. Das ist - in Fortführung der ständigen Rechtsprechung der
Strafsenate des Kammergerichts zu der inhaltsgleichen Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 2
BRAGO - der Fall, wenn sie um 20% oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter
Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt.
174
Diese Gestaltung liegt hinsichtlich der Verfahrensgebühren und der Gebühr für den
Haftprüfungstermin nicht vor.
Die in Rede stehenden Gebühren sind in dem Festsetzungsantrag - die Verfahrensgebühren
mit dem Höchstsatz und die Haftprüfungsterminsgebühr mit dem Mittelwert - zwar zu hoch
angesetzt worden. Doch erreicht die Überschreitung noch nicht die Grenze zur Unbilligkeit,
was dem Gebührenansatz die Verbindlichkeit beläßt.
Bei der Feststellung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG ist - ebenso wie früher
im Rahmen des § 12 Abs. 1 BRAGO - eine Abwägung aller Umstände, d. h. der
gebührenerhöhenden und -mindernden vorzunehmen. Dabei ist jeweils von der Mittelgebühr
auszugehen.
Was die Verfahrensgebühren angeht, ist hier ein weit die Mittelgebühr überschreitender
Ansatz in einer bei 10 bis 15% unter der Höchstgebühr liegenden Größenordnung
gerechtfertigt. Denn die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ragte durch einen
besonderen Umstand, nämlich die hochgradige Schwerhörigkeit des Freigesprochenen weit
über das Mittelmaß hinaus. Gerade in dem vorbereitenden, auf die Hauptverhandlung
zuführenden Stadium, das die Verfahrensgebühren abdecken, ist die Kommunikation des
Verteidigers mit seinem Mandanten zur Erarbeitung der optimalen Verteidigungsstrategie von
grundlegender Bedeutung. Die Verständigungsprobleme durch hochgradige Schwerhörigkeit
des Mandanten erschweren die Entwicklung des Verteidigungskonzepts, bei der es ganz
wesentlich auf mündlichen Austausch ankommt, in beträchtlichem Maße.
Das tatsächliche Vorliegen der schwerhörigkeitsbedingten Verständigungsschwierigkeiten in
den in Rede stehenden Verfahrensabschnitten ist durch Hinweise im dem Urteil des
Landgerichts vom 8. September 2004 gesichert. Dort heißt es unter den Feststellungen zur
Person (LG UA S. 3): In dem Zeitraum 1996/1997 erlitt der Angeklagte einen Hörsturz. Er ist
seitdem stark schwerhörig; ohne Hörgerät, über das er in den letzten Monaten nicht verfügte,
ist eine Verständigung mit ihm nur unter großen Schwierigkeiten möglich. Ferner verlautet im
Rahmen der Beweiswürdigung (LG UA S. 18): Hierbei kann nicht außer Acht gelassen
werden, dass sich aufgrund der starken Hörbehinderung des Angeklagten, die in der
Hauptverhandlung die Verwendung eines speziellen Hörgerätes für ihn und die Benutzung
eines Mikrofons erforderlich machte, weil eine Verständigung anders mit ihm kaum möglich
gewesen wäre, nicht feststellen lässt, dass er beim Klopfen an der Wohnungstür die Worte der
Polizeibeamten und bei dem ersten Teil seiner Flucht ihre Rufe Halt, stehenbleiben, Polizei,
hörte.
Was die Gebühr für die Teilnahme an dem Haftprüfungstermin angeht, ist, wenn auch die in
dem Festsetzungsantrag angesetzte Mittelgebühr zu hoch gegriffen ist, doch ein Ansatz in der
Größenordnung von 10 bis 15% unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt. Dass die Gebühr
für Terminsteilnahme außerhalb der Hauptverhandlung im vorbereitenden Verfahren und in
jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur einmal entsteht,
besagt aus der Sicht des Senats nicht generell, dass in Fällen mit nur einem einzigen
Haftprüfungstermin, wie dem vorliegenden, wegen des Zurückbleibens hinter der
Dreimaligkeit nur eine entsprechend weit unterhalb des Mittelwerts liegende Gebühr
gerechtfertigt ist, wenn der eine Termin nur durchschnittliches Format hatte (dahin tendierend
aber Schneider in Gebauer/Schneider, RVG 2. Aufl., S. 1438 Rdn. 11). Der Senat sieht das
Gewicht der Bestimmung mehr bei ihrer gesetzgeberisch gewollten Funktion liegen, zu
verhindern, dass Termine nur aus Gebühreninteresse des Rechtsanwalts herbeigeführt werden
(vgl. Burhoff, RVG, C. Kommentar, Nr. 4102 VV Rdn. 43). Bei der Bemessung der Höhe der
175
Gebühr sind demnach die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die
sich aus der Terminsdauer ergebende zeitliche Beanspruchung, wobei nicht ausgeschlossen
ist, unter Umständen auch bei nur einem Termin von durchschnittlicher Aufwändigkeit die
Mittelgebühr für gerechtfertigt zu erachten (vgl. Burhoff, Nr. 4102 VV Rdn. 49, 51).
Hier ist die Dauer, die in dem Protokoll nicht ausgewiesen ist, als eher unterdurchschnittlich
zu veranschlagen, zumal der Haftprüfungsantrag in dem Termin zurückgenommen worden ist.
Hinsichtlich der Schwerhörigkeit ist anzunehmen, dass ihr mit den technischen Möglichkeiten
im Sitzungssaal zufriedenstellend begegnet werden konnte, zumal es sich ausweislich der
Terminsbestimmung und der Ladungen um den Saal handelte, in dem später auch die
Hauptverhandlung durchgeführt wurde. Alles zusammengenommen rechtfertigt einen Ansatz
um 10 bis 15 % unter dem Mittelwert.
Wegen der Überschreitung der angemessenen Gebührenwerte nur in einer Größenordnung
unterhalb der rechnerischen Schwelle zur Unbilligkeit sind die Verfahrensgebühren und die
Haftprüfungsterminsgebühr in voller Höhe wie in dem Antrag angesetzt der Berechnung des
zu erstattenden Gebührenanteils zugrunde zu legen.
2. Hinsichtlich der Terminsgebühr für den zweiten Hauptverhandlungstag am 8. September
2004 greift die Beschwerde nur teilweise durch. Diese Gebühr ist mit der Höchstgebühr, die
mit dem Festsetzungsantrag geltend gemacht ist, in einem die Grenze zur Unbilligkeit
überschreitenden Umfang überhöht, sie ist jedoch nicht so niedrig festzusetzen wie in dem
angefochtenen Beschluß mit der Festlegung auf den Mittelwert geschehen. Sie ist mit einem
Betrag in Höhe der Mittelgebühr zuzüglich 20% angemessen bestimmt.
Die angefochtene Bewertung wird dem Ausmaß der zeitlichen Beanspruchung des
Verteidigers nicht ausreichend gerecht. Angesichts der Terminsdauer von 6 Stunden und 26
Minuten ist sie als überdurchschnittlich und die Überschreitung der Mittelgebühr um den
vorgenannten Aufschlag rechtfertigend anzusehen. Wenn auch beim Wahlverteidiger anders
als beim Pflichtverteidiger Längenzuschläge (VV Nr. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123,
4128, 4129, 4134, 4135) nicht vorgesehen sind, so geben doch die Zeitstufen, die bezüglich
des Pflichtverteidigers festgelegt sind, Hilfestellung für die Einordnung im Gebührenrahmen
nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 59). Hier von
Belang ist VV Nr. 4116, wonach der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt,
wenn er mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor der
Strafkammer teilnimmt, eine Zusatzgebühr erhält. Das spricht dafür, auch beim
Wahlverteidiger in einer 5 Stunden überschreitenden Terminsteilnahme eine
überdurchschnittliche Inanspruchnahme zu erblicken, die sich in der Höhe des
Gebührenansatzes niederschlägt (vgl. Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 61).
Dass die Hauptverhandlung an dem betreffenden Tage von 12 Uhr 54 bis 15 Uhr 44
unterbrochen war, vermag im vorliegenden Falle nichts an der Bewertung zu ändern. Der
Rechtsanwalt war gleichwohl durch die Sache in Anspruch genommen und der Wahrnehmung
seiner übrigen Geschäfte entzogen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es sich um eine schon
vorab zu erwartende und in ihrer Länge von vornherein absehbare Pause gehandelt hat, auf
die sich der Rechtsanwalt im Voraus hätte einstellen und die er für anderweitige berufliche
Aufgaben hätte nutzen können. Der in VV Teil 4 Vorbemerkung 4 Absatz 3 Satz 2 festgelegte
Fall des Anfallens einer Vergütung, ohne daß es zur Entfaltung der eigentlichen Tätigkeit
gekommen ist, nämlich in der Situation, dass der Anwalt zu einem anberaumten Termin
erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, wovon er
auch nicht in Kenntnis gesetzt worden war, spricht dafür, dass es gesetzeskonform ist, auch
176
Pausen, die nicht sinnvoll anderweitig nutzbar sind, nicht zum gebührenrechtlichen Nachteil
gereichen zu lassen (zur Behandlung von Pausen vgl. auch Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn.
63; Riedel/Sußbauer/Schmahl, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdn. 64).
3. Erfolglos bleibt die Beschwerde, soweit sie sich gegen den Ansatz der Grundgebühr und
den der Terminsgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag am 31. August 2004 richtet.
Der Ansatz des Höchstsatzes für die Grundgebühr durch den Beschwerdeführer ist
unverbindlich, weil die Grenze zur Unbilligkeit deutlich überschreitend. Die erstmalige
Einarbeitung in den Rechtsfall ist hier mit der Mittelgebühr angemessen vergütet. Mochte
auch die Bedeutung der Sache für den Beschuldigten von überaus hohem Gewicht sein, ist
doch, wie schon von der Rechtspflegerin des Landgerichts zutreffend herausgestellt,
wesentlich, dass die Sache nach Umfang und rechtlichem Schwierigkeitsgrad nichts
Herausragendes an sich hatte. Der Aktenumfang war gering - bei Einsichtnahme durch den
Verteidiger am 16. Juli 2004 ein Band von 70 Blatt -, das zugrundeliegende Geschehen und
die Beweismittel waren überschaubar und der rechtliche Schwierigkeitsgrad hielt sich in
Grenzen. Dafür ist nicht mehr als die festgesetzte Mittelgebühr angemessen.
Unverbindlich, weil die Grenze zur Unbilligkeit überschreitend, ist auch der Ansatz der
Terminsgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag durch den Beschwerdeführer. Der
Termin hatte nach seiner Dauer von 4 Stunden und 54 Minuten und seinem
Schwierigkeitsgrad nichts an sich, was ihn über das Durchschnittsübliche in einer
erstinstanzlichen Strafkammersache hinaushob. Zutreffend hat die Rechtspflegerin
dementsprechend die Mittelgebühr angesetzt.
4. Aus dem Vorstehenden ergibt sich in der Zusammenschau folgende Festsetzung der Höhe
des Verteidigungsaufwands insgesamt:
Grundgebühr
(VV Nr. 4100, 4101)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4104, 4105)
Verfahrensgebühr
(VV Nr. 4112, 4113)
Haftprüfungsterminsgebühren
(VV Nr. 4102, 4103)
Hauptverhandlungsterminsgebühren
(VV Nr. 4114, 4115)
31. August 2004
8. September 2004
Gesamtsumme
202,50
(MG)
312,50
(HG)
337,50
171,25
(HG)
(MG)
328,75
394,50
1.747,00
(MG)
(MG)
Gegenüber der angegriffenen Festsetzung des Gesamtverteidigungsaufwands mit 1.322,83
Euro bedeutet dies eine Besserstellung um 424,17 Euro von den insgesamt mit der
Beschwerde erstrebten 930,92 Euro Heraufsetzung.
5. Der Berechnung des auf den freisprechenden Teil entfallenden Verteidigungsaufwands hat
die Rechtspflegerin des Landgerichts zugrunde gelegt, dass der Teilfreispruch mit einer Quote
von 90% zu bewerten ist. Das führt auf der Grundlage der durch die sofortige Beschwerde
erzielten vorstehenden Festsetzung zu einem sich auf 90% von 1.747,00 Euro belaufenden
Betrag, mithin 1.572,30 Euro. Darauf sind 90% der 1.221,00 Euro Pflichtverteidigergebühren,
also 1.098,90 Euro, anzurechnen, die dem Verteidiger bereits zugeflossen sind. Danach
verbleibt ein offener Betrag von 473,40 Euro zu Gunsten des beschwerdeführenden
177
Rechtsanwalts. Diese Summe erhöht sich um die darauf entfallende anteilige 16%ige
Umsatzsteuer auf 549,14 Euro als den als erstattungsfähig festzusetzenden Endbetrag.
Die Verzinsung ab dem Tag der Anbringung des Festsetzungsantrags ergibt sich aus § 464b
Satz 3 StPO in Verbindung mit § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der Senat, der, weil im Kostenfestsetzungsverfahren kein Verbot der Schlechterstellung gilt
(vgl. Meyer-Goßner, § 464b StPO Rdn. 8), die von der Rechtspflegerin vorgenommene
Bemessung der auf den Teilfreispruch entfallenden Quote des Verteidigungsaufwands mit
90% auch auf etwaige Überhöhung zu überprüfen hatte, konnte dem Landgericht in dem
Ansatz folgen. Die Kostengrundentscheidung trägt ihn.
Das Landgericht hat den Angeklagten erkennbar sowohl von dem Vorwurf der auf 2003
datierten Sexualstraftat als auch von demjenigen betreffend die Sexualstraftat von 2004
freigesprochen. Das umfaßt das weitaus überwiegende Schwergewicht der Vorwürfe und ist
mit 90% angemessen bewertet. Die Quote entspricht der als authentisch einzuschätzenden
Interpretation durch den Strafkammervorsitzenden, der auf Anfrage der Rechtspflegerin des
Landgerichts die Aufteilung im Verhältnis ca. 10:1 als angemessen bezeichnet hat.
Die Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit dem Vorfall von 2004
steht nicht entgegen. Dass das Landgericht insoweit Tatidentität mit eben dem Geschehen
zugrunde gelegt hat, auf das sich der der Vorwurf der Sexualstraftat gründete, und insofern
den Angeklagten nicht freigesprochen, sondern ein und dieselbe Tat nur rechtlich abweichend
abgeurteilt hat, ist nicht anzunehmen. Vielmehr hat es erkennbar einen Teil der ihm durch die
Anklage zur Urteilsfindung unterbreiteten Tat im prozessualen Sinne (vgl. Meyer-Goßner, §
264 StPO Rdn. 1ff.), der als Hausfriedensbruch zu dem Vorwurf des Sexualdelikts als in
Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehend einzustufen ist und insoweit daneben Raum für den
Freispruch von dem Vorwurf des Sexualdelikts ließ, in das Verfahren wieder einbezogen.
Dass die Staatsanwaltschaft von Tateinheit ausgegangen ist, was sich daran ablesen läßt, dass
sie den Hausfriedensbruch in der Anklagebegleitverfügung unter Bezugnahme auf § 154a
Abs. 1 StPO ausgeschieden hat, fällt nicht ins Gewicht. Das Verhältnis der während eines
Hausfriedensbruchs begangenen weiteren Straftaten, so auch von Sexualdelikten, zu dem
Hausfriedensbruch ist in höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich als dasjenige der
Tatmehrheit gesehen worden (vgl. BGHSt 18, 29, 32f.). Da hier kein ausnahmsweise die
Annahme von Tateinheit rechtfertigendes Bindeglied zu ersehen ist, drängt sich auf, dass sich
das Landgericht, wenn auch nicht ausdrücklich klargestellt, so doch faktisch auf den Boden
des höchstrichterlich vertretenen Grundsatzes gestellt hat.
Die von dem Rechtsanwalt in den Festsetzungsantrag mit aufgenommenen Pauschalbeträge in
Höhe von jeweils 20,00 Euro für zum einen Entgelte für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen (VV Nr. 7002) und zum andern 40 Kopien (VV Nr.
7000) konnten unberücksichtigt bleiben, ebenso wie schon vor dem Landgericht geschehen,
ohne dass der Beschwerdeführer dies angegriffen hat. Es hat ersichtlich in diesen Positionen,
und dies auch nachvollziehbar, Auslagen erblickt, die auch dann entstanden wären, wenn der
Angeklagte von herein nur wegen der Straftat angeklagt worden wäre, wegen der er letztlich
auch verurteilt worden ist.
6. Nach alldem konnte die sofortige Beschwerde nur teilweise zum Erfolg führen. Es liegt
eine Beschwerde mit dem Ergebnis eines verhältnismäßig dicht an 50% heranreichenden
Teilerfolgs vor.
178
Erwirkt hat der Beschwerdeführer die Heraufsetzung des Erstattungsbetrags um 442,83 Euro
(90% des Differenzbetrages, um den der Senat den Gesamtverteidigungsaufwand höher
bemessen hat als das Landgericht, zuzüglich 16% Umsatzsteuer). Erstrebt hatte er
demgegenüber die Heraufsetzung des Erstattungsbetrags um 971,88 Euro (90% des
Differenzbetrags von 930,92 Euro, um den das Landgericht seinen Ansatz des
Gesamtverteidigungsaufwands gekürzt hat, zuzüglich 16% Umsatzsteuer).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 StPO.
Der Beschwerdewert entspricht der als erstattungsfähig geltend gemachten Gebührensumme,
deren zusätzliche Festsetzung der Beschwerdeführer begehrt hat, zuzüglich der zugehörigen
Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer).
SG Aachen 11. Kammer Beschluß vom 21. Juni 2005 S 11 AL 111/04
Angemessenheit der Verfahrensgebühr
Orientierungssatz
Die Bestimmung einer über der Mittelgebühr liegenden Verfahrensgebühr nach Nr 3103 VV
RVG iH von 250,00 Euro ist dann nicht unbillig, wenn der Rechtsstreit erheblich schwierig
und mit außergewöhnlichem Aufwand verbunden war und sich die Kommunikation mit dem
stark sehbehinderten Mandanten außergewöhnlich aufwendig gestaltet hat.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung der Verfahrensgebühr.
In dem durch Klagerücknahme erledigten Hauptsacheverfahren war streitig, ob die beklagte
Bundesagentur für Arbeit (BA) oder die gesondert im Verfahren S 13 RJ 163/04 beklagte
Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz zuständiger Träger einer Leistung zur
Teilhabe am Arbeitsleben war.
Am 22.04.2005 beantragte die im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete
Prozessbevollmächtigte des Klägers die Festsetzung von insgesamt 592,76 Euro als
notwendige Auslagen des Klägers, wobei sie von einer Verfahrensgebühr in Höhe von 250.Euro ausging. Mit Beschluss vom 27.05.2005 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
(UdG) die Kosten mit insgesamt 499,96 Euro fest. Zur Begründung führte er aus, die geltend
gemachte Verfahrensgebühr sei unbillig, denn die Prozessbevollmächtigte des Klägers sei
bereits im Verwaltungsverfahren tätig geworden, so dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103
Vergütungsverzeichnis zum RVG (VV RVG) auf 170.- Euro zu kürzen sei.
Der Kläger legte hiergegen am 00.00.2005 Erinnerung ein und führte zur Begründung aus, es
sei auch bei der Verfahrensgebühr wenigstens die Mittelgebühr angemessen: Die Sach- und
Rechtslage sei gerade angesichts der parallelen Geltendmachung des Anspruchs gegenüber
zwei Leistungsträgern nicht einfach gewesen; auch habe sich die Kommunikation zwischen
dem stark sehbehinderten Kläger und seiner Prozessbevollmächtigten schwierig gestaltet.
179
Der UdG hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist begründet. Die
Höhe der Gebühren der Prozessbevollmächtigten des Klägers bestimmt sich nach § 14 Abs. 1
Satz 1 und 4 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
(Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG) sowie nach dem Vergütungsverzeichnis (Anlage 1
zum RVG, VV RVG), § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der
Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des
Auftraggebers, nach billigem Ermessen.
Zwar verkennt der Kläger den hier einschlägigen Kürzungstatbestand aus Nr. 3103 VV RVG,
dies ist jedoch unschädlich, denn das Gericht überprüft die Festsetzung in vollem Umfang und
entscheidet nach eigenem Ermessen (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8.
Aufl., 2005, § 197, Rn. 10). Die in Ansatz gebrachte Verfahrensgebühr von 250.- Euro ist
auch im Hinblick auf Nr. 3103 VV RVG nicht unbillig im Sinne von § 14 RVG, denn der
Rechtsstreit war jedenfalls von erheblichem Schwierigkeitsgrad und mit außergewöhnlichem
Aufwand verbunden: Erstens musste eine sinnvolle Abstimmung mit dem Parallelverfahren
gegen die LVA Rheinprovinz erfolgen, zweitens musste sich die Prozessbevollmächtigte des
Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit der ausgesprochen problemträchtigen
Vorschrift des § 14 SGB IX befassen. Diese Vorschrift war während des Jahres 2004
Gegenstand einer weitreichenden Kontroverse in Rechtsprechung und Literatur; die hierzu
ergangene Entscheidung des BSG vom 26.10.2004 (B 7 AL 16/04 R) wird von den
Leistungsträgern bislang nur zögerlich umgesetzt und bisweilen völlig ignoriert.
Nachvollziehbar erscheint auch der Vortrag der Prozessbevollmächtigten, wonach sich die
Kommunikation mit dem stark sehbehinderten Kläger, dem der gesamte Schriftverkehr
vorgelesen werden musste, außergewöhnlich aufwändig gestaltet hat.
Die Entscheidung ist endgültig, § 197 Abs. 2 SGG.
RVGreport 2005, 353-354 (red. Leitsatz)
AG Köln Urteil vom 8. Juni 2005 147 C 86/05
Schadenersatzklage nach Verkehrsunfall: Gerichtliche Nachprüfung der
Angemessenheit einer 1,8-Geschäftsgebühr für den Geschädigtenanwalt
Orientierungssatz
1. Für den mit der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens beauftragten Rechtsanwalt ist
im Falle
180
a) des besonderen Umfangs der Angelegenheit infolge ungerechtfertigter Kürzung
sachverständig geschätzter Beträge, wodurch eine Rückfrage beim Sachverständigen und
weitere Korrespondenz erforderlich wurde, und
b) der besonderen Schwierigkeit der Angelegenheit infolge notwendiger vertiefter Befassung
mit dem Schadenersatzrecht einschließlich Rechtsprechungsrecherche (um die gegnerische
Versicherung durch entsprechende Hinweise zu einem Einlenken zu bewegen),
der Ansatz einer 1,8-Geschäftsgebühr gerechtfertigt.
2. Im Erstattungsprozess ist das Gericht angesichts des dem Rechtsanwalt eingeräumten
Ermessens beschränkt auf eine Kontrolle dahin, ob die Gebührenbestimmung unbillig ist (§
14 Abs. 1 S. 4 RVG), wofür angesichts der aufgezeigten Umstände nichts ersichtlich ist.
3. Im Erstattungsprozess ist die Einholung des Gutachtens des Vorstandes der
Rechtsanwaltskammer nicht erforderlich, da kein Streit zwischen Anwalt und Auftraggeber,
sondern zwischen Auftraggeber und einem ersatzpflichtigen Dritten gegeben ist.
AGS 2005, 287-288 (red. Leitsatz und Gründe) ZfSch 2005, 463-464 (red. Leitsatz und
Gründe) AnwBl 2005, 723 (red. Leitsatz)
AG Frankenthal Entscheidung vom 29. April 2005 5189 Js 16685/04 - 1 OWi
Verteidigergebühr in Verkehrsordnungswidrigkeitensachen: Überschreitung der
Mittelgebühr bei umfangreicher Tätigkeit oder überdurchschnittlicher Bedeutung
Orientierungssatz
In Verkehrsordnungswidrigkeitensachen ist für den Verteidiger eine Mittelgebühr
gerechtfertigt und im Falle umfangreicher Tätigkeit oder überdurchschnittlicher Bedeutung
auch zu überschreiten. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein Fahrverbot in
Rede steht oder Eintragungen in das Verkehrszentralregister, die zu dem Verlust der
Fahrerlaubnis führen können.
AGS 2005, 292-294 (red. Leitsatz und Gründe) Verkehrsrecht aktuell 2005, 114 (red.
Leitsatz) RVG professionell 2005, 117 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 271-272 (red.
Leitsatz)
BKartA Bonn 3. Vergabekammer des Bundes Beschluß vom 14. Februar 2005 VK 3 164/04
Vergabenachprüfungsverfahren: Ausschöpfung der Rahmengebühr durch Anwalt des
Beigeladenen
Orientierungssatz
181
Die anwaltliche Vertretung eines Beigeladenen in einem Vergabenachprüfungsverfahren kann
die Ausschöpfung der Rahmengebühr (2,5fache Geschäftsgebühr) gemäß § 14 RVG i.V.m.
Nr. 2400 VV rechtfertigen, auch wenn der Beiladungsbeschluss erst kurz vor Abschluss des
Nachprüfungsverfahrens ergangen ist.
IBR 2005, 282 (red. Leitsatz)
Zur Auslegung des § 14 RVG
KAMMERGERICHT-BERLIN: 3 Ws 59/05, Beschluss vom 09.08.2005
Verfahrensgang:
LG Berlin (510) 70 Js 1105/04 KLs (20/04) vom 31.01.2005
Geschäftsnummer:
3 Ws 59/05
In der Strafsache
wegen sexueller Nötigung u. a.
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 9. August 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts B. M. wird der Beschluß der Rechtspflegerin des
Landgerichts Berlin vom 31. Januar 2005 dahin abgeändert, daß die dem Rechtsanwalt zu
erstattenden notwendigen Auslagen des teilweise Freigesprochenen in Höhe von 549,14 Euro
nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 8. Dezember 2004
festgesetzt werden; die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; die Gebühr und die
notwendigen Auslagen der Staatskasse werden um die Hälfte ermäßigt; die Hälfte der
notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse Berlin.
Der Beschwerdewert beträgt 971,88 Euro.
Gründe:
Der Beschwerdeführer hat aufgrund der - schon unter der Geltung des RVG verfügten Beiordnung vom 10. Juli 2004 den früheren Angeklagten verteidigt. Diesem war mit vor dem
Landgericht Berlin erhobener Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin zur Last gelegt worden, zum
einen am 9. Juli 2004 nach dem Einstieg über den Balkon in die Wohnung einer ihm bekannten
Frau diese dort sexuell genötigt und zugleich körperlich mißhandelt zu haben und zum andern
sich schon ein Jahr zuvor im Juli 2003 in ihrer Wohnung der sexuellen Nötigung zu ihrem Nachteil
schuldig gemacht zu haben. Am zweiten Verhandlungstag der am 31. August und 8. September
2004 durchgeführten Hauptverhandlung hat das Landgericht den von der Staatsanwaltschaft vor
der Anklageerhebung ausgeschiedenen Vorwurf des Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit
dem Geschehen vom 9. Juli 2004 wieder in das Verfahren einbezogen und allein deswegen den
damaligen Angeklagten zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen und
entschieden, daß insoweit seine notwendigen Auslagen der Landeskasse Berlin zur Last fallen.
Das Urteil ist rechtskräftig. Den Auslagenerstattungsanspruch hat der teilweise Freigesprochene
dem Beschwerdeführer abgetreten.
Durch den angefochtenen Beschluß hat die Rechtspflegerin des Landgerichts - mangels
182
Vorliegens einer Kostengrundentscheidung nach Bruchteilen (§ 464d StPO) - anhand der
Differenztheorie (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 465, Rdn. 8, 9) über die sich auf den
Teilfreispruch beziehenden Kosten der Verteidigung befunden, die der Beschwerdeführer als zu
erstattende Auslagen festzusetzen beantragt hat. Er wendet sich dagegen, daß sie im Ansatz der
einheitlichen Verteidigergebühr für die Verteidigung insgesamt, von der ausgehend der auf den
Freispruch entfallende, erstattungsfähige Teil der Verteidigungskosten festgestellt wird, die von
ihm zugrunde gelegten Ausgangsgebühren nach dem RVG in sämtlichen Positionen
unterschritten hat. In der Gegenüberstellung bietet sich dazu folgendes Bild (Beträge in Euro; HG
= Höchstgebühr; MG = Mittelgebühr):
Gebührenart:| Antrag:|Festgesetzt:
Grundgebühr (VV Nr. 4100, 4101)|375,00 (HG)|202,50 (MG)
Verfahrensgebühr (VV Nr. 4104, 4105)|312,50 (HG)|154,17 (MG -10%)
Verfahrensgebühr (VV Nr. 4112, 4113)|337,50 (HG)|188,75 (MG)
Haftprüfungsterminsgeb. (VV Nr. 4102, 4103)|171,25 (MG)|119,91 (MG -30%)
Hauptverhandlungsterminsgebühren (VV Nr. 4114, 4115)||
31. August 2004|470,00 (HG -20%)|328,75 (MG)
8. September 2004|587,50 (HG)|328,75 (MG)
Gesamtsumme| 2.253,75| 1.322,83
Die Unterschreitung der in dem Festsetzungsantrag zugrunde gelegten Ausgangsgebühren, die
sich insgesamt auf 930,92 Euro beläuft, führte dazu, dass sich bei der Berechnung des auf den
Freispruch entfallenden, erstattungsfähigen Teils einschließlich der Umsatzsteuer eine Minderung
um 971,88 Euro ergab.
Die nach §§ 304 Abs. 3, 311 Abs. 2, 464b Satz 3 StPO, §§ 103 Abs. 2 Satz 1, 104 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 3 Satz 1 ZPO, §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RpflG zulässige sofortige Beschwerde des
Rechtsanwalts als nunmehrigen Inhabers des Kostenerstattungsanspruchs des teilweise
Freigesprochenen hat zum Teil Erfolg. Im übrigen ist sie unbegründet.
1. Hinsichtlich der beiden Verfahrensgebühren (Tätigkeit bis Eingang der Anklageschrift VV Nr.
4104, 4105; Tätigkeit im ersten Rechtszug vor der Strafkammer VV Nr. 4112, 4113) und der
Terminsgebühr für die Teilnahme an dem Haftprüfungstermin am 30. Juli 2004 (VV Nr. 4102,
4103) greift die Beschwerde voll durch. Insoweit ist die Rechtspflegerin unberechtigt von dem
Gebührenansatz des beschwerdeführenden Rechtsanwalts, der Höchstgebühr bei den
Verfahrensgebühren und der Mittelgebühr bei der Terminsgebühr für die Teilnahme an dem
Haftprüfungstermin, abgewichen. Der Gebührenansatz in dem Festsetzungsantrag ist insoweit
verbindlich.
Bei Rahmengebühren - wie hier gemäß § 14 RVG in Rede stehend - obliegt die Bestimmung der
Gebühren nämlich im Einzelfall dem Rechtsanwalt. Er hat sie unter Berücksichtigung der in § 14
Abs. 1 Satz 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu treffen. Ist diese Gebühr von
einem Dritten zu erstatten - so wie hier teilweise von der Staatskasse - ist die von dem
Rechtsanwalt getroffene Bestimmung allerdings nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG dann nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist. Das ist - in Fortführung der ständigen Rechtsprechung der
Strafsenate des Kammergerichts zu der inhaltsgleichen Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO der Fall, wenn sie um 20% oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung
aller in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt. Diese Gestaltung liegt
hinsichtlich der Verfahrensgebühren und der Gebühr für den Haftprüfungstermin nicht vor.
Die in Rede stehenden Gebühren sind in dem Festsetzungsantrag - die Verfahrensgebühren mit
dem Höchstsatz und die Haftprüfungsterminsgebühr mit dem Mittelwert - zwar zu hoch angesetzt
worden. Doch erreicht die Überschreitung noch nicht die Grenze zur Unbilligkeit, was dem
Gebührenansatz die Verbindlichkeit beläßt.
Bei der Feststellung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG ist - ebenso wie früher im
Rahmen des § 12 Abs. 1 BRAGO - eine Abwägung aller Umstände, d. h. der
gebührenerhöhenden und -mindernden vorzunehmen. Dabei ist jeweils von der Mittelgebühr
auszugehen.
Was die Verfahrensgebühren angeht, ist hier ein weit die Mittelgebühr überschreitender Ansatz in
einer bei 10 bis 15% unter der Höchstgebühr liegenden Größenordnung gerechtfertigt. Denn die
183
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ragte durch einen besonderen Umstand, nämlich die
hochgradige Schwerhörigkeit des Freigesprochenen weit über das Mittelmaß hinaus. Gerade in
dem vorbereitenden, auf die Hauptverhandlung zuführenden Stadium, das die
Verfahrensgebühren abdecken, ist die Kommunikation des Verteidigers mit seinem Mandanten
zur Erarbeitung der optimalen Verteidigungsstrategie von grundlegender Bedeutung. Die
Verständigungsprobleme durch hochgradige Schwerhörigkeit des Mandanten erschweren die
Entwicklung des Verteidigungskonzepts, bei der es ganz wesentlich auf mündlichen Austausch
ankommt, in beträchtlichem Maße.
Das tatsächliche Vorliegen der schwerhörigkeitsbedingten Verständigungsschwierigkeiten in den
in Rede stehenden Verfahrensabschnitten ist durch Hinweise im dem Urteil des Landgerichts vom
8. September 2004 gesichert. Dort heißt es unter den Feststellungen zur Person (LG UA S. 3): "In
dem Zeitraum 1996/1997 erlitt der Angeklagte einen Hörsturz. Er ist seitdem stark schwerhörig;
ohne Hörgerät, über das er in den letzten Monaten nicht verfügte, ist eine Verständigung mit ihm
nur unter großen Schwierigkeiten möglich." Ferner verlautet im Rahmen der Beweiswürdigung
(LG UA S. 18): "Hierbei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass sich aufgrund der starken
Hörbehinderung des Angeklagten, die in der Hauptverhandlung die Verwendung eines speziellen
Hörgerätes für ihn und die Benutzung eines Mikrofons erforderlich machte, weil eine
Verständigung anders mit ihm kaum möglich gewesen wäre, nicht feststellen lässt, dass er beim
Klopfen an der Wohnungstür die Worte der Polizeibeamten und bei dem ersten Teil seiner Flucht
ihre Rufe "Halt, stehenbleiben, Polizei", hörte."
Was die Gebühr für die Teilnahme an dem Haftprüfungstermin angeht, ist, wenn auch die in dem
Festsetzungsantrag angesetzte Mittelgebühr zu hoch gegriffen ist, doch ein Ansatz in der
Größenordnung von 10 bis 15% unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt. Dass die Gebühr für
Terminsteilnahme außerhalb der Hauptverhandlung im vorbereitenden Verfahren und in jedem
Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur einmal entsteht, besagt aus der
Sicht des Senats nicht generell, dass in Fällen mit nur einem einzigen Haftprüfungstermin, wie
dem vorliegenden, wegen des Zurückbleibens hinter der Dreimaligkeit nur eine entsprechend weit
unterhalb des Mittelwerts liegende Gebühr gerechtfertigt ist, wenn der eine Termin nur
durchschnittliches Format hatte (dahin tendierend aber Schneider in Gebauer/Schneider, RVG 2.
Aufl., S. 1438 Rdn. 11). Der Senat sieht das Gewicht der Bestimmung mehr bei ihrer
gesetzgeberisch gewollten Funktion liegen, zu verhindern, dass Termine nur aus
Gebühreninteresse des Rechtsanwalts herbeigeführt werden (vgl. Burhoff, RVG, C. Kommentar,
Nr. 4102 VV Rdn. 43). Bei der Bemessung der Höhe der Gebühr sind demnach die
Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die sich aus der Terminsdauer
ergebende zeitliche Beanspruchung, wobei nicht ausgeschlossen ist, unter Umständen auch bei
nur einem Termin von durchschnittlicher Aufwändigkeit die Mittelgebühr für gerechtfertigt zu
erachten (vgl. Burhoff, Nr. 4102 VV Rdn. 49, 51).
Hier ist die Dauer, die in dem Protokoll nicht ausgewiesen ist, als eher unterdurchschnittlich zu
veranschlagen, zumal der Haftprüfungsantrag in dem Termin zurückgenommen worden ist.
Hinsichtlich der Schwerhörigkeit ist anzunehmen, dass ihr mit den technischen Möglichkeiten im
Sitzungssaal zufriedenstellend begegnet werden konnte, zumal es sich ausweislich der
Terminsbestimmung und der Ladungen um den Saal handelte, in dem später auch die
Hauptverhandlung durchgeführt wurde. Alles zusammengenommen rechtfertigt einen Ansatz um
10 bis 15 % unter dem Mittelwert.
Wegen der Überschreitung der angemessenen Gebührenwerte nur in einer Größenordnung
unterhalb der rechnerischen Schwelle zur Unbilligkeit sind die Verfahrensgebühren und die
Haftprüfungsterminsgebühr in voller Höhe wie in dem Antrag angesetzt der Berechnung des zu
erstattenden Gebührenanteils zugrunde zu legen.
2. Hinsichtlich der Terminsgebühr für den zweiten Hauptverhandlungstag am 8. September 2004
greift die Beschwerde nur teilweise durch. Diese Gebühr ist mit der Höchstgebühr, die mit dem
Festsetzungsantrag geltend gemacht ist, in einem die Grenze zur Unbilligkeit überschreitenden
Umfang überhöht, sie ist jedoch nicht so niedrig festzusetzen wie in dem angefochtenen Beschluß
mit der Festlegung auf den Mittelwert geschehen. Sie ist mit einem Betrag in Höhe der
Mittelgebühr zuzüglich 20% angemessen bestimmt.
Die angefochtene Bewertung wird dem Ausmaß der zeitlichen Beanspruchung des Verteidigers
nicht ausreichend gerecht. Angesichts der Terminsdauer von 6 Stunden und 26 Minuten ist sie als
184
überdurchschnittlich und die Überschreitung der Mittelgebühr um den vorgenannten Aufschlag
rechtfertigend anzusehen. Wenn auch beim Wahlverteidiger anders als beim Pflichtverteidiger
Längenzuschläge (VV Nr. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123, 4128, 4129, 4134, 4135) nicht
vorgesehen sind, so geben doch die Zeitstufen, die bezüglich des Pflichtverteidigers festgelegt
sind, Hilfestellung für die Einordnung im Gebührenrahmen nach der Vorstellung des
Gesetzgebers (vgl. Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 59). Hier von Belang ist VV Nr. 4116, wonach
der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt, wenn er mehr als 5 und bis 8 Stunden
an der Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor der Strafkammer teilnimmt, eine Zusatzgebühr
erhält. Das spricht dafür, auch beim Wahlverteidiger in einer 5 Stunden überschreitenden
Terminsteilnahme eine überdurchschnittliche Inanspruchnahme zu erblicken, die sich in der Höhe
des Gebührenansatzes niederschlägt (vgl. Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 61).
Dass die Hauptverhandlung an dem betreffenden Tage von 12 Uhr 54 bis 15 Uhr 44 unterbrochen
war, vermag im vorliegenden Falle nichts an der Bewertung zu ändern. Der Rechtsanwalt war
gleichwohl durch die Sache in Anspruch genommen und der Wahrnehmung seiner übrigen
Geschäfte entzogen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es sich um eine schon vorab zu
erwartende und in ihrer Länge von vornherein absehbare Pause gehandelt hat, auf die sich der
Rechtsanwalt im Voraus hätte einstellen und die er für anderweitige berufliche Aufgaben hätte
nutzen können. Der in VV Teil 4 Vorbemerkung 4 Absatz 3 Satz 2 festgelegte Fall des Anfallens
einer Vergütung, ohne daß es zur Entfaltung der eigentlichen Tätigkeit gekommen ist, nämlich in
der Situation, dass der Anwalt zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen,
die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, wovon er auch nicht in Kenntnis gesetzt worden war,
spricht dafür, dass es gesetzeskonform ist, auch Pausen, die nicht sinnvoll anderweitig nutzbar
sind, nicht zum gebührenrechtlichen Nachteil gereichen zu lassen (zur Behandlung von Pausen
vgl. auch Burhoff, Vorbemerkung 4 Rdn. 63; Riedel/Sußbauer/Schmahl, RVG 9. Aufl., VV Teil 4
Abschnitt 1 Rdn. 64).
3. Erfolglos bleibt die Beschwerde, soweit sie sich gegen den Ansatz der Grundgebühr und den
der Terminsgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag am 31. August 2004 richtet.
Der Ansatz des Höchstsatzes für die Grundgebühr durch den Beschwerdeführer ist unverbindlich,
weil die Grenze zur Unbilligkeit deutlich überschreitend. Die erstmalige Einarbeitung in den
Rechtsfall ist hier mit der Mittelgebühr angemessen vergütet. Mochte auch die Bedeutung der
Sache für den Beschuldigten von überaus hohem Gewicht sein, ist doch, wie schon von der
Rechtspflegerin des Landgerichts zutreffend herausgestellt, wesentlich, dass die Sache nach
Umfang und rechtlichem Schwierigkeitsgrad nichts Herausragendes an sich hatte. Der
Aktenumfang war gering - bei Einsichtnahme durch den Verteidiger am 16. Juli 2004 ein Band von
70 Blatt -, das zugrundeliegende Geschehen und die Beweismittel waren überschaubar und der
rechtliche Schwierigkeitsgrad hielt sich in Grenzen. Dafür ist nicht mehr als die festgesetzte
Mittelgebühr angemessen.
Unverbindlich, weil die Grenze zur Unbilligkeit überschreitend, ist auch der Ansatz der
Terminsgebühr für den ersten Hauptverhandlungstag durch den Beschwerdeführer. Der Termin
hatte nach seiner Dauer von 4 Stunden und 54 Minuten und seinem Schwierigkeitsgrad nichts an
sich, was ihn über das Durchschnittsübliche in einer erstinstanzlichen Strafkammersache
hinaushob. Zutreffend hat die Rechtspflegerin dementsprechend die Mittelgebühr angesetzt.
4. Aus dem Vorstehenden ergibt sich in der Zusammenschau folgende Festsetzung der Höhe des
Verteidigungsaufwands insgesamt:
Grundgebühr (VV Nr. 4100, 4101)|202,50 (MG)
Verfahrensgebühr (VV Nr. 4104, 4105)|312,50 (HG)
Verfahrensgebühr (VV Nr. 4112, 4113)|337,50 (HG)
Haftprüfungsterminsgeb. (VV Nr. 4102, 4103)|171,25 (MG)
Hauptverhandlungsterminsgebühren (VV Nr. 4114, 4115)||
31. August 2004|328,75 (MG)
8. September 2004|394,50 (MG)
Gesamtsumme| 1.747,00
Gegenüber der angegriffenen Festsetzung des Gesamtverteidigungsaufwands mit 1.322,83 Euro
bedeutet dies eine Besserstellung um 424,17 Euro von den insgesamt mit der Beschwerde
erstrebten 930,92 Euro Heraufsetzung.
185
5. Der Berechnung des auf den freisprechenden Teil entfallenden Verteidigungsaufwands hat die
Rechtspflegerin des Landgerichts zugrunde gelegt, daß der Teilfreispruch mit einer Quote von
90% zu bewerten ist. Das führt auf der Grundlage der durch die sofortige Beschwerde erzielten
vorstehenden Festsetzung zu einem sich auf 90% von 1.747,00 Euro belaufenden Betrag, mithin
1.572,30 Euro. Darauf sind 90% der 1.221,00 Euro Pflichtverteidigergebühren, also 1.098,90
Euro, anzurechnen, die dem Verteidiger bereits zugeflossen sind. Danach verbleibt ein offener
Betrag von 473,40 Euro zu Gunsten des beschwerdeführenden Rechtsanwalts. Diese Summe
erhöht sich um die darauf entfallende anteilige 16%ige Umsatzsteuer auf 549,14 Euro als den als
erstattungsfähig festzusetzenden Endbetrag.
Die Verzinsung ab dem Tag der Anbringung des Festsetzungsantrags ergibt sich aus § 464b Satz
3 StPO in Verbindung mit § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der Senat, der, weil im Kostenfestsetzungsverfahren kein Verbot der Schlechterstellung gilt (vgl.
Meyer-Goßner, § 464b StPO Rdn. 8), die von der Rechtspflegerin vorgenommene Bemessung
der auf den Teilfreispruch entfallenden Quote des Verteidigungsaufwands mit 90% auch auf
etwaige Überhöhung zu überprüfen hatte, konnte dem Landgericht in dem Ansatz folgen. Die
Kostengrundentscheidung trägt ihn.
Das Landgericht hat den Angeklagten erkennbar sowohl von dem Vorwurf der auf 2003 datierten
Sexualstraftat als auch von demjenigen betreffend die Sexualstraftat von 2004 freigesprochen.
Das umfaßt das weitaus überwiegende Schwergewicht der Vorwürfe und ist mit 90% angemessen
bewertet. Die Quote entspricht der als authentisch einzuschätzenden Interpretation durch den
Strafkammervorsitzenden, der auf Anfrage der Rechtspflegerin des Landgerichts die Aufteilung im
Verhältnis ca. 10:1 als angemessen bezeichnet hat.
Die Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs im Zusammenhang mit dem Vorfall von 2004 steht
nicht entgegen. Dass das Landgericht insoweit Tatidentität mit eben dem Geschehen zugrunde
gelegt hat, auf das sich der der Vorwurf der Sexualstraftat gründete, und insofern den
Angeklagten nicht freigesprochen, sondern ein und dieselbe Tat nur rechtlich abweichend
abgeurteilt hat, ist nicht anzunehmen. Vielmehr hat es erkennbar einen Teil der ihm durch die
Anklage zur Urteilsfindung unterbreiteten Tat im prozessualen Sinne (vgl. Meyer-Goßner, § 264
StPO Rdn. 1ff.), der als Hausfriedensbruch zu dem Vorwurf des Sexualdelikts als in Tatmehrheit
(§ 53 StGB) stehend einzustufen ist und insoweit daneben Raum für den Freispruch von dem
Vorwurf des Sexualdelikts ließ, in das Verfahren wieder einbezogen. Dass die Staatsanwaltschaft
von Tateinheit ausgegangen ist, was sich daran ablesen läßt, dass sie den Hausfriedensbruch in
der Anklagebegleitverfügung unter Bezugnahme auf § 154a Abs. 1 StPO ausgeschieden hat, fällt
nicht ins Gewicht. Das Verhältnis der während eines Hausfriedensbruchs begangenen weiteren
Straftaten, so auch von Sexualdelikten, zu dem Hausfriedensbruch ist in höchstrichterlicher
Rechtsprechung grundsätzlich als dasjenige der Tatmehrheit gesehen worden (vgl. BGHSt 18, 29,
32f.). Da hier kein ausnahmsweise die Annahme von Tateinheit rechtfertigendes Bindeglied zu
ersehen ist, drängt sich auf, dass sich das Landgericht, wenn auch nicht ausdrücklich klargestellt,
so doch faktisch auf den Boden des höchstrichterlich vertretenen Grundsatzes gestellt hat.
Die von dem Rechtsanwalt in den Festsetzungsantrag mit aufgenommenen Pauschalbeträge in
Höhe von jeweils 20,00 Euro für zum einen Entgelte für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen (VV Nr. 7002) und zum andern 40 Kopien (VV Nr. 7000)
konnten unberücksichtigt bleiben, ebenso wie schon vor dem Landgericht geschehen, ohne dass
der Beschwerdeführer dies angegriffen hat. Es hat ersichtlich in diesen Positionen, und dies auch
nachvollziehbar, Auslagen erblickt, die auch dann entstanden wären, wenn der Angeklagte von
herein nur wegen der Straftat angeklagt worden wäre, wegen der er letztlich auch verurteilt
worden ist.
6. Nach alldem konnte die sofortige Beschwerde nur teilweise zum Erfolg führen. Es liegt eine
Beschwerde mit dem Ergebnis eines verhältnismäßig dicht an 50% heranreichenden Teilerfolgs
vor.
Erwirkt hat der Beschwerdeführer die Heraufsetzung des Erstattungsbetrags um 442,83 Euro
(90% des Differenzbetrages, um den der Senat den Gesamtverteidigungsaufwand höher
bemessen hat als das Landgericht, zuzüglich 16% Umsatzsteuer). Erstrebt hatte er
demgegenüber die Heraufsetzung des Erstattungsbetrags um 971,88 Euro (90% des
186
Differenzbetrags von 930,92 Euro, um den das Landgericht seinen Ansatz des
Gesamtverteidigungsaufwands gekürzt hat, zuzüglich 16% Umsatzsteuer).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1 Satz 1 und Abs. 4 StPO.
Der Beschwerdewert entspricht der als erstattungsfähig geltend gemachten Gebührensumme,
deren zusätzliche Festsetzung der Beschwerdeführer begehrt hat, zuzüglich der zugehörigen
Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer).
BVerwG 6. Senat Urteil vom 17. August 2005 6 C 13/04
Gebührenbestimmung eines Rechtsanwalts bei Rahmengebühren; begrenzter
Ermessensspielraum; Rechtfertigung für eine Bestimmung des Höchstsatzes;
Spezialisierung auf bestimmte Rechtsgebiete; Gutachteneinholungspflicht im
Rechtsstreit
1. Die Vorschrift des § 12 Abs 2 Satz 1 BRAGebO über die Verpflichtung des Gerichts zur
Einholung eines Gutachtens des Verstosses betrifft nicht den Fall eines Rechtsstreits zwischen
dem Auftraggeber des Rechtsanwalts und einem Dritten, der zur Erstattung von
Verfahrenskosten verpflichtet ist.
2. Durch die Maßgeblichkeit des Mittelwerts im Normalfall wird der Ermessensspielraum des
Rechtsanwalts nach § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGebO (§ 14 Abs 1 Satz 1 RVG) im Interesse einer
sachgerechten und gleichmäßigen Ermessensausübung begrenzt. Ein Spielraum des
Rechtsanwalts zur Bestimmung einer höheren Gebühr besteht folglich nur dann, wenn
besondere Umstände vorliegen, die geeignet sind, eine solche Gebührenbestimmung zu
rechtfertigen.
3. Durch die Verwendung des Begriffes "im Einzelfall" in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGebO ist
hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass die in der Vorschrift beispielhaft aufgeführten
Umstände nur hinsichtlich des jeweiligen Falles Bedeutung gewinnen sollen, nicht aber davon
losgelöst und allgemein der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in einer
bestimmten Art von Verfahren Anlass für eine Bestimmung etwa des Höchstsatzes der
Gebühr sein können. Demgemäß ist das Tätigwerden des Rechtsanwalts in einer bestimmten
Sachmaterie für sich gesehen auch, wenn die kompetente Interessenwahrnehmung durch den
Rechtsanwalt das Vorhandensein spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzt, nicht
geeignet, eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne von §
12 Abs 1 Satz 1 BRAGebO (§ 14 Abs 1 Satz 1 RVG) zu begründen, es sei denn, es handele
sich um eine Tätigkeit auf entlegenen Spezialgebieten.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2002 stellte das Kreiswehrersatzamt Wiesbaden als Ergebnis
einer Überprüfungsuntersuchung die Wehrdienstfähigkeit des Klägers in Form der
Verwendungsfähigkeit mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten fest. Nachdem der
Kläger dagegen am 5. Februar 2002 Widerspruch erhoben hatte, legte sein
Prozessbevollmächtigter dem Kreiswehrersatzamt verschiedene ärztliche Atteste vor. Auf den
mit Schreiben vom 25. März 2002 eingereichten Facharztbefund half das Kreiswehrersatzamt
dem Widerspruch mit Bescheid vom 29. April 2002 ab und bestimmte, dass dem Kläger die
187
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen auf Antrag erstattet
würden und die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig gewesen sei.
Mit Antrag vom 14. Mai 2002 bat der Kläger um Festsetzung und Erstattung von
Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 295,22 EUR, wobei er als Geschäftsgebühr nach
§ 118 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) eine 9/10Gebühr ansetzte. Mit Bescheid vom 3. Juli 2002 setzte das Kreiswehrersatzamt unter
Zugrundelegung einer 7,5/10-Gebühr die zu erstattenden Kosten auf 252,59 EUR fest. Zur
Begründung führte es aus, die Geschäftsgebühr sei auf eine 7,5/10-Gebühr zu reduzieren, da
es sich bei dem durchgeführten Widerspruchsverfahren um eine Angelegenheit von
durchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeit sowie durchschnittlichem Umfang handele
und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers dem Durchschnitt
entsprächen. Jede Überschreitung der Mittelgebühr bedürfe einer besonderen Begründung.
Umstände, die ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen könnten, seien nicht
erkennbar.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger Klage erhoben. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. Januar 2004 abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Klagebegehren sei gemäß § 88 VwGO
dahingehend auszulegen, dass der Kläger beantrage, die Beklagte unter entsprechender
Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, weitere 42,63 EUR als zu
erstattende Aufwendungen festzusetzen. Die so verstandene Klage sei unbegründet. Der
geltend gemachte Anspruch stehe dem Kläger nicht zu. Es sei kein tragfähiger Grund für die
Annahme erkennbar, bei dem vom Kläger geführten Widerspruchsverfahren handele es sich
seiner Bedeutung, seinem Umfang und seiner Schwierigkeit nach um einen
überdurchschnittlich gelagerten Fall, der deshalb eine Überschreitung der Mittelgebühr
rechtfertige. Typischerweise seien Tauglichkeitsfeststellungsverfahren nicht einmal von
solcher Schwierigkeit, dass stets die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig wäre. Ein
außerordentlicher Arbeitsaufwand oder eine ganz besondere Bedeutsamkeit der
Angelegenheit seien vom Kläger im Verwaltungsverfahren nicht substantiiert und im
gerichtlichen Verfahren überhaupt nicht mehr vorgetragen worden. Auch aus den Akten lasse
sich dafür nichts entnehmen. Es handele sich vielmehr um einen Fall, der in jeder Hinsicht
durchschnittlich gelagert sei.
Die Auffassung, eine Gebühr im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO sei nicht unbillig,
wenn sie die als angemessen angesehene Mittelgebühr um nicht mehr als 20 % überschreite,
erscheine unzutreffend. Es sei kein tragfähiger Grund erkennbar, weshalb die Grenze des
"billigen Ermessens" im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO enger definiert werden müsste
als die durch den Begriff der "Unbilligkeit" im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO
gezogene Grenze. In Entsprechung zu § 315 Abs. 3 BGB dürfte die Vorschrift des § 12 Abs. 1
Satz 2 BRAGO vielmehr so zu verstehen sein, dass sie den unterlegenen Prozessgegner vor
den objektiv untragbaren Konsequenzen schütze, die sich aus dem
Leistungsbestimmungsrecht des Rechtsanwalts gegenüber seinem Auftraggeber im Einzelfall
ergeben könnten. Der Begriff der Unbilligkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO stelle
eine Begrenzung des Gebührenbestimmungsrechts des Anwaltes dar.
Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision führt der Kläger im Wesentlichen aus,
das Verwaltungsgericht habe entgegen § 12 Abs. 2 BRAGO kein Gutachten des Vorstandes
der Rechtsanwaltskammer eingeholt. Damit liege ein Verfahrensfehler vor. In der Sache sei
zu berücksichtigen, dass das sowohl nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte als
auch nach dem neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestehende grundsätzliche
188
Gebührenbestimmungsrecht des Rechtsanwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden dürfe, dass
eine Gebührenbemessung schon als unbillig korrigiert werde, wenn sie lediglich "gut
bemessen" sei. Im Allgemeinen werde als Toleranzgrenze eine Abweichung von bis zu 20 %
als noch recht und billig angesehen. Der Gesetzgeber habe bei der Rahmengebühr durchaus
vorgesehen, dem Rechtsanwalt auch in so genannten durchschnittlichen Fällen einen gewissen
Spielraum zu geben. Nur wenn dieser überschritten sei, könnten sich Mandant oder Dritter
gegen die Gebührenbestimmung wehren.
Auf den reinen Zeitaufwand im konkreten Fall komme es nicht an. Zu berücksichtigen sei,
dass ein spezialisierter Anwalt auf eine oft jahrelange Erfahrung zurückblicken könne, die
auch auf den Besuch von Seminaren sowie der Auswertung von Fachliteratur und
Rechtsprechung beruhe. Dies erfordere einen immensen Zeitaufwand, der bei der
Fallbearbeitung helfe, dann aber auch bei der Gebührenbemessung seinen Niederschlag
finden müsse. Das Spezialwissen eines Anwaltes aus einem Tätigkeitsschwerpunkt heraus sei
als möglicher gebührenerhöhender Faktor anzuerkennen. Ein Tätigkeitsschwerpunkt seines
Prozessbevollmächtigten liege seit 1991 im Wehrpflicht-, Kriegsdienstverweigerungs- und
Zivildienstrecht.
Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts könne dem Fall eine besondere Bedeutung
für den Kläger nicht abgesprochen werden. Es habe eine kurzfristige Einberufung zum
Grundwehrdienst im Raume gestanden. Das Ableisten des Wehrdienstes hätte eine erhebliche
Einschränkung der Lebensplanung dargestellt. Das Interesse, diesen Dienst nicht zu leisten,
könne daher nur als hoch angenommen werden. Der Schriftverkehr im Verwaltungsverfahren
sei sicherlich nicht außerordentlich umfangreich gewesen, beruhe aber auf einer
umfangreichen Sachverhaltsermittlung und fuße auf medizinischen Kenntnissen sowie
Kenntnissen der einschlägigen Rechtsvorschriften. Die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Klägers spielten demgegenüber keine Rolle. Kein
berücksichtigungsfähiger Maßstab seien die Einkommensverhältnisse der öffentlichen Hand.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14.
Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte unter entsprechender
Aufhebung des Kostenfestsetzungsbescheides des
Kreiswehrersatzamtes Wiesbaden vom 3. Juli 2002 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides der Wehrbereichsverwaltung West Außenstelle Wiesbaden - vom 16. Oktober 2002 zu verpflichten,
weitere 42,63 EUR als zu erstattende Aufwendungen festzusetzen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor: § 12 Abs. 2 BRAGO erstrecke sich ebenso wie § 14 Abs. 2
RVG nur auf den Rechtsstreit mit dem Auftraggeber. Das Verwaltungsgericht habe daher kein
Gutachten der Rechtsanwaltskammer einholen müssen. Im Übrigen habe sich ihm keine
Sachverhaltsaufklärung aufdrängen müssen, die sich auch dem anwaltlich vertretenen Kläger
nicht aufgedrängt habe. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 18.
September 2001 (BVerwG 1 WB 28.01) ausgeführt habe, sei für eine generelle
Toleranzgrenze kein Raum. Selbst wenn man eine solche aber anerkennen würde, fehle es
jedenfalls an einer Gebührenbestimmung, die auf Grund der Umstände des Einzelfalles am
Maßstab der in § 12 Abs. 1 BRAGO genannten Kriterien getroffen worden sei.
II.
189
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist
zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Die Verfahrensrügen des Klägers bleiben ohne Erfolg.
a) Entgegen der Annahme des Klägers war das Verwaltungsgericht nicht gemäß § 12 Abs. 2
Satz 1 BRAGO (hier anwendbar i.d.F. des Gesetzes vom 24. Juni 1994, BGBl I S. 1325) zur
Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer verpflichtet. Nach
dieser Vorschrift hat das Gericht "im Rechtsstreit" ein Gutachten des Vorstandes der
Rechtsanwaltskammer einzuholen (ebenso nunmehr § 14 Abs. 2 Satz 1 des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vorn 5. Mai 2004, BGBl I S. 718, - RVG -, das mit
Wirkung vom 1. Juli 2004 die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung abgelöst hat).
Mit dem in § 12 Abs. 2 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 2 Satz 1 RVG) verwendeten Begriff des
Rechtsstreits ist, wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluss vom 11. September 1981 BVerwG 6 CB 110.80 - JurBüro 1982 857), lediglich der Gebührenprozess zwischen dem
Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber gemeint; die Vorschrift betrifft also nicht den - hier
vorliegenden - Fall eines Rechtsstreits zwischen dem Auftraggeber des Rechtsanwalts und
einem Dritten, der zur Erstattung von Verfahrenskosten verpflichtet ist. Das ergibt sich aus
der systematischen Stellung dieser Vorschrift im Gesetz. Sie ist Teil des § 12 BRAGO (§ 14
RVG) über "Rahmengebühren", der sich - ebenso wie das gesamte Gesetz - auf das
Vergütungsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber bezieht. Nur
dieses Verhältnis ist demnach auch in § 12 Abs. 2 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 2 Satz -1 RVG)
angesprochen, und zwar in der Weise, dass das (Zivil-)Gericht im Falle eines Rechtsstreits
zwischen dem Rechtsanwalt und dem Auftraggeber über die Billigkeit der vom Rechtsanwalt
bestimmten Gebühr (§ 315 Abs. 3 BGB) angewiesen wird, sich bei seiner Entscheidung die
Erfahrungen der zuständigen Rechtsanwaltskammer zunutze zumachen. Für den Fall eines
Rechtsstreits zwischen dem Auftraggeber und einem zur Kostenerstattung verpflichteten
Dritten enthält die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (wie auch das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) hingegen keine derartige Anordnung; dieses
Rechtsverhältnis hat der Gesetzgeber nur ausnahmsweise insoweit in den Blick genommen,
als er in § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG) eine Gebührenbestimmung des
Rechtsanwalts, die unbillig ist, (auch) gegenüber dem erstattungsverpflichteten Dritten für
unverbindlich erklärt hat. Im Unterschied zu § 12 Abs. 2 BRAGO ist § 12 Abs. 1 Satz 2
BRAGO erst nachträglich, nämlich mit Gesetz vom 20. August 1975 (BGBl I S. 2189, 2222),
in die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung eingefügt worden. In den Materialien zu diesem
Änderungsgesetz findet sich kein Hinweis darauf, dass mit der Einfügung des § 12 Abs. 1
Satz 2 BRAGO zugleich eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 12 Abs. 2 BRAGO
verbunden sein sollte (vgl. BRDrucks 380/75 S. 13; BTDrucks 7/3243 S. 8, 76; BTDrucks
7/3498 S. 13). Ein zwingender Anlass, die in diesem Absatz zugunsten des Auftraggebers
geregelte besondere Verfahrensgarantie auf den erstattungsverpflichteten Dritten zu
erstrecken, bestand nicht. Auch vor dem Hintergrund dieser Entstehungsgeschichte entzieht
sich § 12 Abs. 2 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 2 Satz 1 RVG) einer Auslegung dahingehend,
dass mit "Rechtsstreit" nicht lediglich derjenige zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber um
die Höhe der Anwaltsvergütung bezeichnet ist (ebenso BFH, Beschluss vom 19. Oktober
2004 - VII B 1/04 - BFH/NV 2005, 561; BSG, Urteile vom 7. Dezember 1983 - 9a RVs 5/82 JurBüro 1984, 1511 <1514> und vom 18. Januar 1990 - 4 RA 40/89 - juris; vgl. ferner zur
Rechtslage nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz: Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl.
2004, § 14 RVG Rn. 28 f.; Schneider, in: Gebauer/Schneider,
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2. Aufl. 2004, § 14 Rn. 96, 99; Madert, in: Gerold/
190
Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Aufl. 2004, § 14
Rn. 112, 116, 119).
b) Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist auch nicht wegen unzureichender Aufklärung des
entscheidungserheblichen Sachverhalts zu beanstanden. Zwar mag anzunehmen sein, dass der
Kläger mit seinem Hinweis auf die unterbliebene Einholung des in § 12 Abs. 2 Satz 1
BRAGO (§ 14 Abs. 2 Satz 1 RVG) vorgesehenen Gutachtens zusätzlich zu der Verletzung
dieser Vorschrift auch einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des
Verwaltungsgerichts nach § 86 Abs. 1 VwGO rügen möchte. Doch wäre diese Rüge bereits
nicht ordnungsgemäß erhoben (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Denn dem Vorbringen des
Klägers ist nicht zu entnehmen, weshalb sich das Verwaltungsgericht zur Einholung einer
gutachtlichen Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer hätte veranlasst sehen müssen. Der
Kläger führt weder aus, warum sich das Verwaltungsgericht die für die Beurteilung der
Billigkeitsvoraussetzungen erforderliche Sachkunde nicht hat selbst zutrauen dürfen, woraus
sich also seine mangelnde Sachkunde ergeben soll, noch legt er dar, welche Erkenntnisse das
Verwaltungsgericht mit Hilfe der Rechtsanwaltskammer voraussichtlich gewonnen hätte und
inwiefern diese Erkenntnisse - auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des
Verwaltungsgerichts - zu einer anderen Entscheidung geführt hätten. Unabhängig von diesen
Darlegungsmängeln vermag der Senat in Anbetracht der Begründung des angefochtenen
Urteils eine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO auch in der Sache nicht zu erkennen (vgl.
dazu Beschluss vom 11. September 1981 - BVerwG 6 CB 110.80 - JurBüro 1982, 857).
2. Das als Verpflichtungsklage zulässige Klagebegehren (vgl. Urteil vom 18. April 1988 BVerwG 6 C 41.85 - BVerwGE 79, 226 <236>) ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf Festsetzung einer Geschäftsgebühr für die Tätigkeit seines
Prozessbevollmächtigten nach einem Gebührensatz von 9/10.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwVfG hat im Falle eines erfolgreichen Widerspruchs der Rechtsträger,
dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dazu
gehören nach § 80 Abs. 2 VwVfG auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts,
wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Diese Notwendigkeit ist hier
vom Kreiswehrersatzamt im Abhilfebescheid vom 29. April 2002 zusammen mit der
Kostenentscheidung zugunsten des Klägers bejaht worden. Für die Höhe der zu erstattenden
Rechtsanwaltsgebühr war § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO maßgebend. Danach stand dem
Rechtsanwalt für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, des Einreichens,
Fertigens oder Unterzeichnens von Schriftsätzen oder Schreiben oder das Entwerfen von
Urkunden eine Geschäftsgebühr in Höhe von 5/10 bis 10/10 der vollen Gebühr zu. Gemäß §
12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) hat der Rechtsanwalt selbst im
jeweiligen Einzelfall den Gebührenbetrag innerhalb des vorgegebenen Rahmens unter
Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des
Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und
Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die
Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (§ 14 Abs. 1
Satz 4 RVG) für einen zur Erstattung der Kosten verpflichteten Dritten dann nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Hier hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nach dem Inhalt des
Kostenfestsetzungsantrags vom 14. Mai 2002 für seine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren
eine Geschäftsgebühr in Höhe von 9/10 der vollen Gebühr verlangt. Da diese
Gebührenbestimmung unbillig war, war die Beklagte gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO an
191
sie nicht gebunden. Stattdessen hat sie dem Kläger in ihrem Bescheid vom 3. Juli 2002 zu
Recht nur die Erstattung einer so genannten Mittelgebühr in Höhe von 7,5/10 der vollen
Gebühr zugebilligt.
a) Die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr ist in § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
(§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) grundsätzlich dem billigen Ermessen des Rechtsanwalts überlassen.
Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass über die Bestimmung dessen, was (noch) als billig
oder (schon) als unbillig zu gelten hat, leicht Streit entstehen kann. Solchen Streit will der
Gesetzgeber möglichst vermeiden, indem er dem Rechtsanwalt in § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
(§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt hat, das
mit der Pflicht zur Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der
Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, verbunden ist (vgl.
BTDrucks 7/3243 S. 8, 76). § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) ist
demnach als eine am Maßstab der Billigkeit orientierte und durch bestimmte Vorgaben
eingeschränkte Ermessensvorschrift zugunsten des Rechtsanwalts zu verstehen. Aus diesem
Grund hat der Senat in seiner Rechtsprechung zu § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO seit jeher einen sowohl vom erstattungsverpflichteten Dritten als auch vom Gericht zu achtenden - "gewissen
Spielraum" des Rechtsanwalts anerkannt (vgl. Urteil vom 8. Mai 1981 - BVerwG 6 C 153.80
- BVerwGE 62, 196 <201>; Urteil vom 18. Oktober 1982 - BVerwG 6 C 109.81 - juris;
Beschluss vom 16. August 1983 - BVerwG 6 B 22.83 - juris; Urteil vom 7. Juni 1985 BVerwG 6 C 63.83 - JurBüro 1985, 1814; Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 6 B
43.97 - Buchholz 362 § 12 BRAGO Nr. 2). Diesen Spielraum hat er zuletzt in seinem
Beschluss vom 1. September 1997 (a.a.O.) dahin quantifiziert, dass der Rechtsanwalt
berechtigt sei, eine Gebühr zu erheben, die bis zu 20 % (einschließlich) über der vom Gericht
objektiv für angemessen gehaltenen Gebühr liege.
b) Der Kläger macht mit der Klage ausgehend von einer Mittelgebühr in Höhe von 7,5/10
eine Gebühr in Höhe von 9/10 der vollen Gebühr geltend und meint, die Erhöhung des
Gebührensatzes von 7,5/10 auf 9/10 sei schon deswegen gerechtfertigt, weil sie durch den
vom Senat anerkannten Ermessensspielraum seines Prozessbevollmächtigten gedeckt sei. Das
trifft nicht zu.
aa) Zu Recht geht der Kläger bei der Beurteilung der Gebührenbestimmung seines
Prozessbevollmächtigten von einem mittleren Gebührensatz von 7,5/10 aus. Mit diesem
Gebührensatz ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach einhelliger Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur immer dann angemessen bewertet, wenn sie sich unter den in §
12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) genannten Gesichtspunkten nicht nach
oben oder unten vom Durchschnitt abhebt; auch der Senat hat in ständiger Rechtsprechung,
erstmals im Urteil vom 8. Mai 1981 (a.a.O. S. 200), die Maßgeblichkeit des Mittelwerts im
Normalfall hervorgehoben. Mit dem Kriterium "Durchschnittsfall' und der daran
anknüpfenden Orientierung an einem Mittelwert wird ein fester Anhalt für die
Ermessensausübung gewonnen und dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG
Rechnung getragen, gleich liegende Fälle gleich sowie unterschiedliche Fälle entsprechend
ihren Unterschieden ungleich zu behandeln. Zugleich dient dieses Kriterium der zutreffenden
Einordnung der Fälle innerhalb der durch den Gebührenrahmen vorgegebenen
Bewertungsskala.
bb) Im Gegensatz zu der Rechtsauffassung des Klägers lässt sich der Mittelwert aber nicht in
der Weise mit dem Ermessensspielraum des Rechtsanwalts nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
(§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) verbinden, dass der Rechtsanwalt für berechtigt gehalten wird,
192
diesen Wert ohne weitere Begründung um 20 % zu erhöhen. Denn durch die Maßgeblichkeit
des Mittelwerts im Normalfall wird - wie soeben dargelegt - der Ermessensspielraum des
Rechtsanwalts nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) im Interesse einer
sachgerechten und gleichmäßigen Ermessensausübung begrenzt. Wäre es dem Rechtsanwalt
gestattet, bei der Gebührenbestimmung auch in durchschnittlichen Fällen immer um bis zu 20
% über den mittleren Gebührensatz hinauszugehen, so würde dieser Gebührensatz in der
Rechtspraxis weitgehend durch eine Gebühr in der Nähe der vollen Gebühr abgelöst werden.
Dadurch würde der zur Verfügung stehende Gebührenrahmen nach oben verzerrt und der
Zweck des Mittelwerts, in einem Großteil der Fälle deren zutreffende Einordnung innerhalb
dieses Rahmens zu ermöglichen, vereitelt werden.
Hiernach muss der mittlere Gebührensatz in den ihm zugeordneten durchschnittlichen Fällen
als ein fester, vom Rechtsanwalt nicht zu überschreitender Wert verstanden werden.
Unterscheidet sich die zu beurteilende Tätigkeit des Rechtsanwalts unter den maßgeblichen
Gesichtspunkten nicht vom Normalfall, so ist allein die Bestimmung der Mittelgebühr billig,
die Bestimmung einer höheren Gebühr hingegen unbillig und darum für den
erstattungsverpflichteten Dritten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 4
RVG) nicht verbindlich. Ein Spielraum des Rechtsanwalts zur Bestimmung einer höheren
Gebühr besteht folglich nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die geeignet sind,
eine solche Gebührenbestimmung zu rechtfertigen. Anderenfalls hat es mit der Mittelgebühr
sein Bewenden, weil auch in Anbetracht des grundsätzlichen Ermessensspielraums des
Rechtsanwalts seine Tätigkeit nur mit dieser Gebühr zutreffend bewertet ist (ebenso BVerwG,
Beschluss vom 18. September 2001 - BVerwG 1 WB 28.01 - Buchholz 311 § 20 WBO Nr. 2
= NVwZ-RR 2002, 73; BSG, Urteile vom 7. Dezember 1983 - 9a RVs 5/82 - JurBüro 1984,
1511 <1514> und vom 26. Februar 1992 - 9a RVs 3/90 - Rechtsbeistand 1994, 31 <32>; OLG
Celle, Beschluss vom 31. August 2001 - 15 WF 170/01 - Anwaltsgebühren spezial 2001, 268;
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2001 - 4 WF 138/01 - MDR 2002, 666; vgl.
auch BFH, Beschluss vom 19. Oktober 2004 - VII B 1/04 - BFH/NV 2005, 561).
Im Einklang damit hat der Senat in seinem Beschluss vom 16. August 1983 - BVerwG 6 B
22.83 - (juris) und in seinem Urteil vom 7. Juni 1986 - BVerwG 6 C 63.83 - (a.a.O. S. 1813)
unter Hinweis auf sein Urteil vom 8. Mai 1981 - BVerwG 6 C 153.81 - (BVerwGE 62, 196)
klargestellt, dass die Überschreitung des Mittelwerts der näheren Begründung anhand der
besonderen Umstände des Einzelfalls bedürfe und dass darum die vom Rechtsanwalt
angesetzte Gebühr auch dann schon unbillig hoch sein könne, wenn sie die Mittelgebühr um
weniger als 20 % übersteige. Auch in seinem Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 6
B 43.97 - (a.a.O.) hat er an der Notwendigkeit festgehalten, eine den Mittelwert
überschreitende Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts durch besondere Umstände zu
rechtfertigen. Soweit in dem zuletzt genannten Beschluss zugleich davon die Rede ist, bei
einer Überschreitung des Mittelwerts um (genau) 20 % sei die Annahme einer Unbilligkeit
gerade noch ausgeschlossen, darf dies nicht dahin verstanden werden, dass eine solche
Überschreitung ohne die Feststellung besonderer Rechtfertigungsgründe zulässig ist. Ob der
dem Rechtsanwalt eröffnete Ermessensspielraum mit der vom Senat angenommenen 20%Grenze zutreffend umschrieben ist (zweifelnd BSG, Urteile vom 7. Dezember 1983 a.a.O. und
vom 22. März 1984 - 11 RA 58/83 - SozR 1300 § 63 Nr. 4; OLG Celle, Beschluss vom 31.
August 2001 a.a.O.), bedarf aus Anlass des vorliegenden Rechtsstreits keiner Überprüfung.
Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers war, wie sich aus den vorangehenden und den
nachfolgenden Ausführungen ergibt, bei seiner Gebührenbestimmung an den Mittelwert
gebunden, verfügte also über keine Gestaltungsmöglichkeiten.
193
c) Da mithin in den durchschnittlichen Fällen allein der Ansatz der Mittelgebühr der Billigkeit
entspricht, hätte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers nur bei Vorliegen besonderer
Umstände für die Erhöhung des Gebührensatzes von 7,5/10 auf 9/10 entscheiden dürfen.
Solche Umstände waren nach dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt und
dem Vorbringen des Klägers nicht gegeben.
aa) Der Kläger rechtfertigt den umstrittenen erhöhten Gebührensatz auch damit, dass sein
Prozessbevollmächtigter in langjähriger Praxis vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen im
Wehrpflicht-, Kriegsdienstverweigerungs- und Zivildienstrecht gesammelt und sich auf diese
Rechtsgebiete spezialisiert habe; das müsse in der Gebührenbemessung seinen Niederschlag
finden. Mit diesem Vorbringen macht der Kläger sinngemäß eine besondere Schwierigkeit der
Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten auf den genannten Gebieten geltend. Der Senat hat
jedoch bereits in seinem Urteil vom 8. Mai 1981 - BVerwG 6 C 153.80 - (BVerwGE 62, 196
<198 f.>) darauf hingewiesen, dass § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG)
eine solche generalisierende Betrachtungsweise nicht zulässt. Wie sich aus dem dort
verwendeten Begriff "im Einzelfall" ergibt, kann die Erhöhung des Gebührensatzes nicht
schon dann gerechtfertigt werden, wenn die dafür angeführten Umstände nur allgemeiner
Natur, also nicht auf den jeweiligen Fall bezogen sind. Durch die Verwendung dieses
Begriffes ist hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass die in der Vorschrift beispielhaft
aufgeführten Umstände nur hinsichtlich des jeweiligen Falles Bedeutung gewinnen sollen,
nicht aber davon losgelöst und allgemein der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit in einer bestimmten Art von Verfahren Anlass für eine Bestimmung etwa des
Höchstsatzes der Gebühr sein können. Demgemäß ist das Tätigwerden des Rechtsanwalts in
einer bestimmten Sachmaterie für sich gesehen nicht geeignet, eine überdurchschnittliche
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs.
1 Satz 1 RVG) zu begründen, es sei denn, es handele sich um eine Tätigkeit auf entlegenen
Spezialgebieten (vgl. Urteil vom 8. Mai 1981 a.a.O. S. 199), zu denen das Wehrpflichtrecht
nicht zu zählen ist. Der Kläger meint dagegen, besondere Kenntnisse und Erfahrungen eines
Rechtsanwalts in einem bestimmten Spezialgebiet rechtfertigten die Annahme einer
überdurchschnittlichen Sache. Er glaubt offenbar, das Studium von Rechtsprechung und
Literatur sowie der Besuch von Fortbildungsseminaren sei eine Investition, die sich bei der
Bemessung des Gebührensatzes nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG)
auszahlen müsse. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Gesetz hat den kompetenten
Rechtsanwalt im Auge. Ihm ist nicht fremd, dass der Anwaltsberuf durch zunehmende
Spezialisierung geprägt ist; die Rechtsordnung trägt dieser Tendenz dadurch Rechnung, dass
sie die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen vorsieht und die Angabe von Interessenund Tätigkeitsschwerpunkten zulässt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht angebracht, eine
überdurchschnittlich schwierige Sache im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1
Satz 1 RVG) schon dann anzunehmen, wenn die kompetente Interessenwahrnehmung durch
den Rechtsanwalt das Vorhandensein spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzt.
bb) Ebenso wenig hebt sich das Verfahren, dessentwegen der Kläger Kostenerstattung
verlangt, unter dem Gesichtspunkt seiner Bedeutung vom Durchschnitt ab. Insoweit kommt es
nicht auf den vom Kläger geltend gemachten Umstand an, dass er wegen der erfolgreichen
Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten letztlich dem Wehrdienst und damit der Pflicht
entgangen ist, einen erheblichen Teil seiner Lebenszeit dem Dienst an der Allgemeinheit zu
widmen. Vielmehr kann lediglich gefragt werden, ob sich eine Erhöhung des Gebührensatzes
über den Mittelwert hinaus deswegen rechtfertigen lässt, weil das von dem
Prozessbevollmächtigten betriebene Widerspruchsverfahren im Vergleich mit anderen
Verfahren dieser Art für den Kläger von überdurchschnittlichem Gewicht war (vgl. Urteil
vom 18. Oktober 1982 - BVerwG 6 C 109.81 - juris). Es ist indes nicht ersichtlich, dass die
194
damalige Tauglichkeitssache für den Kläger eine größere Bedeutung hatte als entsprechende
Angelegenheiten für junge Männer in vergleichbarer Situation. Dementsprechend hat der
Prozessbevollmächtigte seiner Gebührenberechnung zu Recht den in derartigen
Angelegenheiten üblichen Gegenstandswert von 4 000 EUR gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG
a.F. zugrunde gelegt. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Erörterung der Frage, ob der
Prozessbevollmächtigte eine erhöhte Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, wenn sie
vorgelegen hätte, in seinem eigenen Interesse ausschließlich bereits in die Bemessung des
Gegenstandswerts hätte einfließen lassen müssen oder ob und inwieweit es ihm möglich
gewesen wäre, sie auch oder erst bei der Bestimmung des Gebührensatzes zu berücksichtigen.
cc) Da auch im Übrigen keine Rechtfertigung für eine Erhöhung der Gebühr ersichtlich ist,
verbleibt es bei der von der Beklagten festgesetzten Mittelgebühr nach dem Gebührensatz von
7,5/10.
§ 24 RVG
1. Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels hat die Antragstellerin nach § 97 Abs. 1 und 3 ZPO
zu tragen - als Ausnahme zu § 620 g ZPO (Baumbach- Albers, § 620 g ZPO, Rnr. 2 mit
Nachweisen).
2. Die Wertfestsetzung richtet sich für die Rechtsanwaltsgebühren nach § 24 Abs. 1 Satz 1 RVG
und für die Gerichtsgebühren analog nach dieser Vorschrift, da auch § 53 Abs. 2 GKG neuer
Fassung, die nach 73 Abs. 1 Satz 2 GKG alter Fassung und § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG neuer
Fassung für das vorliegende Rechtsmittel anzuwenden ist, keine Regelung für die einstweilige
Anordnung nach § 620 Nr. 1 ZPO vorsieht.
OLG-FRANKFURT: 4 WF 116/04, Beschluss vom 18.10.2004
Verfahrensgang:
AG Frankfurt am Main-Höchst 403 F 3416/03 EA SO
Stichworte: EA-Beschwerde; Kostenentscheidung; Streitwert
Gründe:
Die Parteien sind seit 9.01.1998 verheiratet. Die Antragstellerin begehrt Scheidung. Der
Antragsgegner beantragt im Verbund, ihm die elterliche Sorge für den am 1.03.1998 geborenen
gemeinsamen Sohn X. Y. Z. auf ihn zu übertragen. Auf seinen Antrag hat das AmtsgerichtFamiliengericht nach mündlicher Verhandlung und Anhörung des Kindes entsprechend der
Stellungnahme des Jugendamtes im Wege der einstweiligen Anordnung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht unter teilweiser Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf
den Antragsgegner übertragen. Gegenwärtig entspreche es dem Wohl des Sohnes besser, wenn
er in seinem gewohnten Umfeld in X.-Stadt verbleiben und Kontakt zu den von ihm betreuten
Tieren halten könne. Hier habe er auch sein Freunde, mit denen er das erste Schuljahr verbringen
möchte. Der Antragsgegner sei auch in der Lage, seine freiberufliche Tätigkeit so zu organisieren,
dass er sich ausreichend um das Kind kümmern könne. Auf den Beschluss vom 12.08.2004 wird
im Übrigen Bezug genommen.
Gegen den am 20.09.2004 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 4.10.2004 sofortige
Beschwerde mit dem Ziel der Zurückweisung des Antrags auf Übertragung des
195
Aufenthaltsbestimmungsrechts an den Antragsgegner eingelegt, verbunden mit dem Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung bis zu Entscheidung des Rechtsmittelgerichts.
Sie bestreitet, dass der Antragsgegner in der Lage sei, seine freiberufliche Tätigkeit so zu
organisieren, dass er sich ausreichend um das Kind kümmern könne. Sie als
Halbtagsbeschäftigte habe sich bisher um X. gekümmert. Diese Kontinuität sei in F-Dorf
fortzusetzen.
In der Wohnung in Frankfurt befänden sich Vögel und eine Katze, während Hase und Hund bei
den Großeltern seien. Bei einem Umzug nach F-Dorf könne X. nur die Katze nicht mitnehmen.
Außerdem könne er, wenn er den Hort besuche, die Tiere ohnehin nicht betreuen.
Die Stellungnahme des Jugendamtes beruhe auf einer unzutreffenden Behauptung des
Sachbearbeiters.
Der Antragsgegner hält die sofortige Beschwerde bereits für unzulässig und tritt ihr auch in der
Sache entgegen.
Das Kind habe seinen Lebensmittelpunkt in Frankfurt. Es fühle sich in der besuchten Schule wohl
und werde im Klassenverband anerkannt.
Er selbst habe seinen beruflichen Alltag auf die Belange von X. abgestellt und gewährleistet, ihn
bei seinen schulischen Aufgaben zu unterstützen und für ihn da zu sein, wenn er nach der Schule
nach Haue komme.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Die einstweilige Anordnung regelt mit dem
Aufenthaltsbestimmungsrecht einen - zudem wesentlichen - Teilbereich der elterlichen Sorge;
dies reicht zur Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 620c ZPO aus (BaumbachAlbers, ZPO, 62. Aufl. § 620c, Rnr. 1 mit Nachweisen). Die Frist von 2 Wochen (§§ 569 Abs. 1
Satz 1, 620 d Satz 1 ZPO) ist mit der rechtzeitig eingereichten mit einer Begründung versehenen
sofortigen Beschwerde gewahrt.
Von einer Rücksendung der Akten an das Amtsgericht zur Abhilfeprüfung war wegen der
Eilbedürftigkeit abzusehen.
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Dementsprechend ist auch eine Aussetzung der
Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts nicht angezeigt.
Der Senat tritt der Begründung des angefochtenen Beschlusses in vollem Umfang bei. Auch das
mit der Beschwerde Vorgetragene rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Es ist zwar zutreffend, dass X. die vom Sachbearbeiter des Jugendamts angegebene Präferenz
für den Vater vor dem Richter der ersten Instanz nicht wiederholt hat. Er hat sich aber auch nicht
eindeutig für den Aufenthalt bei der Mutter entschieden, obwohl sie ihn nach ihren Angaben
betreut und erzogen hat. Mit Recht legt das Amtsgericht deshalb besonderes Gewicht auf die
Kontinuität des Aufenthaltsorts für die Dauer des Verfahrens. X. geht hier zur Schule. Es
entspricht nicht seinem Wohl, ihn aus seiner vertrauten Umgebung herauszureißen, so lange eine
endgültige Entscheidung über das Sorgerecht noch nicht getroffen ist. Dies hält der Senat für den
entscheidenden Gesichtspunkt, während die Nähe zu den Tieren - jedenfalls für den
überschaubaren Zeitraum der Verfahrensdauer - von untergeordneter Bedeutung ist, auch wenn
sie für X. eine wichtige Rolle spielen.
Es besteht auch kein konkreter Anlass für die Annahme der Antragstellerin, der freiberuflich tätige
Antragsgegner sei nicht in der Lage, sich ausreichend um X. zu kümmern. Selbst wenn der
Antragsgegner die nachmittägliche Betreuung einem Hort überantworten müsste, wäre damit das
körperliche und geistige Wohl des Kindes nicht gefährdet; in einem Hort werden sogar
Sozialkontakte eher gefördert.
Die Hauptsache ist, da nur eine vorläufige Regelung für die Dauer des Verfahrens angeordnet ist,
damit nicht vorweggenommen.
Eine Abänderung der getroffenen Entscheidung ist daher nicht angezeigt.
196
Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels hat die Antragstellerin nach § 97 Abs. 1 und 3 ZPO zu
tragen - als Ausnahme zu § 620g ZPO (Baumbach- Albers, § 620g ZPO, Rnr. 2 mit Nachweisen).
Die Wertfestsetzung richtet sich für die Rechtsanwaltsgebühren nach § 24 Abs. 1 Satz 1 RVG und
für die Gerichtsgebühren analog nach dieser Vorschrift, da auch § 53 Abs. 2 GKG neuer Fassung,
die nach 73 Abs. 1 Satz 2 GKG alter Fassung und § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG neuer Fassung für das
vorliegende Rechtsmittel anzuwenden ist, keine Regelung für die einstweilige Anordnung nach §
620 Nr. 1 ZPO vorsieht.
197
§35 RVG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG-DUESSELDORF: I-23 U 190/04, Urteil vom 08.04.2005
Verfahrensgang:
LG Düsseldorf vom 17.08.2004
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17. August 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.605,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2004 zu zahlen. Im übrigen wird die
Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 60 % und die Beklagte zu 40
%. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 36 % und der Beklagten zu 64 %
auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zum Teil Erfolg. Im Umfang der Abänderung
beruht die Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO). Im übrigen
hat das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht
eine Vergütung in Höhe von noch 5.096,69 DM (= 2.605,90 EUR) zu.
I.
Die Klägerin hat die Honorarforderung, soweit sie besteht, durch Abtretung erworben.
1. Beauftragt war zunächst nach den Feststellungen des Landgerichts, die auf dem
entsprechenden ausdrücklichen erstinstanzlichen Sachvortrag der Klägerin beruhen, die "S N
Partnerschaft". Tätig wurden hier ausschließlich Rechtsanwälte des Düsseldorfer Büros. Die
Partnerschaft hat die ihr zustehende Honorarforderung an die Klägerin abgetreten.
a) Das folgt hinsichtlich der Buchführung aus der entsprechenden schriftlichen
Abtretungsvereinbarung vom 11.9.2002 (Bl. 17 GA). Allerdings hat die Klägerin die Klage
nachträglich sowohl erstinstanzlich als auch im Berufungsverfahren auf weitere
Gebührenforderungen erstreckt, die in der Abtretungsurkunde nicht genannt sind. Letztere bezieht
sich ausdrücklich und ausschließlich auf die beiden Rechnungen vom 18.7.2001 und vom
31.12.2001 (Bl. 13 und 16 GA) und die dort genannten Tätigkeiten, also die "laufende
Finanzbuchhaltung" und "Löhne". Tatsächlich hat die Klägerin die Klage später erweitert, indem
sie sie bei unverändertem Zahlungsantrag auf einen weiteren Sachverhalt gestützt hat. Das
betrifft die Einlegung eines Einspruchs gegen einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid von
Mai 2001. Hierfür hat die Klägerin erstmals eine Vergütung im Rahmen ihrer Abrechnung nach §
118 BRAGO (Bl. 91 f. GA) geltend gemacht. Auch die Berufungsbegründung stützt die
Klageforderung auf neue Sachverhalte. Erstmals macht die Klägerin eine Gebühr für die Prüfung
einer Vollstreckungsankündigung des Finanzamts vom 19.11.2001 und des Kontoauszugs der
Finanzkasse vom 27.11.2001 (Bl. 143, 177-182 GA) geltend. Erstmals macht die Klägerin hilfsweise - auch ein Honorar für eine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Einbringung des
Einzelunternehmens der Beklagten in eine GmbH geltend: 11 Stunden zu einem angeblich
198
vereinbarten Stundensatz von 400,-- DM (Bl. 145 f. GA).
Auch wegen dieser Erweiterungen ist eine Forderungsabtretung anzunehmen. Die Klägerin hat ihr
Einverständnis konkludent mit der Geltendmachung der entsprechenden Forderungen erklärt,
ebenso die Partnerschaft: Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Berufungsverfahren, in das
die Erweiterungen eingeführt sind, ist Rechtsanwalt Dr. P, der auch die vorangegangene
schriftliche Abtretungsvereinbarung als allein vertretungsberechtigter Rechtsanwalt der
Partnerschaft unterzeichnet hatte.
2. Die Abtretung ist nicht gemäß § 134 BGB unwirksam, weil die Partnerschaft als Zedentin
gegenüber der Klägerin als Zessionarin gemäß § 402 BGB umfassend zur Auskunft verpflichtet ist
und damit entgegen § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB ihre Schweigepflicht verletzt hätte. Das dürfte jetzt
allgemein aus § 49b Abs. 4 BRAO folgen. Nach dessen Satz 1 ist der Rechtsanwalt, der eine
Gebührenforderung erwirbt, in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der
beauftragte Rechtsanwalt. Gemäß Satz 2 ist die Abtretung von Gebührenforderungen oder die
Übertragung ihrer Einziehung an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Dritten - von den im
Gesetz genannten Ausnahmen abgesehen - unzulässig. Aus dem Zusammenspiel beider Sätze
dürfte folgen, dass der Gesetzgeber die Abtretung einer Gebührenforderung - wie hier - an einen
Rechtsanwalt gestatten wollte. Die ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur
Unwirksamkeit einer Abtretung von Gebührenforderungen (insbes. NJW 1993, 1638; NJW 1993,
1912) dürfte mit der Neuregelung in § 49 b Abs. 4 BRAO überholt sein (s. nur OLG Hamburg
OLG-Report Hamburg 2001, 74), wenn dies auch in dieser Allgemeinheit zum Teil bezweifelt wird
(s. z. B. LG München I NJW 2004, 451 mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes;
zweifelnd auch Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung, Rn. 905 ff.).
Nähere Einzelheiten zu dieser Frage können indes offen bleiben, weil es im vorliegenden Fall auf
diese Streitfrage nicht weiter ankommt. Die Gebührenforderung ist hier nämlich nicht an einen
dem Mandat völlig fremden Rechtsanwalt abgetreten. Vielmehr handelt es sich bei der Klägerin
um eine Rechtsanwältin, die wohl zwar keine Partnerin, nach den Feststellungen des
Landgerichts (S. 2 des Urteils, Bl. 118R GA) aber "Rechtsanwältin bei der S N Partnerschaft",
also zumindest deren Mitarbeiterin ist. Zu derartigen Konstellationen ist in der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass ein Rechtsanwalt einen rechtskundigen Mitarbeiter mit
der Besorgung der ihm übertragenen Rechtsangelegenheiten betrauen darf, ohne damit ein
Mandantengeheimnis unbefugt zu offenbaren (BGHZ 148, 97 = NJW 2001, 2462 m. w. Nachw.).
Auch erstreckt sich nach dieser Rechtsprechung das einer Anwaltssozietät erteilte Mandat in der
Regel auf alle Sozietätsmitglieder, selbst wenn diese erst später in die Sozietät eintreten. Ob der
betreffende Rechtsanwalt nur als freier Mitarbeiter in die Sozietät aufgenommen wird, ist dabei
unerheblich; für die Einbeziehung in das Mandatsverhältnis kommt es allein darauf an, dass er
nach außen als Mitglied der http://localhost:58080/BGH/ - high7Sozietät in Erscheinung tritt (BGH
a.a.O.). Da somit alle Sozietätsmitglieder aufgrund des bestehenden Mandatsverhältnisses zur
Einsichtnahme in die Mandantenakten berechtigt sind und von Anfang an der anwaltlichen
Schweigepflicht unterliegen, scheidet ein unbefugtes Offenbaren eines Geheimnisses im Sinne
des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB ihnen gegenüber seitens der bisherigen Sozietätsmitglieder aus
(BGH a.a.O.). Dementsprechend sind auch - vor Inkrafttreten der Neuregelung in § 49 b Abs. 4
Satz 1 BRAO erfolgte - Abtretungen von Honorarforderungen eines Rechtsanwalts an einen
früheren Mitarbeiter bzw. Kanzleiabwickler, der die Angelegenheiten des Mandanten bereits zuvor
umfassend kennengelernt hatte, nicht als Geheimnisverletzung und damit als wirksam angesehen
worden (BGH a.a.O. und NJW 1997, 188). Dies schließt im vorliegenden Fall eine Nichtigkeit der
Abtretung an die Klägerin als Mitarbeiterin der Zedentin gemäß § 134 BGB aus.
II.
Der Höhe nach schuldet die Beklagte noch eine Vergütung von 5.096,69 DM (= 2.605,90 EUR).
1. Buchführung
a) Die Klägerin macht mit der Berufung das Honorar nicht mehr in der angeblich vereinbarten
Höhe, sondern in dem Umfang geltend, der sich aus den gesetzlichen Gebührenvorschriften
ergibt.
aa) Grundlage kann entgegen der Auffassung der Berufung nicht die unmittelbare Anwendung der
StBGebV sein. Gemäß § 1 Abs. 1 StBGebV bemisst sich nach dieser Verordnung nämlich die
199
Vergütung des Steuerberaters für seine selbständig ausgeübte Berufstätigkeit. Darum geht es hier
nicht: Tätig wurden für die Beklagte ausschließlich Rechtsanwälte, keine Steuerberater. Auch
wenn man zugrundelegt, dass das Mandat der S N Partnerschaft erteilt wurde, gilt nichts anderes.
Zwar gelten gemäß § 1 Abs. 2 StBGebV die Vorschriften der Verordnung entsprechend für
Steuerberatungsgesellschaften. Um eine solche (§§ 49 ff. StBerG) handelt es sich bei der hier
gegebenen Partnerschaft aber nicht.
bb) Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz enthält zwar jetzt erstmals eine ausdrückliche Regelung:
Gemäß § 35 RVG gelten für die Hilfeleistung bei der Erfüllung allgemeiner Steuerpflichten und bei
der Erfüllung steuerlicher Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten die §§ 23 bis 39 der
StBGebV in Verbindung mit den §§ 10 und 13 der StBGebV entsprechend. Diese Bestimmung ist
aber nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG aus zeitlichen Gründen im vorliegenden Fall nicht
anzuwenden, weil der Auftrag durch die Beklagte vor dem 1.7.2004, nämlich im Jahre 2001 erteilt
worden war. Dann ist weiter die BRAGO anzuwenden.
cc) Aber auch nach der BRAGO richtet sich die Vergütung nicht. Dies hat der Bundesgerichtshof
bereits vor längerer Zeit ausdrücklich entschieden (BGH NJW 1970, 1189). Die BRAGO
umschreibt in § 1 nämlich ihren Anwendungsbereich. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bemisst
sich die Vergütung des Rechtsanwalts für seine "Berufstätigkeit" nach diesem Gesetz. Die
BRAGO geht dabei selbst davon aus, dass nicht sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts nach
ihren Regelungen vergütet werden. Das erhellt aus § 1 Abs. 2 BRAGO, der bestimmte
Tätigkeitsbereiche ausdrücklich von der Vergütung nach der BRAGO ausnimmt. Die Buchführung
ist dort zwar nicht genannt, wird aber - jedenfalls im Regelfall - ebenfalls nicht nach der BRAGO
vergütet. Sie ist keine Berufstätigkeit des Rechtsanwalts im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
(BGH a.a.O.). Dabei handelt es sich nämlich nicht um eine typische Tätigkeit eines
Rechtsanwalts. Auch wenn die Grundlagen der Buchführung durch rechtliche Vorschriften
vorgegeben sind, steht die Prüfung von Rechtsfragen bei der Buchführung nicht im Vordergrund.
Es überwiegen vielmehr technische Buchungsvorgänge ohne rechtlichen Gehalt (BGH NJW 1970,
1189, 1190). Diese Auffassung des Bundesgerichtshofs hat in jüngster Zeit in einem Urteil aus
dem Jahre 1998 erneut das LG Frankenthal (AGS 1999, 34) vertreten.
Diese Auffassung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (s. etwa Schall, BB 1988, 1363, BB 1989,
956 und insbesondere BB 1989, 2019; Madert, in: Gerold/Schmidt, BRAGO, 15. Aufl. 2002, S.
103, Rn. 35). Der Senat sieht indes keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung
abzuweichen. Neben den bereits genannten Gesichtspunkten spricht gegen eine Anwendung der
BRAGO insbesondere auch, dass diese (vgl. §§ 118 ff.) keine Regelung enthält, die auf
Buchführungstätigkeiten zugeschnitten wäre und eine angemessene Vergütung ermöglichte (BGH
NJW 1970, 1189, 1191). Das räumt beispielsweise auch Schall ein (BB 1989, 2019, linke Spalte)
und kommt zu einer nicht ganz einfachen Lösung, die insbesondere die Anwendung des § 118
BRAGO vermeiden soll (BB 1988, 1363).
dd) Ist keine der Gebührenordnungen anwendbar, so richtet sich die Vergütung nach den
allgemeinen Regelungen des BGB, wie auch vom Landgericht Frankenthal (AGS 1999, 34, 35)
mit Recht hervorgehoben.
Geschuldet ist gemäß § 611 Abs. 1, § 612 Abs. 2 BGB zunächst die vereinbarte Vergütung. Von
einer derartigen Vereinbarung ist im Berufungsverfahren nicht auszugehen, auch wenn die
Klägerin sie erstinstanzlich ausdrücklich behauptet hat. Diese Behauptung verfolgt sie mit der
Berufung nicht mehr weiter, sondern macht nur noch die sich aus den gesetzlichen Vorschriften
ergebende Vergütung geltend. Auf dieses Verständnis ihres Berufungsvortrags ist die Klägerin mit
Verfügung vom 25.2.2005 ausdrücklich hingewiesen worden. Sie ist dem nicht entgegengetreten.
Mangels ausdrücklich vereinbarter Vergütung schuldet die Beklagte gemäß § 612 Abs. 2 BGB die
"übliche Vergütung". Was für Buchführungsarbeiten üblicherweise zu leisten ist, ergibt sich aus
der StBGebV, die detaillierte Bestimmungen über die Vergütung von Buchführungsleistungen
enthält. Der Senat schließt sich dieser Auffassung des Landgerichts Frankenthal (AGS 1999, 34,
36) an.
b) Das übliche Honorar, § 612 Abs. 2 i. V. m. der StBGebV, errechnet sich sodann wie folgt:
Es geht um die Buchführung für 6 Monate (April bis September 2001). Maßgeblich ist § 33 Abs. 1
StBGebV, der eine Rahmengebühr von 2/10 bis 12/10 vorsieht. Gemäß § 11 StBGebV bestimmt
200
bei Rahmengebühren der Steuerberater die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit
der beruflichen Tätigkeit nach billigem Ermessen. Dabei ist nicht schematisch von einer
bestimmten Gebühr, auch nicht von einer "Mittelgebühr" auszugehen. Wie der Senat bereits
entschieden hat (Urteil vom 6.11.2001, GI 2002, 72 = OLGR Düsseldorf 2002, 173), kennt die
StBGebV den Begriff der "Mittelgebühr" nicht. Noch weniger knüpft sie hieran eine
Regelvermutung für eine zutreffende Ermessenausübung im Sinne des § 11 StBGebV. Nach
allgemeinen Grundsätzen trägt vielmehr der Steuerberater als Bestimmungsberechtigter im Sinne
des § 315 BGB uneingeschränkt die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit seiner
Bestimmung (Senat a.a.O.). Dies gilt im Streitfall für jede die Mindestgebühr übersteigende
Gebührenforderung (Senat a.a.O. sowie Urteil vom 02.10.2001, 23 U 25/01; OLG Hamm NJW-RR
1999, 510). Auf die Mindestgebühr kann der Steuerberater aber nur dann verwiesen werden,
wenn er eine einfache Angelegenheit mit geringem Umfang bearbeitet und die Angelegenheit für
den Auftraggeber geringe Bedeutung hat (z. B. das Fertigen einer einfachen
Einkommenssteuererklärung, in der neben Einkünften aus unselbständiger Tätigkeit nur geringe
Einkünfte aus Kapitalvermögen zu verzeichnen sind). Handelt es sich dagegen um eine
Angelegenheit von durchschnittlicher Bedeutung mit durchschnittlichem
Umfang/Schwierigkeitsgrad, ist regelmäßig die Mittelgebühr gerechtfertigt (BGH NJW-RR 2001,
494; Senat, a.a.O.).
Ein solcher "Durchschnittsfall" liegt hier vor. Zwar waren die Umsätze nicht sehr hoch, was einen
eher geringen Arbeitsaufwand nahe legt. Gleichwohl ist eine über dem unteren Rand des
Rahmens liegende mittlere Gebühr wegen der von der Klägerin genannten besonderen Umstände
gerechtfertigt. Die von der Beklagten mitgeteilten Zahlen waren nämlich oftmals in sich unstimmig,
was mehrere Besprechungen erforderlich machte. Mehr als diese Mittelgebühr - die Klägerin
berechnet 10/10 - ist aber nicht gerechtfertigt.
Gegenstandswert ist gemäß § 33 Abs. 6 StBGebV der jeweils höchste Betrag, der sich aus dem
Jahresumsatz oder der Summe des Aufwands ergibt. Tätig waren die Anwälte nur für 6 Monate,
nicht für ein volles Jahr. Gleichwohl ist der Jahresumsatz, nicht der "Halbjahresumsatz"
maßgeblich (Eckert, StBGebV, 4. Aufl. 2003, § 33 Anm. 6). Letzterer betrug hier 344.544,-- DM,
hochgerechnet auf das Jahr ergibt das, wie von der Klägerin zugrundegelegt, 689.088,-- DM.
Die Gebühr für die Buchführung errechnet sich danach wie folgt:
6 Monate zu je 7,5/10 einer vollen Gebühr nach Tabelle C
in der 2001 geltenden Fassung (§ 47a StBGebV)
nach einem Wert von 689.088,-- DM,
also 7,5/10 von 647,-- DM x 6 2.911,50 DM
Auslagenpauschale gemäß § 16 StBGebV, und zwar für
jeden einzelnen Monat als eigene "Angelegenheit"
(OLG Düsseldorf, 13. Zivilsenat, GI 1993, 151;
Eckert, StBGebV, 4. Aufl. 2003, § 33 Anm. 8.2),
6 x 40,-- DM 240,-- DM
3.151,50 DM
2. Umsatzsteuervoranmeldung
Wegen der Anwendung der Grundsätze der StBGebV über § 612 Abs. 2 BGB gilt dasselbe wie zu
1.
Die Klägerin macht hier gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 7 StBGebV weitere Gebühren über insgesamt
642,25 DM geltend, indes zu Unrecht. Die Aufwendungen für diese Anmeldungen sind nämlich
bereits mit der Gebühr für die Buchführung nach § 33 Abs. 1 StBGebV abgegolten (Eckert,
StBGebV, 4. Aufl. 2003, § 24 Abs. 1 Nr. 7 Anm. 1 sowie die amtliche Begründung zu § 33 bei
Eckert, a.a.O., zu § 33). Der gegenüber der Buchführung zusätzliche Aufwand ist auch denkbar
gering.
3. Lohnbuchführung
Wegen der Anwendung der Grundsätze der StBGebV über § 612 Abs. 2 BGB gilt auch hier
dasselbe wie zu 1.
201
Die Vergütung richtet sich nach § 34 StBGebV.
a) Für die erstmalige Einrichtung der Lohnkonten erhält die Klägerin nur die Mindestgebühr
gemäß § 34 Abs. 1 StBGebV, der in der 2001 geltenden Fassung einen Gebührenrahmen von 5,-DM bis 18,-- DM je Arbeitnehmer vorsah. Für einen besonderen Aufwand bei der Einrichtung der
Lohnkonten, der eine höhere Gebühr rechtfertigen könnte, ist nichts vorgetragen.
b) Für die Führung der Lohnkonten erhält die Klägerin gemäß § 34 Abs. 2 StBGebV die
Mittelgebühr innerhalb des Rahmens, den die Vorschrift 2001 mit 5,-- DM bis 30,- DM je
Arbeitnehmer vorsah. Die von der Klägerin genannten Umstände (Abrechnung nach Stunden,
Berücksichtigung von Trinkgeldern) rechtfertigen eine über der Mindestgebühr liegende
Vergütung, gehen aber nicht über einen Durchschnittsfall hinaus.
Daraus ergibt sich folgende Berechnung:
Mindestgebühr nach § 34 Abs. 1 StBGebV, 5,--DM x 10 Arbeitnehmer 50,-- DM
Mittelgebühr nach § 34 Abs. 2 StBGebV,
April 2001: 7 Arbeitnehmer x 17,50 DM 122,50 DM
Mai 2001: 7 Arbeitnehmer x 17,50 DM 122,50 DM
Juni 2001: 8 Arbeitnehmer x 17,50 DM 140,-- DM
Juli 2001: 8 Arbeitnehmer x 17,50 DM 140,-- DM
August 2001: 8 Arbeitnehmer x 17,50 DM 140,-- DM
September 2001: 10 Arbeitnehmer x 17,50 DM 175,-- DM
zzgl. Auslagenpauschale, 6 x 40,-- DM 240,-- DM
1.130,-- DM
4. Einspruchsverfahren
Die Vergütung für die Einlegung des Einspruchs richtet sich abweichend von 1. und 3. nicht nach
§ 612 BGB, sondern nach § 118 BRAGO. Hierauf wurden die Parteien bereits mit Verfügung vom
25.2.2005 hingewiesen. Bei der Einlegung von Rechtsmitteln steht, anders als bei der laufenden
Buchführung, die rechtliche Prüfung, nicht bloß technische Eintragungsvorgänge im Vordergrund.
Es handelt sich daher hier sehr wohl um (originäre) Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts im Sinne
des § 1 Abs. 1 Satz 1 BRAGO. Der neue, hier noch nicht anwendbare § 35 RVG verweist
demgemäß folgerichtig auch nicht auf die §§ 40 ff. StBGebV, die die Vergütung derartiger
Tätigkeiten durch den Steuerberater regeln. Das beruht offensichtlich darauf, dass sich auch nach
der aktuellen Rechtslage die Vergütung des Rechtsanwalts in derartigen Fällen nach dem
anwaltlichen Gebührenrecht richten soll.
Hier stehen der Klägerin je eine Gebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BRAGO nach einem
Gegenstandswert von 1.454,-- DM zu. Die Mindestgebühr beträgt 5/10, hier von 130,-- DM = 65,-DM x 2= 130,-- DM. Das übersteigt bereits den Betrag, den die Klägerin im Berufungsverfahren
für diese Tätigkeit überhaupt geltend macht, nämlich 97,50 DM. Diesen Betrag kann die Klägerin
jedenfalls verlangen, und zwar ohne dass ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer gemäß § 12
Abs. 2 BRAGO zur Bestimmung einer Gebühr innerhalb des Rahmens des § 118 BRAGO (5/10
bis 10/10) einzuholen wäre.
Danach errechnet sich folgende Gebühr der Klägerin:
Einlegung des Einspruchs 97,50 DM
Auslagenpauschale, § 26 BRAGO 14,70 DM
112,20 DM
5. Prüfung einer Vollstreckungsankündigung und eines Kontoauszuges sowie Einbringung
Einzelunternehmen
Die Prüfung einer Vollstreckungsankündigung des Finanzamts vom 19.11.2001 und eines
Kontoauszuges der Finanzkasse vom 27.11.2001 sowie die Arbeiten im Zusammenhang mit der
Einbringung des Einzelunternehmens in eine GmbH (S. 8 f. der Berufungsbegründung, Bl. 145 f.
GA) rechnet die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz ab. Diese Klageerweiterung ist gemäß
§ 533 ZPO schon deshalb nicht zulässig, weil sie entgegen § 533 Nr. 2 ZPO auf völlig neue
Tatsachen gestützt ist, die der Entscheidung des Senats nicht ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde
202
zu legen sind.
6. Gesamtforderung der Klägerin
Die Klägerin kann insgesamt daher Zahlung folgenden Betrags verlangen
Summe von oben 3.151,50 DM
Summe von oben 1.130,-- DM
Summe von oben 112,20 DM
Zwischensumme 4.393,70 DM
Zuzüglich 16 % MWSt 702,99 DM
Gesamtsumme 5.096,69 DM
In Euro 2.605,90 EUR
III.
Der Zinsanspruch ist erst ab dem 21.12.2004 aus § 291 BGB begründet. An diesem Tag ging der
Beklagten die Berufungsbegründung zu, die erstmals eine anhand der StBGebV erstellte
Gebührenrechnung enthielt, wie sie § 9 StBGebV für die Einforderbarkeit der Gebührenforderung
voraussetzt. Das schließt einen früheren Beginn des Zinslaufs auch hinsichtlich der
Prozesszinsen aus (Urteil des Senats vom 20.11.2001, 23 U 26/01 - GI 2002, 117). Zwar gilt § 9
StBGebV hier nicht unmittelbar, wie oben ausgeführt. Sein Grundgedanke kann aber nicht
unberücksichtigt bleiben. Ohne eine entsprechende Gebührenberechnung und vor allem ohne
Bestimmung der geschuldeten Gebühr innerhalb eines Gebührenrahmens ist ein Verzug des
Mandanten nicht denkbar.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die hier maßgeblichen
Fragen zur Abtretbarkeit einer anwaltlichen Gebührenforderung an ein Mitglied/einen Mitarbeiter
der beauftragten Sozietät/Partnerschaft hat der Bundesgerichtshof - wie dargelegt - bereits
entschieden. Die Frage, ob die Buchführungstätigkeit eines Rechtsanwalts nach der BRAGO oder
im Rahmen des § 612 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung der StBGebV zu vergüten ist, war zwar
unter der Geltung der BRAGO nicht geklärt. Dies hat wegen der jetzigen ausdrücklichen Regelung
in § 35 RVG aber nur noch für eine begrenzte Zahl von "Altfällen" Bedeutung, was eine Zulassung
der Revision nicht rechtfertigt.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.074,85 EUR.
203
§ 46 RVG
OLG Karlsruhe 17. Zivilsenat Beschluß vom 21. Juli 2005 17 W 30/05
Leitsatz
1. Unter Geltung des RVG ist dem Antragsteller bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe in
der Regel der von ihm gewählte Rechtsanwalt an seinem Wohn- oder Geschäftsort
beizuordnen, es sein denn es handelt sich um einen einfach gelagerten Rechtsstreit, der ohne
weiteres die ausschließlich schriftliche Information eines Prozessbevollmächtigten am Ort des
Prozessgerichts zulässt.
2. Bei der Frage, ob durch die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts Mehrkosten i.S.v.
§ 121 Abs. 3 ZPO entstehen, ist auch zu prüfen, ob neben einem Prozessbevollmächtigten am
Ort des Prozessgerichts zusätzlich ein Verkehrsanwalt (§ 121 Abs. 4 ZPO) am Wohnort des
Antragstellers beizuordnen wäre (Gesamtbetrachtung; BGH NJW 2004, 2749, 2750). Nur
wenn dieses nicht der Fall ist, darf das Gericht den auswärtigen Rechtsanwalt noch "zu den
Bedingungen eines am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts" beizuordnen.
3. Die Sicherstellung der Einhaltung von § 121 Abs. 3 ZPO erfordert die Begrenzung der
abrechenbaren Mehrkosten auf die Höhe der Vergütung eines Verkehrsanwalts bereits bei der
Entscheidung über die Beiordnung. Die Entscheidung kann nicht aufgrund einer bloßen
Prognose der voraussichtlich entstehenden Reisekosten getroffen werden. Die Begrenzung
darf auch nicht über § 46 Abs. 1 RVG ins Festsetzungsverfahren verlagert werden (entgegen
OLG Hamm MDR 2005, 538). Vielmehr ist der Rechtsanwalt mit der Maßgabe beizuordnen,
dass die Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beigeordnete Rechtsanwalt seine
Kanzlei nicht am Ort des Prozessgerichts hat, nur bis zur Höhe der Vergütung eines
Verkehrsanwalts am Wohnort des Antragstellers erstattungsfähig sind.
4. Stellt der Wahlanwalt den Antrag auf die eigene Beiordnung selbst, so bedarf es keiner
Nachfrage oder der Herbeiführung eines ausdrücklichen Einverständnisses zu einer
solchermaßen eingeschränkten Beiordnung. Der Rechtsanwalt gibt bereits mit dem
Beiordnungsantrag zu erkennen, dass er mit einer solchen Beiordnung, die § 121 Abs. 3 ZPO
Rechnung trägt, einverstanden ist, es sei denn er weist ausdrücklich darauf hin, dass er im
Falle der Einschränkung nicht bereit ist, für die vertretene Partei weiter tätig zu werden. Dann
ist der Beiordnungsantrag abzulehnen.
5. Auch die Partei, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, hat grundsätzlich unter
mehreren zuständigen Gerichten die Wahl (§ 35 ZPO). Mutwillig handelt sie nur, wenn
konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Auswahl des weiter entfernten
Gerichts vorliegen.
Gründe
I.
Der in L. wohnhafte Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung der
Rechtsanwälte W. und Koll. in H. (S.) beantragt für eine Klage vor dem Landgericht
Karlsruhe gegen die Beklagte mit Sitz oder Niederlassung in 76133 Karlsruhe.
204
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Prozesskostenhilfe für den ersten
Rechtszug bewilligt und die Prozessbevollmächtigten des Klägers zu den Bedingungen eines
am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
Gegen diese eingeschränkte Beiordnung in dem ihnen am 23.02.2005 zugegangenen
Beschluss richtet sich die am 21.03.2005 beim Landgericht eingelegte sofortige Beschwerde
der Prozessbevollmächtigten des Klägers, mit der sie eine uneingeschränkte Beiordnung
erstreben. Sie berufen sich darauf, dass die Beiordnung eines Anwalts zu den Bedingungen
eines ortsansässigen Anwalts ohne Einverständnis der Prozessbevollmächtigten unzulässig
sei. Eine Einwilligung der Beschwerdeführer zu der eingeschränkten Beiordnung sei nicht
eingeholt worden, weshalb diese Beschränkung unzulässig und die Beschwerdeführer
beschwert seien.
Die Beschwerdeführer machen ferner geltend, nach § 121 Abs. 3 ZPO dürfe zwar ein beim
Prozessgericht zugelassener Anwalt nur dann beigeordnet werden, wenn dadurch keine
höheren Kosten entstünden. Dies sei hier aber nicht der Fall. Die Beiordnung eines
auswärtigen Rechtsanwalts sei nicht etwa stets wegen entstehender Reisekosten abzulehnen.
Vielmehr müssten die zu erwartenden Kosten und Kostenersparnisse miteinander verglichen
werden. Voraussichtlich könne das Gericht nach einem Termin ein Urteil fällen. Es sei daher
nur eine Anreise der Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Wahrnehmung eines
Gerichtstermins notwendig. Die hierdurch entstehenden Reisekosten seien nicht höher als
diejenigen des Klägers für eine Reise zu einer Besprechung mit einem am Ort des
Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt. Des weiteren überstiegen die Reisekosten nicht die
Kosten eines Verkehrsanwalts, der aufgrund der erheblichen Reiseentfernung zwischen
Wohnort des Klägers und Gerichtsort auf Antrag zu bestellen wäre. Diese Kosten würden hier
durch uneingeschränkte Beiordnung der Beschwerdeführer erspart, so dass keine höheren
Kosten i.S. von § 121 Abs. 3 ZPO anfielen. Der vorliegende Rechtsstreit sei auch nicht als
einfach im Sinne der Rechtsprechung des OLG Koblenz zu bezeichnen. Das Gericht habe
über Fragen eines verbundenen Geschäfts im Sinne des Verbraucherkreditgesetzes und damit
zusammenhängender Formvorschriften zu entscheiden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die
Beschwerdeschrift verwiesen.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der Gründe wird auf
den Beschluss vom 11.04.2005 (Ziff. 2) Bezug genommen.
II.
Über die Beschwerde gegen die vom Einzelrichter des Landgerichts getroffene Entscheidung
hat gemäß § 568 Satz 1 ZPO an sich der Einzelrichter des Beschwerdegerichts zu entscheiden.
Dieser hat die Sache jedoch durch Beschluss vom 15.06.2005 wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO dem Senat übertragen. Im
Hinblick auf die Änderungen mit Inkrafttreten des RVG am 01.07.2004 (§ 46 RVG hat die
Einschränkung des § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO nicht übernommen, § 121 Abs. 3 ZPO ist
allerdings unverändert geblieben) und die - von der im hiesigen Bezirk bislang üblichen
Praxis der Beiordnung auswärtiger Rechtsanwälte zu den Bedingungen eines am Sitz des
Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts - abweichende Entscheidung des
Oberlandesgerichts Nürnberg (NJW 2005, 687) erscheine eine Grundsatzentscheidung des
Senats, ggf. auch die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur weiteren Klärung dieser eine
Vielzahl von PKH-Verfahren betreffenden Rechtsfrage geboten.
205
Dem Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
worden. Auf seine Ausführungen vom 28.06.2005 wird verwiesen.
III.
Die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers ist zulässig (§ 127 Abs. 2
Satz 2 ZPO), insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 569 Abs. 3 Nr. 2, 571 Abs. 4
Satz 1, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Dem Wahlanwalt der Partei steht bei einer Beiordnung mit
der genannten Einschränkung ohne sein erklärtes Einverständnis ein eigenes Beschwerderecht
zu (arg. § 32 Abs. 2 RVG; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 127 Rn. 19). Die Beschwerde hat
in der Sache - mit Ausnahme der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung - auch Erfolg.
Die Entscheidung über die Anwaltsbeiordnung war teilweise abzuändern. Die
Beschwerdeführer beanstanden zu Recht die eingeschränkte Beiordnung zu den Bedingungen
eines am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts.
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2004, 2749, 2750) ist bei
der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht ortsansässigen Rechtsanwalts immer auch
zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dieses nicht
der Fall ist, darf das Gericht einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten
auswärtigen Prozessbevollmächtigten zu den Bedingungen eines ortsansässigen
Rechtsanwalts beiordnen. Die Frage, ob weitere Kosten i.S. von § 121 Abs. 3 ZPO entstehen,
ist nicht lediglich davon abhängig, ob der Rechtsanwalt bereit ist, auf die Geltendmachung
von - bei Beiordnung eines Rechtsanwalts am Ort des Prozessgerichts nicht entstehenden Kosten, insbesondere Reisekostenvergütungen, gegenüber der Staatskasse zu verzichten.
Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung unter Einschluss von § 121 Abs. 4 ZPO erforderlich.
Die im Falle der Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts einzusparenden Kosten eines
Verkehrsanwalts sind mit den Mehrkosten, die im Wesentlichen wohl Reisekosten des
auswärtigen Rechtsanwalts zur Terminswahrnehmung beim Prozessgericht betreffen,
gegenzurechnen.
Der Senat ist allerdings, anders als das OLG Hamm (NJOZ 2005, 767; NJW 2005, 1724) und
wohl auch das OLG Nürnberg (NJW 2005, 687), der Auffassung, dass in einem solchen Fall
keine uneingeschränkte Beiordnung auszusprechen ist auf der Basis einer bei der
Entscheidung über die Beiordnung des Rechtsanwalts zu treffenden Prognose der
voraussichtlichen Reisekosten. Die Möglichkeiten der Begrenzung im späteren
Festsetzungsverfahren, etwa über § 46 Abs. 1 RVG, erscheinen in diesem Zusammenhang
unzureichend. Vielmehr erfordert die Sicherstellung der Einhaltung von § 121 Abs. 3 ZPO,
der sonst der Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts generell entgegenstünde, die
Begrenzung der abrechenbaren Mehrkosten auf die Höhe der Vergütung eines
Verkehrsanwalts bereits bei der Entscheidung über die Beiordnung, weil im PKH-Verfahren
nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, in welchem Umfang im sich anschließenden
Rechtsstreit Reisekosten des beigeordneten Rechtsanwalts entstehen werden (etwa wie viele
Termine er wahrzunehmen haben wird, ob eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren
ergehen kann und ob eine Beweisaufnahme erforderlich ist). Die im Hinblick auf § 121 Abs. 3
ZPO notwendige Einschränkung darf nicht dem Festsetzungsverfahren überantwortet werden
(OLG Düsseldorf BeckRS 2004, 10163), weil dieses dafür nicht geeignet ist. Das dadurch
auch für die Partei gegebene Risiko, nicht alle anfallenden Reisekosten ihres
Prozessbevollmächtigten (ggf. vorläufig) aus der Staatskasse ersetzt zu bekommen, hat die
Partei im Hinblick auf die Regelung des § 121 Abs. 3 ZPO zu tragen, wenn sie die
Beiordnung eines nicht am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts beantragt.
206
Da der Rechtsanwalt diesen Gesichtspunkt schon beim Antrag auf seine Beiordnung zu
bedenken hat und nicht davon ausgegangen werden kann, dass er einen solchen Antrag in
Kenntnis der unweigerlichen Ablehnung seiner Beiordnung stellt, kann dem Antrag das
entsprechende stillschweigende Einverständnis zu einer Einschränkung, die § 121 Abs. 3 ZPO
Rechnung trägt, entnommen werden, ohne dass es einer Nachfrage und der Herbeiführung
eines ausdrücklichen Einverständnisses bedürfte (so auch KG NJW-RR 2005, 924 m.w.N.;
OLG Hamm MDR 2001, 832; a.A. OLG Bremen NJW-RR 2001, 1229; OLG Zweibrücken
NJW-RR 2002, 500).
Der vorliegende Rechtsstreit ist nicht so einfach gelagert, dass dem Antragsteller die
ausschließlich schriftliche Information eines Prozessbevollmächtigten am Ort des
angerufenen Gerichts zugemutet werden könnte. Über die Information des Rechtsanwalts
durch Überlassung der schriftlichen Dokumente zu den abgegebenen Erklärungen und
abgeschlossenen Verträgen hinaus bedarf es zur sorgfältigen Vorbereitung des Rechtsstreits
der näheren Aufklärung des komplexen Sachverhalts zu einer etwaigen Haustürsituation und
der Erörterung der Rechtsfolgen und möglichen sonstigen Auswirkungen eines Widerrufs in
einem persönlichen Gespräch. Die durch Art. 3 Abs. 1 GG i.V. mit dem allgemeinen
Rechtsstaatsprinzip gebotene weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und
Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmenden Prozessparteien bei der Verwirklichung ihres
Rechtsschutzes (BVerfG NJW 2004, 1789) erfordert hier die Beiordnung des wohnortnahen
Rechtsanwalts. Denn eine ihre Belange vernünftig und kostenbewusst wahrnehmende Partei
darf für das zur Verfolgung ihrer Interessen notwendige persönliche Beratungsgespräch mit
einem Rechtsanwalt den für sie einfacheren und nahe liegenden Weg wählen und einen an
ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten beauftragen
(BGH NJW 2003, 898, 901; OLG Hamm NJOZ 2005, 767, 769; für eine Lösung über die
eingeschränkte Beiordnung mit zusätzlicher Anordnung der Erstattung von Fahrtkosten: OLG
Zweibrücken NJW-RR 2002, 500).
Der Senat hat erwogen, ob hier die lediglich eingeschränkte Beiordnung zu den Bedingungen
eines am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts deshalb gerechtfertigt ist, weil der
Antragsteller/Kläger nach § 29c ZPO die Klage hätte vor dem Landgericht L. erheben
können. Nach § 35 ZPO kann der Kläger allerdings unter mehreren zuständigen Gerichten frei
wählen, welches Gericht er anrufen will. Die gebotene weitgehende Gleichstellung von
Bemittelten und Unbemittelten führt dazu, dass dem Antragsteller dieses Wahlrecht
grundsätzlich erhalten bleiben muss, auch wenn er Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen
will. Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Auswahl des weiter entfernten Gerichts bestehen
nicht.
IV.
Da die sofortige Beschwerde überwiegend Erfolg hatte, erschien es angezeigt, von der
Erhebung einer Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren abzusehen.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Die Rechtsbeschwerde wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, zur
Fortbildung des Rechts (die oben zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
23.06.2004 - NJW 2004, 2749 - erging noch zur alten Rechtslage nach § 126 Abs. 1 Satz 2
BRAGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 574 Abs. 3
Satz 1 i.V. mit Abs. 2 ZPO), um eine höchstrichterliche Entscheidung nach Inkrafttreten des
RVG am 01.07.2004 zu ermöglichen zu der - soweit ersichtlich - bislang noch ungeklärten
207
und von den Oberlandesgerichten unterschiedlich entschiedenen Rechtsfrage, ob - bei
Bewilligung von Prozesskostenhilfe - die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts vor
dem Hintergrund des fortgeltenden § 121 Abs. 3 ZPO - ggf. auch ohne sein ausdrückliches
Einverständnis - dergestalt eingeschränkt werden kann, dass die die Vergütung eines
Verkehrsanwalts übersteigenden Mehrkosten nicht erstattungsfähig sind.
NJW 2005, 2718-2719 (Leitsatz und Gründe) OLGR Karlsruhe 2005, 820-822 (Leitsatz und
Gründe) Rpfleger 2006, 23-24 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 118-120 (red.
Leitsatz)
OLG Frankfurt 5. Senat für Familiensachen Beschluß vom 17. Oktober 2005 5 WF 190/05
RVG § 46, ZPO § 121 Abs 3, ZPO § 121 Abs 4
Bei der Frage, ob durch die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts Mehrkosten im
Sinne von § 121 Abs. 3 ZPO entstehen, ist auch im Wege einer Gesamtbetrachtung zu prüfen,
ob neben einem Prozessbevollmächtigten am Ort des Prozessgerichts zusätzlich ein
Verkehrsanwalt gemäß § 121 Abs. 4 ZPO am Wohnort des Antragsgegners beizuordnen wäre
(BGH, NJW 2004, 2749, 2750). Bei einer Beauftragung im Rahmen eines
Scheidungsverfahren, dessen Umfang und Schwierigkeit im Hinblick auf etwaige
Folgesachen zu Beginn der Beauftragung meistens noch gar nicht feststeht, sind die
besonderen Voraussetzungen, die bei größerer Entfernung einen Verkehrsanwalt erforder,
regelmäßig anzunehmen. Ob eine Beiordnung mit der Einschränkung, dass die Kosten des
beigeordneten auswärtigen Anwalts nicht die Kosten eines am Gerichtsort ansässigen und
eines Korrespondenzanwalts überschreiten dürfen, erfolgen kann oder die Beachtung des §
121 Abs. 3 ZPO im so verstandenen Sinne einer späteren Vergleichsberechnung im
Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten bleiben soll, bleibt offen.
Die auf § 121 III ZPO gestützte Beiordnung zu den Bedingungen eines ortsansässigen
Rechtsanwalts ist durch § 46 RVG nicht geändert worden.
OLG-HAMM: 11 WF 121/05, Beschluss vom 08.04.2005
Verfahrensgang:
AG Hamm 12aF 28/05 vom 16.03.2005
OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
11 WF 121/05 OLG Hamm
Hamm, den 8. April 2005
In der Familiensache
Tenor:
208
Die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 23. März 2005
gegen den Beschluss der Amtsgerichts - Familiengericht - Unna vom 16. März 2005 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat der Antragstellerin für das beabsichtigte Scheidungsverfahren
Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe bewilligt, dass die Beiordnung von Rechtsanwältin W aus M
zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts erfolgt.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin.
Zur Begründung führt sie aus, dass der angegriffene Beschluss nur unter Geltung des § 126 Abs.
1 S. 2 BRAGO richtig gewesen sei. Das beabsichtigte Verfahren sei jedoch nach den
Bestimmungen des RVG abzurechnen. Das RVG enthalte insoweit keine einschränkende
Bestimmung mehr. Deshalb seien gem. § 46 RVG auch Fahrkosten zu erstatten.
II.
Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Amtsgericht hat die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin zu Recht zu den
Bedingungen einer ortsansässigen Anwältin beigeordnet. Gem. § 121 Abs. 3 ZPO kann ein bei
dem Prozessgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, falls dadurch keine
weiteren Kosten entstehen.
Diese Regelung ist eindeutig. Sie kann gegen den Wortlaut nicht anders ausgelegt werden, weil nach Auffassung der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin -aus dem am 1.7. 2004
inkraftgetreten Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vom 5.5. 2004 (BGBI. l S. 718) etwas
anderes abzuleiten sei. Es trifft zwar zu, dass in § 46 RVG die einschränkende Regelung des §
126 Abs. 1 S. 2 BRAGO nicht mehr enthalten ist. Die Übernahme des § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO
in § 46 RVG ist allerdings aus dem Grunde nicht erfolgt, weil dem Gesetzgeber die Regelung in §
126 Abs. 1 S. 2 BRAGO wegen § 121 Abs. 3 ZPO entbehrlich erschien. Dies ist in der
Begründung des Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
deutlich niedergelegt worden (BT-Drucks. 15/1971 S. 200; vgl. auch Musielak/Fischer, ZPO, 4.
Aufl., 2005, § 121 Rdnr. 18 a.E.).
KAMMERGERICHT-BERLIN: 16 WF 21/05, Beschluss vom 07.04.2005
Verfahrensgang:
AG Tempelhof-Kreuzberg (FamG) 165 F 11604/04 vom 11.11.2004
Stichworte: Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts im Rahmen der
Prozeßkostenhilfe
Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer:
16 WF 21/05
07.04.2005
In der Familiensache
hat der 16.Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin als Senat für Familiensachen durch die
Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer, den Richter am Kammergericht Dr.Prange und
die Richterin am Kammergericht Gernoth-Schultz beschlossen:
209
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts PankowWeißensee vom 11. November 2004 - 165 F 11604/04 - wird zurückgewiesen.
Gründe:
Der Beschwerdeführer begehrt die Abänderung des Beiordnungsbeschlusses vom 11.11.04
dahingehend, dass die Einschränkung, die Beiordnung erfolge zu den Bedingungen eines
ortsansässigen Anwalts entfällt.
Die gemäß § 127 Abs.2 S.2 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 121 Abs.3 ZPO kann ein nicht beim Prozessgericht zugelassener Anwalt nur
beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Diese Bestimmung ist durch
das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte v. 2.9.1994
als selbständiger Absatz eingeführt worden. Damit wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass sie
auch für den Anwaltsprozess gilt (BT-Drs. 93/93, S.132). Die Kenntnis dieser gesetzlichen
Regelung kann bei einem Rechtsanwalt ohne besonderen Hinweis vorausgesetzt werden. Wenn
ein auswärtiger Anwalt in Kenntnis dieser Bestimmung gleichwohl seine Beiordnung beantragt,
muß er davon ausgehen, dass die Beiordnung nur unter den vom Gesetz vorgesehenen
Einschränkungen erfolgen kann. Das Amtsgericht hat folgerichtig deshalb angeordnet, dass die
Beiordnung nur zu den Bedingungen eines am Prozessgericht zugelassenen Anwalts erfolgt, da
anderenfalls Mehrkosten entstünden. Die vorherige Nachfrage bei dem
Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführer, ob er mit dieser Einschränkung
einverstanden sind, ist angesichts der deutlichen gesetzlichen Regelung überflüssig. Der Senat
schließt sich insoweit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte an (Nürnberg, FamRZ 02,
106; Hamm, FamRZ 00, 1227; Hamburg FamRZ 00, 1227 f., Brandenburg JurBüro 00, 481;
München, MDR 00, 1455; Celle, FamRZ 91, 962 und JurBüro 00, 480).
Der entgegenstehenden Ansicht (OLG Karlsruhe, FamRZ 91,348; 98,632) folgt der Senat im
Hinblick auf die eindeutige Formulierung des § 121 Abs.3 ZPO nicht. Dessen wesentliches
Argument, der Rechtsanwalt habe mit dem Ausspruch der Beiordnung bereits eine Rechtsposition
nach § 126 Abs.1 S.2 BRAGO erlangt, die ihm nicht durch eine nachfolgende Einschränkung
wieder genommen werden dürfte, trifft auf die heutige Rechtslage nicht mehr zu. Die Regelung
des § 126 Abs.1 S.2 BRAGO ist nicht in § 46 RVG übernommen worden. Es kann nicht
angenommen werden, dass der Gesetzgeber das Übernehmen dieser Regelung vergessen hat.
Vielmehr ergibt sich ein Sinn dann, wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber die
verkürzte Regelung in § 46 RVG im Hinblick auf § 121 Abs.3 ZPO für ausreichend erachtet hat,
weil es bei Beachtung dieser Vorschrift nicht mehr zu den in § 126 Abs.1 S.2 ZPO a. F. erwähnten
Mehrkosten kommen kann.
Unerheblich ist das Argument des Antragsgegners, es würden ohnehin Kosten für eine
Informationsreise des Antragsgegners zu seinem Anwalt anfallen, wenn er einen
Verfahrensbevollmächtigten in Berlin beauftragt hätte. Zum Einen steht bereits die Notwendigkeit
einer solchen Reise in Frage. Es handelt sich vorliegend um einen einfach gelagerten
Sachverhalt. Der Antragsgegner stimmt der Scheidung zu und die Folgesachen sind bereits in
einer notariellen Vereinbarung geregelt worden. Gründe für eine Informationsreise zu einem
persönlichen Gespräch drängen sich daher nicht auf. Zum Anderen ist die Anwaltsvergütung
weder der Sache noch der Höhe nach mit den Kosten der Partei selbst, die nicht als Vergütung
des Anwalts festgesetzt werden kann, vergleichbar.
210
§ 51 RVG
OLG Karlsruhe 1. Strafsenat Beschluß vom 15. Juni 2005 1 AR 22/05
Vergütung des Rechtsanwalts: Bemessung der Pauschvergütung des Pflichtverteidigers
Bei der Festsetzung der Pauschgebühr für den Pflichtverteidiger kann dessen weitere zeitliche
Beanspruchung durch eine unmittelbar vor der Hauptverhandlung stattfindende
verfahrensabkürzende Besprechung zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem
Verteidiger berücksichtigt werden.
Rpfleger 2005, 627 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 90-91 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 315-316 (red. Leitsatz) NStZ-RR 2005, 286 (Leitsatz)
Thüringer Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluß vom 14. Juni 2005 AR (S) 61/05
Vergütung des Rechtsanwalts: Bemessung der Pauschvergütung des Pflichtverteidigers
1. Bei der Prüfung, ob dem Pflichtverteidiger eine Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 S. 1
RVG zusteht, ist zunächst zu untersuchen, inwieweit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile
eine besondere Schwierigkeit und/oder ein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit
vorliegt.
2. Weist das Verfahren zumindest hinsichtlich einzelner Delikte besondere Schwierigkeiten
auf und erfordert dies nach einer umfangreichen Beweisaufnahme einen besonderen
Vorbereitungsaufwand für die Fortsetzung der Hauptverhandlung, ist es angemessen, die
gesetzlichen Terminsgebühren zu erhöhen.
RVG-Letter 2005, 89-90 (red. Leitsatz) JurBüro 2005, 476 (Leitsatz) RVG
professionell 2005, 187 (red. Leitsatz)
BGH 2. Strafsenat Beschluß vom 8. Juni 2005 2 StR 468/04
Vergütung des Rechtsanwalts: Pauschvergütung des Pflichtverteidigers für die
Revisionshauptverhandlung
Orientierungssatz
1. Erfordert die Wahrnehmung der Pflichtverteidigung in einer Revisionshauptverhandlung
wegen der besonderen Schwierigkeit der Sache eine umfangreiche Vorbereitung, ist die
Bewilligung gerechtfertigt.
2. Muss sich der Pflichtverteidiger nicht nur mit einer bedeutsamen Verfahrensrüge befassen,
sondern vor allem auch mit mehreren Mordmerkmalen bei verschiedenen
Sachverhaltsalternativen, ist eine Pauschvergütung in Höhe von 1.000 EUR angemessen.
211
Tenor
Der gerichtlich bestellten Verteidigerin, Frau Rechtsanwältin S. aus K., wird für die
Revisionshauptverhandlung anstelle der gesetzlichen Gebühr eine Pauschvergütung in Höhe
von 1.000 EUR (in Worten: eintausend) bewilligt.
Gründe
I.
Der Senat ist in Übereinstimmung mit den hierzu angefragten anderen Strafsenaten der
Auffassung, daß über die Pauschvergütung anders als beim Oberlandesgericht, bei dem ein
Einzelrichter entscheiden kann (§ 51 Abs. 2 Satz 4 RVG i.V.m. § 42 Abs. 3 RVG), beim
Bundesgerichtshof ausschließlich eine Spruchgruppe (mit fünf Richtern) entscheidet. § 122
Abs. 1 GVG sieht für das Oberlandesgericht vor, daß in bestimmten Fällen der Einzelrichter
entscheiden kann. Eine entsprechende Regelung für den Bundesgerichtshof enthält das GVG
jedoch nicht (vgl. § 139 GVG).
II.
Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 31. Januar 2005 war die Antragstellerin zur
Pflichtverteidigern für die Revisionshauptverhandlung bestellt worden. Für diesen
Verfahrensteil ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung
einer Pauschvergütung berufen (§ 51 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG).
Nach Anhörung der Staatskasse, die eine Pauschgebühr in Höhe von etwa 450 EUR für
geboten erachtet, hält der Senat hier eine Pauschvergütung in Höhe von 1.000 EUR für
gerechtfertigt und angemessen. Zur Vorbereitung und Wahrnehmung der Hauptverhandlung
vor dem Senat hatte sich die Antragstellerin nicht nur mit einer bedeutsamen Verfahrensrüge,
sondern vor allem auch mit mehreren Mordmerkmalen bei verschiedenen
Sachverhaltsalternativen zu befassen. Insoweit war die Sache besonders schwierig.
Unter diesen Umständen war eine besonders umfangreiche Vorbereitung für die
Revisionshauptverhandlung erforderlich.
Bode Rothfuß Fischer
Roggenbuck Appl
StraFo 2005, 439 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 88-89 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 345-346 (red. Leitsatz)
Thüringer Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluß vom 14. Juni 2005 AR (S) 61/05
Vergütung des Rechtsanwalts: Bemessung der Pauschvergütung des Pflichtverteidigers
Orientierungssatz
1. Bei der Prüfung, ob dem Pflichtverteidiger eine Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 S. 1
RVG zusteht, ist zunächst zu untersuchen, inwieweit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile
212
eine besondere Schwierigkeit und/oder ein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit
vorliegt.
2. Weist das Verfahren zumindest hinsichtlich einzelner Delikte besondere Schwierigkeiten
auf und erfordert dies nach einer umfangreichen Beweisaufnahme einen besonderen
Vorbereitungsaufwand für die Fortsetzung der Hauptverhandlung, ist es angemessen, die
gesetzlichen Terminsgebühren zu erhöhen.
RVG-Letter 2005, 89-90 (red. Leitsatz) JurBüro 2005, 476 (Leitsatz) RVG
professionell 2005, 187 (red. Leitsatz)
OLG Hamm 2. Strafsenat Beschluß vom 14. April 2005 2 (s) Sbd VIII - 62/05, 2 (s) Sbd
VIII 62/05, 2 (s) Sbd 8 - 62/05
Pflichtverteidigergebühren: Besonderer Umfang des Verfahrens
Leitsatz
Zum besonderen Umfang des Verfahrens i.S.v. § 51 RVG bei langer
Hauptverhandlungsdauer, wenn dem Pflichtverteidiger deswegen eine zusätzliche Gebühr
nach dem RVG zusteht.
Orientierungssatz
Die Dauer der Hauptverhandlungstermine als Zeitmoment, das bislang auch wesentlich für
die Bewilligung einer Pauschvergütung berücksichtigt wurde, steht nur noch in
Ausnahmefällen zur Verfügung, da das RVG diesem Umstand durch den Zuschlag nach Nr.
4116, 4117 VV RVG Rechnung getragen hat.
StraFo 2005, 263-264 (Leitsatz und Gründe)
OLG Koblenz 1. Strafsenat Beschluß vom 11. Januar 2005 1 AR 156/04, 1 AR 156/04 Str
Pflichtverteidigerkosten: Notwendiger Inhalt eines Antrags auf Bewilligung einer
Pauschgebühr
Orientierungssatz
Stellt ein Pflichtverteidiger einen Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr, muss er bei
Tätigkeiten, die sich nicht aus der Akte ergeben (hier: Prüfung der "Richtigkeit" der
Tatvorwürfe und "umfangreiche Ermittlungsarbeit"), auch darlegen, in welchem Zeitraum sie
erbracht wurden.
RVG-B 2005, 68-69 (red. Leitsatz)
213
OLG Hamm 2. Strafsenat Beschluß vom 17. Februar 2005 2 (s) Sbd VIII 11/05, 2 (s) Sbd 8 11/05
Rechtsanwaltsvergütung: Voraussetzungen der Bewilligung einer Pauschgebühr für den
gerichtlich bestellten bzw. beigeordneten Rechtsanwalt
Leitsatz
Bei der Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG besteht, ist
hinsichtlich des besonderen Umfangs regelmäßig zunächst zu untersuchen, inwieweit die
anwaltliche Tätigkeit hinsichtlich einzelner Verfahrensabschnitte zu berücksichtigen ist.
Darüber hinaus kann aber auch noch eine pauschale Betrachtung in Betracht kommen.
Die Voraussetzungen der "Unzumutbarkeit" i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG sind zumindest
immer dann zu bejahen, wenn das Verfahren bzw. der Verfahrensabschnitt sowohl als
"besonders schwierig" als auch als "besonders umfangreich" anzusehen ist.
StraFo 2005, 173-175 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 112-116 (Leitsatz und Gründe)
RVG-B 2005, 68 (red. Leitsatz)
Thüringer Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluß vom 11. Januar 2005 ARs 185/04
Pflichtverteidigervergütung: Voraussetzungen des Anspruchs auf die Pauschgebühr und
Umfang der durch die Grundgebühr abgegoltenen Tätigkeiten
Leitsatz
1. Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte
Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt durch den Senat - wie auch im
Verfahren nach § 99 BRAGO - regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die
besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit
hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Bei außergewöhnlich
zeitaufwändigen Verfahren, u.a. umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw.
Indizienprozessen, kann im Einzelfall auch eine pauschale Betrachtung angezeigt sein.
2. Die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG soll den Aufwand honorieren, der einmalig mit
der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die
Beschaffung der erforderlichen Informationen (vgl. BT-Dr. 15/1971, S. 222). Dazu gehört vor
allem auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO.
StraFo 2005, 172-173 (red. Leitsatz und Gründe) Rpfleger 2005, 276-277 (Leitsatz und
Gründe) JurBüro 2005, 258-259 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 341-342 (Leitsatz und
Gründe) RVGreport 2005, 103 (Leitsatz) ZAP EN-Nr 142/2005 (Leitsatz) NJ 2005, 472
(Leitsatz) RVG-B 2005, 149-150 (red. Leitsatz)
214
1. Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte
Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt regelmäßig in der Weise, dass
untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der
anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist.
2. Der Aufwand für die Vorbereitung der Hauptverhandlung wird grundsätzlich mit der
Verfahrensgebühr, hier: Nr. 4107 VV RVG, abgegolten. Ein erhöhter Vorbereitungsaufwand für
zusätzliche Fortsetzungstermine nach umfangreicher Beweisaufnahme ist bei Festsetzung der
Terminsgebühren zu berücksichtigen.
OLG-THUERINGEN: AR S 61/05, Beschluss vom 14.06.2005
Verfahrensgang:
AG Erfurt 710 Js 60022/04 - 565 Ls jug. vom 06.08.2004
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
AR (S) 61/05
14.06.2005
Beschluss vom 14.06.2005
In dem Strafverfahren
hat auf den Antrag des Rechtsanwaltes R. K., Erfurt, ihm als gerichtlich beigeordnetem
Rechtsanwalt des Angeklagten N. eine Pauschgebühr zu bewilligen (§ 51 RVG), der 1. Strafsenat
des Thüringer Oberlandesgerichts durch Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als
Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und am 14. Juni 2005
beschlossen:
Tenor:
Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug eine Pauschgebühr in Höhe von
2.980,- ¤ (netto) bewilligt.
Die Pauschgebühr tritt an die Stelle der Gebühren nach Nr. 4101, 4107, 4109, 4110 VV RVG. Der
weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Rechtsanwalt K. wurde dem Angeklagten N. durch Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom
06.08.2004, mithin nach der am 25.06.2004 erfolgten Anklageerhebung, zum Pflichtverteidiger
bestellt. Mit Anklageschrift vom 24.06.2004 war dem seit dem 16.05.2004 nach § 72 Abs. 4 JGG
untergebrachten Angeklagten zur last gelegt worden, sich gemeinsam mit vier weiteren Tätern
des Raubes sowie der gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht zu haben. Zum führenden
Verfahren wurden weitere, den Angeklagten betreffende Strafverfahren hinzuverbunden:
- 710 Js .../04 - 565 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung,
- 710 Js .../04 - 565 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer
Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung,
- 720 Js ...704 - 565 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlicher versuchter räuberischer
Erpressung,
215
- 720 Js ...704 - 563 Ls jug. AG Erfurt wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung
- 720 Js ...704 - 54 Ds jug. AG Erfurt wegen Sachbeschädigung.
Der Antragsteller verteidigte den Angeklagten in den Hauptverhandlungsterminen vor dem
Amtsgericht Erfurt/am 26.10., 28.10., 04.11., 10.11. und 29.11.2004.
Mit Schriftsatz vom 01.02.2005 hat der Verteidiger beantragt, ihm gem. § 51 RVG eine
Pauschgebühr für die Verteidigung des Angeklagten in Höhe von 3.000,- ¤ zuzüglich der
gesetzlichen Mehrwertsteuer zu bewilligen.
Die Vertreterin der Staatskasse hat vorgeschlagen, eine Pauschgebühr in Höhe von 2.480,- ¤
festzusetzen.
II.
Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren
oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt durch den Senat - wie auch im Verfahren
nach § 99 BRAGO - regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere
Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner
Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Bei außergewöhnlich zeitaufwendigen Verfahren, u. a.
umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw. Indizienprozessen, kann im Einzelfall auch eine
pauschale Betrachtung angezeigt sein.
Die Voraussetzungen zur Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG sind im bezeichneten
Umfang gegeben.
Auszugehen ist von den gesetzlichen Gebühren des Antragstellers, die sich aus dem
Vergütungsverzeichnis, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VV RVG) wie folgt ergeben:
- Grundgebühr gem. § 2, Nr. 4101 VV RVG 162,00 ¤,
- Verfahrensgebühr nach § 2, Nr. 4107 VV RVG 137,00 ¤,
- 5 Terminsgebühren nach § 2, Nr. 4109 VV RVG (je 225,-¤) 1.120,00 ¤,
- Zuschlag zur Terminsgebühr für die Hauptverhandlung
vom 29.11.2004 (Terminsdauer 5 bis 8 Stunden) nach
§ 2, Nr. 4110 VV RVG 92,00 ¤,
- 2 Zuschläge zu den Terminsgebühren für die
Hauptverhandlungstermine vom 04.11. sowie 10.11.2004
(Terminsdauer über 8 Stunden) nach § 2, Nr. 4111 VV RVG
(je 184,- ¤) 368,00 ¤
Gesamtbetrag: 1.879,00 ¤.
Dem Antragsteller stehen jeweils die Zuschläge nach dem Vergütungsverzeichnis, Anlage 1 zu §
2 Abs. 2 RVG (VV RVG), Teil 4 Strafsachen, Vorbemerkung 4, Absatz 4 zu. Aufgrund der
Unterbringung nach § 72 Abs. 4 JGG befand sich der Angeklagte nicht auf freiem Fuß i. S. d.
Gebührenvorschriften.
Vorliegend handelte es sich um ein besonders umfangreiches Verfahren i. S. v. § 51 RVG. Dem
Angeklagten wurden eine Vielzahl von insbesondere gemeinschaftlich begangenen
Gewaltdelikten zur Last gelegt. Durch die Verbindung von insgesamt 6 den Angeklagten
betreffenden Verfahren war der Aktenumfang für ein Verfahren vor dem Jugendschöffengericht
überdurchschnittlich. Das Verfahren gestaltete sich aber auch in tatsächlicher Hinsicht, obwohl
der Angeklagte zu seinem Tatverhalten weitgehend geständig war, besonders schwierig. Zu den
Schuldvorwürfen wurden ca. 40 Zeugen vernommen. Die vom Amtsgericht im Urteil vom
29.11.2004 vorgenommene äußerst umfangreiche Beweiswürdigung belegt die Schwierigkeiten
der Sache in tatsächlicher Hinsicht.
In Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Bezirksrevisors rechtfertigt zunächst der besondere
Umfang der Sache eine Erhöhung der Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG auf das Dreifache.
Die Grundgebühr soll den Aufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats
216
entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und der Beschaffung der erforderlichen
Informationen, wozu auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO gehört. Insoweit war
vorliegend die Tätigkeit des Antragstellers im Vergleich zu anderen Verfahren vor dem
Jugendschöffengericht wegen des Aktenumfanges und des Verfahrensgegenstandes weit
überdurchschnittlich.
Hinsichtlich der Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG ist - ebenfalls in Übereinstimmung mit
dem Vorschlag des Bezirksrevisors - eine Gebührenerhöhung in gleicherweise angezeigt.
Insgesamt wurden 6 den Angeklagten betreffende Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung miteinander verbunden. In Vorbereitung auf die Hauptverhandlung führte der
Antragsteller jeweils eine umfangreiche Besprechung mit seinem Mandanten sowie dessen Mutter
durch. Der Verteidiger hatte sich auch nochmals mit dem umfangreichen Akteninhalt auseinander
zu setzen.
Schließlich ist es auch angezeigt, die Terminsgebühren nach Nr. 4109 VV RVG angemessen zu
erhöhen. Dabei wird der überdurchschnittliche Umfang von drei Hauptverhandlungsterminen,
welche über 5 bzw. über 8 Stunden andauerten, bereits durch die Zusatzgebühren nach Nr. 4110
bzw. 4111 VV RVG ausreichend abgegolten. Daneben war aber auch zu berücksichtigen, dass
das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht, zumindest hinsichtlich einzelner Delikte, besondere
Schwierigkeiten aufwies. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass der Vorbereitungsaufwand des
Verteidigers auf die Hauptverhandlung bei einer derart umfangreichen Beweisaufnahme nur
teilweise durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG abgegolten wird, wovon ansonsten
regelmäßig auszugehen ist. Dies war vorliegend hinsichtlich der ersten drei zunächst
anberaumten Hauptverhandlungstermine zweifelsfrei der Fall. Soweit später jedoch weitere
Hauptverhandlungstermine bestimmt worden sind und der Verteidiger das Ergebnis der
bisherigen umfangreichen Beweisaufnahme zu berücksichtigen hatte, ist der dadurch erhöhte
Vorbereitungsaufwand im Rahmen der Festsetzung der Terminsgebühren nach Nr. 4109 VV RVG
mit zu erfassen. Der Senat erachtet es als angemessen, die gesetzlichen Terminsgebühren von
insgesamt 1.120,- ¤ pauschal um 500,- ¤, mithin auf 1.620,- ¤ zu erhöhen.
Dem Antragsteller steht damit eine Pauschgebühr für die Verteidigung des Angeklagten im
erstinstanzlichen Verfahren zu, die der Senat wie folgt ermittelt hat:
1. dreifache Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG 486,00 ¤,
2. dreifache Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 VV RVG 411,00 ¤,
3. Terminsgebühren nach Nr. 4109 VV RVG 1.620,00 ¤,
4. zusätzliche Terminsgebühren nach Nr. 4110 VV RVG 92,00 ¤,
5. zusätzliche Terminsgebühren nach Nr. 4111 VV RVG 368,00 ¤
Gesamtbetrag 2.977,00 ¤,
aufgerundet: 2.980,00 ¤.
Der weitergehende Antrag war zurückzuweisen.
Die Festsetzung der auf die bewilligte Pauschgebühr entfallenden gesetzlichen Mehrwertsteuer
obliegt, wie die Festsetzung der Gebühren insgesamt, auch nach der gesetzlichen Neuregelung
durch das RVG, dem Kostenbeamten des erstinstanzlichen Gerichts. Ebenso sind etwaige
Vorschüsse oder auf die gesetzlichen Gebühren bereits geleistete Teilzahlungen vom
Kostenbeamten des erstinstanzlichen Gerichts bei der Gebührenfestsetzung zu berücksichtigen.
Auch wenn vorliegend eine von § 51 Abs. 1 Satz 3 RVG ausdrücklich erfasste Fallgestaltung nicht
gegeben ist, hält es der Senat zur Klarstellung für angezeigt, die Gebühren, an deren Stelle die
Pauschgebühr treten soll, zu bezeichnen.
Die Gewährung einer Pauschvergütung für das Vorverfahren kann angezeigt sein, wenn für
mehrere Besuche des Angeklagten in der Haftanstalt ein Zeitaufwand von etwa zehn Stunden
erforderlich gewesen ist und die Verständigung mit dem Angeklagten nur mit einem Dolmetscher
möglich war.
217
OLG-KARLSRUHE: 1 AR 36/05, Beschluss vom 23.08.2005
Stichworte: Pauschgebühr für das Vorverfahren
Strafsache gegen
wegen Körperverletzung m. Todesfolge u.a.
hier: Pauschvergütung nach § 51 RVG
Beschluss vom 23. August 2005
Tenor:
1. Rechtsanwalt M. aus K. wird für seine Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger des
Verurteilten Z. für das Vorverfahren eine an die Stelle der gesetzlichen Gebühr tretende
Pauschvergütung in Höhe von ¤ 312,50 (i.W.: dreihundertzwölf,fünfzig) bewilligt.
2. Im Übrigen wird der Antrag des Pflichtverteidigers abgewiesen.
Gründe:
I.
Der mit Verfügung des Vorsitzenden des Landgerichts - Schwurgericht - K. vom 17.12.2004 zum
Pflichtverteidiger bestellte, seit 15.10.2004 als Wahlverteidiger tätige Rechtsanwalt M. aus U. hat
am 11.03.2005 für seine Tätigkeit eine Pauschvergütung in Höhe von 3.000,00 ¤ zuzüglich
Mehrwertsteuer beantragt.
Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat am 13.04.2005 zu dem Antrag Stellung genommen und
die Gewährung einer Pauschgebühr für angemessen erachtet.
Der Bezirksrevisor ist der Bewilligung einer Pauschvergütung entgegengetreten.
II.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 51 RVG liegen für das
Vorverfahren vor, nicht jedoch für das Hauptverfahren.
Nach § 51 Abs. 1 RVG ist eine Pauschvergütung für das gesamte Verfahren oder von Teilen
davon zu gewähren, wenn die gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der
besonderen Schwierigkeit der Tätigkeit des Pflichtverteidigers nicht zumutbar sind. Nach der
Intention des Gesetzgebers ist der praktische Anwendungsbereich des § 51 RVG gegenüber der
alten Regelung in § 99 BRAGO eingeschränkt, da in das Vergütungsverzeichnis neue
Gebührentatbestände aufgenommen wurden, deren Vorliegen nach altem Recht dazu führte,
dass eine Pauschvergütung bewilligt wurde (BT-Drs. 15/1971, S. 201, 202 zitiert bei Hartung in
Praxiskommentar zum RVG, § 51 Rdnr. 7; Podlech-Trappmann in Bischof/Jungbauer/PodlechTrappmann, Kompaktkommentar zum RVG, § 51 Rdnr. 4). So sind für die - nach der
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bisher für die Angemessenheit einer Pauschgebühr
herangezogene Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren (Nr. 4103 VV), die
Teilnahme am Haftprüfungstermin (Nr. 4102 VV) oder die Teilnahme an
Hauptverhandlungsterminen mit mehr als 5 bzw. 8 Stunden Dauer neue Gebührentatbestände
geschaffen worden, so dass diese Tätigkeiten, wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme zu
Recht ausführt, nur noch in Ausnahmefällen zur Begründung einer Pauschgebühr herangezogen
werden können (Hartung a.a.O.; Podlech-Trappmann, a,a,O.). § 51 RVG erfasst aber weiterhin
vor allem die Fälle, in denen der Verteidiger im Ermittlungsverfahren in weit
überdurchschnittlichem Maße tätig war (Hartung a.a.O., Rdnr. 8).
Dies ist vorliegend bezüglich der Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, dem
"vorbereitenden Verfahren" im Sinne des Teils 4 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses
218
der Fall. Zwar waren im vorliegenden Fall weder die Akten, in die sich der Verteidiger einarbeiten
musste, besonders umfangreich, noch war die Sache in rechtlicher Hinsicht besonders schwierig,
zumal der Verurteilte bereits in seiner polizeilichen Vernehmung am Festnahmetag geständig war,
dem Opfer den letztlich tödlichen Kopfstoß versetzt zu haben. Aufgrund der schwierigen aufbrausenden - Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten, der vehement leugnete, dem Opfer die
verfahrensgegenständlichen 50 ¤ entwendet zu haben, waren für die Verteidigung jedoch 4
Besuche von jeweils mehr als einer Stunde Dauer bei einer Fahrzeit von insgesamt jeweils ca. 1
Stunde 30 Minuten (einfache Strecke 50 km) in der Justizvollzugsanstalt Heimsheim notwendig,
insgesamt also ein Zeitaufwand von ca. 10 Stunden, wobei - trotz der deutschen
Staatsangehörigkeit des Verurteilten - die Verständigung nur über einen Dolmetscher für die
russische Sprache möglich war. Die Notwendigkeit, einen Dolmetscher zu dem
Mandantengesprächen bei zu ziehen, rechtfertigt für sich allein nicht die Gewährung einer
Pauschgebühr (OLG Karlsruhe JurBüro 1987, 392 = RPfleger 1987, 176). Jedoch begründet dies
vorliegend in Verbindung mit der erforderlichen Fahrzeit - der Verteidiger hat insgesamt nahezu
einen ganzen Arbeitstag verloren - (OLG Karlsruhe StV 1990, 369) und der problematischen
Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten (OLG Nürnberg StV 2000, 441 f), die sich aus seiner
Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis, seiner Neigung zu aufbrausendem Verhalten und der
festgestellten Nähe zum Obdachlosen- und Trinkermilieu ergibt, einen besonderen Umfang der
Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, zumal er nach seinem Vortrag darüber
hinausgehend noch eine Tatortbesichtigung durchgeführt hat.
Dagegen war die Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Hauptverfahren weder von besonderem
Umfang noch von besonderer Schwierigkeit im Verhältnis zu den durchschnittlich beim
Schwurgericht durchgeführten Hauptverhandlungen. Es bedurfte lediglich der Einarbeitung in das
erst nach Anklageerhebung vorliegende rechtsmedizinische Gutachten und der
Auseinandersetzung mit dem nur in Einzelpunkten vom schriftlichen Gutachten abweichenden
Gutachten der rechtsmedizinischen Sachverständigen im Hauptverhandlungstermin. Es wurden 9
Zeugen vernommen, was in einem Schwurgerichtsverfahren als allenfalls leicht
überdurchschnittlich zu werten ist. Von diesen Zeugen waren lediglich 3 Zeugen dem
Obdachlosen- und Trinkermilieu zuzurechnen, was deren Befragung und die Wertung ihrer
Aussagen erschwert hat, aber nicht in einem Maße, dass die Tätigkeit des Pflichtverteidigers in
der Hauptverhandlung als besonders schwierig einzustufen wäre.
Für die Höhe der Pauschvergütung sind die gesetzlichen Gebühren eines Wahlverteidigers
grundsätzlich Maßstab und Rahmen. Nach einer Gesamtabwägung aller
entscheidungserheblichen Umstände erscheint die Bewilligung einer Pauschvergütung für das
vorbereitende Verfahren in Höhe der Höchstgebühr eines Wahlverteidigers von 312,50 EUR
(Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG) als angemessen.
Bereits ausbezahlte gesetzliche Gebühren sind auf die Pauschvergütung anzurechnen. Die
Geltendmachung von Auslagen bleibt durch die Pauschvergütung unberührt.
Zur Pauschgebühr nach neuem Recht.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII - 150/05, Beschluss vom 07.09.2005
Stichworte: besonders umfangreich; besonders schwierig; Zumutbarkeit;
verfahrensabschnittsweise Betrachtung; Höchstgebühr
Beschluss
Strafsache
wegen Betruges, (hier: Pauschgebühr für den bestellten Verteidiger gem. § 51 RVG).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts M. in Essen vom 06. Mai 2005 auf Bewilligung einer
Pauschgebühr für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 07. 09. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht - als
219
Einzelrichterin gemäß §§ 51, 42 Abs. 3 Satz 1 RVG - nach Anhörung des Leiters des Dezernats
10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren (Gebühren gemäß Nr. 4100, 4101,
4104, 4105, 4112, 4113, 4114, 4115 und 4116 VV RVG) in Höhe von 2.507,00 EURO eine
Pauschgebühr in Höhe von 3.000,00 EURO (in Worten: dreitausend EURO) bewilligt.
Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt für seine Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger die Gewährung
einer Pauschgebühr in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühren.
Er ist dem ehemaligen Angeklagten durch Beschluss vom 13. September 2004 als
Pflichtverteidiger beigeordnet worden, mithin nach der am 10. September 2004 erfolgten
Anklageerhebung. Erstmals tätig geworden ist er am 01. September 2004.
Hinsichtlich seiner Tätigkeiten im Einzelnen wird auf die Stellungnahme des Leiters des Dezernats
10 vom 14. Juni 2005 Bezug genommen, die dem Antragsteller bekannt ist und in der dessen
Tätigkeitsumfang zutreffend dargestellt ist.
Auf die Sache ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar, da die Beiordnung des
Antragstellers erst im September 2004 erfolgte, so dass gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative
RVG das RVG und nicht (mehr) die BRAGO anwendbar ist. Erstmals tätig geworden ist der
Antragsteller ebenfalls erst nach Inkrafttreten des RVG.
II.
Dem Antragsteller war nach § 51 RVG eine Pauschgebühr zu bewilligen.
1. Das Verfahren war zum einen "besonders schwierig" im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG. Zur
Frage, wann ein Verfahren "besonders schwierig" ist, hält der Senat an seiner bisherigen
Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO fest. Das RVG hat insoweit keine Änderung gebracht
(vgl. Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 18), so dass die bisherige Rechtsprechung anwendbar bleibt.
"Besonders schwierig" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG ist also ein Verfahren, das aus besonderen
tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl.
dazu zu § 99 BRAGO Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Der Senat schließt sich vorliegend der
Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer an (vgl. dazu grundlegend Senat in AnwBl.
1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999,
104 = AnwBl. 2000, 56). Die Einschätzung des Vorsitzenden des Gerichts ist nach wie vor i.d.R.
maßgeblich.
2. Das Verfahren war für den Antragsteller zum anderen "besonders umfangreich" im Sinne des §
51 Abs. 1 RVG.
Auch insoweit bleibt, da die Formulierung des § 51 Abs. 1 RVG dem bisherigen § 99 Abs. 1
BRAGO entspricht, die bisherige Rechtsprechung des Senats zum "besonderen Umfang"
weitgehend anwendbar. Allerdings muss sie jeweils sorgfältig darauf untersucht werden, inwieweit
Tätigkeiten, für die das RVG einen besonderen Gebührentatbestand geschaffen hat, jeweils für
die Annahme des "besonderen Umfangs" mitbestimmend gewesen sind (Burhoff, a.a.O., § 51
RVG Rn. 11).
"Besonders umfangreich" ist eine Strafsache danach nach wie vor dann, wenn der von dem
Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer
"normalen" Sache zu erbringen hat (allgemeine Meinung zu § 99 BRAGO; vgl. die Nachweise bei
Burhoff StraFo 1999, 261, 263 in Fn. 30 und die ständige Rechtsprechung des Senats).
220
Das RVG sieht bei den Gebühren des Strafverteidigers in Teil 4 VV RVG im Wesentlichen eine
verfahrensabschnittsweise Vergütung vor, die - so der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung
(vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 220) - eine bessere Honorierung der Tätigkeiten des Rechtsanwalts
im Strafverfahren ermöglicht. Dem hat er bei der Neufassung des § 51 RVG dadurch Rechnung
getragen, dass nunmehr ausdrücklich in § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG die Bewilligung einer
Pauschgebühr für einen Verfahrensabschnitt möglich sein soll (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 201).
Dem hat nach Auffassung des Senats die Rechtsprechung auch dann Rechnung zu tragen, wenn
eine Pauschgebühr nicht nur für einen einzelnen Verfahrensabschnitt beantragt wird, sondern wie vorliegend - für das gesamte Verfahren. Grundsätzlich wird auch in diesen Fällen zunächst zu
untersuchen sein, inwieweit der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich
einzelner Verfahrensabschnitte zu bejahen ist (so auch OLG Jena in den Beschlüssen vom 11.
Januar 2005, AR (S) 185/04 und 14. Juni 2005, AR(S) 61/05, http://www.burhoff.de). Die bislang
von der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in der Regel vorgenommene
Gesamtbetrachtung des Verfahrens (vgl. dazu u.a. OLG Hamm StraFo 1997, 286 = AnwBl. 1998,
220) kann unter Geltung des RVG erst in einem zweiten Schritt vorgenommen werden, wenn
nämlich zu entscheiden ist, ob zwar nicht ein einzelner Verfahrensabschnitt "besonders
umfangreich" gewesen ist, ggf. das Verfahren aber "insgesamt" als "besonders umfangreich"
einzustufen ist (so auch OLG Jena, a.a.O.). Das wird z.B. dann der Fall sein können, wenn die
einzelnen Verfahrensabschnitte jeweils noch nicht den Grad des "besonderen Umfangs" erreicht
haben, sie aber jeweils so umfangreich sind, dass in der Gesamtschau unter Berücksichtigung der
Kriterien des RVG ein "besonderer Umfang" anzunehmen ist. In dem Zusammenhang ist aber
unter Anwendung des RVG zu berücksichtigen, dass dieses nunmehr für einige Tätigkeiten des
Pflichtverteidigers besondere eigenständige Gebühren vorsieht, wie die Nr. 4102 VV RVG und die
so genannten Längenzuschläge für besonders lange Hauptverhandlungen. Diese Tätigkeiten
haben in der Gesamtschau nicht mehr das Gewicht, das sie bei der Bewilligung einer
Pauschgebühr nach § 99 BRAGO noch hatten (so auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4114 VV RVG
Rn. 1, Nr. 4110 VV RVG Rn. 2).
In Übereinstimmung mit dem Leiter des Dezernats 10 ist der Senat der Auffassung, dass die
Tätigkeiten, die der Antragsteller im vorgerichtlichen Verfahren (Verfahrensgebühr Nr. 4104 mit
Zuschlag Nr. 4105 VV RVG) erbracht hat, noch nicht als besonders umfangreich zu bewerten
sind. Zwar hat der Antragsteller vorgetragen, er habe zur Vorbereitung der Hauptverhandlung
seinen Mandanten insgesamt fünf Mal in der JVA Essen besucht, wobei die reine Besuchsdauer
jeweils eine Stunde betragen habe. Er hat jedoch nicht im Einzelnen dargelegt, ob und wie viele
dieser Besuche während des Vorverfahrens und wie viele nach Anklageerhebung stattgefunden
haben (vgl. hierzu den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 23. August 2005 - 1 AR 36/05 -, in dem
ausgeführt wird, dass vier Haftbesuche von mehr als einer Stunde bei einer Fahrzeit von
insgesamt ca. einer Stunde und 30 Minuten pro Besuch es rechtfertigen können, einen
besonderen Umfang der Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren anzunehmen). Nach
Anklageerhebung erfolgte Besuche wirken sich allein auf die Verfahrensgebühr Nr. 4112 mit
Zuschlag Nr. 4113 VV RVG aus und sind demzufolge nicht geeignet, eine Erhöhung der
Verfahrensgebühr Nr. 4104 mit Zuschlag (Nr. 4105 VV RVG) zu begründen.
Die Tätigkeiten, die der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren mit Ausnahme der Teilnahme an
den Hauptverhandlungsterminen erbracht hat, sind schon als besonders umfangreich im Sinne
des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zu bewerten. Dies gilt insbesondere aufgrund des komplexen
Prozessstoffs, insoweit auch aufgrund des mit der Haft verbundenen Mehraufwandes und der
Teilnahme an dem Haftbefehlsverkündungstermins, in dem der von der Strafkammer neu
gefasste Haftbefehl verkündet worden ist.
Die Verfahrensabschnitte Hauptverhandlungstermine sind in Übereinstimmung mit den
Ausführungen des Vertreters der Staatskasse noch nicht als besonders umfangreich zu werten.
In der Gesamtschau war vorliegend die Tätigkeit des Antragstellers als "besonders umfangreich"
im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG anzusehen.
Für die Einordnung des vorliegenden Verfahrens als "besonders umfangreich" war insbesondere
von Bedeutung, dass das Verfahren durch die aktive Mitarbeit des Verteidigers letztlich erheblich
abgekürzt werden konnte. Der Senat hat schon in der Vergangenheit die intensive Vorbereitung
der Hauptverhandlung, die zu einer Verkürzung der Hauptverhandlung führt, bei der Bewilligung
einer Pauschgebühr berücksichtigt (vgl. Senat in StraFo 1997, 30 = JurBüro 1997, 85). Er hält an
dieser Rechtsprechung im weiterhin bestehenden Interesse an einer effektiven, zeit- und
221
kostensparenden Rechtspflege fest.
Demgemäß war dem Antragsteller eine Pauschgebühr zu bewilligen. Diese hat der Senat in Höhe
von 3.000,00 ¤ als angemessen angesehen und in dieser Höhe festgesetzt. Dabei hat der Senat
die Gebühr nach Nr. 4112 VV RVG mit Zuschlag (Nr. 4113 VV RVG) wegen des "besonderen
Umfangs" verdoppelt und sodann die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers wegen der
"besonderen Schwierigkeit" angemessen auf 3.000,00 ¤ erhöht.
Dabei ist der Senat vorliegend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der
"Unzumutbarkeit" i.S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zu bejahen sind. Das gilt nach Auffassung des
Senats zumindest immer dann, wenn das Verfahren bzw. der Verfahrensabschnitt als sowohl
"besonders schwierig" als auch "besonders umfangreich" anzusehen ist. Ob es immer auch gilt,
wenn nur eines der Kriterien erfüllt ist, kann hier dahinstehen.
Der weitergehende Antrag, mit dem ein Pauschgebühr in Höhe der
Wahlverteidigerhöchstgebühren von 5.137,50 ¤ geltend gemacht worden ist, war hingegen
abzulehnen. Gebühren in dieser Höhe wären angesichts des Umfangs der von dem Antragsteller
erbrachten Tätigkeiten unangemessen. Dabei kann wegen der Höhe der geltend gemachten
Gebühren dahinstehen, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung des Senats zu dieser
Frage Bestand hat (vgl. dazu Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 94).
Für die Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung als Grundlage für einen sog.
Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger kommt es, wenn die Hauptverhandlung verspätet
beginnt, auf den Zeitpunkt an, zu dem der Pflichtverteidiger geladen worden und anwesend ist.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII-54/05, Beschluss vom 27.05.2005
Stichworte: Hauptverhandlungsdauer; Länge der Hauptverhandlung; Längenzuschlag;
Beginn der Hauptverhandlung
Beschluss
Strafsache
gegen W.D.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, (hier: Pauschgebühr für den bestellten
Verteidiger gem. § 51 RVG).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts R. in vom 12. Oktober 2004 auf Bewilligung einer
Pauschgebühr für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten Wehrstedt hat der 2.
Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 05. 2005 durch den Richter am
Oberlandesgericht (als Einzelrichter gem. §§ 51 Abs. 2 S. 4, 42 Abs. 3 S. 1 RVG) nach Anhörung
des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
Der Antragsteller begehrt mit näherer Begründung für seine Tätigkeit im vorliegenden Verfahren
eine "Pauschvergütung" (nach RVG jetzt: Pauschgebühr) in Höhe von 2.500,00 ¤.
Dabei geht er zudem noch von unzutreffenden ihm zustehenden gesetzlichen Gebühren aus, die
er mit insgesamt 1.258,00 ¤ beziffert hat.
Wie der Vertreter der Staatskasse in seiner Stellungnahme vom 25. Februar 2005 zutreffend
222
dargelegt hat, stehen ihm jedoch gesetzliche Gebühren lediglich in Höhe von insgesamt 821,00 ¤
nach den Nrn. 4101, 4105, 4113, 4115 und 4116 VV RVG zu.
Wie der Vertreter der Staatskasse in der genannten Stellungnahme ebenfalls zutreffend
ausgeführt hat, war das Verfahren für den Antragsteller weder besonders umfangreich noch
besonders schwierig im Sinne des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG.
Auch die Ausführungen im Schriftsatz des Antragstellers vom 14. März 2005 geben zu einer
anderen Entscheidung keinen Anlass. Dies gilt auch für die drei datumsmäßig nicht näher
mitgeteilten Besuche bei dem in der JVA Iserlohn inhaftierten Mandanten, zumal wegen der
Inhaftierung bereits sämtliche genannten Gebühren mit Ausnahme der Nr. 4116 VV RVG einen
Haftzuschlag beinhalten.
Zudem steht dem Pflichtverteidiger insoweit auch Auslagenersatz nach den Nrn. 7000 ff. VV RVG
- hier Nr. 7003 bzw. 7004 sowie 7005 und evtl. 7006 - zu.
Abgesehen davon wären weder die einzelnen Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis noch
die dem Antragsteller insgesamt zustehende Gebühr unzumutbar im Sinne der genannten
Vorschrift.
Dieses Ergebnis ergibt sich zudem auch aus einem Vergleich zwischen den dem Antragsteller
nach dem RVG zustehenden gesetzlichen Gebühren von insgesamt 821,00 ¤ und den
gesetzlichen Gebühren in Höhe von 450,00 ¤, die ihm zustehen würden, wenn noch nach den
Vorschriften der BRAGO abzurechnen gewesen wäre. In diesem Falle hätte selbst die
sogenannte Mittelgebühr eines Wahlverteidigers mit 630,00 ¤ noch erheblich unter den jetzigen
gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers gelegen.
Dem Antragsteller steht es jedoch frei, die vom Rechtspfleger in der Kostenfestsetzung
abgesetzte Gebühr nach Nr. 4116 VV RVG in Höhe von 108,00 ¤, die auch der Leiter des
Dezernats 10 des hiesigen Oberlandesgerichts für entstanden hält, geltend zu machen.
Die Hauptverhandlung war auf 9.00 Uhr anberaumt und hat bis 14.25 Uhr gedauert. Auch wenn
ihr tatsächlicher Beginn erst mit 9.40 Uhr angegeben ist, hat der Verteidiger entsprechend der Nr.
4116 VV RVG mehr als 5 Stunden an einer Hauptverhandlung teilgenommen. Es ist nämlich
davon auszugehen, dass er auch bereits zur anberaumten Terminsstunde anwesend war.
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der verspätete Beginn der Hauptverhandlung auf
das Ausbleiben des Verteidigers zurückzuführen wäre und dieser tatsächlich auch nicht pünktlich
an dem Ort der Hauptverhandlung anwesend gewesen wäre. Dies müsste dann aber als
entsprechender Nachweis ausdrücklich in die Sitzungsniederschrift oder in einen Vermerk
aufgenommen werden.
Nach alledem war jedenfalls der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr abzulehnen.
Zur Frage der Kompensation, wenn auf die Tätigkeit des Pflichtverteidigers in 1. Instanz die
BRAGO und auf die in der 2. Instanz das RVG anwendbar ist.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII 128/05, Beschluss vom 16.06.2005
Stichworte: Pauschgebühr; anwendbares Recht; Kompensation; Berufungsinstanz
Beschluss
Strafsache
gegen Ö.H.
223
wegen gefährlicher Körperverletzung (hier: Pauschgebühr für den als Pflichtverteidiger bestellten
Rechtsanwalt).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts R. in Soest vom 30. Juli 2004 auf Bewilligung einer
Pauschgebühr für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 16. 06. 2005 durch Richter am Oberlandesgericht, die Richterin
am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats
10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 250 EURO eine
Pauschvergütung in Höhe von 500 EURO (in Worten: fünfhundert EURO) bewilligt.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Dem ehemaligen Angeklagten wurden im vorliegenden Verfahren eine gefährliche
Körperverletzung zur Last gelegt. In diesem Verfahren ist der Antragsteller erstmals gerichtlich als
Wahlverteidiger am 23. Juni 2004 tätig geworden, nachdem die Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft vom 28. Mai 204 am 2. Juni 2004 beim Amtsgericht eingegangen war. Der
Antragsteller hat seinem Bestellungsschriftsatz den Schriftwechsel mit dem ehemaligen
Angeklagten beigefügt. Dieser enthält ein erstes Schreiben des ehemaligen Angeklagten vom 9.
Juni 2004. Die Beiordnung des Antragstellers zum Pflichtverteidiger erfolgte am 30. Juni 2004.
Der Antragsteller hat folgende Leistungen für den ehemaligen Angeklagten, der sich seit dem 16.
Mai 2004 in Untersuchungshaft befunden hat, erbracht: Der Antragsteller hat Akteneinsicht
genommen und verschiedene Anträge und Schreiben verfasst. Er hat außerdem den ehemaligen
Angeklagten zweimal in der Justizvollzugsanstalt besucht; insoweit geht der Senat davon aus,
dass es sich um ein Versehen des Antragstellers handelt, wenn er vorträgt, er habe den
ehemaligen Angeklagten in der "Justizvollzugsanstalt Herford" besucht, obwohl die
Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Iserlohn vollzogen worden ist. Der Antragsteller hat
außerdem am 29. Juli 2004 an der Hauptverhandlung beim Jugendschöffengericht teilgenommen.
Diese hat 4 Stunden und 15 Minuten gedauert. Gegen das amtsgerichtliche Urteil hat der
Antragsteller Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel ist auf das Strafmaß beschränkt worden. Die
Berufungshauptverhandlung hat am 8. Dezember 2004 55 Minuten gedauert.
Der Antragsteller hat bereits nach der erstinstanzlichen Entscheidung eine Pauschgebühr von
1.000 ¤ beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat ablehnend zum Antrag Stellung genommen.
Das Verfahren sei nicht besonders schwierig. Es sei auch nicht besonders umfangreich. Die
Tätigkeiten des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren seien zwar überdurchschnittlich, sie
würden aber durch die unterdurchschnittliche Tätigkeit im Berufungsverfahren kompensiert. Der
Antragsteller hat daraufhin in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass er nur noch eine
Pauschvergütung für die 1. Instanz beantrage und es für die 2. Instanz bei den gesetzlichen
Gebühren bleiben können.
II.
Auf das Verfahren ist nun nur noch die bis zum 30. Juni 2004 geltende BRAGO anwendbar (vgl.
zur Geltung des RVG bzw. der BRAGO beim Pflichtverteidiger Senat im Beschluss vom 10.
Januar 2005 2 (s) Sbd. 268 u.a./04; RVGreport 2005, 68 = StraFo 2005, 130 = NStZ-RR 2005,
127 (Ls.) = Rpfleger 2005, 214 = AGS 2005, 117; OLG Schleswig RVGreport 2005, 29; KG
RVGreport 2005, 100 und 187; OLG Celle RVGreport 2005, 142, jeweils mit weiteren Nachweisen
aus der insoweit herrschenden Literaturmeinung; alle Beschlüsse auch auf www.burhoff.de). Zwar
ist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 RVG für die Tätigkeit des Antragstellers im Berufungsverfahren das
RVG anwendbar, da die Berufung erst nach dem Inkrafttreten des RVG am 1. Juli 2004 eingelegt
worden ist. Der Antragsteller macht jedoch für diesen Rechtszug keine Pauschvergütung mehr
geltend. Der Senat legt seine Stellungnahme vom 9. Juni 2005 dahin aus, dass der
Pauschvergütungsantrag insoweit zurückgenommen worden ist. Damit kann die Frage
224
dahinstehen, ob der Senat zumindest teilweise durch den Einzelrichter hätte entscheiden müssen.
III.
Dem Antragsteller war auch eine Pauschvergütung zu bewilligen, da er in einem im Sinn des § 99
Abs. 1 BRAGO "besonders umfangreichen" Verfahren tätig geworden ist.
1. Das Verfahren war allerdings nicht "besonders schwierig" im Sinne von § 99 Abs. 1 RVG.
Insoweit schließt sich der Senat der dem Antragsteller bekannten Einschätzung des Vertreters der
Staatskasse an; eine Stellungnahme des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts liegt nicht vor.
Das Verfahren hat jedoch keine besonderen Schwierigkeiten, die die Gewährung einer
Pauschvergütung rechtfertigen würden, geboten.
2. Das Verfahren war für den Antragsteller allerdings "besonders umfangreich" im Sinne des § 99
Abs. 1 RVG. Die Hauptverhandlung beim Jugendschöffengericht hat 4 Stunden 15 Minuten
gedauert und war damit für eine Hauptverhandlung beim Schöffengericht nach ständiger
Rechtsprechung des Senats für eine amtsgerichtliche Hauptverhandlung schon
überdurchschnittlich lang (vgl. Burhoff (Hrsg.) RVG in Straf- und Bußgeldsachen, § 51 RVG Rn.
92). Zudem hat der Antragsteller den ehemaligen Angeklagten zweimal in der
Justizvollzugsanstalt besucht, wobei der Senat allerdings darauf hinweist, dass der Antragsteller
diese beiden Besuche zeitlich nicht näher erläutert hat (vgl. dazu Beschluss des Senats in NStZRR 2000, 318 m.w.N.). Insgesamt ist damit für das gerichtliche Verfahren von einer schon
überdurchschnittlichen Tätigkeit, die die Gewährung einer Pauschvergütung rechtfertigt,
auszugehen.
Eine Kompensation mit den nur unterdurchschnittlichen Tätigkeiten des Antragstellers im
Berufungsverfahren kommt entgegen der Auffassung des Vertreters der Staatskasse nicht in
Betracht. Der Antragsteller hat seine Auffassung damit begründet, dass nach ständiger
Rechtsprechung des Senats die Pauschvergütung nach § 99 Abs. 1 BRAGO eine Vergütung für
die gesamte Tätigkeit des Pflichtverteidigers sei und demgemäß alle von ihm entfalteten
Tätigkeiten zu berücksichtigen seien (vgl. z. B. Beschlüsse des Senats in 2 (s) Sbd. 5-85/97 und 2
(s) Sbd. 6-253/99). Es kann dahinstehen, inwieweit grundsätzlich an dieser Rechtsprechung
festzuhalten ist. Jedenfalls scheidet vorliegend eine Berücksichtigung der Tätigkeiten des
Antragstellers in dem nach dem RVG abzurechnenden Berufungsverfahren bei der Gewährung
einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO aus. Dies folgt u.a. aus dem Sinn und Zweck der
Übergangsregelung in § 61 Abs. 1 Satz 2 RVG; mit der der Gesetzgeber ausdrücklich die
möglichst frühzeitige Geltung des RVG sicher stellen wollte (vgl. dazu die Gesetzesbegründung in
der BT-Drucksache 15/1971 zu den §§ 60, 61 RVG). Eine Kompensation scheitert zudem auch
daran, dass die Abgeltungsbereiche der dem Antragsteller nach der BRAGO zustehenden
gesetzlichen Gebühren und der des RVG nicht miteinander vergleichbar sind. Die Kompensation
würde zudem dazu führen, dass dem Antragsteller die höheren Gebühren des RVG, mit denen er
sich nun durch Rücknahme seines Antrags einverstanden erklärt hat, letztlich nicht verbleiben
würden, obwohl der Gesetzgeber durch die Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 RVG ausdrücklich
dafür sorgen wollte, dass auf nach dem 1. Juli 2004 eingelegte Rechtsmittelverfahren auch nur
das RVG Anwendung finden soll. Das Verbot der Kompensation in diesen Fällen vermeidet also
eine unnötige und letztlich kaum lösbare Gemengelage zwischen BRAGO und RVG (vgl. dazu
schon OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 31 = RVGreport 200 5, 28).
Bei der Bemessung der demnach für die Tätigkeit in der 1. Instanz zu gewährenden
Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Das war neben der
Hauptverhandlungsdauer auch die vom Antragsteller aufgewendete Fahrtzeit, um von Soest, dem
Sitz seiner Kanzlei, nach Menden, dem Sitz des Amtsgerichts, zu gelangen (zur Berücksichtigung
der Fahrtzeiten siehe zuletzt Senat in RVGreport 2005, 104 = AGS 2005, 116 = NStZ-RR 2005,
160). Alles in allem erschien dem Senat eine Pauschvergütung von 500 EURO angemessen.
Dabei ist der Senat von gesetzlichen Gebühren des Antragstellers in Höhe von 250 ¤
ausgegangen. Diesem steht nämlich eine Vorverfahrensgebühr nach §§ 84 Abs. 1, 83 BRAGO
nicht zu, da er erst nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens, das mit Eingang der
Anklageschrift beim Amtsgericht endete (vgl. die Regelung in § 84 Abs. 1 BRAGO) tätig geworden
ist. Der ehemaligen Angeklagte hat den Antragsteller mit Schreiben vom 9. Juni 2004 erstmals
angeschrieben; zu dem Zeitpunkt war das vorbereitende Verfahren mit Eingang der Anklageschrift
beim Amtsgericht am 2. Juni 2004 aber bereits beendet.
225
Demgemäss war der weitergehende Antrag des Antragstellers, mit dem eine über die
Wahlverteidigerhöchstgebühr hinausgehende Pauschvergütung beantragt worden ist, abzulehnen
Die Problematik der Erstreckung im Sinne des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG stellt sich nur, wenn der
Rechtsanwalt in einem von mehreren Verfahren bereits als Pflichtverteidiger beigeordnet ist und
zu diesem Verfahren dann weitere Verfahren, in denen er nicht als Pflichtverteidiger beigeordnet
ist, hinzu verbunden werden.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII 110/05, Beschluss vom 06.06.2005
Stichworte: Pauschgebühr; Verbindung von Verfahren; Erstreckung; Beiordnung als
Pflichtverteidiger; Verfahrensgebühr; Zuschlag
Beschluss
Strafsache
gegen M.B.
wegen räuberischer Erpressung (hier: Pauschgebühr für den als Pflichtverteidiger bestellten
Rechtsanwalt).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts S. aus Paderborn vom 18. März 2005 auf Bewilligung einer
Pauschgebühr für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten Bergmann hat der 2. Strafsenat
des Oberlandesgerichts Hamm am 06.06.2005 durch den Richter am Oberlandesgericht als
Einzelrichter gem. §§ 51 Abs. 2 in Verbindung mit § 42 Abs. 3 RVG nach Anhörung des Leiters
des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Dem ehemaligen Angeklagten wurden in mehreren Verfahren Straftaten vorgeworfen. Gegenstand des führenden Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn war eine räuberische Erpressung.
In diesem Verfahren ist der Antragsteller erstmals als Wahlverteidiger tätig geworden am 1. Juli
2004, seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger erfolgte in der Hauptverhandlung am 3. März 2005.
In diesem Verfahren, in dem die Anklage am 19. November 2004 beim Amtsgericht eingegangen
ist, hat der Antragsteller folgende Leistungen für den ehemaligen Angeklagten, der sich seit dem
1. Juli 2004 nach seiner an diesem Tag erfolgten vorläufigen Festnahme bis zum 8. Juli 2004 in
Untersuchungshaft befunden hat, erbracht: Der Antragsteller hat am 1. Juli 2004 an einem
Hafttermin teilgenommen. In diesem Termin ist der ehemalige Angeklagte ausweislich des
Protokolls eingehend zur Sache vernommen worden, der Antragsteller hat zudem die
Vernehmung von zwei Zeugen beantragt und beantragt, den Erlass eines Haftbefehls
zurückzuweisen. Er hat außerdem am 8. Juli 2004 an einem Haftprüfungstermin teilgenommen, in
dem der Haftbefehl vom 1. Juli 2004 außer Vollzug gesetzt worden ist.
Im Hauptverhandlungstermin am 3. März sind weitere Verfahren zu dem führenden Verfahren
hinzuverbunden worden. In den beiden Verfahren 441 Js 461/04 StA Paderborn und 221 Js
1114/04 StA Paderborn war der Antragsteller bis dahin nicht tätig gewesen. Im Verfahren 221 Js
288/04 hatte er bereits Akteneinsicht erhalten und Schreiben und Anträge verfasst. In dem
Verfahren 221 Js 704/04 hatte er ebenfalls bereits Akteneinsicht erhalten und zudem Schreiben
226
und Anträge verfasst. Der Antragsteller ist nach Verbindung der Verfahren als Pflichtverteidiger
beigeordnet worden. Im Verbindungsbeschluss ist nicht die "Erstreckung" ausgesprochen worden.
Die Hauptverhandlung beim Amtsgericht hat 2 Stunden und 25 Minuten gedauert. Das Urteil des
Amtsgerichts ist noch in der Hauptverhandlung rechtskräftig geworden.
Der Antragsteller beantragt eine Pauschgebühr. Er beantragt im Verfahren 221 Js 288/04 die
Erhöhung nach seiner Ansicht noch gegebenen Gebühr der §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Satz 3, 97
BRAGO von 100 ¤ um mindestens 25 ¤ auf 125 ¤, da es in dem Verfahren auch um die
Entziehung der Fahrerlaubnis gegangen sei. Der Vertreter der Staatskasse hat beantragt, den
Antrag zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, dass das Verfahren nicht besonders umfangreich
gewesen sei und der Antragsteller zudem durch die gesetzlichen Gebühren ausreichend entlohnt
werde.
I.
1. Auf den Antrag des Antragstellers ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar.
Der Antragsteller ist am 3. März 2005 beigeordnet worden, so dass gem. § 61 Abs. 1 Satz 1 2.
Alternative RVG das RVG und nicht (mehr) die BRAGO anwendbar ist (vgl. dazu eingehend
Senat im Beschluss vom 10. Januar 2005 2 (s) Sbd. 268 u.a./04; RVGreport 2005, 68 = StraFo
2005, 130 = NStZ-RR 2005, 127 (Ls.) = Rpfleger 2005, 214 = AGS 2005, 117; OLG Schleswig
RVGreport 2005, 29; KG RVGreport 2005, 100 und 187; OLG Celle RVGreport 2005, 142, jeweils
mit weiteren Nachweisen aus der insoweit herrschenden Literaturmeinung; alle Beschlüsse auch
auf www.burhoff.de).
Es ist auch auf das gesamte Verfahren das RVG anwendbar und nicht etwa auf einzelne Teile
(noch) die BRAGO. Die hinzu verbundenen Verfahren haben ihre gebührenrechtliche
Selbständigkeit durch die Verbindung verloren. Aus den vor der Verbindung vorliegenden fünf
Angelegenheiten i.S. des § 15 RVG sind durch die Verbindung eine Angelegenheit geworden, auf
die das RVG Anwendung findet. Es stellt sich vorliegend insoweit auch nicht die Problematik der
Erstreckung im Sinne des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG. Diese stellt sich nur, wenn der Rechtsanwalt
in einem von mehreren Verfahren bereits als Pflichtverteidiger beigeordnet ist und zu diesem
Verfahren dann weitere Verfahren, in denen er nicht als Pflichtverteidiger beigeordnet ist, hinzu
verbunden werden (vgl. zur Erstreckung Burhoff RVGreport 2004, 411). Vorliegend sind jedoch
die Verfahren zunächst verbunden worden und danach ist dann die Beiordnung des Antragstellers
in dem (verbundenen) Verfahren erfolgt. Diese Problematik löst sich hinsichtlich der vom
Antragsteller in den verbundenen Verfahren erbrachten Tätigkeiten über § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG.
II.
Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr war indes abzulehnen. Hinsichtlich der vom
Antragsteller erbrachten Tätigkeiten sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht
gegeben. Das Verfahren war weder "besonders schwierig" noch "besonders umfangreich" im Sinn
des § 51 RVG. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller nur für einen einzelnen
Verfahrensabschnitt oder für das gesamte Verfahren eine Pauschgebühr beantragt hat.
1.Das Verfahren war nicht "besonders schwierig" im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG. Der Senat hat
bereits in mehreren Entscheidungen ausgeführt, dass er zur Frage, wann ein Verfahren
"besonders schwierig" ist, an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO festhält,
da das RVG insoweit keine Änderungen gebracht hat (vgl. dazu u.a. Beschluss des Senats vom
10. 1. 2005, a.a.O.; Burhoff/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 18). Auf diesen
wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung
kommt es maßgeblich auf die Einschätzung des Vorsitzenden an (vgl. dazu Senat im Beschluss
vom 10. Januar 2005 m.w.N.). Dieser hat aber das Verfahren, das verhältnismäßig einfache
Sachverhalte zum Gegenstand hatte, als nicht "besonders schwierig" angesehen. Von dieser
Einschätzung abzuweichen, besteht für den Senat kein Anlass. Dieser folgt auch nicht aus dem
Umstand, dass insgesamt fünf Verfahren miteinander verbunden worden sind. Das hat das
Verfahren noch nicht so unübersichtlich gemacht, dass es deshalb als "besonders schwierig"
anzusehen wäre.
2. Das Verfahren war für den Antragsteller auch nicht "besonders umfangreich" im Sinne des § 51
Abs. 1 RVG. Die Hauptverhandlung beim Schöffengericht hat 2 Stunden 25 Minuten gedauert und
227
war damit für eine Hauptverhandlung beim Schöffengericht allenfalls durchschnittlich. Es ist nur
ein Zeuge vernommen worden. Das ergangene Urteil ist sofort rechtskräftig geworden. Auch die
Tätigkeiten in den übrigen Verfahrensabschnitten machen das Verfahren nicht zu einem
"besonders umfangreichen", wobei nicht übersehen werden darf, dass dem Antragsteller für seine
Tätigkeit in den Haftprüfungsterminen eine Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG zusteht. Soweit der
Antragsteller - allerdings bezogen auf die von ihm noch nach der BRAGO berechneten
gesetzlichen Gebühren - allein eine Erhöhung geltend macht wegen der von ihm erbrachten
Tätigkeiten im Hinblick auf die (drohende) Entziehung der Fahrerlaubnis im Verfahren 221 Js
288/04 StA Paderborn, ist nicht ersichtlich, welche besonderen Tätigkeiten er erbracht hat, die die
Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen würden bzw. könnten.
Selbst wenn das Verfahren aber "besonders umfangreich" sein sollte, stünde der Gewährung
einer Pauschgebühr entgegen, dass die dem Antragsteller zustehende gesetzliche Vergütung im
Hinblick auf die von ihm erbrachten Tätigkeiten nicht "unzumutbar" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG
ist. Unabhängig davon, ob die gesetzlichen Gebühren vom Vertreter der Staatskasse mit 1.631,00
¤ zutreffend berechnet worden sind (vgl. dazu unten unter III) stehen dem Antragsteller Gebühren
in einer Höhe zu, die die "Unzumutbarkeit" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG ausschließen (vgl. auch
dazu Senat im o.a. Beschluss vom 10. Januar 2005). Nach allem war damit der Antrag
abzulehnen.
III.
Die Berechnung der gesetzlichen Gebühren durch den Vertreter der Staatskasse gibt dem Senat
Anlass zu folgenden Hinweisen:
a) Zutreffend ist, dass der Vertreter der Staatskasse bei der Berechnung der gesetzlichen
Gebühren nur die Tätigkeiten des Antragstellers im (führenden) Verfahren 230 Js 705/04 StA
Paderborn und in den Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn
berücksichtigt hat. Nur in diesen Verfahren war der Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten
vor der Verbindung tätig. Nur insoweit kann über die Regelung des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG die
Berücksichtigung von vor der Verbindung erbrachten Tätigkeiten in Betracht kommen. § 48 Abs. 5
Satz 1 RVG führt nicht dazu, dass nicht erbrachte Tätigkeiten vergütet werden (Burhoff RVGreport
2004, 411 ff.).
b) Zutreffend ist es auch, dass der Vertreter der Staatskasse hinsichtlich der Verfahren 221 Js
288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn nicht auch auf § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG
und damit auf eine (vorliegend nicht erfolgte) Erstreckung abgestellt hat. Es ist bereits darauf
hingewiesen, dass hier die Grundsätze der Erstreckung nicht zum Tragen kommen, da die
Verbindung der Verfahren vor Beiordnung des Antragstellers erfolgt ist.
c) Unzutreffend ist allerdings die Berechnung der gesetzlichen Gebühren. Soweit der Vertreter der
Staatskasse dem Antragsteller entsprechend seinem Antrag im Festsetzungsantrag vom 18. März
2005 zwei Terminsgebühren nach Nr. 4102 Ziffer 3, 4103 VV RVG gewähren will, ist offensichtlich
die Beschränkung des Satzes der Anmerkung zu Nr. 4102 VV RVG übersehen worden. Danach
entsteht die Gebühr im vorbereitenden Verfahren und in jedem Rechtszug für die Teilnahme an
jeweils bis zu drei Terminen (nur) einmal (vgl. dazu eingehend, Burhoff, a.a.O., Nr. 4102 VV RVG
Rn. 43 ff.; Burhoff RVGreport 2004, 245). Daher ist für die Teilnahme an den beiden
Haftprüfungsterminen am 1. und 8. Juli 2004 nur eine Terminsgebühr nach Nr. 4102 Ziffer 3, 4103
VV RVG entstanden.
In dem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass es allerdings zutreffend ist, wenn der
Vertreter der Staatskasse auch hinsichtlich des Termins vom 1. Juli 2004 von einem Hafttermin im
Sinne der Nr. 4102 Ziffer 3 VV RVG ausgegangen ist. Denn auch in diesem ist durch die
Benennung der beiden Zeugen zu dem dem ehemaligen Angeklagten gemachten Vorwurf und
dessen umfangreiche Einlassung zur Tat im Sinne des Nr. 4102 Ziffer 3 VV RVG "über die
Anordnung der ..... Untersuchungshaft .... verhandelt worden" (vgl. dazu Burhoff, a.a.O., Nr. 4102
VV RVG Rn. 23 ff.). Es hat sich nicht um einen reinen Haftbefehlsverkündungstermin gehandelt,
für den die Gebühr nicht angefallen wäre (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 223; Burhoff, a.a.O., Nr.
4102 VV RVG Rn. 25 f.).
d) Unzutreffend ist es auch, wenn der Vertreter der Staatskasse dem Antragsteller in den
Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn für das gerichtliche
228
Verfahren eine Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4107 VV RVG zubilligen will.
Zu Recht geht der Vertreter der Staatskasse allerdings davon ausgeht, dass in beiden Verfahren
eine gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden ist, da in beiden Verfahren bereits Anklage
erhoben und somit das vorbereitende Verfahren beendet war (vgl. Anmerkung zu Nr. 4104 VV
RVG). Der Antragsteller ist auch im gerichtlichen Verfahren tätig geworden, da ihm die
Anklageschrift vom Gericht zugestellt worden ist.
Die dem Antragsteller zustehende Verfahrensgebühr ist jedoch nicht mit Zuschlag nach Nr. 4107
VV RVG entstanden, sondern nur als Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG. Zwar hat sich
der ehemalige Anklagte nach den Zeitpunkten der Erhebung der Anklagen am 20. April 2004 und
am 5. Juli 2004 noch ab 1. Juli 2004 in Untersuchungshaft befunden, bis der Haftbefehl gegen ihn
am 8. Juli 2004 außer Vollzug gesetzt worden ist. Damit wären grundsätzlich die
Voraussetzungen für die Gewährung einer gerichtlichen Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach der
Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG in Verbindung mit Nr. 4104 VV RVG erfüllt. Der Vertreter der
Staatskasse übersieht jedoch, dass sich der ehemalige Angeklagte nicht in den Verfahren 221 Js
288/04 StA Paderborn und 221 Js 704/04 StA Paderborn in Untersuchungshaft befunden hat,
sondern nur in dem (führenden) Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn. Daher kann auch nur in
dem Verfahren eine Gebühr mit Zuschlag entstehen. Aus der Verbindung der Verfahren und aus §
48 Abs. 5 Satz 1 RVG folgt nichts anderes. Diese führt nicht dazu, dass nicht erbrachte
Leistungen vergütet werden. Die durch die Untersuchungshaft entstehenden Erschwernisse, die
durch die Gewährung des Zuschlags nach Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG abgegolten werden
sollen, sind nur im Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn entstanden.
Demgemäss hat der Antragsteller nur folgende gesetzliche Gebühren verdient:
Verfahren 230 Js 705/04 StA Paderborn, in dem der ehemaligen Angeklagte inhaftiert war:
Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 162,00 ¤
Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104, 4105 VV RVG 137,00 ¤
Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Ziff. 2, 4103 VV RVG 137,00 ¤
Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4106 VV RVG 112,00 ¤
Terminsgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4108 VV RVG 184,00 ¤
insgesamt also 732,00 ¤
Verfahren 221 Js 288/04 StA Paderborn
Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,00 ¤
Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104 VV RVG 112,00 ¤
Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4106 VV RVG 112,00 ¤
insgesamt also 356,00 ¤
Verfahren 221 Js 704/04 StA Paderborn
Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,00 ¤
Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104 VV RVG 112,00 ¤
Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren Nr. 4106 VV RVG 112,00 ¤
insgesamt also 356,00 ¤
damit also insgesamt 1.444,00 ¤
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zu § 99 BRAGO zur Frage der grundsätzlichen
Maßgeblichkeit der Einschätzung des Tatrichters, ob es sich um ein "besonders schwieriges"
Verfahren gehandelt hat fest.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII-77/05, Beschluss vom 28.04.2005
Beschluss
229
Strafsache
gegen C.D.
wegen Urkundenfälschung u.a., (hier: Pauschgebühr für den bestellten Verteidiger gem. § 51
RVG).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts Patti in Bünde vom 09. Februar 2005 auf Bewilligung einer
Pauschgebühr für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 28. 04. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach
Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
Der Antragsteller ist dem früheren Angeklagten in dem führenden Verfahren 293 Js 169/04
Staatsanwaltschaft Arnsberg am 05. Oktober 2004, in drei weiteren Verfahren jeweils am 27.
Oktober 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Er war erstmals am 30. Juli 2004 als
Verteidiger in dem führenden Verfahren noch vor Erhebung der Anklage tätig, in den weiteren
Verfahren jeweils nach Erhebung der Anklagen ab Mitte Oktober 2004.
Mit dem Eröffnungsbeschluss des erweiterten Schöffengerichts des Amtsgerichts Arnsberg in
dem Verfahren 293 Js 169/04 Staatsanwaltschaft Arnsberg vom 28. Oktober 2004 wurden
zugleich die vier Verfahren miteinander verbunden. Im Rahmen der Hauptverhandlung wurde die
Strafverfolgung gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf die Vorwürfe aus der Anklageschrift 293 Js 169/04
der Staatsanwaltschaft Arnsberg beschränkt. Der frühere - insoweit geständige - Angeklagte
wurde nach dreitägiger Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 wegen Urkundenfälschung in
sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Betrug und wegen Verschaffens von falschen
amtlichen Ausweisen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur
Bewährung verurteilt. Das Urteil wurde noch im Hauptverhandlungstermin rechtskräftig.
Der Antragsteller begehrt mit näherer Begründung, auf die Bezug genommen wird, für seine
Tätigkeit im vorliegenden Verfahren für die drei Hauptverhandlungstermine, die durchschnittlich
eine Stunde und einundvierzig Minuten gedauert haben, eine Pauschgebühr in Höhe von
1.200,00 ¤ zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren.
I.
Auf die Sache ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar. Der Antragsteller ist in
sämtlichen Verfahren erst nach diesem Zeitpunkt tätig und dem früheren Angeklagten als
Pflichtverteidiger beigeordnet worden, so dass gem. § 61 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative RVG das
RVG und nicht (mehr) die BRAGO anwendbar ist.
II.
Da somit das RVG anwendbar ist, ist gemäß § 51 Abs. 2 Satz 4 RVG in Verbindung mit § 42 Abs.
3 RVG der mitentscheidende Einzelrichter zuständig. Dieser hat die Sache dem Senat in der
Besetzung mit drei Richtern übertragen, um zu der Frage des Abweichens von der Einschätzung
des Tatrichters hinsichtlich der "besonderen Schwierigkeit" auch bei Anwendung des RVG eine
einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen.
III.
Der Vertreter der Staatskasse hat zu dem Antrag unter dem 21. März 2005 ausführlich Stellung
genommen und die Tätigkeit des Antragstellers, die zugrunde zu legenden Daten sowie die ihm
zustehenden gesetzlichen Gebühren zutreffend dargelegt. Bezüglich der Verfahrensabschnitte
230
"Terminswahrnehmungen" und bezüglich der - im Anschluss an die Einschätzung des Tatrichters
angenommenen - besonderen Schwierigkeit hatte der Vertreter der Staatskasse gegen die
Bewilligung einer angemessenen Pauschgebühr keine Bedenken. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat auf diese dem Antragsteller bekannte Stellungnahme Bezug.
IV.
Das Verfahren war nach der Auffassung des Senats entgegen der Stellungnahme des Vertreters
der Staatskasse allerdings nicht "besonders schwierig" im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG. Zur Frage,
wann ein Verfahren "besonders schwierig" ist, hält der Senat an seiner bisherigen
Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO fest. Das RVG hat insoweit keine Änderung gebracht
(vgl. Burhoff/Burhoff, RVG Straf-und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 18), so dass die bisherige
Rechtsprechung anwendbar bleibt. "Besonders schwierig" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG ist also
ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß
hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu zu § 99 BRAGO Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist
vorliegend nach der Einschätzung des Senats nicht der Fall.
Abweichend von der Stellungnahme des Vorsitzenden des erweiterten Schöffengerichts und ihm
folgend des Vertreters der Staatskasse hält der Senat das Verfahren für den Antragsteller bei der
vorzunehmenden Gesamtschau zwar für schwierig, aber nicht für besonders schwierig i.S.d. § 51
Abs. 1 RVG. Insoweit vermag der Senat der Ansicht des Gerichtsvorsitzenden in dessen
Stellungnahme vom 03. März 2005, der der Leiter des Dezernats 10 wegen dessen besonderer
Sachnähe nicht widersprochen hat, nicht zu folgen. Der Gerichtsvorsitzende hat für die Tätigkeit
des Pflichtverteidigers besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als
gegeben erachtet, zur Begründung aber lediglich auf die Ausführungen des Antragstellers Bezug
genommen. Der Antragsteller seinerseits führt aus, dass in den Hauptverhandlungsterminen vier
miteinander verbundene Strafsachen verhandelt wurden. Der besondere Umfang und die
besondere Schwierigkeit hätten sich daraus ergeben, dass eine Vielzahl verschiedener Straftaten
angeklagt worden sei. Die Sach- und Rechtslage sei kompliziert gewesen und habe erheblichen
Vorbereitungsaufwand gekostet.
Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des Senats in der Regel geboten, sich wegen der
Sachnähe des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts dessen Einschätzung anzuschließen (vgl.
grundlegend dazu Senat in AnwBl. 1989, 416). Andererseits bearbeitet aber der Senat seit vielen
Jahren Pauschvergütungen für den gesamten Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm und ist daher
in der Lage, vergleichend den Grad der Schwierigkeit der Tätigkeit eines Antragstellers auch unter
objektiver Betrachtung der Umstände zu beurteilen (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 16. April 2003
in 2 (s) Sbd. VII - 67/03). Bei der Anwendung des § 99 BRAGO hat der Senat in ständiger
Rechtsprechung einen Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung trotz befürwortender
Stellungnahme des Tatrichters abgelehnt, wenn es sich in dem zu beurteilenden Verfahren
objektiv um einen einfachen, leicht überschaubaren Sachverhalt gehandelt hat (vgl.
Senatsbeschlüsse vom 30. September 1999 in 2 (s) Sbd. 6 - 185 u. 186/99 sowie vom 20. August
2002 in 2 (s) Sbd. VII - 57/02). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Vorliegend ist zunächst zu beachten, dass die Hauptverhandlung sich zwar über 3 Tage
erstreckte, die zeitliche Inanspruchnahme des Antragstellers sich aber nur auf insgesamt fünf
Stunden und fünf Minuten belief; seine durchschnittliche Anwesenheit pro Tag lag bei lediglich
einer Stunde und 41 Minuten.
Die Sach- und Rechtslage war auch nicht derart kompliziert, dass dies zu einer besonderen
Schwierigkeit des Verfahrens im Sinne von § 51 RVG geführt hätte, die eine Pauschgebühr zu
begründen vermag. Die Strafverfolgung wurde im Rahmen der Hauptverhandlung gemäß § 154
Abs. 2 StPO auf die Vorwürfe aus der Anklageschrift 293 Js 169/04 der Staatsanwaltschaft
Arnsberg beschränkt. Im Hinblick auf diese Vorwürfe hatte der frühere Angeklagte schon vor
Anklageerhebung ein Geständnis abgelegt, welches aufgrund einer Wiederholung in der
Hauptverhandlung auch den Feststellungen in dem Urteil zugrunde gelegt werden konnte. Er
hatte nämlich eingeräumt, sich in den Besitz falscher Personalpapiere gebracht sowie gefälschte
Verdienstbescheinigungen besessen zu haben, die er im Rechtsverkehr in mehreren Fällen - in
einem Fall zum Zwecke der Erlangung eines Darlehens in betrügerischer Absicht - gegenüber
verschiedenen Kreditinstituten eingesetzt hatte.
Weder der vorgenannte, wegen der mehrfachen Begehung gleichgelagerter Taten insgesamt
231
noch gut überschaubare Sachverhalt noch dessen rechtliche Bewertung lassen den
Verfahrensgegenstand als besonders schwierig erscheinen.
Dies gilt sowohl für einzelne Verfahrensabschnitte, insbesondere für die Hauptverhandlung, als
auch für das bzw. die Verfahren insgesamt.
V.
Zudem waren auch nicht einzelne Verfahrensabschnitte oder das Verfahren insgesamt für den
Antragsteller "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG.
Insoweit bleibt, da die Formulierung des § 51 Abs. 1 RVG dem bisherigen § 99 Abs. 1 BRAGO
entspricht, die bisherige Rechtsprechung des Senats zum "besonderen Umfang" weitgehend
anwendbar. Allerdings ist zunächst die anwaltliche Tätigkeit hinsichtlich einzelner
Verfahrensabschnitte zu prüfen und sodann - in einem zweiten Schritt - eine Gesamtbetrachtung
des Verfahrens vorzunehmen (vgl. Beschluss des Senats vom 17. Februar 2005 in 2 (s) Sbd. VIII
- 11/05).
"Besonders umfangreich" ist eine Strafsache danach nach wie vor dann, wenn der von dem
Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer
"normalen" Sache zu erbringen hat (allgemeine Meinung zu § 99 BRAGO; vgl. die Nachweise bei
Burhoff StraFo 1999, 261, 263 in Fn. 30 und die ständige Rechtsprechung des Senats).
Mit dem Vertreter der Staatskasse ist ein solch besonderer Zeitaufwand in den vom Antragsteller
erbrachten Tätigkeiten weder in einzelnen Verfahrensabschnitten noch in einer Gesamtschau des
Verfahrens im Verhältnis zu anderen vor dem erweiterten Schöffengericht angeklagten Verfahren
zu erblicken.
Nicht heranzuziehen sind bei der Frage, ob dem Antragsteller eine Pauschgebühr zu bewilligen
ist, die Fahrtzeiten, die er aufgewendet hat, um vom Sitz seiner Kanzlei in Bünde nach Arnsberg
zu gelangen. Auch insoweit hält der Senat nämlich an seiner ständigen Rechtsprechung fest,
dass die Fahrtzeiten des Pflichtverteidigers zur Hauptverhandlung noch nicht bei der Frage, ob
überhaupt eine Pauschgebühr zu gewähren ist, heranzuziehen sind, sondern sie erst bei der
Bemessung der Pauschgebühr ggf. pauschgebührerhöhend von Belang sind (vgl. zuletzt
Senatsbeschluss vom 10. Januar 2005 in 2 (s) Sbd. VIII - 267, 268, 269/04 = StraFo 2005, 130;
zuvor Senatsbeschluss vom 5. Januar 2005 in 2 (s) Sbd. VII 278/04 mit Hinweis auf Senat in
NStZ-RR 1999, 31 = Rpfleger 1999, 95 = AGS 1999, 168 und in StraFo 1999, 143 = wistra 1999,
156 = AGS 1999, 72 = StV 2000, 441; jeweils mit weiteren Nachweisen auch zu a.A.; siehe auch
die Rechtsprechungsnachweise bei Burhoff AGS 2002, 37 und bei Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 51
Rn. 86 sowie u.a. auch noch Senat in BRAGOreport 2003, 238). Eine Änderung dieser
Rechtsprechung ist - worauf der Senat ebenfalls schon im Beschluss vom 5. Januar 2005
hingewiesen hat - auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 24. November 2000 (2 BvR 813/99, NJW 2001, 1269 = StV 2001, 241 = NStZ 2001, 211 =
AGS 2001, 63) geboten. Der Senat nimmt insoweit, um Wiederholungen zu vermeiden, auf seine
Entscheidung vom 5. Januar 2005 Bezug.
Besonders umfangreich war das Verfahren auch nicht etwa im Hinblick auf die drei Besuche bei
dem bis zum 16. Dezember 2004 in Haft befindlichen Mandanten, zumal wegen der Inhaftierung
die gesetzlichen Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis zum RVG dem Antragsteller jeweils
mit Zuschlag zustehen und zudem nach den Nrn. 7003 und 7005 VV RVG neben den
gesetzlichen Gebühren in nicht unerheblichem Umfang eine Auslagenerstattung erfolgt.
VI.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vorerwähnten
Gesichtspunkte, ist der Senat daher der Auffassung, dass die Tätigkeit des Antragstellers mit den
gesetzlichen Gebühren in Höhe von 2005,00 ¤ angemessen, aber auch ausreichend vergütet ist
und diese Gebühren durchaus zumutbar sind.
232
Zum besonderen Umfang des Verfahrens i.S. von § 51 RVG, bei langer
Hauptverhandlungsdauer, wenn dem Pflichtverteidiger deswegen eine zusätzliche Gebühr nach
dem RVG zusteht.
OLG-HAMM: 2 8s Sbd. VIII-62/05, Beschluss vom 14.04.2005
Verfahrensgang:
LG Bielefeld am 17.11.2004
Stichworte: Pauschgebühr; besonderer Umfang, Hauptverhandlungsdauer
Beschluss
Strafsache
gegen G.A.
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes, (hier: Pauschvergütung für den bestellten Verteidiger
gem. § 99 BRAGO).
Auf den Antrag der Rechtsanwältin B. in E. vom 18. November 2004 auf Bewilligung einer
Pauschvergütung für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 14. 04. 2005 durch den Richter am Amtsgericht als Einzelrichter
gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 RVG nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der
Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
Der ehemalige Angeklagte wurde im vorliegenden Verfahren durch Urteil der 3. großen
Strafkammer - Jugendkammer als Jugendschutzkammer - des Landgerichts Bielefeld am 17.
November 2004 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sieben Fällen sowie wegen
sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier
Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 25. November 2004 rechtskräftig.
Die Antragstellerin ist dem ehemaligen Angeklagten am 16. Juli 2004 als Pflichtverteidigerin
beigeordnet worden. Zuvor war sie in diesem Verfahren nicht tätig. Sie beantragt nunmehr für ihre
für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschgebühr
gemäß § 51 RVG in Höhe von (noch) mindestens 400,- ¤ für das erstinstanzliche Verfahren.
Diesen Antrag begründet sie im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten:
Sie habe den ehemaligen Angeklagten, der sich zum Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung
bereits in Untersuchungshaft befunden habe, vier Mal in der Justizvollzugsanstalt in Aachen
besucht. Die hierdurch entstandenen Kosten und der Zeitaufwand für die Reisen hätten bislang
keine Berücksichtigung gefunden.
Des weiteren sei der Umgang mit dem ehemaligen Angeklagten besonders schwierig gewesen,
da er eine erhebliche Scheu gezeigt habe und auch persönlich sehr schwierig gewesen sei.
Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von der Antragstellerin erbrachten
Tätigkeiten wird auf die der Antragstellerin bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des
Dezernats 10 vom 8. März 2005 Bezug genommen.
Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren der Antragstellerin betragen 1.192,- ¤. Der
233
vorsitzende Richter der Strafkammer hat das Verfahren als nicht "besonders schwierig"
angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Er sieht das
Verfahren auch nicht als "besonders umfangreich" an. Die Antragstellerin ist dem nicht
entgegengetreten.
II.
1. Auf die Sache ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar. Die Antragstellerin ist
dem ehemaligen Angeklagten am 16. Juli 2004 beigeordnet worden, so dass gemäß § 61 Abs. 1
S. 1 2. Alt. RVG das RVG und nicht (mehr) die BRAGO anwendbar ist.
2. Gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 RVG war der Einzelrichter zur Entscheidung berufen.
III.
Der Antragstellerin war eine Pauschgebühr nach § 51 RVG nicht zu bewilligen.
1.
Das Verfahren war nicht "besonders schwierig" i.S.v. § 51 Abs. 1 RVG. Zur Frage, wann ein
Verfahren "besonders schwierig" ist, hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 99
Abs. 1 BRAGO fest (vgl. Beschluss des Senats in 2 (s) Sbd. VI11267, 268 u. 269/04 vom 10.
Januar 2005). Das RVG hat insoweit keine Änderung gebracht. Ein Verfahren ist "besonders
schwierig" i.S.d. § 51 Abs. 1 RVG, wenn es aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen
Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu zu § 99 BRAGO Burhoff
StraFo 1999, 261, 264). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der
Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer an, der in seiner Stellungnahme ausgeführt hat,
das Verfahren sei nur von durchschnittlicher Schwierigkeit gewesen. Die Einschätzung des
Vorsitzenden des Tatgerichts ist nach wie vor in der Regel maßgeblich. Der Senat vermag den
Urteilsgründen auch keine "besondere Schwierigkeit" des Verfahrens in tatsächlicher Hinsicht zu
entnehmen, die in der Persönlichkeit des früheren Angeklagten begründet ist.
2. Das Verfahren war für die Antragstellerin auch nicht "besonders umfangreich" i.S.d. § 51 Abs. 1
RVG.
Grundsätzlich bleibt auch die bisherige Rechtsprechung des Senats zum Kriterium des
"besonderen Umfangs" anwendbar, da die Formulierung des § 51 Abs. 1 RVG derjenigen des
bisherigen § 99 Abs. 1 BRAGO entspricht.
Eine Strafsache ist dann "besonders umfangreich", wenn der von dem Verteidiger erbrachte
zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu
erbringen hat (allgemeine Meinung zu § 99 BRAGO; vgl. die Nachweise bei Burhoff StraFo 1999,
261, 263 in Fn. 30 und die ständige Rechtsprechung des Senats).
Die Antragstellerin hat ihren inhaftierten Mandanten insgesamt vier Mal in der
Justizvollzugsanstalt besucht. Den zeitlichen Aufwand, auf den es insoweit besonders ankommt,
hat sie allerdings nicht im Einzelnen dargelegt (vgl. zur Begründungspflicht Senat in NStZ-RR
2001, 58).
Mangels näherer Spezifikation zum zeitlichen Aufwand ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die
Untersuchungshaft des früheren Angeklagten den üblichen Aufwand eines Verteidigers eines
inhaftierten Angeklagten - ein solcher Fall ist als Vergleichsmaßstab heranzuziehen - übersteigt.
Denn der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass der Zeitaufwand für die Verteidigung eines
inhaftierten Mandanten in der Regel höher ist als derjenige für einen sich auf freiem Fuß
befindlichen Mandanten, bereits durch die Gebühren mit Zuschlag Rechnung getragen.
Auch die durchschnittliche Dauer der beiden Hauptverhandlungstermine von 6:07 Stunden ändert
nichts an der Bewertung der Strafsache als nicht "besonders umfangreich" im Sinne von § 51
RVG. Bei der Anwendung des (neuen) § 51 Abs. 1 RVG ist nämlich sorgfältig zu prüfen, inwieweit
Tätigkeiten, für die das RVG einen besonderen Gebührentatbestand geschaffen hat, jeweils für
die Annahme des "besonderen Umfangs" mitbestimmend gewesen sind (vgl. Beschluss des
Senats vom 10. Januar 2005 in" (s) Sbd. VIII 267, 268 u. 269/04 m.VV.N.).
234
Das Vergütungsverzeichnis für den Pflichtverteidiger sieht für mehr als 5 und bis 8 bzw. für mehr
als 8 Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine zusätzliche Gebühren neben den sonstigen
Terminsgebühren vor (Nr. 4116, 4117 WRVG). Zwar liegt im vorliegenden Fall die
durchschnittliche Verhandlungsdauer mit 6:07 Stunden für ein Verfahren vor der Jugendkammer
im oberen Bereich, aber die Dauer der Hauptverhandlungstermine als Zeitmoment, das bislang
von den Oberlandesgerichten auch wesentlich für die Bewilligung einer Pauschvergütung
berücksichtigt wurde, steht (wohl) nur noch in Ausnahmefällen zur Verfügung, da das RVG
diesem Umstand durch den Zuschlag nach Nr. 4116, 4117 VV VG Rechnung getragen hat.
Vorliegend ist der Gebührentatbestand nach Nr. 4116 VV RVG auch für jeden einzelnen der
beiden Hauptverhandlungstermine angefallen.
Bei der Frage der Bewilligung einer Pauschgebühr sind die Fahrtzeiten, die die Antragstellerin
aufgewendet hat, um vom Sitz ihrer Kanzlei an den Gerichtsort zu gelangen, nicht heranzuziehen.
Auch insoweit hält der Senat an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Fahrzeiten des
Pflichtverteidigers zur Hauptverhandlung noch nicht bei der Frage, ob überhaupt eine
Pauschgebühr zu gewähren ist, heranzuziehen sind, sondern sie erst bei der Bemessung der
Pauschgebühr ggf. pauschgebührenerhöhend von Belang sind (vgl. zuletzt Senat im o.a.
Beschluss vom 10. Januar 2005 m.w.N.).
Auch eine Gesamtschau führt vorliegend nicht dazu, dass das Verfahren insgesamt als
"besonders umfangreich" i.S.d. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG anzusehen ist. Insoweit ist von Bedeutung,
dass die Antragstellerin durch die Inhaftierung ihres Mandanten die jeweilige Gebühr mit Zuschlag
erhalten hat und ihr eigenständige zusätzliche Gebühren für die lange Dauer der beiden
Hauptverhandlungstage zustehen.
Nach allem war der Antrag abzulehnen.
OLG Celle 1. Strafsenat Beschluß vom 11. Februar 2005 1 ARs 293/04 P, 1 ARs 293/04
RVG § 51
Leitsatz
Zur Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 RVG.
Tenor
Dem Antragsteller wird über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehenden
gesetzlichen Gebühren für die Verteidigung des Angeklagten nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG
eine Pauschvergütung in Höhe von
528,- EUR
bewilligt.
Hinzu treten Auslagen und Mehrwertsteuer, die gesondert zu erstatten sind.
Gründe
1. Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens war eine gegen drei Jugendliche gerichtete
Anklage vor der großen Strafkammer (Jugendkammer) wegen des Vorwurfs des Mordes in
zwei Fällen bzw. der Nichtanzeige geplanter Straftaten. Die über drei Verhandlungstage sich
erstreckende Hauptverhandlung fand ein starkes Öffentlichkeits- und Medieninteresse. Der
235
auswärtige Verteidiger eines der wegen § 138 Abs. 1 Nr. 6 StGB zu einer Jugendstrafe
verurteilten Angeklagten beantragt eine Pauschvergütung.
2. Die Festsetzung der Pauschvergütung für den Antragsteller bemisst sich nach den
Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Die Beiordnung des Verteidigers
erfolgte am 3. August 2004 und somit nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Juli 2004.
Dass der Verteidiger bereits vor dem 1. Juli 2004 in diesem Verfahren als Wahlverteidiger
tätig geworden war, steht der Anwendung der Vorschriften des RVG für die gesamte
Tätigkeit des Verteidigers nicht entgegen. § 60 Abs. 1 RVG gilt nämlich nicht, wenn der
Verteidiger bereits im Vorverfahren tätig war, er aber nach dem Inkrafttreten des RVG
gerichtlich beigeordnet wurde. Denn in einem solchen Fall endet der vom Mandanten erteilte
Auftrag und es wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Verteidigung des Angeklagten
begründet. Nach § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG erfasst die hiernach begründete Bestellung auch die
im Vorverfahren bereits erbrachten Leistungen.
Die Vergütung erfolgt hiernach für das gesamte Verfahren nach dem seit dem 1. Juli 2004
geltenden Recht (vgl. nur OLG Schleswig vom 30.11.2004, 1 Ws 423/04; OLG Celle vom
13.12.2004, 2 Ws 314/04; BT-Drucks. 15/1971, S. 203 zu § 60; Hartmann, Kostengesetze, 34.
Aufl., § 60 RVG Rn. 18).
3. Dem Antragsteller war über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehenden
Gebühren für die Verteidigung des Angeklagten nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine
Pauschvergütung zu bewilligen, weil die Strafsache in diesem Sinne besonders umfangreich
und schwierig war.
a) Der Senat hat bisher auf Grundlage der bis zum 1. Juli 2004 geltenden Rechtslage seinen
Entscheidungen nach § 99 BRAGO seine veröffentlichten Grundsätze für die Bewilligung
von Pauschvergütungen zugrunde gelegt (vgl. StraFo 1995, 28). Diese Grundsätze haben mit
Inkrafttreten des RVG für die hiernach zu beurteilenden Fälle insoweit ihre Gültigkeit
verloren, als einige der bisher für die Bewilligung einer Pauschvergütung heranzuziehenden
Umstände nunmehr bereits nach dem Vergütungsverzeichnis abgegolten werden und für eine
Pauschvergütung regelmäßig nicht mehr herangezogen werden können (vgl. die
Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV für die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen oder
Haftprüfungsterminen oder die nach Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122 und 4123 VV erhöhte
Verfahrensgebühr für die Teilnahme an längeren Hauptverhandlungsterminen). Den
Grundsätzen ist aber auch insofern die Grundlage entzogen, als die vom Senat hierbei
herangezogenen Gebührensätze sich nach bisher geltendem Gebührenrecht gerichtet haben
und somit für eine Pauschvergütung nach dem RVG ebenfalls nicht mehr herangezogen
werden können. Verbindliche Grundsätze des Senats für das Bewilligen von
Pauschvergütungen nach Maßgabe des RVG liegen (noch) nicht vor.
b) Für das vorliegende Verfahren gilt:
aa) Das Verfahren war besonders umfangreich oder schwierig im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz
1 RVG, soweit der Antragsteller einen Mehraufwand geltend gemacht hat hinsichtlich:
der wiederholten und nicht einfachen Vorbesprechungen mit seinem
jugendlichen Mandanten sowie mit den Verteidigern der
Mitangeklagten;
des kurzfristig notwendig gewordenen Umarbeitens der bereits
vorbereiteten schriftlichen Einlassung des Mandanten zur Nachtzeit,
236
wobei der Senat diesem Umstand ein besonderes Gewicht beimisst;
des gesteigerten Medieninteresses und der hierdurch bedingten
Teilnahme an den vom Landgericht begleiteten Pressekonferenzen.
bb) Weder besonderer Umfang noch besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 51 Abs. 1
Satz 1 RVG lagen hingegen vor, soweit der Antragsteller einen Mehraufwand geltend
gemacht hat für:
das Einarbeiten in die Ermittlungsakten. Die Akten hatten zu
Beginn
der Hauptverhandlung einen Umfang von knapp sieben Bänden. Dies
bedeutet für ein vor der großen Strafkammer (Jugendkammer) zu
verhandelndes Verfahren keinen besonderen Umfang;
die Prüfung, ob hinsichtlich des Haupttäters Mordmerkmale
vorlagen.
Dies ist regelmäßig Gegenstand eines Schwurgerichtsverfahrens, für
das nach dem Vergütungsverzeichnis auch höhere Verfahrens- und
Terminsgebühren in Ansatz gebracht werden;
die eingehende Prüfung der subjektiven Tatseite. Auch dies ist
regelmäßig Gegenstand eines Schwurgerichtsverfahrens.
Entsprechendes
gilt für das Einarbeiten in das psychiatrische
Sachverständigengutachten, was in Verhandlungen vor der großen
Strafkammer keine besondere Schwierigkeit im Sinne von § 51 RVG
begründet. Hierbei ist grundsätzlich unerheblich, ob das Gutachten
für einen Haupttäter oder für einen dem Antragsteller beigeordneten
Teilnehmer an der Haupttat erstattet wurde;
das Einarbeiten in den Bericht der Jugendgerichtshilfe, selbst
wenn
dieser nur wenige Tage vor der Hauptverhandlung erst vorgelegt
wurde;
das Gewähren von Interviews außerhalb der vom Landgericht
begleiteten Pressekonferenzen;
die Entfernung zwischen
verbundenen Fahrtzeiten.
ständigen Rechtsprechung
11.12.2000, 3 ARs 147/99
Kanzlei- und Gerichtsort und die hiermit
Derartige Reisezeiten wirken sich nach der
des Senats (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom
P, und vom 2.2.2005, 1 ARs 9/05 P; vgl.
auch
BayObLG MDR 1987, 870; OLG Bamberg JurBüro 1987, 1687; Hartmann,
34.
Aufl., § 51 RVG Rn. 7) nicht auf die Pauschvergütung aus und können
nur über die Auslagen in Ansatz gebracht werden. Der Senat sieht
keinen Anlass, nach Inkrafttreten des RVG diese Rechtsprechung in
Frage zu stellen.
cc) Der Senat hat hiernach hinsichtlich der vorliegend unter 3. b) aa) dem Grunde nach
bejahten Erhöhungstatbestände jeweils eine zusätzliche Gebühr in Höhe einer Grundgebühr
nach Nr. 4100 VV in Höhe von 132,- Euro in Ansatz gebracht. Bei dieser Gebühr handelt es
sich nach der Überschrift im Vergütungsverzeichnis um eine allgemeine Gebühr des
gerichtlich bestellten oder beigeordneten Verteidigers in Strafsachen. Nach Auffassung des
Senats liegt es nahe, diese allgemeine Gebühr auch für die Bewilligung von
Pauschvergütungen beigeordneter Verteidiger entsprechend heranzuziehen. Soweit diese
Gebühr in Höhe von 132,- Euro nicht ausreichend erscheint, einem dem Grunde nach
vorliegenden Erhöhungstatbestand angemessen Rechnung zu tragen, steht die Möglichkeit
offen, diese Gebühr insoweit in zwei- oder dreifacher Höhe in Ansatz zu bringen. Der Senat
237
hat hier im Hinblick auf den besonderen Aufwand wegen der kurzfristig notwendig
gewordenen Überarbeitung der Einlassung des Mandanten zur Nachtzeit die maßgebliche
Gebühr insoweit in doppelter Höhe zugrunde gelegt. Hieraus errechnet sich eine über die nach
dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehende Pauschgebühr in Höhe von insgesamt 528,- Euro,
die der Senat im Hinblick auf den Wortlaut von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG unabhängig von den
gesetzlichen Gebühren und Auslagen der Höhe nach isoliert festsetzt. Hinzu tritt die
gesetzliche Mehrwertsteuer.
StraFo 2005, 219-220 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 43-44 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 142-143 (red. Leitsatz)
238
Übergangsrecht, §§ 60, 61 RVG
OLG Bamberg 1. Strafsenat Beschluß vom 13. September 2005 Ws 676/05
1. Einem Rechtsanwalt, der vor dem 01.07.2004 die Wahlverteidigung eines Mandanten
angezeigt hat und bis zu seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger nach dem 01.07.2004
bereits in die Sache eingearbeitet war, steht nicht die Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG
sondern nur die Vorverfahrensgebühr nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 und 3
BRAGO zu.
2. Längere Sitzungspausen sind bei der Frage der Zubilligung einer Zusatzgebühr für eine
überlange Verhandlungsdauer nach Nr. 4116 VV RVG nicht in die Verhandlungsdauer
einzurechnen.
Gründe
I.
Rechtsanwalt ... hat mit am 9.3.2004 eingegangenem Schriftsatz die Wahlverteidigung des
Beschuldigten übernommen, gegen den am 15.2.2004 durch das Amtsgericht Aschaffenburg
die Untersuchungshaft angeordnet und vollzogen worden war. Am 19.5.2004 hat die
Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage zum Landgericht - Große Strafkammer
- Aschaffenburg erhoben. Am 4.8.2004 hat die Vorsitzende der Strafkammer dem
Beschuldigten Rechtsanwalt ... gemäß § 140 Abs. 1 Ziff. 2 StPO als Pflichtverteidiger
beigeordnet. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten hat am 28.10.2004 von 9.00 Uhr
bis 15.20 Uhr mit Pausen von 9.47 Uhr bis 10.00 Uhr, 10.45 Uhr bis 11.07 Uhr, 11.40 Uhr bis
13.05 Uhr und 13.22 Uhr bis 13.32 Uhr stattgefunden und endete mit rechtskräftiger
Verurteilung.
Mit Schriftsatz vom 4.1.2005 hat Rechtsanwalt ... beantragt, die aus der Staatskasse zu
zahlenden Pflichtverteidigergebühren gemäß § 55 RVG einschließlich Mehrwertsteuer auf
1.613,39 EUR festzusetzen, wobei er die Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG VV mit 162,-EUR, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4105 RVG VV mit 137,-- EUR, eine Verfahrensgebühr
nach Nr. 4113 RVG VV mit 151,-- EUR, eine Terminsgebühr nach Nr. 4115 RVG VV mit
263,-- EUR, eine Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV mit 108,-- EUR, Fotokopiekosten für
317 Blatt nach Nr. 7000 RVG VV mit 65,05 EUR, eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002
RVG VV mit 20,-- EUR, Fahrtkosten für fünf Fahrten mit dem eigenen PKW bei einer
Gesamtfahrstrecke von 1216 Kilometern nach Nr. 7003 RVG VV mit 364,80 EUR sowie
Tage- und Abwesenheitsgeld für mehrere Geschäftsreisen nach Nr. 7005 RVG VV mit 120,-EUR angesetzt hat.
Mit Beschluss vom 27.1.2005 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts
Aschaffenburg die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigerkosten nach den
bis zum Inkrafttreten des RVG geltenden Bestimmungen der BRAGO auf 1.125,63 EUR
festgesetzt.
Gegen diesen ihm am 29.1.2005 zugestellten Beschluss hat Rechtsanwalt ... mit am 7.2.2005
eingegangenem Schriftsatz Beschwerde (Erinnerung) eingelegt, der die Urkundsbeamtin mit
Beschluss vom 14.2.2005 nicht abgeholfen hat.
239
Das Landgericht Aschaffenburg hat mit Kammerbeschluss vom 21.7.2005 der Erinnerung des
Beschwerdeführers abgeholfen und die Rechtsanwalt ... aus der Staatskasse zu zahlende
Pflichtverteidigervergütung antragsgemäß auf 1.613,39 EUR festgesetzt und die sofortige
Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.
Gegen diesen ihm am 9.8.2005 zugestellten Beschluss hat der Bezirksrevisor beim
Landgericht Aschaffenburg mit am 16.8.2005 eingegangenem Schreiben sofortige
Beschwerde eingelegt.
Ziel seines Rechtsmittels ist die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin, dass
anstelle der Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG VV in Höhe von 162,-- EUR und der
Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV in Höhe von 108,-- EUR die Vorverfahrensgebühr
nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAGO in Höhe von 150,-- EUR
tritt. Hilfsweise beantragt der Bezirksrevisor, die Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV in
Wegfall kommen zu lassen, weil die Verhandlungsdauer unter Abzug der Pausen 4 Stunden
33 Minuten nur gedauert habe.
Das Landgericht Aschaffenburg hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 18.8.2005
nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der
Staatskasse (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 2 und 3 RVG) ist begründet.
1.
Dass auf den Gebührenanspruch des Pflichtverteidigers nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die
Gebührensätze des RVG anzuwenden sind, weil Rechtsanwalt ... dem Beschuldigten am
4.8.2004 und somit nach Inkrafttreten des RVG am 1.7.2004 beigeordnet wurde, hat der Senat
bereits mit Beschluss vom 25.2.2005 (Ws 130/05) entschieden. Zutreffend geht deshalb das
Landgericht Aschaffenburg mit dem Senat davon aus, dass es für die Gebühren des
Pflichtverteidigers grundsätzlich nur auf den Zeitpunkt seiner Bestellung ankommt.
Die von Rechtsanwalt ... in seinem Antrag vom 4.1.2005 angesetzten Gebühren mit
Ausnahme der Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG VV und der Zusatzgebühr nach Nr. 4116
RVG VV sind nicht zu beanstanden.
2.
Mit Jungbauer in ihrer Anmerkung zum Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20.10.2004
(JurBüro 2005, 31) vertritt der Senat wie bereits in seiner Entscheidung vom 25.2.2005
weiterhin die Auffassung, dass dem Antragsteller im vorliegenden Fall nicht die Grundgebühr
nach Nr. 4101 RVG VV, sondern lediglich die Vorverfahrensgebühr nach der BRAGO
zusteht. § 48 Abs. 5 S. 1 RVG bestimmt, dass der im ersten Rechtszug bestellte
Pflichtverteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung
einschließlich seiner Tätigkeit vor der Anklageerhebung erhält. Es bleibt aber offen, ob die
Vergütung insoweit nach der BRAGO oder dem RVG zu erfolgen hat.
Die Grundgebühr entsteht nach dem RVG für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall.
Der Antragsteller war zum Zeitpunkt seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger am 4.8.2004
240
bereits in die Materie eingearbeitet. Die Einarbeitung erfolgte bereits zwischen der
Wahlmandatsübernahme am 9.3.2004 und dem Inkrafttreten des RVG am 1.7.2004. In der
Einarbeitungsphase des Verteidigers war das RVG somit noch nicht in Kraft. Die
Rückwirkung der Bestellung führt nach §§ 48 Abs. 5, 61 RVG deshalb auch unter
Berücksichtigung der Gesetzesbegründung, die im Gesetz selbst keinen Niederschlag
gefunden hat, nicht dazu, dass der Antragsteller seine Einarbeitungstätigkeit im
Ermittlungsverfahren nach dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen RVG
vergütet erhalten kann. Mit Jungbauer ist der Senat deshalb der Ansicht, dass Rechtsanwalt ...
für die Einarbeitung in die Sache im Ermittlungsverfahren nicht die Grundgebühr nach Nr.
4101 RVG VV in Höhe von 162,-- EUR, sondern die Vorverfahrensgebühr nach §§ 97 Abs. 1
S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAGO in Höhe von 150,-- EUR beanspruchen kann.
3.
Der Senat hat bei seinen Entscheidungen zur Pauschvergütung nach § 99 BRAGO in
ständiger Rechtsprechung einen einzelnen Hauptverhandlungstag als besonders umfangreich
erachtet, wenn die Verhandlungsdauer vor der Großen Strafkammer mehr als 8 Stunden in
Anspruch genommen hat, wobei eine Mittagspause bis zu 2 Stunden grundsätzlich
angerechnet wurde (vgl. OLG Bamberg, JurBüro 1988, 1347). Diese Rechtsprechung kann
nicht auf die Frage der Zubilligung einer Zusatzgebühr für eine überlange Verhandlungsdauer
pro Termintag nach Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123 RVG VV übertragen werden.
Nach dem klaren Wortlaut der hier in Betracht kommenden Nr. 4116 RVG VV setzt deren
Anwendung voraus, dass der Rechtsanwalt mehr als 5 Stunden an der Hauptverhandlung
teilnimmt . Eine Teilnahme an der Hauptverhandlung setzt aber voraus, dass sie stattfindet. Ist
die Hauptverhandlung unterbrochen, kann der Rechtsanwalt an ihr nicht teilnehmen. In
Übereinstimmung mit Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., Rdnr. 1 zu Nrn. 4110, 4111 RVG
VV ist auch der Senat der Auffassung, dass kurze Sitzungspausen die Uhr weiterlaufen lassen,
weil eine kleinliche Auslegung dieser Vorschrift zu unfruchtbaren Streitereien führen würde,
zumal in diesen Pausen oft sitzungsrelevante Probleme zwischen dem Angeklagten und dem
Verteidiger besprochen werden. Dies kann jedoch für längere Sitzungspausen, insbesondere
die Mittagspause, nicht gelten. In dieser Zeit findet die Hauptverhandlung nicht statt und der
Rechtsanwalt nimmt an ihr nicht teil.
Im vorliegenden Fall rechnet der Senat die kurzen Sitzungspausen von 9.47 Uhr bis 10.00
Uhr, 10.45 Uhr bis 11.07 Uhr und 13.22 Uhr bis 13.32 Uhr deshalb in die
Hauptverhandlungsdauer ein, nicht jedoch die Mittagspause von 11.40 Uhr bis 13.05 Uhr.
Diese Zeitdauer von 1 Stunde 25 Minuten ist von der Gesamtdauer von 9.00 Uhr bis 15.20
Uhr in Abzug zu bringen, so dass sich eine Teilnahmedauer des Rechtsanwalts an der
Hauptverhandlung von 4 Stunden 55 Minuten ergibt, weshalb kein Anspruch auf die
Zusatzgebühr nach Nr. 4116 RVG VV besteht.
4.
Die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigergebühren betragen deshalb
1.270,85 EUR und einschließlich 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 203,34 EUR insgesamt
1.474,19 EUR brutto.
Der von der Staatskasse angefochtene Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg ist deshalb
insoweit abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 RVG.
241
OLG München Senat für Familiensachen Beschluß vom 6. Mai 2005 11 WF 1000/05
Rechtsanwaltsgebühren: Übergangsrecht bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr
Hat der Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach der BRAGO und eine Verfahrensgebühr
nach dem RVG verdient, so richtet sich die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach § 118 Abs.
2 BRAGO und nicht nach VV Vorbemerkung 3 Abs. 4.
AGS 2005, 344-345 (Leitsatz und Gründe) OLGR München 2005, 600-601 (Leitsatz und
Gründe) Rpfleger 2005, 571-572 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 87-88 (red.
Leitsatz) RVGreport 2005, 303 (Leitsatz) RVG-B 2005, 145 (Leitsatz)
1. Trennt das Familiengericht den Streit um das Aufenthaltsbestimmungsrecht vom übrigen
Scheidungsverfahren ab, so fallen anders im Falle einer Vorabentscheidung über den
Scheidungsantrag nach § 628 ZPO die Rechtsanwaltsgebühren erneut an. Allerdings sind die
bisherigen Gebühren anzurechnen, so dass der Rechtsanwalt entweder die Gebühren aus dem
Verfahren vor der Trennung oder aus den beiden Verfahren nach der Trennung unter
Anrechnung der vor der Trennung entstandenen Gebühren verlangen kann.
2. Wurde der Rechtsanwalt mit der Durchführung von Scheidung und Folgesachen vor dem 1.
Juli 2004 beauftragt, so findet die BRAGO auch auf die Erweiterung um den Streit um das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind Anwendung.
OLG-SCHLESWIG: 15 WF 319/05, Beschluss vom 17.11.2005
Verfahrensgang:
AG Kiel 54 F 72/05 vom 19.10.2005
Stichworte: Anwaltsgebühren, Familiensachen, Abtrennung von Folgesachen
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Beschluss
15 WF 319/05
In der Familiensache
hat der 5. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in
Schleswig am 17. November 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegen den Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel vom 19. Oktober 2005 wird der angefochtene Beschluss
geändert.
Die Festsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts - Familiengericht Kiel vom 23. September 2005 wird teilweise dahin geändert, dass die dem
242
Prozessbevollmächtigten des Antragstellers aus der Landeskasse zu gewährende Vergütung für
die Verfahren 51 F 115/03 und 54 F 72/05 insgesamt 1.504,52 ¤ beträgt und abzüglich bereits
erstatteter 908,28 ¤ ein Anspruch von 596,24 ¤ verbleibt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
Die gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 und 2 BRAGO zulässige Beschwerde ist zum größten Teil
begründet.
Dem im Wege der Prozesskostenhilfe dem Antragsteller beigeordneten Rechtsanwalt steht die mit
dem Festsetzungsantrag vom 24. Mai 2005 zum Aktenzeichen 54 F 72/05 geltend gemachten
Gebühren im Umfang von noch 596,24 ¤ zu.
Im Scheidungsverbund der Parteien ist der Prozessbevollmächtigte dem Antragsteller beigeordnet
worden. Nachdem zunächst nur die Scheidung und die Regelung des Versorgungsausgleichs
Gegenstand des Verfahrens waren, ist ab September 2004 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für
den Sohn der Parteien im Streit gewesen. Mit Beschluss vom 5. Januar 2005 ist das Verfahren
zur elterlichen Sorge auf Antrag des Antragstellers gemäß § 623 Abs. 2 Satz 2 ZPO vom
Scheidungsverfahren abgetrennt worden. Das Sorgerechtsverfahren ist mit eigener Akte im
isolierten Verfahren gemäß richterlicher Verfügung vom 10. Januar 2005 zum Aktenzeichen 54 F
72/05 geführt worden. Zum früheren Aktenzeichen 51 F 115/03 ist mit Urteil vom 5. Januar 2005
die Ehe der Parteien geschieden und der Versorgungsausgleich geregelt worden.
Das isolierte Sorgerechtsverfahren ist durch den Vergleich der Parteien in der nichtöffentlichen
Verhandlung vom 18. Mai 2005 beendet worden.
Auf entsprechenden Kostenvorschussantrag hin ist dem Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers zum Aktenzeichen 51 F 115/03 zunächst ein Gebührenvorschuss von 209,96 ¤
gewährt worden. Auf den Kostenerstattungsantrag vom 11. Januar 2005 sind die Kosten zum
Verfahren 51 F 115/03 weiter gehend mit einem Anweisungsbetrag von 529,00 ¤ abgerechnet
worden. Antragsgemäß ist der Betrag von 529,00 ¤ angewiesen worden. Auf die Berechnung im
Festsetzungsantrag vom 11. Januar 2005 (Bl. 26 d.A.) wird verwiesen. Darin befindet sich ein
offensichtlicher Rechenfehler, in dem von der Gebührenberechnung der Mehrwertsteuerwert von
84,64 ¤ in Abzug gebracht worden ist, anstatt ihn hinzuzurechnen.
In der Folgezeit hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit zwei Kostenanträgen vom
24. Mai 2005 zu den Aktenzeichen 51 F 115/03 und 54 F 72/05 Kosten geltend gemacht. Auf die
Anträge wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 27. Juli 2005 ist der Erstattungsantrag vom 24. Mai 2005 zum Verfahren 51 F
115/03 zurückgenommen worden. Der Kostenantrag zum isolierten Sorgerechtsverfahren ist nicht
zurückgenommen worden.
Seitens des Amtsgerichts ist eine Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Landgericht Kiel
eingeholt worden. Auf dessen Mitteilung vom 19.5.2005 und 25.8.2005 wird Bezug genommen.
Mit der angegriffenen Kostenfestsetzung vom 23. September 2005 sind weitere 169,32 ¤ zum
Aktenzeichen 54 F 72/05 zur Auszahlung aus der Landeskasse an den Prozessbevollmächtigten
des Antragstellers festgesetzt worden. Darin sind Kosten nach einem Gesamtstreitwert zum
Verfahren 51 F 115/03 berechnet worden. Auf den Inhalt der Kostenfestsetzung und der darin
enthaltenen Berechnung wird verwiesen.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Erinnerung eingelegt. Mit Beschluss
vom 19. Oktober 2005 ist die Erinnerung durch die Richterin zurückgewiesen worden.
Gegen den am 24. Oktober 2005 zugestellten Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des
Antragstellers fristgemäß am 7. November 2005 eingehend Beschwerde eingelegt.
Dieser Verfahrensablauf führt entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und des Bezirksrevisors
dazu, dass dem beigeordneten Prozessbevollmächtigten für das abgetrennte Verfahren
gesonderte Gebühren zu vergüten sind.
243
Anders als das Amtsgericht unter Bezugnahme auf Gerold/Schmidt/Madert, 15. Aufl., § 7 BRAGO
Rn. 5 meint, liegt nicht der dort behandelte Fall einer Vorabentscheidung über den
Scheidungsantrag gemäß § 628 ZPO vor. Im Fall des § 628 ZPO behält die abgetrennte
Folgesache in der Tat ihren Charakter als Folgesache und ist daher gebührenrechtlich mit der
vorab entschiedenen Scheidungssache und den zugleich entschiedenen Folgesachen dieselbe
Angelegenheit im Sinne des § 31 Abs. 3 BRAGO. Hier hat das Amtsgericht jedoch auf Antrag des
Antragstellers hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts den Weg des § 623 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO beschritten und eine "echte" Verfahrenstrennung mit der Folge
vorgenommen, dass zwei selbständige Familiensachen entstanden sind. (Nach außen ist dies
bereits durch das neu vergebene Aktenzeichen für das isolierte Sorgerechtsverfahren
dokumentiert worden.) Bei dieser Fallgestaltung kann der Rechtsanwalt wählen, ob er die
Gebühren aus dem Verfahren vor der Trennung oder aus den zwei Verfahren nach der Trennung
verlangt, allerdings unter Anrechnung der vor der Trennung bereits entstandenen Gebühren (OLG
Düsseldorf JurBüro 2001, 136 f.; OLG Karlsruhe JurBüro 1999, 383 f.; OLG Schleswig Beschluss
vom 23.12.2004, Az. 15 WF 347/04; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert BRAGO, 15. Aufl., § 31
BRAGO Rz. 52; Keske in Gerhard/von Heintschel-Heineck/Klein, Handbuch des Fachanwalts
Familienrecht, 5. Aufl., Kapitel 17, Rn. 262 ff.).
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat den zweiten Weg - Gebühren aus den zwei
Verfahren nach der Trennung - gewählt. Für die Abrechnung zum isolierten Sorgerechtsverfahren
ergibt sich gemäß § 30 KostO ein Gegenstandswert von 3.000,00 ¤. Auf die im
Scheidungsverbundverfahren getroffene Wertfestsetzung von 900,00 ¤ kann die Abrechnung zum
isolierten Sorgerechtsverfahren nicht gestützt werden.
Die Berechnung der Gebühren für das Scheidungsverbundverfahren und das isolierte
Sorgerechtsverfahren richten sich aber entgegen der Rechtsauffassung des
Prozessbevollmächtigten des Antragstellers insgesamt nach der BRAGO. Gemäß § 61 RVG
findet die BRAGO Anwendung, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben
Angelegenheit im Sinne von § 15 RVG vor dem 1. Juli 2004 erteilt oder der Rechtsanwalt vor
diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist.
Die Parteien streiten zwar erst seit September 2004 um das Aufenthaltsbestimmungsrecht,
gemäß § 15 i.V.m. § 16 Nr. 4 RVG sind eine Scheidungssache und die Folgesachen als dieselbe
Angelegenheit i.S.v. § 15 anzusehen. Das Scheidungsverbundverfahren mit dem Antrag auf
Scheidung und Durchführung des Versorgungsausgleichs ist vor dem 1. Juli 2004 rechtshängig
geworden. Die Erweiterung des Scheidungsverbundes um den Streit um das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn der Parteien stellt insofern eine Fortführung derselben
Angelegenheit dar. Mithin ist hier die BRAGO für die Gebührenberechnung maßgeblich.
Zwar erfolgt die Berechnung des Gegenstandswerts gemäß § 7 Abs. 3 BRAGO in der Weise,
dass die Scheidungssache und die Folgesachen als eine Angelegenheit angesehen werden, doch
auf Grund der Regelung in § 623 ZPO ergibt sich die Trennung aus dem Scheidungsverbund. Die
Sorgerechtsstreitigkeit der Parteien ist als isoliertes Sorgerechtsverfahren losgelöst vom
Scheidungsverbund zu sehen (s.o.). Es fallen alle Gebühren nach der Abtrennung des Verfahrens
noch einmal an (vgl. Philippi in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 623 Rn. 32 k).
Insgesamt ergibt sich die nachfolgende Gebührenberechnung:
51 F 115/03|
Prozessgebühr aus 6.608,00 ¤, § 31 I 1 BRAGO|230,00 ¤
Verhandlungsgebühr aus 6.608,00 ¤, § 31 I 2 BRAGO|230,00 ¤
Beweisgebühr aus 6.108,00 ¤, § 31 I 3 BRAGO|230,00 ¤
Postpauschale, § 26 BRAGO|20,00 ¤
Summe der Gebühren und Auslagen|710,00 ¤
16 % Umsatzsteuer, § 25 Abs. 2 BRAGO|113,60 ¤
Gesamtsumme|823,60 ¤
54 F 72/05|
Prozessgebühr aus 3.000,00 ¤|189,00 ¤
244
Verhandlungsgebühr aus 3.000,00 ¤|189,00 ¤
Vergleichsgebühr aus 3.000,00 ¤|189,00 ¤
Postpauschale, § 26 BRAGO|20,00 ¤
Summe der Gebühren und Auslagen|587,00 ¤
16 % Umsatzsteuer, § 25 Abs. 2 BRAGO|93,92 ¤
Gesamtsumme|680,92 ¤
Damit ergibt sich für beide Verfahren eine Gesamtvergütung des Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers aus der Landeskasse mit 1.504,52 ¤.
Auf Grund des Kostenvorschusses von 209,96 ¤ und der festgesetzten Auszahlungsbeträge von
529,00 ¤ und 169,32 ¤ in der angefochtenen Kostenfestsetzung vom 23. September 2005 (
letztere ist zur Auszahlung gelangt ) ist ein abschließender Kostenbetrag von 596,24 ¤ noch zur
Zahlung offen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 128 Abs. 5
BRAGO).
Wird dem Kläger aufgrund eines vor dem 1. Juli 2004 gestellten Antrags nach diesem Datum
Prozesskostenhilfe gewährt, richtet sich die anwaltliche Vergütung nach RVG, wenn, wie es
regelmäßig der Interessenlage entspricht, der Rechtsanwalt des Klägers zunächst nur mit der
Stellung des PKH-Antrags beauftragt war und der Verfahrensauftrag unter der Bedingung der
positiven PKH-Entscheidung erteilt wurde (entgegen OLG Köln, AGS 2005, 448).
KAMMERGERICHT-BERLIN: 1 W 360/05, Beschluss vom 15.11.2005
Verfahrensgang:
LG Berlin 82 AR 168/04 vom 10.08.2005
LG Berlin 22 O 257/04
Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer:
1 W 360/05
In dem Kostenstreit
hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin vom 29.
August 2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. August 2005 - 82 AR 168/04
- durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, den Richter am Kammergericht
Dr. Wimmer und den Richter am Amtsgericht Müller am 15. November 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Das Rechtsmittel ist zulässig. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Vorschriften der BRAGO
oder des RVG Anwendung finden, weil die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind. Der
Beschwerdewert in Höhe von 50,-EUR gemäß § 128 Abs. 4 S. 1 BRAGO ist erreicht bzw. die
Beschwerde durch das Landgericht gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, 33 Abs. 3 S. 2 RVG wegen
grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden. Die Beschwerde ist auch innerhalb der
zweiwöchigen Frist des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden.
II. Die Vergütung des dem Kläger beigeordneten Rechtsanwalts richtet sich vorliegend nach den
245
Vorschriften des RVG.
Gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 RVG sind die BRAGO und Verweisungen hierauf weiter anzuwenden,
wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor
dem 1. Juli 2004 erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder
beigeordnet worden ist. Werden mehrere dieser Tatbestände erfüllt, kommt es für die Frage,
welches Vergütungsrecht Anwendung findet, auf den Zeitpunkt an, zu dem erstmals einer der
Tatbestände erfüllt ist (BT-Drs. 15/1971, S. 203 re. Sp. zu § 60 RVG-E).
1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es vorliegend nur auf den Zeitpunkt
der (unbedingten) Auftragserteilung für das Klageverfahren ankommt, weil die Beiordnung des
Klägervertreters jedenfalls nach dem 1. Juli 2004 erfolgt ist. Der entsprechende Beschluss des
Prozessgerichts war erst am 12. August 2004 ergangen und damit nach dem gemäß § 61 Abs. 1
S. 1 RVG maßgeblichen Zeitpunkt gegenüber dem Klägervertreter wirksam geworden (vgl. OLG
Stuttgart, AnwBl 1980, 114; HansOLG Hamburg, JurBüro 1976, 184f.; Hartmann, Kostengesetze,
35. Aufl., § 60, Rdn. 13). Dagegen spricht nicht die in dem Beschluss enthaltene Bestimmung, die
Bestellung erfolge rückwirkend zum 18. Juni 2004. Zu Recht hat das Landgericht dieser
Bestimmung für die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts keine Bedeutung beigemessen, weil § 61
Abs. 1 S. 1 RVG allein auf den Erlass des Beiordnungsbeschlusses abstellt.
2. Kam es danach allein auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung an, musste dem Einwand der
Beteiligten, dem Klägervertreter sei bereits vor dem 1. Juli 2004 ein unbedingter Auftrag zur
Erhebung der Klage erteilt worden, nicht weiter nachgegangen werden. Es entspricht regelmäßig
der Interessenlage, dass der Rechtsanwalt des Klägers zunächst nur mit der Stellung des PKHAntrags beauftragt ist und der Verfahrensauftrag unter der Bedingung der positiven PKHEntscheidung erteilt wird (v. Eicken, AnwBl 1975, 339, 343;
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., VV 3335, Rdn. 8f.). Dies ist vom
Klägervertreter hier entsprechend vorgetragen worden. Es wird bestätigt durch sein prozessuales
Verhalten. So wurde in dem PKH-Antrag vom 18. Juni 2004 ausdrücklich auf den beigefügten
Entwurf einer Klageschrift verwiesen. Dieser Entwurf entsprach noch nicht den Anforderungen an
eine Klageschrift, weil er nicht unterschrieben war, vgl. §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO. Erst nach
Bewilligung der Prozesskostenhilfe und seiner Beiordnung hat der Klägervertreter dann eine
unterschriebene Klageschrift eingereicht.
Die dem Verfahrensauftrag zugrunde liegende Vollmacht musste nicht zur Akte gereicht werden,
weil es insbesondere auf das Datum ihrer Erteilung nicht ankam. Das Datum der
Verfahrensvollmacht lässt nicht auf darauf schließen, ob ein bedingter oder unbedingter
Verfahrensauftrag erteilt worden ist, weil die Vollmacht nichts über das Innenverhältnis zwischen
Mandant und Verfahrensbevollmächtigtem aussagt (v. Eicken, a.a.O., 340;
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, a.a.O., Rdn. 10).
3. Umstritten ist, ob es bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts im Fall der Erteilung eines
durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedingten Verfahrensauftrags auf den Zeitpunkt
ankommt, zu dem der unbedingte Auftrag für das Prozesskostenhilfeverfahren erteilt wurde (so
OLG Köln, AGS 2005, 448 mit zustimmender Anmerkung Schneider;
Baumgärtel/Föller/Hergenröder/Houben/Lompe, RVG, 5. Aufl., § 61, Rdn. 4; Hartung/Römermann,
RVG, § 60, Rdn. 27) oder ob der Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich ist (so AG
Tempelhof-Kreuzberg, JurBüro 2005, 365; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, a.a.O., §
60 RVG, Rdn. 29; Bischof/Jungbauer/Podlich-Trappmann, RVG, § 61, Rdn. 26; Goebel/Gottwald,
RVG, § 61, Rdn. 27; Mayer/Kroiß/Klees, RVG, § 60, Rdn. 10; Braun/Hansens, RVG-Praxis, S. 72;
Müller-Rabe, NJW 2005, 1609, 1610; v. Eicken, a.a.O., 343). Im ersteren Fall ist nach BRAGO
abzurechnen, weil der Auftrag für das PKH-Verfahren vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden war. Im
letzteren Fall findet das RVG Anwendung, weil die Bedingung erst durch den die
Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 12. August 2004 eingetreten ist, § 158 Abs. 1
BGB.
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Meinung an. Bereits im Rahmen früherer
Gebührenänderungen ist darauf hingewiesen worden, mit dem Übergangsrecht solle verhindert
werden, dass nach bisherigem Recht erwachsene Gebühren rückwirkend erhöht werden.
Ansonsten sollten die neuen Gebührensätze, die der Gesetzgeber als angemessene
Gegenleistung für die anwaltliche Tätigkeit erkannt habe, möglichst bald Anwendung finden (von
Eicken, AnwBl 1975, 339, 340). Entsprechendes gilt für den Übergang von der BRAGO zum RVG.
246
Deshalb hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass im Rahmen des § 61 Abs. 1 S.
1 RVG in erster Linie auf den erteilten Auftrag abzustellen sei. Auch bei einer Angelegenheit
können mehrere selbständige Aufträge vorliegen, die für einzelne Handlungen gesonderte,
voneinander abgrenzbare Gebühren auslösen (Müller-Rabe, NJW 2005, 1609, 1610). So liegt es
hier. Es handelt sich bei dem Prozessauftrag nicht lediglich um die - bedingte - Erweiterung eines
unbedingt erteilten Auftrags (so aber Baumgärtel/Föller/Hergenröder/Houben/Lompe, RVG, 5.
Aufl., § 61, Rdn. 4; Schneider, AGS 2005, 448), sondern um einen selbständigen, durch die
Beiordnung bedingten Auftrag, während der unbedingte Auftrag durch die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe seine Erledigung gefunden hat. Sowohl nach altem wie nach neuem Recht
werden für das Prozesskostenhilfe- und das Hauptsacheverfahren unterschiedliche Gebühren
ausgelöst. Dass die Gebühr für das Prozesskostenhilfeverfahren auf die Verfahrensgebühr
anzurechnen ist, steht dem nicht entgegen. Maßgeblich ist, dass beide Gebühren ohne weiteres
voneinander abgegrenzt werden können.
4. Da weitere Einwendungen seitens der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht wurden und
auch nicht ersichtlich sind, konnte der Klägervertreter an Gebühren und Auslagen nach dem RVG
insgesamt 1.021,96 EUR berechnen, so dass durch das Landgericht zutreffend über die
angefochtene Festsetzung hinaus weitere Gebühren und Auslagen in Höhe von 142,68 EUR
festgesetzt worden sind.
III. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs.
2 S. 2 und 3 RVG.
KG Berlin 3. Strafsenat Beschluß vom 13. September 2005 3 Ws 383/05
Leitsatz
Der Zeitpunkt der Bestellung des Rechtsanwalts im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ist im
Falle der Bestellung eines Pflichtverteidigers der der Unterzeichnung der diesbezüglichen
Verfügung durch den Vorsitzenden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts F... wird der Beschluß der 29. Strafkammer des
Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur (erneuten) Entscheidung über die Erinnerung gegen den Beschluß der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts vom 31. Mai 2005 an die Vorsitzende
der Strafkammer zurückverwiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2004 beantragte die dem damaligen Angeklagten als
Pflichtverteidigerin beigeordnete Rechtsanwältin S., diesem zur Sicherung des Verfahrens
einen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen, und schlug als solchen Rechtsanwalt F. vor.
Durch Verfügung vom 30. Juni 2004 bestellte die Vorsitzende des Schwurgerichts daraufhin
Rechtsanwalt F. zum weiteren Pflichtverteidiger des Verurteilten. Am 1. Juli 2004 führte die
Geschäftsstelle des Landgerichts die Verfügung aus, deren Ausfertigungen am 2. Juli 2004
247
abgesandt wurden. Eine derselben ging Rechtsanwalt F. - wie dieser anwaltlich versichert hat
- am 5. Juli 2004 zu. Die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht fand vom 10. Januar bis
zum 16. Februar 2005 statt. An dem letztgenannten Tage wurde der Verurteilte wegen Mordes
in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Ferner ordnete die
Strafkammer gegen ihn die Sicherungsverwahrung an. Seine Revision verwarf der
Bundesgerichtshof. Die Strafakten sind noch nicht an das Landgericht zurückgelangt. Dem
Senat liegt lediglich ein wenige Blatt umfassender Kostenbeschwerdeband vor.
Rechtsanwalt F. hat mit Schriftsatz vom 9. Mai 2005 die Festsetzung der ihm als
Pflichtverteidiger zustehenden Gebühren und Auslagen in einer Gesamthöhe von 5.663,06
Euro beantragt und ausgeführt, die Abrechnung sei hier deshalb nach dem
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und nicht nach der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) vorzunehmen, weil ihm die
Beiordnungsverfügung vom 30. Juni 2004 erst am 5. Juli 2004, mithin nach dem 1. Juli 2004,
dem nach der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 RVG relevanten Zeitpunkt, zugegangen
sei.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts hat den Antrag des Rechtsanwalts
durch Beschluß vom 31. Mai 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, für die Frage, ob
altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden sei, sei allein der Zeitpunkt der gerichtlichen
Bestellung maßgebend, der hier vor dem 1. Juli 2004 liege. Seine dagegen gerichtete
Erinnerung hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet
verworfen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Rechtsanwalts F. ist unbegründet.
Gemäß § 61 Abs. 1 RVG ist - soweit hier von Interesse - die BRAGO weiter anzuwenden,
wenn der Rechtsanwalt vor dem 1. Juli 2004 gerichtlich bestellt worden ist. Da die Verfügung
über die Bestellung Rechtsanwalt F. vom 30. Juni 2004 datiert, ist auch zur Überzeugung des
Senats altes Gebührenrecht anzuwenden. Allerdings vertritt die Kommentarliteratur zum
RVG - meist ohne dies zu begründen - nahezu einhellig den Standpunkt, maßgeblich sei der
Zeitpunkt, an dem die Verfügung über die Bestellung dem Rechtsanwalt zugegangen sei (vgl.
Baumgärtel/Houben/Hergenröder/Lompe, RVG, Abschnitt 9 § 61 Rdn. 5 (S. 214); Hartung in
Hartung/Römermann, RVG, § 60 Rdn. 21; Schneider in Hansens/Braun, Praxis des
Vergütungsrechts (.ZAP-Arbeitsbuch.) Übergangsregelungen Rdn. 28 (.S. 1390.); N.
Schneider in Gebauer/Schneider (.Hrsg..) RVG 2. Aufl., § 61 Rdn. 16; Goebel in
Goebel/Gottwald (.Hrsg..), RVG § 60 Rdn. 29). Demgegenüber meint Volpert in Burhoff
(.Hrsg..) RVG, Übergangsvorschriften (§§ 60 f.) Rdn. 28, für den Pflichtverteidiger komme es
nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Rechtsanwalt, sondern allein auf
den Zeitpunkt der Bestellung an, und zitiert OLG Celle StV 1996, 222 (= StraFO 1996, 159),
wo sich jedoch keine näheren Ausführungen dazu finden, welcher Zeitpunkt als der der
gerichtlichen Bestellung (oder Beiordnung) angenommen werden kann. Letzteres gilt auch für
die Entscheidungen des Kammergerichts zu § 61 Abs. 1 RVG (vgl. u. a. Beschlüsse vom 17.
Januar 2005 - (1) 2 StE 10/03-2 (4/03) - und vom 18. Juli 2005 - 3 Ws 323/05 - m.N.).
Für den Armenanwalt hat das OLG Stuttgart in AnwBl. 1980, 114 den Standpunkt vertreten,
maßgebend sei der Zeitpunkt des Zugangs des Beiordnungsbeschlusses beim Anwalt, weil
jener erst mit dem Zugang diesem gegenüber wirksam werde. Demgegenüber stellt das OLG
Hamm (StraFo 2005, 351 f. = NStZ-RR 2005, 286 = RVGreport 2005, 261) auf das Datum
der Bestellung des Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden ab. Die Beiordnung werde mit
Erlaß des Beiordnungsbeschlusses durch den Vorsitzenden wirksam. Der Zeitpunkt der
Kenntniserlangung durch den Rechtsanwalt sei für die Wirksamkeit ohne Bedeutung, auch
wenn der Beschluß gemäß §§ 35 Abs. 2, 34 StPO bekanntzumachen sei. Die Entscheidung
248
des OLG Stuttgart in AnwBl. 1980, 114 führe zu keinem anderen Ergebnis, denn die
Bestellung eines Armenanwalts sei mit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht
vergleichbar, da bei diesem die Rechtsprechung (BGH NStZ 1991, 94) davon ausgehe, daß
ein gegebenenfalls bestehendes Wahlmandat (konkludent) niedergelegt werde, wenn die
Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt werde. Der Angeklagte würde daher in den Fällen
notwendiger Verteidigung zumindest zeitweise verteidigungslos sein, wenn es hinsichtlich der
Wirksamkeit des Beiordnungsbeschlusses auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den
Rechtsanwalt ankäme.
Der Senat ist mit dem Landgericht der Auffassung, daß sich bereits aus dem Wortlaut des §
61 Abs. 1 Satz 1 RVG eindeutig ergibt, dass auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der
Vorsitzende die Verfügung über die Bestellung des Pflichtverteidigers unterschrieben hat. Die
Wortwahl des Gesetzgebers, maßgebend sei der Zeitpunkt, zu dem der Rechtsanwalt
gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist, läßt nach seinem Verständnis der Vorschrift
eine andere Auslegung nicht zu. Auch das OLG Brandenburg (NStZ-RR 2005, 253, 254)
führt aus, der Wortlaut des § 61 RVG deute darauf hin, dass es auf den Zeitpunkt der
gerichtlichen Bestellung im Sinne der Entscheidung des Gerichts über die Bestellung
ankomme. Zutreffend weist zudem das OLG Schleswig (NJW 2005, 234) darauf hin, dass die
Wirkung der Beiordnung des Pflichtverteidigers in der Begründung einer öffentlichrechtlichen Pflicht des Rechtsanwalts, bei der ordnungsgemäßen Durchführung des
Strafverfahrens durch sachgerechte Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken, bestehe. Der
Senat fügt dem hinzu, dass der hoheitliche Akt der Begründung derselben die gerichtliche
Entscheidung ist, und nicht die nachfolgenden Handlungen von Geschäftsstelle, Kanzlei,
Postbeförderungsunternehmen und Rechtsanwaltskanzlei (so auch BayObLG NJW 70, 1935).
Für die Frage, welches Gebührenrecht anwendbar ist, wäre - stellte man nicht auf ihn ab andernfalls letztlich nicht die Entscheidung des Gerichts, sondern der Zufall maßgebend. Das
OLG Brandenburg a.a.O. weist zu Recht darauf hin, es widerspräche dem Gedanken der
Gebührengerechtigkeit, wenn in der Praxis in gleichgelagerten Fällen unterschiedliche
Ergebnisse erreicht würden; der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sei ein tauglicher
Anknüpfungspunkt für die Frage, ob altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden sei.
In dem Umstand, dass die Wirkungen der Beiordnung erst zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem
der Rechtsanwalt durch Zugang der Entscheidung Kenntnis von der Beiordnung erhält, sieht
der Senat aus den genannten Gründen entgegen OLG Stuttgart a.a.O. kein entscheidendes
Kriterium. Für den hier vertretenen Standpunkt spricht allerdings nicht das Argument des
OLG Hamm a.a.O., der Angeklagte könnte in den Fällen der notwendigen Verteidigung
zeitweise verteidigungslos sein, wenn es hinsichtlich der Wirksamkeit des
Beiordnungsbeschlusses auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Rechtsanwalts ankäme,
denn die Beiordnung eines Pflichtverteidigers setzt nicht voraus, dass der beigeordnete
Rechtsanwalt zuvor Wahlverteidiger gewesen ist; Rechtsanwalt F... war dies ebenfalls nicht.
Zudem trifft es nicht zu, dass - wie das OLG Hamm meint - ein gegebenenfalls bestehendes
Wahlmandat konkludent niedergelegt werde, wenn die Beiordnung zum Pflichtverteidiger
beantragt werde. Dies besagt auch die Entscheidung BGH NStZ 1991, 94, die das OLG
Hamm zitiert, so nicht, sondern nur, dass die Verteidigervollmacht mit der Niederlegung des
Wahlmandats im Zusammenhang mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger erlösche. Genauer
gesagt enthält der Antrag eines Wahlverteidigers, ihn zum Pflichtverteidiger zu bestellen, die
Erklärung, die Wahlverteidigung solle mit der Bestellung enden (vgl. BGH SW 1981, 12;
Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 142 Rdn. 7 m.N.; KG, Beschluß vom 9. Juni 2005 - 4 Ws
47/05 -).
249
Im Ergebnis auf der Linie der Entscheidung des OLG Stuttgart (a.a.O.) liegen allerdings
diejenigen, die meinen, gerichtliche Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung seien
erst ergangen, wenn sie zum Zweck der Zustellung oder sonstigen Bekanntmachung in den
Geschäftsgang gegeben, abgesandt oder gar zugestellt worden seien (vgl. zum
Meinungsstand: Maul in KK, StPO 5. Aufl., § 33 Rdn. 4 m.N.). Maul (a.a.O.) vertritt die
Auffassung, diese Entscheidungen seien zum Zeitpunkt ihrer Absendung ergangen, weil sie
mit dem Herausgeben aus dem Bereich des Gerichts erst existent würden und damit
unabänderlich seien. Wendisch in LR, StPO 25. Aufl., § 33 Rdn. 9 und 12, meint ebenfalls,
Entscheidungen seien erst ergangen, wenn sie für das Gericht, das sie beschlossen hat,
unabänderlich geworden seien. Unabänderlich seien sie aber erst, sobald sie bekanntgegeben
worden seien. Solange sie noch geändert werden könnten, seien sie nur bloße Entwürfe.
Weßlau in SK, StPO, Vor § 33 Rdn. 9 stellt auf den Zeitpunkt ab, zu dem das Schriftstück die
Geschäftsstelle verläßt.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Dass eine vom Vorsitzenden unterzeichnete
Verfügung nach §§ 140, 141 StPO gar nicht existent sei, kann ernsthaft nicht behauptet
werden. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis ist ein Erlaß die von einer Behörde
ausgehende Anordnung; Erlassen hat die Bedeutung von amtlichem Anordnen. Dass
Entscheidungen abänderbar sind, ändert nichts daran, dass sie vorhanden sind; nur etwas, was
es gibt, kann abgeändert oder beseitigt werden. Richtigerweise wird man zwischen
aktenmäßigem Erlaß und dem Erlaß mit Außenwirkung zu unterscheiden haben (vgl. MeyerGoßner, StPO 48. Aufl., Vor § 33 Rdn. 5 und 8 m.N.). Der erste Zeitpunkt ist der des
Unterschreibens der Entscheidungsurkunde mit beigefügtem Datum (so auch Paulus in KMR,
Vorb. § 33 Rdn. 23). Der Bundesgerichtshof vertritt für den Zeitpunkt des Erlasses eines
Strafbefehls denselben Standpunkt (BGHSt 25, 187, 188 f = NJW 1974, 66), auch Lemke in
HK, StPO 3. Aufl., § 33 Rdn. 5, der zusätzlich darauf hinweist, dass die Entscheidung mit
Außenwirkung erst dann erlassen sei, wenn sie die Geschäftsstelle an den Adressaten der
Entscheidung herausgebe (a.a.O. Rdn. 6). Der Senat ist in Einklang damit der Meinung, dass
ein Beschluß naturgemäß erst dann seine Wirkungen entfalten kann, wenn er diejenigen, die
er betrifft, erreicht. Dies ändert jedoch zu seiner Überzeugung nichts daran, dass der
maßgebliche Zeitpunkt im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG derjenige des Datums der
Unterzeichnung der Beiordnungsverfügung ist.
Soweit demgegenüber Wendisch in LR a.a.O., Rdn. 9, für seine Meinung zusätzlich anführt,
es sei unbestritten, dass bei Entscheidungen, die in der Hauptverhandlung ergehen, nicht auf
die - der Beschlußfassung entsprechende - Entscheidung im Beratungszimmer, sondern nur
auf deren Verkündung abgestellt werden könne, und diesem Akt der Kundgabe nach außen
entspreche bei Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, deren
Zustellung, vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar trifft es zu, dass gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1
StPO Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, ihr durch
Verkündung bekanntzumachen sind. Dem entspricht § 329 Abs. 1 ZPO. Dies bedeutet aber
nicht, dass der im Beratungszimmer zustande gekommene Beschluß wegen seiner
Abänderbarkeit bis zur Verkündung nur einen Entwurf darstellte, bzw. (so Wendisch a.a.O.
Rdn. 9) noch gar nicht ergangen wäre, denn schließlich ist er vom Gericht - gegebenenfalls als
kollegialem Spruchkörper nach erfolgter Abstimmung - gefaßt worden, abgesehen davon,
dass Abänderungen derartiger Beschlüsse - ebenso wie schriftlich erfolgter
Pflichtverteidigerbestellungen - in der Praxis nur außerordentlich selten vorkommen dürften.
Im Übrigen erfolgt im Gerichtsalltag die abschließende Beratung der zu verkündenden
Entscheidungen ohnehin erst unmittelbar vor deren Verkündung. Zudem sind auch nach dem
allgemeinen richterlichen Verständnis schriftliche Entscheidungen erlassen, sobald sie von
allen Richtern unterschrieben worden sind, die sie zu treffen haben; nur bis zum Zeitpunkt der
250
Leistung der letzten Unterschrift kann ein Entwurf vorliegen. Auch BGHZ 137, 49, 51 sieht
Beschlüsse lediglich so lange als unverbindliche Entwürfe an, wie die erkennenden Richter
sie nicht unterschrieben haben.
Soweit das Kammergericht in NZV 1992, 123 für den Zeitpunkt des Erlasses eines die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anordnenden Beschlusses auf die Herausgabe
desselben aus dem inneren Dienstbetrieb des Gerichts abgestellt hat, handelt es sich um ein
Erlassen im Sinne des Entfaltens von Außenwirkung.
Die Strafkammervorsitzende (nicht die gesamte Strafkammer) hätte nach alledem gemäß §§
61 Abs. 1 Satz 1 RVG, 98 Abs. 2 BRAGO in der Sache selbst entscheiden (vgl. von Eicken in
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl., § 56 Rdn. 11; s. auch OLG
Düsseldorf RPfl 1996, 149) und die Festsetzung nach der BRAGO vornehmen müssen. Eine
eigene Sachentscheidung durch den Senat scheidet mangels Entscheidungsreife aus (vgl. Matt
in LR, a.a.O. § 309 Rdn. 12), da ihm die Sachakten nicht vorliegen und er deshalb die
Kostenberechnung des Antragstellers im Einzelnen nicht überprüfen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 5 BRAGO (= § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
LG Dresden 3. Strafkammer Beschluß vom 23. Februar 2005 3 KLs 314 Js 51988/03
Pflichtverteidigervergütung: Berechnung in Übergangsfällen
Orientierungssatz
Wenn ein Rechtsanwalt schon vor dem 1. Juli 2004 als Wahlverteidiger tätig war, jedoch erst
nach diesem Stichtag des Inkrafttretens des RVG als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde,
kommt für die Vergütungsberechnung das RVG zur Anwendung, da sich nach der
Gesetzesbegründung zweifelsfrei ergibt, dass der Gesetzgeber in derartigen Übergangsfällen
allein auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung abstellen wollte.
AGS 2005, 349-350 (red. Leitsatz und Gründe)
KG Berlin 3. Strafsenat Beschluß vom 18. Juli 2005 3 Ws 323/05
Leitsatz
Übergangsrecht beim Rechtsanwalt als Zeugenbeistand.
Der nach dem 30. Juni 2004 zum Beistand des Zeugen bestellte Rechtsanwalt erhält seine
Gebühren aus der Landeskasse nach dem RVG auch dann, wenn er vor dem Stichtag bereits
als Beistand des Zeugen von diesem beauftragt worden war.
Der Rechtsanwalt erhält für seine Tätigkeit die gleichen Gebühren wie der Pflichtverteidiger.
251
Tenor
Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 18. Mai
2005 wird verworfen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Am 20. Verhandlungstag der Hauptverhandlung gegen B., dem 8. Dezember 2004, meldeten
sich der geladene Zeuge W. und als Zeugenbeistand Rechtsanwalt S. Letzterer beantragte
seine Beiordnung. Der Vorsitzende ordnete daraufhin dem Zeugen Rechtsanwalt S. gemäß §
68 b StPO als Zeugenbeistand bei. Rechtsanwalt S. beantragte mit Schriftsatz vom 8.
Dezember 2004, seine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wie folgt
festzusetzen:
Grundgebühr gem. VV 4100, 4101
Gerichtliches Verfahren gem. VV 4112, 4113
Terminsgebühr gem. VV 4114, 4115
Post-/Telekommunikationspauschale gem. VV 7002
16 % Umsatzsteuer gem. VV 7008
Gesamtsumme
162,00 Euro
151,00 Euro
263,00 Euro
20,00 Euro
95,36 Euro
691,36 Euro
Nach dem Vortrag Rechtsanwalt S. hatte der Zeuge W. ihm am 6. Dezember 2004 das
Mandat als Zeugenbeistand übertragen und am 7. Dezember 2004 hatte der Rechtsanwalt den
Zeugen in der Haft aufgesucht.
Mit Beschluss vom 24. März 2005 setzte der Kostenbeamte des Landgerichts insgesamt
lediglich 191,40 Euro als aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung fest. Zur Begründung
führte er aus, dass die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung anwendbar sei, da Rechtsanwalt
S. in vorliegender Sache bereits im April 2004 als Zeugenbeistand tätig gewesen und seine
Beiordnung vom 8. Dezember 2004 sich nur auf die Dauer der Vernehmung in der
Verhandlung von demselben Tage beschränkt habe. Daher sei nur eine Gebühr in Höhe von
150,-- Euro (§§ 83 Abs. 1, 97, 95 zweiter Halbsatz BRAGO) zuzüglich 15,-- Euro
Postpauschale und 26,40 Euro Mehrwertsteuer erstattungsfähig. Nach dem
Vernehmungsprotokoll vom 23. April 2004 ist der Zeuge W. an diesem Tage durch die
Staatsanwaltschaft in vorliegendem Verfahren in Anwesenheit von Rechtsanwalt S. als
Zeugenbeistand vernommen worden.
Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts hat die Strafkammer des Landgerichts durch die
angefochtene Entscheidung den Beschluss vom 24. März 2005 aufgehoben und die Vergütung
entsprechend der Kostenrechnung in einer Gesamthöhe von 691,36 Euro festgesetzt. Die
dagegen gerichtete Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Berlin als
Vertreterin der Landeskasse ist unbegründet.
1. Zutreffend hat die Strafkammer das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz angewendet. Das
Kammergericht hat in seinem Beschluss vom 17. Januar 2005 - (1) 2 StE 10/03-2 (4/03) - für
den Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, der zuvor Wahlverteidiger gewesen ist,
ausgeführt, § 61 Abs. 1 RVG sei dahin auszulegen, dass auf den Zeitpunkt der
Pflichtverteidigerbestellung abzustellen sei (.Rechtspfleger 2005, 276; RVGreport 2005, 186
f.). Dies ist inzwischen die einhellige Auffassung der Oberlandesgerichte (vgl. u. a. OLG Jena
und OLG Frankfurt, beide in RVGreport 2005, 221; OLG Schleswig NJW 2005, 234).
Vorliegend erfolgte die Beiordnung am 8. Dezember 2004, mithin nach dem Stichtag des § 61
252
Abs. 1 RVG, dem 1. Juli 2004. Diese Rechtsprechung gilt auch für die Beiordnung eines
Zeugenbeistands nach § 68 b StPO, denn ebenso wie für die Beiordnung nach § 141 StPO ist
für die Beiordnung nach § 68 b StPO Voraussetzung, dass das Wahlmandat geendet hat;
damit steht es als Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Übergangsrechts nicht mehr zur
Verfügung (anders für die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand eines Nebenklägers:
KG, Beschluss vom 9. Juni 2005 - 4 Ws 47/05; KG, Beschluss 13. Juni 2005 - 5 Ws 253/05 ).
2. Soweit die Bezirksrevisorin des Landgerichts zu bedenken gibt, ob für den Fall, dass das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz anwendbar wäre, nicht ausschließlich die Verfahrensgebühr
VV 4302 Ziff. 3 als Einzelgebühr für eine andere nicht in den Nummern VV 4300 oder 4301
erwähnte Beistandsleistung vergütet werden sollte, ist ihr entgegenzuhalten, dass gemäß Teil
4 Strafsachen, Vorbemerkung 4 Abs. 1 des Vergütungsverzeichnisses (.Anlage 1 (zu § 2 Abs.
2 RVG).) in Verbindung mit Abschnitt 1 des Teiles 4 Strafsachen des
Vergütungsverzeichnisses unter anderem für die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Beistand
eines Zeugen die Vorschriften für die Gebühren eines Verteidigers entsprechend anzuwenden
sind, daher der als Beistand beigeordnete Rechtsanwalt für seine Tätigkeit die gleichen
Gebühren wie ein Verteidiger erhält (vgl. Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl., VV
Teil 4 Vorbem. 4 Rdn. 22 (S. 678); Hartung in Hartung/Römer-mann, RVG VV Teil 4 Rdn.
27; Volpert in RVG, Burhoff Hrg., Vorbemerkung 4.3 Rdz. 16 (S. 835; s. auch KG, Beschluss
vom 29. Juni 2005 - 5 Ws 164/05 -; Burhoff, RVGreport 2004, 16; siehe auch
Bundestagsdrucksache 15/1971 S. 145, abgedruckt bei Göttlich/Mümmler, RVG, Stichwort
Beistand Ziff. 3 (.für Zeugen und Sachverständige.) S. 128 f.). Dies meint auch Madert in
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl., VV 4100 bis 4105 Rdn. 33
(S. 1309); soweit er zu VV 4300 bis 4304 (S. 1365 f) Rdz. 58 allerdings dem gegenüber
anführt, eines der Beispiele für die Nr. 3 der VV 4302 sei die Vergütung eines Rechtsanwalts,
der nach § 68 b StPO einem Zeugen beigeordnet worden ist, ist diese Auffassung seit dem
Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes nicht mehr haltbar. Gleiches gilt für die
Kommentierung in Hartmann, Kostengesetze 35. Aufl., VV 4302 Rdn. 2 (S. 1877), auf die
sich die Bezirksrevisorin bezieht, sowie die Entscheidung des OLG Düsseldorf in JurBüro
2001, 26 f.).
3. Soweit die Beschwerde meint, die Pauschale der VV Nr. 7002 könnte deshalb nicht
erstattungsfähig sein, weil die Beiordnung lediglich die Dauer der Vernehmung des Zeugen
umfasse, steht dem entgegen, dass aus den oben genannten Gründen die Tätigkeit des
Rechtsanwalts als Beistand der des Pflichtverteidigers gleichgestellt ist und sich sein
Vergütungsanspruch gemäß § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG auch auf seine Tätigkeit vor dem
Zeitpunkt seiner Bestellung einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen
Klage, erstreckt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
StraFo 2005, 439 (red. Leitsatz und Gründe) NStZ-RR 2005, 358 (Leitsatz und Gründe)
RVG professionell 2005, 153 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 341 (Leitsatz) RVGLetter 2005, 112-113 (red. Leitsatz)
253
OLG Hamm 2. Strafsenat Beschluß vom 6. Juni 2005 2 (s) Sbd VIII - 110/05, 2 (s) Sbd 8 110/05
Verbindung von Strafverfahren: Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung und
Vergütungsberechnung nach neuem Gebührenrecht
Leitsatz
Die Problematik der Erstreckung i.S.d. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG stellt sich nur, wenn der
Rechtsanwalt in einem von mehreren Verfahren bereits als Pflichtverteidiger beigeordnet ist
und zu diesem Verfahren dann weitere Verfahren, in denen er nicht als Pflichtverteidiger
beigeordnet ist, hinzu verbunden werden.
Orientierungssatz
Es ist das RVG anwendbar, wenn der Rechtsanwalt nach dem 1. Juli 2004 beigeordnet
worden ist. Das RVG ist auf das gesamte Verfahren anwendbar und nicht auf einzelne Teile
noch die BRAGO. Die verbundenen Verfahren haben ihre gebührenrechtliche
Selbstständigkeit durch die Verbindung verloren.
NStZ-RR 2005, 285-286 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 535-536 (Leitsatz und
Gründe) AGS 2005, 437-440 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 273 (Leitsatz) RVGLetter 2005, 81 (Leitsatz)
OLG Hamm 2. Strafsenat Beschluß vom 16. Juni 2005 2 (s) Sbd VIII - 128/05, 2 (s) Sbd 8 128/05
Pflichtverteidigerkosten erster und zweiter Instanz bei zwischenzeitlichem Inkrafttreten
neuen Gebührenrechts: Verneinung einer Kompensation
Leitsatz
Zur Frage der Kompensation, wenn auf die Tätigkeit des Pflichtverteidigers in 1. Instanz die
BRAGO und auf die in der 2. Instanz das RVG anwendbar ist.
Orientierungssatz
1. Kommt für die Abrechnung der Pflichtverteidigertätigkeit in erster Instanz die BRAGO zur
Anwendung, für seine Tätigkeit in zweiter Instanz aber das RVG, so findet keine
Kompensation statt. Der Vertreter der Staatskasse kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass
die Tätigkeiten des Rechtsanwalts in der ersten Instanz zwar überdurchschnittlich seien,
jedoch durch die nur unterdurchschnittlichen Tätigkeiten in der zweiten Instanz und die dort
entstandenen hohen Gebühren kompensiert würden.
2. Es ist Sinn und Zweck der Übergangsregelung in § 61 Abs. 1 S. 2 RVG, ausdrücklich eine
möglichst frühzeitige Geltung des RVG sicherzustellen. Außerdem scheitert eine
Kompensation daran, dass die Abgeltungsbereiche der dem Rechtsanwalt hier nach der
254
BRAGO zustehenden gesetzlichen Gebühren und der des RVG nicht miteinander
vergleichbar sind.
JurBüro 2005, 537-538 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 440-441 (Leitsatz und Gründe)
RVGreport 2005, 263 (Leitsatz) RVG-Letter 2005, 83-84 (red. Leitsatz)
KG Berlin 4. Strafsenat Beschluß vom 9. Juni 2005 4 Ws 47/05
Vergütung des anwaltlichen Nebenklägervertreters in Übergangsfällen
Orientierungssatz
Ein nach dem 30. Juni 2004 nach § 397a Abs. 1 StPO zum Beistand bestellter
Nebenklägervertreter kann seine Gebühren gegen die Staatskasse lediglich nach der BRAGO
berechnen, wenn ihm der Verletzte bereits vor dem Stichtag einen (wenn auch für die
Bestellung nicht erforderlichen) Auftrag erteilt hat.
AGS 2005, 450-451 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 262 (red. Leitsatz)
OLG Hamm 2. Strafsenat Beschluß vom 9. Juni 2005 2 (s) Sbd VIII - 116/05, 2 (s) Sbd 8 116/05
Pflichtverteidigerkosten in Übergangsfällen: Maßgeblichkeit des Erlasses des
Beiordnungsbeschlusses für die Anwendung neuen Gebührenrechts
Leitsatz
Beim Pflichtverteidiger kommt es für die Anwendung des RVG auf den Zeitpunkt der
Beiordnung an. Die Beiordnung zum Pflichtverteidiger wird wirksam mit Erlass des
Beiordnungsbeschlusses durch den Vorsitzenden. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch
den Rechtsanwalt ist für die Wirksamkeit ohne Bedeutung.
StraFo 2005, 351-352 (Leitsatz und Gründe) NStZ-RR 2005, 286 (Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 539 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 261 (Leitsatz) RVGLetter 2005, 82-83 (red. Leitsatz)
OLG Bamberg 1. Strafsenat Beschluß vom 25. Februar 2005 1 Ws 136/05
255
Pflichtverteidigergebühren in Übergangsfällen
Orientierungssatz
1. Ein nach dem 30. Juni 2004 zum Pflichtverteidiger bestellter Rechtsanwalt erhält seine
Vergütung auch dann nach dem RVG, wenn er zuvor als Wahlverteidiger beauftragt war.
2. Wenn sich der Rechtsanwalt, der zuvor als Wahlverteidiger tätig war, vor dem 1. Juli 2004
erstmalig in die Sache eingearbeitet hatte, erhält er nicht die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV
RVG, sondern die Vorverfahrensgebühr nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 3
BRAGO.
AGS 2005, 399-401 (red. Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 260-261 (red. Leitsatz)
RVG-B 2005, 148 (red. Leitsatz)
AG Tempelhof-Kreuzberg Beschluß vom 22. April 2005 179 AR 27/05 - 124 F 10674/04
Übergangsregelung zum neuen Rechtsanwaltsvergütungsrecht: Behandlung eines
Prozeßkostenhilfe- und Ehescheidungsantrages
Orientierungssatz
1. Es ist unter Berücksichtigung des regelmäßig auf eine wirtschaftlich günstige Behandlung
ausgerichteten Willens der Mandanten grundsätzlich davon auszugehen, daß ein
Scheidungsantrag erst nach der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe als eingereicht gelten soll
und daß der Prozeßauftrag bis dahin befristet ist.
2. Daraus folgt, daß eine Abrechnung auch dann nach dem RVG erfolgt, wenn dem
Rechtsanwalt zwar vor dem 1. Juli 2004 ein bedingter Auftrag zur Durchführung einer
Ehescheidung erteilt wurde, der Prozeßkostenhilfeantrag mit Scheidungsantrag aber erst nach
dem 1. Juli 2004 bei Gericht eingereicht wurde und auch Prozeßkostenhilfebewilligung und
Beiordnung erst mit Wirkung nach dem 1. Juli 2004 erfolgten.
JurBüro 2005, 365-366 (red. Leitsatz und Gründe)
AG Tiergarten Beschluß vom 26. April 2005 (283) 2 Op Js 1085/03 (48/04)
Pflichtverteidigervergütung: Stichtag für die Berechnung nach neuem Vergütungsrecht
Orientierungssatz
Für die Frage, ob die Pflichtverteidigervergütung nach altem oder neuen Recht abzurechnen
ist, ist der Zeitpunkt des Zugangs des Bestellungsbeschlusses maßgeblich. Erfolgte die
Zustellung erst nach dem Inkrafttreten des RVG, ist die Vergütung nach neuem Recht zu
berechnen.
256
JurBüro 2005, 362 (red. Leitsatz und Gründe)
KG Berlin 4. Strafsenat Beschluß vom 18. April 2005 4 Ws 159/04
Rechtsanwaltskostenerstattung nach Freispruch: Vergütungsberechnung für einen nach
Inkrafttreten neuen Gebührenrechts zum Pflichtverteidiger bestellten Wahlverteidiger
Orientierungssatz
1. Wenn ein nach dem 1. Juli 2004 zum Pflichtverteidiger bestellter Rechtsanwalt, der zuvor
als Wahlverteidiger tätig war, nach dem Freispruch seines Mandanten im Strafverfahren den
abgetretenen Kostenerstattungsanspruch des Mandanten gegen die Landeskasse im Wege der
Kostenfestsetzung geltend macht, bestimmt sich die erstattungsfähige Vergütung nach der
BRAGO.
2. Die dennoch nach Maßgabe des RVG berechneten Gebühren können dann auch nicht in
Höhe der Gebühren nach der BRAGO festgesetzt werden, denn es fehlt an einer für die
angefallenen BRAGO-Gebühren erforderlichen Gebührenbestimmung nach § 12 BRAGO.
3. Jedoch kann diese Bestimmung im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durch Erstellung
einer Kostenrechnung auf der Grundlage der BRAGO nachgeholt werden.
RVGreport 2005, 234-235 (red. Leitsatz)
KG Berlin 27. Zivilsenat Beschluß vom 22. März 2005 27 W 43/05
Rechtsanwaltskosten nach Abstandnahme vom Urkundenprozess: Anrechnung bereits
entstandener Prozessgebühr in Übergangsfällen
Orientierungssatz
Wenn ein vor dem 1. Juli 2004 im Urkundenprozess beauftragter Verfahrensbevollmächtigter
nach Abstandnahme vom Urkundenverfahren weiter im noch anhängigen ordentlichen
Verfahren tätig wird, ist die im Urkundenprozess nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO entstandene
Prozessgebühr auf die im ordentlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr nach Nr.
3100 VV RVG anzurechnen.
RVGreport 2005, 223-224 (red. Leitsatz)
Thüringer Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluß vom 17. März 2005 1 Ws 73/05
257
Pflichtverteidigerkosten: Anwendung neuen Rechts bei Pflichtverteidigerbestellung
nach Stichtag
Orientierungssatz
Für einen nach dem 30. Juni 2004 zum Pflichtverteidiger bestellter Rechtsanwalt sind die von
der Landeskasse zu zahlenden Gebühren nach dem RVG zu berechnen. Dies gilt auch dann,
wenn der Rechtsanwalt vor dem Stichtag bereits als Wahlverteidiger mandatiert war.
JurBüro 2005, 538-539 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 221 (red. Leitsatz) RVGLetter 2005, 101 (red. Leitsatz)
OLG München 11. Zivilsenat Beschluß vom 4. Mai 2005 11 W 1257/05
Rechtsanwaltsvergütung: Übergangsrecht bei sich selbst vertretendem Rechtsanwalt
Leitsatz
Vertritt ein Rechtsanwalt sich selbst, so kommt es für die Frage, ob die BRAGO oder das
RVG anzuwenden sind, nicht auf einen Auftrag oder den inneren Entschluss des Anwalts an,
sondern auf die Tätigkeit des Anwalts.
AGS 2005, 342 (Leitsatz und Gründe) OLGR München 2005, 636-637 (Leitsatz und
Gründe) RVG-Letter 2005, 87 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 301 (Leitsatz) RVGB 2005, 129 (red. Leitsatz)
OLG Nürnberg 1. Strafsenat Beschluß vom 31. Mai 2005 1 Ws 321/05
Pflichtverteidigerkosten: Abgrenzung der Anwendung alten oder neuen
Gebührenrechts
Leitsatz
Die Anwendung alten oder neuen Rechts zur Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren
richtet sich nach dem Zeitpunkt der Beauftragung als Wahlverteidiger.
RVG-Letter 2005, 91-92 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 304 (Leitsatz) NStZ-RR 2005,
328 (Leitsatz)
OLG Frankfurt 2. Strafsenat Beschluß vom 9. März 2005 2 Ws 15/05
258
Pflichtverteidigergebühr: Entschädigung nach neuem Gebührenrecht bei
Pflichtverteidigerbestellung nach dem Stichtag und vorheriger Wahlverteidigertätigkeit
Orientierungssatz
Wird der Rechtsanwalt nach dem Stichtag zum Pflichtverteidiger bestellt, so ist er auch dann
nach dem neuen Gebührenrecht zu entschädigen, wenn er bereits vor diesem Zeitpunkt als
Wahlverteidiger tätig war.
RVG-Letter 2005, 55 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 221 (red. Leitsatz)
LG Mönchengladbach 5. Zivilkammer Beschluß vom 21. März 2005 5 T 136/05
Rechtsanwaltsgebühr: Prozessbezogene Anwaltstätigkeit als maßgeblicher Zeitpunkt
für die Anwendung des neuen Gebührenrechts
Orientierungssatz
Vorprozessuale Tätigkeiten des Rechtsanwalts vor dem 1. Juli 2004 wie z.B. die
schriftsätzliche Klageandrohung oder die Entgegennahme des Schriftsatzes und eine
eventuelle schriftliche Erwiderung rechtfertigen nicht die Anwendung des neuen
Gebührenrechts für die Berechnung der Gebühren im gerichtlichen Verfahren (§ 60 Abs. 1
RVG). Auch die Zustellung der Klage an einen Rechtsanwalt vor dem 1. Juli 2004 führt nicht
zur Anwendung des neuen Gebührenrechts. Beginnt der Rechtsanwalt des Beklagten jedoch
die Bearbeitung der am 30. Juni 2004 zugestellten Klage am 1. Juli 2004, kann er seine
Gebühren nach dem RVG berechnen. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn sich der
Anwalt in eigener Sache vertritt.
NJW-RR 2005, 863 (Leitsatz und Gründe) Rpfleger 2005, 384 (Leitsatz und Gründe)
JurBüro 2005, 308-309 (Leitsatz und Gründe) AGS 2005, 343-344 (Leitsatz und Gründe)
AnwBl 2005, 433-434 (Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 51-52 (red. Leitsatz)
RVGreport 2005, 222 (Leitsatz)
KG Berlin 4. Strafsenat Beschluß vom 8. März 2005 4 Ws 158/04
Pflichtverteidigergebühren: Berechnung in Übergangsfällen
Orientierungssatz
Für die Frage, ob der Pflichtverteidiger seine Vergütung aus der Staatskasse nach der
BRAGO oder nach dem RVG erhält, kommt es allein auf den Zeitpunkt der Bestellung zum
Pflichtverteidiger an. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt bereits vor dem 1. Juli 2004
in derselben Sache als Wahlverteidiger tätig war.
RVGreport 2005, 187-188 (red. Leitsatz)
259
LG Berlin 18. Große Strafkammer Beschluß vom 1. April 2005 518 Qs 48/04
Vergütung des bestellten Nebenkläger-Vertreters in Übergangsfällen
Orientierungssatz
1. Die Vergütung des nach dem 30. Juni 2004 gemäß § 397a Abs. 1 StPO bestellten
Nebenkläger-Vertreters richtet sich auch dann nach dem RVG, wenn der Zeitpunkt der
Auftragserteilung vor dem Stichtag liegt.
2. Bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nach §
397a Abs. 2 StPO berechnen sich die Gebühren nach der BRAGO, wenn der Zeitpunkt der
Auftragserteilung vor dem Stichtag liegt.
RVGreport 2005, 188 (red. Leitsatz)
OLG Köln 2. Strafsenat Beschluß vom 18. Februar 2005 2 ARs 28/05
Rechtsanwaltsvergütung: Anwendung alten oder neuen Rechts auf die Vergütung des
Nebenklägerbeistands
Leitsatz
Das RVG findet auf die Vergütung des Beistandes des Nebenklageberechtigten nur dann
Anwendung, wenn dieser seine Tätigkeit nach dem In-Kraft-Treten des RVG aufgenommen
hat und nicht schon dann, wenn er erst nach diesem Zeitpunkt vom Gericht beigeordnet
wurde.
AGS 2005, 405 (Leitsatz und Gründe) RVGreport 2005, 141 (Leitsatz) RVG-B 2005,
100 (red. Leitsatz)
AG Tempelhof-Kreuzberg Beschluß vom 25. Januar 2005 174 F 4088/04 - 179 AR 96/04,
174 F 4088/04, 179 AR 96/04
Rechtsanwaltsvergütung: Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts
Orientierungssatz
Hat der Rechtsanwalt bereits mit Schriftsatz vom 18. Mai 2004 unter Beifügung einer
Prozessvollmacht angezeigt, dass der Kindesvater ihn mit der Wahrnehmung seiner
rechtlichen Interessen beauftragt habe, und wird Prozesskostenhilfe erst mit Schriftsatz vom
17. August 2004, also ca. 3 Monate später, beantragt, muss davon ausgegangen werden, dass
der Rechtsanwalt von dem Kindesvater bereits vor dem insofern gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1
RVG geltenden Stichtag, dem 1. Juli 2004, unbedingt zur Wahrnehmung des Mandats
beauftragt worden ist. Die Rechtsanwaltsvergütung richtet sich deshalb nach der BRAGO.
260
JurBüro 2005, 196 (red. Leitsatz und Gründe)
LG Berlin 39. Große Strafkammer Beschluß vom 27. Januar 2005 539 Qs 2/05
Pflichtverteidigervergütung: Festsetzung für den nach dem Stichtag bestellten
Pflichtverteidiger nach neuem Recht bei vorherigem Wahlverteidigerauftrag
Orientierungssatz
In Übergangsfällen kommt es allein auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung an.
Dem nach dem 30. Juni 2004 als Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt ist eine Vergütung
aus der Landeskasse daher auch dann nach dem RVG zu gewähren, wenn er vor dem Stichtag
bereits mit der Wahlverteidigung beauftragt worden war.
RVGreport 2005, 101 (red. Leitsatz)
LG Lübeck 5. Strafvollstreckungskammer Beschluß vom 26. Januar 2005 5 StVK 141/04
Pflichtverteidigervergütung: Abgrenzung zwischen der Anwendung alten und neuen
Rechts
Orientierungssatz
Wird der Beschluss über die Beiordnung des Pflichtverteidigers noch unter der Geltung der
BRAGO gefasst, geht er dem Pflichtverteidiger aber erst nach Inkrafttreten des RVG zu, so ist
die Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht zu berechnen.
AGS 2005, 69 (red. Leitsatz und Gründe)
KG Berlin 5. Strafsenat Beschluß vom 17. Februar 2005 5 Ws 633/04
Vergütung des Pflichtverteidigers im jährlichen Überprüfungsverfahren für eine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anwendbarkeit alten
Gebührenrechts wegen stillschweigender Beiordnung vor dem Stichtag der
Übergangsregelung
Orientierungssatz
1. Hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer am 17. Juni 2004 für die durch § 67e
Abs. 2 StGB gebotene jährliche Überprüfung einer Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus Termin für die Anhörung des Untergebrachten anberaumt und die Ladung der
bereits in den Vorjahren tätigen Rechtsanwältin verfügt und ihr Ablichtungen aus dem
Vollstreckungsband zukommen lassen, wobei die Ladung den Zusatz enthielt: "Die erneute
Beiordnung wird in der üblichen Weise im Termin vorgenommen werden, notfalls außerhalb
261
eines solchen.", ist gleichwohl davon auszugehen, daß die Rechtsanwältin bereits mit der
Ladung konkludent zur Pflichtverteidigerin entsprechend § 140 Abs. 2 StPO bestellt wurde
und nicht erst im Anhörungstermin am 21. Juli 2004, denn deren Tätigkeit erschöpfte sich
nicht in der Teilnahme am Termin, sondern sie mußte sich im Vorfeld mit den zugeleiteten
Ablichtungen aus dem Vollstreckungsband (hier: Stellungnahme des Krankenhauses)
befassen und diese prüfen.
2. Eine stillschweigende Beiordnung ist bereits dann zu bejahen, wenn die Mitwirkung eines
Verteidigers rechtlich geboten ist und ein Rechtsanwalt, der nicht Wahlverteidiger ist, mit
Zustimmung des Vorsitzenden oder sogar auf dessen Veranlassung für den Beschuldigten
bzw. Verurteilten tätig wird. So liegt es hier.
3. Die stillschweigend beigeordnete Rechtsanwältin ist daher noch nach altem Gebührenrecht
zu entschädigen, da sie bereits vor dem 1. Juli 2004 beigeordnet worden war, §§ 15, 61 Abs. 1
S. 1 RVG.
AGS 2005, 346-348 (red. Leitsatz und Gründe) RVG-Letter 2005, 44-45 (red. Leitsatz)
KG Berlin 5. Strafsenat Beschluß vom 11. Februar 2005 2 AR 185/04 - 5 Ws 656/04, 2 AR
185/04, 5 Ws 656/04
Pflichtverteidigergebühren: Anwendbares Gebührenrecht für den zuvor als
Wahlverteidiger tätigen Verteidiger in Ansehung gesetzlicher Neuregelung
Orientierungssatz
1. Gemäß § 61 Abs. 1 S. 1 RVG ist altes Gebührenrecht (BRAGO) weiter anzuwenden, wenn
der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor
dem 1. Juli 2004 erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder
beigeordnet worden ist.
2. Die Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 S. 1 RVG ist dahin auszulegen, daß dann, wenn
der Verteidiger vor dem 1. Juli 2004 bereits als Wahlverteidiger tätig war und an oder nach
diesem Stichtag zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, es für die Frage des
anzuwendenden Gebührenrechts allein auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung
ankommt. Wurde sie am Stichtag oder später vorgenommen, gilt neues, war sie vorher erfolgt,
gilt altes Gebührenrecht (Anschluß KG Berlin, 17. Januar 2005, (1) 2 StE 10/03-2 (4/03) und
OLG Hamm, 10. Januar 2005, 2 (s) Sbd VIII 267/04).
RVGreport 2005, 186-187 (red. Leitsatz)
Zur Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung nach den Übergangsreglungen der RVG und
BRAGO
OLG-FRANKFURT: 2 Ws 15/05, Beschluss vom 09.03.2005
262
Verfahrensgang:
LG Darmstadt 1200 Js 78.428/03 - 11 Ks
Stichworte: Pflichtverteidiger; Vergütung; Festsetzung; Übergangsrecht
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wurde von dem Angeklagten A am 18.08.2003 beauftragt, für ihn als
Wahlverteidiger tätig zu sein. Am 22.10.2003 wurde die Anklage gegen die A und einen
Mitangeklagten bei der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Darmstadt erhoben. In der
Hauptverhandlung vom 09.09.2004 bestellte der stellvertretende Vorsitzende der
Schwurgerichtskammer den Beschwerdeführer zum Pflichtverteidiger, nachdem dieser einen
dahin gehenden Antrag gestellt und für den Fall der Bestellung die Niederlegung des
Wahlmandats erklärt hatte. Mit Schriftsatz vom 24.09.2004 beantragte der Beschwerdeführer bei
dem Landgericht Darmstadt die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung nach dem
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), insgesamt in Höhe von 3.429,66 ¤ einschließlich
Auslagen und Nebenkosten sowie Mehrwertsteuer. Hierauf setzte die Rechtspflegerin des
Landgerichts am 29.11.2004 die Vergütung auf der Grundlage des alten Rechts (BRAGO) auf
2.026,52 ¤ fest und veranlaßte die Auszahlung dieses Betrages.
Gegen die vorgenommenen Absetzungen legte der Beschwerdeführer Erinnerung ein. Letztere ist
von dem Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer als Einzelrichter durch Beschluß vom
19.01.2005 nach Nichtabhilfe seitens der Rechtspflegerin zurückgewiesen worden.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit dem Rechtsmittel der Beschwerde. Das
Landgericht hat dieser nicht abgeholfen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3
RVG) und sowohl formgerecht (§ 33 Abs. 7 RVG) als auch innerhalb der gesetzlichen Frist von
zwei Wochen (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) erhoben worden. Ebenso ist der - mangels Zulassung des
Rechtsmittels durch das Landgericht - erforderliche Beschwerdewert von mehr als 200 ¤ erreicht,
da eine Absetzung in Höhe von 1.403,14 ¤ vorgenommen wurde.
Über das Rechtsmittel hat, obwohl die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter
erlassen wurde, der Senat in voller Besetzung und nicht durch den Einzelrichter zu entscheiden,
da letzterer das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dem Senat
übertragen hat (§ 4 Abs. 7 Satz 1 und 2 JVEG).
2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Der Beschwerdeführer hat zu Recht die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung nach dem
RVG beantragt.
Nach der in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG enthaltenen, mit § 134 Abs. 1 Satz 1 BRAGO
gleichlautenden allgemeinen Übergangsvorschrift ist die Vergütung nach dem bisherigen Recht zu
berechnen, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem
Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt
gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Eine entsprechende Formulierung - bezogen auf
den Stichtag 01.07.2004 - enthält auch die speziell den Anwendungsbereich der BRAGO und des
RVG abgrenzende und daher hier einschlägige Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Der Senat hat auf der Grundlage des alten Rechts (§ 134 Abs. 1 BRAGO) die Auffassung
vertreten, daß sich die Pflichtverteidigervergütung in den Fällen, in denen der Verteidiger bereits
vor der Gesetzesänderung als Wahlverteidiger tätig war und nach dieser Änderung zum
Pflichtverteidiger bestellt wurde, nach dem alten Gebührenrecht bestimmt (Senatsbeschlüsse vom
02.10.1990 - 2 Ws 208/90 -, 17.05.1995 - 2 ARs 72/95 -, 09.08.1995 - 2 ARs 123/95 - und
16.08.1995 - 2 Ws 167/95 -) . Er hat hierbei maßgeblich auf den Wortlaut des § 134 Abs. 1 Satz 1
263
BRAGO abgestellt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, diese Vorschrift stelle den Fall
eines vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilten Wahlmandates und den der
Pflichtverteidigerbestellung alternativ nebeneinander, so daß das alte Gebührenrecht
anzuwenden sei, wenn auch nur eine dieser beiden Alternativen gegeben sei (vgl.
Senatsbeschluß vom 16.08.1995 - 2 Ws 167/95 ).
Zwar ist der - sich von der früheren Übergangsregelung des § 134 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nicht
unterscheidende - Wortlaut der §§ 60 Abs. 1 Satz 1 und 61 Abs. 1 Satz 1 RVG nach wie vor
auslegungsbedürftig. Indes ergibt sich nunmehr aus der Begründung des Gesetzentwurfs
eindeutig der Wille des Gesetzgebers, die Vergütung des Pflichtverteidigers in Fällen wie dem
vorliegenden nach den Regelungen des neuen Rechts, mithin nach dem RVG zu bemessen.
In der auf die Ausführungen zu § 60 RVG verweisenden Begründung des Gesetzentwurfs zu der
speziellen Übergangsvorschrift des § 61 RVG (BT-Drucksache 15/1971, S. 203) heißt es unter
anderem:
"Die vorgeschlagene Vorschrift übernimmt die Dauerübergangsregelung des § 134 BRAGO. Sind
mehrere der in Absatz 1 Satz 1 genannten Tatbestände erfüllt, soll für die Frage, welches
Vergütungsrecht Anwendung findet, der Zeitpunkt ausschlaggebend sein, an dem erstmals einer
der Tatbestände erfüllt ist. Wird beispielsweise der unbedingte Prozeßauftrag vor dem Stichtag
erteilt, soll die Vergütung nach dem bisherigen Recht zu berechnen sein, auch wenn die
Beiordnung im Rahmen der Prozeßkostenhilfe erst nach dem Stichtag erfolgt.
Legt jedoch der Wahlverteidiger sein Mandat nieder und wird er anschließend zum
Pflichtverteidiger bestellt, liegt hinsichtlich der Pflichtverteidigervergütung kein Zusammentreffen
mehrerer Tatbestände im Sinne des Satzes 1 vor. Erfolgt die Pflichtverteidigerbestellung nach
dem Stichtag, soll die Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht berechnet werden."
Einem in solcher Klarheit geäußerten Willen des Gesetzgebers kommt bei der Auslegung der
anzuwendenden Vorschrift maßgebliche Bedeutung zu. Da die übrigen Auslegungsmethoden kein
zwingend für die Anwendung des alten Rechts sprechendes Ergebnis hervorbringen, ist die
Vergütung des nach dem Stichtag bestellten Pflichtverteidigers nunmehr auch dann, wenn dieser
bereits vor dem Inkrafttreten des RVG als Wahlverteidiger beauftragt worden war, nach dem RVG
zu bemessen. Diese Auffassung entspricht der im Schrifttum ganz herrschenden Meinung
(Hartmann, Kostengesetze, 34. Auflage, § 60 RVG, Rdnr. 11 und 18; Madert in Gerold/Schmidt,
RVG, § 60, Rdnr. 32; Jungbauer in Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, § 61, Rdnr. 27;
Klees in Mayer/Kroiß, RVG, Rdnr. 12; Burhoff in Burhoff/Kindermann, RVG, Rdnr. 470; Volpert in
Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, Vergütungs-ABC, Stichwort "Übergangsvorschriften",
Rdnr. 29; Lompe in Baumgärtel/Föller/Hergenröder/Houben/Lompe, RVG, § 60, Rdnr. 5; Hartung
in Hartung/Römermann, RVG, § 61, Rdnr. 6) und der seit der Gesetzesänderung ergangenen
obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Schleswig NJW 2005, 234).
3. Der Senat hat, um eine Verkürzung der Rechtsmittelmöglichkeiten des Beschwerdeführers zu
vermeiden, davon abgesehen, die letzterem auf der Grundlage des RVG zustehende
Pflichtverteidigervergütung selbst festzusetzen. Die Festsetzung wird von der hierfür zuständigen
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Darmstadt vorzunehmen sein (§ 55 Abs. 1
Satz 1 RVG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
1. Das RVG ist im Falle der Pflichtverteidigerbestellung nach dem 1.7.2005 auch dann
anzuwenden, wenn der Verteidiger vorher als Wahlverteidiger tätig gewesen ist.
2. Die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 2 S. 3 RVG gilt gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 RVG nicht nur für
die Beschwerde, sondern auch für die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung.
OLG-KOBLENZ: 1 Ws 431/05, Beschluss vom 23.06.2005
264
Verfahrensgang:
LG Koblenz 2030 Js 26771/04 - 2 Kls vom 04.05.2005
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
BESCHLUSS
Geschäftsnummer:
1 Ws 431/05
In der Strafsache
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
hier: Beschwerde gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden
Pflichtverteidigervergütung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin
am Oberlandesgericht Hardt am 23. Juni 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts
Koblenz vom 4. Mai 2005 wird als unbegründet verworfen.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 56
Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).
Gründe:
I.
Nachdem sich Rechtsanwalt H... am 7. Juni 2004 im Ermittlungsverfahren als Wahlverteidiger
bestellt hatte, war er nach Anklageerhebung zur Strafkammer am 17. September 2004 als
Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Entpflichtung und Beiordnung eines anderen
Verteidigers aus derselben Kanzlei am 27. Oktober 2004 wurde Rechtsanwalt H... in der
Hauptverhandlung am 4. Februar 2005 erneut zum Verteidiger bestellt. In diesem Termin wurde
das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Kosten und Auslagen wurden dem früheren
Angeklagten auferlegt.
Am 18. Februar 2005 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die dem Pflichtverteidiger aus
der Landeskasse zu zahlende Vergütung antragsgemäß auf 1239,87 ¤ festgesetzt. Dabei wurde
das RVG zugrunde gelegt. Es wurden Gebühren der Nr. 4101, 4104/4105, 4113 und 4115 in
Höhe von insgesamt 713 ¤ in Ansatz gebracht.
Gegen die Kostenfestsetzungsentscheidung, die dem Vertreter der Landeskasse am 22. Februar
2005 zugestellt worden war, hat der Bezirksrevisor mit am 17. März 2005 eingegangenem
Schreiben vom 14. März 2005 Erinnerung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die
Kostenfestsetzung noch nach der BRAGO erfolgen müsse, wenn der Verteidiger nach dem
Inkrafttreten des neuen Rechts (1. Juli 2004) beigeordnet worden ist, aber - wie hier - vorher
bereits als Wahlverteidiger tätig war. Außerdem hält er die Erinnerung für nicht fristgebunden.
Die Strafkammer hat die Erinnerung durch (in der Besetzung mit drei Richtern gefassten)
Beschluss vom 4. Mai 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Nach ihrer Auffassung gilt für die
Erinnerung gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 3 RVG die Zweiwochenfrist. Darüber
hinaus hält sie die Kostenfestsetzung für richtig, weil neues Recht anzuwenden sei.
Gegen den dem Bezirksrevisor am 18. Mai 2005 zugestellten Beschluss hat er namens der
Landeskasse am selben Tag Beschwerde eingelegt.
II.
265
Das Rechtsmittel, über das der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (§§ 56 Abs.
2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 HS. 2 RVG), ist gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft, weil
der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 ¤ übersteigt. Fände die BRAGO Anwendung, so
wären die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren mehr als 200 ¤
niedriger. Sie würden nur 375 ¤ betragen (§§ 97 Abs. 1 S. 1 und 3, 83 Abs. 1 Nr. 2, 84 Abs. 1
BRAGO. Die Beschwerde erfüllt auch die weiteren Zulässigkeitserfordernisse. Sie wurde
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 und Abs. 7 RVG).
In der Sache hat die Beschwerde allerdings keinen Erfolg.
Die Strafkammer hat die Erinnerung der Staatskasse zu Recht wegen Verfristung als unzulässig
zurückgewiesen. Die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG gilt gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 RVG
nicht nur für die Beschwerde, sondern auch für die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung
(Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., § 56 RVG Rdn. 6; von Eicken in: Gerold/Schmidt, RVG, 16.
Aufl., § 56 Rdn. 5). Die Gegenauffassung überzeugt nicht. § 56 RVG regelt die Erinnerung und
Beschwerde gegen die nach § 55 RVG erfolgten Festsetzungen. Während § 56 Abs. 1 RVG eine
Zuständigkeitsregelung für die Erinnerungsentscheidung enthält (die der Gesetzgeber mangels
eines entsprechenden Regelungsgehalts des § 33 RVG schaffen musste), enthält Abs. 2 dieser
Bestimmung, wonach § 33 Abs. 3 bis 8 entsprechend anwendbar sind, Regelungen für
Erinnerung und Beschwerde. Das ergibt sich schon aus der Regelungsmaterie der in Bezug
genommenen Absätze 3 bis 8 des § 33 RVG. Darin finden sich Bestimmungen, die - wie etwa die
bei Rechtsmitteleinlegung zu beachtenden Formerfordernisse (§ 33 Abs. 7 RVG) - zwingend einer
gesetzlichen Normierung für beide Rechtsmittel bedurften. Durch die uneingeschränkte
Verweisung auf die entsprechende Anwendbarkeit des § 33 Abs. 3 bis 8 RVG hat der
Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Frist des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG nicht nur
für die Beschwerde, sondern auch für die Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG gelten soll. Die
Auffassung des Vertreters der Landeskasse hätte zur Konsequenz, dass einem unbefristeten
Rechtsbehelf (Erinnerung) ein befristetes Rechtsmittel (Beschwerde) folgen würde. Dass der
Gesetzgeber das gewollt haben könnte, erscheint kaum vorstellbar. Denn wenn aus Gründen der
Rechtssicherheit ein Bedürfnis nach formeller Rechtskraft einer Entscheidung besteht, müssen
alle Rechtsmittel des Instanzenzugs befristet sein (wobei die Länge der Einlegungs- und etwaigen
Begründungsfristen allerdings durchaus variieren kann). Der Senat teilt auch nicht die
Befürchtung des Vertreters der Landeskasse, dass durch eine Befristung der gegen die
Festsetzungen nach § 55 RVG statthaften Erinnerung hohe Zustellkosten entstehen. Zustellungen
an den Vertreter der Landeskasse verursachen solche nicht. Auch Zustellungen an
Rechtsanwälte sind wegen der Möglichkeit, sie gegen Empfangsbekenntnis zu bewirken, nahezu
kostenneutral.
Die Strafkammer hat in der angefochtenen Entscheidung weiter zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Erinnerung der Staatskasse gegen die Kostenfestsetzung auch in der Sache keinen
Erfolg haben könnte. Das RVG ist im Falle der Pflichtverteidigerbestellung nach dem 1. Juli 2005
(Tag des Inkrafttretens) auch dann anzuwenden, wenn der Verteidiger vorher als Wahlverteidiger
tätig gewesen ist (Senat, Einzelrichterbeschluss 1 AR 156/04 vom 11. Januar 2005; OLG
Schleswig NJW 2005, 234 = JurBüro 2005, 234; OLG Hamm StraFo 2005, 130 =JurBüro 2005,
196; KG StraFo 2005, 129 = Rpfleger 2005, 276, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung
Rpfleger 1995, 380; LG Berlin, 39. gr. Strafkammer, RVGreport 2005, 101; a.A. LG Berlin, 9. gr.
Strafkammer, Rpfeger 2005, 54). Diese Rechtsauffassung hat das Oberlandesgericht Koblenz zur
entsprechenden Problematik bei Änderungen der BRAGO stets vertreten (s. Rpfleger 1988, 123;
a.A. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 192).
Nicht der Zugang des Beiordnungsbeschlusses, sondern das Datum der Verkündung des
Beiordnungsbeschlusses durch den Vorsitzenden ist entscheidend für die Frage, ob nach
BRAGO oder RVG abzurechnen ist.
KAMMERGERICHT-BERLIN: 3 Ws 383/05, Beschluss vom 13.09.2005
Verfahrensgang:
266
LG Berlin (529) 1 Kap Js 1855/02 Ks (6/04) vom 29.06.2005
Geschäftsnummer:
3 Ws 383/05
In der Strafsache gegen
wegen Mordes,
hier nur betreffend das Verfahren über die Festsetzung der Vergütung des dem Verurteilten als
Pflichtverteidiger beigeordneten Rechtsanwalt F.........., ..... Berlin, ...............,
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. September 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts F.......... wird der Beschluß der 29. Strafkammer des
Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur (erneuten) Entscheidung über die Erinnerung gegen den Beschluß der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts vom 31. Mai 2005 an die Vorsitzende der
Strafkammer zurückverwiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2004 beantragte die dem damaligen Angeklagten als
Pflichtverteidigerin beigeordnete Rechtsanwältin S....., diesem zur Sicherung des Verfahrens
einen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen, und schlug als solchen Rechtsanwalt F.......... vor.
Durch Verfügung vom 30. Juni 2004 bestellte die Vorsitzende des Schwurgerichts daraufhin
Rechtsanwalt F.......... zum weiteren Pflichtverteidiger des Verurteilten. Am 1. Juli 2004 führte die
Geschäftsstelle des Landgerichts die Verfügung aus, deren Ausfertigungen am 2. Juli 2004
abgesandt wurden. Eine derselben ging Rechtsanwalt F.......... - wie dieser anwaltlich versichert
hat - am 5. Juli 2004 zu. Die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht fand vom 10. Januar bis
zum 16. Februar 2005 statt. An dem letztgenannten Tage wurde der Verurteilte wegen Mordes in
zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Ferner ordnete die
Strafkammer gegen ihn die Sicherungsverwahrung an. Seine Revision verwarf der
Bundesgerichtshof. Die Strafakten sind noch nicht an das Landgericht zurückgelangt. Dem Senat
liegt lediglich ein wenige Blatt umfassender Kostenbeschwerdeband vor.
Rechtsanwalt F.......... hat mit Schriftsatz vom 9. Mai 2005 die Festsetzung der ihm als
Pflichtverteidiger zustehenden Gebühren und Auslagen in einer Gesamthöhe von 5.663,06 Euro
beantragt und ausgeführt, die Abrechnung sei hier deshalb nach dem
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und nicht nach der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) vorzunehmen, weil ihm die
Beiordnungsverfügung vom 30. Juni 2004 erst am 5. Juli 2004, mithin nach dem 1. Juli 2004, dem
nach der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 RVG relevanten Zeitpunkt, zugegangen sei.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts hat den Antrag des Rechtsanwalts
durch Beschluß vom 31. Mai 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, für die Frage, ob altes
oder neues Gebührenrecht anzuwenden sei, sei allein der Zeitpunkt der gerichtlichen Bestellung
maßgebend, der hier vor dem 1. Juli 2004 liege. Seine dagegen gerichtete Erinnerung hat das
Landgericht durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet verworfen. Die dagegen
gerichtete Beschwerde des Rechtsanwalts F.......... ist unbegründet.
Gemäß § 61 Abs. 1 RVG ist - soweit hier von Interesse - die BRAGO weiter anzuwenden, wenn
der Rechtsanwalt vor dem 1. Juli 2004 gerichtlich bestellt worden ist. Da die Verfügung über die
Bestellung Rechtsanwalt F........... vom 30. Juni 2004 datiert, ist auch zur Überzeugung des
Senats altes Gebührenrecht anzuwenden. Allerdings vertritt die Kommentarliteratur zum RVG meist ohne dies zu begründen - nahezu einhellig den Standpunkt, maßgeblich sei der Zeitpunkt,
267
an dem die Verfügung über die Bestellung dem Rechtsanwalt zugegangen sei (vgl.
Baumgärtel/Houben/Hergenröder/Lompe, RVG, Abschnitt 9 § 61 Rdn. 5 (S. 214); Hartung in
Hartung/Römermann, RVG, § 60 Rdn. 21; Schneider in Hansens/Braun, Praxis des
Vergütungsrechts [ZAP-Arbeitsbuch] Übergangsregelungen Rdn. 28 [S. 1390]; N. Schneider in
Gebauer/Schneider [Hrsg.] RVG 2. Aufl., § 61 Rdn. 16; Goebel in Goebel/Gottwald [Hrsg.], RVG §
60 Rdn. 29). Demgegenüber meint Volpert in Burhoff [Hrsg.] RVG, Übergangsvorschriften (§§ 60
f.) Rdn. 28, für den Pflichtverteidiger komme es nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung
durch den Rechtsanwalt, sondern allein auf den Zeitpunkt der Bestellung an, und zitiert OLG Celle
StV 1996, 222 (= StraFO 1996, 159), wo sich jedoch keine näheren Ausführungen dazu finden,
welcher Zeitpunkt als der der gerichtlichen Bestellung (oder Beiordnung) angenommen werden
kann. Letzteres gilt auch für die Entscheidungen des Kammergerichts zu § 61 Abs. 1 RVG (vgl. u.
a. Beschlüsse vom 17. Januar 2005 - (1) 2 StE 10/03-2 (4/03) - und vom 18. Juli 2005 - 3 Ws
323/05 - m.N.).
Für den Armenanwalt hat das OLG Stuttgart in AnwBl. 1980, 114 den Standpunkt vertreten,
maßgebend sei der Zeitpunkt des Zugangs des Beiordnungsbeschlusses beim Anwalt, weil jener
erst mit dem Zugang diesem gegenüber wirksam werde. Demgegenüber stellt das OLG Hamm
(StraFo 2005, 351 f. = NStZ-RR 2005, 286 = RVGreport 2005, 261) auf das Datum der Bestellung
des Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden ab. Die Beiordnung werde mit Erlaß "des
Beiordnungsbeschlusses" durch den Vorsitzenden wirksam. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung
durch den Rechtsanwalt sei für die Wirksamkeit ohne Bedeutung, auch wenn der Beschluß
gemäß §§ 35 Abs. 2, 34 StPO bekanntzumachen sei. Die Entscheidung des OLG Stuttgart in
AnwBl. 1980, 114 führe zu keinem anderen Ergebnis, denn die Bestellung eines Armenanwalts
sei mit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht vergleichbar, da bei diesem die
Rechtsprechung (BGH NStZ 1991, 94) davon ausgehe, daß ein gegebenenfalls bestehendes
Wahlmandat (konkludent) niedergelegt werde, wenn die Beiordnung als Pflichtverteidiger
beantragt werde. Der Angeklagte würde daher in den Fällen notwendiger Verteidigung zumindest
zeitweise verteidigungslos sein, wenn es hinsichtlich der Wirksamkeit des
Beiordnungsbeschlusses auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Rechtsanwalt
ankäme.
Der Senat ist mit dem Landgericht der Auffassung, daß sich bereits aus dem Wortlaut des § 61
Abs. 1 Satz 1 RVG eindeutig ergibt, daß auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der
Vorsitzende die Verfügung über die Bestellung des Pflichtverteidigers unterschrieben hat. Die
Wortwahl des Gesetzgebers, maßgebend sei der Zeitpunkt, zu dem der Rechtsanwalt "gerichtlich
bestellt oder beigeordnet worden ist", läßt nach seinem Verständnis der Vorschrift eine andere
Auslegung nicht zu. Auch das OLG Brandenburg (NStZ-RR 2005, 253, 254) führt aus, der
Wortlaut des § 61 RVG deute darauf hin, daß es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Bestellung im
Sinne der Entscheidung des Gerichts über die Bestellung ankomme. Zutreffend weist zudem das
OLG Schleswig (NJW 2005, 234) darauf hin, daß die Wirkung der Beiordnung des
Pflichtverteidigers in der Begründung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht des Rechtsanwalts, bei
der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens durch sachgerechte Verteidigung des
Angeklagten mitzuwirken, bestehe. Der Senat fügt dem hinzu, daß der hoheitliche Akt der
Begründung derselben die gerichtliche Entscheidung ist, und nicht die nachfolgenden Handlungen
von Geschäftsstelle, Kanzlei, Postbeförderungsunternehmen und Rechtsanwaltskanzlei (so auch
BayObLG NJW 70, 1935). Für die Frage, welches Gebührenrecht anwendbar ist, wäre - stellte
man nicht auf ihn ab -andernfalls letztlich nicht die Entscheidung des Gerichts, sondern der Zufall
maßgebend. Das OLG Brandenburg a.a.O. weist zu Recht darauf hin, es widerspräche dem
Gedanken der Gebührengerechtigkeit, wenn in der Praxis in gleichgelagerten Fällen
unterschiedliche Ergebnisse erreicht würden; der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sei ein
tauglicher Anknüpfungspunkt für die Frage, ob altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden sei.
In dem Umstand, daß die Wirkungen der Beiordnung erst zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem der
Rechtsanwalt durch Zugang der Entscheidung Kenntnis von der Beiordnung erhält, sieht der
Senat aus den genannten Gründen entgegen OLG Stuttgart a.a.O. kein entscheidendes Kriterium.
Für den hier vertretenen Standpunkt spricht allerdings nicht das Argument des OLG Hamm
a.a.O., der Angeklagte könnte in den Fällen der notwendigen Verteidigung zeitweise
verteidigungslos sein, wenn es hinsichtlich der Wirksamkeit des Beiordnungsbeschlusses auf den
Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Rechtsanwalts ankäme, denn die Beiordnung eines
Pflichtverteidigers setzt nicht voraus, daß der beigeordnete Rechtsanwalt zuvor Wahlverteidiger
gewesen ist; Rechtsanwalt F.......... war dies ebenfalls nicht. Zudem trifft es nicht zu, daß - wie das
OLG Hamm meint - ein gegebenenfalls bestehendes Wahlmandat konkludent niedergelegt werde,
268
wenn die Beiordnung zum Pflichtverteidiger beantragt werde. Dies besagt auch die Entscheidung
BGH NStZ 1991, 94, die das OLG Hamm zitiert, so nicht, sondern nur, daß die
Verteidigervollmacht mit der Niederlegung des Wahlmandats "im Zusammenhang mit der
Bestellung zum Pflichtverteidiger" erlösche. Genauer gesagt enthält der Antrag eines
Wahlverteidigers, ihn zum Pflichtverteidiger zu bestellen, die Erklärung, die Wahlverteidigung solle
mit der Bestellung enden (vgl. BGH SW 1981, 12; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 142 Rdn. 7
m.N.; KG, Beschluß vom 9. Juni 2005 - 4 Ws 47/05 -).
Im Ergebnis auf der Linie der Entscheidung des OLG Stuttgart (a.a.O.) liegen allerdings
diejenigen, die meinen, gerichtliche Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung seien erst
ergangen, wenn sie zum Zweck der Zustellung oder sonstigen Bekanntmachung in den
Geschäftsgang gegeben, abgesandt oder gar zugestellt worden seien (vgl. zum Meinungsstand:
Maul in KK, StPO 5. Aufl., § 33 Rdn. 4 m.N.). Maul (a.a.O.) vertritt die Auffassung, diese
Entscheidungen seien zum Zeitpunkt ihrer Absendung ergangen, weil sie mit dem Herausgeben
aus dem Bereich des Gerichts erst existent würden und damit unabänderlich seien. Wendisch in
LR, StPO 25. Aufl., § 33 Rdn. 9 und 12, meint ebenfalls, Entscheidungen seien erst ergangen,
wenn sie für das Gericht, das sie beschlossen hat, unabänderlich geworden seien. Unabänderlich
seien sie aber erst, sobald sie bekanntgegeben worden seien. Solange sie noch geändert werden
könnten, seien sie nur bloße Entwürfe. Weßlau in SK, StPO, Vor § 33 Rdn. 9 stellt auf den
Zeitpunkt ab, zu dem das Schriftstück die Geschäftsstelle verläßt.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Daß eine vom Vorsitzenden unterzeichnete Verfügung
nach §§ 140, 141 StPO gar nicht existent sei, kann ernsthaft nicht behauptet werden. Nach dem
allgemeinen Sprachverständnis ist ein Erlaß die von einer Behörde ausgehende Anordnung;
Erlassen hat die Bedeutung von amtlichem Anordnen. Daß Entscheidungen abänderbar sind,
ändert nichts daran, daß sie vorhanden sind; nur etwas, was es gibt, kann abgeändert oder
beseitigt werden. Richtigerweise wird man zwischen aktenmäßigem Erlaß und dem Erlaß mit
Außenwirkung zu unterscheiden haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., Vor § 33 Rdn. 5 und
8 m.N.). Der erste Zeitpunkt ist der des Unterschreibens der Entscheidungsurkunde mit
beigefügtem Datum (so auch Paulus in KMR, Vorb. § 33 Rdn. 23). Der Bundesgerichtshof vertritt
für den Zeitpunkt des Erlasses eines Strafbefehls denselben Standpunkt (BGHSt 25, 187, 188 f =
NJW 1974, 66), auch Lemke in HK, StPO 3. Aufl., § 33 Rdn. 5, der zusätzlich darauf hinweist, daß
die Entscheidung mit Außenwirkung erst dann erlassen sei, wenn sie die Geschäftsstelle an den
Adressaten der Entscheidung herausgebe (a.a.O. Rdn. 6). Der Senat ist in Einklang damit der
Meinung, daß ein Beschluß naturgemäß erst dann seine Wirkungen entfalten kann, wenn er
diejenigen, die er betrifft, erreicht. Dies ändert jedoch zu seiner Überzeugung nichts daran, daß
der maßgebliche Zeitpunkt im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG derjenige des Datums der
Unterzeichnung der Beiordnungsverfügung ist.
Soweit demgegenüber Wendisch in LR a.a.O., Rdn. 9, für seine Meinung zusätzlich anführt, es
sei unbestritten, daß bei Entscheidungen, die in der Hauptverhandlung ergehen, nicht auf die - der
Beschlußfassung entsprechende - Entscheidung im Beratungszimmer, sondern nur auf deren
Verkündung abgestellt werden könne, und diesem Akt der Kundgabe nach außen entspreche bei
Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, deren Zustellung, vermag dies
nicht zu überzeugen. Zwar trifft es zu, daß gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 StPO Entscheidungen, die
in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, ihr durch Verkündung bekanntzumachen
sind. Dem entspricht § 329 Abs. 1 ZPO. Dies bedeutet aber nicht, daß der im Beratungszimmer
zustande gekommene Beschluß wegen seiner Abänderbarkeit bis zur Verkündung nur einen
Entwurf darstellte, bzw. (so Wendisch a.a.O. Rdn. 9) noch gar nicht ergangen wäre, denn
schließlich ist er vom Gericht - gegebenenfalls als kollegialem Spruchkörper nach erfolgter
Abstimmung - gefaßt worden, abgesehen davon, daß Abänderungen derartiger Beschlüsse ebenso wie schriftlich erfolgter Pflichtverteidigerbestellungen - in der Praxis nur außerordentlich
selten vorkommen dürften. Im übrigen erfolgt im Gerichtsalltag die abschließende Beratung der zu
verkündenden Entscheidungen ohnehin erst unmittelbar vor deren Verkündung. Zudem sind auch
nach dem allgemeinen richterlichen Verständnis schriftliche Entscheidungen erlassen, sobald sie
von allen Richtern unterschrieben worden sind, die sie zu treffen haben; nur bis zum Zeitpunkt der
Leistung der letzten Unterschrift kann ein Entwurf vorliegen. Auch BGHZ 137, 49, 51 sieht
Beschlüsse lediglich so lange als unverbindliche Entwürfe an, wie die erkennenden Richter sie
nicht unterschrieben haben.
Soweit das Kammergericht in NZV 1992, 123 für den Zeitpunkt des Erlasses eines die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anordnenden Beschlusses auf die Herausgabe desselben
269
aus dem inneren Dienstbetrieb des Gerichts abgestellt hat, handelt es sich um ein Erlassen im
Sinne des Entfaltens von Außenwirkung.
Die Strafkammervorsitzende (nicht die gesamte Strafkammer) hätte nach alledem gemäß §§ 61
Abs. 1 Satz 1 RVG, 98 Abs. 2 BRAGO in der Sache selbst entscheiden (vgl. von Eicken in
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl., § 56 Rdn. 11; s. auch OLG
Düsseldorf RPfl 1996, 149) und die Festsetzung nach der BRAGO vornehmen müssen. Eine
eigene Sachentscheidung durch den Senat scheidet mangels Entscheidungsreife aus (vgl. Matt in
LR, a.a.O. § 309 Rdn. 12), da ihm die Sachakten nicht vorliegen und er deshalb die
Kostenberechnung des Antragstellers im einzelnen nicht überprüfen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 5 BRAGO (= § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Sind in einem Verfahren mehrere Pflichtverteidiger tätig, von denen der eine seine gesetzlichen
Gebühren nach der BRAGO erhält, der andere aber schon nach RVG, lässt sich eine höhere als
die nach der BRAGO angemessene Pauschgebühr für den Rechtsanwalt, der nach BRAGO
abrechnet, nicht damit begründen, dass sein Mitverteidiger insgesamt nach dem RVG abrechnet
und ihm damit für die gleiche Tätigkeit höhere Gebühren zustehen.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII - 181/05, Beschluss vom 22.09.2005
Stichworte: Pauschgebühr; Anwendung des RVG, Anwendung der BRAGO; Ausgleich
Beschluss
Strafsache
wegen schweren Raubes (hier: Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung für den bestellten
Verteidiger).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts S. aus Essen vom 20. Juni 2005 auf Bewilligung einer
Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 22. 09. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht
nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts
beschlossen:
Tenor:
Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.485 ¤ eine
Pauschvergütung in Höhe von 2.100 ¤ (in Worten: zweitausendeinhundert ¤) bewilligt.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller war dem ehemaligen Angeklagten, dem die Beteiligung an mehreren Raubtaten
vorgeworfen wurde, als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der Antragsteller beantragt für seine für
seinen Mandanten erbrachte Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die er im
Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:
Die Antragsteller ist im führenden Verfahren für den ehemalige Angeklagten bereits im
Vorverfahren tätig geworden. Die Beiordnung erfolgte am 12. Mai 2004. Der Antragsteller hat für
den ehemaligen Angeklagten mehrere Schreiben und Anträge verfasst und Akteneinsicht
genommen. Der Umfang der Akten betrug rund 1.300 Seiten. Der Antragsteller hat den
ehemaligen Angeklagte außerdem zweimal in der Justizvollzugsanstalt besucht. Der eine Besuch
270
hat vier Stunden, der andere 3 1/2 Stunden gedauert.
Der Antragsteller ist außerdem für den ehemaligen Angeklagten auch noch im Verfahren 112 Js
457/04 StA Siegen im vorbereitenden und im gerichtlichen Verfahren tätig gewesen. In diesem ist
er am 28. Juli 2004 zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Dieses Verfahren ist mit dem
führenden Verfahren am 9. September 2004 verbunden worden. Verbunden worden ist außerdem
noch das Verfahren 111 Js 709/04. In diesem ist der Antragsteller vor der Verbindung allerdings
nicht tätig gewesen.
Die Hauptverhandlung beim LG Siegen hat in der Zeit vom 26. Oktober bis 5. November 2004 an
vier Hauptverhandlungstagen statt gefunden. Diese haben 5.50 bzw. 5.35 bzw. 3.22 bzw. 2.30
Stunden gedauert. Die durchschnittliche Hauptverhandlungsdauer beträgt 4.19 Stunden.
Terminiert waren noch zwei weitere Hauptverhandlungstermine. Diese konnten jedoch wegen des
Verzichts des Antragstellers auf die Vernehmung sämtlicher Zeugen entfallen. Das
landgerichtliche Urteil ist dann noch in der Hauptverhandlung rechtskräftig geworden.
Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von dem Antragsteller für den
ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte
Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 09. August 2005 Bezug genommen.
Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren der Antragsteller betragen im führenden Verfahren
1.035 ¤. Im Verfahren 112 Js 457/04 sind nach dem RVG 450 ¤ an Gebühren (Nr. 4101 VV RVG;
Nr. 4105 VV RVG; Nr. 4114 VV RVG) entstanden. Der Antragsteller hat eine Pauschvergütung
von mindestens 3.000 ¤ beantragt.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat das Verfahren als nicht besonders schwierig angesehen.
Dem ist der Vertreter der Staatskasse beigetreten. Er ist aber der Auffassung, dass wegen des
besonderen Umfangs des Verfahrens eine angemessene Pauschgebühr bewilligt werden könne.
III.
Dem Antragsteller war gemäß § 99 Abs. 1 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.
1. Auf das Verfahren ist (noch) die BRAGO anzuwenden. Der Antragsteller ist dem ehemaligen
Angeklagten am 12. Mai 2004 beigeordnet worden. Da es für die Frage, ob auf die gesetzlichen
Gebühren des Pflichtverteidigers die BRAGO oder schon das RVG anwendbar ist, auf den
Zeitpunkt der Beiordnung abzustellen ist, findet noch die BRAGO Anwendung (so die
übereinstimmende Rechtsprechung aller Obergerichte, vgl. dazu insbesondere auch Senat in
StraFo 2005, 130 = RVGreport 2005, 68 = NStZ-RR 2005, 127 (Ls.) = Rpfleger 2005, 214 = AGS
2005, 117). Etwas anderes folgt nicht daraus, dass am 9. September 2004 das Verfahren 112 Js
457/04 StA Siegen hinzu verbunden worden ist, in dem der Antragsteller erst am 28. Juli 2004
zum Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist und auf das demgemäß das RVG Anwendung
findet. Die Frage, welches Recht bei dieser Konstellation anwendbar ist, lässt sich mit der
Übergangsregelung des § 61 RVG nicht lösen, da sie dort nicht geregelt ist. Nach Auffassung des
Senats ist in diesen Fällen das Recht maßgeblich, was für das jeweils führende Verfahren
maßgeblich ist. Anders als mit diesem Anknüpfungspunkt lassen sich diese Fälle nicht
sachgerecht lösen. Das folgt schon aus dem Sinn und Zweck des Begriffs des "führenden
Verfahrens". Dessen Aktenzeichen gibt den verbundenen Verfahren den Namen. Das auf dieses
Verfahren anwendbare Recht entfaltet deshalb dann Wirkung auf das gesamte verbundene
Verfahren.
2. Das Verfahren war nicht "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1
BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das
Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, §
51 RVG, Rn. 19 ff. mit weiteren Nachweisen; Burhoff StraFo 1999, 261, 264; vgl. u.a. Senat AGS
2003, 257). Das ist vorliegend nicht der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung
des Vorsitzenden der Strafkammer an (vgl. zu deren grundsätzliche Maßgeblichkeit Senat in
AnwBl. 1998, 416 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl.
2000, 56). Gründe, von dieser Einschätzung abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Die vom
Antragsteller angeführte Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers rechtfertigt für sich
genommen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats noch nicht die Bewilligung einer
Pauschgebühr wegen der "besonderen Schwierigkeit" der Sache (vgl. Senat in JurBüro 1997, 195
271
= NStZ-RR 1997, 188).
3. Das Verfahren war jedoch für den Antragsteller schon "besonders umfangreich" im Sinn des §
99 Abs. 1 BRAGO. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vertreters der
Staatskasse an. Bei den bei der Beurteilung des "besonderen Umfangs" zu berücksichtigenden
Tätigkeiten hat der Senat insbesondere die zeitintensiven Besuche des Antragstellers in der
Justizvollzugsanstalt berücksichtigt sowie den Umstand, dass der Antragssteller nicht unerheblich
zur Abkürzung des Verfahrens beigetragen hat, was nach ständiger Rechtsprechung des Senats
bei der Bewilligung einer Pauschvergütung zu berücksichtigen ist (vgl. u.a. OG Hamm StraFo
2000, 214, Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 68). Auch hat der Senat nicht übersehen, dass zwei der
insgesamt vier Hauptverhandlungstermine mehr als fünf Stunden gedauert haben und damit
schon im leicht überdurchschnittlichen Bereich der Hauptverhandlungsdauer für eine
Hauptverhandlung bei einer Strafkammer anzusiedeln sind. Insgesamt war damit unter weiterer
Berücksichtigung aller von dem Antragsteller erbrachten Tätigkeiten, wie seiner Schreiben und
Anträge und der Akteneinsicht, nach allem von einem "besonders umfangreichen" Verfahren
auszugehen.
4. Bei der Bemessung der somit dem Antragsteller wegen des "besonderen Umfangs" zu
gewährenden Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.
Besonderes Gewicht hatten dabei neben der leicht überdurchschnittlichen Dauer der beiden mehr
als fünf Stunden dauernden Hauptverhandlungstermine, die auch noch an zwei aufeinander
folgenden Tagen stattgefunden haben, die zeitaufwändigen Besuche in der Justizvollzugsanstalt.
Auch waren bei der Bemessung der Pauschvergütung (nunmehr) die von dem Antragsteller
erbrachten Fahrtzeiten von Essen nach Siegen zu berücksichtigen (vgl. dazu Senat in StraFo
1999, 143 = wistra 1999, 156 = AGS 1999, 72). Auf der Grundlage der vorstehenden
Ausführungen hat der Senat unter Berücksichtigung der dem Antragsteller insgesamt
zustehenden gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.485 ¤ eine Pauschvergütung von 2.100 ¤ als
angemessen und erforderlich angesehen.
Bei der Bemessung der Pauschgebühr hat der Senat berücksichtigt, dass dem Antragsteller für
seine Tätigkeit in dem Verfahren 112 Js 457/04 StA Siegen nach dem RVG zu berechnende
gesetzliche Gebühren in Höhe von 450 ¤ zustehen, die ihm auch nach der Verbindung verbleiben
(vgl. Burhoff, a.a.O., ABC-Teil: Verbindung von Verfahren; Rn. 2 zum RVG, das insoweit
gegenüber der BRAGO keine Änderung gebracht hat). Allerdings hat der Senat diese Gebühren
nur in Höhe der nach der BRAGO entstandenen Gebühren berücksichtigt, da anderenfalls dem
Antragsteller die durch das RVG eingetretene Gebührenerhöhung verloren gegangen wäre.
Die Bewilligung einer höheren als der zuerkannten Pauschvergütung kam nicht in Betracht. Dies
ließ sich entgegen dem Vorbringen des Antragstellers insbesondere nicht damit begründen, dass
ein Mitverteidiger des Antragstellers, der nach dem 1. Juli 2004 seinem Mandanten als
Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, insgesamt nach dem RVG abrechnet und ihm damit für
die gleiche Tätigkeit höhere Gebühren zustehen. Der vom Antragsteller insoweit als zulässig
angesehene "Ausgleich" würde der Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der
Übergangsregelung in § 61 RVG widersprechen. Sinn und Zweck dieser Übergangsregelung ist
es, die Frage der Anwendbarkeit des neuen Rechts zu bestimmen. Als Anknüpfungspunkt ist
dazu - wie in der Regel bei Übergangsregelungen - ein Stichtag gewählt. Das an diesem Tag
noch geltende alte oder schon geltende neue Gebührenrecht soll für die Berechnung der
anwaltlichen Vergütung maßgeblich sein. Dies ist eine klare und einfache Regelung, die allerdings
wie jede "Fristenregelung" zu als ungerecht empfundenen Ungleichbehandlungen führen kann.
Dies kann allerdings für die Gerichte kein Maßstab sein, um über den Umweg eines "Ausgleichs"
das neue Recht auch auf Fallgestaltungen anzuwenden, auf die nach der Übergangsregelung
noch das alte Recht anzuwenden ist. Das wäre nicht nur eine Umgehung der Übergangsregelung
des § 61 RVG, die damit in der Praxis in vielen Fällen ins Leere laufen würde, sondern würde
dazu führen, dass sich die Gerichte gesetzgeberische Kompetenzen anmaßen würden, die ihnen
nicht zustehen. Hinzu kommt, dass der vom Antragsteller eingeforderte Ausgleich, wenn er denn
gewährt würde, zu Ungerechtigkeiten an anderer Stelle führen würde. Bei einem Wahlverteidiger
wäre wegen der vorgegebenen Gebührenrahmen ein solcher Ausgleich nämlich nicht möglich.
Eine noch höhere Pauschgebühr - der Antragsteller hat eine solche von mindestens 3.000 ¤
beantragt - kam auch deshalb nicht in Betracht, weil eine Pauschvergütung in dieser Höhe etwa
den Bereich der Wahlverteidigerhöchstgebühr erreicht hätte. Die Bewilligung einer
Pauschvergütung in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr ist nach ständiger Rechtsprechung
272
des Senats zu § 99 BRAGO jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn die Tätigkeit für den ehemaligen
Angeklagten den Pflichtverteidiger über einen längeren Zeitraum ausschließlich oder fast
ausschließlich in Anspruch genommen hat. Das ist vorliegend indes nicht der Fall und wird auch
von der Antragsteller im Grunde nicht geltend gemacht. Demgemäss war der weitergehende
Antrag abgelehnt worden.
Das RVG findet auf die Vergütung des Beistandes des Nebenklageberechtigten nur dann
Anwendung, wenn dieser seine Tätigkeit nach dem In-Kraft-Treten des RVG aufgenommen hat
und nicht schon dann, wenn er erst nach diesem Zeitpunkt vom Gericht beigeordnet wurde.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII - 126/05, Beschluss vom 14.07.2005
Stichworte: Anwendung des RVG; Nebenklagebeistand
Beschluss
Strafsache
wegen fahrlässiger Tötung, (hier: Pauschvergütung für den den Nebenklägerinnen beigeordneten
Rechtsanwalt gem. §§ 99, 102 BRAGO).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts T. aus Bonn vom 21. März 2005 auf Bewilligung einer
Pauschvergütung für die Tätigkeit als den Nebenklägerinnen gemäß § 397 a Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§
395 Abs. 2, 1 StPO bestellter Beistand hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am
14. 07. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am
Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10
der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Dem Antragsteller wird anstelle der gesetzlichen Gebühren in Höhe von 390,- ¤ eine
Pauschvergütung in Höhe von 600,- ¤ (i.W.: sechshundert Euro) bewilligt.
Gründe:
I.
Dem ehemaligen Angeklagten wurde im vorliegenden Strafverfahren eine fahrlässige Tötung im
Straßenverkehr zur Last gelegt.
Der Antragsteller war für die Ehefrau und für die Tochter des Opfers zunächst im Vor- und
anschließend im Hauptverfahren seit dem 3. Juli 2003 als Wahlanwalt tätig. Am 16. März 2004 hat
die Staatsanwaltschaft Bielefeld Anklage zum Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück erhoben. Mit
Beschluss des Amtsgerichts Rheda-Wiedenbrück vom 3. September 2004 wurden die Ehefrau
und die Tochter des Getöteten als Nebenklägerinnen, vertreten durch den Antragsteller,
zugelassen. Den Nebenklägerinnen wurde im Rahmen des vorgenannten Beschlusses
Prozesskostenhilfe bewilligt und der Antragsteller beigeordnet.
Der Angeklagte ist schließlich am 6. Januar 2005 vor dem Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück
verwarnt worden. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 50,- ¤ ist
vorbehalten geblieben. Das Urteil ist noch im Hauptverhandlungstermin rechtskräftig geworden.
Der Antragsteller begehrt nunmehr für seine für die Nebenklägerinnen erbrachte gesamte
Tätigkeit die Bewilligung einer Pauschvergütung gemäß § 99 BRAGO. Den Antrag begründet er
im Wesentlichen wie folgt:
Das Verfahren habe sich über einen Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahren erstreckt.
Besonders im Ermittlungsverfahren habe er umfangreiche Tätigkeiten erbracht, die letztendlich
273
dazu geführt hätten, dass das Verfahren nicht eingestellt, sondern Anklage erhoben worden sei.
Den Hauptverhandlungstermin vom 6. Januar 2005 habe er ebenfalls umfangreich vorbereitet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt des Schriftsatzes des
Antragstellers vom 21. März 2005.
Zu diesem Antrag hat der Vertreter der Staatskasse unter dem 12. Mai 2005 ausführlich Stellung
genommen und sowohl im Hinblick auf den besonderen Umfang als auch wegen der besonderen
Schwierigkeit des Verfahrens die Bewilligung einer angemessenen "Pauschgebühr" befürwortet.
Die gesetzlichen Gebühren hat er dabei auf der Grundlage des neuen Gebührenrechts nach RVG
errechnet, das er auch für die Bemessung der "Pauschgebühr" für anwendbar erachtet. Auch auf
diese Stellungnahme wird Bezug genommen.
II.
1. Die dem Antragsteller zu erstattende Vergütung ist nach dem Gebührenrecht der BRAGO zu
bemessen, so dass der Senat in der Besetzung mit drei Richtern für die Entscheidung zuständig
war.
2. In der Rechtsprechung ist zwar umstritten, ob das RVG gilt, wenn ein Pflichtverteidiger zwar
erst nach dem 1. Juli 2004 beigeordnet wurde, dieser aber bereits vorher als Wahlanwalt für
seinen Mandanten tätig gewesen ist (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Januar 2005 in 2 (s)
Sbd. VIII - 267, 268 u. 269/04 = Rpfleger 2005, 214 = AGS 2005, 117 = StraFo 2005, 130 m.w.N.
aus Rechtsprechung und Literatur). Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und
Literatur, die auch der erkennende Senat vertritt, ist die Anwendbarkeit des RVG aber in diesem
Fall gegeben.
3. Im vorliegenden Fall begehrt hingegen der Vertreter eines Nebenklägers, der schon vor dem 1.
Juli 2004 aufgrund eines Mandatsverhältnisses tätig war, aber erst nach diesem Stichtag
beigeordnet wurde, eine Pauschvergütung für die gesamten von ihm ausgeübten Tätigkeiten.
Auf diesen Fall ist das Gebührenrecht der BRAGO anwendbar. Denn das RVG findet auf die
Vergütung des Beistandes des Nebenklageberechtigten nur dann Anwendung, wenn dieser seine
Tätigkeit nach dem In-Kraft-Treten des RVG aufgenommen hat und nicht schon dann, wenn er
erst nach diesem Zeitpunkt vom Gericht beigeordnet wurde (so auch OLG Köln, Beschluss vom
18. Februar 2005 in 2 ARs 28/05; KG, Beschluss vom 09. Juni 2005 in 4 Ws 47/05).
Die gegenteilige differenzierende Auffassung (LG Berlin, Beschluss vom 04. Februar 2005 in
(518) 70 Js 899/99 (48/04)) vermag dagegen nicht zu überzeugen. Danach sollen sich die
Gebühren eines nach § 397 a Abs. 1 StPO bestellten Beistandes eines Nebenklägers, der bereits
vor dem 1. Juli 2004 als Wahlanwalt tätig geworden ist, jedoch erst nach diesem Tage gerichtlich
bestellt wurde, nach dem neuen Gebührenrecht des RVG richten.
Das Argument, die Bestellung nach § 397 a Abs. 1 StPO sei in Anlehnung an die
Pflichtverteidigerbestellung gestaltet worden, ohne dass es auf die finanziellen Verhältnisse der
Partei selbst ankäme und setze grundsätzlich kein bestehendes Mandatsverhältnis voraus (so
aber LG Berlin, a.a.O.), verkennt nämlich, dass für den Pflichtverteidiger mit der Beiordnung ein
früheres Mandat als Wahlverteidiger endet, der Beistand eines Nebenklageberechtigten sein
(Wahl-)Mandat mit der Bestellung zum Beistand aber gerade nicht niederlegt, sondern es fortführt
(vgl. OLG Köln, a.a.O.).
Es besteht zudem kein sachlicher Anlass, die Fälle einer Bestellung des Rechtsanwalts zum
Beistand des Nebenklägers nach § 397 a Abs. 1 StPO und einer Beiordnung im Wege der
Prozesskostenhilfe nach § 397 a Abs. 2 StPO gebührenrechtlich unterschiedlich zu behandeln. In
den §§ 60 Abs. 1 und 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ("gerichtlich bestellt oder beigeordnet") wird
zwischen diesen Konstellationen ebenfalls nicht unterschieden (vgl. KG im Beschluss vom 09.
Juni 2005, a.a.O., durch den der Beschluß des LG Berlin vom 4. Februar 2005 aufgehoben
worden ist).
III.
Dem Antragsteller war nach § 99 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.
274
1. Unter Zugrundelegung der BRAGO stehen dem Antragsteller gesetzliche Gebühren in Höhe
von 390,- ¤ zu (Tätigkeit im Vorverfahren, für die die Gebühr gemäß §§ 97 Abs. 1 S. 1, 95 Alt. 1,
83 Abs. 1 Nr. 3, 84 Abs. 1 i.V.m. § 6 BRAGO 130,- ¤ beträgt und Tätigkeit in der
Hauptverhandlung mit einer Gebühr in Höhe von 260,- ¤).
2. Das Verfahren war "besonders schwierig" sowie "besonders umfangreich" i.S.d. § 99 BRAGO.
Zur Begründung, dass das Verfahren "besonders schwierig" und "besonders umfangreich" war,
nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die dem Antragsteller bekannte
Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse vom 12. Mai 2005 und macht sie zum Gegenstand
seiner Entscheidung.
3. Bei der Bemessung der zu bewilligenden Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des
Einzelfalles berücksichtigt und dabei nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. die Beschlüsse
vom 06. Mai 1997 in 2 (s) Sbd. 5 - 85/97 und vom 06. Januar 2000 in 2 (s) Sbd. 6 - 253/99) die
gesamte Tätigkeit des Pflichtverteidigers in dem Verfahren im Rahmen einer Gesamtschau
zugrunde gelegt.
Bei der vom Antragsteller begehrten Pauschvergütung sind insbesondere auch diejenigen
Tätigkeiten zu berücksichtigen, die er im Rahmen der Vertretung der Nebenklageberechtigten vor
seiner Bestellung als Beistand erbracht hat.
Da die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr wegen der in § 99 BRAGO
genannten Gründe vorliegen, hat der Senat an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, die
Fahrtzeiten des Antragstellers, die dieser aufwenden musste, um von seiner Kanzlei in Bonn zur
Hauptverhandlung nach Rheda-Wiedenbrück zu gelangen, als pauschgebührerhöhenden
Umstand berücksichtigt.
Insgesamt erschien es gerechtfertigt, dem Antragsteller die Pauschvergütung in der zuerkannten
Höhe zu bewilligen.
Über Mehrwertsteuer und eventuelle sonstige Auslagen ist nicht im Verfahren über die
Bewilligung einer Pauschvergütung, sondern im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren
durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges zu
entscheiden.
KAMMERGERICHT-BERLIN: 3 Ws 323/05, Beschluss vom 18.07.2005
Verfahrensgang:
LG Berlin (506) 69 Js 19/03 KLs (39/04) vom 18.05.2005
Geschäftsnummer:
3 Ws 323/05
In der Strafsache gegen
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz,
hier nur betreffend das Verfahren über die Festsetzung der Vergütung des dem Zeugen W.
beigeordneten Rechtsanwalts S.,
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 18. Juli 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 18. Mai
2005 wird verworfen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
275
Gründe:
Am 20. Verhandlungstag der Hauptverhandlung gegen Boußonville, dem 8. Dezember 2004,
meldeten sich der geladene Zeuge W. und als Zeugenbeistand Rechtsanwalt S. Letzterer
beantragte seine Beiordnung. Der Vorsitzende ordnete daraufhin dem Zeugen Rechtsanwalt S
gemäß § 68 b StPO als Zeugenbeistand bei. Rechtsanwalt S beantragte mit Schriftsatz vom 8.
Dezember 2004, seine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wie folgt
festzusetzen:
Grundgebühr gem. VV 4100, 4101 162 Euro
Gerichtliches Verfahren gem. VV 4112, 4113 151 Euro
Terminsgebühr gem. VV 4114, 4115 263 Euro
Post-/Telekommunikationspauschale gem. VV 7002 20 Euro
16 % Umsatzsteuer gem. VV 7008 95,36 Euro
Gesamtsumme 691,36 Euro.
Nach dem Vortrag Rechtsanwalt S. hatte der Zeuge W. ihm am 6. Dezember 2004 das Mandat
als Zeugenbeistand übertragen und am 7. Dezember 2004 hatte der Rechtsanwalt den Zeugen in
der Haft aufgesucht.
Mit Beschluß vom 24. März 2005 setzte der Kostenbeamte des Landgerichts insgesamt lediglich
191,40 Euro als aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung fest. Zur Begründung führte er
aus, daß die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung anwendbar sei, da Rechtsanwalt S. in
vorliegender Sache bereits im April 2004 als Zeugenbeistand tätig gewesen und seine Beiordnung
vom 8. Dezember 2004 sich nur auf die Dauer der Vernehmung in der Verhandlung von
demselben Tage beschränkt habe. Daher sei nur eine Gebühr in Höhe von 150,-- Euro (§§ 83
Abs. 1, 97, 95 zweiter Halbsatz BRAGO) zuzüglich 15,-- Euro Postpauschale und 26,40 Euro
Mehrwertsteuer erstattungsfähig. Nach dem Vernehmungsprotokoll vom 23. April 2004 ist der
Zeuge W. an diesem Tage durch die Staatsanwaltschaft in vorliegendem Verfahren in
Anwesenheit von Rechtsanwalt S. als Zeugenbeistand vernommen worden.
Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts hat die Strafkammer des Landgerichts durch die
angefochtene Entscheidung den Beschluß vom 24. März 2005 aufgehoben und die Vergütung
entsprechend der Kostenrechnung in einer Gesamthöhe von 691,36 Euro festgesetzt. Die
dagegen gerichtete Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Berlin als Vertreterin
der Landeskasse ist unbegründet.
1. Zutreffend hat die Strafkammer das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz angewendet. Das
Kammergericht hat in seinem Beschluß vom 17. Januar 2005 - (1) 2 StE 10/03-2 (4/03) - für den
Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, der zuvor Wahlverteidiger gewesen ist, ausgeführt, §
61 Abs. 1 RVG sei dahin auszulegen, daß auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung
abzustellen sei [Rechtspfleger 2005, 276; RVGreport 2005, 186 f]. Dies ist inzwischen die
einhellige Auffassung der Oberlandesgerichte (vgl. u. a. OLG Jena und OLG Frankfurt, beide in
RVGreport 2005, 221; OLG Schleswig NJW 2005, 234). Vorliegend erfolgte die Beiordnung am 8.
Dezember 2004, mithin nach dem Stichtag des § 61 Abs. 1 RVG, dem 1. Juli 2004. Diese
Rechtsprechung gilt auch für die Beiordnung eines Zeugenbeistands nach § 68 b StPO, denn
ebenso wie für die Beiordnung nach § 141 StPO ist für die Beiordnung nach § 68 b StPO
Voraussetzung, daß das Wahlmandat geendet hat; damit steht es als Anknüpfungspunkt für die
Anwendung des Übergangsrechts nicht mehr zur Verfügung (anders für die Beiordnung eines
Rechtsanwalts als Beistand eines Nebenklägers: KG, Beschluß vom 9. Juni 2005 - 4 Ws 47/05;
KG, Beschluß 13. Juni 2005 - 5 Ws 253/05 -).
2. Soweit die Bezirksrevisorin des Landgerichts zu bedenken gibt, ob für den Fall, daß das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz anwendbar wäre, nicht ausschließlich die Verfahrensgebühr VV
4302 Ziff. 3 als Einzelgebühr für eine andere nicht in den Nummern VV 4300 oder 4301 erwähnte
Beistandsleistung vergütet werden sollte, ist ihr entgegenzuhalten, daß gemäß Teil 4 Strafsachen,
Vorbemerkung 4 Abs. 1 des Vergütungsverzeichnisses [Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2 RVG)] in
Verbindung mit Abschnitt 1 des Teiles 4 Strafsachen des Vergütungsverzeichnisses unter
anderem für die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Beistand eines Zeugen die Vorschriften für die
Gebühren eines Verteidigers entsprechend anzuwenden sind, daher der als Beistand
beigeordnete Rechtsanwalt für seine Tätigkeit die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhält
276
(vgl. Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Vorbem. 4 Rdn. 22 (S. 678); Hartung in
Hartung/Römer-mann, RVG VV Teil 4 Rdn. 27; Volpert in RVG, Burhoff Hrg., Vorbemerkung 4.3
Rdz. 16 (S. 835; s. auch KG, Beschluß vom 29. Juni 2005 - 5 Ws 164/05 -; Burhoff, RVGreport
2004, 16; siehe auch Bundestagsdrucksache 15/1971 S. 145, abgedruckt bei Göttlich/ Mümmler,
RVG, Stichwort Beistand Ziff. 3 [für Zeugen und Sachverständige] S. 128 f.). Dies meint auch
Madert in Gerold/ Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl., VV 4100 bis 4105 Rdn.
33 (S. 1309); soweit er zu VV 4300 bis 4304 (S. 1365 f) Rdz. 58 allerdings dem gegenüber
anführt, eines der Beispiele für die Nr. 3 der VV 4302 sei die Vergütung eines Rechtsanwalts, der
nach § 68 b StPO einem Zeugen beigeordnet worden ist, ist diese Auffassung seit dem
Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes nicht mehr haltbar. Gleiches gilt für die
Kommentierung in Hartmann, Kostengesetze 35. Aufl., VV 4302 Rdn. 2 (S. 1877), auf die sich die
Bezirksrevisorin bezieht, sowie die Entscheidung des OLG Düsseldorf in JurBüro 2001, 26 f.).
3. Soweit die Beschwerde meint, die Pauschale der VV Nr. 7002 könnte deshalb nicht
erstattungsfähig sein, weil die Beiordnung lediglich die Dauer der Vernehmung des Zeugen
umfasse, steht dem entgegen, daß aus den oben genannten Gründen die Tätigkeit des
Rechtsanwalts als Beistand der des Pflichtverteidigers gleichgestellt ist und sich sein
Vergütungsanspruch gemäß § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG auch auf seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt
seiner Bestellung einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage, erstreckt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
Für den Pflichtverteidiger kommt es für die Anwendung des RVG auf den Zeitpunkt der
Beiordnung an. Die Beiordnung zum Pflichtverteidiger wird wirksam mit Erlass des
Beiordnungsbeschlusses durch den Vorsitzenden. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch
den Rechtsanwalt ist für die Wirksamkeit ohne Bedeutung.
OLG-HAMM: 2 s Sbd. VIII-116/05, Beschluss vom 09.06.2005
Verfahrensgang:
AG Essen vom 16.04.2004
Stichworte: Pauschgebühr; Beiordnung; Wirksamkeit; Zugang des Beschlusses
Beschluss
In der Bewährungs- und Unterbringungssache
gegen T.H.
wegen räuberischen Diebstahls (hier: Pauschvergütung für den bestellten Verteidiger).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts R. aus Essen vom 10./21. März 2005 auf Bewilligung einer
Pauschvergütung für die Pflichtverteidigung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren hat
der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter
am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am
Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des
Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Rechtsanwalt R. wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 60,-- EURO eine
Pauschvergütung von 250,-- EURO (in Worten: zweihundertfünfzig EURO) bewilligt.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
277
I.
Der ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 16. April 2004 in einem psychiatrischen
Krankenhaus untergebracht worden, allerdings wurde die Unterbringung zur Bewährung
ausgesetzt. Kurz darauf hat die Staatsanwaltschaft bereits den Widerruf der Bewährung beantragt
und ist die Bewährung widerrufen worden. In dem Widerrufsverfahren ist der Antragsteller dem
Verurteilten mit Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Juni 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet
worden. Er hat in seiner Eigenschaft als Pflichtverteidiger den Verurteilten in der Klinik in
Langenfeld, in die er aufgenommen worden war, besucht, ein 22-seitiges psychiatrisches
Gutachten ausgewertet und mehrer Gespräche mit der Mutter des Verurteilten und dessen
Betreuer geführt. Der Antragsteller hat zudem gegen den Widerrufsbeschluss der Amtsgerichts
sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet. Der Widerrufsbeschluss ist durch die
Beschwerdekammer aufgehoben worden.
Der Antragsteller, dessen gesetzliche Gebühren 60 EURO betragen, hat für seine Tätigkeit eine
Pauschvergütung in Höhe von rund 300 EURO beantragt. Dabei hat er die nach dem RVG
entstandenen gesetzlichen Gebühren zugrunde gelegt. Der Antragsteller ist darüber hinaus der
Ansicht, das RVG sei anwendbar, da ihm der Beiordnungsbeschluss erst nach dem 1. 7. 2004
zugegangen sei. Der Vertreter der Staatskasse hat gegen die Gewährung einer Pauschvergütung
keine Einwände erhoben, ist jedoch der Auffassung, dass die BRAGO anwendbar ist. .
II.
1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist vorliegend die BRAGO anwendbar und nicht
das RVG. Der Antragsteller ist am 24. Juni 2004 beigeordnet worden. Das RVG ist aber erst am
1. 7. 2004 in Kraft getreten. Für den Pflichtverteidiger kommt es für die Anwendung des RVG aber
auf den Zeitpunkt der Beiordnung an (Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsache, VergütungsABC: Übergangsvorschriften §§ 60 f. , Rn. 28). Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der
Beiordnungsbeschluss dem Antragsteller erst nach dem 1. Juli 2004 zugegangen ist. Die
Beiordnung zum Pflichtverteidiger wird wirksam mit Erlass des Beiordnungsbeschlusses durch
den Vorsitzenden. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Rechtsanwalt ist für die
Wirksamkeit ohne Bedeutung, auch wenn der Beschluss gemäß §§ 35 Abs. 2 34 StPO bekannt
zu machen ist. Die Entscheidung des OLG Stuttgart in AnwBl. 1980, 114 führt zu keinem anderen
Ergebnis. Sie betrifft nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sondern die Bestellung eines
so genannten "Armenanwalts". Dessen Bestellung ist aber mit der Beiordnung eines
Pflichtverteidigers nicht vergleichbar. Bei diesem geht die Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ 1991,
94) davon aus, dass ein ggf. bestehendes Wahlmandat (konkludent) niedergelegt wird, wenn die
Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt wird (vgl. dazu Senat in StraFo 2005, 173 = AGS
2005, 112 mit weiteren Nachweisen aus der übrigen Rechtsprechung zu §§ 60, 61 RVG). Der
Angeklagte/Verurteilte würde also in den Fällen der notwendigen Verteidiger zumindest zeitweise
verteidigungslos sein, wenn es hinsichtlich der Wirksamkeit des Beiordnungsbeschlusses auf den
Zeitpunkt der Kenntniserlangung ankäme.
2.
Dem Antragsteller war gem. § 99 Abs. 1 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen, da er in
einer "besonders umfangreichen" Strafsache tätig geworden ist.
a) "Besonders schwierig" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO war das Verfahren allerdings nicht. Mit
der Vorsitzenden der Gerichts und dem Vertreter der Staatskasse ist der Senat der Auffassung,
dass es sich noch nicht um ein "besonders schwieriges" Verfahren gehandelt hat.
b) Das Verfahren war jedoch schon "besonders umfangreich" i.S. des § 99 Abs. 1 BRAGO. Die
dargelegten Tätigkeiten des Antragstellers gehen erheblich über das hinaus, was in
vergleichbaren Strafvollstreckungssachen sonst von Pflichtverteidigern an Zeitaufwand für ihre
Mandanten erbracht werden muss. Der Antragsteller hat nämlich nicht nur für den Verurteilten im
schriftlichen Verfahren Stellung genommen, sondern hat ihn zudem in der Klinik in Langenfeld
aufgesucht. Zudem hat er die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts begründet.
c) Bei der Bemessung der demnach zu gewährenden Pauschvergütung hat sich der Senat von
seiner ständigen Rechtsprechung leiten lassen: Danach (vgl. zuletzt Senat in NStZ-RR 2003, 139
278
= StraFo 2003, 219 = StV 2004, 96 mit weiteren Nachweisen) ist - mangels eines speziellen
gesetzlichen Gebührentatbestandes für die Tätigkeit des (erstmals) im
Strafvollstreckungsverfahren zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts - auf die Vorschrift
des § 91 BRAGO zurückzugreifen (siehe auch OLG Düsseldorf StV 1985, 71; OLG Hamm MDR
1994, 736 = StV 1994, 501), die in ihrer Nr. 1 allgemein auf andere nicht in § 91 Nr. 2 und 3
BRAGO genannte Beistandsleistungen abstellt und in Nr. 2 die Beistandsleistung für den
Beschuldigten bei Vernehmungen erwähnt. Die vom Antragsteller vorliegend erbrachten
Tätigkeiten sind, da eine gesetzliche Regelung zu dem Zeitpunkt des Tätigwerdens nicht gegeben
war, dem § 91 Nr. 1 BRAGO vergleichbar. Legt man diese Gebührenvorschrift zugrunde, ist hier
für den Wahlverteidiger grundsätzlich ein Gebührenrahmen von 15 bis 175 EURO eröffnet.
Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BRAGO ergibt sich für den Pflichtverteidiger somit eine gesetzliche
(Mindest-)Gebühr von 60 EURO.
Im Hinblick auf den für den Senat erkennbaren, im Einzelnen bereits dargelegten Arbeitsaufwand
des Antragstellers und unter weiterer Berücksichtigung der Dauer der Beiordnung hielt der Senat
eine deutliche Erhöhung der gesetzlichen Gebühr von 60 EURO auf 250 EURO für geboten. Der
Senat hatte keine Bedenken, eine Pauschvergütung über der Wahlanwaltshöchstgebühr von 175
EURO zu gewähren. Zwar ist eine Pauschvergütung in dieser Höhe nach ständiger
Rechtsprechung des Senats grundsätzlich sonst nur dann gerechtfertigt, wenn das Verfahren den
Pflichtverteidiger über einen längeren Zeitraum ganz oder fast überwiegend in Anspruch
genommen hat (siehe u.a. Senat in AGS 2000, 249 und die Zusammenstellung bei Burhoff StraFo
2001, 119, 123). Die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Fälle sind jedoch, worauf der
Senat schon wiederholt hingewiesen hat (vgl. z.B. Senat in AGS 2001, 201 = JurBüro 2001, 641),
mit denen, in denen bei der Gewährung einer Pauschvergütung von der gesetzlichen Gebühr der
§§ 91, 97 BRAGO auszugehen ist, nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass die gesetzliche Gebühr
in den Fällen der §§ 91, 97 BRAGO völlig unzulänglich und unbillig niedrig waren. Diesem Mangel
hat der Gesetzgeber für die Zeit nach dem 1. Juli 2004 inzwischen durch die Neuregelung in Teil
4 Abschnitt 2 VV RVG abgeholfen. Für die Zeit vorher ist nach Auffassung des Senats zur
Vermeidung eines - ansonsten verfassungswidrigen - Sonderopfers des Pflichtverteidigers (vgl.
dazu zuletzt BVerfG StV 2001, 241) nach wie vor die Wahlverteidigerhöchstgebühr zu
überschreiten. Eine höhere Gebühr als die bewilligte erschien dem Senat jedoch nicht
angemessen und auch nicht erforderlich, Demgemäß war der weitergehende Antrag
zurückzuweisen.
Die Anwendung alten oder neuen Rechts zur Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren richtet
sich nach dem Zeitpunkt der Beauftragung als Wahlverteidiger.
OLG-NUERNBERG: 1 Ws 321/05, Beschluss vom 31.05.2005
Verfahrensgang:
LG Nürnberg-Fürth 3 KLs 953 Js 160795/04 vom 24.02.2005
1 Ws 321/05
Nürnberg, den 31. Mai 2005
In dem Strafverfahren
wegen erpresserischen Menschenraubes;
hier: sofortige Beschwerde des Verteidigers gegen die Festsetzung der
Pflichtverteidigergebühren,
erläßt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter
folgenden Beschluss:
Tenor:
279
Die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts S gegen den Beschluss des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 24.02.2005 wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Rechtsanwalt S zeigte sich mit Schriftsatz vom 04.06.2004 als Verteidiger an und legte die
Vollmacht vom 01.06.2004 vor. Am 07.06.2004 ging die Anklage der Staatsanwaltschaft beim
Landgericht Nürnberg-Fürth ein. In der Hauptverhandlung vom 25.10.2004 ordnete der
Vorsitzende dem Angeklagten Rechtsanwalt S als Pflichtverteidiger bei.
Letzterer hat mit Schriftsatz vom 21.12.2004 beantragt, seine Gebühren und Auslagen als
Pflichtverteidiger des Angeklagten - einschließlich der Vorverfahrensgebühr - nach dem RVG auf
1.574,24 EUR festzusetzen. Der Kostenbeamte beim Landgericht Nürnberg-Fürth hat als
maßgeblichen Zeitpunkt für die Frage, ob altes öder neues Recht anzuwenden ist, den Zeitpunkt
der Beauftragung als Wahlverteidiger angesehen und die Pflichtverteidigergebühr gemäß § 98
BRAGO auf 1.208,65 EUR festgesetzt.
Hiergegen hat Rechtsanwalt S mit Schriftsatz vom 18.01.2005, bei Gericht eingegangen am
20.01.2005, Erinnerung eingelegt mit der Begründung, die Bestimmung der
Pflichtverteidigergebühren richte sich nach dem RVG, weil für die Vergütung des
Pflichtverteidigers nach der Übergangsvorschrift des § 61 RVG der Zeitpunkt der Bestellung als
Pflichtverteidiger für die Frage der Anwendbarkeit des RVG maßgebend sei.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth
mit Beschluss vom 24.02.2005 und führte aus, hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt,
hätte er, wie er es für den Fall der Rechtsmitteleinlegung gemacht habe, eine ausdrückliche
Regelung getroffen.
Gegen diesen ihm formlos am 02.03.2005 mitgeteilten Beschluss wendet sich der Verteidiger mit
seiner am 11.03.2005 eingelegten sofortigen Beschwerde mit dem Ziel, die
Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht (RVG) festgesetzt zu erhalten.
Mit Verfügung vom 22.03.2005 hat der Vorsitzende der 3. Strafkammer des Landgericht
Nürnberg-Fürth der eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen.
Für weitere Einzelheiten wird auf die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühr vom 10.01.2005,
den Schriftsatz des Verteidigers vom 18.01.2005, den Beschluss der 3. Strafkammer vom
24.02.2005 und die Beschwerde vom 10.03.2005 Bezug genommen.
Die gem. § 98 Abs. 3 BRAGO zulässig Beschwerde ist unbegründet. Nach § 61 Abs. 1 RVG ist
die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte weiter anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag
zur Erledigung derselben Angelegenheit i. S. d. § 15 vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden ist. Das
gilt auch dann, wenn in der Folgezeit der Rechtsanwalt auch noch gerichtlich bestellt oder
beigeordnet worden ist und dieser zweite Zeitpunkt nach dem 30.06.2004 liegt. Denn maßgeblich
ist, dass er schon vor dem Stichtag für seinen Mandanten tätig ist, sei es aufgrund Beauftragung
oder sei es aufgrund Bestellung; dementsprechend wird in § 61 Abs. 1 S. 2 RVG der
übergeordnete Begriff des Tätigseins in derselben Angelegenheit verwendet; nur wenn ein
Rechtsmittel eingelegt wird, kommt es zu einer Zäsur, und für das Verfahren über ein am
01.07.2004 oder später eingelegtes Rechtsmittel gilt das neue Gesetz (vgl. den Beschluss des
Senats vom 18.04.2005 - 1 Ws 400/05).
Dem kann nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, hier sei die Sache anders zu sehen
als im Fall der nachträglichen Gewährung von Prozesskostenhilfe, bei der soweit ersichtlich
einhellig der Zeitpunkt der ursprünglichen Beauftragung als maßgeblich angesehen wird; mit der
Niederlegung des Wahlmandats bzw. spätestens mit der Pflichtverteidigerbestellung ende das
Wahlmandat und stehe somit nicht mehr als Anknüpfungspunkt zur Verfügung (vgl. den
Beschluss des 1. Strafsenats des Kammergerichts Berlin vom 17.01.2005, Az. (1) 2 StE 10/032(4/3)), und die Folge sei, dass der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger die
Gebühren eines Wahlverteidigers nach der BRAGO erhalte, dagegen eine
Pflichtverteidigervergütung nach RVG und zwar gem. § 48 Abs. 5 S. 1 RVG auch für seine
Tätigkeit vor seiner Bestellung (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 30.11.2004 1 Ws 423/04,
NJW 2005, 234). Wie die Übergangsregelung auszulegen ist, war schon für die entsprechend
280
formulierte Übergangsregelung des § 134 Abs. 1 S. 1 BRAGO streitig. Der Streit ist auch nicht
durch die. Äußerungen in den Materialien zum Entwurf des RVG (Bundestagsdrucksache
15/1971) i. S. d. Gegenmeinung entschieden worden (auch wenn das Kammergericht die dortigen
Ausführungen zum Anlass nahm, im zitierten Beschluss seine bisherige Auslegung aufzugeben).
Denn der Gesetzgeber wußte, dass die Auslegung des § 134 Abs. 1 S. 1 BRAGO umstritten war.
Wenn er den Streit selbst hätte beilegen wollen, hätte er Anlass gehabt, dies in der Formulierung
des Gesetzes selbst zum Ausdruck zu bringen, statt die bisherige Formulierung in den
entscheidenden Punkten unverändert zu übernehmen. Erhebliches oder gar entscheidendes
Gewicht kann dieser Meinungsäußerung von Beteiligten im Gesetzgebungsverfahren nicht
beigemessen werden, da diese Meinung keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden hat.
Vielmehr ist der entscheidende Gesichtspunkt für die Beantwortung der Frage, ob im Sinn der
Vorschrift das ursprüngliche Wahlmandat eine andere Angelegenheit ist und unbeachtlich bleiben
muss, die Regelung in § 48 Abs. 5 S. 1 RVG, die die Regelung in § 97 Abs. 3 BRAGO fortführt
und verallgemeinert.
Denn diese Regelung zeigt, dass der Gesetzgeber die Tätigkeit des Verteidigers für den vom
Ermittlungs- und Strafverfahren Betroffenen als Einheit ansieht, auch wenn die öffentlich
rechtliche Pflicht, die Verteidigung zu übernehmen (vgl. den zitierten - Beschluss des OLG
Schleswig), erst im Lauf der Tätigkeit begründet wurde. Erst mit dem Ende der Instanz, aber nicht
mit dem Übergang vom Vorverfahren zum gerichtlich anhängigen Verfahren (obwohl dieser
gebührenrechtlich bedeutsam ist) ergibt sich eine Zäsur. Die Betrachtung der Tätigkeit des
Verteidigers als Einheit ist auch von den Pflichten her gerechtfertigt; an der Pflicht, die Interessen
des vom Verfahren betroffenen zu wahren und ihm als Verteidiger beizustehen, ändert sich durch
den Übergang vom Wahlmandat zur Tätigkeit als Pflichtverteidiger nichts. Im übrigen führt allein
diese Lösung zu einer widerspruchsfreien Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit. Weder kommt
es dazu, dass der Verteidiger für dieselbe Tätigkeit deshalb, weil er sie vor seiner Bestellung
ausgeübt hat, als Wahlverteidiger nach BRAGO und als Pflichtverteidiger nach RVG abzurechnen
hat, noch werden in Konsequenz dessen für bestimmte Tätigkeiten eines Verteidigers, die er
schon vor dem 01.07.2004 ausgeübt hat, Gebührentatbestände ausgelöst, die es damals gar
noch nicht gegeben hat und die er als Wahlverteidiger nicht geltend machen kann (z.B. Teilnahme
an einem Haftprüfungstermin).
Eine Kostenentscheidung ist gem. § 98 Abs. 4 BRAGO nicht erforderlich. Gleiches folgt aus § 56
Abs. 2 u. 3 RVG.
Die Vorschriften des RVG gelten bei einer nach dem 1. Juli 2004 erfolgten Beiordnung für das
gesamte Verfahren auch hinsichtlich der nach § 467 Abs. 1 StPO als notwendige Auslagen nach
§ 52 RVG geltend gemachten Wahlverteidigervergütung.
OLG-CELLE: 1 Ws 167/05, Beschluss vom 17.05.2005
Verfahrensgang:
LG Hannover 46 a 29/04 vom 06.04.2005
Stichworte: Anwendung des RVG für notwendige Auslagen nach Freispruch
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
1 Ws 167/05
In dem Sicherungsverfahren
wegen Unterbringung
281
hier: Kostenfestsetzung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Beschuldigten gegen
den Beschluss des Landgerichts Hannover - Rechtspfleger - vom 6. April 2005 nach Anhörung
des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Hannover durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am
Oberlandesgericht ####### am 17. Mai 2005 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Auf Antrag des Beschuldigten vom 29. November 2004 werden die ihm aufgrund des Urteils der
12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 29. November 2004 aus der
Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.276, Euro (abzüglich bereits gezahlter
951,20 Euro) festgesetzt.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
1. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sind Auslagen, die der Beschuldigte
gegen die Landeskasse geltend macht. Gegen den Beschuldigten wurde bei der
Staatsanwaltschaft Hannover ein Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff StPO geführt. Unter dem
25. April 2003 zeigte Rechtsanwalt F. aus H. unter Vorlage einer Vollmacht die Verteidigung des
Beschuldigten an. Im Hauptverhandlungstermin vom 12. November 2004 wurde Rechtsanwalt F.,
der zuvor mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2004 erklärt hatte, er lege für diesen Fall sein Mandat als
Wahlverteidiger nieder, dem Beschuldigten als Verteidiger beigeordnet. Mit Urteil der 12. großen
Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 29. November 2004 wurde der Antrag auf
Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt und nach §
467 Abs. 1 StPO wurden die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Beschuldigten
entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 29. November 2004 machte Rechtsanwalt F. unter Vorlage einer Vollmacht
des Beschuldigten - und somit für diesen - vom selben Tage Gebühren und Auslagen eines
Wahlverteidigers nach Maßgabe des RVG in Höhe von 1.276, Euro gegen die Landeskasse
geltend. Der Aufforderung, die als Auslagen des Beschuldigten geltend gemachten
Wahlverteidigergebühren nach Maßgabe der BRAGO zu beantragen, kam der Antragsteller nicht
nach. Auf eine Erinnerung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Hannover wurde schließlich
durch Beschluss des Rechtspflegers vom 6. April 2005 eine Vergütung in Höhe von 951,20 Euro
als Pflichtverteidigervergütung nach dem RVG festgesetzt und der diesen Betrag übersteigende
Antrag auf Auszahlung notwendiger Auslagen des Beschuldigten (nämlich dessen
Wahlverteidigerkosten) mit der Begründung zurückgewiesen, diese seien wegen des vor dem 1.
Juli 2004 erfolgten Verteidigungsauftrags gem. § 61 Abs. 1 RVG nach bisherigem Recht
(BRAGO) zu berechnen, ein entsprechender Antrag liege aber nicht vor. Gegen diese
Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seinem als Erinnerung bezeichneten Rechtsmittel
und trägt vor, der Kostenfestsetzung seien die Vorschriften des RVG zugrunde zu legen.
2. Die befristete Beschwerde des Beschuldigten ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig
und hat auch in der Sache Erfolg. Der Beschuldigte hat einen Anspruch auf Erstattung seiner
notwendigen Auslagen in Form der ihn belastenden Wahlverteidigergebühren nach Maßgabe des
RVG.
a) Der Anspruch des Beschuldigten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Durch Urteil der 12. großen
Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 29. November 2004 wurde der Antrag auf
Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt und wurden
nach § 467 Abs. 1 StPO die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Beschuldigten
entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Nach § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO
zählen zu den notwendigen Auslagen auch die Kosten für einen Rechtsanwalt, soweit diese nach
§ 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Dies gilt auch für die Kosten eines nach § 137 StPO gewählten
Verteidigers (vgl. nur Meyer-Goßner, 47. Aufl. § 464 a Rn. 7). Zwar ist der Verteidiger des
Beschuldigten nach dessen Beiordnung am 12. November 2004 als notwendiger Verteidiger tätig
282
gewesen und erfasst nach § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG diese Beiordnung auch die zuvor bereits
erbrachten Tätigkeiten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Verteidiger von dem Beschuldigten
keine Gebühren verlangen kann. Nach § 52 RVG bzw. der grundsätzlich gleichlautenden
Vorschrift des § 100 BRAGO kann nämlich der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem
Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, jedenfalls
insoweit, als die Staatskasse Gebühren (eines Pflichtverteidigers) nicht gezahlt hat. Mit diesen
Kosten ist der ehemals Beschuldigte belastet und macht sie nunmehr - durch seinen hierzu als
Rechtsanwalt beauftragten Verteidiger - als Auslagen der Landeskasse gegenüber geltend.
b) Nach inzwischen gefestigter Auffassung richten sich die Gebühren eines nach dem 1. Juli 2004
beigeordneten Verteidigers, der zuvor als Wahlverteidiger bereits tätig war, für das gesamte
Verfahren nach den Vorschriften des RVG (vgl. nur OLG Schleswig vom 30.11.2004, 1 Ws
423/04; OLG Celle vom 13.12.2004, 2 Ws 314/04; Senatsbeschluss vom 11.2.2005, 1 ARs
293/04; Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., § 60 RVG Rn. 18; Burhoff, RVG, Vergütungs-ABC
Übergangsvorschriften, §§ 60 f. Rn. 12 und 30; BT-Drucks. 15/1971, S. 203 zu § 60). Denn in
einem solchen Fall endet der vom Mandanten erteilte Auftrag und es wird eine öffentlichrechtliche
Pflicht zur Verteidigung des Angeklagten begründet. Nach § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG erfasst die
hiernach begründete Bestellung auch die im Vorverfahren bereits erbrachten Leistungen.
c) Die Vorschriften des RVG gelten nach Auffassung des Senats aber auch hinsichtlich der als
notwendige Auslagen geltend gemachten Wahlverteidigervergütung. Zwar hat das
Oberlandesgericht Hamm in einer Entscheidung vom 10. Januar 2005 (Az.: 2 (s) Sbd. VIII 267,
268 u. 269/04) ausgeführt, in derartig gelagerten Fällen verbleibe es wegen der
Wahlanwaltsvergütung bei der Anwendung der BRAGO (entsprechend auch Burhoff a.a.O). Der
Senat teilt diese Auffassung aber nicht. Ihr steht entgegen, dass es sich bei diesen Auslagen nicht
um Anwaltsgebühren aufgrund des vor der Beiordnung erfolgten unbedingten Auftrags handelt,
sondern um Gebühren aus dem später durch Beiordnung begründeten Pflichtverteidigerverhältnis,
infolge dessen der Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Gebühren eines gewählten
Verteidigers verlangen kann (vgl. auch die Entscheidung des hiesigen 2. Strafsenats vom
13.12.2004, 2 Ws 314/04). Der Anspruch aus § 52 RVG entsteht nicht infolge eines früheren
Auftrags, sondern erwächst originär aus der Beiordnung. Der Anspruch aus § 52 RVG entsteht
kraft Gesetzes mit der Wirksamkeit der gerichtlichen Bestellung des Anwalts und ist vom Willen
und von einem Auftrag des Beschuldigten unabhängig (Hartmann, 34. Aufl,. § 52 Rn. 6). Ein
durch früheren Auftrag begründetes Wahlverteidigerverhältnis endet mit der Beiordnung (OLG
Celle, StV 96, 222 m.w.N.). Der beigeordnete Anwalt aber kann Wahlverteidigergebühren auch für
Tätigkeiten geltend machen (namentlich für Hauptverhandlungen), die nach Beiordnung und somit
nach Beendigung des Wahlverteidigermandats erst erbracht werden. Auch hieraus folgt, dass es
sich bei den Gebühren aus § 52 RVG nicht um Gebühren aufgrund des mit Beiordnung
erloschenen Wahlverteidigermandats handeln kann. Der Kostenfestsetzung sind demnach und
aufgrund der nach dem 1. Juli 2004 erfolgten Beiordnung allein die Vorschriften des RVG
zugrunde zu legen.
Einer Vorlage nach Maßgabe von § 121 Abs. 2 GVG bedurfte es nicht, da die hier maßgebliche
Frage der Vergütung nach § 52 RVG im Rahmen der Entscheidung des OLG Hamm nicht
erheblich war.
3. In der Höhe sind die vom Antragsteller geltend gemachten Gebühren eines gewählten
Verteidigers nicht zu beanstanden. Der Senat hat sie danach wie beantragt festgesetzt. Nach § 52
Abs. 1 Satz 2 RVG besteht der Anspruch indessen nur, soweit die Staatskasse Gebühren nicht
gezahlt hat. Hiernach sind die in Höhe von 951,20 Euro bereits gezahlten
Pflichtverteidigergebühren in Abzug zu bringen.
4. Die Entscheidung über die Kosten für das vorliegende Beschwerdeverfahren beruht auf § 56
Abs. 2 RVG.
Die Gebühr des § 43 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO ist auf die Gebühr des VV 3100 zum RVG
283
anzurechnen.
OLG-DUESSELDORF: I-24 W 24/05, Beschluss vom 23.05.2005
Verfahrensgang:
LG Duisburg 3 O 253/04 vom 24.03.2005
Rechtskraft: JA
Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss
I-24 W 24/05
In dem Rechtsstreit
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht Z als Einzelrichter am 23. Mai 2005
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der 3.
Zivilkammer des Landgerichts Duisburg - Rechtspflegerin - vom 24. März 2005 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 143,37 €
Gründe:
Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 567 Abs. 1, 568 Abs. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat
aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses der Rechtspflegerin vom 1. April
2005 in der Sache keinen Erfolg.
1.
Gegen die Klägerin sind bereits mehr Kosten festgesetzt worden, als ihr nach der Sach- und
Rechtslage zustehen. Denn für das Mahnverfahren ist die Rechtspflegerin von einem überhöhten
Streitwert ausgegangen. Nicht 8.828,40 EUR, sondern nur 7.591,84 EUR hätten der
Kostenfestsetzung zu Grunde gelegt werden dürfen. Gemäß § 4 Abs. 1, 2. Hs. ZPO bleiben
Zinsen unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderung geltend gemacht werden. Dies ist nach
allgemeiner Meinung in dem Sinne zu verstehen, dass Zinsen nicht als Hauptforderung verlangt
werden können, wenn sie als Verzugsschaden neben einer Hauptforderung eingeklagt werden.
Dies kann der Gläubiger nicht dadurch umgehen, dass er die Zinsen beziffert einklagt oder in die
Hauptforderung einrechnet. Anders liegt der Fall, wenn Zinsen einer erledigten Hauptforderung
neben einer anderen Hauptforderung eingeklagt werden (vgl. Zöller/ Herget, ZPO, 25. Aufl. § 4
Rn. 11 m.w.N.)
Im Streitfall hat die Klägerin mit dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheides Verzugszinsen in
Höhe von 1.236,56 EUR für die Zeit vom 14. November 2001 bis 27. Mai 2003 verlangt. Dafür,
dass dieser Betrag von der Hauptforderung von 7.331,27 EUR unabhängig war, ist nichts
ersichtlich, zumal nach der regelmäßig vereinbarten und der gesetzlichen Tilgungsreihenfolge (§
367 BGB) Zinsen vor der Hauptforderung getilgt werden.
Dementsprechend hätte die Wertfestsetzung für das Mahnverfahren erfolgen müssen. Dies bedarf
indessen keiner abschließenden Entscheidung, weil gegen die Klägerin jedenfalls höhere Kosten
als geschehen nicht festzusetzen sind.
284
2.
Zu Recht hat die Rechtspflegerin die den Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten erwachsene
Widerspruchsgebühr nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO auf die später im streitigen Verfahren
entstandene Verfahrensgebühr des VV 3100 zu § 2 Abs. 2 RVG angerechnet.
a. Allerdings ist der Beklagten zuzugeben, dass gemäß § 61 Abs. 1 RVG die
Rechtsanwaltskosten für das Mahnverfahren nach der BRAGO, hingegen diejenigen für das
streitige Verfahren nach dem RVG, in Kraft seit 1. Juli 2004, abzurechnen sind. Denn die Beklagte
hat ihre Verfahrensbevollmächtigten vor dem Stichtag mit der Erhebung des Widerspruchs
beauftragt, mit der Verteidigung im Rechtsstreit dagegen erst nach dem 30. Juni 2004.
Mahnverfahren und streitiges Verfahren sind gemäß § 17 Nr. 2 RVG verschiedene
Angelegenheiten mit der Folge, dass sie jeweils gesondert abzurechnen sind. Diese Klarstellung
ist in das RVG aufgenommen worden (Hartung/Römermann, RVG § 17 Rn. 10) Das war zuvor
aber nicht nur für den Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf herrschende Auffassung,
sondern wurde auch sonst überwiegend vertreten(vgl. 10. Zivilsenat, RPfleger 2000, 566 = OLGR
2000, 480, 481 m.w.N.; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert BRAGO, 15. Aufl. § 43 Rn. 11; a.A.
KG RPfleger 2000, 238 m.w.N.). Im übrigen kann auch dies zu Gunsten der Beklagten
angenommen werden, die durch eine abweichende Auffassung nicht beschwert wäre.
b. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte jedoch gegen die Anrechnung der nach altem Recht
entstandenen Gebühr des § 43 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO (Widerspruchsgebühr) auf die
Verfahrensgebühr nach VV 3100 zu § 2 Abs. 2 RVG.
Zwar enthält das RVG keine Regelung der Frage, ob nach der BRAGO entstandene und
anzurechende Gebühren auch auf Gebühren nach dem RVG anzurechnen sind. Insbesondere
findet sich darauf in den Übergangsbestimmungen der §§ 60, 61 RVG kein Hinweis. Dies
bedeutet aber nicht, dass eine Anrechnung der Widerspruchsgebühr des Mahnverfahrens auf die
Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits ausgeschlossen ist. Das Gegenteil ist der
Fall:
Ausgangspunkt der Überlegungen ist § 43 Abs. 2 BRAGO, der u. a. die Anrechnung der
Widerspruchsgebühr nach Absatz 1 Nr. 2 auf die "Prozessgebühr ..., die der Rechtsanwalt in dem
nachfolgenden Rechtstreit erhält," vorschreibt. Da den Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten
der Auftrag zu Erhebung des Widerspruchs vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden ist, gilt das
Anrechnungsgebot nach der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 S. 1 RVG fort.
Zwar kennt § 2 Abs. 2 in Verbindung mit VV 3100 RVG für das streitige Verfahren eine
"Prozessgebühr" nicht mehr, sondern nur noch die "Verfahrensgebühr". Daraus ist entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht zu folgern, dass eine Anrechnung wegen Wegfalls der
Anrechnungsmöglichkeit entfalle. Denn auch das neue Recht sieht die Anrechnung der
Widerspruchsgebühr in VV 3307 vor.
Schon daraus ist die Gleichheit von Prozessgebühr und Verfahrensgebühr, jedenfalls hinsichtlich
der Anrechnung der Widerspruchsgebühr des Mahnverfahrens, abzuleiten. Entsprechendes gilt
im übrigen auch für die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens (VV 3305). Außerdem gebieten
Sinn und Zweck die Anrechnung auf Prozess- und Verfahrensgebühr in gleicher Weise. Grund für
die Anrechnung ist jeweils, dass sich der Rechtsanwalt nach dem Mahnverfahren in das streitige
Verfahren in geringerem Umfang einarbeiten muss als bei der erstmaligen Befassung mit dem
Streitstoff zur Anfertigung der Klageerwiderung (vgl. Riedel/Sußbauer BRAGO , 8. Aufl., § 43 Rn.
1; Gebauer/Schneider, BRAGO, § 43 Rn. 46). Auch zur Erhebung des Widerspruchs hat der
Rechtsanwalt die Informationen des Mandanten entgegenzunehmen und diesen entsprechend zu
beraten. Insoweit besteht zwischen der Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und der
Verfahrensgebühr nach VV 3100 RVG kein Unterschied.
Die gegenüber dem alten Gebührenrecht unterschiedlichen Gebührenhöhen rechtfertigen erst
recht kein anderes Ergebnis. Während sich nach neuem Recht der den Widerspruch erhebende
Antragsgegner/Beklagte 0,5 Gebühren (VV 3307) auf 1,3 Gebühren des streitigen Verfahrens (VV
3100) anrechnen lassen muss, braucht die Beklagte hier lediglich die Anrechnung von 0,3
Gebühren (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO) auf die Verfahrensgebühr hinzunehmen.
285
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
OLG-HAMBURG: 8 W 47/05, Beschluss vom 15.03.2005
Verfahrensgang:
LG Hamburg 407 O 139/04 vom 07.02.2005
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT
Beschluss
8 W 47/05
In dem Rechtsstreit
hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 8. Zivilsenat, am 15. März 2005 durch den
Richter Prof. Dr. Peters als Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts
Hamburg, Kammer 7 für Handelssachen, vom 7.2.2005 aufgehoben.
Der Rechtspfleger des Landgerichts wird angewiesen, die erstattungsfähigen Kosten der
Beklagten nach Maßgabe der BRAGO festzusetzen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Beklagte.
Gründe:
Der Auftrag eines Anwalts zur Prozessführung kann vorprozessual erteilt werden. Das ist auf
klägerischer Seite naturgemäß stets der Fall, aber auch auf Seiten der Beklagten jedenfalls dann
möglich, wenn die Erhebung einer bestimmten Klage erwartet wird.
Eine vorprozessualen Prozessauftrag in Erwartung einer Klage auf Beklagtenseite belegt das
Schreiben vom 1.3.04, das die Klägerin als Anl. BF 1 zur Akte gereicht hat.
Dieser Auftrag lässt eine Bedingung nicht erkennen. Er stand natürlich unter dem Vorbehalt, dass
überhaupt Klage erhoben wurde. Aber das ist eine Entstehungsvoraussetzung für den
Vergütungsanspruch des Anwalts, bzw. den späteren Anspruch auf Kostenerstattung, keine
Bedingung im Rechtssinne.
Damit bleibt nach § 61 RVG die BRAGO anwendbar.
Kosten der Beschwerde: § 91 ZPO.
§ 61 Abs. 1 Satz 1 RVG
Übergangsrecht beim Pflichtverteidiger
Leitsatz des Gerichts:
Der zuvor bereits als Wahlverteidiger tätig gewesene Pflichtverteidiger
wird nach dem RVG vergütet, wenn die Bestellung
nach dem 30.6.2004 erfolgt ist.
KG,Beschl. v. 17. 1. 2005 – (1) – 2 StE 10/03-2(4/03)
I. Sachverhalt
In dem Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung hatte der damalige Angeklagte die RAe R und
286
K vor dem 1.7.2004 mit seiner Wahlverteidigung beauftragt. Die
RAe wurden vom Vorsitzenden des Senats am 7.7.2004 als Pflichtverteidiger
bestellt. Nach Beendigung des Strafverfahrens beantragten
die RAe ihrer aus der Landeskasse zu zahlenden Pflichtverteidigervergütung
auf der Grundlage des RVG wie folgt:
I. Rechtsanwalt R:
1. Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG 132,00 €
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4118 VV RVG 264,00 €
3. Terminsgebühren, Nr. 4120 VV RVG (3 x 356 €) 1.068,00 €
4. Reisekosten, Nr.7004 RVG 168,50 €
5. Tage- und Abwesenheitsgeld,Nr.7005 RVG 60,00 €
6. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
7. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG + 245,60 €
_________
Summe: 1.958,26 € _________ _________
RA K, der an allen vier Hauptverhandlungsterminen teilgenommen
hatte, beantragte die Festsetzung wie folgt:
II. Rechtsanwalt K:
1. Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG 132,00 €
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4118 VV RVG 264,00 €
3. Terminsgebühren, Nr. 4120 VV RVG (4 x 356 €) 1.424,00 €
4. Reisekosten, Nr.7004 RVG 772,20 €
5. Tage- und Abwesenheitsgeld,Nr.7005 RVG 60,00 €
6. Pauschale für Aktenübersendung 8,00 €
7. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
8. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG + 305,28 €
_________
Summe: 2.485,48 € _________ _________
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat diese Festsetzungsanträge
in vollem Umfang zurückgewiesen, da das bisherige Gebührenrecht
der BRAGO anwendbar sei.
Die hiergegen eingelegten Erinnerungen der RAe R und K hatten
Erfolg.
II. Anwendbares Recht
Das KG hat zunächst ausgeführt, die maßgebliche Übergangsvorschrift
des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG sei auslegungsfähig. Die
Bestimmung lasse sich sowohl dahin auslegen, dass es allein auf
den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung ankomme, als
auch dahin, dass die Anknüpfungspunkte der unbedingten Auftragserteilung
einerseits und der gerichtlichen Bestellung andererseits
alternativ nebeneinander stehen. Dies hätte dann zur Folge,
dass in dem zu entscheidenden Fall wegen der vor dem Stichtag
erfolgten Auftragserteilung zur Wahlverteidigung die BRAGO
anwendbar wäre. Der 4.und der 5. Strafsenat des KG (s. Rpfleger
1995, 380) hatten zur bisherigen gleichlautenden Übergangsvorschrift
des § 134 Abs. 1 Satz 1 BRAGO die Auffassung vertreten, in
Fällen der vorliegenden Art sei das bisherige Gebührenrecht anwendbar.
Diese Auffassung hat der entscheidende 1. Strafsenat des KG aufgegeben.
Er hat sich der ganz herrschenden Auffassung in der Literatur
(s. die Nachweise RVGreport 2004, 31) und der Rechtsprechung
zum bisherigen Übergangsrecht und zu § 61 Abs. 1 Satz 1
RVG (OLG Schleswig RVGreport 2005, 29 [HANSENS]; OLG Hamm
RVGreport 2005,68[BURHOFF]) angeschlossen. Maßgeblich für das
KG waren die Gesetzesmaterialien (s. BT-Drucks. 15/1971, S. 203)
und die Regelung in § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG. Danach erhält der bestellte
Verteidiger, auch wenn er zuvor als Wahlverteidiger tätig
gewesen ist, die Vergütung rückwirkend auch für seine Tätigkeit
vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung.
Dem vom LG Berlin RVGreport 2005, 30 (HANSENS) angesprochenen
Vertrauensschutz kommt nach Auffassung des KG kein
maßgebliches Gewicht zu. Die Pflichtverteidigerbestellung sei
nämlich ein eigener prozessualer Akt, dessen gebührenrechtliche
Folgen der Auftraggeber hinzunehmen habe. Es sei auch kein ausreichender
Grund dafür ersichtlich, einen Angeklagten, dessen
Wahlverteidiger nach dem Stichtag zum Pflichtverteidiger bestellt
wird, gebührenrechtlich besser zu stellen als einen zuvor unverteidigt
gewesenen Angeklagten, dem nach dem In-Kraft-Treten
des RVG ein Pflichtverteidiger bestellt wird.
287
Die Höhe der zur Festsetzung angemeldeten Vergütung hat das
KG nicht beanstandet. Die Reisekosten waren anlässlich einer Besprechung
der Verteidiger mit dem Generalbundesanwalt in
Karlsruhe entstanden. Die von RA K berechnete Pauschale für die
Übersendung der Gerichtsakten beruhte auf einer Kostenforderung
der Generalbundesanwaltschaft für die Übersendung von
Ablichtungen der kompletten Verfahrensakten.
➪Praxishinweis:
Mit dieser Entscheidung des KG wird hoffentlich der Streit zwischen
dem LG Berlin und dem AG Berlin-Tiergarten (s. RVGreport
2005, 30 ff. [HANSENS]) sein Ende haben. Damit haben alle bisher
bekannt gewordenen Entscheidungen der OLG allein auf den
Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung abgestellt. Liegt diese
nach dem Stichtag, berechnet sich die dem Verteidiger aus der
Staatskasse zustehende Vergütung nach dem RVG.
H.Hansens
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluss vom 30. November
2004 1 Ws 423/04 (132/04), 1 Ws 423/04
RVG § 61
Leitsatz
Die Vergütung des Strafverteidigers ist nach dem seit dem 1. Juli 2004 geltenden Recht
(RVG) zu berechnen, wenn der Verteidiger nach diesem Stichtag beigeordnet worden ist,
auch wenn er vorher als Wahlverteidiger tätig gewesen ist
Verfahrensgang

vorgehend LG Lübeck 2004-10-18 unbekannt Beschluss
LG Berlin 9. Große Strafkammer Entscheidung vom 20. Oktober 2004 (509) 70 Js 923/04
KLs (40/04)
RVG § 60 Abs 1 S 1
Pflichtverteidigergebühr: Gebührenbestimmung nach altem Recht bei Tätigkeit als
Wahlanwalt vor der nach der Gesetzesänderung erfolgten Beiordnung
Orientierungssatz
Ein Rechtsanwalt, der nach dem 1. Juli 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist,
erhält seine gesetzlichen Gebühren nach der BRAGO und nicht nach dem RVG, wenn er für
den Mandanten bereits vor diesem Zeitpunkt als Wahlanwalt tätig gewesen ist.
Rpfleger 2005, 54-55 (red. Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 31-32 (red. Leitsatz und
Gründe) RVG professionell 2004, 215-216 (red. Leitsatz) RVGreport 2005, 30-31 (red.
Leitsatz)
Diese Entscheidung wird zitiert von
288

Anmerkung Jungbauer, Sabine JurBüro 2005, 32-33
Anwaltsvergütung nach BRAGO oder RVG bei Pflichtverteidigung (f)
OLG Frankfurt 3. Strafsenat Beschluss vom 27. Oktober 2004 3 Ws 1094/04
BRAGO § 87, BRAGO § 97, RVG § 19, RVG § 61, StPO § 140, StPO §§ 140ff
Leitsatz
1. Dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise dann
zu entsprechen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist und durch die
Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung noch Mehrkosten für
die Staatskasse verursacht werden.
2. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der bisherige Pflichtverteidiger nur im ersten Rechtszug
einschließlich der Einlegung der Revision tätig war, sein Gebührenanspruch sich nach der
BRAGO bemisst und die Gebühren für die Tätigkeit des neuen Pflichtverteidigers im
Revisionsverfahren nach dem RVG zu beurteilen sind.
3. Die Grundgebühr gem. Nr. 4100 RVG für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall
entsteht nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt die erstmalige
Einarbeitung erfolgt, in der Rechtsmittelinstanz also grundsätzlich nur, wenn der Verteidiger
nicht bereits in der Vorinstanz tätig war.
4. Dies gilt indes nicht, wenn sich der Gebührenanspruch des Verteidigers nach der
Übergangsvorschrift des § 61 RVG für die Vorinstanz nach der BRAGO und für die
Revisionsinstanz nach dem RVG richtet. Diese Besserstellung der in der Übergangszeit
tätigen Rechtsanwälte ist hinzunehmen, da ansonsten eine undurchschaubare Gemengelage
zwischen BRAGO und RVG entstünde.
NStZ-RR 2005, 31-32 (Leitsatz und Gründe)
Verfahrensgang

vorgehend LG Frankfurt 20. September 2004 5/4 KLs 5150 Js 234680/03 (12/04)
Beschluss
LG Lübeck 5. Strafvollstreckungskammer Beschluß vom 26. Januar 2005 5 StVK 141/04
StPO § 35 Abs 2, RVG § 61 Abs 1 S 1, BRAGebO § 97, BRAGebO §§ 97ff
Pflichtverteidigervergütung: Abgrenzung zwischen der Anwendung alten und neuen
Rechts
Orientierungssatz
289
Wird der Beschluss über die Beiordnung des Pflichtverteidigers noch unter der Geltung der
BRAGO gefasst, geht er dem Pflichtverteidiger aber erst nach Inkrafttreten des RVG zu, so ist
die Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht zu berechnen.
AGS 2005, 69 (red. Leitsatz und Gründe)
OLG-ROSTOCK: 8 W 41/05, Beschluss vom 08.11.2005
Verfahrensgang:
LG Rostock 10 O 84/00 vom 29.10.2004
Oberlandesgericht Rostock
Beschluss
8 W 41/05
In dem Kostenfestsetzungsverfahren
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Sabin,
den Richter am Oberlandesgericht Dr. Meyer und
den Richter am Oberlandesgericht Lüdtke
am 8. November 2005 beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts
Rostock vom 29.10.2004, Az: 10 O 84/00, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin nach einem Beschwerdewert von 418,27 ¤.
Gründe:
Die gem. §§ 11 Abs. 1 RpflG, 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, 568, 569 ZPO zulässige sofortige
Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Die Beschwerde ist zulässig. Ausweislich der Erinnerungs- bzw. Beschwerdeschrift vom 24.11.2004
hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zwar persönlich das Rechtsmittel eingelegt, da sie die
"Ich"-Form verwendet hat. Eine solche Beschwerde wäre unzulässig, denn diese steht nur der
beschwerten Partei und nicht der Prozessbevollmächtigten zu (vgl. Herget in: Zöller, ZPO, 25.
Auflage, § 104 Rdn. 11 [m.w.N.]). Nachdem die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom
27.06.2005 jedoch klar gestellt hat, dass der Rechtsbehelf für die beschwerte Klägerin, eingelegt
wurde, bestehen gegen die Zulässigkeit der Beschwerde keine Bedenken mehr.
II.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist im vorliegenden Verfahren zwar nicht gem. § 134
BRAGO allein auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des unbedingten Auftrages zur Durchführung des
Berufungsverfahrens abzustellen (1.), vielmehr war für die Berechnung der Verhandlungsgebühr die
Kürzungsregelung der Anlage I, Kap. III, Sachgeb. A, Abschn. III Ziff. 26 a S. 1 EinigungsV in
Verbindung mit § 1 der Ermäßigungs-AnpassungsV aufgrund der Entscheidung des
Bundesverfassungsgericht vom 28.01.2003, Az.: 1 BVR 487/01 (NJW 2003, 737) nicht mehr
anzuwenden (2.). Allerdings hat die Klägerin unberechtigt die Erhöhungsgebühr gem. § 6 BRAGO
290
abgerechnet (3.), so dass die Beschwerde im Ergebnis keinen Erfolgt hat.
1. Zu Unrecht hat der Rechtspfleger im vorliegenden Verfahren gem. § 134 BRAGO die Vergütung
nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des unbedingten Auftrages zur Durchführung des
Berufungsverfahrens berechnet und folglich die 10 %ige Kürzung nach der Anlage I, Kap. III,
Sachgeb. A, Abschn. III Ziff. 26 a S. 1 EinigungsV in Verbindung mit § 1 der ErmäßigungsAnpassungsV auf die Ermittlung der gesamten Rechtsanwaltsgebühren für die zweite Instanz
angewendet.
a) Nach § 134 BRAGO ist die Vergütung nur dann nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der
unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor In-Kraft-Treten einer
Gesetzesänderung erteilt worden ist. Eine solche liegt hier nicht vor.
b) Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 28.01.2003, Az.: 1 BVR 487/01
(NJW 2003, 737) die oben genannte Vorschrift des Einigungsvertrages mit Art. 3 Abs. 1 GG für
unvereinbar erklärt, gleichzeitig jedoch festgesetzt, dass die Regelung bis zum In-Kraft-Treten einer
verfassungsgemäßen Neuregelung - längstens bis zum 31.12.2003 - weiter anzuwenden ist. Das
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hatte gem. §§ 13 Nr. 8a, 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVerfGG
Gesetzeskraft. Gleichwohl ist es einer Gesetzesänderung im Sinne von § 134 BRAGO nicht
gleichzusetzen, da das Urteil seinerseits eine Regelung für den Zeitpunkt der Beachtung der
Verfassungswidrigkeit der Regelung des Einigungsvertrages und damit quasi einer eigene
Übergangsregelung enthält; insoweit geht das Urteil des Bundesverfassungsgericht als speziellere
Regelung § 134 BRAGO vor.
2. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.01.2003 kann sich jedoch
logischerweise nicht auf bereits bis zum 31.12.2003 entstandene Anwaltsgebühren beziehen. Für die
Frage, ob die genannte Kürzungsregelung des Einigungsvertrages eingreift, ist daher der jeweilige
Entstehungszeitpunkt der Gebühr ausschlaggebend. Würde sich die Höhe der Gebühren der
beteiligten Rechtsanwälte (90 % oder 100 %) nach dem bloßen Zeitpunktes der Einreichung und/oder
Bearbeitung des Kostenfestsetzungsantrages bzw. des Entscheidungszeitpunktes der jeweiligen
Beschwerdeinstanz richten, würden sich vielfach rein zufällige Ergebnisse ergeben, wenn
beispielsweise der zuständige Rechtspfleger Urlaub hat, erkrankt ist oder sich die Entscheidung aus
einem anderen (unvorhersehbaren) Grund über den 31.12.2003 verzögert.
a) Die Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) hat das Landgericht daher nach der Anlage I, Kap.
III, Sachgeb. A, Abschn. III Ziff. 26 a S. 1 EinigungsV in Verbindung mit § 1 der ErmäßigungsAnpassungsV zu Recht um 10% reduziert.
aa) Der Anspruch auf die Prozessgebühr entsteht, sobald der Rechtsanwalt von einer Partei zum
Prozessbevollmächtigten in einem Prozessverfahren bestellt worden ist und er eine unter die
Prozessgebühr fallende Tätigkeit ausgeübt hat (vgl. von Eicken in: Gerold/Schmidt/von Eicken/
Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Kommentar, 15. Auflage, § 31 Rdn. 10
[m.w.N.]). In der Regel entsteht danach die Prozessgebühr bereits mit der Entgegennahme der ersten
Information nach Erteilung des Auftrages. Es kommt nicht etwa darauf an, wann sich der
Rechtsanwalt bei Gericht bestellt hat (vgl. von Eicken, a.a.O.). Für die Entstehung der Gebühr ist
damit nur entscheidend, dass der Rechtsanwalt auftragsgemäß in der Rechtsmittelinstanz tätig
geworden ist. Mit der einmal entstandenen Prozessgebühr werden alle Tätigkeiten abgegolten, die zu
dem jeweiligen Rechtszug gehören, falls nicht für sie eine besondere Gebühr vorgesehen ist oder es
sich um ein besonderes Verfahren handelt.
bb) Im vorliegenden Fall ist die Prozessgebühr, wie auch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im
Schriftsatz vom 17.06.05 ausgeführt hat, folglich am 18.11.02 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt galt
die o. g. Ermäßigungsvorschrift noch, sodass die Prozessgebühr um 10 % zu ermäßigen war.
b) Dieses gilt jedoch nicht für die Verhandlungsgebühr gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO. Diese setzt
eine Tätigkeit der Parteien voraus, bei der sie vor dem Gericht den Rechtsstreit verhandeln, d. h. im
Zivilprozess nach § 137 ZPO die Anträge stellen. Dieses ist hier ausweislich des Terminsprotokolls
(Bl. 797 d.A.) am 28.05.04, d.h. nach der vom Verfassungsgericht festgesetzten Übergangsfrist,
erfolgt. Es ist daher die geltend gemachte 6,5/10 Verhandlungsgebühr ohne die 10%ige Kürzung nach
der o. g. Vorschrift zu bewilligen, d. h. um 39,39 ¤ zu erhöhen.
3. Der Klägerin steht jedoch die beantragte Erhöhungsgebühr gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO in Höhe
291
von insgesamt 1.751,88 ¤ netto (entspricht 4 x 3/10 von 13/10 der Prozessgebühr) nicht zu, so dass
die Korrektur des Kostenfestsetzungsbeschlusses in Höhe von 39,39 ¤ zu Gunsten der Klägerin zu
unterbleiben hat..
a) Streitgegenstand der Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren ist der Saldo, so dass das
Verschlechterungsverbot dem Austausch von Positionen bei unveränderten Endergebnis nicht
entgegensteht (vgl. Gummer: Zöller, ZPO, 25. Auflage, § 572 Rdn. 40 m.w.N.).
b) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft vom
29.01.2001 (BGHZ 146, 341) ist nach Ablauf einer gewissen Übergangszeit für die Anwendbarkeit von
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO jedenfalls beim Aktivprozess einer BGB-Gesellschaft kein Raum mehr (vgl.
BGH, Beschl. vom 05.01.2004 - Az. II ZB 22/02). Vorliegend ist die BGB-Gesellschaft im Aktivprozess
als Berufungsklägerin aufgetreten. Zwar werden im Rubrum der Berufung noch alle Gesellschafter
einzeln aufgeführt, gleichwohl wurde aus der Berufungsbegründung deutlich, dass die Kläger die
Forderung als Gesamthandsgläubiger geltend machen, was für die BGB-Gesellschaft vor der
Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu deren Parteifähigkeit typisch war (vgl. auch § 718 Abs. 1
BGB). Insoweit war durch eine Rückfrage gem. § 139 ZPO zu klären, ob die Kläger gleichwohl als
Einzelpersonen oder trotz des missverständlichen Rubrums als BGB-Gesellschaft auftreten. Nach der
Korrektur des Rubrums im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht war
allerdings klargestellt, dass es sich hier um einen Gesellschaftsprozess handelt. Da die BGBGesellschaft in Wahrheit nur als solche auftritt, lag keine Mehrheit von Auftraggebern vor und es kam
folglich eine Erhöhungsgebühr nicht in Betracht (vgl. Hartmann in: Kostengesetze, 32. Auflage, § 6
BRAGO Rdn. 7 "BGB-Gesellschaft").
III.
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO und der Beschwerdewert aus § 47 Abs. 1
GKG.
2. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht
erfüllt sind.
a) Die Frage der Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO bei einem Aktivprozess einer BGBGesellschaft hat der Bundesgerichtshofes bereits entschieden (s.o.).
b) Im Übrigen hat die Sache im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Anlage I, Kap. III, Sachgeb. A,
Abschn. III Ziff. 26 a S. 1 EinigungsV in Verbindung mit § 1 der Ermäßigungs-AnpassungsV entgegen
der Ansicht der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung. Eine solche läge nur vor, wenn eine
klärungsbedürftige Frage zu entscheiden wäre, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von
Fällen zu erwarten wäre (h M; vgl. BGH NJW 2003, 2319; Gummer in: Zöller, ZPO, 25. Auflage, § 543
Rdn. 11 [m.w.N.]). Dieses ist vorliegend nicht der Fall. Diese Rechtsfrage betrifft nur wenige Fälle,
denn sie ist nur dann entscheidungserheblich, wenn die 10%ige Kürzung ausschließlich auf Satz 1 der
genannten Regelung des Einigungsvertrages zurückzuführen ist, gleichzeitig der unbedingte Auftrag
vor dem 01.01.2004 erteilt wurde und die Verhandlung erst nach dem 31.12.2003 beendet wurde. Es
sind daher lediglich für eine kurze Übergangsfrist wenige relevante Fälle zu erwarten, sodass die
Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen. Darüberhinaus wäre die
Anwendbarkeit der Kürzungsregelung aus dem Einigungsvertrag letztlich aufgrund der unberechtigten
Gewährung der Erhöhungsgebühr gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO auch nicht entscheidungserheblich
(vgl. Gummer in: Zöller, ZPO, 25. Auflage, § 543 Rdn. 6a [m.w.N.]).
Streitwert
Bei einer Klage auf Erteilung einer Löschungsbewilligung nach Wegfall des Sicherungszwecks ist
der Streitwert auf 20 % des restlichen Nominalwertes des Grundpfandrechts festzusetzen, sofern
der Kläger nicht konkrete weitere Nachteile für ihn vorträgt (Anschluss an Beschl. d. 4.
Zivilsenats d. OLG Celle v. 5. September 2000, NJWRR 2001, 712).
292
OLG-CELLE: 16 W 11/04, Beschluss vom 23.02.2005
Verfahrensgang:
LG Stade 5 O 242/03 vom 23.12.2004
Stichworte: Streitwert für Klage auf Löschungsbewilligung
16 W 11/04
Beschluss
In dem Rechtsstreit
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter ... sowie die
Richter ... und ... am 23. Februar 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Streitwertbeschluss der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Stade vom 23. Dezember 2004 unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt geändert:
Der Streitwert wird auf die Gebührenstufe bis 19.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Parteien haben um die Löschung einer Sicherungsgrundschuld gestritten.
Die Kläger kauften 1998 vom Beklagten dessen hälftigen Miteigentumsanteil an einem
Grundstück in N. Sie übernahmen dabei die dinglichen Belastungen sowie die damit
zusammenhängenden schuldrechtlichen Verpflichtungen. In Abt. II des Grundbuchs ist insoweit
eine Reallast (Leibrente mit Wertsicherungsklausel) für die Eheleute C. eingetragen. Die Kläger
verpflichteten sich nach dem Kaufvertrag, "Erklärungen dieser Gläubiger zu beschaffen,
ausweislich derer der Verkäufer - vorbehaltlich der Eigentumsumschreibung auf den Käufer - aus
der Schuldhaft den Gläubigern gegenüber entlassen wird".
Sie verpflichteten sich ferner, sofern sie die entsprechenden Schuldhaftentlassungserklärungen
der Gläubiger nicht binnen einer Frist von zwei Monaten vorlegen könnten, zugunsten des
Beklagten als Verkäufer eine Buchgrundschuld in Höhe von 180.000 DM zu bestellen, "mit der die
Freihalteansprüche des Verkäufers gegenüber den Käufern dinglich zu sichern sind".
Da es den Klägern nicht gelang, innerhalb der vereinbarten Frist von zwei Monaten eine
Schuldhaftentlassungserklärung der Eheleute C. vorzulegen, kam es zur Eintragung der
genannten Grundschuld. Nachträglich, nämlich am 4. Februar 2004, gaben die Eheleute C. die in
dem Kaufvertrag vorgesehene Schuldhaftentlassungserklärung betreffend ihren
Leibrentenanspruch ab. Nunmehr traten die Kläger an den Beklagten heran und verlangten von
diesem, seine Zustimmung zur Löschung der eingetragenen Grundschuld in Höhe von 92.032,54
EUR (DM 180.000) zu erteilen, Zug um Zug gegen Aushändigung der
Schuldhaftentlassungserklärung der Eheleute C. vom 4. Februar 2004. Nachdem der Beklagte
hierauf zunächst nicht einging und die Auffassung vertrat, die Schuldhaftentlassungsbestätigung
der Eheleute C. müsse notariell beurkundet werden, zudem solle die Löschung der Eintragung der
Leibrente im Grundbuch erklärt werden, kam es zum vorliegenden Rechtsstreit, in dem der
Beklagte durch Schriftsatz vom 11. Oktober 2004 zunächst Verteidigungsbereitschaft anzeigte, in
weiterem Schriftsatz vom 21. Oktober 2004 sodann ein Anerkenntnis abgab. Durch
Anerkenntnisurteil wurde der Beklagte dementsprechend verurteilt, seine Zustimmung zur
Löschung der Grundschuld zu erteilen, Zug um Zug gegen Aushändigung der
Schuldhaftentlassungserklärung der Eheleute C.
293
Das Landgericht hat den Streitwert durch den angefochtenen Beschluss auf den Nominalwert der
Grundschuld, also auf 92.032,54 EUR (180.000 DM) festgesetzt. Hiergegen richtet sich die
Beschwerde des Beklagten, mit der er geltend macht, nach Vorlage der
Schuldhaftentlassungserklärung der Rentenberechtigten sei der Sicherungsgrund weggefallen,
sodass die tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits sich auf die Löschungskosten
reduziert habe.
II.
Die Beschwerde des Beklagten, mit der dieser eine dem wirtschaftlichen Interesse der Kläger
gerecht werdende Herabsetzung des Streitwertes erstrebt, hat dahin überwiegend Erfolg, dass
der Wert nicht, wie vom Landgericht, auf den vollen Nominalwert der Grundschuld, sondern nur in
Höhe von 20 % dieses Wertes (ca. 18.400 EUR), mithin auf die Gebührenstufe bis 19.000 EUR
festzusetzen ist.
Der Senat folgt insoweit der bereits vom 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle in seinem
Beschluss vom 5. September 2000 vertretenen Auffassung, wonach bei einer Klage auf Erteilung
einer Löschungsbewilligung der Streitwert auf die vom Beklagten geltend gemachte
Restforderung zuzüglich 20 % des restlichen Nominalwertes des Grundpfandrechts festzusetzen
ist, sofern der Kläger nicht konkrete weitere Nachteile für ihn vorträgt (NJWRR 2001, 712).
Wie in dieser Entscheidung ausgeführt wird, wäre eine strikte Anwendung des § 6 ZPO, nach dem
der volle Nominalwert maßgeblich sein würde, wegen des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
ergebenden Justizgewährungsanspruchs verfassungsrechtlich bedenklich (vgl. BVerfG NJWRR
2000, 946). Es ist erforderlich, die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für die klagende
Partei mit zu berücksichtigen, um eine rechtsstaatlich nicht mehr zu vertretende Beeinträchtigung
durch die Kosten einer Gerichtsinstanz zu vermeiden. Liegt die wirtschaftliche Bedeutung weit
unter dem Nominalwert, ist der Streitwert in verfassungskonformer Auslegung des § 6 ZPO i. V.
m. § 3 ZPO entsprechend niedriger festzusetzen.
Indes können nicht allein die Restforderung und, wenn eine solche nicht ersichtlich ist, nur die
Löschungskosten, maßgeblich sein. Denn auch wenn eine Grundschuld nicht mehr valutiert, wird
die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks durch die dingliche Belastung erheblich eingeschränkt. Um
diesem Gesichtspunkt angemessen Rechnung zu tragen, ist der Streitwert in Höhe von 20 % des
nicht mehr valutierenden Nominalbetrages zuzüglich einer eventuellen Restforderung, um die
gestritten wird, festzusetzen. Diese Kriterien tragen sowohl der zitierten Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts als auch den Interessen der Prozessparteien angemessen
Rechnung.
Der erkennende Senat schließt sich dem für den vorliegenden Fall an, mit der Folge, dass der
Streitwert, wie geschehen, in Höhe von 20 % des Nominalwertes festzusetzen ist. Denn nach
Vorlage der Schuldhaftentlassungserklärung der Eheleute C. betreffend ihren Leibrentenanspruch
war der Sicherungszweck weggefallen. Damit valutierte die Grundschuld nicht mehr.
Ein darüber hinausgehendes Interesse der Kläger, die Grundschuld löschen zu lassen, ist nach
deren Vortrag nicht erkennbar. Insbesondere hatte der Beklagte nicht zu erkennen gegeben, dass
er die Grundschuld, die ihm nur zur Sicherheit für die Freistellung von der Leibrentenverpflichtung
bestellt worden war, trotz Wegfall des Sicherungszwecks weiterhin für sich in Anspruch nehmen
wollte. Vielmehr hatte er, wie sich aus dem Klagevortrag erschließen lässt, lediglich Bedenken, ob
er durch die notariell nicht beurkundete Schuldhaftentlassungserklärung in Anbetracht der
weiterhin im Grundbuch eingetragenen Reallast ausreichend abgesichert sei oder nicht doch
wegen des Leibrentenanspruchs von den Eheleuten C. in Anspruch genommen werden könnte.
Nachdem es deshalb zum vorliegenden Rechtsstreit gekommen ist, hat der Beklagte sodann zwar
zunächst pauschal seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt, jedoch bereits 10 Tage später in
der ersten sachlichen Stellungnahme erklärt, er erkenne den Anspruch der Kläger nach Prüfung
der Sach- und Rechtslage nunmehr an. Dies dokumentiert die grundsätzliche Bereitschaft des
Beklagten, bei Entlassung aus der schuldrechtlichen Leibrentenverpflichtung die zur Sicherung
gegebenen Grundschuld freizugeben. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, inwiefern
das wirtschaftliche Interesse der Kläger an der Löschung der Grundschuld deren vollen
Nominalbetrag ausmachen sollte, wie die Kläger meinen.
294
Eine Streitwertbeschwerde zum Oberlandesgericht gegen Wertfestsetzungen des Landgerichts
als Berufungsgericht ist unzulässig.
Das nächsthöhere Gericht als Beschwerdegericht i.S. des § 66 Abs. 3 Satz 2 GKG ist - nur im
Fall der Rechtsmittelzulassung - der Bundesgerichtshof.
OLG-CELLE: 11 W 87/05, Beschluss vom 15.11.2005
Verfahrensgang:
LG Hannover 8 S 97/04 vom 15.09.2005
AG Hannover 565 C 10764/04
Stichworte: Streitwertbeschwerde, Beschwerdegericht, nächsthöheres Gericht
11 W 87/05
Beschluss
In der Beschwerdesache
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am
Oberlandesgericht ... am 15. November 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Beklagten vom 30. September 2005 gegen den Streitwertbeschluss des
Landgerichts Hannover vom 15. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Mit der Beschwerde begehren die Beklagten eine Heraufsetzung des Streitwerts eines durch
Vergleich im landgerichtlichen Berufungsverfahrens beendeten Mietrechtsstreits.
Die klagende Vermieterin hatte ursprünglich den Wert des Rechtsstreits, mit dem sie den Abbau
einer Parabolantenne durch die beklagten Mieter begehrte, in der Klage mit 3.000 EUR
angegeben. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem
Amtsgericht hat dieses den Streitwert nach Anhörung der ohne Parteien anwesenden
Parteienvertreter auf 2.100 EUR festgesetzt.
Das gegen das amtsgerichtliche Urteil angestrengte Berufungsverfahren endete durch Vergleich,
in welchem die Kosten des Rechtsstreits so verteilt wurden, dass die Kosten erster Instanz die
Klägerin zu zahlen hat, die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufgehoben wurden.
Das Landgericht hat den Streitwert auf 1.000 EUR festgesetzt; es hat in seinem
Nichtabhilfebeschluss vom 12. Oktober 2005 ausgeführt, dass es den Aufwand für das Entfernen
der nicht fest montierten Antenne auf bis zu 100 EUR schätze; das allgemeine Interesse der
Beklagten an einem Satellitenempfang könne allenfalls mit den für Montage und Anschluss der
Antenne auf dem Dach erforderlichen Kosten berücksichtigt werden, die sich auf eine
Größenordnung von ca. 500 EUR beliefen. Deutlich höhere Kosten hierfür hätten die Beklagten
lediglich behauptet, nicht aber belegt.
295
II.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Beklagten haben nichts dafür aufgezeigt, warum eine
Höherfestsetzung des Wertes angesichts des durch Anträge und Sachvortrag bestimmten
Gegenstands des Rechtsstreits angemessen wäre. Der allein zur Begründung der Beschwerde
angeführte Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten der Parteien in der mündlichen
Verhandlung übereinstimmend einen Gegenstandswert von 2.100 EUR angegeben haben, ist für
sich genommen ohne Belang für die zutreffende Schätzung des durch den Klageantrag
vorgegebenen und begrenzten Gegenstand des Rechtsstreits.
Angesichts des Vorstehenden kann für den Streitfall offen bleiben, ob die Beschwerde überhaupt
zulässig wäre. Es bestehen zum einen Bedenken hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses. Die
Beklagten, in deren Namen die Beschwerde bisher erhoben ist, sind durch die angegriffene
vermeintlich zu niedrige Festsetzung des Streitwerts nicht beschwert. Der Bevollmächtigte der
Beklagten hat trotz gerichtlichen Hinweises nicht erklärt, den Rechtsbehelf in eigenem Namen (§
32 RVG) erhoben zu haben.
Ob eine Streitwertbeschwerde gegen Wertfestsetzungen des Landgerichts als Berufungsgericht
überhaupt eröffnet ist, erscheint dem Senat ebenfalls zweifelhaft; er hätte die Frage, wäre es auf
sie angekommen, eher verneint. Zwar wollte der Gesetzgeber möglicherweise eine solche
Beschwerdemöglichkeit eröffnen vgl. BAnz v. 24. April 2004, S. 99 ff; tatsächlich ist dies jedoch
nicht gelungen. Beschwerdegericht ist in den Fällen der Beschwerde nach dem GKG das
nächsthöhere Gericht (§ 66 Abs. 3 Satz 2 GKG). Als nächsthöheres Gericht wird dasjenige
Gericht angesehen, das im Instanzenzug in der Hauptsache als nächstes zur Entscheidung
berufen wäre (vgl. Hartmann, KostG, 34. Aufl., § 66 Rn 42). Im Streitfall wäre dies - allerdings nur
im Fall der Rechtsmittelzulassung - der Bundesgerichtshof, denn ein Rechtsbehelf in der
Hauptsache gegen Berufungsentscheidungen der Landgerichte zum Oberlandesgericht ist nicht
eröffnet.
Mithin ist das Oberlandesgericht nicht zuständiges Beschwerdegericht. Eine Beschwerde zum
Bundesgerichtshof als nächsthöherem Gericht, ist durch § 66 Abs. 3 Satz 3 ausgeschlossen,
weshalb sie ebenfalls unzulässig wäre. Mithin stellte sich der Rechtsbehelf insgesamt als
unzulässig dar.
1. Hat sich der Mandant vor Einschaltung des Rechtsanwalts mit dem Gegner schon teilweise
geeinigt, so richtet sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts nach dem Wert des noch
nicht erledigten Gegenstandes (hier: Streit um Lizenzgebühren).
2. Bei der Bemessung der Rahmengebühr (§ 12 BRAGO a.F. = § 14 RVG) ist das Gericht nicht
an das Gutachten der Rechtsanwaltskammer gebunden.
OLG-DUESSELDORF: I-24 U 220/04, Urteil vom 05.07.2005
Verfahrensgang:
LG Düsseldorf 5 O 4/03 vom 13.10.2004
Rechtskraft: JA
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I-24 U 220/04
Verkündet am 5. Juli 2005
296
In dem Rechtsstreit
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die am 7. Juni 2005 geschlossene
mündliche Verhandlung unter Mitwirkung seiner Richter Z, E und T
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das
am 13. Oktober 2004 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 2.321,92
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.
September 2002 zu zahlen.
Die Kosten beider Rechtszüge werden dem Kläger zu 83%, dem Beklagten zu 17% auferlegt mit
Ausnahme derjenigen Kosten, welche durch die Anrufung des Landgerichts Berlin entstanden und
vom Kläger allein zu tragen sind.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
Das Rechtsmittel der Beklagten, mit welchem sie ihre Verurteilung zur Honorarzahlung (13.801,28
EUR nebst gesetzlichen Verzugszinsen) bekämpft, hat überwiegend Erfolg. Sie schuldet dem
klagenden Rechtsanwalt unter Berücksichtigung der außergerichtlichen Teilzahlung (5.000 EUR)
nur noch ein Resthonorar in Höhe von 2.321,92 EUR.
I. Das dem Kläger gemäß §§ 611, 612 Abs. 2, 675 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO), die gemäß § 61
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wegen der Auftragserteilung vor dem 01. Juli 2004 in der
bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist, zustehende Honorar errechnet sich
wie folgt:
01 Gegenstandswert: 621.000 EUR
02 7,5/10-Geschäftsgebühr, §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 1.716,00 EUR
03 5/10-Besprechungsgebühr, §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 1.144,00 EUR
04 15/10-Vergleichsgebühr, §§ 11, 23 Abs. 1 S. 1 BRAGO 3.432,00 EUR
05 Post- und Telekommunikationspauschale, § 26 BRAGO 20,00 EUR
06 Zwischensumme 6.312,00 EUR
07 16% Mehrwertsteuer, § 25 Abs. 2 BRAGO 1.009,92 EUR
08 Honorar 7.321,92 EUR
09 Vorschuss, §§ 17, 18 Abs. 2 BRAGO - 5.000,00 EUR
10 Resthonorar 2.321,92 EUR
II. Erläuterungen:
1. Der Gegenstandswert der in Auftrag gegebenen Geschäftsbesorgung beträgt nicht, wie das
Landgericht (dem Kläger folgend) angenommen hat, 1.286.115,50 EUR, sondern nur 621.000
EUR (Zeile 01).
a) Die Gebühren des Rechtsanwalts werden gemäß § 7 Abs. 1 BRAGO (jetzt § 2 Abs. 1 RVG)
nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand seiner Tätigkeit hat. Unter dem Gegenstand ist
das Recht oder Rechtsverhältnis (auch Streitgegenstand oder Streitverhältnis genannt) zu
verstehen, auf welches sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach dem Inhalt des erteilten
Auftrags bezieht (vgl. BGH MDR 1976, 742). Geht es wie hier um außergerichtliche Tätigkeiten
des Rechtsanwalts, sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (jetzt § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG) zur
Bewertung der bearbeiteten Gegenstände die für das gerichtliche Verfahren maßgeblichen
Wertvorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der jeweils maßgeblichen (hier in der bis
297
zum 30. Juni 2004 geltenden) Fassung (nachfolgend GKG a.F. genannt) heranzuziehen, wenn die
außergerichtliche Tätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens hätte sein können.
Dafür genügt es, dass ohne eine außergerichtliche Regelung die gerichtliche Auseinandersetzung
der Beteiligten unumgänglich wäre und dass zwischen der außergerichtlichen Tätigkeit des
Rechtsanwalts und derjenigen in einem etwaigen nachfolgenden Gerichtsverfahren ein innerer
Zusammenhang bestehen würde (vgl. BGH NJW 1997, 188 sub Nr. 2; Senat OLGR Düsseldorf
2005, 651, Urt. v. 12.04.2005 -I 24 U 66/04- sub Nr. I.2b und I.3 m.w.N., z.V. b.). So verhält es
sich im Streitfall.
b) Wäre es nicht zu dem außergerichtlichen Vergleich gekommen, hätten sich die Beklagte und
ihre Lizenznehmerin R-GmbH (nachfolgend: Lizenznehmerin) über die gegenseitig erhobenen
Ansprüche gerichtlich auseinandersetzen müssen. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich
deshalb mangels einer besonderen kostenrechtlichen Bestimmung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1
GKG a.F. (jetzt § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG), § 3 ZPO nach dem Interesse der Beklagten im Zeitpunkt
der Auftragserteilung bzw. einer werterhöhenden Auftragsänderung (§ 15 GKG a.F., jetzt § 40
GKG).
aa) Im Streitfall maßgeblich für die Bestimmung des Auftragsumfangs ist zwar entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht der dem Kläger zunächst erteilte (eingeschränkte) Auftrag von
März/April 2002 zur Frage der Durchsetzung der Lizenzgebührenforderung in Höhe von 160.500
DM, sondern der (erweiterte) Auftrag vom 15./21. Mai 2002, in welchem es (auch) um die Abwehr
der geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Lizenznehmerin ging. Entgegen ihrer
Behauptung hat die Beklagte den Kläger auch insoweit beauftragt. Das ergibt sich aus dem
Schreiben des Klägers vom 15. Mai 2002, in welchem Bezug genommen wird auf eine Lösung,
die Gegenstand des Gutachtens (des Klägers) vom 07. Mai 2002 sub Nr. II.4 gewesen ist und die
beiderseitigen Ansprüche erfasst. Dieses Angebot hat die Beklagte spätestens mit Schreiben vom
27. Mai 2002 angenommen. Dort billigt sie nämlich die vom Kläger vorgeschlagene
Vorgehensweise.
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers ging es im Zeitpunkt der Auftragserteilung von Mai 2002
aber nicht mehr um abzuwehrende Schadensersatzansprüche der Lizenznehmerin in ursprünglich
geltend gemachter Höhe von mehr als 2,5 Mio. DM, sondern nur noch um solche in Höhe von
621.000 DM. Das ergibt sich aus dem Schriftwechsel, den die Beklagte vor Auftragserteilung mit
der Lizenznehmerin geführt und welche dem Kläger bei der Bearbeitung des Mandats vorgelegen
hat.
Die Höhe der von der Lizenznehmerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche war
zunächst streitig. Mit Schreiben vom 25. Februar 2002 machte die Lizenznehmerin dann nur noch
Schadensersatzansprüche in Höhe von 621.000 DM geltend, die sie in der Folgezeit in der mit
dem Kläger namens der Beklagten geführten Korrespondenz nicht wieder erweiterte. Damit ist
das Interesse der Beklagten im Sinne des § 3 ZPO und gleichzeitig der Auftragsumfang definiert.
Daran vermag auch nichts der Umstand zu ändern, dass der Kläger in der Korrespondenz mit der
Lizenznehmerin deren Schadensersatzforderung in ursprünglicher Höhe angesprochen hatte.
Denn die historische Nachzeichnung des Konflikts führte nicht zu einer Auftragserweiterung,
sondern diente nur der Sachverhaltsdarstellung.
2. Der Senat folgt auch nicht dem Landgericht darin, dass dem Kläger die in Ansatz gebrachte
Geschäftsgebühr von 10/10 zusteht. Angemessen ist nur die Mittelgebühr von 7,5/10 (Zeile 02).
a) Geht es wie bei dem hier anzuwendenden § 118 Abs. 1 BRAGO um den Ansatz einer Gebühr
im Rahmen von 5/10 bis 10/10 (Rahmengebühr), richtet sich deren Angemessenheit gemäß § 315
Abs. 1 BGB, § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach
der Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten, nach dem Umfang und der Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit sowie nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des
Auftragsgebers. Der Rechtsanwalt hat bei der Leistungsbestimmung einen zu respektierenden
Ermessensspielraum. Im Streitfall hat der Kläger mit Blick darauf, dass es immerhin um die
Abweichung im Umfange einer Viertelgebühr geht, den ihm zustehenden Ermessensspielraum
verlassen, ohne dass der Senat hier entscheiden müsste, wo genau die Grenze verläuft (vgl. BGH
NJW 2004, 1043 sub Nr. II.3). Das vom Landgericht gemäß § 12 Abs. 2 BRAGO eingeholte
Gebührengutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer dient der Kontrolle des
anwaltlichen Billigkeitsermessens durch das Prozessgericht, bindet es aber nicht, sondern
unterliegt der freien richterlichen Würdigung, § 286 ZPO (BGH aaO).
298
aa) Der Senat folgt dem angefochtenen Urteil darin, dass die Bedeutung der Angelegenheit für die
Beklagte überdurchschnittlich gewesen ist. Denn die Beklagte befürchtete zu Recht, im Falle von
(in der Branche immer wieder vorkommenden) Lizenzrechtsverstößen künftig Schadensersatz in
Geld leisten zu müssen. Statt dessen war sie sehr daran interessiert, einer in der Branche
verbreiteten und bisher auch mit der hiesigen Lizenznehmerin geübten Praxis gemäß deren
Vermögensnachteile gleichsam in Natur, nämlich in Gestalt verlängerter oder auf andere Sender
erweiterter Lizenzen für das verletzte oder das Recht an anderen Filmproduktionen, ausgleichen
zu dürfen. Die Beklagte wollte einen Präzedenzfall - Geldersatz - unbedingt vermeiden.
bb) Der Senat folgt nicht dem Landgericht, das in Übereinstimmung mit dem Gutachter den
Umfang und den Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit als überdurchschnittlich beurteilt.
Der Senat ist vielmehr der Auffassung, dass die Tätigkeit des Klägers eher unterdurchschnittlich
umfangreich und schwierig gewesen ist.
Aus der zur Verfügung gestellten Vorkorrespondenz konnte der Kläger den Sach- und Streitstand
mühelos feststellen. Mit Blick auf das Schreiben der Lizenznehmerin vom 22. Februar 2002
brauchte sich der Kläger auch nicht mit den früher umstrittenen Lizenzrechtsverstößen zu
beschäftigen. In tatsächlicher Hinsicht war nichts mehr aufzuklären. Die Forderungen beider
Seiten waren nach Grund und Höhe unstreitig, nachdem die Beklagte bereits vor Mandatierung
des Klägers gegenüber der Lizenznehmerin eingeräumt hatte, ihr durch (eingeräumte)
Lizenzrechtsverletzungen Schaden in zuletzt noch geltend gemachter Höhe (621.000 DM)
zugefügt zu haben. Das erteilte Rechtsgutachten ist in weiten Teilen abstrakter Natur und war
weder umfangreich noch schwierig. Die mit der Lizenznehmerin geführte Korrespondenz war
ebenfalls von geringem Umfang und erstreckte sich nur über einen kurzen Zeitraum.
In rechtlicher Hinsicht waren keine spezifisch urheberrechtlichen Fragen zu prüfen, weil die in
Rede stehenden Rechtsverletzungen evident und von der Beklagten zugestanden worden waren.
cc) Obwohl zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Beklagten kein konkreter
Vortrag vorliegt, kann aus den vorliegenden Indizien zugunsten des Klägers angenommen
werden, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten eher
überdurchschnittlich sind (vgl. den vorgetragenen Internetauftritt der Beklagten).
b) Unter Abwägung der maßgeblichen Kriterien kommt der Senat zu einem insgesamt
durchschnittlich gelagerten Fall, der ein Abweichen von der Mittelgebühr nicht rechtfertigt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Es besteht kein Anlass, die
Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.
Gerät eine isolierte Familiensache (hier: Umgangsregelung) durch Anhängigkeit einer
Scheidungssache kraft Gesetzes in den Verbund, richtet sich der Streitwert ab dann nach dem
GKG. Die hierbei möglichen unterschiedlichen Gebührentatbestände sind nach dem Grundsatz
einer Prozessverbindung zu behandeln, wobei bereits einmal entstandene Gebühren nicht durch
die nachträgliche prozessuale Veränderung in Wegfall kommen können, jedoch auf spätere
angerechnet werden.
OLG-FRANKFURT: 5 WF 201/05, Beschluss vom 23.11.2005
Verfahrensgang:
AG Frankfurt am Main 35 F 10299/04-64
Stichworte: Familiensache; Verbund; Streitwert
Gründe:
299
Der Antragsteller hat im September 2004 bei dem Amtsgericht einen Antrag auf Regelung des
Umgangs mit dem gemeinsamen Kind der Parteien, die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom
06.04.2005, der am 18.05.2005 zugestellt wurde, einen Antrag auf Scheidung der Ehe der
Parteien gestellt. Der Antragsteller hat nach Anhängigkeit der Ehesache mit Schriftsatz vom
23.06.2005 seinen Umgangsregelungsantrag zurückgenommen.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß den Streitwert für das
Umgangsregelungsverfahren auf 3000,00 EUR festgesetzt. Dagegen richtet sich die Beschwerde
des Antragstellers, der eine Wertfestsetzung auf 900,00 EUR aufgrund des § 48 Abs. 2 S. 3 2. Hs.
GKG für geboten hält.
Die Beschwerde ist entweder nach § 31 Abs. 3 KostO oder nach § 68 Abs. 1 GKG zulässig. Sie
führt zur Abänderung des Gegenstandswerts ab Anhängigkeit des Scheidungsantrags.
Bis zur Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens richtet sich der Wert der isolierten Familiensache
nach der Kostenordnung (§ 1 KostO) und damit nach § 30 Abs. 2 KostO. Insoweit ist die
Wertfestsetzung des Amtsgerichts zutreffend und beizubehalten. Mit der Anhängigkeit des
Scheidungsantrags nimmt das Umgangsregelungsverfahren ohne weiteres Kraft Gesetzes gemäß
§ 623 Abs. 2 Ziff 2 ZPO am Scheidungsverbund teil und ist demnach gemäß § 48 Abs. 3 S. 3
GKG iVm § 623 Abs. 2 ZPO mit 900,00 EUR zu bewerten. Insoweit war die Wertfestsetzung
abzuändern; der Wert erhöht den Verbundstreitwert.
Das Beschwerdeverfahren ist in beiden Verfahrensordnungen gerichtsgebührenfrei; Kosten sind
nicht zu erstatten.
Bei der Kostenfestsetzung ist zu berücksichtigen, daß das Verfahren insgesamt als eine
Angelegenheit zu behandeln ist. Dies ändert sich auch nicht deswegen, daß es durch die
Ausgestaltung des § 623 ZPO verschiedene gerichtliche Stadien durchläuft. Die hierbei möglichen
unterschiedlichen Gebührentatbestände sind nach dem Grundsatz einer Prozeßverbindung zu
behandeln, wobei bereits einmal entstandene Gebühren nicht durch die nachträgliche
prozessuale Veränderung in Wegfall kommen können, jedoch auf spätere Gebührentatbestände
anzurechnen sind (vergl. OLG Ffm, Beschluß vom 15.12.2000 - 1 WF 187/00 - zur
Veröffentlichung in hefam.de vorgesehen).
1. Setzt das Landgericht als Berufungsgericht für den Berufungsrechtszug den Streitwert fest,
findet hiergegen die Beschwerde statt. Zuständig für die Beschwerdeentscheidung ist das
Oberlandesgericht.
2. Eine Beschwer ist auch bei zuvor erklärtem Einverständnis mit der beabsichtigten
Streitwertfestsetzung zu bejahen (im Anschluss an OLG Celle, 16 W 46/05, NdsRpfl 2005, 324).
OLG-CELLE: 3 W 142/05, Beschluss vom 17.11.2005
Verfahrensgang:
LG Stade 2 S 83/04 vom 24.08.2005
Stichworte: Streitwertbeschwerde
3 W 142/05
Beschluss
In der Beschwerdesache
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Streitwertbeschwerde der Kläger vom
31. August 2005 gegen den Streitwertbeschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom
24. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am
300
Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ... am 17. November 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Landgerichts Stade vom 24. August 2005
abgeändert und der Streitwert auf 3.878,67 EUR festgesetzt.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren von der Beklagten die Zahlung rückständiger Rechtsanwaltsgebühren.
Mit Urteil vom 26. November 2004 hat das Amtsgericht Stade die Beklagte unter Abweisung der
Klage im Übrigen verurteilt, an die Kläger zur gesamten Hand 1.059,40 EUR nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 8. März 2002 zu zahlen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Landgericht Stade eingelegt und die
Aktivlegitimation der Kläger bestritten. Zusätzlich hat die Beklagte die Schlechterfüllung des
Rechtsanwaltsvertrages eingewandt. Der Auftrag sei dahin gegangen, die Rechtskraft ihres
Scheidungsverfahrens solange hinauszuzögern, bis die Beklagte eine 30jährige Ehezeit erreicht
hätte. Dieses Ziel sei wegen einer Pflichtverletzung der Kläger nicht erreicht worden. Daraus hat
die Beklagte einen Schaden abgeleitet, der zunächst in Höhe von 2.507,33 EUR für
Rückforderungsansprüche wegen überzahlten Trennungsunterhalts bestehe. In Höhe von 700,47
EUR habe sie zudem einen weiteren Schaden, da der Scheidungsunterhalt geringer ausgefallen
sei als der Trennungsunterhalt. Schließlich habe sie einen immateriellen Schaden dadurch
erlitten, dass sie durch das prozessuale Verhalten der Kläger im Scheidungsverfahren nicht mehr
eine 30jährige Ehezeit, die für sie eine ethische Wertgröße darstelle, erreicht habe. Die Beklagte
hat ihre vermeintlichen Gegenansprüche in der genannten Reihenfolge zur Aufrechnung gestellt.
Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen und in der Entscheidung aufrechenbare
Gegenansprüche der Beklagten verneint. Auf Antrag der Beklagtenvertreter hat das Landgericht
den Streitwert für das Berufungsverfahren nach Anhörung der Kläger mit Beschluss vom 24.
August 2005 auf 1.059,40 EUR festgesetzt. Die Kläger hatten zuvor in ihrer Stellungnahme
geäußert, der Streitwert folge dem Klageantrag.
Mit einem am 31. August 2005 beim Landgericht Stade eingegangenen Schriftsatz vom selben
Tage haben die Kläger Streitwertbeschwerde erhoben. Sie haben die Auffassung vertreten, die
Beklagte habe mit den zur Aufrechnung gestellten Forderungen in Wirklichkeit eine
Hilfsaufrechnung vorgenommen. Über die jeweiligen Gegenforderungen sei auch eine der
Rechtskraft fähige Entscheidung des Landgerichts ergangen, sodass hinsichtlich der ersten
Aufrechnungsposition 1.059,40 EUR zum Streitwert hinzuzuaddieren seien, der zweite
Gegenanspruch sei mit 700,47 EUR Streitwert erhöhend. Schließlich sei der geltend gemachte
Anspruch wegen immaterieller Schäden in Höhe mindestens der Klagesumme zu beziffern,
sodass weitere 1.059,40 EUR zum Streitwert hinzuzurechnen seien. Gemäß § 45 Abs. 3 GKG sei
der Streitwert damit auf insgesamt 3.878,67 EUR festzusetzen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat ausgeführt, eine Streitwerterhöhung sei nicht
vorzunehmen. Das Landgericht habe eine Pflichtverletzung der Kläger im Scheidungsverfahren
nicht erkennen können, die Gegenansprüche seien deshalb nicht zum Tragen gekommen.
Streitwertbestimmend sei damit einzig der Klageantrag.
Mit Beschluss vom 23. September 2005 hat das Landgericht der Streitwertbeschwerde nicht
abgeholfen. Es hat die Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 ZPO für unzulässig erachtet, weil mit
dem Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts keine Entscheidung erster Instanz ergangen sei.
Im Übrigen hat das Landgericht sodann die Streitwertbeschwerde als Gegenvorstellung ausgelegt
und insoweit ausgeführt, die Aufrechnung sei nach dem Wortlaut der Erklärung unbedingt und
nicht hilfsweise erklärt worden, § 45 Abs. 3 GKG finde somit keine Anwendung.
Hiergegen richten sich die Kläger mit einem am 11. Oktober 2005 beim Landgericht Stade
301
eingegangenen Schriftsatz, den sie mit "Gegenvorstellung sowie weitere Beschwerde"
überschrieben haben. Die Kläger rügen, dass das Landgericht die Beschwerde nicht nach § 68
Abs. 3 GKG, sondern nach der Zivilprozessordnung behandelt habe. Nach den - maßgeblichen Regelungen des Gerichtskostengesetzes sei eine Streitwertbeschwerde auch gegen eine
Festsetzung des Berufungsgerichts möglich.
Das Landgericht hat der "weiteren Beschwerde" nicht abgeholfen und die Akten dem
Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Die Beschwerde ist statthaft gemäß § 68 Abs. 1 GKG. Sie ist auch im Übrigen zulässig,
insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und die Beschwer der Kläger ist höher als 200 EUR.
Die Beschwer der Kläger ist auch nicht mit Blick auf ihre Erklärung, der Streitwert folge dem
Klageanspruch, zu verneinen. Zwar wird teilweise vertreten, nicht beschwert sei, wer sich zuvor
mit der Festsetzung eines bestimmten Streitwertes einverstanden erklärt habe (vgl. HansOLG
Hamburg, MDR 1977, 407; Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., 2005, GKG, § 68 Rdn. 9). Dabei
wird dogmatisch auf die formelle Beschwer abgestellt, die immer dann fehlt, wenn die gerichtliche
Entscheidung nicht hinter dem gestellten Antrag zurückbleibt. Dies ist für den Regelfall zutreffend,
kann jedoch auf die Streitwertfestsetzung nicht übertragen werden. Denn diese ist der Disposition
der Parteien entzogen, der Streitwert ist vielmehr von Amts wegen festzusetzen (vgl. OLG Celle,
NdsRpfl. 2005, 324 [325]). Auch die teilweise vertretene Auffassung, das Einverständnis mit der
Festsetzung eines bestimmten Streitwertes stelle einen Rechtsmittelverzicht dar (OLG Hamburg
a.a.O.), überzeugt nicht. Denn für das Hauptsacheverfahren ist allgemein anerkannt, dass ein
gegenüber dem Gegner oder dem Gericht vor Urteilserlass erklärter Rechtsmittelverzicht
unwirksam ist. Gründe, warum das Verfahren der Streitwertfestsetzung anders beurteilt werden
sollte, sind nicht ersichtlich (vgl. OLG Celle ebenda; OLG Köln, OLGR 2000, 119 [120]).
2. Bei der - inhaltlichen - Entscheidung ist auf den Schriftsatz der Kläger vom 31. August 2005
abzustellen. Dem als "weitere Beschwerde und Gegenvorstellung" überschriebenen Schriftsatz
vom 11. Oktober 2005 kommt keine selbständige Bedeutung zu. Das Landgericht hätte, soweit es
der Beschwerde nicht abhelfen wollte, die Akten unmittelbar an das Rechtsmittelgericht
weiterleiten müssen. In seinem Beschluss vom 23. September 2005 hat das Landgericht nämlich
übersehen, dass sich die Streitwertbeschwerde nicht nach den Vorschriften der
Zivilprozessordnung richtet und § 567 Abs. 1 ZPO vorliegend nicht anwendbar ist. Vielmehr findet
über § 72 Nr. 1, 2. Halbsatz GKG die Vorschrift des § 68 Abs. 1 GKG Anwendung. Anders als in
der vor dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz anzuwendenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 Satz
2 GKG a. F. enthält § 68 Abs. 1 GKG keinen Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidungen
des Rechtsmittelgerichts mehr. Bereits dies spricht dagegen, aus § 567 Abs. 1 ZPO den
allgemeinen Gedanken abzuleiten, dass eine Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheidungen der
zweiten Instanz nicht gegeben ist. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er die vorher in §
25 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F. enthaltene Rechtsmittelbeschränkung auch in das neue Recht
übernommen. Dass dies nicht auf einem Redaktionsversehen beruht, belegen auch die
Gesetzesmaterialien, die - zwar ohne weitere Erläuterung in der Begründung zum
Gesetzesentwurf davon ausgehen, dass mit der Neufassung nunmehr eine Streitwertbeschwerde
auch dann zulässig sein soll, wenn das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung
erlassen hat (vgl. BTDrs. 15/1971, S. 158).
3. Das zuständige Rechtsmittelgericht ist für die Fälle, in denen das Landgericht als
Berufungsgericht einen Streitwertbeschluss erlassen hat, das Oberlandesgericht. Zwar bestimmt
§ 66 Abs. 3 Satz 2 GKG, auf den § 68 Abs. 1 Satz 4 GKG verweist, das "nächst höhere Gericht"
als Beschwerdegericht. Im zivilprozessualen Instanzenzug würde dies für den Fall, dass das
Landgericht als Beschwerdegericht entschieden hat, für den nach dem
Gerichtsverfassungsgesetz allein denkbaren Fall der Rechtsbeschwerde der Bundesgerichtshof
sein. Bereits wegen § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, der bestimmt, dass eine Beschwerde an einen
obersten Gerichtshof des Bundes nicht stattfindet, verbietet sich eine solche Auslegung jedoch.
Denn damit liefe die gesetzgeberische Intention ins Leere. Die Auslegung des Begriffs des
"nächst höheren Gerichts" bestimmt sich danach allein anhand der Gerichtsorganisation. Hierfür
spricht auch die Formulierung des § 66 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz GKG. Wäre nämlich der
zivilprozessuale Instanzenzug gemeint, wäre die Vorschrift überflüssig. Denn ihr Inhalt ergäbe
sich bereits unmittelbar aus § 119 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GVG, wonach das Oberlandesgericht
Rechtsmittelgericht etwa für das Amtsgericht als Familiengericht ist. Die Vorschrift des § 66 Abs. 3
302
S. 2 GKG will demnach verhindern, dass als "nächst höheres Gericht" in diesen Fällen das nach
der Gerichtsorganisation vorgesehene Landgericht statt das Oberlandesgericht zuständig würde.
Dies führt zwar dazu, dass die Streitwertfestsetzung einer weiter gehenden Überprüfung unterliegt
als die Hauptsacheentscheidung. Dieses Ergebnis erscheint wenig zielführend, findet sich aber
sowohl im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut als auch dem gesetzgeberischen Willen.
4. Der Senat hat davon abgesehen, eine - inhaltliche - Abhilfeentscheidung des Landgerichts
einzuholen. Zwar sieht § 572 Abs. 1 ZPO vor, dass das Ausgangsgericht über die Abhilfe oder
Nichtabhilfe entscheiden muss. Insoweit ist zu fragen, ob eine echte Nichtabhilfeentscheidung
auch dann vorliegt, wenn das Ausgangsgericht ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung für
nicht gegeben ansah. Dies kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Einerseits ist eine
ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des
Beschwerdeverfahrens vor dem Beschwerdegericht (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 25. Aufl., 2005, §
572 Rn. 4). Andererseits lassen die Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 23.
September 2005 erkennen, dass sich das Landgericht auch inhaltlich mit dem Vorbringen der
Kläger auseinandergesetzt hat.
5. Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht § 45 Abs. 3 GKG nicht
angewendet. Die Vorschrift sieht eine Erhöhung des Streitwertes um den Wert der
Gegenforderung vor, soweit mit einer bestrittenen Gegenforderung nur hilfsweise aufgerechnet
wird und über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung eine der Rechtskraft fähige
Entscheidung ergeht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat einzelne ihr
nach ihrer Auffassung zustehende Gegenforderungen zur Aufrechnung gestellt und diese
Forderungen mit Ausnahme des immateriellen Ersatzanspruches auch beziffert. Die Aufrechnung
erfolgte auch nicht unbedingt, sondern hilfsweise. Zwar lässt der reine Wortlaut in der
Formulierung der Berufungsbegründung vom 22. Februar 2005 auf eine unbedingte Aufrechnung
schließen. Allerdings ist auch diese Erklärung mit Blick auf die übrigen Ausführungen
auslegungsbedürftig. Der Gesamtzusammenhang der Berufungsbegründung lässt eindeutig
darauf schließen, dass die Beklagte nach wie vor die Klageabweisung wegen fehlender
Aktivlegitimation der Kläger begehrte. Erst danach hat sie die Gegenansprüche in der Reihenfolge
ihrer Nennung zur Aufrechnung bestellt. Dieses Vorgehen entspricht deutlich einer
Hilfsaufrechnung. Schließlich stellte das Landgericht auch rechtskräftig fest, dass
Gegenansprüche der Beklagten nicht bestanden. Das Landgericht hat dabei zwar zunächst
allgemein eine Pflichtverletzung der Kläger verneint, insoweit aber zwangsläufig auch rechtskräftig
festgestellt, dass jeder einzelne von der Beklagten geltend gemachte Anspruch nicht besteht.
Damit sind alle Voraussetzungen für eine Wertaddition gemäß § 45 Abs. 3 GKG erfüllt. Es war
danach eine Streitwertaddition in der Form vorzunehmen, dass, jeweils begrenzt auf den
Klagewert, die einzelnen zur Aufrechnung gestellten Positionen hinzuzuaddieren waren. Dies gilt
auch für den geltend gemachten immateriellen Schaden. Aus dem Gesamtzusammenhang wird
deutlich, dass die Beklagte sich insoweit eines Anspruchs berühmte, der mindestens der
Klageforderung entsprach.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.
LG Berlin 5. Zivilkammer Beschluß vom 9. Mai 2005 5 O 162/05
Bemessung des Streitwerts: Berücksichtigung von nicht auf die Verfahrensgebühr
anzurechnenden Rechtsanwaltsgebühren
Leitsatz
Auch wenn Rechtsanwaltsgebühren, die nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 des
Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) nicht auf die Verfahrensgebühr des
gerichtlichen Verfahrens angerechnet werden, in einem Rechtsstreit mit einem eigenen
Sachantrag geltend gemacht werden, handelt es sich um eine Nebenforderung i.S. von § 4
303
Abs. 1 ZPO, die bei der Streitwertberechnung nicht zu berücksichtigen ist (vgl. auch: Enders,
JurBüro 2004, 57).
JurBüro 2005, 427 (Leitsatz und Gründe) RuS 2005, 444 (Leitsatz und Gründe) MDR 2005,
1318 (red. Leitsatz und Gründe)
BVerfG 1. Senat 3. Kammer stattgebender Kammerbeschluß vom 13. Juni 2005 1 BvR
2875/04
Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Grundrechts aus GG Art 3 Abs 1 in
seiner Ausprägung als Willkürverbot durch nicht mehr nachvollziehbar begründete
fachgerichtliche Entscheidung
Orientierungssatz
1. Zu den Voraussetzungen einer Verletzung des Grundrechtes aus GG Art 3 Abs 1 in seiner
Ausprägung als Willkürverbot vgl BVerfG, 26. Mai 1993, 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1 <13
f>.
2. Hier: Verletzung des Willkürverbotes durch die Versagung eines vertraglichen
Zahlungsanspruchs mit der Begründung, eine Stattgabe führe zu wirtschaftlichem Unsinn.
3. Festsetzung des Gegenstandswertes gem RVG § 37 Abs 2 S 2 Hs 2 auf 4000 Euro.
Tenor
1. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19. November 2004 4 S 86/04 - verletzt den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes; es wird
aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
angenommen.
2. ...
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4.000 EUR (in Worten:
viertausend Euro) festgesetzt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine zivilrechtliche Streitigkeit wegen einer aus einem
Sukzessivlieferungsvertrag über Werbezündholzbriefchen folgenden Zahlungsverpflichtung.
I.
1. Der Beschwerdeführer vertreibt mit seiner Einzelfirma Werbezündholzbriefchen mit nach
den Wünschen des Kunden gestaltetem Aufdruck. Im Jahre 1992 schloss er mit einer ein
Hotel betreibenden GmbH einen Vertrag über die Herstellung und Lieferung von 100.000
304
solchen Briefchen. Vereinbart wurden zehn Teillieferungen zu jeweils 10.000 Stück auf Abruf
sowie die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beschwerdeführers. Darin
befand sich unter anderem folgende Klausel:
10. Kommt der Besteller mit seiner Verpflichtung, ... weitere Zündhölzer abzurufen ... in
Verzug, kann <der Beschwerdeführer> die Restvergütung ganz oder teilweise fällig stellen. ...
In diesen Fällen hat der Besteller vorzuleisten. Nach Bezahlung der im Voraus abgerechneten
Vergütung ist <der Beschwerdeführer> verpflichtet, die bezahlte Ware insgesamt
auszuliefern.
Einer der Geschäftsführer der GmbH war der Beklagte des Ausgangsverfahrens. Ab Mitte des
Jahres 1998 war er Liquidator der Gesellschaft und führte schließlich das Hotel als
Einzelfirma bis zum Ende des Jahres 2001. Ab diesem Zeitpunkt war sein Sohn Inhaber der
Einzelfirma.
Im März 2000 und im Mai 2001 rief der Beklagte beim Beschwerdeführer die Teillieferungen
Nummer sieben und acht ab. Anfang September 2002 fragte der Beschwerdeführer unter der
Telefonnummer des Hotels nach, ob die nächste Teillieferung abgerufen werde. Im Anschluss
an das Telefonat stellte er die Zündholzbriefchen her und lieferte sie im Januar 2003 an das
Hotel aus. Hierfür stellte er dem Beklagten 1.221,60 EUR in Rechnung, die er schließlich
beim Amtsgericht einklagte. Der Beklagte wandte ein, er sei nicht Empfänger der Lieferung
gewesen. Hilfsweise stützte der Beschwerdeführer seine Forderung auf Ziffer 10 seiner
Allgemeinen Geschäftsbedingungen, weil der Beklagte nicht der Pflicht nachgekommen sei,
die nächste Teillieferung abzurufen.
Mit Urteil vom 26. Januar 2004 wies das Amtsgericht die Klage ab. Zwar sei der Beklagte
durch schlüssige Vereinbarung mit dem Kläger in die vertraglichen Verpflichtungen der
GmbH eingetreten. Die Bestellung vom 3. September 2002 sei aber nicht durch ihn, sondern
durch seinen Sohn erfolgt, an den auch die Lieferung gegangen sei. Ein Zahlungsanspruch
bestehe auch nicht aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Soweit diese eine
Vorleistungspflicht des Bestellers vorsähen, seien sie nach dem AGB-Gesetz unwirksam.
Auf die Berufung des Beschwerdeführers kam es am 8. Oktober 2004 zur mündlichen
Verhandlung vor dem Landgericht, in der die Parteien einen widerruflichen Vergleich
schlossen. Darin verpflichtete sich der Beklagte, zur Abgeltung sämtlicher zwischen den
Parteien bestehender Ansprüche 600 EUR (in sechs Monatsraten zu 100 EUR) an den
Beschwerdeführer zu bezahlen. Die Kosten des Rechtsstreits sollten gegeneinander
aufgehoben werden.
Nach wirksamem Widerruf des Vergleichs durch den Beschwerdeführer wies das Landgericht
die Berufung mit Urteil vom 19. November 2004 zurück. Zutreffend habe das Amtsgericht
festgestellt, dass der Beklagte in den Vertrag mit dem Beschwerdeführer eingetreten sei. Die
fragliche Bestellung vom 3. September 2002 habe aber der Sohn des Beklagten
vorgenommen. Das müsse sich der Beklagte nicht zurechnen lassen. Der Beschwerdeführer
könne auch nicht hilfsweise die Zahlung der Klageforderung unter dem Gesichtspunkt der
Vorleistungspflicht gemäß seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen verlangen. Das
begründete das Landgericht wie folgt:
Die AGB ... sind diesbezüglich nicht unwirksam. ... Eine Lösung des Rechtsstreits unter dem
Gesichtspunkt der Vorleistungspflicht wird dem hier vorliegenden Sachverhalt jedoch nicht
gerecht. Denn unstreitig betreibt der Beklagte seit geraumer Zeit das Hotel ..., für das die
305
Werbezündhölzer bestimmt sind, nicht mehr. Was soll der Beklagte mit einer solchen
Lieferung anfangen? Eine solche Lösung ist wirtschaftlicher Unsinn. Die Gerichte sind nicht
dazu da, wirtschaftlichen Unsinn abzusegnen, wenn das Vertragsverhältnis der Parteien eine
wirtschaftlich sinnvolle Lösung zulässt, sich <der Beschwerdeführer> dem aber verschließt.
Im konkreten Fall wäre die einzig sinnvolle Lösung die Zahlung einer Abstandszahlung. Aus
diesem Grund hat das Gericht auch auf den Abschluss eines entsprechenden Vergleichs
hingewirkt... Der Widerruf des Vergleichs durch <den Beschwerdeführer> und die hierfür
gegebene Begründung zeigen aber, dass <der Beschwerdeführer> eine Lösung des
Rechtsstreits über die Zahlung einer Abstandszahlung jedenfalls derzeit gerade nicht will.
2. Gegen die beiden Urteile hat der Beschwerdeführer fristgerecht Verfassungsbeschwerde
eingelegt, mit der er die Verletzung seiner Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und aus Art.
3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot rügt. Den Gründen des landgerichtlichen
Urteils könne auch bei wohlwollenster Auslegung kein rechtlich nachvollziehbarer Grund für
die Abweisung der Klage entnommen werden. Die Entscheidung sei vielmehr sachlich
schlechterdings unvertretbar.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Justizministerium des Landes Baden-Württemberg
und dem Beklagten des Ausgangsverfahrens zugestellt worden. Beide haben von der
Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts zur
Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2
Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung
des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2
Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung
liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde
maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 81, 132
<137>; 87, 273 <278 f.>).
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts richtet und
einen Verstoß gegen das Willkürverbot rügt, ist sie zulässig und offensichtlich begründet. Das
Urteil des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs.
1 GG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird ein Verstoß gegen
den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot nicht schon
durch eine zweifelsfrei fehlerhafte Gesetzesanwendung begründet; hinzukommen muss
vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz
beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt,
dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien
festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich (stRspr, z.B. BVerfGE
4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 81, 132 <137>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).
b) An diesem Maßstab gemessen steht die Berufungszurückweisung im angegriffenen Urteil
des Landgerichts mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht im Einklang.
306
aa) Anders als das Amtsgericht hat das Landgericht die Klausel in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, nach der der Besteller (hier der Beklagte) bei Verzug mit dem Abruf
einer Teillieferung vorleistungspflichtig wird, für wirksam erachtet. Das ist zum einen eine
einfachrechtliche Wertung des Fachgerichts, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
ist. Zum anderen ergab sich eine Leistungspflicht des Beklagten für die Bezahlung einer
Teillieferung (nicht allerdings für die in der Rechnung enthaltene Fracht/Verpackung von 51
EUR zuzüglich Mehrwertsteuer) schon aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen.
(1) Das zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens bestehende Vertragsverhältnis ist ein
Werklieferungsvertrag über nicht vertretbare Sachen im Sinn des § 651 Abs. 1 Satz 2
Halbsatz 2 BGB a.F. beziehungsweise jetzt § 651 Satz 3 BGB (vgl. BGH, DB 1981, S. 315;
NJW 1985, S. 426; NJW-RR 1986, S. 211 f.), und zwar in der Form eines so genannten
Ratenlieferungsvertrags oder "echten" Sukzessivlieferungsvertrags (vgl.
Staudinger/Beckmann, BGB <2004>, VBem zu §§ 433 ff. Rn. 99 f.; Soergel/Huber, BGB, 12.
Aufl., 1991, Vor § 433 Rn. 43; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., 2005, Überbl vor § 311
Rn. 27 und § 314 Rn. 2). Es kann dahinstehen, ob vorliegend das Bürgerliche Gesetzbuch in
seiner vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001 geltenden oder
in der aktuellen Fassung zur Anwendung kommt.
(2) Nach der hier gegebenen Vertragsgestaltung und der jahrelang geübten Vertragspraxis ist
davon auszugehen, dass die Parteien zumindest stillschweigend die Nebenpflicht des
Bestellers zum Abruf der Teillieferungen innerhalb angemessener Frist vereinbart hatten (vgl.
dazu Staudinger/Beckmann, a.a.O., Rn. 117 ff.; Soergel/Huber, a.a.O., § 433 Anh. I Rn. 114
f.; Palandt/Putzo, BGB, 64. Aufl., 2005, § 433 Rn. 50; MünchKommBGB/Westermann, 4.
Aufl., 2004, § 433 Rn. 81 f.). Eine entsprechende vertragliche Verpflichtung des Beklagten
hat im Übrigen der Beschwerdeführer vor dem Landgericht behauptet; der Beklagte ist dem
nicht substantiiert entgegen getreten. Ein solcher Abruf war letztmals im Mai 2001 erfolgt, so
dass sich der Beklagte im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem
Landgericht (8. Oktober 2004) mit einem weiteren Abruf in Verzug befand.
Gelangt man über § 651 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB a.F. zur Anwendung von
Werkvertragsrecht, war ihm deshalb nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß §
242 BGB verwehrt, sich auf die fehlende Abnahme im Sinn des § 640 Abs. 1 BGB a.F. zu
berufen (vgl. BGH, NJW-RR 1986, S. 211 <212>). Die Vergütung für die Teillieferung war
damit fällig. Nichts anderes gilt, wenn die beiderseitigen Rechte und Pflichten nach neuem
Schuldrecht zu beurteilen sind. Wegen des unterbliebenen Abrufs trat Fälligkeit des
Kaufpreises ein (§ 271 Abs. 1 BGB) und der Beschwerdeführer konnte ohne Zug-um-ZugAngebot (§ 320 BGB) auf Zahlung klagen (vgl. Soergel/Huber, a.a.O., § 433 Rn. 234 ff.;
Palandt/Putzo, a.a.O.) abgesehen davon, dass der Beklagte die Einrede des § 320 Abs. 1 Satz
1 BGB im Ausgangsverfahren nicht erhoben hat.
bb) Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Landgericht nach Vorgesagtem jedenfalls im
Ergebnis einfachrechtlich zutreffend - von einer grundsätzlich bestehenden
Vorleistungspflicht des Beklagten ausgegangen ist. Dafür, dass es gleichwohl einen
Zahlungsanspruch des Beschwerdeführers verneint hat, ist eine tragfähige Begründung
hingegen weder dem Urteil zu entnehmen noch anderweitig ersichtlich. Das Landgericht
argumentiert lediglich mit "wirtschaftlichem Unsinn", ohne dies in irgendeiner Form rechtlich
einzuordnen. Sofern damit ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 242 BGB a.F.
beziehungsweise eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB angesprochen sein
sollte, lässt sich die Entscheidung hierauf nicht stützen. Die Störung des Verwendungszwecks
rechtfertigt regelmäßig nicht eine Vertragsanpassung oder gar einen Wegfall der
307
beiderseitigen Vertragspflichten (gegebenenfalls auch über eine hier nicht ausgesprochene
Kündigung gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2, § 314 BGB). Denn der Gläubiger trägt grundsätzlich
das Verwendungsrisiko (vgl. nur BGH, NJW 1985, S. 2693 <2694>; Palandt/Heinrichs,
a.a.O., § 313 Rn. 43 m.w.N.). Dass eine der eng begrenzten Ausnahmen von diesem
Grundsatz (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rn. 44) vorliegt, ist weder festgestellt noch
erkennbar. Die Entscheidung des Landgerichts ist mithin einfachrechtlich nicht vertretbar.
cc) Aufgrund der oben (vgl. I 1) im Wortlaut zitierten Ausführungen in den Urteilsgründen
drängt sich der Schluss auf, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht.
Darauf deuten zum einen die vom Landgericht in keinerlei rechtlichen Kontext gestellten Ausführungen zu Fragen des wirtschaftlichen (Un-)Sinns hin. Zum anderen legt auch die
Abhandlung der Geschichte des Vergleichswiderrufs im angefochtenen Urteil den Schluss auf
objektive Willkür nahe. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dieser Vorgang die
Rechtsfindung objektiv beeinflussen können soll und seine Erwähnung in den Gründen daher
geboten wäre.
2. Die Zurückweisung der Berufung durch das Landgericht beruht auf dieser objektiv
willkürlichen Sachbehandlung, weil bei Bejahung der Vorleistungspflicht rechtserhebliche
Einwendungen gegen einen Zahlungsanspruch des Beschwerdeführers jedenfalls in Höhe der
Vergütung für eine Teillieferung nicht ersichtlich sind. Das Urteil des Landgerichts ist daher
gemäß § 93 c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an
das Landgericht zurückzuverweisen.
III.
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt und soweit
er das Urteil des Amtsgerichts beanstandet, ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur
Entscheidung anzunehmen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <24
ff.>). Insoweit wird die Verfassungsbeschwerde dem Begründungserfordernis der § 23 Abs. 1
Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG in keiner Weise gerecht und ist deshalb unzulässig. Sie
enthält keine das Urteil des Amtsgerichts betreffende Rüge, sondern setzt sich ausschließlich
mit dem Urteil des Landgerichts auseinander. Inwiefern vorliegend der Schutzbereich des Art.
101 Abs. 1 Satz 2 GG auch nur tangiert sein könnte, wird weder nachvollziehbar dargelegt
noch erschließt es sich anderweitig.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass die Verfassungsbeschwerde nur teilweise Erfolg hat.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2
letzter Halbsatz RVG (vgl. dazu BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 6. Kammer Beschluß vom 11. März 2005 6 Ta
24/05
Streitwert bei Mehrfachkündigung
Orientierungssatz
308
Auch dann, wenn mehrere Kündigungen im Streit sind, sind Bestandsstreitigkeiten höchstens
mit drei Bruttomonatsverdiensten zu bewerten.
Bibliothek BAG (Gründe) RVG-Letter 2005, 71 (Kurzwiedergabe) NZA-RR 2005,
386 (red. Leitsatz 1)
OLG Koblenz 4. Senat für Familiensachen Beschluß vom 23. Mai 2005 7 WF 123/05
Geschäftswert für ein Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz
Leitsatz
Der Geschäftswert für ein (Hauptsache-)Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz ist in der
Regel mit 3.000,00 EUR anzusetzen (§§ 100a Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO). Hinsichtlich des
Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens
ist zu unterscheiden: - soll durch die einstweilige Anordnung die Benutzung der Wohnung
geregelt werden, beträgt der Wert 2.000,00 EUR (§§ 64 b Abs. 3 FGG, 24 S. 2 und 3 RVG,
53 Abs. 2 S. 2 GKG) - ist die Benutzung des Hausrats zu regeln beträgt der Wert 1.200,00
EUR (§§ 64 b Abs. 3 FGG, 24 S. 2 und 3 RVG, 53 Abs. 2 S. 2 GKG) - ansonsten beläuft sich
der Wert auf 500,00 EUR (§§ 64 b Abs. 3 FGG, 24 S. 1 und 3 RVG). Wird ein Rechtsanwalt
sowohl mit dem Hauptsacheverfahren als auch mit dem Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung befasst, ist jeweils ein eigener Wert für beide
Verfahrensgegenstände festzusetzen (§ 17 Nr. 4 RVG).
FGPrax 2005, 180 (Leitsatz und Gründe) JurBüro 2005, 427-428 (Leitsatz und Gründe)
OLGR Koblenz 2005, 730-732 (Leitsatz und Gründe) FamRZ 2005, 1849-1850 (Leitsatz
und Gründe) RVG professionell 2005, 148-149 (red. Leitsatz) MDR 2005, 1195 (red.
Leitsatz) FamRB 2005, 329-330 (red. Leitsatz)
Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) 10. Kammer Beschluß vom 28. April 2005 10
TaBV 11/05
Wertfestsetzung im Beschlussverfahren
Orientierungssatz
Der Gegenstandswert in Verfahren, in denen über die Ersetzung der Zustimmung des
Betriebsrates zur Eingruppierung oder Umgruppierung eines Arbeitnehmers gestritten wird,
ist in Höhe des dreifachen Jahresbetrages der Entgeltdifferenz abzüglich 40% anzusetzen.
Bibliothek BAG (Gründe) NZA-RR 2005, 435-436 (red. Leitsatz 1-2 und Gründe)
309
Landesarbeitsgericht Köln 3. Kammer Beschluß vom 26. Januar 2005 3 Ta 457/04
Streitwert einer Änderungsschutzklage
Leitsatz
Der Streitwert einer Änderungsschutzklage richtet sich nach dem erkennbaren
wirtschaftlichen Wert, der der konkreten streitigen Änderung der Arbeitsbedingungen für den
Arbeitnehmer nach dessen Klagevorbringen zukommt. Maßgebend ist dabei gemäß § 42 Abs
3 S 1 GKG der dreifache Jahresbetrag. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist die
in § 42 Abs 4 GKG geregelte Streitwertobergrenze zu beachten. Ein Rückgriff auf den
Pauschalwert des § 23 Abs 3 RVG kann nur dann erfolgen, wenn dem Sachverhalt keine
Anhaltspunkte für eine Bezifferung des wirtschaftlichen Werts zu entnehmen sind.
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe) MDR 2005, 840 (Leitsatz 1 und Gründe) LAGE
§ 42 GKG 2004 Nr 3 (Leitsatz 1 und Gründe) EzA-SD 2005, Nr 7, 15 (Leitsatz 1)
ArbuR 2005, 199 (Leitsatz 1) RVGreport 2005, 399 (Leitsatz)
Zum Streitwert von Klage und Widerklage..
BRANDENBURGISCHES-OLG: 12 W 26/05, Beschluss vom 22.06.2005
Verfahrensgang:
LG Cottbus 6 O 291/04 vom 29.04.2005
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
12 W 26/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht 012
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Richter am
Oberlandesgericht ... als Einzelrichter
am 22. Juni 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten gegen die im Urteil der 6.
Zivilkammer des Landgerichts Cottbus - Einzelrichter - vom 29. April 2005, Az.: 6 O 291/04,
erfolgte Streitwertfestsetzung wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Die gem. §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1, 72 Nr. 1, 2. Halbs. GKG zulässige Beschwerde hat in der
Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat den Streitwert hinsichtlich des unter dem Az. 6 O 291/04 geführten
Rechtsstreits zu Recht auf den die Klageforderung betreffenden Betrag von 78.384,30 ¤
310
festgesetzt. § 45 Abs. 1 S. 1 GKG bzw. § 19 Abs. 1 S. 1 GKG a. F. findet keine Anwendung, da
diese Vorschrift nur zum Zuge kommt, wenn Klage und Widerklage nicht in getrennten Prozessen
verhandelt werden, wovon im vorliegenden Fall aufgrund der mit Beschluss vom 29.04.2005
erfolgten Abtrennung der Widerklage, die nunmehr unter dem Az.: 6 O 101/05 geführt wird, nicht
ausgegangen werden kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Gegenstand der ersten
mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht auch die Widerklage war. Maßgeblich ist, dass
hinsichtlich Klage und Widerklage jedenfalls nunmehr getrennte Prozesse anhängig sind bzw.
waren, wobei die jeweils zu treffenden Entscheidungen aufgrund unterschiedlicher mündlicher
Verhandlungen ergehen. Mag bis zum Zeitpunkt der Trennung der Prozesse noch eine
einheitliche Kostenberechnung mit einem einheitlichen Streitwert veranlasst gewesen sein, so hat
sich diese Situation nach der Trennung geändert, mithin folgt auch eine gesonderte
Kostenberechnung, und zwar in der Weise, dass für jedes infolge der Trennung entstandene
Einzelverfahren der Streitwert neu errechnet wird (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., § 145 Rn.
128). Die Kosten des unter dem Az.: 6 O 291/04 weitergeführten Rechtsstreits richten sich
demnach ausschließlich nach dem Wert der Klageforderung, da nur diese nach der Trennung
noch Gegenstand dieses Rechtsstreits war und die sich aus der Kostenentscheidung ergebende
Kostenlast sich auch nur auf diesen Wert beziehen kann, anderenfalls ohne sachlichen Grund
eine Doppelberechnung erfolgen würde.
Von einer Herabsetzung des Geschäftswertes gem. § 48 Abs. 3 S. 2 WEG im
Beschlussanfechtungsverfahren ist nicht deshalb abzusehen, weil die Anwaltskosten der
Antragsteller von einer Rechtsschutzversicherung gedeckt werden.
OLG-HAMM: 15 W 277/05, Beschluss vom 08.09.2005
Verfahrensgang:
LG Bielefeld 23 T 13/05 vom 06.06.2005
AG Herford 2 II 11/04 WEG
Stichworte: Begrenzung der Festsetzung des Geschäftswertes im WEG-Verfahren
OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
15 W 277/05 OLG Hamm
In der Wohnungseigentumssache
Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 08. September 2005 auf die
Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) vom 27. Juni 2005 gegen den
Beschluß der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 06. Juni 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Gegenstandswert des Verfahrens
auf 30.000,00 Euro festgesetzt, und zwar unter gleichzeitiger Abänderung der Wertfestsetzung
des Amtsgerichts vom 23.09.2004 sowohl für das Verfahren erster als auch zweiter Instanz.
Die hiergegen gerichtete, im eigenen Namen eingelegte Beschwerde der
Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) ist nach den §§ 31 Abs. 3 S. 1 KostO, 32 Abs. 2
RVG zulässig. Es handelt sich insbesondere nicht um eine zulassungsbedürftige weitere
311
Beschwerde im Sinne der §§ 31 Abs. 3 S. 5,14 Abs. 5 S. 1 KostO (vgl. Senat FGPrax 2005, 87).
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung beschwert, weil sie eine
Heraufsetzung des Gegenstandswertes auf 326.154,28 Euro anstreben, wobei die sich daraus
ergebende Gebührendifferenz die Mindestbeschwer von 200,00 Euro deutlich übersteigt.
In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil der Senat die Wertfestsetzung des
Landgerichts für zutreffend hält. Die Geschäftswertfestsetzung im Wohnungseigentumsverfahren
hat nach der gesetzlichen Vorschrift des § 48 Abs. 3 S. 1 WEG nicht allein nach dem vom
Antragsteller verfolgten persönlichen wirtschaftlichen Interesse, sondern nach dem Interesse aller
Beteiligten, also der Wohnungseigentümer insgesamt und des Verwalters, zu erfolgen. Dem
entspricht die materielle Rechtskraft der Entscheidung gem. § 45 Abs. 2 S. 2 WEG. Ergänzend ist
die Regelung in § 48 Abs. 3 S. 2 WEG zu berücksichtigen. Danach ist der Geschäftswert niedriger
festzusetzen, wenn die nach Satz 1 berechneten Kosten des Verfahrens zu dem Interesse eines
Beteiligten nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen. Diese durch das KostRÄndG vom 24.
6. 1994 (BGBl I, 1325) eingeführte Vorschrift geht auf die Entscheidung des BVerfG vom 12. 2.
1992 (BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673) zurück, die es als mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht
vereinbar angesehen hat, den Geschäftswert bei der Beschlussanfechtung in großen
Wohnungseigentumsanlagen abweichend von dem erheblich niedrigeren persönlichen Interesse
des einzelnen Antragstellers ausschließlich nach dem Gesamtinteresse aller Miteigentümer zu
bemessen.
Ausgangspunkt der Bewertung des Interesses sämtlicher Wohnungseigentümer (§ 48 Abs. 3 S. 1
WEG) sind die voraussichtlichen Kosten der Sanierungsmaßnahme, die Gegenstand des
angefochtenen Beschlusses der Eigentümerversammlung ist. Ohne Einfluss auf das Ergebnis hält
es der Senat für vorzugswürdig, in diesem Zusammenhang die in dem Beschluss veranschlagten
Kosten von 326.154,28 Euro anzusetzen, zumal die Erhebung einer daraus abgeleiteten
Sonderumlage beschlossen worden ist und auf diese Weise entsprechende Zahlungspflichten der
Wohnungseigentümer begründet worden sind. Demgegenüber ist es einer weiteren Regelung der
Eigentümerversammlung vorbehalten, was mit einem Überschuss für den Fall zu geschehen hat,
dass die tatsächlich entstandenen Kosten den veranschlagten Betrag nicht erreichen.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer liegen die Voraussetzungen für eine
Reduzierung des Geschäftswertes nach § 48 Abs. 3 S. 2 WEG hier vor. Das eigene
wirtschaftliche Interesse der Beteiligten zu 1) an der Durchführung des
Beschlussanfechtungsverfahrens wird durch den Kostenbetrag bestimmt, der nach dem
allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel auf sie entfällt. Dieser wird von den Beschwerdeführern
mit 4.564,00 Euro beziffert. Bei einer Kostentragungsquote von 1,4 % liegt die Schlussfolgerung
auf der Hand, dass die aus dem Gesamtaufwand der beschlossenen Sanierungsmaßnahme von
326.154,28 Euro berechneten Gerichts- und Anwaltskosten zu dem eigenen wirtschaftlichen
Interesse der Beteiligten zu 1) nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis stehen. Es handelt
sich um eine typische Fallkonstellation, für die die Sondervorschrift des § 48 Abs. 3 S. 2 WEG
geschaffen worden ist. Dies wird deutlich in Bezug auf die Anwaltsgebühren, die die Beteiligten zu
1) tragen müssten, wenn das Honorar der sie vertretenden Rechtsanwälte aus dem Wert von
326.154,28 Euro berechnet würde. Dieses betrüge berechnet nach den Vorschriften des RVG
allein für das Verfahren zweiter Instanz:
VV 3200 Verfahrensgebühr 1, 6 3.849,60 ¤
VV 3202 Terminsgebühr 1, 2 2.887,20 ¤
6.736,80 ¤
Mehrwertsteuer 1.077,88 ¤
7.814,67 ¤
Auf eine konkrete Berechnung der weiteren Anwaltskosten für die erste Instanz und der
Gerichtskosten kommt es danach nicht mehr an. Bei der Bewertung nach § 48 Abs. 3 S. 2 WEG
ist abzustellen allein auf die Kosten, die die Beteiligten zu 1) als Antragsteller aufwenden müssen,
um das Verfahren zu betreiben. Unberücksichtigt bleiben muss demgegenüber, ob den Beteiligten
zu 1) aus anderem Rechtsgrund ein Erstattungsanspruch gegen Dritte zusteht. Dies hat der Senat
bereits für den Fall ausgesprochen, dass der Verfahrensausgang zu einem für die Antragsteller
günstigen Ausspruch über die Anordnung der Erstattung der ihnen entstandenen
außergerichtlichen Kosten geführt hat (FGPrax 2000,185 = NZM 2001, 549, 551). Dies gilt in
derselben Weise für den hier von der Beschwerdebegründung hervorgehobenen Umstand, dass
die Beteiligten zu 1) eine Rechtsschutzversicherung unterhalten. Denn es besteht kein
312
gerechtfertigter Anlass, den Beteiligten zu 1) den Schutz des § 48 Abs. 3 S. 2 WEG nur deshalb
zu versagen, weil sie sich durch Aufwendung entsprechender Prämien gegen das Kostenrisiko
eines Verfahrens nach dem WEG versichert haben. Eine Höherbewertung zu Lasten der
Rechtsschutzversicherung und der ihr angeschlossenen Versicherungsnehmer ist sachlich nicht
zu rechtfertigen.
Die Begrenzung der Wertfestsetzung nach § 48 Abs. 3 S. 2 WEG kann nach der Rechtsprechung
durch ein Vielfaches des wirtschaftlichen Eigeninteresses des Antragstellers ausgedrückt werden.
Der Senat hat in seiner bereits genannten Entscheidung eine Begrenzung auf das Fünffache des
wirtschaftlichen Eigeninteresses des Antragstellers für angemessen gehalten. Dabei handelt es
sich nicht etwa um eine feste Größenordnung, sondern um eine Orientierungslinie, die die
konkreten Umstände des Einzelfalles einbezieht. Im vorliegenden Fall beträgt der vom
Landgericht festgesetzte Gegenstandswert das mehr als 6,5fache des Kostenanteils der
Beteiligten zu 1). Diese Festsetzung ist keinesfalls als zu niedrig zu beanstanden.
Eine Kostenentscheidung und eine Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren sind gem. § 31
Abs. 5 KostO nicht veranlasst.
a) Zur Wertberechnung nach § 41 GKG bei gestaffeltem Mietentgelt in der streitigen Zeit.
b) Der auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Mietpreisvereinbarung gerichtete Antrag fällt in den
Anwendungsbereich des § 41 Abs. 1 GKG, wenn sich aus der Begründung ergibt, dass die
behauptete Unwirksamkeit der Entgeltvereinbarung voraussichtlich die Nichtigkeit des gesamten
Rechtsgeschäfts zur Folge haben würde (hier: wucherische Überhöhung einer Geschäftsraummiete).
BGH: XII ZR 256/03, Beschluss vom 21.09.2005
Verfahrensgang:
KG Berlin
LG Berlin
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZR 256/03
vom
21. September 2005
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. September 2005 durch die Richter Sprick,
Weber-Monecke, Fuchs, Dr. Ahlt und Dose
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2004 wird geändert und der Gebührenstreitwert im
Verhältnis zur Beklagten zu 1 auf 253.659 ¤ und im Verhältnis zur Beklagten zu 2 auf 75.572 ¤
festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über wechselseitige Ansprüche aus einem mit Wirkung zum 1. Oktober 1999 für
313
(weitere) fünf Jahre fest abgeschlossenen Mietvertrag über Geschäftsräume. Die Beklagte zu 1 als
Mieterin hatte seit April 2002 die Mietzahlungen eingestellt.
Die Klägerin als Vermieterin hat gegen die Beklagte zu 1 die Zahlung rückständigen Mietzinses in
Höhe von 6.191,42 ¤ sowie die Räumung der Geschäftsräume nach Ausspruch der fristlosen
Kündigung beantragt; weiterhin hat sie die Beklagte zu 2 als Bürgin für den Zahlungsanspruch in
Anspruch genommen. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben ihrerseits
Widerklage erhoben. Dabei haben die Beklagten die Feststellung beantragt, dass die von den
Parteien Anfang 1999 geschlossene (Staffel-)Mietzinsvereinbarung - insbesondere wegen Wuchers unwirksam sei, dass die Beklagte zu 1 seit April 2002 berechtigt sei, die Miete vollständig zu mindern
bzw. zurückzubehalten und dass für die Beklagte zu 2 keine Bürgschaftsverpflichtung für
Verbindlichkeiten der Beklagten zu 1 gegenüber der Klägerin bestehe. Daneben haben sie die
Zahlung eines Kostenvorschusses für die Beseitigung von angeblichen Mängeln der Mietsache sowie
einen Unterlassungsanspruch geltend gemacht und die weitere Feststellung begehrt, dass der
Mietzinsanspruch der Klägerin für die Monate April 2002 bis August 2002 durch Aufrechnung
erloschen sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage in vollem Umfang
abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision
nicht zugelassen. Hiergegen hat sich die - mittlerweile zurückgenommene Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gerichtet.
II.
Der Gebührenstreitwert für das Verfahren über die - vor dem Inkrafttreten des
Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes am 1. Juli 2004 anhängig gewordene Nichtzulassungsbeschwerde bemisst sich gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG a.F. (jetzt § 47
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG) nach den Anträgen des Beschwerdeführers. Die Beklagten wenden
sich nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung nur noch gegen die Verurteilung zur
Räumung und Zahlung sowie gegen die Abweisung ihrer Widerklage bezüglich der Anträge auf
Feststellung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung, des Bestehens der geltend gemachten
Minderungs- bzw. Zurückbehaltungsrechte und des Fehlens einer Bürgschaftsverpflichtung der
Beklagten zu 2. Der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Streitwert für das insoweit beschränkte
Rechtsmittel der Beklagten beträgt 253.658,29 ¤.
1. Keinen Zweifeln unterliegen dabei der Wert des auf Zahlung rückständigen Mietzinses gerichteten
Leistungsantrages (6.191,42 ¤) und des zurückgewiesenen Feststellungsantrages betreffend die
Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten zu 2 (69.380,73 ¤).
2. Der Wert des Räumungsantrages ist auf 40.494,36 ¤ festzusetzen.
a) Der ursprüngliche Wert des Räumungsantrages ist für die Gebühren im Verfahren über die
Nichtzulassungsbeschwerde maßgebend geblieben, weil sich dieser Wert im Laufe des Rechtsstreits
nicht verringert hat. Zwar hat die Klägerin in der Berufungsinstanz den Rechtsstreit wegen des
Räumungsantrages zunächst für erledigt erklärt, nachdem ihr am 11. Juni 2003 die Mieträume
zurückgegeben worden waren. Dieser schriftsätzlichen Erledigungserklärung ist die Beklagte zu 1
jedoch ausdrücklich mit der Behauptung entgegengetreten, dass die Herausgabe der Mieträume an
die Klägerin nicht freiwillig, sondern nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig
vollstreckbaren Urteil des Landgerichts erfolgte. Eine unter dem Druck der Zwangsvollstreckung
bewirkte Leistung stellt indes nach allgemeiner Ansicht keine Erfüllungshandlung dar, welche die
Annahme eines erledigenden Ereignisses rechtfertigt (BGHZ 94, 268, 274). Diesem Umstand hat die
Klägerin erkennbar Rechnung getragen, indem sie in der mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht am 6. Oktober 2003 an der - bis zur Zustimmung des Gegners frei widerruflichen
(vgl. BGH Urteil vom 7. Juni 2001 - I ZR 157/98 - NJW 2002, 442) - Erledigungserklärung nicht
festgehalten, sondern vielmehr die Zurückweisung der Berufung gegen das den Räumungsausspruch
enthaltende erstinstanzliche Urteil beantragt hat. Insoweit folgerichtig hat das Berufungsgericht die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts in vollem Umfange und nicht etwa mit der
Maßgabe einer Feststellung der Erledigung des Räumungsantrages zurückgewiesen.
b) Nach § 16 Abs. 2 GKG a.F. (jetzt § 41 Abs. 2 GKG) ist bei Räumungsklagen grundsätzlich das für
die Dauer eines Jahres zu entrichtende Entgelt maßgeblich, es sei denn, der Betrag des auf die
streitige Zeit entfallenden Entgeltes ist geringer. Die streitige Zeit - d.h. die Spanne zwischen
denjenigen Zeitpunkten, in denen nach dem jeweiligen Vorbringen der einen und der anderen Partei
der Räumungsanspruch des Vermieters zu erfüllen ist - beginnt nach vorausgegangener Kündigung
314
des Vermieters mit der Rechtshängigkeit des Räumungsantrags (OLG Bamberg JurBüro 1991, 1126
mit Anm. Mümmler; vgl. auch Senatsbeschluss vom 2. Juni 1999 - XII ZR 99/99 - NJW-RR 1999,
1385; BGH Urteil vom 17. März 2005 - III ZR 342/04 - NJW-RR 2005, 867, 868, jeweils zum
Zuständigkeits- und Rechtsmittelstreitwert nach § 8 ZPO). Sie dauert bei Verträgen, die - wie hier - auf
bestimmte Zeit geschlossen wurden, bis zum vertraglichen Ablauf der Mietzeit. Da der den
Räumungsantrag enthaltende Schriftsatz am 6. August 2002 zugestellt wurde, erstreckt sich die
streitige Zeit unter den hier obwaltenden Umständen über die 26 Monate zwischen August 2002 und
dem Ende der Vertragslaufzeit im September 2004.
aa) Die Höhe der für die Wertberechnung maßgeblichen Miete richtet sich nach einem objektiven
Maßstab; beim Vorliegen eines schriftlichen Mietvertrages sind regelmäßig dessen Regelungen für die
Bemessung der Miethöhe heranzuziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Februar 1997 - XII ZR
233/96 - NJW-RR 1997, 648). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte zu 1 bei Rechtshängigkeit des
Räumungsantrages im August 2002 vertragsgemäß eine Miete in Höhe von monatlich 3.221,14 ¤ zu
entrichten; die Miete erhöhte sich aufgrund der vereinbarten Mietstaffel seit Oktober 2002 auf
monatlich 3.374,53 ¤.
bb) Umstritten ist allerdings, wie es sich auf die Wertberechnung nach § 41 GKG auswirkt, wenn sich
die streitige Zeit über ein Jahr hinaus erstreckt und das Mietentgelt in verschiedenen Zeitabschnitten
verschieden hoch ist.
Teilweise wird ein Durchschnittsbetrag aus den in der streitigen Zeit vertragsgemäß zu entrichtenden
Mieten angesetzt (Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage, § 41 GKG Rdn. 23). Demgegenüber
entspricht es wohl überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass es für die
Berechnung des Gebührenwertes nach § 41 GKG bei wechselnden Entgelten auf die höchsten
Beträge ankommt, die in der streitigen Zeit innerhalb eines Jahres zu zahlen sein würden (vgl. KG JW
1925, 809 Nr. 13; Meyer, GKG, 6. Aufl., § 41 Rdn. 18; Oestreich/Winter/Hellstab, Kommentar zum
GKG, Bd. II 7.0 Stichwort‚ Begriff des Mietzinses, S. 193; Hillach/Rohs, Handbuch des Streitwerts in
Zivilsachen, 9. Aufl., § 30 C III d, S. 165 f.; vgl. auch Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 8 Rdn. 6;
Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 8 Rdn. 5; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl.,
§ 8 Rdn. 5 jeweils zum Zuständigkeitsstreitwert nach § 8 ZPO; vgl. weiterhin RGZ 160, 83, 86; BGH
Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 231/51 - NJW 1953, 104, 105; OLG Bamberg JurBüro 1971, 536,
537 mit zust. Anm. Mümmler).
Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung. Gegen die Bildung eines Durchschnittssatzes spricht neben Praktikabilitätserwägungen - insbesondere der Gedanke, dass eine Verlängerung der streitigen
Zeit grundsätzlich nicht zu einer Absenkung des Streitwertes führen kann. Dies ist bei einer
Durchschnittsberechnung nicht gewährleistet, wenn sich das Entgelt im weiteren Verlauf der streitigen
Zeit gegenüber den Entgelten des ersten Jahres verringert hat (vgl. hierzu bereits die
Berechnungsbeispiele in RGZ aaO S. 86 f. und Rohs, RPfleger 1952, 529, 534).
Der für die Wertberechnung maßgebliche Jahresbetrag ist daher aus dem höchsten Entgelt der
vereinbarten Mietstaffel zu errechnen, da dieser Betrag in der streitigen Zeit mindestens für die Dauer
eines Jahres zu zahlen gewesen wäre; er beträgt 40.494,36 ¤ (= 12 x 3.374,53 ¤).
3. Der im Wege der Widerklage geltend gemachte Antrag, die Berechtigung der Beklagten zu 1
festzustellen, die Miete seit April 2002 um 100 % zu mindern bzw. in diesem Umfang ein
Zurückbehaltungsrecht an der Miete auszuüben, ist mit 97.097,42 ¤ zu bewerten.
Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass der Gebührenstreitwert für einen negativen
Feststellungsantrag, mit dem der Mieter gegenüber dem Vermieter seine Verpflichtung zur Entrichtung
künftigen Mietzinses - gleich aus welchem Rechtsgrund - leugnet, nach § 48 Abs. 1 GKG, § 9 ZPO zu
beurteilen ist (Senatsbeschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04 - NJW-RR 2005, 938). Demnach
ist bei Mietverhältnissen mit bestimmter Dauer grundsätzlich der Gesamtbetrag der künftigen
Mietzinsen maßgeblich, sofern nicht der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Mietzinses geringer ist.
Damit kommt es hier auf den Gesamtbetrag der im Zeitraum seit April 2002 ausstehenden Mieten an,
weil das Mietverhältnis bis zu seiner Beendigung im September 2004 nur noch eine Laufzeit von 30
Monaten hatte. Der auf diesen Zeitraum entfallende Gesamtbetrag beträgt unter Berücksichtigung der
vereinbarten Mietstaffel 100.315,56 ¤ (= 6 x 3.221,14 ¤ für den Zeitraum vom April 2002 bis
September 2002 und 24 x 3.374,53 ¤ für den Zeitraum vom Oktober 2002 bis September 2004). Im
Hinblick auf § 19 Abs. 1 GKG a.F. (jetzt § 45 Abs. 1 GKG) bleibt jedoch bei der Wertberechnung die
geleugnete Zahlungspflicht für den Monat April 2002 in Höhe von 3.221,14 ¤ außer Betracht, weil der
315
Streitgegenstand insoweit mit dem Zahlungsantrag der Klägerin identisch ist.
4. Der Wert des Antrages, mit dem die Beklagte zu 1 die Unwirksamkeit der zwischen den Parteien
getroffenen (Staffel-)Mietzinsvereinbarung festzustellen begehrt, ist auf 40.494,36 ¤ festzusetzen.
Maßgeblich für die Festsetzung des Gebührenstreitwertes ist § 16 Abs. 1 GKG a.F. (jetzt § 41 Abs. 1
GKG).
a) Allerdings fallen bloße Streitigkeiten über den Vertragsinhalt - und damit auch über die Höhe der
geschuldeten Miete - grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des § 41 Abs. 1 GKG, wenn
dieser Streit den rechtlichen Bestand des Mietvertrages nicht berührt (vgl. OLG Koblenz ZMR 1978,
64; Hartmann aaO § 41 GKG Rdn. 18).
Die Beklagte zu 1 macht indessen zur Begründung ihres Antrages insbesondere geltend, dass für die
gemieteten Geschäftsräume bereits zu Beginn des Mietverhältnisses nur eine Miete in Höhe von
2.000 DM angemessen gewesen sei und die Beklagte sich bei Vertragsschluss in einer Zwangslage
befunden habe. Aus diesem Grunde seien die Voraussetzungen des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB)
oder eines wucherähnlichen Rechtsgeschäftes (§ 138 Abs. 1 BGB) gegeben. Diese Begründung ist
grundsätzlich geeignet, den rechtlichen Bestand des Mietvertrages insgesamt in Zweifel zu ziehen.
Denn in den Fällen des Wuchers oder der sittenwidrigen wucherähnlichen Mietpreisüberhöhung nach
§ 138 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB findet in der Geschäftsraummiete eine Aufrechthaltung des Vertrages
mit einer zulässigen Miete in der Regel nicht statt (OLG München OLGR 2002, 429, 430; KG
Grundeigentum 2002, 328; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und
Leasingrechts, 9. Aufl., Rdn. 150; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 8. Aufl., nach § 535 BGB, Rdn.
118; Michalski ZMR 1996, 1, 6). Insoweit liegt die Sachlage grundlegend anders als bei einem nach §
134 BGB zu beurteilenden Verstoß gegen gesetzliche Preisvorschriften, bei dem grundsätzlich von
einer bloßen Teilnichtigkeit des rechtlich unzulässigen Teils der Mietpreisvereinbarung auszugehen ist
(BGHZ 89, 316, 319 f. zu § 5 WiStG; vgl. auch Senatsurteil vom 15. November 2000 - XII ZR 181/98 NZM 2001, 236 zum Preisrecht der DDR). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf eine wucherische
Mietpreisüberhöhung in der Geschäftsraummiete nicht übertragen, denn im Ausgangspunkt gilt für alle
gemäß § 138 BGB unwirksamen Entgeltvereinbarungen der allgemeine Grundsatz, dass sich diese
nicht in einen sittenwidrig überhöhten und einen hinnehmbaren Teil aufspalten lassen, sondern das
Verdikt der Sittenwidrigkeit die gesamte Entgeltvereinbarung umfasst. Dies führt in der Regel zur
Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäftes (vgl. BGHZ 44, 158, 162; BGHZ 68, 204, 206 f.). Anders
als im Wohnraummietrecht sind auch keine besonderen sozialstaatlichen Belange zu berücksichtigen,
die ausnahmsweise zum Schutze des Mieters eine Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses gebieten.
b) Einer Anwendung des § 16 Abs. 1 GKG a.F. steht es hier auch nicht entgegen, dass die Beklagte
zu 1 das angefochtene Urteil wegen der Abweisung ihres die Unwirksamkeit der (Staffel)Mietvereinbarung betreffenden Feststellungsantrages auch mit der Begründung angegriffen hat, das
Berufungsgericht habe die Wirksamkeit der Mietzinsvereinbarung nicht nur nach dem Maßstab des §
138 BGB, sondern auch dahingehend prüfen müssen, ob dem vereinbarten Mietzins eine wirksame
Ausübung des Leistungsbestimmungsrechtes durch die Klägerin zugrunde liegt. Unter diesem
rechtlichen Gesichtspunkt steht die Wirksamkeit des Mietvertrages nicht in Zweifel, da Streit insoweit
nur über die Billigkeit der Leistungsbestimmung und das Erfordernis ihrer Ersetzung (§ 315 Abs. 3
Satz 2 BGB) bestehen kann. Es genügt aber, wenn unter mehreren Klagebegründungen nur eine die
Voraussetzungen für eine Gebührenprivilegierung nach § 41 GKG erfüllt (vgl. auch BGH Beschluss
vom 16. Dezember 1952 - V ZR 54/50 - NJW 1953, 384; Meyer aaO § 41 Rdn. 5).
c) Da die von der Beklagten zu 1 behauptete Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung im Falle des §
138 BGB voraussichtlich zur Nichtigkeit des Gesamtvertrages führen würde, ist als streitige Zeit im
Sinne des § 16 Abs. 1 GKG a.F. - d.h. der Zeitraum, für den hinsichtlich des Bestehens oder
Nichtbestehens des Mietverhältnisses Uneinigkeit besteht - die gesamte Vertragslaufzeit zwischen
Oktober 1999 und September 2004 anzusehen, ohne dass es auf eine Differenzierung zwischen
vergangenen und zukünftigen Zeiträumen ankäme. Es kommt auch eine wertmäßige
Außerachtlassung des auf Feststellung der Unwirksamkeit der Entgeltvereinbarung gerichteten
Antrages wegen wirtschaftlicher Identität mit dem Feststellungsantrag zur Minderung des Mietzinses
nicht in Betracht, weil letztere nur für die Zeit ab April 2002 geltend gemacht wird und sich die jeweils
streitige Zeit daher - über einen längeren Zeitraum als ein Jahr - nicht deckt.
Abzustellen ist wiederum auf das höchste Entgelt, welches innerhalb der streitigen Zeit für die Dauer
eines Jahres vereinbart war, mithin die letzte Stufe der Mietstaffel in Höhe von monatlich 3.374,53 ¤.
Der daraus gebildete Jahresbetrag beträgt 40.494,36 ¤; der ansonsten bei positiven
316
Feststellungsklagen übliche Abschlag ist im Anwendungsbereich der § 8 ZPO, § 41 Abs. 1 GKG nicht
geboten, weil diese Vorschriften schon nach ihrem Wortlaut typischerweise Feststellungsklagen jeder
betreffen (BGH Beschluss vom 13. Mai 1958 - VIII ZR 16/58 - NJW 1958, 1291; Meyer aaO § 41 Rdn.
16; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl. § 8 Rdn. 22; vgl. auch Senatsbeschluss vom 30. September
1998 - XII ZR 163/98 - NZM 1999, 21).
5. Der Gebührenstreitwert im Verhältnis zur Beklagten zu 1 beträgt demnach 253.658,29 ¤ (6.191,42 ¤
+ 69.380,73 ¤ + 40.494,36 ¤ + 97.097,42 ¤ + 40.494,36 ¤); im Verhältnis zur Beklagten zu 2 sind nur
die Werte des Zahlungsantrages und des auf Leugnung der Bürgschaftsverpflichtung gerichteten
Feststellungsantrages maßgeblich.
Zur Berücksichtigung eines gemeinsamen Hausgrundstücks bei der Streitwertbemessung für das
Scheidungsverfahren gem. § 48 II, III GKG.
OLG-HAMM: 11 WF 76/05, Beschluss vom 16.03.2005
Verfahrensgang:
AG Unna 12 F 373/04 vom 14.01.2005
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss
11 WF 76/05 OLG Hamm
Hamm, den 16.03.2005
In der Familiensache
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 18.01.2005 wird der
Streitwertbeschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Unna vom 14.01.2005 in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 18.02.2005 unter Zurückweisung der
weitergehenden Beschwerde teilweise abgeändert.
Der Streitwert für das Scheidungsverfahren wird anderweitig auf 9.580,00 Euro festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 14.01.2005 die kinderlose Ehe der Parteien geschieden und
den Versorgungsausgleich durchgeführt. Den Streitwert für das Scheidungsverfahren hat das
Amtsgericht mit Beschluss vom. 14.01.2005 zunächst auf 2.030,00 Euro festgesetzt, obwohl die
Antragstellerin bereits in ihrer Antragsschrift vom 27.07.2004 das monatliche Nettoeinkommen
beider Ehegatten mit zusammen 3.010,00 Euro beziffert und aufgrund einer nach diesem Wert
bemessenen Vorschussanforderung auch einen Gerichtskostenvorschuss eingezahlt hatte.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde erstrebt die Bevollmächtigte der Antragstellerin eine
Heraufsetzung des Streitwertes für das Scheidungsverfahren auf 14.000,00 Euro. Wegen der
Berechnung dieses Betrages wird auf den Schriftsatz vom 26.01.2005 Bezug genommen. Das
Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, mit Beschluss vom 18.02.2005 aber
anschließend eine Berichtigung der angefochtenen Wertfestsetzung vorgenommen und den
Streitwert für das Scheidungsverfahren hierbei auf 9.030,00 Euro festgesetzt.
II.
317
Die gemäß § 32 II RVG i.V.m. § 68 I GKG zulässige Beschwerde ist unter Berücksichtigung der
vom Amtsgericht bereits angenommenen Berichtigung der ursprünglichen Wertfestsetzung nur in
geringem Umfang begründet.
Der Wert einer Ehesache ist gemäß § 48 II, III GKG n.F. unter Berücksichtigung aller Umstände
des Falles festzusetzen, wobei neben den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der
Parteien auch Umfang und Bedeutung der Sache in die Bewertung mit einzubeziehen sind.
Wegen der Einzelheiten verweist der Senat insoweit auf die von der Beschwerdeführerin
vorgelegte Stellungnahme der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichte -Leiter des
Dezernats 10- vom 03.02.2004.
Das für die Wertfestsetzung maßgebliche Nettoeinkommen der Parteien wurde in der
Antragsschrift vom 27.07.2004 unwidersprochen mit monatlich insgesamt 3.010,00 Euro beziffert
(Antragsgegner 2.800,00 Euro, Antragstellerin 210,00 Euro), es errechnet sich so nach § 48 III 1
GKG ein Ausgangsbetrag von 9.030,00 Euro. Dieser ist -wie der Beschwerde zuzugeben ist- im
Hinblick auf das vorhandene Immobilienvermögen der Parteien angemessen zu erhöhen, wobei
der Senat hier -auch insoweit im Anschluss an die als zutreffend erachteten Ausführungen in der
v.g. Stellungnahme der hiesigen Verwaltungsabteilung vom 03.02.2004- einen Erhöhungsbetrag
von 550,00 Euro als ausreichend und sachgerecht ansieht. Der Betrag errechnetet sich
dergestalt, dass von dem mit 150.000,00 Euro bezifferten Wert des gemeinsamen Hauses der
Parteien zunächst ein Betrag in Höhe der früheren Vermögenssteuerfreibeträge bei
Zusammenveranlagung von Ehegatten, mithin ein Betrag von 128.000,00 Euro, abzusetzen ist,
was zu einem Ausgangsbetrag von 22.000,00 Euro führt. Dieser wirkt sich dabei nicht in vollem
Umfang, sondern lediglich mit einem Bruchteil streitwerterhöhend aus, den der Senat vorliegend
mit 5 % bewertet. Angesichts des geringen Umfangs und der unterdurchschnittlichen
Schwierigkeit, die die Ehesache auch nach Einschätzung der Beschwerde (Schriftsatz vom
26.01.2005) bot, hält der Senat es weiterhin für angemessen, den Erhöhungsbetrag auf die Hälfte
zu kürzen, so dass sich letztlich ein Erhöhungsbetrag von 550,00 Euro (150.000,000 ./.
128.000,00 Euro = 22.000,00 Euro x 5 % x Yz) und damit für das Scheidungsverfahren ein
Streitwert von 9.580,00 Euro (9.030,00 Euro + 550,00 Euro) ergibt.
Der Umstand, dass beiden Ehepartnern ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, zeigt
in der Regel an, dass sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien im
untersten wirtschaftlichen Bereich bewegen, so dass der Mindeststreitwert nach § 48 Abs. 3 Satz
2 GKG in Höhe von 2000 € angemessen ist. Allerdings darf dies nicht zu einer schematischen
Festsetzung des Streitwertes der Ehesache führen, sondern es ist stets eine
Einzelfallbetrachtung erforderlich.
OLG-SCHLESWIG: 8 WF 33/05, Beschluss vom 24.02.2005
Verfahrensgang:
AG Kiel 52 F 219/04 vom 11.01.2005
Stichworte: Streitwert, Ehescheidung, Familiensachen, Scheidung
8 WF 33/05
Beschluss
In der Familiensache
hat der 1. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in
Schleswig am 24. Februar 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gegen den Streitwertbeschluss
318
des Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel vom 11. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Auf den am 30. Juli 2004 beim Amtsgericht Kiel eingegangenen Scheidungsantrag hat das
Familiengericht beiden Parteien für das Scheidungsverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe
bewilligt und den Gegenstandswert für die Ehescheidung auf 2000 ¤ festgesetzt.
Mit seiner Beschwerde erstrebt der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers eine Erhöhung des
Streitwerts für die Ehescheidung.
Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien ergibt sich aus den PKHBeiheften, dass der Antragsteller arbeitslos ist und ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe
von 259,14 ¤ erhält. Der Antragsteller hat Verbindlichkeiten gegenüber der Citibank in Höhe von
3407 ¤ (Kreditkonto) sowie 2044 ¤ (Girokonto). Darüber hinaus besteht ein Darlehensvertrag mit
der Fidium Finanz AG, auf den der Antragsteller monatliche Raten in Höhe von 109,40 ¤ zu
zahlen hat. Die Parteien haben eine gemeinsame Tochter Jacqueline, geboren am 26. März 1997,
die beim Antragsteller wohnt.
Die Antragsgegnerin ist Hausfrau und bezieht Sozialhilfe und Wohngeld.
II.
Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG i. V. m. § 32 Abs. 2 RVG zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der Einzelrichter hat die Sache dem Senat vorgelegt, weil die Streitwertbemessung in Ehesachen
in Fällen der hier zu entscheidenden Art zwischen den Oberlandesgerichten umstritten ist (§ 568
Satz 2 Nr. 2 ZPO).
Die Streitwertfestsetzung in Ehesachen erfolgt gemäß § 48 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache sowie
der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien, wobei für die
Einkommensverhältnisse in der Regel von dem dreimonatigen Nettoeinkommen beider Ehegatten
auszugehen ist (§ 48 Abs. 3 Satz 1 GKG). Das maßgebliche Nettoeinkommen ist dergestalt zu
ermitteln, dass von dem Nettoeinkommen, das sich nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben
ergibt, weitere Abzüge gerechtfertigt sind, insbesondere Unterhaltsverpflichtungen gegenüber
minderjährigen Kindern sowie fortlaufende Schuldenlasten (vgl. OLG Schleswig, FamRZ 2000,
1517; OLG Hamburg, OLG-Report 2003, 252).
Aus § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG schließt ein Teil der Rechtsprechung, dass stets das dreimonatige
Nettoeinkommen der Parteien in die Streitwertberechnung einzustellen sei (u. a. OLG München,
FamRZ 2002, 683; OLG Celle, OLG-Report 2002, 153). Demgegenüber wird von der
Gegenmeinung die Auffassung vertreten, dass für den Fall, dass den Parteien ratenfreie
Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, bei der Streitwertbemessung für das Scheidungsverfahren
nicht auf das dreifache monatliche Gesamtnettoeinkommen abgestellt werden könne. Das
Einkommen der Parteien mit ratenfreier Prozesskostenhilfe bleibe vielmehr unberücksichtigt, so
dass stets auf den Mindeststreitwert von 2000 ¤ abzustellen sei (OLG Hamm, FamRZ 2004,
1297). Eine vermittelnde Meinung hebt hervor, dass bei der Streitwertfestsetzung stets die
Umstände des Einzelfalles heranzuziehen seien. Der Streitwert einer Ehesache sei, auch wenn
beiden Parteien ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, nicht ausnahmslos auf den
Mindestbetrag von 2000 ¤ festzusetzen. Vielmehr sei zu beachten, dass bei der Beurteilung einer
Zahlungsverpflichtung nach § 115 ZPO im Einzelfall höhere Belastungen einkommensmindernd
zu berücksichtigen sein können als bei der Streitwertbemessung. Deshalb sei stets eine
Einzelfallbetrachtung erforderlich (OLG Hamburg, OLG-Report 2000, 437, 438).
Der erkennende Senat hat im Beschluss vom 4. März 2004 (SchlHA 2004, 191) ausgeführt, dass
der Streitwert in einer Ehesache, in der beiden Parteien Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlungsanordnung gewährt worden ist, jedenfalls dann auf den Mindestwert von 2000 ¤
festzusetzen ist, wenn fest steht, dass die Parteien alle verfügbaren finanziellen Mittel für eine
319
kärgliche Lebensführung einsetzen und sich mit einem Lebenszuschnitt bescheiden müssen, der
weitere Einschränkungen ohne Existenzgefährdung nicht gestattet. An dieser Rechtsprechung
hält der Senat nach erneuter Prüfung der Rechtslage im Grundsatz fest. Denn der Umstand, dass
beiden Ehepartnern ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, zeigt in der Regel an, dass
sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien im untersten wirtschaftlichen
Bereich bewegen, so dass der Mindeststreitwert nach § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG in Höhe von 2000
¤ angemessen ist. Allerdings darf dies nicht zu einer schematischen Festsetzung des Streitwertes
der Ehesache führen, sondern es ist stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Denn die
Bewilligung von ratenfreier Prozesskostenhilfe ist - insbesondere nach der gesetzlichen
Neuregelung des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO - nicht in jedem Fall ein sicheres Indiz für eine
kärgliche Lebensführung der Parteien.
Im vorliegenden Fall ist es unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse der Parteien nicht
zu beanstanden, dass das Familiengericht den Streitwert für die Ehesache auf den Mindestwert
festgesetzt hat. Denn die finanziellen Verhältnisse der Parteien sind so knapp, dass sie sich mit
einem bescheidenen Lebenszuschnitt begnügen müssen. Das Nettoeinkommen des
Antragstellers beträgt wöchentlich 259,14 ¤ = monatlich 1122,94 ¤. Von diesen Einkünften muss
nicht nur die Wohnung und der Lebensunterhalt des Antragstellers, sondern auch der Unterhalt
für die Tochter Jacqueline, geboren am 26. 3. 1997, bestritten werden. Im übrigen reichen die
Einkünfte des Antragstellers nicht aus, um den Unterhalt der Antragsgegnerin sicherzustellen, so
dass die Antragsgegnerin auf die Gewährung von Wohngeld und Sozialhilfe angewiesen ist.
Aus alledem folgt, dass sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien im
untersten wirtschaftlichen Bereich bewegen, so dass es nicht zu beanstanden ist, dass das
Familiengericht bei der Bemessung des Streitwertes für die Ehesache von dem Mindestwert in
Höhe von 2000 ¤ ausgegangen ist.
Zu dem gleichen Ergebnis führt im übrigen die Streitwertermittlung gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1
GKG, wie folgende Berechnung ergibt:
Das nach § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG maßgebliche Nettoeinkommen der Parteien ist in der Weise zu
ermitteln, dass von den Nettobezügen Unterhaltszahlungen sowie fortlaufende Schuldenlasten,
die die ehelichen Lebensverhältnisse nachhaltig geprägt haben, abzuziehen sind (vgl. SchlHOLG,
FamRZ 2000, 1517; SchlHOLG, SchlHA 2002, 284; OLG Karlsruhe, FamRZ 2002, 1135; ZöllerHerget, ZPO, 25. Aufl., § 3 Rdnr. 16 Stichwort "Ehesachen"). Hinsichtlich der Unterhaltsbelastung
ist für jedes unterhaltsberechtigte Kind ein Betrag in Höhe von 250 ¤ bis 300 ¤
einkommensmindernd abzuziehen (vgl. dazu Zöller-Herget, a. a. O.), so dass von dem
Arbeitslosengeld des Antragstellers in Höhe von monatlich 1122,94 ¤ ein Betrag in Höhe von
mindestens 250,00 ¤ in Abzug zu bringen ist. Darüber hinaus ist die Darlehensrate gegenüber der
Fidium Finanz AG in Höhe von 109,40 ¤ abzusetzen. Wegen der Verbindlichkeiten gegenüber der
Citibank ist ein monatlicher Abtrag in Höhe von jedenfalls 100,00 ¤ angemessen, so dass ein
bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 663,54 ¤ verbleibt.
Die Einkünfte der Antragsgegnerin bleiben bei der Streitwertermittlung unberücksichtigt, weil die
Sozialhilfe kein Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 3 GKG darstellt (vgl. dazu Zöller-Herget, a. a.
O.).
Aus alledem folgt, dass der Streitwert gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG in der Weise zu berechnen
ist, dass das maßgebliche Einkommen des Antragstellers in Höhe von 663,54 ¤ mit dem Faktor 3
zu multiplizieren ist, so dass sich ein Gegenstandswert in Höhe von 1990,62 ¤, gerundet 2000 ¤,
ergibt.
Nach alledem ist der angefochtene Streitwertbeschluss nicht zu beanstanden, so dass die
Beschwerde keinen Erfolg haben kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.
320
OLG-KOELN: 14 WF 40/05, Beschluss vom 15.03.2005
Verfahrensgang:
AG Euskirchen 19 F 145/04 vom 28.02.2005
OBERLANDESGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
14 WF 40/05
In der Familiensache
hat der 14. Zivilsenat - Familiensenat - durch den Vorsitzenden Richter am OLG Dr. Büttner als
Einzelrichter
am 15.03.2005
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Rechtsanwälte des Klägers gegen den Streitwertbeschluss des Amtsgerichts
Euskirchen vom 28.02.2005 (19 F 145/04) wird der Streitwert für die Beklagte zu 1) auf 2000 ¤ und für
den Beklagten zu 2) auf 2000 ¤ festgesetzt.
Gründe:
Die gem. §§ 25 III GKG, 9 II BRAGO zulässige Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abgeholfen
hat, ist auch in der Sache begründet.
Die vor dem 01.07.2004 geltenden Gesetze sind gem. § 72 GKG, 61 RVG anwendbar, da der
Rechtsstreit vor dem 01.07.2004 anhängig geworden ist und der Auftrag vor diesem Zeitpunkt erteilt
worden ist.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts beträgt der Streitwert für jedes Kind, die von
verschiedenen Anwälten vertreten werden, 2000 ¤. Für den Kläger, der zwei zu einem
unterschiedlichen Zeitpunkt geborene Kinder verklagt hat, beläuft sich der Gesamtstreitwert also auf
4000 ¤.
Nach § 12 II § GKG a.F. ist von einem Regelstreitwert von 2000 ¤ auszugehen, mit Inkrafttreten des §
48 III 3 GKG ist das ein fester Streitwert geworden, nur noch nach § 48 IV GKG (Zusammentreffen mit
vermögensrechtlichen Ansprüchen) sind Abweichungen möglich. Der Unterschied spielt im Streitfall
keine Rolle, da im Streitfall kein Anlass besteht, vom Regelstreitwert abzugehen.
Unabhängig davon ist es aber nach altem Recht wie nach neuem Recht so, dass eine Mehrzahl von
Beklagten in einem Kindschaftsprozess zu einer entsprechenden Vervielfachung des Streitwerts führt
(OLG Karlsruhe Justiz 1987, 146; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 3 Rdn. 16
"Vaterschaftsanfechtung"). Das folgt aus §§ 5 ZPO, 19 GKG a.F., wonach mehrere in einer Klage
geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet werden. Bei jedem Kind, das beklagt ist, handelt
es sich um eine selbständige Kindschaftssache und damit um einen eigenen Streitgegenstand. Das
ergibt sich schon daraus, dass die Entscheidungen über die Abstammung verschieden ausfallen
können. Weder § 12 II GKG a.F. noch § 48 III 3 GKG schließen eine Vervielfachung des Streitwerts
bei mehreren Streitgegenständen aus.
LG Braunschweig 1. Zivilkammer Beschluß vom 28. Dezember 2004 1 O 3125/04
ZPO § 3, GKG § 43
321
Streitwertbemessung: Miteingeklagte verzugsbedingt entstandene Rechtsanwaltskosten
Orientierungssatz
Vorprozessual entstandene Rechtsanwaltskosten, die als Verzugsschaden mit eingeklagt
werden, sind streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da sie nicht als Nebenforderung
eingeklagt werden.
AGS 2005, 75 (red. Leitsatz und Gründe)
Der Geschäftswert für ein (Hauptsache-)Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz ist in der
Regel mit 3.000,00 EUR anzusetzen (§§ 110a Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO).
Hinsichtlich des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen eines
Gewaltschutzverfahrens ist zu unterscheiden:
- soll durch die einstweilige Anordnung die Benutzung der Wohnung geregelt werden, beträgt der
Wert 2.000,00 EUR (§§ 64 b Abs. 3 FGG, 24 S. 2 und 3 RVG, 53 Abs. 2 S. 2 GKG)
- ist die Benutzung des Hausrats zu regeln beträgt der Wert 1.200,00 EUR (§§ 64 b Abs. 3 FGG,
24 Abs. 2 und 3 RVG, 53 Abs. 2 S. 2 GKG)
- ansonsten beläuft sich der Wert auf 500,00 EUR (§§ 64 b Abs. 3 FGG, 24 S. 1 und 3 RVG).
Wird ein Rechtsanwalt sowohl mit dem Hauptsacheverfahren als auch mit dem Verfahren auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung befasst, ist jeweils ein eigener Wert für beide
Verfahrensgegenstände festzusetzen (§ 17 Nr. 4 RVG).
OLG-KOBLENZ: 7 WF 123/05, Beschluss vom 23.05.2005
Verfahrensgang:
AG Sinzig 8 F 463/04 vom 17.01.2005
Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss
Geschäftsnummer:
7 WF 123/05
in der Familiensache
wegen Gewaltschutz
hier: Geschäftswert.
Der 7. Zivilsenat -4. Senat für Familiensachen- des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Wolff, den Richter am Oberlandesgericht Eck und die
Richterin am Oberlandesgericht Dühr-Ohlmann
am 23.05.2005
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird die Wertfestsetzung
im Beschluss des Amtsgerichts-Familien-gericht - Sinzig vom 17.01.2005 dahingehend
322
abgeändert, dass der Geschäftswert für das Hauptsacheverfahren auf 3.000 ¤ und für die
einstweilige Anordnung auf 2.000 ¤ festgesetzt wird.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat den Antragsgegner nach §§ 1 und 2 GewaltSchG auf Unterlassung
tätlicher Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen und Belästigungen sowie Überlassung der zuvor
gemeinsam genutzten Wohnung zur alleinigen Benutzung und das Verbot, diese zu betreten, in
Anspruch genommen. Nachdem das Familiengericht eine hierauf gerichtete einstweilige
Anordnung antragsgemäß erlassen hatte, hat die Antragstellerin die Hauptsache nicht weiter
betrieben. Mit Beschluss vom 17.01.2005 hat das Familiengericht über die Kosten des Verfahrens
entschieden und den Geschäftswert nach § 24 S. 1 und 3 RVG auf 500 ¤ festgesetzt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde erstreben die Verfahrensbevollmächtigten der
Antragstellerin eine Heraufsetzung des Geschäftswertes für die Hauptsache auf 4.000 ¤ und für
die einstweilige Anordnung auf 2.000 ¤. Demgegenüber hält der Bezirksrevisor die Auffassung
des Familiengerichts für zutreffend.
II.
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist zulässig und hat in der
Sache weitgehend Erfolg. Das Familiengericht hat es, wie der Verweis auf § 24 RVG zeigt,
unterlassen, einen Wert für das Hauptsacheverfahren festzusetzen und zudem den Wert für die
einstweilige Anordnung zu niedrig angesetzt.
Die Statthaftigkeit der Beschwerde folgt aus § 33 Abs. 3 RVG, dessen
Zulässigkeitsvoraussetzungen auch im Übrigen gegeben sind. Da Gerichtsgebühren für das
Hauptsachverfahren nach § 100a Abs. 1 KostO mangels abschließender Sachentscheidung nicht
angefallen sind (vgl. OLG Dresden FamRZ 2003, 1312) und das Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gerichtsgebührenfrei ist, bedarf es nur für die Berechnung der
Anwaltsgebühren einer Wertfestsetzung. Da nach § 17 Nr. 4 RVG das Verfahren in der
Hauptsache und das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verschiedene
Angelegenheiten sind, ist jeweils ein eigener Wert für die beiden Verfahrensgegenstände
festzusetzen.
Der Geschäftswert für ein Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz in der Hauptsache ist nach
der Spezialvorschrift des § 100 a KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO mit dem Regelwert von 3.000 ¤
zu bemessen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., KostO § 100 a Rdn. 1; Zöller/Herget,
ZPO, 25. Aufl., § 3 Rdn. 16 "Gewaltschutzgesetz"; Schneider/Mock, Das neue Gebührenrecht für
Anwälte, § 18, Rdn. 47; Viefhues, Einstweiliger Rechtsschutz bei Maßnahmen nach dem
Gewaltschutzgesetz innerhalb und außerhalb eines Scheidungsverfahrens, FPR 2005, 32 ff, 36;
Keske in Handbuch Fachanwalt Familienrecht, 5. Aufl., 17. Kap., Rdn. 123). Voraussetzungen für
eine Ermäßigung dieses Regelwertes sind nicht erkennbar. Nach dem insoweit maßgeblichen
Inhalt der Antragsschrift kam es in den letzten Monaten zu erheblichen Streitigkeiten zwischen
den Parteien, die zu massiven Gewaltandrohungen und Gewaltanwendung führten, weshalb die
Antragstellerin Maßnahmen sowohl nach § 1 wie auch nach § 2 GewaltSchG beantragte.
Hinzukommt, dass der Hauptsachewert nicht niedriger bemessen werden kann als der Wert der
einstweiligen Anordnung, für die nach der seit dem 01.07.2004 geltenden Gesetzesfassung
zwingend ein Wertansatz von 2.000 ¤ vorgesehen ist , wie sich aus den folgenden Ausführungen
ergibt.
Für die einstweilige Anordnung nach §§ 64 b Abs. 3 FGG, 620 a ff ZPO hat der Gesetzgeber in §
24 RVG eine Sonderregelung getroffen. Entgegen der Ansicht des Familiengerichts und des
Bezirksrevisors ist insoweit im vorliegenden Fall allerdings nicht § 24 S. 1 RVG einschlägig, der
für die hierin angesprochenen Verfahren einen Ausgangswert von 500 ¤ vorsieht. Vielmehr erklärt
§ 24 S. 3 RVG für die einstweiligen Anordnungen des § 64 b FGG ausdrücklich die Sätze 1 und 2
323
für entsprechend anwendbar. Nach § 24 S. 2 RVG gilt jedoch immer dann, wenn Ehewohnung
und Hausrat betroffen sind, die Streitwertregelung in § 53 Abs. 2 S. 2 GKG. Nach dieser
Bestimmung beträgt der Wert aber, soweit die Benutzung der Wohnung zu regeln ist, 2.000 ¤ und
soweit die Benutzung des Hausrats zu regeln ist, 1.200 ¤. Hierbei handelt es sich um Festwerte,
die zur Vereinfachung der Streitwerte eingeführt wurden (vgl. die Gesetzesbegründung, zitiert
nach Otto/Klüsener/May, Das neue Kostenrecht, Anmerkung zu § 53 GKG; Hartmann, a.a.O., §
53 GKG Rdn. 21) und in ihrem Anwendungsbereich als lex specialis der Regelung in § 24 S. 1
RVG vorgehen. Das bedeutet, dass immer dann, wenn die einstweilige Anordnung nach dem
GewaltSchG die Wohnungsüberlassung oder -benutzung betrifft, zwingend ein Wert von 2.000 ¤
anzusetzen ist (allgemeine Meinung: Hartmann, a.a.O., § 53 GKG Rdn. 21; Schneider/Mock,
a.a.O., § 18 Rdn.45; Viefhues, a.a.O., S. 36; Gerold/Schmidt/Ma-dert, RVG, 16. Aufl., § 24 Rdn.
11; Wick, Auswirkungen des neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes im familiengerichtlichen
Verfahren, FPR 2004, 357 ff, 362; Zöller/Herget, a.a.O.; Keske, a.a.O., Rdn. 124).
Die vom Bezirksrevisor für seine abweichende Ansicht (Wert 500 ¤) zitierten Fundstellen sind
insoweit nicht einschlägig; sie betreffen teilweise den Rechtszustand vor dem 01.07.2004
(Bamberger/Roth; OLG Karlsruhe FPR 2005, 52 - der Beschluss datiert vom 28.08.2003! -);
Lappe (NJW 2004, 2409 ff, 2412) bezeichnet zwar - sicherlich zutreffend - die Gebührenregelung
einstweiliger Anordnungen als "Gipfel der Kompliziertheit", befasst sich jedoch nicht mit den
Differenzierungen des § 24 RVG. Die übrigen Fundstellen, insbesondere die vom Bezirksrevisor
hervorgehobenen Ausführungen von Viefhues geben die oben näher dargelegte
Gesetzessystematik zutreffend wieder.
1. Zur Bewertung der außergerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Zusammenhang mit
der Abwehr einer Arbeitgeberkündigung und der einvernehmlichen Aufhebung eines
Arbeitsverhältnisses.
2. Der Wert eines Vergleichs wird durch den Gegenstand bestimmt, über den sich die Parteien
vergleichen, nicht durch die Leistungen, auf die sie sich verständigen.
OLG-DUESSELDORF: I-24 U 66/04, Urteil vom 12.04.2005
Verfahrensgang:
LG Düsseldorf 2a O 82/03 vom 24.02.2004
Rechtskraft: JA
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I-24 U 66/04
Verkündet am 12. April 2005
In dem Rechtsstreit
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die am 01. März 2005 geschlossene
mündliche Verhandlung unter Mitwirkung seiner Richter Z, T und H
für Recht erkannt:
Tenor:
324
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das
am 24. Februar 2004 verkündete Urteil der 2a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf Einzelrichterin- teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an die Klägerin 698,52
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juni 2003
zu zahlen.
Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120% des jeweils beizutreibenden Betrags abzuwenden, es sei denn, die Gegenseite leistet
vorher Sicherheit in gleicher Höhe.
A.
Die klagende Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft hat den Beklagten außergerichtlich in
einer arbeitsgerichtlichen Angelegenheit beraten. Der Beklagte war seit mehr als 15 Jahren in
zuletzt leitender Stellung, ohne zur selbständigen Einstellung/Entlassung von Personal berechtigt
gewesen zu sein, bei der M.KG (nachfolgend Arbeitgeberin genannt) als "Bereichsleiter
Distributionstransporte" beschäftigt gewesen. Sein monatliches Bruttogrundgehalt betrug 7.162,35
EUR. Außerdem erhielt er vermögenswirksame Leistungen, einen Beitrag zur Altersversorgung,
als Sachbezug einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung sowie eine Jahrestantieme,
aufgeteilt in einen betriebsbezogenen, vom Jahresbetriebsergebnis abhängigen sowie einen
persönlichen leistungsbezogenen Teil.
Im Sommer des Jahres 2002 geriet der Beklagte mit dem Betriebsrat des von ihm geleiteten
Betriebs in einen Konflikt, der auf gegenseitigen verhaltensbezogenen Beschuldigungen beruhte
und zuletzt vor den zuständigen Gerichten ausgetragen wurde. Dies nahm die Arbeitgeberin zum
Anlass, den Beklagten am 12. September 2002 mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben
freizustellen. Ihm wurde nahegelegt, das ihm unterbreitete, mit einer Geldabfindung (113.000
EUR) verbundene Angebot zur Auflösung des Arbeitsvertrags (nachfolgend Auflösungsvertrag
genannt) innerhalb bestimmter Frist zu unterzeichnen, andernfalls das Arbeitsverhältnis aus
verhaltensbedingten Gründen außerordentlich gekündigt werde. Die Arbeitgeberin hatte auf
Nachfrage ferner Zustimmung signalisiert, mit dem Beklagten als Unternehmer im Falle seines
Ausscheidens einen Rahmenvertrag über Transporte mit bestimmten Umsätzen abzuschließen
(nachfolgend Transportvertrag genannt).
Am 24. September 2002 begab sich der Beklagte in die Beratung der Klägerin. Er beauftragte den
sachbearbeitenden Rechtsanwalt H., der über den avisierten Transportvertrag unterrichtet worden
war, über die Einzelheiten des Auflösungsvertrages zu verhandeln, insbesondere eine höhere
Geldabfindung zu erreichen. Weitere unverzichtbare Bedingung war, dass der Beklagte einer
Auflösungsvereinbarung nicht ohne den Abschluss des Transportvertrags zustimmen werde. Die
Parteien streiten darüber, ob Gegenstand des Auftrags auch gewesen ist, Einzelheiten des
Transportvertrags zu verhandeln.
Die Klägerin führte Verhandlungen und eine Besprechung mit der Arbeitgeberin, wobei auch der
Transportvertrag zur Sprache kam. Nachdem im November 2002 Auflösungs- und
Transportvertrag (in getrennten Urkunden, der Transportvertrag mit der noch zu gründenden MGmbH) unterzeichnet worden waren, erteilte die Klägerin ihre Honorarnote, die unter
Berücksichtigung eines Vorschusses (2.320 EUR) mit 55.631,28 EUR endet. Die Klägerin legt
einen Gegenstandswert von 5.044.764,68 EUR zugrunde. Davon entfällt ein Anteil von 5 Mio.
EUR auf die Verhandlung und den Abschluss des Transportvertrags.
Die Klägerin hat geltend gemacht: Verhandlung und Abschluss beider Verträge seien Gegenstand
des Auftrags gewesen. Es handele sich um zwei verschiedene Gegenstände, so dass der Wert
des Transportvertrags wenigstens mit der Differenz zwischen dem bereits vor Beratungsbeginn
unterbreiteten Angebot (15 Mio. EUR Umsatz) und der unter ihrer Mitwirkung erzielten
Verbesserung (20 Mio. EUR Umsatz) zu den übrigen Werten zu addieren sei.
325
Unter Berücksichtigung einer Teilzahlung vor Eintritt der Rechtshängigkeit hat die Klägerin
beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 54.718,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat um
Klageabweisung
gebeten. Er hat geltend gemacht: Gegenstand des Auftrags sei nur der Auflösungsvertrag
gewesen. Doch selbst dann, wenn es auch Aufgabe der Klägerin gewesen wäre, den
Transportvertrag zu verhandeln und in die Auflösungsvereinbarung einzubringen, würde dieser
den Gegenstandswert nicht beeinflussen. Der Transportvertrag sei, um ihm, den Beklagten, eine
neue selbständige Existenz zu ermöglichen, nur eine Gegenleistung für die Einwilligung in die
Auflösung des Arbeitsvertrags gewesen. Hilfsweise hat der Beklagte geltend gemacht, der Wert
des Transportvertrags sei nicht am Umsatz, sondern an der Gewinnchance zu orientieren, die nur
etwa 2,5% des Umsatzes betrage.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat offen gelassen, ob die Klägerin auch den
Transportvertrag (mit)verhandeln sollte. Durch die Mitverhandlung des Transportvertrags werde
der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nicht verändert.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches
Vorbringen und macht jetzt geltend, Auflösungs- und Transportvertrag seien nicht nur zwei
verschiedene Gegenstände, sondern zwei verschiedene Angelegenheiten, die nicht nach ihren
zusammengerechneten, sondern nach ihren jeweiligen Einzelwerten zu honorieren seien. Unter
Vorlage entsprechend erhöhter Honorarrechnungen beantragt die Klägerin jetzt, unter
Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie 57.608,28 EUR nebst
Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 54.718,56 EUR seit Klagezustellung (d.
i. der 24. Juni 2003) und aus weiteren 2.890,72 EUR seit Zustellung der Berufungsbegründung (d.
i. der 01. Juni 2004) zu zahlen.
Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
B.
Die Berufung hat nur ganz geringfügigen Erfolg. Der Beklagte schuldet der Klägerin gemäß §§
675, 612 BGB, § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO, § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG ein Gesamthonorar von 3.931,24
EUR. Unter Berücksichtigung bereits geleisteter Teilbeträge verbleibt noch eine Restforderung
von 698,52 EUR.
I.
Mit ihrem Hauptangriff (besonderer Wertansatz für den Transportvertrag) hat die Klägerin keinen
Erfolg. Das Landgericht hat mit im Ergebnis zutreffenden Erwägungen für den Transportvertrag
keinen gesonderten Wert angesetzt.
1.
Die (erstmals im zweiten Rechtszug geäußerte) Ansicht der Klägerin, das vom Beklagten erteilte
Mandat betreffe nicht eine, sondern zwei verschiedene Angelegenheiten (Auflösungs- und
Transportvertrag), die getrennt voneinander zu honorieren seien, ist unzutreffend. In diesem
Zusammenhang kann zugunsten der Klägerin als richtig unterstellt werden, dass der Beklagte sie
(wenigstens konkludent) auch mit der Verhandlung des Transportvertrags beauftragt hat (wofür
nach Einschätzung des Senats auch einige Indizien sprechen dürften).
a)
326
Ob die zu besorgenden Tätigkeiten des Rechtsanwalts eine oder mehrere Angelegenheiten
betreffen, wird nicht in der Bundesrechtanwaltsgebührenordnung (BRAGO) geregelt, welche (mit
Blick auf die unbedingte Mandatserteilung vor dem 01. Juli 2004) gemäß § 61
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung auf den
Streitfall anzuwenden ist. In § 13 Abs. 2 S. 1 BRAGO wird nur bestimmt, dass der Rechtsanwalt in
derselben Angelegenheit jede gesetzliche Gebühr nur einmal verlangen kann. Ob eine oder
mehrere Angelegenheiten vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls und richtet sich maßgeblich
nach dem Inhalt der vereinbarten Geschäftsbesorgung (§§ 611, 675 BGB), die der Tätigkeit des
Rechtsanwalts den auftragstypischen Rahmen verleiht. Solange sich der Rechtsanwalt innerhalb
dieses Rahmens bewegt, betreffen alle seine Tätigkeiten, mögen sie auch vielzählig, vielgestaltig
und zeitaufwendig sein und sich auf verschiedene rechtliche Gegenstände (Rechte oder
Rechtsverhältnisse) beziehen, dieselbe Angelegenheit (BGH MDR 1976, 74; 1979, 76; 1984, 561;
NJW 2004, 1043 sub Nr. II.1a). Die Zusammenfassung verschiedener Tätigkeiten zu einer
gebührenrechtlichen Angelegenheit wird vielfach indiziert durch eine einheitliche
Auftragserteilung, durch die Identität des Gegners oder Verhandlungspartners, die Verfahrensart
und den Verfahrensrahmen sowie den inneren Zusammenhang der Tätigkeiten (vgl. Senat OLGR
Düsseldorf 2001, 214 m.w.N.).
b)
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der sachbearbeitende Rechtsanwalt in nur einer Angelegenheit
tätig geworden.
aa)
Anlass für die Mandatierung ist gewesen, dass der Beklagte nach heftigen, zuletzt auch
gerichtlich geführten Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat von seiner Arbeitgeberin nach
rund 15-jähriger Tätigkeit zuletzt als Logistikfachmann in leitender Funktion freigestellt und dass
ihm eine verhaltensbedingte Kündigung angekündigt worden war, deren Erklärung er nur dann
entgehen könne, wenn er den ihm vorgelegten Entwurf zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses
unterzeichne. Der bei Mandatsbeginn 52-jährige Beklagte war der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht grundsätzlich abgeneigt, wenn zwei Bedingungen erfüllt wurden:
- Geldabfindung, die den bisher angebotenen Betrag übersteigt (Auflösungsvertrag)
- Unterstützung der Arbeitgeberin für seinen beruflichen Neubeginn als selbständiger Spediteur in
Gestalt eines mehrjährigen Transportvertrags mit garantierten Jahresumsätzen (Transportvertrag)
Von dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt wollte der Beklagte zunächst beraten und dann
vertreten werden. Er wollte nämlich zunächst wissen, wie seine Verhandlungsposition gegenüber
der Arbeitgeberin nach der Rechtslage einzuschätzen sei (Beratung). Nachdem er diesbezüglich
eine ermutigende Auskunft erhalten hatte, sollte der Rechtsanwalt den Beklagten gegenüber der
Arbeitgeberin vertreten, wobei der Beklagte den Abschluss beider Verträge zu einem "Junktim"
erhob. Er war insbesondere nicht bereit, sein Arbeitsverhältnis aufzugeben, ohne gleichzeitig
einen Transportvertrag mit befriedigendem Inhalt abzuschließen. Ohne ein solches
Vertragsverhältnis war er sogar bei einer befriedigenden Geldabfindung bereit, es auf die
Kündigungserklärung des Arbeitsverhältnisses und die Führung eines
Kündigungsschutzprozesses ankommen zu lassen.
bb)
Anlass, Inhalt und Ziel der vereinbarten Geschäftsbesorgung waren damit einheitlicher Natur. Es
ging entweder um die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter den von dem
Kläger erklärten Bedingungen oder um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter
Inkaufnahme einer verhaltensbedingten Kündigung und ggf. auch der Führung eines
Kündigungsschutzprozesses, in welchem erneut die Chance bestand, zu einer
Auflösungsvereinbarung nach der Vorstellung des Beklagten zu gelangen. In diesem Rahmen
hatte der sachbearbeitende Rechtsanwalt die Interessen des Beklagten zu vertreten.
Daraus folgt, dass der Transportvertrag nicht nur, wie die Klägerin jetzt meint, gleichsam bei
Gelegenheit und mit dem angestrebten Auflösungsvertrag nur lose verbunden mit auszuhandeln
327
war, genauso gut aber auch nach Abschluss des Auflösungsvertrags hätte verhandelt werden
können. Denn dies hätte die von keiner Partei behauptete Aufgabe des "Junktims" bedeutet.
Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob auch die Arbeitgeberin einen solchen
unauflösbaren Zusammenhang (Junktim) zwischen beiden Vertragswerken gesehen hat, was die
Klägerin jetzt (erstmals im zweiten Rechtszug) bezweifelt. Auf die Sichtweise und das Verständnis
der Arbeitgeberin, über die die Klägerin ohnehin nur spekuliert, kommt es bei der Qualifizierung
des Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen den Parteien nicht maßgeblich an. Entscheidend ist,
was die Parteien miteinander vereinbart haben (vgl. BGH MDR 1976, 742 sub Nr. II.2 a.E.).
2.
Ohne Erfolg bleibt auch der im ersten Rechtszug hauptsächlich, jetzt hilfsweise gebrachte
Einwand der Klägerin, die Gebühren seien nach dem addierten Wert des Auflösungs- und
Transportvertrags zu berechnen. Gegenstand der Bewertung sind nämlich nicht die in Rede
stehenden Verträge, sondern entsprechend dem erteilten Auftragsinhalt das
Kündigungsschutzbegehren des Beklagten. Die Gebühren des Rechtsanwalts werden gemäß § 7
Abs. 1 BRAGO nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand seiner Tätigkeit hat. Dies waren
entgegen der Ansicht der Klägerin nicht die beiden unter ihrer Mitwirkung zustande gekommenen
Verträge, sondern es war das in die Krise geratene Arbeitsverhältnis des Beklagten.
a)
Unter dem Gegenstand ist das Recht oder Rechtsverhältnis (auch Streitgegenstand oder
Streitverhältnis genannt) zu verstehen, auf welches sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach
dem Inhalt des erteilten Auftrags bezieht (BGH MDR 1976, 742). Umfasst die Angelegenheit
mehrere Gegenstände, sind die Werte gemäß § 7 Abs. 2 BRAGO zu addieren.
b)
Das Verständnis, das die Klägerin vom Begriff des zu besorgenden Gegenstands hat, ist von
Rechtsirrtum beeinflusst. Die beauftragte Geschäftsbesorgung bezog sich weder auf den
Auflösungs- noch auf den Transportvertrag. Gegenstand war vielmehr, die Interessen des
Beklagten bezüglich des bedrohten Arbeitsverhältnisses, welches mit der bereits verfügten
Freistellung und der angedrohten Kündigung in eine ernsthafte Krise geraten war, gegenüber der
Arbeitgeberin zu vertreten. Es ging in erster Linie darum, die Kündigungserklärung zu verhindern
und vorgerichtlich eine einvernehmliche Lösung des aufgetretenen Konflikts zu erreichen
(Auflösung des Arbeitsvertrags zu den vom Beklagten gewünschten Bedingungen mit möglichst
vorteilhafter Ausstattung einschließlich des Transportvertrags) oder den Bestand des
Arbeitsverhältnisses zu verteidigen, notfalls in einem Kündigungsschutzverfahren.
Das hat der sachbearbeitende Rechtsanwalt bei der Ausführung des Auftrags so auch richtig
verstanden. Er hat, nachdem er mit den notwendigen Informationen versehen war, den Beklagten
über die Rechtslage aufgeklärt, also darüber, dass die Arbeitgeberin über keinen zureichenden
außerordentlichen Kündigungsgrund verfügte, so dass er, der Beklagte, in den Verhandlungen
über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses in der Lage war, eine starke Verhandlungsposition
aufzubauen. Die mit Blick auf die in Betracht gezogenen Kündigungsgründe ohnehin schon
schwache Verhandlungsposition der Arbeitgeberin litt ferner darunter, dass sie mit der verfügten
Freistellung des Beklagten eine nach außen bereits sichtbare und entschiedene Position
eingenommen hatte, welche sie ohne gravierenden Gesichtsverlust bei Mitarbeitern und
Betriebrat kaum noch räumen konnte. Diese Rechts- und Tatsachenlage öffnete dem Beklagten
rechtlich und faktisch weit das Tor hin zu der Lösung, welche er favorisierte. Das belegt, dass der
Abschluss der beiden in Rede stehenden Verträge nicht (Streit)Gegenstand der anwaltlichen
Tätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 BRAGO, sondern (gleichsam als Ersatz oder Preis für die
Fortsetzung des gestörten Arbeitsverhältnisses) nur das Mittel gewesen ist, um den
auftragsbezogenen streitgegenständlichen Konflikt (Arbeitsverhältnis) zu lösen. Insofern verhält
es sich bei vorgerichtlicher Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO) nicht anders als bei einer Tätigkeit
in der (streitigen) Gerichtsbarkeit (§ 8 Abs. 1 S. 1 BRAGO). Hier wie dort ist nach ganz
herrschender Meinung nicht (Streit)Gegenstand das, worauf sich die (Streit)Parteien einigen
(Verhandlungsergebnisse/Zugeständnisse), sondern worüber sie gestritten haben (BGH AnwBl
1964, 204; BAG NJW-RR 2001, 495; OLG Frankfurt JurBüro 1985, 1857 m. zust. Anm. Mümmler
= KostRspr § 3 ZPO Nr. 794 m. zust. Anm. E.Schneider; OLG München JurBüro 2001, 141; OLG
Nürnberg OLGR Nürnberg 2002, 248; E. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rn.
328
4569 und 4613 jew. m.w.N.; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., Stichw. "Vergleichsgebühr"
Anm. 5.1; dies., RVG, Stichw. "Kapitalabfindung/Unterhalts-, Rentenansprüche"; Schmidt/Madert,
Der Gegenstandswert, 4. Aufl., Rn. 476 und 487; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe,
RVG, 16. Aufl., 1000 VV Rn. 91 i.V.m. Rn. 34; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 23
Rn. 29ff; a.A. LG Köln AnwBl. 1998, 212 ohne Auseinandersetzung mit der h.M.).
Darin besteht der Unterschied zu § 39 Abs. 1 KostO, der (für den Bereich der freiwilligen
Gerichtsbarkeit konsequent) den Wert dem Rechtsverhältnis entnimmt, worauf sich die
beurkundete Erklärung bezieht (vgl. BayObLG FamRZ 2002, 1204). Daraus folgt für den Streitfall,
dass sich die Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit nach dem umstrittenen, nämlich durch
Freistellung und Kündigungsandrohung in die Krise geratenen Arbeitsverhältniss richtet.
c)
Anders wäre Frage nur dann zu beantworten, wenn der Transportvertrag keine innere Verbindung
mit dem Auflösungsvertrag gehabt hätte. Das wäre der Fall gewesen, wenn der Transportvertrag
(selbständig) rechtsbegründend gleichsam nur zufällig aus Anlass des Auflösungsvertrags oder
deshalb mitverhandelt (miterledigt) worden wäre, weil auch diesbezüglich ein (selbständiger)
Streit oder eine (selbständige) Ungewissheit über ein solches Recht oder Rechtsverhältnis durch
gegenseitiges Nachgeben hätte beseitigt werden sollen (vgl. Senat JurBüro 2001, 87). Das ist,
wie bereits ausgeführt worden ist (oben sub Nr. I.1b), hier aber nicht der Fall. Der Abschluss des
Transportvertrags war, neben der Abfindung in Geld, aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten
als Auftraggebers der Klägerin (vgl. BGH MDR 1976, 742 sub Nr. II.2 a.E.) eine weitere
notwendige materielle Gegenleistung für die von ihm zu erbringende Leistung, nämlich seine
Zustimmung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Aufgabe des Kündigungsschutzes.
Die Ansicht der Klägerin, die Gegenleistung der Arbeitgeberin zur Vertragsauflösung stelle nur die
Geldabfindung dar, während der Transportvertrag (jedenfalls nach der Vorstellung der
Arbeitgeberin) eine davon unabhängige Leistung gewesen sei, geht an dem ihr vom Beklagten
erteilten und für die Bestimmung des Gegenstands der Tätigkeit (§ 7 Abs. 1 BRAGO)
maßgeblichen Auftragsinhalt vorbei (vgl. BGH aaO).
Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Transportvertrag nicht den Beklagten
persönlich, sondern die M-GmbH unmittelbar begünstigen sollte. Maßgeblich ist auch hier wieder
nur der Inhalt des Auftrags, den allein der Beklagte bestimmte und erteilte. Ob (bei im Übrigen
wirtschaftlich gleichem Interesse) dann anders zu entscheiden wäre, wenn die Klägerin für die
Verhandlung des Transportvertrags statt vom Beklagten von der M-GmbH beauftragt worden
wäre, braucht hier nicht entschieden zu werden.
3.
Das Landgericht hat mit Recht den Wert der gegenständlichen Tätigkeit des sachbearbeitenden
Rechtsanwalts dem § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung
(nachfolgend ArbGG a.F.) entnommen. Das Mandat war vor Inkrafttreten der gesetzlichen
Neuregelung abgeschlossen, so dass, wovon auch die Klägerin ausgeht, unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt die Kostennovelle zur Anwendung gelangen kann (vgl. dazu Hansens RVG-Report
2004, 140). Die Anwendung von § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG a.F. folgt aus § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO.
Danach richtet sich die Bewertung der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts nach den
Wertvorschriften für das gerichtliche Verfahren, wenn der Gegenstand der außergerichtlichen
Tätigkeit auch Gegenstand einer gerichtlichen Tätigkeit sein könnte (vgl. BGH NJW 1997, 188 sub
Nr. 2). So verhält es sich im Streitfall.
a)
Der vereinbarten außergerichtlichen Abwehr der angedrohten Kündigung entspricht im
gerichtlichen Verfahren die Vertretung des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess gemäß
§§ 4 ff KSchG (BAG NJW-RR 2001, 495). Nicht maßgeblich ist, dass die außergerichtliche
Tätigkeit des Rechtsanwalts im Vorfeld der Kündigungserklärung nicht unmittelbar in die
gerichtliche Tätigkeit übergehen kann, sondern davon abhängt, ob die erst angedrohte Kündigung
auch tatsächlich erklärt wird (BAG aaO). Sinn der Regelung des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO ist es
nach ganz herrschender Meinung, die gesamte außergerichtliche Tätigkeit und die gerichtliche
Tätigkeit mit Blick auf § 118 Abs. 2 BRAGO (Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß § 118 Abs.
329
1 Nr. 1 BRAGO auf die Prozessgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) gebührenrechtlich zu
vereinheitlichen (BAG aaO, LAG Stuttgart AGS 2000, 94; LAG Düsseldorf MDR 2001, 598; AG
Köln MDR 2002, 1030 = KostRspr § 8 BRAGO Nr. 119 m. abl. Anm. N. Schneider;
Schumann/Geißinger, BRAGO, 2. Aufl. § 8 Rn. 4f; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO,
15. Aufl., § 8 Rn. 13; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., § 23 Rn.
29f; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 8 Rn. 11; Hartmann, Kostengesetze, 33.
Aufl., § 8 BRAGO Rn. 6f; Mümmler JurBüro 1989, 169; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 20. Aufl.,
"Sonstige Angelegenheiten", Nr. 4.2 "Gegenstandswert/vorbereitende Tätigkeiten", S. 1364f; a.A.
LG Köln KostRspr § 8 BRAGO mit zust. Anm. N. Schneider; N. Schneider MDR 2000, 685;
Gebauer/N. Schneider, BRAGO, § 8 Rn. 66, Enders JurBüro 1996,1ff; Zöller/Herget, ZPO, 25.
Aufl., § 3 Stichw. "Mietstreitigkeiten/Kündigung"). In der bis zum 30. Juni 1994 geltenden Fassung
des § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO (BGBl 1986 I S. 2326) war das durch die Bildung von Beispielsfällen
(darunter auch die Kündigung und damit auch die Kündigungsabwehr) eindeutig ausgedrückt.
Ausweislich der Begründung zur Gesetzesneufassung (BT-Drs 12/6992 S. 100 und 12/7657 S.
107) sollte mit der Kostenrechtsnovelle (BGBl 1994 I S. 1325), die den § 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO in
der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (ohne Beispielsfälle) geschaffen hat (jetzt im
Wortlaut unverändert § 23 Abs. 1 S. 3 RVG), aber nur eine sprachliche und nicht eine sachliche
Änderung herbeigeführt werden (LAG Stuttgart aaO; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO Rn.
1; von Eicken NJW 1994, 2258, 2260; Otto JurBüro 1994, 385, 394f; Madert AnwBl 1994, 305,
306; a.A. Gebauer/N. Schneider, BRAGO, § 8 Rn. 66, die ohne Auseinandersetzung mit Verlauf
und Motiven des Gesetzgebungsänderungsverfahrens meinen, der jetzige Wortlaut der Fassung
spreche gegen die dargestellte Auslegung).
b)
§ 12 Abs. 7 S. 1, 1. Halbs. ArbGG a.F. bestimmt (abweichend von § 17 Abs. 3 GKG a.F.), dass
sich der Wert eines Rechtsstreits über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung
eines Arbeitsverhältnisses höchstens nach dem Betrag richtet, der dem Arbeitsentgelt für die
Dauer eines Vierteljahres entspricht, wobei gemäß Halbs. 2 dieser Bestimmung eine Abfindung
werterhöhend nicht hinzuzurechnen ist.
Auch in diesem Zusammenhang hilft der Hinweis der Klägerin nicht weiter, unter "Abfindung" im
Sinne des § 12 Abs. 7 S. 1, 2. Halbs. ArbGG a.F. seien nur Geldabfindungen zu verstehen.
Richtig ist, dass der 2. Halbs. der Regelung an §§ 9 Abs.
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