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http://oregonstate.edu/instruct/ger341/heinri~1.htm
GER 343: German Literature
Oregon State University
June 5, 1997
HEINRICH BÖLL
1917-1985
von
Mary Barker
Mit Heinrich Böll ist einer der Großen der deutschen Literatur von uns
gegangen…[Er] war ein Anwalt der Schwachen und ein Feind der
Selbstrichtigkeit. Er trat für die Freiheit des Geistes ein, wo immer sie in
Gefahr war. Er war unbequem und streitbar, er erregte Anstoß und erzeugte
Achtung. Seine mutige, engagierte Wache und immer wieder mahnende
Stimme wird uns fehlen. Sein Werk bleibt (von Weizsäcker, ohne Seite).
Diese Worter schrieb der Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 16. July 1985 an die
Witwe Heinrich Bölls bei der Gelegenheit von Bölls Tod. In diesem Beileidsbrief machte der
Präsident einem der strengsten Kritiker seines Landes seine Aufwartung. Böll war der erste
Deutsche nach Thomas Mann, der den Nobelpreis gewann, und sein Schreiben und politisches
Engagement hatte ihm den Titel das Gewissen der Nation verliehen. Er war immer ein
getreuer Deutscher, aber zur gleichen Zeit nahm er die "öffentliche Heuchelei" der Regierung
und "die wählerische Amnesie" seiner Landsmänner in Angriff [Butler (1) 1].
Sein Leben umspannte viele Perioden der deutschen Geschichte: er wurde als Untertan Kaiser
Wilhelms II. geboren; er wuchs in der Weimarer Republik auf, erlebte die Hitlerzeit, den
zweiten Weltkrieg und die Besatzung, und zuletzt die Bundesrepublik. Er war das achte Kind
von Viktor und Maria Hermanns Böll. Über seine Geburt und Vorfahren schrieb er:
Geboren bin ich in Köln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen Lieblichkeit
überdrüssig, breit wird, in die totale Ebene hinein auf die Nebel der Nordsee
zufließt…am 21. Dezember 1917, während meinVater als Landsturmmann
Brückenwache schob; im schlimmsten Hungerjahr des Weltkrieges wurde ihm
das achte Kind geboren; zwei hatte er schon früh beerdigen müssen; während
mein Vater den Krieg verfluchte und den kaiserlichen Narren, den er mir später
als Denkmal zeigte....Meine väterlichen Vorfahren kamen vor Jahrhunderten
von den britischen Inseln, Katholiken, die der Staatsreligion Heinrichs VIII.
die Emigration vorzogen. Sie waren Schiffzimmerleute, zogen von Holland
herauf rheinaufwärts, lebten immer lieber in Städten als auf dem Land,
wurden, so weit von der See entfernt, Tischler. Die Vorfahren mütterlicherseits
waren Bauern und Bierbrauer; eine Generation war wohlhabend und tüchtig,
dann brachte die nächste den Verschwender hervor, war die übernächste arm,
brachte wieder den Tüchtigen hervor, bis sich im letzten Zweig, aus dem
meine Mutter stammte, alle Weltverachtung sammelte und der Name erlosch
[Böll (2) 24-25].
Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren sehr schwer für alle in Deutschland. Keiner außer
dem Kaiser und seinen Adjutanten wußte, wie schlimm die Zustände des Krieges waren, und
die Flucht des Kaisers überraschte das ganze Land. Die Weimarer Republik brachte eine
demokratische Regierung zustande, aber die Leute waren darauf nicht vorbereitet, und die
Arbeiter litten am meisten. In den folgenden Jahren war die Inflation so stark, daß die
Arbeiter zweimal pro Tag bezahlt wurden. Über diese Zeiten schrieb Böll:
…das erste Geld, das ich in die Hand bekam, war ein Schein, der eine Ziffer
trug, die Rockefellers Konto Ehre gemacht hätte: 1 Billion Mark; ich bekam
eine Zuckerstange dafür; mein Vater holte die Lohngelder für seine Gehilfen in
einem Leiterwagen von der Bank; weinige Jahre später waren die Pfennige der
stabilisierten Mark schon knapp, Schulkameraden bettelten mich in der Pause
um ein Stück Brot an; ihre Väter waren arbeitslos; Unruhen, Streiks, rote
Fahnen, wenn ich durch die am dichtesten besiedelten Viertel Kölns mit dem
Fahrrad in die Schule fuhr [Böll (2) 26].
Bölls Eltern waren sehr religiös und erzogen ihn im katholischen Glauben, aber er lernte früh
von ihnen, daß christlicher Glaube wenig mit der organisierten Kirche zu tun hatte. Die
Familie war streng im Glauben, aber entspannt und frei in der Praxis. Obwohl Viktor Böll
täglich zur heiligen Messe in der Kirche ging, kritisierte er Heinrich nicht, als er in den
Gymnasiumjahren gegen die Messe und Sakraments sich empörte. Seine Mutter war "eine
geistig bewegliche und kritisch denkende Frau. Böll schrieb über sie: 'Sie vereinte
Eigenschaften in sich, die selten vereint sind, Intelligenz, Naivität, Temperament, Instinkt und
Witz.'" (Hoffmann 36). Die Familie lebte nach der Bergpredigt, und kein Bettler wurde von
der Tür je fortgeschickt. Es gab immer eine Tasse Kaffee für irgendeinen, der an die Tür
klopfte. Die Wohnung war immer offen, und während der Kindheit und Jugend Bölls traf sich
oft darin ein Kreis von zwanzig bis dreißig jungen Leuten. Durch ihre politischen
Besprechungen lernte der junge Heinrich, seine Meinungen auszudrücken und zu verteidigen.
Im Alter von sechs Jahren ging Böll auf eine katholische Schule; drei Jahre später schrieb er
sich im Gymnasium Kaiser Wilhelms in Köln ein, wo er neun Jahre blieb. Am 1.Mai 1933
beobachtete er den ersten Nazi Marsch in Köln, und er begriff den Ernst der Lage. Im Januar,
als Hitler Reichskanzler geworden war, hatte Heinrichs Mutter gesagt: "Das bedeutet Krieg".
(Hoffman 29)
Alle Bölls Klassenkamareden gehörten der Hitlerjugend an, aber er weigerte sich. Er sagte: "
Ich hatte keine Lust, es gefiel mir nicht - jetzt ganz unabhängig vom Politischen - dieses blöde
Marschieren und die Uniformen". Er blieb auch nicht in dem katholischen Jugendklub. "Es
war sehr militärisch und sehr puritanisch von Jesuiten geleitet, und diese Art von Fithalterei
durch die katholische Jugendbewegung paßte mir nicht" (Hoffmann 42). Als die Hitlerjugend
marschierten, mußten Böll und ein paar andere in der Schule bleiben und aufräumen. In seiner
freien Zeit ging er durch die Straßen oder den Rhein entlang spazieren. In diesen Jahren fing
er auch zu schreiben an, aber nichts aus dieser Zeit wurde veröffentlicht. "Schreiben wollte
ich immer, versuchte es schon früh, fand aber die Wörter erst später" [Böll (2) 26].
In der Deutschstunde des Gymnasiums mußten die Studenten Mein Kampf lesen. Der Lehrer
machte aber nur ironische Bemerkungen über dieses Buch und forderte, daß die Studenten die
Sätze umschreiben damit sie klarer wurden! Die Studenten lernten gute Schreibtechnik, und
die Verachtung des Lehrers für Hitler wurde ihnen mitgeteilt. Der junge Böll verstand und
war dankbar für dieses Erlebnis [Conrad (1) 9].
Obwohl seine Studien im Gymnasium 1937 zu Ende kamen, wurde er nicht von der
Universitat akzeptiert, weil er der sechsmonatigen Arbeitsdienstpflicht nicht entsprochen
hatte. Er lehnte es ab, für die Regierung zu arbeiten, und daher nahm er in Bonn eine Lehre
bei einem Buchhandler an. Hier konnte er viele verbotene Bücher lesen, aber nach einigen
Monaten ging er wieder nach Köln. Kurz danach wurde er zum Arbeitsdienst einberufen, und
er mußte sechs Monate lang Graben ziehen. Als er nach Hause kam, versuchte er sich an der
Üniversität Köln zu immatrikulieren, aber innerhalb einiger Wochen mußte er in die
Wehrmacht eintreten [Conrad (1) 10].
Die nächsten sechs Jahre verbrachte Böll als gemeiner Soldat in Hitlers Wehrmacht. Er diente
in Frankreich und Rußland und in einigen anderen Ländern im Osten. Viermal wurde er
verwundet, und vielmal versuchte er den Krieg zu entfliehen, in dem er sich krank stellte.
Während eines Urlaubs 1942 heiratete er Annemarie Cech, eine aus dem Freundeskreis, der
sich im Haus Bölls getroffen hatte. Seine Mutter starb 1944 an einem Herzinfarkt nach einem
Bombenangriff. Um 9. April 1945 wurde er von amerikanischen Soldaten
gefangengenommen. Für ihn war dieser Tag der Tag der Entbindung, und nie vergaß er, den
Alliierten für die Befreiung Deutschlands zu danken. Dieses Thema ist in seinem Werken der
folgenden vierzig Jahre oft zu sehen; dadurch wurde er im Ausland sehr populär, aber in
konservativen Kreisen Deutschlands machte es ihn manchmal zu einem verachteten Feind
[Conrad (1) 11].
Während des Krieges schrieb Böll seiner Frau und seiner Familie mehr als ein tausend Briefe.
Einige in ihnen ausgedrückten Gedanken charakterisieren viel von seiner Lebensarbeit und
geben ein Bild seines Seelenlebens. Diese Auszüge zeigen seine Liebe für die einfachen
Vergnügungen, seinen tiefen religiösen Glauben, seine Hochachtung vor der Wahrheit, und
seinen großen Haß gegen den Krieg und alle, die mit ihn verbunden waren. Am 4. April 1941
schrieb er:
…ich kann es mir gar nicht mehr ausdenken, wie es war in den märchenhaft
tief versunkenen Zeiten, wo wir noch spazierengehen, rauchen, trinken,
schlafen konnten, wann wir wollten. Es muß eine tolle Zeit gewesen sein! Gott
schenke uns, daß wir die Erinnerung an sie nicht ganz aus dem Gedächtnis
verlieren; damit wir nicht wahnsinnig werden, wenn sie wieder uns kommt,
diese Zeit....
Und am 5. Juni 1941:
…Manchmal träumen wir ja von einem wirklichen 'Frieden', aber ich glaube,
den gibt es nicht. Das wäre mindestens die absolute Kampflosigkeit, und die
kann für uns Christen nur beginnen, wenn wir endgültig dem Kreuz
abgeschworen haben; das werden wir ja niemals tun können…es wird
bestimmt eine Zeit kommen…daß man einmal mit brennendem Herzen und
glühendem Mund wird für die Wahrheit sprechen dürfen und müssen…
Und schließlich schrieb er am 19. Juni 1944 an seine Familie: "Ich hasse den Krieg und alle
die, die ihn lieben!" (Hoffmann 89-92, 98).
Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im September 1945 ging er mit
Annemarie nach dem zerstörteten Köln zurück. "Als wir Köln wiedersahen, weinten wir"
(Hoffmann 77). Die Stadt, die im Jahre 1939 800.000 Einwohner gehabt hatte, hatte 1945 nur
noch 28.000. Mit ihnen im Haus lebten seine zwei Brüder und ihre Frauen und Kinder, der
76jährige Viktor Böll, und andere Bekannte mit Familien. Es war eine sehr schlimme Zeit sie hatten nicht genug zu essen, sie hatten kaum Kohle zur Heizung, und sie mußten immer
gegen den Staub kämpfen. "Staub drang durch alle Ritzen, setzte sich in Bölls Manuskripte
und Bücher, Staub lag auf dem Brot und auf der Suppe, er klebte auf Wimpern und Brauen,
zwischen den Zähnen, auf Gaumen und Schleimhäuten, in Wunden" (Hoffmann 117).
Sein erster Sohn, geboren als er Kriegsgefangener war, starb nur einen Monat nach ihrer
Rückkehr; mit Penicillin wäre es vielleicht möglich gewesen, ihn zu retten. Zwischen 1947
und 1950 wurden noch drei Söhne geboren. Annemarie wurde als Englischlehrerin
beschäftigt, und Böll arbeitete dann und wann in der Familientischlerei, aber jetzt fing er im
Ernst zu schreiben an.
In der Nachkriegszeit war dieses Bestreben aber nicht so leicht. Die Sprache wurde von den
Nazis verdorben, und übliche Wörter hatten neue Bedeutungen angenommen. Zum Beispiel,
im Wortschatz der Nazis bedeutete heil Euthanasie, krank bedeutete tot, Abgabe bedeutete
Beschlagnahme, und die Vernichtung der Rassen wurde von der Reichssicherheitshauptamt
ausgeübt. Wie sollte man die Wörter Sicherheit, Haupt, und Amt benutzen, da sie für
Millionen Tod bedeutete? [Conrad (2) 29]. Um seine Ideen klar zu machen, benutzte Böll
damals nur einfache Wörter, weil die komplizierte Wörter von den Nazis mißbraucht wurden.
Ein Beispiel der sich wiederholenden und einfachen Wörter Bölls ist in der Kurzgeschichte
Mein teures Bein (1950) zu sehen:
Sie haben mir jetzt eine Chance gegeben. Sie haben mir eine Karte
geschrieben, ich soll zum Amt kommen, und ich bin zum Amt gegangen. Auf
dem Amt waren sie sehr nett. Sie nahmen meine Karteikarte und sagten: "Hm."
Ich sagte auch: "Hm."
"Welches Bein?" fragte der Beamte.
"Rechts."
"Ganz?"
"Ganz."
"Hm", machte er wieder….. [Boll (3) 117]
Sein erstes Buch, Der Zug war pünktlich, wurde 1947 veröffentlicht, und im gleichen Jahr
erschienen mehrere Kurzgeschichten in Zeitungen und Zeitschriften. Eine Sammlung
Kurzgeschichten, Wanderer, kommst du nach Spa…wurde 1950 in Umlauf gesetzt. Die
meistens waren Geschichten von Soldaten und ihren Freundinnen, Geliebten, oder Frauen,
und sie handelten sich um Kriegserlebnisse. Sie gehörten der sogennanten Trümmerliteratur
an, die Eindrücke vom Krieg und der Vernichtung, Todeserrinerung, und Sprachlosigkeit
angesichts dieser Erlebnisse beschrieb. Sie erregten Aufmerksamkeit von den Kritikern, aber
sie waren sehr schwer zu verkaufen.
Die besten Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland gehörten der Gruppe 47 an. Böll wurde
1951 von ihnen eingeladen, von seinem Werk zu lesen. Er las Die schwarzen Schafe und
gewann dafür den ersten Preis. Es brachte ihm ein tausend Mark (die er auch nötig hatte), und
zur gleichen Zeit Anerkennung. Dies war der Wendepunkt seiner Karriere [Conrad (1)]
Guter Erfolg kam schnell. Er schrieb Kurzgeschichten, Romane, Dramen, Aufsätze, alle
Literaturtypen in Hülle und Fülle.
Morgens wenn ich erwacht bin, denke ich schon darüber nach, welches
Problem schmutzig und zeitnah genug und damit wert ist, dargestellt zu
werden….Habe ich diesen ersten Satz geschrieben, so gibt es kein Halten
mehr: achtzig, neunzig bis zu hundertzwanzig Schreibmachinenseiten rassele
ich hinunter, bis mir am Abend die erstarrten Finger von den Tasten gleiten;
ich taumele ins Bett… [Böll (1) 97-98].
Im Jahre 1953 bekam er den Kulturpreis der Deutschen Industrie, den Suddeutschen
Radiopreis, und den Preis der Deutschen Kritiker. Der Preis der Tribune de Paris, der Eduard
von der Heydt Preis der Stadt Wuppertal, der Literaturpreis von der Stadt Köln und mehrere
andere Preise wurden ihm in den nächsten Jahren verliehen. 1967 bekam er die höchste
Auszeichnung Deutschlands, den Büchner Preis von der Deutschen Akademie für Sprache
und Dichtkunst, und zuletzt 1972 erhielt er für den Roman Gruppenbild mit Dame den Nobel
Preis für Literatur. Den größten Teil der Preisgelder stiftete er für Schriftsteller in Not
[Conrad (1) 15].
In seinem Schreiben versuchte Böll Begriffe wie Wohnen, Nachbarschaft, Heimat, Geld,
Liebe, Religion, Mahlzeiten genau und neu zu bezeichnen. "[Ich] suche nach einer
bewohnbaren Sprache in einem bewohnbaren Land" [Butler (2) 13]. Für ihn symbolisierte das
Wort Brot menschliche Beziehungen: Brot brechen, Kaffee teilen, einfache Mahlzeiten.
Solche Teilungen erfüllen eine menschliche Notwendigkeit und zur gleichen Zeit, drücken sie
die Bedeutung des christlichen Lebens aus [Butler (2) 13]. In seinen frühen Werken versuchte
er weder den Krieg zu erklären, noch wie er begann, oder wer schuldig war. "Ich glaube nicht,
daß jemand schuldig ist, weil er geboren ist, wo er geboren wurde, aber auch ist keiner
unschuldig , weil er geboren ist, wo er geboren wurde. Die Schuld der Zeitgenossen tragen
wir alle" (Hoffmann 123). Seine Charaktere sind oft namenlos - sie repräsentieren die
leidende Menschheit; und sie tun, wie ihr geheißen, und gewöhnlich sterben sie. Immer
hassen sie den Krieg, aber nicht den feindlichen Soldat; polnische, russische, und französiche
Soldaten sollen die Sympathie der Leser in den Geschichten Bölls erregen [Conrad (2) 41]. Er
sagte, daß die Politik des Staates sowie der Kirche verdorben wäre, und daher müße man, um
Zeichen der Menschheit zu finden, Gruppen oder Individuen darstellen, die von dem System
ignoriert, abgelehnt, oder niedergedrückt wären.
Er haßte die Bezeichnung Gewissen der Nation, die 1961 ihm Der Spiegel gab. Er glaubte,
daß der Gewissen der Nation das "Parlament der Leuten, ihr Gesetzbuch, ihre Gesetzgebung
und ihre Rechtsprechung" sei, und die Pflicht des Schriftstellers darin läge, das Gewissen
aufzurühren, aber nicht zu verkörpern [Butler (2) 2]. In seiner Nobelansprache sagte er, daß
die Funktion der Literatur sei: arrogante Ansprüche auf die Gesamtheit, die von allen
ideologischen Systemen gemacht werden, herauszufordern. Die Literatur kann, überdies,
unser Wissen um die menschlichen Möglichkeiten verbreiten. [Butler (2) 15].
Im Dezember 1979 machten Böll und seine Frau eine Reise nach Ecuador, um ihren Sohn,
Vincent, und seine Familie zu besuchen. Die 3000 Meter Höhe strengte ihn an, und er mußte
zum Arzt gehen. Seine vielen Jahre als Raucher hatten Beschädigungen seiner Aorta und der
Arterien am Bein bewirkt. Er unterzog einer großen Operation in Quito, und ging drei
Wochen später nach Deutschland zurück. Sofort aber war er wieder in Lebensgefahr, und die
Zehen des linken Fußes wurden amputiert. Er blieb vier Monate in einer Klinik für
Gefäßleiden in der Nähe von Köln. Um sein linkes Bein zu retten, mußte er das Rauchen ganz
aufgeben und zwei Kilometer täglich laufen. Obwohl das Rezept gefiel ihm nicht, besserte er
sich, und das Bein wurde gerettet. Von da an brauchte er Spezialschuhe und Krücken
(Hoffman 252-3).
Nach seiner Krankheit war es Böll monatelang unmöglich zu schreiben, aber später begann er
als Literaturkritiker wieder zu arbeiten. Marcel Reich-Ranicki, der Redakteur einer Kölner
Zeitung, bat ihm, einen Bericht über seine Schulzeit zu schreiben, aber er lehnte ab.
"Autobiographie ist das schwerste', sagte er (Hoffman 255).
Im Januar 1982 zogen Böll und Annemarie nach Merten im Vorgebirge, weil das Haus in
Köln zu groß und laut war, und die Wohnung im zweiten Stock lag. In Merten wohnten sie in
einem früheren Wirtshaus angrenzend an das Haus ihres Sohnes, Rene, seiner Frau und ihrer
Kinder. Er setzte zu schreiben fort, aber im allgemeinen kurzere Werke, und mit seiner Frau
machte er viele Übersetzungen aus dem Englischen. Er machte seinen täglichen Spaziergang
und las mehrere Zeitungen; er war ein leidenschaftlicher Bücherleser.
Nach der Operation war Böll immer etwas krank, obwohl er selten darüber klagte. Am 1.
August 1982 starb sein Sohn, Raimund, der nur 35 Jahre alt war. Noch dazu starben drei enge
Freunde in einer einzigen Woche. Böll war tief getroffen. Nur das Schreiben machte ihm
Freude, und er begann einen neuen Roman (Hoffmann 264).
Sein Tod war unerwartet. Böll und Annemarie verbrachten den Sommer 1985, wie
gewöhnlich, in Langenbroich. Sein neuester Roman Frauen vor Flußlandschaft war fertig,
und er hatte am 13. Juni die Druckfahne korrigiert. Am letzten Wochenende im Juni hatte er
Schmerzen im Bauch. Er ging ins Krankenhaus und wurde wieder operiert. Am 15. Juli ging
er nach Hause, und am nächsten Morgen starb er (Hoffmann 277-8).
Die Familie wollte eine private Beerdigung, aber mehr als 200 Trauergäste, der
Bundespräsident von Weizsäcker eingeschlossen, kamen. Der Pfarrer Herbert Falken, ein
Freund Bölls, schloß seine Predigt: "Wir bitten in Namen des Toten um Frieden und
Abrüstung, Dialogbereitschaft, gerechte Verteilung der Güter, Versöhnung der Völker
untereinander und Nachlaß der Schuld, die vor allem uns Deutsche drückt" (Hoffmann 278).
Der Name Bölls war sowohl bevor als auch nach seinem Tod überall in Deutschland bekannt.
Das Allenbach Institut machte 1978 eine Umfrage, die ergeben soll, wer die bekanntesten
Persönlichkeiten waren. Die Ergebnisse zeigten, daß Heinrich Böll und Günter Grass wie die
führenden Politiker am meisten bekannt waren. Böll war an zweiter Stelle nach Helmut
Schmidt; 89% der Befragten kannte, wer er war, und 31% von denen, die älterer als 16 Jahre
waren, hatte ein Buch Bölls gelesen. Noch eine Umfrage in den 80er Jahren zeigte Böll
wieder an zweiter Stelle nach dem Kanzler, Helmut Kohl. Es ist klar, daß Böll einen großen
Einfluß auf die Literatur und das öffentlichen Leben Deutschlands hatte. Der Meinung Robert
Conrads nach sollen vielleicht die Jahre 1960-1985 Das Alter Heinrich Bölls gennant werden
[Conrad (1) 15].
Böll schrieb sehr wenige Gedichte, aber nur einige Wochen vor seinem Tod schrieb er dieses
Gedicht für seine 7jährige Enkelin:
Für Samay Wir kommen weit her
liebes Kind
und müssen weit gehen
keine Angst
alle sind bei Dir
die vor Dir waren
Deine Mutter,
Dein Vater
und alle, die vor ihnen waren
weit weit zurück
alle sind bei Dir
keine Angst
wir kommen weit her
und müssen weit gehen
liebes Kind.
Dein Großvater
8.Mai 1985. (Hoffmann 284)
BIBLIOGRAPHIE
1. Heinrich Böll. Aufsätze-Kritiken-Reden II. München: Deutscher Taschenbuch Verlag,
1969. pp. 97-98.
2. Heinrich Böll. "Über mich selbst" in Der Schriftsteller, Heinrich Böll, Ein
biographisch-bibliographischer Abriß. Köln: Kiepenhauer & Witsch, 1962 pp. 24-26.
3. Heinrich Böll. Wanderer, kommst du nach Spa… München: Deutscher Taschenbuch
Verlag, 1967.
4. Michael Butler. "The Conscience of a Nation: Heinrich Böll"
[http://www.english.upenn.edu/~afilreis/Holocaust/boll.brief-bio.html], March 1997.
5. Michael Butler. "The Conservative Moralist" in The Narrative Fiction of Heinrich
Böll. Michael Butler, ed. New York: Cambridge University Press, 1994. pp. 1-20.
6. Robert C. Conrad. Heinrich Böll. Twayne's World Authors Series, A Survey of the
World's Literatur, U. Weisstein, ed. Boston: Twayne Publishers, 1981.
7. Robert C. Conrad. Understanding Heinrich Böll. Columbia, South Carolina:
University of South Carolina Press, 1992.
8. Gabriele Hoffmann. Heinrich Böll. Bornheim-Merten. Lamuv Verlag, 1986.
9. Richard von Weizsäcker. Beiliedsbrief. Via e-mail von Markus Volz, Kölner
Bibliothek. mvolz@stbib-köln.de 6 Mai 1997.
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