Albertus- Magnus-Gymnasium Etttlingen 2003 „Sag´ emol ...“ - Ettlinger Sagen „AN DER HAND“ – EIN ALTER MARKSTEIN 3 BURG FÜRSTENZELL 3 DAS ARME MÄDCHEN 4 DAS GESPENST 4 DAS HUNGERBRÜNNELE 5 DAS REISIGBÜNDEL 5 DAS SCHATZWÄLDCHEN 6 DAS WASSER VOM ROBBERG 7 DER EISERNE RING 8 „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 1 DER FEUERMANN 8 DER SCHWARZE RATSHERR 9 MITTERNACHTSMESSE 9 DER SPECHTSHART 10 DER TOTE MANN 10 DIE ALTE SCHARFE 11 DIE SCHLÜSSELBLUME 11 SAGEN VOM BURGSTADEL 11 DIE VERHEXTE KUH 14 DIE WEIßE DAME VOM ROBBERG 14 „DOHLENAZE“ 15 DOPPELMORD WEGEN EINES HALBEN KREUZERS 15 GLOCKE GEFUNDEN 15 EINE ETTLINGER SCHWEINEREI 16 DAS SCHRECKLÄUTEN 16 HERRGOTT, GUCK WEG! 17 DIE SCHLUTTENBACHER EICHE 17 DIE SINGERHEXE 17 D´SINGERHEX 18 DIE VERWUNDETE MADONNA 19 WASSER SCHELLEN 20 WER GOTT LÄSTERT 20 ZWERG RIESE 20 „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 2 „An der Hand“ – ein alter Markstein Nördlich von Ettlingen in der Nähe des Friedhofs an der Durlacher Straße steht ein Stein, der einmal ein Wegweiser gewesen sein muss. Im Volksmund wird er „An der Hand“ genannt. Die Anwohner erzählen sich, dass dieser Stein Denkmal eines Mordes sei. Sie begründen ihre Geschichte mit einer Hand, die auf dem Markstein eingemeißelt ist, auf dem die Jahreszahl 1604 und der Ortsname Durlach steht. Woher kommt dieser ungewöhnliche Name des Steins? Alles begann mit zwei diebischen Burschen, die nach der Maiandacht in der Martinskirche sich hinter zwei Säulen versteckten, um nach der Messe das Opfergeld zu stehlen. Bei ihrer Tat wurden sie jedoch von dem Kirchendiener überrascht. Gerade als sie flüchten wollten, verließen glücklicherweise einige Männer das nahe gelegene Gasthaus. Als sie sahen, dass die Diebe den Kirchendiener, der die beiden entdeckt hatte und nun lauthals um Hilfe rief, beiseite gestoßen hatten, rannten sie laut grölend hinter den beiden her. Erst an der Stelle, an der heute der seltsame Markstein steht, konnten die empörten Dorfleute die Diebe stellen. Da einer der beiden sich nicht ergeben wollte, versuchte er in Richtung der Hedwigsquelle zu entwischen. Nach kurzer Verfolgung kam es zu einer Rauferei, bei der dem Flüchtenden, der sich heftig wehrte, die Hand mit einer scharfen Sichel abgeschlagen wurde. Zur Abschreckung von solchen Taten sollen die Ettlinger den Stein „An der Hand“ aufgestellt haben. Burg Fürstenzell Am Südhang des Wattkopfs soll man noch vor wenigen Jahren spärliche Mauerreste gefunden haben. Vielleicht hatten die Römer hier schon ein Kastell? Später erbauten wahrscheinlich Adelsgeschlechter des Albgaus auf den Trümmern des Wartturmes das prächtige Schloss. Man erzählt sich noch heute die Sage der Burg Fürstenzell. Damals, im 13. Jahrhundert, soll der Ritter Kurt von Fürstenzell auf dem Wattkopf gelebt haben, der schloss sich einem Kreuzzug an und ließ seine schöne Frau und seine Töchter zurück. Schon im ersten Kampf fiel der Ritter in Feindeshand und musste schwer als Sklave arbeiten. Nach fünfjähriger Gefangenschaft konnte er eine unverhoffte Gelegenheit zur Flucht erfolgreich nutzen. Verkleidet als Pilger, dachte er nur an seine Familie und wie er wohl durchkommen könnte. Nach beschwerlicher Reise war er nur noch eine halbe Stunde von seiner Burg entfernt, da kam er spät am Abend zu einem Nonnenkloster. Dort verbrachte er die Nacht und eine Magd erkannte in dem Pilger ihren Vater. Sie erzählte ihm die traurige Geschichte vom Schicksal der Familie: Man habe geglaubt, dass der der Ritter tot sei, und Dieter von Malsch habe plötzlich Ansprüche auf die Burg Fürstenzell angemeldet. Die Mutter habe die Mädchen aus Angst vor dem bösen Dieter in diesem Kloster in Sicherheit gebracht. Dort seien sie als Mägde untergekommen. Schließlich sei die Mutter aus lauter Sorge und Gram gestorben. Sicherheitshalber hätten die Nonnen die Namen der Mädchen geändert, um sie zu schützen. Der Vater war tief bestürzt und fing an zu weinen. Aber was konnte er tun? Am nächsten Abend gab der Dieter von Malsch auf Burg Fürstenzell ein prunkvolles Festgelage und alle mächtigen und einflussreichen Leute aus der Umgebung von Ettlingen waren eingeladen. Auch der Ritter Kurt von Fürstenzell begab sich dahin und trat demütig als Pilger gekleidet in die kleine Burgkapelle. Da erblickte ihn ein „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 3 alter Diener, doch er traute seinen Augen nicht, lief voll Angst in den Burghof und erzählte den anderen, der Geist des Ritters von Fürstenzell sei ihm plötzlich in der Burgkapelle erschienen. Die Festgesellschaft strömte aufgeregt zur Kapelle, da trat der alte Ritter gerade aus dem Tor hervor. Dieter von Malsch packte das blanke Entsetzen, er wollte davonlaufen, aber seine Beine wollten ihn nicht tragen, er schwankte, fiel und brach tot zusammen, vom Schlag getroffen. Der fromme Pilger und ehemalige Sklave, jetzt wieder Herr auf Burg Fürstenzell, trat zurück in die Kapelle und dankte Gott und allgemein sprach man in der ganzen Gegend von Ettlingen von einem Gottesgericht. Fortan sollen es die Edlen von Ettlingen und Umgebung mit der Treue etwas genauer genommen haben. Vielleicht kann es deshalb auch heute noch manchen Ettlingern etwas nützen, die Geschichte von Kurt von Fürstenzell zu hören oder zu lesen. Das arme Mädchen Da wohnte in Ettlingen in der Lauergasse einst eine arme, aber brave Familie, die viele Kinder hatte. Der Vater arbeitete fleißig auf dem Felde bei Ettlingenweier. Doch der Acker war nur klein und der Ertrag gering und so hatte die große Familie wenig zu essen. Da sollte nun das älteste Mädchen dem Vater das Mittagessen aufs Feld bringen, aber die Mutter hatte nur noch wenige Erbsen und sonst nichts mehr. Das Mädchen füllte die gekochten Erbsen in ein Schüsselchen und machte sich auf den Weg. Es war noch nicht weit von der Stadt entfernt, da stolperte es und das Schüsselchen fiel zu Boden und zerbrach. Die Erbsen lagen im Straßenstaub. Das arme Kind erschrak sehr, denn es dachte an den armen, müden Vater auf dem Feld, wie er doch sicher hungrig war. Und in seiner Not strich es die Erbsen in sein Schürzchen. Unterwegs aber betete es herzlich zum lieben Gott von St. Martin, er möge ihm und dem armen Vater doch helfen, sie hätten daheim gar nichts mehr zu essen. Weinend kam es zum Vater. Der fragte die Tochter nach dem Grund ihres Weinens. Da erzählte das Kind unter Tränen, was ihm widerfahren war, und öffnete sein Schürzchen. Aber zum größten Erstaunen von Tochter und Vater waren statt der Erbsen lauter blanke Taler darin. Und da war die brave Familie erlöst von der drückenden Not. Das Gespenst Ein Bäcker aus Ettlingen, der als der Stadt- und Spitalrechner viel Geld aus der Armenkasse unterschlagen hatte, musste deshalb nach seinem Tode als Gespenst umgehen. Um sein Haus an der kleinen Brücke und auch in seinem Garten hat ihn gar mancher gesehen, einmal als Bäcker im grauen Überrock mit weißer Kappe, dann als kleines Schwein oder sogar als Kalb. Da er offenbar nichts anderes konnte als die Leute zu plagen, wurden etliche Male Weltgeistliche und Ordenspriester gerufen, um diesem Spuk Einhalt zu gebieten. Aber keiner konnte es, weil das Gespenst sie verspottete und ihnen vorhielt, dass sie selbst nicht sauber waren und Dreck am Stecken hatten. Als schließlich gar nichts mehr half und der Geist es gar zu bunt trieb, ließen die verzweifelten Bürger einen Ettlinger Kaplan kommen, der sehr fromm war. Kaum hatte das Gespenst des Bäckers diesen erblickt, als es schon ausrief: "Ich wollte, der wäre daheim geblieben!" „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 4 Der Kaplan beschwor den Geist und bannte ihn in einen Sack. Diesen nahm alsdann ein beherzter Maurerbursche auf den Rücken und trug ihn in die Kalberklamm. Unterwegs aber musste er den entsetzlich schweren Sack über zehnmal absetzen. In der Schlucht ließ der Kaplan das Gespenst zwar heraus, es musste aber an dieser Stelle bleiben. Als Lohn bekam der Maurer Geld und ein neues Gewand. Das gewaltige Vermögen, welches der Bäcker und betrügerische Stadtrechner seinen Erben hinterlassen hatte, war in kurzer Zeit verschwunden, denn etwas Unrechtes gedeiht nicht – meinte man jedenfalls damals! Noch später erzählte man in Ettlinger Wirtshäusern, dass das Gespenst in der Schlucht Vorübergehende öfters irreführe. Manche berichteten auch von Ohrfeigen, wenn sie nach Hause kamen, und wieder andere behaupteten, der Geist habe ihnen auf dem Weg zum Wochenmarkt die Körbe vom Kopfe geworfen. Bisweilen zeige sich auch ein Pferd ohne Kopf! Und einmal habe nachts sogar bei stärkstem Regen ein blaues Feuer mitten auf dem reißenden Bach gebrannt. Und das mag nicht nur am Branntwein gelegen haben! Das Hungerbrünnele Um den Brunnen, der sich einst in der Nähe der Alexiuskapelle befand – in der Gegend des heutigen Friedhofs - ranken sich viele Sagen und Geschichten. Zu einer Zeit, als die Kapelle noch eine Kirche des heiligen Georg war und es im Land viele Kriege gab und die Bauern oft Not leiden mussten, erzählte man sich, dass der Brunnen wohl geheimnisvolle Eigenschaften habe. Er könne angeblich vorhersagen, wann eine Dürre und Hungersnot bevorstehe oder ein Krieg drohe, und so schätzten und achteten die Ettlinger den Brunnen sehr, denn er war eine wichtige Quelle, wenn es darum ging, in die Zukunft zu schauen. Natürlich gingen vor allem junge Mädchen hin, um zu sehen, wie ihr zu künftiger Mann wohl aussehen würde. Einige hatten auch nicht die rechte Lust dazu, da man vor dem Brunnengang strenges Stillschweigen wahren musste und eine Stunde vor Mitternacht die Stube mit frisch geschnittenen Zweigen zu fegen hatte. Außerdem waren die Männer, die im Spiegelbild des Wassers erschienen, oft so hässlich, dass die Mädchen lieber ins Kloster gingen, als den versprochenen Mann zu heiraten. Und da also der Brunnen immer weniger genutzt wurde und auch die Zeiten friedlicher geworden waren, geriet er allmählich in Vergessenheit und verfiel. Das Reisigbündel Eine alte Frau holte einmal auf der Jägerwiese Fallholz. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, denn die Wiese gehörte einem Bäcker aus Ettlingen. Doch sie war arm und bald hatte sie eine kleine Reisigwelle gesammelt, die sie auf dem Kopf heimtragen wollte. Doch so sehr sie sich auch mühte, sie konnte das Holz nicht heben, obwohl die Welle nur ein kleines Bündel war. Plötzlich trat aus dem Unterholz ein dunkler Mann heraus und kam auf sie zu. Die Frau hoffte, er werde ihr helfen, dann wieder hatte sie Angst, es könnte der Waldschütz sein. Als aber die finstere Gestalt näher kam, erschrak sie vor dem schwarzen, unheimlichen Mann mit den feurigen Augen. Zitternd vor Angst kniete die Frau neben dem Reisigbündel nieder und bekreuzigte sich. Da verschwand der Unheimliche im Wald und auf einmal war das Reisigbündel federleicht. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 5 Das Schatzwäldchen Wenn man von Ettlingen nach Norden fährt, kommt man an einem Ort mit einem seltsamen Namen vorbei; er heißt das „Schatzwäldchen“, aber weit und breit ist kein Wald und schon gar kein Schatz zu sehen. Und kaum einer weiß mehr, warum er so heißt. Ein Küfergeselle aus Ettlingen kam eines Sonntagnachmittags vom Frühschoppen im Schlappen an jenem Platz vorbei. Er war unterwegs zu seiner Freundin in Wolfartsweier und hatte vielleicht auch ein wenig zu viel getrunken, denn plötzlich stand da ein Kloster, das er nie zuvor gesehen hatte, und aus dem offenen Tor trat eine Klosterfrau heraus, die winkte ihm, doch näher zu kommen. Sie nahm ihn bei der Hand, gebot ihm Stillschweigen zu bewahren und führte ihn eine steile Wendeltreppe hinab in einen tiefen, dunklen Keller. Der Geselle fürchtete sich sehr, doch die Klosterfrau sah ihn so freundlich an und öffnete eine mit schweren Eisenbeschlägen gesicherte Tür. Wie staunte er aber, als sie mit einer Fackel den Raum erhellte: So viel Gold auf einmal hatte er noch nie gesehen! „Pack ein, was du tragen kannst, aber erzähle niemandem, was du hier gesehen hast!“ Er lud sich soviel auf, dass er es fast nicht wegschleppen konnte, und brachte es glücklich nach Hause. Er konnte aber den Mund nicht halten und erzählte abends im Schlappen beim Dämmerschoppen davon und alle beschlossen, sofort zusammen aufzubrechen und noch mehr Gold zu holen. Doch wo sie auch suchten und schauten, sie konnten kein Kloster und keinen Schatz mehr finden. Ein Mann aus Rüppurr erzählte aber wenige Tage später im Schlappen, er habe ganz in der Nähe des Schatzwäldchens seinen Acker gepflügt; „und auf einmal, ich denk, ich seh´ net recht, da kam wie von Geisterhand ein Haufen Gold und Silber aus dem Boden. Als ich grade dahin laufen wollte, kam der Hugo vom Acker nebenan, weil er sein Vesper vergessen hatte. Kaum hatte der ein Wort gesagt, da verschwand der ganze kostbare Haufen und der Dödel hat noch nicht mal bemerkt, was er angerichtet hatte.“ Als hätten die Männer im Schlappen noch nicht genug Wunderliches vom Schatzwäldchen gehört, kam eines Morgens ein Mann völlig außer Atem in die Kneipe: „Ich war noch abends spät auf dem Feld; es war so dunkel, dass ich meine Hand nicht vor Augen sehen konnte, da sah ich, ich weiß nicht woher, ein blaues Licht und Flammen im Wald. Endlich konnte ich den Weg erkennen! Komm her Licht und leuchte mir, schrie ich. Und ob ihr es glaubt, oder nicht: Wie durch Zauberhand flog das Licht auf mich zu und - ich bin immer noch geschockt - das Licht warf mich in den Graben! Und wie ich so im Graben lag und überlegte, wie ich wohl nach Hause kommen sollte, da staunte ich, als drei Kutschen dicht vor meinen Füßen vorbeifuhren. Und was waren das für seltsame Reiter? Die hatten riesige Hüte auf mit Krempen, so breit wie die Baumwipfel! Und wie ritten die? Die saßen so schief auf ihren Pferden, dass sie beinahe auf mich herunterfielen!“ „Erzähl uns doch keine Märchen“, meinte ein alter Ettlinger,„ das war sicher der wilde Jäger, den habe ich gestern auf dem Rückweg vom Schlappen gehört, wie er laut <Kloppho> rief und mit seinen bellenden Hunden durch die Lüfte jagte.“ „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 6 Am offenen Wirtshausfenster draußen in der Leopoldstraße lauschten drei kleine Dohlenaze und gruselten sich heimlich im Dunkeln, bis ein Mutiger auf die Idee kam, man solle doch versuchen, ob man nicht den verborgenen Schatz im Schatzwäldchen heben könne. Sie holten ihre Freunde zur Verstärkung und gemeinsam liefen sie in den Wald. Sie hatten einmal gehört, dass man die Geister beschwören müsse, bevor man den Schatz bekäme. Sie steckten also mit Hölzern einen Kreis ab und begannen mit ihren Beschwörungen. Plötzlich kamen eine Menge Rosszähne aus dem Boden. Wie staunten sie aber, als es plötzlich keine Rosszähne mehr waren, sondern blanke Taler. Die nahmen sie mit und zwei Stunden später waren sie schon Tagesgespräch im Schlappen. Heute scheinen die kleinen Dohlenaze nicht mehr so mutig zu sein - oder warum hat sich bis heute niemand auf die Suche nach den unterirdischen Gängen zum Kloster Gottesaue, in die Kirche von Grünwettersbach und zum Schloss auf dem Burgstadelkopf gemacht, die angeblich mit dem Schatzwäldchen in Verbindung stehen? Das Wasser vom Robberg Lang ist es her, da ging ein kleines, rothaariges Mädchen den steilen Weg zum Robberg hoch. Sie schleppte zwei schwere Blecheimer, randvoll mit Wasser, den steinigen Weg hinauf und sorgfältig setzte sie einen Fuß vor den anderen, um nur ja keinen Tropfen des kostbaren Wassers zu verschütten. Sie wollte ihrem Vater helfen, der in der größten Mittagshitze in seinem winzigen, steilen und trockenen Weinberg hart arbeitete, obwohl der Ertrag der Reben den Aufwand kaum lohnte. Denn Jahr für Jahr brannte die Sonne den ganzen Sommer vom Himmel und kannte kein Mitleid. Schon glaubte sie die Hacke des Vaters zu hören, da stolperte sie und die schweren Eimer entglitten den kleinen Händen. Herzzerreißend begann sie zu weinen. Doch was musste sie sehen? Mitten auf dem Weg rieselte Wasser! Und aus dem Wasser erhob sich ein weißer Nebelschleier, der immer mehr Gestalt annahm. Wie staunte sie aber, als aus dem Nebel ein Mädchen heraustrat, das ihre Zwillingsschwester hätte sein können: „ Hab keine Angst. Ich will dir nichts Böses, denn du hast mich erlöst. Du sollst wissen: Vor langer, langer Zeit gehörte der Weinberg, den jetzt dein Vater bewirtschaftet, meinem Vater. Auch er arbeitete hart, bis ihm eines Tages der Böse, den wir besser nicht beim Namen rufen wollen, in Gestalt eines Drachen erschien und ihm ein Angebot machte: „Wenn du mir deine Seele verpfändest, will ich dir deine schwere Arbeit im Weinberg erleichtern und dir für den Rest deines Lebens Trauben im Überfluss bescheren.“ „Weiche von mir, Satan“, rief mein Vater voller Entsetzen, „denn in der Bibel steht, dass die Arbeit im Weinberg mühsam ist.“ „Du hast es so gewollt und du wirst es bereuen. Aber gib Acht auf das, was dir am liebsten ist, und lass es nicht aus den Augen!“ Mein Vater, dessen Ernte in diesem Jahr besonders dürftig ausgefallen war, bewachte deshalb nachts im kalten Keller die wenigen Flaschen, die ihm geblieben waren. Und da - die Uhr vom Martinsturm schlug Mitternacht - kam der Böse mit großem Getöse dahergefahren. Was musste der arme Vater mit ansehen? Der „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 7 Drache ließ die paar Weinflaschen stehen und nahm ihm die einzige Tochter! Voller Wut spie er seinen heißen, glühenden Atem auf den Robberg mit all seinen Weinreben, die die Stadtbewohner zum Leben doch so nötig brauchten. Als der Böse endlich verschwunden war, sahen die Ettlinger die ganze Katastrophe: Jede noch so kleine Rebe war verdorrt! Und die einzige Quelle, die es auf dem Robberg gab, hatte keinen einzigen Tropfen Wasser mehr. Von da an war Weinbau auf dem Robberg kaum mehr möglich und auch für deinen Vater ist heute noch jeder Tropfen Wasser kostbar. Deshalb musstest du heute Wasser heraufschleppen. Erst wenn ein Mädchen, das aussähe wie ich, ebenso ihrem Vater helfen würde, wie ich meinem Vater geholfen habe, dann, so versprach die Prophezeiung, würde ich erlöst werden. Und weil du mich erlöst hast, wird ab heute für dich und deine Familie genügend Wasser fließen. Der Vater und die Tochter wollten aber das Wasser nicht für sich alleine behalten, sondern es allen Ettlingern zur Verfügung stellen. Deshalb beschloss der Gemeinderat die Quelle zu fassen. Und im Jahre 1901 wurde eine Brunnenstube errichtet, die noch heute am Robberg zu finden ist. Und zur Erinnerung an die alte Sage brachte man an den Eingangstüren zwei eiserne Drachenköpfe an, um die Ettlinger vor dem Bösen zu warnen. Der eiserne Ring Als die Franzosen Ettlingen niederbrannten, hatte auch die Martinskirche sehr gelitten. Die Mauern des achteckigen Kirchturmes waren zwar gerade noch stehen geblieben, waren aber im Feuer so beschädigt worden, dass man glaubte, man werde bei der Wiederherstellung des Turmes dessen oberen Teil abtragen müssen. Und keiner wusste Rat, wie das von den verarmten Bürgern bezahlt werden sollte. Da bot sich ein Schlosser - oder war es ein Schmiedegesell - an, den Turm zu seinem Meisterstück zu machen; gar nichts werde man davon abbrechen müssen. Die Ettlinger hatten keine große Wahl und so ließen sie ihn denn an die Arbeit gehen; aber so recht glaubte keiner an den Erfolg. Der Geselle aber schmiedete nur nach dem Augenmaß einen stabilen Ring aus Eisen und legte ihn unter Lebensgefahr – die Ettlinger hielten den Atem an und keiner mochte hinaufsehen - um den Turm. Diesem passte er ihn vollkommen an, dass der Turm ohne Abriss und Neuaufbau wieder hergestellt werden konnte. Ganz uneigennützig hatte der mutige junge Mann allerdings nicht gehandelt. Als Preis verlangte er seines Meisters Töchterlein zur Frau. Und zum Meister wurde er selbstverständlich ebenfalls ernannt. Bis zum heutigen Tag hält der Ring den Turm zusammen und daran können sich die Ettlinger Handwerker ein Beispiel nehmen. Einer hat einmal ausgerechnet, dass der Ring, zu einer geraden Stange gebogen, genauso lang ist, wie der Turm hoch ist. Der Feuermann Spät abends – die Sonne war schon lange untergegangen - fuhr ein Bauer von Durlach nach Ettlingen zurück. Er hatte es eilig, doch sein Ausflug hatte sich gelohnt, denn er war gleich drei Pferde losgeworden – mit ein bisschen Glück! Denn die Durlacher hatten gar nicht bemerkt, dass die Tiere nicht mehr so jung waren. Sie hatten sogar mit ihm noch ein paar Gläschen auf die Freundschaft getrunken. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 8 Der Wagen wankte und schwankte – und der Bauer auch. Plötzlich wurde es hell am Waldrand, gleich hinter Wolfartsweier. Und als der Bauer in die Gegend der Hedwigsquelle kam, blitzte es zwischen den Bäumen hervor und er sah einen großen, feurigen Mann auf sich zukommen. Der brannte, aber verbrannte nicht! Die Pferde scheuten und der Bauer glaubte nicht recht zu sehen, griff nach der Peitsche ohne zu wissen, ob er die Pferde antreiben oder sich vor dem Feuermann schützen wollte, und in wahnsinnigem Galopp schossen die Pferde davon. Und die irrwitzige Fahrt wollte und wollte nicht enden. Doch schließlich endete sie, wie so oft – im Straßengraben. Am nächsten Morgen als die Sonne aufging, fand man den Bauern ohnmächtig am Boden. Die Pferde standen abgemagert und schweißbedeckt daneben und schienen um Jahre gealtert – wie ihr Besitzer. Über Nacht hatte er weiße Haare bekommen. Der schwarze Ratsherr Vor langer Zeit stritten Ettlinger und Schöllbronner um ein Stück Grenzland. Das war eigentlich nichts Besonderes und wie üblich waren die alten Grenzsteine über Nacht verschwunden. Und keiner konnte sich ihr Fehlen erklären. Also blieb beiden Parteien nichts anders übrig, als die Angelegenheit handgreiflich auszutragen. Die Schöllbronner marschierten mit Mistgabeln und Dreschflegeln auf, die Ettlinger schwangen ihre Sensen. Als die Schlachtrufe der Bauern bereits durch das Grenzgebiet hallten, trat aus den Reihen der Ettlinger ein schwarzgewandeter Ratsherr hervor, der in Ettlingen den Spitznamen "Schlitzohr" trug. Und er machte seinem Namen alle Ehre, denn er wollte den Streit mit einer List zugunsten der Ettlinger entscheiden. In seine Stiefel hatte er ein wenig Ettlinger Erde gefüllt und unter seinem Hut hatte er einen Wasserschöpfer versteckt, den er seiner Frau aus der Küche entwendet hatte. So ausgestattet ließ er hocherhobenen Hauptes und mit gewichtiger Richtermiene seinen Blick über die streitenden Parteien gleiten, er hob die Hand zum Schwur und sagte vor den verstummten Bauern: "Ich schwöre beim Schöpfer, dass ich hier auf Ettlinger Erde stehe." Die Schöllbronner, die für ihre Gottesfürchtigkeit bekannt waren, glaubten ihm sofort und gingen in gutem Glauben an die gerechte Sache wieder nach Hause. Als der betrügerische Ratsherr aber auf dem Heimweg an der Alten Steige über eine Wurzel stolperte, brach er sich seine Schwurhand und erlag kurz darauf einem Schlaganfall. Der falsche Schwur ließ ihn jedoch nicht zur Ruhe kommen und so hat man ihn noch Jahre später in den Novembernächten um Mitternacht ruhelos auf dem Grenzacker umhergehen sehen. Und der Schöpflöffel war ihm an der Hand festgewachsen und an seinen Stiefeln klebte Schöllbronner Boden. Mitternachtsmesse Eines Abends wurde in der Ettlinger Kirche ein Junge eingeschlossen, der während der Betstunde eingeschlafen war. Als er in der Nacht erwachte, brannten am Altar die Kerzen und vor dem Altar stand ein Priester und begann die Messe. Nachdem er das Einzugslied gesungen hatte, schaute er sich nach einem Messdiener um. Als er keinen sah, machte er das Buch auf dem Altar zu und ging mit dem Kelch wieder in die Sakristei. Die Lichter gingen sofort von alleine aus. Der Junge fürchtete sich so sehr, dass er zur Tür rannte, und als er bemerkte, dass sie verschlossen war, rief er um Hilfe. Der vorübergehende Nachtwächter hörte die Hilferufe und holte den Messner, der den Jungen aus der Kirche ließ und ihn am nächsten Morgen zum Pfarrer brachte. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 9 Dieser ließ sich alles erzählen, unterrichtete den Jungen daraufhin im Messdienen und erklärte ihm, was er zu tun habe. Vor Mitternacht gingen beide in die Kirche, wo sich nach einer Weile die Altarkerzen von selbst entzündeten und der Priester aus der Sakristei kam, um mit der Messe zu beginnen. Sofort trat der Junge hinzu und diente ihm. Aber nach der Messe ging nicht er, sondern der Pfarrer mit in die Sakristei. Als dieser den Priester fragte, warum er im Grab keine Ruhe habe, antwortete der Priester: "Als ich starb, war ich noch eine Messe schuldig, und um sie nachholen zu können, habe ich lange auf einen Diener gewartet. Jetzt gehe ich zu Gott, bei dem ich dich und den Jungen nicht vergessen werde." Nach diesen Worten verschwand er. Der Spechtshart Einst zogen einige junge Männer aus Ettlingen hinauf auf die Höhe, weil es in der engen Altstadt keinen Platz mehr gab, wo sie für ihre Familie ein Haus bauen konnten. Da oben stand früher ein großer Eichenwald, der zu Ettlingen gehörte. Man nannte ihn den „Spechtshart", was so viel wie „Spechtswald" bedeutet, weil es darin viele Spechte gab. Sie fällten Bäume, rodeten den Waldboden und nach vielen Monaten harter Arbeit konnten die jungen Familien in ihre neuen Häuser einziehen. Auch heute noch ziehen viele junge Familien nach Spessart ins Neubaugebiet. Aber wer von ihnen denkt noch an die jungen Männer, die damals die Fläche gerodet haben, und an die Tatsache, dass Spessart früher der Spechtswald war? Der tote Mann An einem wunderschönen Pfingstsonntag waren alle Leute in der Kirche - außer einem Ettlinger, der die Zeit des Hochamts besser nutzen wollte. Er hatte vor, aus einem Nest, das er schon seit langem beobachtete, junge Vögel zu stehlen. Da dieses Nest jedoch auf einer hohen und majestätischen Eiche war, gelobte er, den schönsten Vogel fliegen zu lassen, damit ihm das Abenteuer gelänge. Auf einem Ast sitzend besah er die Vögel, konnte sich aber nicht entscheiden, welchen er freilassen sollte. Als er hinabstieg, ohne einen der Vögel freigelassen zu haben, trat er ins Leere und fiel. Kurz darauf starb er. Man errichtete zum Gedenken an den Unfall einen großen Stein, auf dem ein Gerippe abgebildet war, und es hieß darauf: „Von Alters her zum toten Mann Werd ich von der Stadt Ettlingen genannt.“ Damit man ihn auch nie vergesse und sich daran erinnere, Versprechen zu halten, wurde auch der Platz, an dem sich der Unfall ereignet hatte, „toter Mann“ genannt. Noch heute, viele hundert Jahre später, treibt sich dort der tote Vogeldieb herum. Einmal ging ein Wandersmann an dem Baum vorbei und traf das Gespenst. Er führte mit ihm ein recht seltsames Gespräch, wobei der Geist nicht auf die Worte des Wanderers einging, sondern nur seinen Monolog in Reimen dagegenhielt: Wanderer: „Wenn ich dich unten hätt', wollt' ich dich klopfen!" Geist: „Wenn ich sie haus hätt', wollt ich sie ropfen!" ... Andere erzählen, den Vögeln sei die Zunge herausgeschnitten worden und der Mann sei zur Strafe in den hohlen Eichbaum gefallen. Dort habe man viele Jahre später sein Gerippe gefunden. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 10 Die alte Scharfe Das Haus neben der Martinskirche, das 1697 erbaut wurde, war einst das alte Mädchenschulhaus. Dort geht ein Gespenst um. Im Volksmund heißt es "die Scharfi". Diese Alte soll eine sehr böse und unchristliche Frau gewesen sein. Als sie eines Tages kein Holz zum Anfeuern hatte, nahm sie einfach das Kruzifix von der Wand und machte damit ein Feuer an. Zur Strafe dafür muss sie nach ihrem Tod im Schulhaus umgehen. Mehrere Mädchen haben schon am frühen Morgen vor Schulanfang die Scharfe gesehen, wenn sie in ihrem weißen Kleide vom Speicher in den zweiten Stock herabhinkte. Man sagt sich in Ettlingen, die Scharfe könne von einem Menschen, der keine Sünde begangen habe, erlöst werden - aber wo ist der zu finden? Einst kam ein junger Kaplan nach Ettlingen, der meinte die Scharfe erlösen zu können. Er beschwor sie in einen Sack und trug sie ins "Horberloch". Als er dort den Sack abwarf, löste sich der Strick, mit dem er zugebunden war, und die Scharfe fuhr mit einem entsetzlichen Schrei heraus und eilte ins Schulhaus nach Ettlingen zurück. In der nächsten Nacht fragte sie der Kaplan, warum er sie nicht habe erlösen können. Seines Wissens habe er nie eine Sünde begangen. Die Scharfe lächelte höhnisch: "Einem Bauern hast du einst eine Rübe vom Acker gestohlen." "Ich habe aber", entgegnete der Vikar, "einen halben Kreuzer dafür in den Opferstock geworfen." Da meinte die Scharfe: "Ja, aber den bekam der Bauer nicht!" Seitdem muss der arme Kaplan als Hund um die Martinskirche geistern. Und manchen Ratsherren, die nachts zu spät vom Ratskeller kamen, soll er um Mitternacht begegnet sein. Angebellt habe er sie - als ob er sie warnen wollte. Die Schlüsselblume Sagen vom Burgstadel Fünf alte Frauen trafen sich jeden Mittwoch in der Lauergasse, um gemeinsam die Wäsche zu flicken und Strümpfe zu stopfen. Da saßen sie gewöhnlich in der Küche um einen alten Tisch und erzählten sich die alten Geschichten. „Kennt ihr die Sagen vom Burgstadel“, fragte eine besonders Alte, „ich erinnere mich noch gut daran. Einst stand ein stattliches Schloss auf dem Burgstadelkopf. In dem Schloss lebten drei Schwestern, von denen eine das Augenlicht verloren hatte. Nach dem Tod ihrer Eltern erbten sie ein beträchtliches Vermögen. Um es zu teilen, maßen sie es sich in Simmern zu; wisst ihr überhaupt noch was das ist? Das ist ein altes Gefäß, mit dem man eine bestimmte Menge abmessen konnte, auch eine Menge von Münzen. Die beiden Sehenden verschworen sich gegen die Blinde. Sie drehten deren Simmeri um und legten das Geld darauf, so dass diese das Gefäß beim Betasten für voll hielt. Doch das blinde Fräulein bemerkte den Betrug und sie verwünschte ihre treulosen Schwestern und das Schloss, das daraufhin mit all seinen Leuten und Schätzen im Erdboden versank.“ Da ergriff eine andere das Wort: „Ich habe gehört, dass eine der verwünschten Fräuleins öfters gesehen wurde. Besonders am ersten Freitag im März und im Advent spukt sie, weiß gekleidet, mit einem weißen Hängekörbchen am Arm und einem klappernden Schlüsselbund an der Seite im Schloss herum. Man erzählt sich, eines Mittags sei sie zwischen elf und zwölf zu einem frommen Mann in die Hammerschmiede am Burgstadelkopf gekommen. Mit erhobenem Zeigefinger hieß „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 11 sie ihn folgen. Sie führte ihn in den Berg zu einer Türe; auf der Schwelle lag ein schwarzer Pudel. Sie schloss die Tür auf und beide schritten über den knurrenden Hund hinweg in einen schönen Garten und weiter in die prächtigen Gemächer des Schlosses. In einem großen Saal lagen etwa zwanzig Männer und Frauen schlafend an einer Tafel und im benachbarten Gewölbe waren gewaltige Reichtümer aufgehäuft. Das glitzerte und funkelte und dem Mann wollten schier die Augen vergehen. „All dies kannst du behalten und das Schloss obendrein, wenn du mich und die anderen erlösen willst. Komm nur in den folgenden drei Nächten zwischen elf und zwölf unter die alte Eiche am Schlosstor und lass dich durch die Gestalten, die du erblicken wirst, nicht erschrecken. Und wenn sie dich noch so anekeln: Du musst ihnen jedes Mal einen Kuss geben.“ Da unterbrach sie die dritte Frau ganz aufgeregt: „Das hat mir meine Großmutter auch erzählt. Der Mann gab ihr sein Wort. Auf den Rat eines Ettlinger Jesuitenpaters hin beichtete er und kommunizierte, damit ihm nichts Böses geschehen könne. Zur bestimmten Stunde ging er an die besagte Stelle und küsste - das Fräulein, das in seiner wahren Gestalt erschienen war. In der zweiten Nacht aber küsste er - eine große hässliche warzenbedeckte Kröte. Beim dritte Mal aber zeigte sich ihm eine Schlange mit einem Bund Schlüssel um den Hals. Doch weil sie sich aus Freude über ihre baldige Erlösung heftig um seinen Fuß schlängelte, erschrak der Mann so, dass er davonlief und das Küssen vergaß ... .„Nun muss ich noch viele hundert Jahre umgehen, denn jetzt erst fällt die Eichel zu Boden, aus der ein Baum wachsen wird, aus dessen Holz die Wiege geschnitzt werden kann, in der das Kind liegen soll, das mich erlösen kann. Ihren Worten folgte ein solches Jammern und Krachen, als wollte der ganze Berg zusammenstürzen und der Mann erschrak so sehr, dass er bald darauf starb. Und sieben Tage später erschienen Wanderern tief in der Nacht sieben weißgekleidete Jungfrauen, die trugen sieben Körbe mit Geld auf den Köpfen . Bei ihnen war der Böse in Pudelgestalt und hinderte sie daran, den Wanderern zu erzählen, wie sie zu erlösen seien.“ „Schlangen gibt’s heute noch auf dem Burgstadelkopf“, unterbrach sie die vierte Frau, „ich habe gehört, dass ein Steinhauer mittags auf dem Burgstadel beobachtet hat, wie eine riesenhafte Schlange in einem Bodenloch verschwand, das sich von selbst öffnete und schloss. Und sie soll sogar einen Menschenkopf gehabt haben.“ Die Älteste aber, die fünfte, wusste noch mehr: „Vor etwa vierzig Jahren fanden Leute aus Busenbach, die auf dem Burgstadel wohnten, im Boden sc höne, glänzende Silbermünzen. So groß wie Groschen sollen sie gewesen sein und auf der einen Seite war eine Hand, auf der anderen ein Kreuz eingeprägt. Natürlich fingen sie an zu graben und nahmen etwa dreißig Maß davon mit. Sie sahen noch unzählige vor sich in der Erde, doch stritten sie wegen der Teilung miteinander. Da versanken der gewaltige Münzenhaufen und die ausgegrabenen Geldstücke verloren ihren Schimmer und ihren Wert.“ „Von Geld habe auch ich gehört“, ergänzte die Dritte. „Die Frau des Wattmüllers entdeckte eines Tages auf dem Platz, wo das Schloss gestanden haben soll, einen offenen Keller, den sie vorher noch nie gesehen hatte. Natürlich war sie neugierig und eilends stieg sie die Treppe hinab. Unten standen drei Kisten voll Geld! „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 12 Schnell ging sie fort, um ihren Mann zu holen, weil sie die Kisten nicht einmal anheben konnte, aber als sie zurückkamen, war der Keller verschwunden. Und ein Mann aus Grünwettersbach soll diese Treppe ebenfalls gesehen haben und eine Stimme gehört haben, die seinen Namen rief. Als er furchtsam näherkam, erblickte er einen langen Mann ohne Kopf, vor dem er eilig floh.“ Alle Frauen schwiegen vor Entsetzen, bis sich eine wieder fasste und berichtete, was man ihr erzählt hatte: „Eines Tages zeigte sich oben auf dem Berg ein übernatürlicher Glanz, und nachts ertönte dort manchmal das helle Geläut zweier Glöcklein und wunderschöner geistlicher Gesang. An einer Haselstaude des Bergwaldes hängen die zusammengebundenen Schlüssel der Schlosstüren; aber nur der kann sie finden, der dazu geboren ist.“ Auch die Älteste hatte sich wieder beruhigt: „Eines Tages war einem Mann ein Schwein entlaufen. Mit einer Gerte, die er sich aus einer Haselstaude geschnitten hatte, durchsuchte er das ganze Gebüsch, und zufällig berührte er mit ihr die Bergwand. Da öffnete sich der Eingang zu einem Gewölbe und er erblickte ein weiß gekleidetes Fräulein und verschiedene Kisten. Auf einer lag ein schwarzer Pudel mit einem Bund Schlüssel im Maul. Der Mann trat ein, das Fräulein nahm die Schlüssel und öffnete die Kisten. Was mochte wohl drin sein? Da blinkten die Goldstücke und hundert andere Kostbarkeiten. Sie bot ihm an, sich soviel davon mitzunehmen, wie er wolle. Doch ermahnte sie ihn: „Vergiss das Beste nicht!“ Sofort warf er die Gerte weg und - packte soviel ein, wie er nur tragen konnte. Als er wieder im Freien war, schaute er sich nach dem Gewölbe um; aber da hatte sich der Berg schon geschlossen, und er erkannte, er hatte das Beste zurückgelassen, die Haselgerte.“ „Das erinnert mich an die Geschichte von der Schlüsselblume“, ergänzte die Zweite. „Einst ließ ein Schäfer seine Tiere oberhalb der Kalbenklamm weiden, dazu blies er ein Lied auf seiner Flöte. Plötzlich kam das Fräulein und er folgte ihr; sie versprach ihm, dass seine Herde unterdessen bestens gehütet werde. Sie kamen an einen Platz, da blühten tausend gelbe Schlüsselblumen. „Brich die schönste und nimm sie mit dir!“ Und sie kamen zum Berg und da erblickte der Schäfer eine schwere eichene Tür. „Nimm die Schlüsselblume und schließ damit auf!“ Und sie gingen hinein und kamen zu drei Kisten. Auf einer lag der schwarze Pudel. „Berühre die Kisten mit deiner Blume und nimm, soviel du tragen kannst, aber vergiss das Beste nicht!“ Knurrend zog sich der Hund in den Hintergrund der Höhle zurück. Der Schäfer berührte mit der Blume die Kisten, sie sprangen auf und – waren mit Schafzähnen gefüllt. Lustlos packte er sich die Taschen voll und machte sich enttäuscht auf den Rückweg. Kaum hatte sich der Berg hinter ihm geschlossen, da vernahm er eine Stimme, die ihm klagend nachrief, er habe das Beste vergessen. Er traf seine Herde beisammen an, die Schafzähne in seiner Tasche waren ihm aus dem Sinn. Am nächsten Morgen griff er in seine Tasche, aber statt der Schafzähne fand er lauter Goldstücke! Sofort eilte er zurück auf den Burgstadel; aber die Tür war verschwunden und nun verstand er, was das Beste war, das er vergessen hatte, denn nur die Schlüsselblume konnte den Berg öffnen.“ „Diese Frau haben viele Männer gesehen,“ fuhr die Vierte fort, „auch der Knecht aus der Sägmühle sah sie eines Morgens an der Alb, während sie einen Kübel füllte und auf den Berg trug. Sein Herr, dem er alles erzählte, riet ihm, am nächsten Morgen wieder an den Fluss zu gehen, um das Fräulein, welches vielleicht wieder Wasser holte, zu fragen, was sie da mache. Am nächsten Morgen traf er sie tatsächlich, und sie fragte ihn, ob er ihren Kübel auf den Burgstadel „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 13 tragen könne. Natürlich nahm er den vollen Kübel und folgte ihr. Oben traten sie durch eine Höhle in das Schloss. Dort standen viele Kisten und ein Fass, außerdem lag da ein Hund. Das Fräulein leerte den Inhalt des Kübels in das Fass, anschließend bot sie dem Knecht all ihre Schätze an. Doch zuvor müsse er sie erlösen. Sie werde sich in eine hässliche Kröte verwandeln, die er trotz des wütenden Hundegebells auf Händen um das Fass tragen solle – drei Mal. Der Knecht willigte ein und beim ersten Gang bellte der Hund und beim zweiten noch viel stärker und der Knecht fürchtete sich sehr. Bei der dritten Runde jedoch bellte er so fürchterlich, dass der Knecht die Kröte fallen ließ. Auf dem Boden zeigte sich nichts als ein nasser Fleck und ein alter Mann erschien und wies ihn aus dem Berg.“ Die Älteste lachte: „Bis zum heutigen Tag sind um Ettlingen gar manche Eichen gewachsen, doch immer weniger Wiegen werden aus Eichen geschnitzt und wo soll da einer geboren werden, der das weiße Fräulein erlösen kann? Aber vielleicht wird einmal ein Kind zur Welt kommen, das wissen wird, was das Beste ist. Dann wird das Schloss auf dem Burgstadel wieder auftauchen und wir alle werden erlöst sein.“ Die verhexte Kuh Ein Bauer ging jeden Tag zweimal in seinen Stall, um seine Kuh zu melken, doch eines Tages gab sie plötzlich rote Milch. Der Bauer erschrak fürchterlich, stürzte in den „Schlappen“, die alte Ettlinger Kneipe, und erzählte den anderen Bauern davon. Diese dachten lange nach und jeder redete viel und wusste nichts und endlich konnte niemand die Ursache dafür finden. Am nächsten Morgen kam der Bauer in den Stall - und da bemerkte er ein Strohbündel, das am Tag zuvor noch nicht da gewesen war. Rasch griff er sich eine Mistgabel und stieß sie mit aller Kraft tief in das Bündel hinein. Sofort war der Strohbund verschwunden. Von da an gab die Kuh wieder weiße Milch. Am nächsten Morgen aber lag eine alte Frau, der man mancherlei nachsagte bloß nichts Gutes - im Bett und hatte drei merkwürdige Löcher im Rücken, über die sich die Bauern im Schlappen noch lange unterhielten. Und jeder redete viel und wusste nichts – und keiner konnte die Ursache dafür finden. Die weiße Dame vom Robberg Eines schönen Tages ging eine alte, arme Frau auf den Robberg zu ihren mickrigen Reben, um diese aufzubinden. Während sie den steilen, steinigen Weg zum ,,Weißen Bergle“ hinaufkeuchte, sah sie schon von weitem eine seltsame Gestalt, die ein schneeweißes Kleid trug. Sie hatte lange, goldblonde Haare und kam geschwind auf die alte Frau zu. Es sah aus, als würde sie schweben. Als sie näher kam, erkannte die Alte, dass es eine Frau war, jedoch war ihr Alter schwer zu schätzen. Die weiße Dame grüßte die alte Frau wie eine langjährige Freundin. ,,Was machst du denn schon so früh hier?“, sagte sie und reichte der Alten die Hand. Diese zögerte, da sie die Frau nicht kannte, ergriff dann jedoch zögernd die Hand der Frau. Sofort spürte sie einen starken Schmerz und zog ihre Hand schnell zurück. Doch es war zu spät, die Hand war schon vollkommen versengt. Es wurde ihr schwarz vor Augen, und als sie sich von dem Schock erholt hatte, sah sie ängstlich auf und merkte, dass die Frau nicht mehr da war. Sie schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Schreiend rannte sie ins Dorf zurück und rief: „Ich habe einen Geist gesehen! Nur durch ihren Handschlag verbrannte meine rechte Hand!“. Die Leute herum glaubten „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 14 ihr nicht und fingen an zu lachen. Doch als sie ihre verbrannte Hand zeigte, schrieen alle auf und viele rannten in ihre Häuser, um nicht auch von diesem Geist heimgesucht zu werden. Viele Monate lang wagte sich niemand mehr allein auf den Weinberg und die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer, auch in Ettlingenweier und Schluttenbach. Die weiße Frau jedoch wurde lange Zeit nicht mehr gesehen. „Dohlenaze“ Gibt es einen Grund, warum Männer so selten in die Kirche gehen? Auch in Ettlingen fragen sich die Frauen das immer wieder. In früheren Zeiten war das nicht anders. Während die Frauen in der Martinskirche beteten, standen ihre Männer auf dem Kirchplatz und unterhielten sich über alles Mögliche, bloß nicht über Gott und die Predigt des Pfarrers. Sie qualmten ihre Tabakspfeifen und standen oder gingen auf den Steinplatten herum, mit denen die Wasserkanäle, die sogenannten „Dohlen“, abgedeckt waren. Ruhig saßen die Frauen und Mädchen in ihren Bänken und hörten dem Pfarrer zu, während die Männer über die Rathauspolitik diskutierten und dabei aufgebracht von einem Fuß auf den anderen „treppelten“. Kein Wunder, dass sie der Pfarrer häufig vor ihren Frauen als „Dohlentreppler“ bezeichnete. Aber woher kommt die andere Bezeichnung für Ettlinger Männer „Dohlenaze“? Früher gab es in Ettlingen das Jesuitenkloster. Der Gründer der Ordensgemeinschaft war Ignatius von Loyola und sehr viele Jungen wurden auf den Namen dieses Heiligen „Ignaz“ getauft. Natürlich wurden sie von ihren Kameraden nicht „Ignaz“, sondern „Naze“ gerufen. Und wenn diese „Nazes“ sonntags vor der Kirche herumstanden, konnte sie der Pfarrer auch „Dohlenaze“ nennen. Doppelmord wegen eines halben Kreuzers An einem verregneten Tag kamen zwei Männer nach Ettlingen, um zu betteln. Als die zwei Metzgergesellen in einem Haus bei der Martinskirche vorsprachen, erhielten sie einen Kreuzer. Aber einer der Bettler wollte den Kreuzer für sich allein behalten und dem anderen nichts abgeben. Der andere begründete lauthals sein Recht auf den halben Kreuzer, doch sein Kumpan war damit ganz und gar nicht einverstanden. Natürlich endete es in einem Streit und wutentbrannt zog der eine ein langes, scharfes Messer und der andere sein Winzermesser. Voll Zorn stürzten sie sich aufeinander und töteten sich im Kampf gegenseitig. Da dieser Streit sich vor dem Stadttor abspielte, stehen heute am Weg nach Schöllbronn zwei niedere Steinkreuze an dem Platz, an dem die beiden Leichen gefunden wurden. Ein Steinhauer meißelte einst auf das eine Kreuz ein langes Messer und auf das andere ein Winzermesser. Seit dieser Zeit erinnern beide Kreuze an den grausigen Doppelmord wegen eines halben Kreuzers. Glocke gefunden Vor langer Zeit fanden die Ettlinger am Märzenbrunnen eine Glocke im Boden, die eine Wildsau mit ihren sieben Jungen, welche sie darin geworfen hatte, allmählich zu Tage gewühlt hatte. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 15 Sie schafften die Glocke heraus, mußten aber wegen der außerordentlichen Schwere einen Wagen von Eisen machen lassen, auf den sie sie luden und mit vielen angespannten Ochsen nach der Stadt brachten. In Ettlingen wurde sie im Freien geläutet, wobei sie folgende Worte tönte: „Am Märzenbrunnen hat mich gefunnen eine Los mit sieben Jungen.“ Da sie viel zu groß war, ließ man aus ihr sieben Glocken für Ettlingen und Ettlingenweier gießen. Die größte hängt in Ettlingen. Weil ihr Geläut nach dem obigen Reim klang, ließ man ihr diesen als Inschrift setzen. Eine Ettlinger Schweinerei Als der Wald bei Bernbach noch zu Ettlingen gehörte, ließen die Ettlinger neben der Frauenalber Abtei einen Schweinestall bauen. Der Gestank der Schweine war aber so unchristlich, dass die Nonnen sich nicht mehr auf ihre Gebete konzentrieren konnten. Also schlugen sie den Ettlingern vor, den Stall mitsamt den Schweinen auf eigene Kosten zu versetzen. Von all dem wollten die Ettlinger nichts hören und so wurden die Nonnen zu Brandstiftern und zündeten den Ettlingern den Schweinestall an. Kaum war dies in Ettlingen bekannt geworden, rief der Stadtrat die erbosten Bürger zur Rache auf, stürmte an ihrer Spitze nach Frauenalb und warf Brandfackeln aufs Klosterdach. Die Nonnen konnten sich gerade noch aus dem Flammeninferno retten. Daraufhin beschwerte sich die rußgeschwärzte Äbtissin persönlich beim Kaiser. Dieser verurteilte sämtliche Ratsherren zum Tode und die Ettlinger mussten den ganzen Waldbezirk von Bernbach bis zur Moosalb dem Kloster abtreten. Und zu ihrer größten Schande musste der Turm in ihrem Stadtwappen von da an auf dem Kopf stehen. Der Vollstreckung dieses Urteils wohnte der Kaiser selbst in Ettlingen bei. Als elf Ratsherren bereits enthauptet waren, fragte er seinen Hofnarren, wie ihm das Köpfen gefalle. „Wenn's Weidenstöcke oder Krautköpfe wären, die wieder ausschlügen, gefiele es mir schon!" gab der Narr zur Antwort. Unter schallendem Gelächter begnadigte er den zwölften Ratsherrn. Die Enthaupteten wurden auf dem Richtplatz begraben und auf die elf Gräber Steinkreuze mit eingehauenen Köpfen und Schwertern gesetzt. Heute stehen die Kreuze außen an der Mauer bei dem Gutleutehaus, da an der Stelle des Richtplatzes ein Weinberg angelegt wurde, der heute noch „Kopfreben“ heißt. Und noch immer gehen die Ratsherren - einer schwarz, die übrigen feurig gewandet in den heiligen Nächten um. Nach ihrer Hinrichtung mussten ihre Nachfolger schwarze Mäntel tragen, die erst viele Jahren später abgeschafft wurden. Das Schreckläuten In alter Zeit war es in Ettlingen gute Tradition, dass am frühen Weihnachtsmorgen eine halbe Stunde vor der Christmette mit der so genannten Schreckglocke geläutet wurde. Denn jeder Glockenton erinnert den Teufel an das Hallelujah und den Jubel der Engel bei der Geburt Christi und so hat er für die Dauer dieses Schreckläutens keine Gewalt auf Erden. Vielmehr saust er und sein teuflischer Anhang voller Panik zur Hölle hinab. Und nicht eher darf er daraus hervorkommen, als in der Christmette vom Chor das Gloria gesungen ist. Wenn er aber zur Hölle fährt, hört man in der Luft ein wildes Sausen und nur die Gottlosen meinen, es sei der Wind. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 16 Herrgott, guck weg! Ein Nichtsnutz, der in der ganzen Umgebung für seine Schandtaten bekannt war, kam am Schöllbronner Wegkreuz vorbei, dort, wo die Straße nach Schluttenbach abzweigt. Und da gerade kein passender Baum in der Nähe war, schaute er sich das Kreuz eine Weile an. Und endlich zog er seine Hose runter und brummte, während er an das Kreuz pinkelte: „Herrgott, dreh dich grad rum, wenn ders net basst!“ Als am nächsten Morgen ein Mädchen am Kreuz vorbeikam und ein Gebet sprechen wollte, sah es den Nichtsnutz erfroren daliegen. Aber wie staunte sie erst, als sie bemerkte, dass der Christus am Kreuz nicht mehr nach Spessart, sondern nach Schöllbronn blickte. Wer die Geschichte nicht glauben will, kann sich selbst davon überzeugen. Das Kreuz steht noch heute am Ortsausgang und Christus schaut immer noch nach Schöllbronn hinüber. Und wenn man sich bückt und den Sockel genauer betrachtet, sieht man den Mann da liegen mit seinem Wanderstock und auch das Mädchen ist immer noch da und betet. Die Schluttenbacher Eiche Schluttenbach ist ein kleiner Ort nicht weit entfernt von Ettlingen. Dort steht noch heute mitten im Dorf eine gewaltige Linde, die über 900 Jahre alt sein soll, an deren Fuß die Lindenquelle sprudelt. Vor etwa hundert Jahren soll am Weg zum Rimmelspacher Hof ein anderer uralter Baum gestanden haben, über den es viele Geschichten gibt. Unter der Krone dieser gewaltigen Eiche soll sich das halbe Dorf versammelt haben. Der Stamm des Baumes war schon längere Zeit hohl und konnte einen ganzen Gemeinderat aufnehmen, der sich tatsächlich, wenn es im Sommer besonders heiß war, in der Eiche getroffen haben soll. In späterer Zeit richtete sich ein Schumacher im hohlen Stamm eine Sommerwerkstatt ein. Er soll überall der „Eichenschuster“ genannt worden sein und einer guten Flasche Rotwein nicht abgeneigt gewesen sein. Das wussten auch die Liebespaare der gesamten Umgebung, denen er für das eine oder andere Fläschchen die Zukunft prophezeite. Und je besser der Wein war, desto besser pflegte die Voraussage auszufallen. Nur eines hatte dar Schuster nicht voraussehen können. Eines Tages brach der altersschwache Baum plötzlich zusammen, nachdem ihn der Blitz getroffen hatte. Man munkelte allerlei, warum der Baum plötzlich so altersschwach geworden war. Wer weiß, vielleicht schob man die Schuld auch dem Schuster in die Schuhe. Hatte er nicht nach mehreren Gläsern Rotwein vielleicht doch mehrere Nägel in den Baum geklopft, anstatt in die hölzernen Schuhe? Die Liebespaare hatten aber noch einmal Glück gehabt, denn da gab es ja noch die Linde, zu deren Füßen noch heute der Brunnen rauscht, wo man sich treffen konnte. Das wissen auch heute noch manche frisch Verliebte, und wenn die Linde noch weitere 900 Jahre überleben sollte, werden sie sich vielleicht auch dann noch in ihrem Schatten treffen. Die Singerhexe Die alte Frau, die früher in der Dekaneigasse wohnte, nannten die Leute "d´Singerhex". Mit ihren Zauberbüchern trieb sie viele Hexenkünste und war bekannt für ihre Untaten. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 17 So kam sie manchmal nachts in die Ställe der Bauern und nervte die Tiere, so dass sie nicht schlafen konnten. Sie kam aber immer in Gestalt einer Katze. Einmal legte sich ein Bauer im Stall auf die Lauer, und als um Mitternacht eine Katze in den Stall schlich und auf den Rücken einer Kuh springen wollte, zog er ihr mit einem Prügel eins über und die Katze flüchtete sofort. Am nächsten Tag lag die Singerhexe mit verbundenem Kopf im Bett. Seitdem kam sie nie wieder in die Ställe. D´Singerhex Wenn dich a Frau recht nerve dud, dann hausch se net glei uf de Hud „Du alte Hex“ rufsch ihre noch, denn des versteht se, selle Sproch. Des isch uf de ganze Welt a so, in Ettlinge un annerschtwo. Bei uns gibt’s do en gude Grund! Die Gschicht, die geht von Mund zu Mund von sellem Weib - sie isch bekanntdie Singerhex werd se genannt. Glei hinner St. Martin hat se ghaust, in ihre Döpf hat´s brodelt un braust un dicke Wälzer hat se glese, mer sagt, ´sen Hexebicher gwese. Kloi war se, hässlich wie die Nacht, d´ Leut uf de Strass hen se ausgelacht, des hat se ufgregt ohne Endgschwind isch se in ihr Kich neigrennt. In ihren Kessel voller Wut schmeißt se, was se so finde dud, als erschtes nemmt se Katzedreck un schimmeligen Hundespeck. E halbe Kröt, drei Spinneboi schmeißt se in ihren Kessel noi, den füllt se uff mit Schweineblud un dreizehn Stund lang kocht ses gud. ,, Jetzt fehlt mir bloß en Zauberspruch! wo fin i den, wo isch des Buch? Genau, do hinerm Hexebese! Do ischs doch immer scho gewese. E schwarze Katz, die will i sei! So komm i am beschte in d´ Ställe nei, Durch`d Katzeklapp bin I glei drin Un koiner woiß dass I des bin.“ „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 18 Un ihren Kessel hold se her. Sie trinkt ihn wirklich halber leer Un dreimal ruft se „Ratz fatz Katz !“ Un hockt als Katz uff sellem Platz. Un Nacht für Nacht plogt se des Vieh von Middernacht bis in die Frihkoi Milch hen d´ Küh, die Pferd sind schlapp un komme gar nimmer uff Trapp. Die Eddlinger hen e große Wut, Doch koina had de rechte Mut! Bloß oina legt sich uf die Laua: Der Naze war’s, denn der war saua! Vom Martinsturm schlagts Middernacht ,, Was isch jedzd des? Jedzd geb bloß acht! Was rascheld do, was kommt do rei? Des kann doch bloß die Hex do sei! Isch des e Hex? Des isch e Katz! Doch plötzlich macht se ´n große Satz! Sie springt de Kuh ufs gfleckde Fell! Der Baua greift zum Knibbel schnell. Und haud die Katz, wo er se griegt, Bis von de Kuh se runnner fliegt. Schnell willer se am Schwanz noch fasse Doch die will sich net fange lasse. Halb isch se hie, die hat ihr Fett! Dehoim liegt d´ Hex in ihrem Bett Un Kopf un Händ hat se verbunde Die Katz isch aus de Ställ verschwunde! Die verwundete Madonna Der Krieg dauerte Jahr um Jahr und schließlich kamen die Soldaten auch nach Ettlingen und überfielen die umliegenden Dörfer. Dabei machten sie selbst vor Kirchen oder anderen heiligen Stätten nicht halt. Sie raubten und brandschatzten, bis kein Stein mehr auf dem anderen war. Während dieser Kriegswirren drang ein herumstreunender Soldat in das Rathaus von Ettlingenweier ein. Wütend darüber, dass er niemanden angetroffen hatte - die Bewohner des Dorfes waren aus Angst in den nahen Wald geflohen - rannte er wie wild durch das Gebäude. Schließlich blieb er vor einem Marienbild stehen. Immer noch sauer über seinen Misserfolg höhnte und fluchte er: „Und wenn deine Ettlingenweirer noch so oft Jesusmaria rufen, du kannst ihnen ja doch nicht helfen.“ Und tatsächlich: Maria und das Jesuskind antworteten nicht. Und da stieß er wutentbrannt mehrfach seinen Spieß in das Bild und traf beide in den Mund. Hohnlachend wollte er den Raum verlassen, da traf ihn der Schlag, er brach zusammen und blieb tot am Boden liegen. Das Bild der am Mund verwundeten Maria mit ihrem Sohn hängt noch heute im Rathaus von Ettlingenweier und erzählt diese alte Geschichte. „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 19 Wasser schellen Früher standen in Schöllbronn - genau wie in Spessart - zwar nur wenige Höfe; aber die Bewohner hatten schon ein großes Problem: Auf dem ganzen Berg gab es nur einen einzigen Brunnen! Dieser hieß „Gallbrunnen“, weil er wahrscheinlich schlechtes, bitteres Wasser führte. Da dieses - wie auch am Robberg - knapp war, wurde der Brunnen mit Brettern abgedeckt, mit einem eisernen Riegel verschlossen und nur zu bestimmten Tageszeiten geöffnet. Morgens und abends ging ein Mann mit einer Schelle durch die Straßen, um die Zeit zum Wasserholen auszuschellen. Diese Glocke war so laut, dass man sie bis Spessart hören konnte. Dort wurde das Dorf wegen des häufigen Schellens „Schellbrunn“ genannt. Aber nach langer, langer Zeit versiegte der Brunnen, das Schellen verstummte, und als die neue Wasserleitung kam, hatte sich auch der Name des Dorfes in „Schöllbronn“ verwandelt - vielleicht weil die Dorfbewohner den Spitznamen nicht länger ertragen konnten. Wer Gott lästert Es war einmal ein Bauer aus Bruchhausen, der wollte seine Kartoffeln und Rüben auf dem Ettlinger Markt für einen fairen Preis verkaufen. Aber die Leute feilschten und feilschten und wollten diesen Preis nicht bezahlen. Das gefiel dem Bauern ganz und gar nicht. Wütend sprang er auf seinen Wagen, schlug auf seine Pferde ein und fuhr auf und davon. Kurz vor dem Dorf stand in einer Kurve am Wegesrand ein altes Steinkreuz, und weil der Bauer in seiner Wut die Kurve ein wenig zu eng nahm, stieß er mit seinem Hinterrad an den Sockel. Da schrie er vor Zorn Jesu am Kreuz an: „Du elender Hund du! Wegen dir wollen die Leute nicht zahlen. Du hast Schuld!“. Da schlug ein Blitz dicht neben dem Wagen ein und der Bauer wurde zu Boden geschleudert. Am Abend, als der Bauer immer noch nicht nach Hause gekommen war, machten sich die Nachbarn Sorgen. Sie gingen ihn suchen, aber sie fanden ihn nicht. Doch sie fanden seinen Wagen und darunter einen zusammengekauerten, winselnden, schwarzen Hund. Für das seltsame Verschwinden des Bauern aber konnten sie keinen Grund finden und schließlich kamen sie darauf, dass der kleine schwarze Hund wohl der Bauer sein müsse. Schnell verbreitete sich dieses Gerücht. Und es soll noch heute Bruchhausener geben, die sich nachts vor streunenden schwarzen Hunden fürchten und mit ihrem Auto in der Kurve beim Wegkreuz besonders langsam fahren. Zwerg Riese Am Robberg soll in früheren Zeiten in guten Jahren ein guter Wein gewachsen sein, aber leider waren die Jahre selten gut und der Wein oft ziemlich sauer. In Ettlingen spottete man gern über die Winzerfrauen: Sie bräuchten keine Strümpfe zu stopfen und keine Hosen zu flicken, denn der Wein vom Robberg, den ihre Männer reichlich konsumierten, zöge noch jedes Loch zusammen. Deshalb hieß er auch allgemein der „Saure“. Vom „Sauren“ erzählte man sich so manche Geschichte und mancher Winzer soll selbst schon sauer gewesen sein, weil deshalb kaum jemand mehr den sauren Wein kaufen wollte. Die bekannteste Geschichte vom Ettlinger „Sauren“ ist wohl die vom Riesenzwerg. Er soll auf dem Robberg gehaust haben und ein gewaltiger Kerl gewesen sein, habe „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 20 den Winzern die Trauben gestohlen, die Hütten zerstört und vor allem habe er nicht selten im Suff die Winzerinnen belästigt. Viele Winzer hatten vor dem groben Kerl Angst und da sie sich um ihren über alles geliebten Wein sorgten, versammelten sie sich, um den Riesen zu vertreiben. Glücklicherweise überraschten sie ihn im Schlaf und der gewaltigen Übermacht gelang es, den Riesen mit Winzerstricken zu fesseln. Um ihn nach Ettlingen zu schaffen, mussten sie zwei große Karren aneinander binden. Der sicherste Platz, der ihnen für die Verwahrung bis zum Prozess einfiel, war der Kerker im Lauerturm. Dort sollte er bei Wasser und Brot im Dunkeln seine schwarzen Taten bereuen. Am Tage der Gerichtsverhandlung wollten die Gerichtsdiener den Riesen zur Verhandlung holen, aber wie staunten sie, als sie die schwere Eichentür öffneten. „Wo steckt den der Kerl“, brüllte der eine und der Kerkermeister zuckte zusammen, denn er war sich keiner Schuld bewusst. Aber auch er konnte nicht leugnen, dass da hinten im dunklen Winkel des Verlieses ein kleines, verhutzeltes Männlein kauerte und weit und breit kein Riese zu sehen war. Man brachte die Sache vor den Richter und wusste nicht, ob man den kleinen Mann überhaupt anklagen konnte. Der kluge Richter aber, der selbst nicht gerade groß gewachsen war, brachte Licht in die dunkle Angelegenheit. „Was hast du denn dem zu saufen gegeben?“, fragte er den Kerkermeister. „Ich hab ihm halt jeden Tag drei Maß aus dem städtischen Fass gegeben, das da unten im Fasskeller des Lauerturms liegt.“ „Ach Gott, von dem Sauerampfer von vor drei Jahren? Dann ist alles klar: Den ganzen Kerl hat’s zusammengezogen! Der ist genug gestraft, lasst ihn halt laufen!“ „Sag´ emol“ – Ettlinger Sagen © Albertus-Magnus-Gymnasium Ettlingen 2003 21