Aus dem Alltag einer 1 Euro Jobberin

Werbung
ARBEITSLOS
Kerstin Gundt
Inhaltsverzeichnis
Erfahrungsbericht einer Ein Euro Jobberin
Ein Bewerbungstraining vom Job Center
Gedichte
Karl Immermann schreibt, der wahre Dichter werde gehasst, weil man ihm nicht verzeihen
will, dass er etwas mehr sein will als gewöhnliche Menschen. Heinrich Heine fühlt sich im
Innersten verstanden und freundet sich mit ihm an.
Wünsche
Ich will meinen Kommentar abgeben zum Zeitgeschehen
und nicht betteln müssen um jeden Artikel.
Ich will rausschreien, was mich bedrückt
und nicht mich an den Druckkosten beteiligen müssen.
Ich will für Gerechtigkeit sorgen
und nicht lauter Absagen kassieren.
Ich will meine Songs im Radio hören
und nicht vor leerem Publikum spielen.
Ich will berühmt sein
und nicht ein Fräulein Unbekannt.
Ich will meinen Beitrag leisten
und nicht überflüssig sein.
Ich will Wohlstand
und nicht Hartz IV.
Ich will eine verwandte Seele
und keinen Vorwurf: Größenwahn.
Ich will Freunde und Förderer
und keine Kleinmacher und Abwimmler.
Ich will unsterblich sein
und nicht unbedeutend.
Ich will nicht irgendeinen
- ich will dich !
Aus dem Alltag einer 1 Euro Jobberin
Kerstin Gundt
Bei der Firma, bei der ich die nächsten 11 Monate arbeitete, handelt es sich um ein privates
Forschungsinstitut, das nur mit 1 Euro Kräften arbeitet. In dieser Maßnahme waren 22
Personen beschäftigt. Das Institut erhält pro Person 300 Euro im Monat vom Job Center plus
ca. 200 Euro, die den Mae Kräften als Mehraufwandsentschädigung ausgezahlt werden. Viele
der Mitarbeitenden haben Vermittlungshemmnisse wie z.B. Krankheit oder Drogen, einige
sind alleinerziehend. Alle haben finanzielle Probleme. Es sind aber auch einige Akademiker
dabei.
Ziel der 1 Euro Jobs soll sein, die Arbeitslosen wieder an Arbeit zu gewöhnen und sie dazu zu
bringen, morgens wieder früh aufzustehen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Einen anderen
Zweck verfolgen sie nicht. Ob das jedoch durch solche Maßnahmen der richtige Weg ist, ist
äußerst fraglich. Aufgabe dieses Projektes ist es, eine Broschüre zu erstellen, in der sämtliche
Unterstützungsangebote für Familien im Bezirk aufgelistet sind und kurz beschrieben werden.
Dazu müssen die einzelnen Projekte besucht und interviewt werden. Als sich im Laufe der
Arbeit herausstellt, dass ähnliche Ergebnisse bereits in vielfältigster Form vorliegen, nimmt
der Unmut der 1 Euro Kräfte zu.
Das ganze Projekt ist von Anfang an schlecht geplant und organisiert. So besteht unsere
Aufgabe am 1. Arbeitstag z.B. darin, die Computer aufzustellen und anzuschließen. Die ersten
Interviews werden durchgeführt, noch ehe ein Fragebogen existiert, und selbst dieser musste
unter unserer Mithilfe mehrmals überarbeitet werden. Die Anleitung ist äußerst schlecht. Da
uns z.B. keine Vorgaben gemacht wurden, wie die Daten abgetippt werden sollen, müssen sie
später mehrmals überarbeitet werden. Um für ein einheitliches Arbeiten zu sorgen, erstellt
schließlich eine 1 Euro Kraft aus eigenem Antrieb heraus ein Konzept für den Fragebogen.
Unsere Computer stammen aus einem Pool von ausrangierten Geräten der Polizei und sind so
mangelhaft, dass sie ständig repariert werden müssen und es häufig zu Datenverlusten kommt.
Da wir selber anfangs nicht glauben können, dass dies tatsächlich an den Computern liegt,
schieben wir uns gegenseitig die Schuld für die verloren gegangenen Daten in die Schuhe,
was zu doppelter Arbeit und großem Ärger untereinander führt. Es ist zu wenig Arbeit für so
viele Personen vorhanden, so dass wir nicht ausgelastet sind. Wir nutzen die Zeit für private
Dinge. Ich tippe z.B. ein Manuskript von mir ab, die anderen bewerben sich oder spielen am
Computer. Sie fühlen sich gelangweilt, unterfordert und frustriert. Das ganze Projekt ist eher
eine Beschäftigungstherapie als ein Job. Trotzdem muß der Schein gewahrt werden, als ob
dies eine richtige Tätigkeit sei: Wir sollen nicht zu spät erscheinen, müssen erst um Erlaubnis
fragen, ob wir uns an den Feiertagen Urlaub nehmen dürfen, und die Chefin sieht es nicht
gerne, wenn ich Zeitung lese. In übergeordnete Aufgaben werden wir nicht mit einbezogen.
So wurde uns z.B. in einer Besprechung erklärt, dass wir uns an den Artikeln für die
Broschüre beteiligen dürften, falls wir das wollten, aber als ich einen Artikel einreichte,
wurde er mit der Begründung abgelehnt, dass es vorgegebene Kriterien dafür gab, wie er
auszusehen hätte. Als ich mich im Vorfeld danach erkundigt hatte, wie er aussehen solle und
einen fertigen Artikel sehen wollte, an dem ich mich orientieren konnte, wurde mir nur
gesagt:“ Wenn wir dir das erst zeigen sollen, können wir ihn auch gleich selber schreiben.“
Als ich darum bitte, diese Tätigkeit wenigstens in meinem Arbeitszeugnis zu erwähnen,
kommt es daraufhin zu einem Streit mit der Leitung.
Unser Frust schlägt um in offene Wut, als sich später herausstellt, dass unsere Ergebnisse an
eine private Firma verkauft wurden und der Beschäftigungsträger durch unsere Arbeit ein
gutes Geschäft gemacht hat.
Trotz des ganzen Frusts sind viele froh, hier arbeiten zu können, da sie das Geld dringend
brauchen und ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Viele machen anschließend
wieder im nächsten Projekt mit. Aber es gibt auch vereinzelte Leute, die diese Maßnahme von
sich aus abbrechen. Falls sie keinen regulären Job gefunden haben, müssen sie jedoch mit
einer Kürzung ihres Regelsatzes rechnen.
Der 1. Tag bei meinem 1 Euro Job ist ein Schock. Ich hatte damit gerechnet, dass ich hier
erste Berufserfahrungen als Politologin sammeln könnte, aber eine richtige Stelle scheint dies
nicht zu sein. Wir müssen erst mal selber die Computer auf die Arbeitsplätze tragen und
anschließen und die Arbeitsmaterialien abholen. Der Chef des Institutes erzählt etwas davon,
dass wir Musik nur über Kopfhörer hören sollen, um die anderen nicht zu stören. Ich frage
mich, seit wann man auf der Arbeit Musik hören darf. Dabei kann man doch nicht arbeiten !
Die Leute sehen sehr langweilig aus, es scheinen keine gebildeten, alternativen Leute darunter
zu sein, nur zwei Akademiker. Am sympathischsten sieht noch unsere Leitung aus. Sie ist
jung, wirkt intelligent und ist unkonventionell gekleidet wie ich. Mit ihr fühle ich mich am
ehesten verbunden. Ich schäme mich etwas dafür, als Akademikerin nur eine der MAE Kräfte
zu sein und nicht in ihrer Position zu stecken. Ich teile mein Arbeitszimmer mit drei Frauen.
2. Tag: Wir haben nur stumpfsinnig Adressen aus Broschüren abgetippt. Viele Computer
funktionieren nicht, und wir haben auch noch keinen Internet Anschluß. Wir arbeiten wie im
Kindergarten zu zweit am Computer: Eine liest vor, die andere tippt. Wir sind alle genervt
davon, dass die Computer nicht richtig funktionieren und es so wenig zu tun gibt.
Die Leitung stellt uns Marion als Teamleitung vor. Sie ist zwar auch nur eine von uns, hat
aber das ganze Projekt mit vorbereitet und diese Maßnahme mit beantragt. Aber es wird uns
noch eine dritte Person als Teamleitung vorgestellt: Otto, der genau wie wir gestern seinen
ersten Arbeitstag begonnen hatte. Er hatte sich mit den Worten vorgestellt, dass er bereits in
einem anderen Projekt als Projektleiter gearbeitet hätte. Er muß anschließend mit dem Chef
gesprochen und darum gebeten haben, hier wieder eine Führungsrolle zu übernehmen. Ich
ärgere mich darüber, dass man so frech sein muß und sich so gut verkaufen muß, um weiter
zu kommen. Ich hoffe, dass ich hier durch meine gute Arbeit auf mich aufmerksam mache
und so vielleicht eine Chance bekomme, nach diesem Projekt eine richtige Stelle zu
bekommen. Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, sofort mit dem Chef zu reden und ihm
zu sagen, dass ich Politologin bin und gerne als Projektleitung arbeiten würde.
3. Tag: Alle lästern über Otto, weil er sich als etwas Besseres fühlt. Wir haben wieder nur
Adressen abgetippt. Es gibt immer wieder Computerprobleme.
Ende der 1. Woche: Hannes sagt der Leitung, dass wir die Daten nicht wie vorgegeben in
Excel Tabellen eingeben sollten, da dies später bei der Druckvorlage nur doppelte Arbeit
machen würde. Daraufhin telefoniert die Leitung mit dem Verlag und spricht das mit ihm ab.
Darum hätte sie sich eigentlich selber schon viel früher kümmern müssen ! Sollen wir jetzt
schließlich alles noch mal von vorne überarbeiten und in eine neue Datei schreiben ?
1. Tag der 2. Woche: Alles, was wir bisher getippt haben, muß in eine Word Datei
umgewandelt werden. Das Tabellenformat müssen wir dazu rausnehmen. Warum ist der
Leitung das nicht eher eingefallen ? Da wir so wenig Arbeit haben, nutze ich die Zeit für
mich. Ich habe mir etwas zu lesen mitgebracht und tippe ein Manuskript von mir ab. Ich bin
genervt, weil der Computer abstürzt und meine Daten dabei immer verloren gehen. Ich muß
alles zweimal abtippen. Es ist anstrengend, bei dem hohen Geräuschpegel aus dem
Nachbarzimmer zu lesen. Sie unterhalten sich die ganze Zeit über sehr laut, und ich traue
mich nicht, unsere Tür zu schließen.
2. Tag der 2. Woche: Das Tippen meines Manuskriptes klappt, ansonsten ist die ganze
Woche über nichts zu tun. Die Computer müssen mehrmals umgetauscht und repariert
werden. Wir kriegen einen Internet Anschluß. Wir werden in Gebietszonen eingeteilt und
sollen dort Projekte besuchen und befragen, obwohl wir noch gar keinen Fragebogen besitzen,
anhand dessen wir die Projekte beurteilen sollen. Jemand findet heraus, dass die
Datensammlung, die wir erstellen sollen, für diesen Bezirk bereits existiert. Anja beschimpft
Susi, weil sie lacht. Sie fühlt sich wohl angegriffen. Man lästert über sie (....)
Herunterladen